9783897169296.jpg

Krimi-Logo_sr.jpg 

 

 

VEIT BRONNENMEYER

 

STADTGRENZE

 

Albach und Müller: der dritte Fall

 

Kriminalroman

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Zweite Auflage Dezember 2009)

 

© 2009 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Dr. Hanna Stegbauer

Umschlaggestaltung: Anna Ponton

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-394-2

 

Inhalt

1. Zuständigkeiten I

2. Erfolgsbiografie

3. Bundesagentur I

4. Zuständigkeiten II

5. Frühe Vögel

6. Guantanamo

7. Fairplay

8. Imperialistische Untertanen

9. Paternoster

10. Analysten-Event

11. Bundesagentur II

12. Zähltag

13. Big Brother

14. Wahrheit und Wirklichkeit

15. Paranoia

16. Sonne und Schatten

Nachwort und Dank

Der Autor

 

Für meine Großmutter Anni Frank

 

1. Zuständigkeiten I

»Die g’hört fei euch!«, schmähte der Kollege, auf die Leiche deutend.

»So? Und wer sagt das?« Renans Ton verriet Angriffslust.

»Kommissar Nothaft, Kriminalinspektion Fürth!«

»Müller, K11 Nürnberg« – Renan blickte sich auf der gesperrten A73 um – »und ich glaube nicht, dass wir hier auf Nürnberger Gebiet sind.«

»Auf Fürther jedenfalls auch nicht.« Nothafts Züge hatten etwas Dachsartiges. »Der Frankenschnellweg ist hier die Stadtgrenze, und das da ist die Fahrspur Richtung Bamberg, und die liegt näher an Nürnberg.«

»Muss ich erst das Stadtvermessungsamt anrufen oder was?« Renan hielt drohend ihr Handy hoch.

»Das kannst du machen, wie du willst«, der Dachs zuckte mit den Schultern, »wir nehmen die jedenfalls nicht mit!«

»Abwarten«, knurrte Renan und setzte sich in ihren Dienst­wagen. Es war bereits zehn Uhr nachts. Natürlich konnte man um diese Uhrzeit niemanden vom Vermessungsamt erreichen. Im Handschuhfach fand sie einen Stadtplan. Sie schlug ihn auf und folgte dem Verlauf der Stadtgrenze mit dem Finger. Die beiden Städte gingen an den meisten Stellen nahtlos ineinander über. Meist wurde die Grenze durch Straßen markiert, im Süden auch ein Stück weit durch den Kanal. Im Norden verlief sie gezackt an Feldwegen entlang. Nur hier, zwischen der Fürther Straße und der Herderstraße, fiel sie auf knapp einem Kilometer mit der A73 zusammen, dem Franken­schnellweg. Renan blickte über ihre Schulter hinauf zu der Fußgänger­brücke, von der die Frau offensichtlich gekommen war. Dem Plan konnte sie entnehmen, dass es sich dabei um den »Mainau­steg« handelte. Renan atmete tief durch und ließ die nächtliche Kulisse ein paar Minuten auf sich wirken. Auf der Gegenfahrbahn donnerte der Verkehr vorbei, doch sie ­empfand fast so etwas wie Ruhe. Die Fahrspur ­Richtung Norden war kurz nach dem Vorfall total gesperrt worden. Der Widerschein von acht Blaulichtern zuckte auf den Brückenpfeilern und Böschungen am Straßenrand. Renan fühlte sich mit der Situation ein klein wenig überfordert und rang sich schließlich dazu durch, ihren Kollegen Alfred anzurufen. Sollte der alte Kripo-Hase doch mal vorturnen, wie mit so einer Situation umzugehen war. Sie zückte ihr Handy. Alfred leistete keinen großen Widerstand, im Gegenteil, die Tote auf der Stadtgrenze schien ihn richtiggehend anzuspornen. Sie schaltete das Radio ein. Es war Bayern 5 eingestellt. Soeben wurde vermeldet, dass die Arbeitslosenzahl im ­September ­weiter gesunken sei.

»Entschuldigung, Frau Kommissarin«, meldete sich ein Kollege von der Verkehrspolizei, »aber können wir die Leiche nicht langsam wegschaffen? Wir möchten die Totalsperrung gern irgendwann wieder aufheben.«

»Das muss jetzt warten!« Renan schlug die Fahrertür zu.

Auf der gesperrten Autobahn standen sich eine Nürnberger und eine Fürther Streifenwagenbesatzung, zwei Löschzüge der Nürnberger Feuerwehr und drei Rettungswagen aus Fürth gegenüber. Die Kollegen von der Spurensicherung waren auch schon vor einer halben Stunde eingetroffen, wollten aber nicht so richtig anfangen, bevor die Kriminalbeamten sich nicht einig waren, wem der Fall und damit die Leiche nun gehörte. Zu tun gab es für die verschiedenen Professionen genug. Die tote Frau war vom Mainausteg aus auf die Autobahn gestürzt oder gestoßen worden. Das nächste heranrasende Fahrzeug bremste scharf, überfuhr sie aber noch mit etwa 60 Stundenkilometern. Der Wagen war daraufhin nach links gegen die Leitplanke geschleudert und hatte eine Karambolage von vier weiteren Fahrzeugen verursacht, darunter ein Tanklastzug, der aber zum Glück leer unterwegs war. Im ersten Fahrzeug, einem schwarzen Passat, saß ein Kugellagervertreter aus Schweinfurt, der sich auf der späten Heimreise befand. Der Mann war nur leicht verletzt, stand aber unter Schock und wurde bereits von einer Psychologin betreut. In den drei anderen Autos gab es auch nur leichte Prellungen und Schürfwunden. Das eine oder andere Schleudertrauma würde aber sicher noch hinzukommen. Der Blechschaden war beträchtlich. Alles in allem konnte man froh sein, dass der Vorfall sich so spät ereignet hatte. Wäre er statt um neun um sechs oder sieben passiert, hätten sie sicher mehr als nur eine Tote zu beklagen. Renan war sich der Absurdität der Situation durchaus bewusst. Sie war Kommissarin bei der Mordkommission und da draußen lag eine tote Frau, die offensichtlich unter Fremdeinwirkung von einer Brücke auf die A73 gestürzt war. Sie müsste sich eigentlich mit Feuereifer an die Arbeit machen, aber Renan war auch schon etliche Jahre Polizistin und kannte die ungeschriebenen Regeln ihres Berufsstandes genau. Man ließ sich nicht ohne Widerstand so einfach Mehrarbeit aufhalsen. Es musste immer zuerst die Frage nach der Zuständigkeit gestellt werden. Renan stimmte nicht mit allen traditionellen Gepflogenheiten bei der Polizei überein, aber diese hatte sie doch verinnerlicht. Sie traute sich aber auch nicht, den Tatort einfach so zu verlassen. Ebenso wie der Fürther Dachs, der rauchend an der Leitplanke lehnte und mit einem der Fürther Verkehrspolizisten sprach. Das Risiko, sich quasi unerlaubt vom Unfallort zu entfernen, wollte keiner eingehen. Daher belauerten sie sich gegenseitig, wer als erster die Nerven verlieren würde. Derweil versorgten die Sanis die leichten Blessuren der anderen Unfallbeteiligten, und zwei Nürnberger Verkehrspolizisten deuteten den potentiellen Gaffern auf der Gegenspur mit deutlichen Gesten an, dass sie weiterfahren sollten. Der Notarzt war einer der ersten am Unfallort gewesen. Er konnte nur noch den Tod der Frau feststellen. Auch er wusste nicht so recht, wie mit der Patt-Situation umzugehen war. Er stand neben seinem Notarztwagen und hob immer wieder hilflos die Arme.

Schließlich traf Alfred mit seinem roten Alfa ein. Er war für seine Verhältnisse mit einer Jeans, einem Poloshirt und einer hellgrauen Schimanski-Jacke eher leger gekleidet. Er quälte sich etwas mühsam vom Fahrersitz hoch, grüßte zwei der Streifenpolizisten mit Handschlag und versprühte mit seinem angegrauten Haupthaar sofort eine seniore Souveränität, um die ihn Renan immer noch manchmal heimlich beneidete. Da Renan den Fürther Dachs auf höchstens 45 schätzte, war Alfred wahrscheinlich der ranghöchste, auf jeden Fall aber der dienstälteste Beamte vor Ort. Renan war nun gespannt, wie er die Situation lösen würde. Sie versammelten sich um die Leiche, über die bereits ein weißes Laken gedeckt war, das sich an mehreren Stellen rot färbte.

»Also, was haben wir hier?«, fragte Alfred.

»Tote Frau«, erklärte der Dachs, »ist von da gekommen.« Er deutete schräg nach oben in Richtung des Mainaustegs.

»Da fällt man nicht so einfach runter«, stellte Alfred fest.

»Nicht wirklich«, stimmte Renan zu.

»Sie war wohl gerade beim Joggen.« Alfred hatte sich Latex­handschuhe übergezogen und das Laken zurückgeschlagen. Die Frau trug handelsübliche Laufkleidung, nun größtenteils zerfetzt. Eine knöchellange, eng anliegende Hose, ein atmungsaktives Shirt. In den Oberkörper und die Unterschenkel hatten die Autoreifen brutale Gräben gezogen. Die Augen waren geöffnet und blutunterlaufen, das Gesicht ebenfalls mit Blut und Straßendreck verkrustet. Der linke Arm war unnatürlich verdreht, die Finger der Hand sichtbar gebrochen. Die Haut war großflächig aufgeschürft, lediglich die Laufschuhe von Reebok waren unversehrt geblieben. Sie schien etwa Mitte dreißig gewesen zu sein.

»Das hat sie um den Hals getragen.« Der Notarzt hatte sich zu ihnen gesellt und hielt einen MP3-Player hoch. Als Renan und der Dachs zögerten, das Fundstück anzunehmen, griff Alfred zu und steckte das Gerät in ein durchsichtiges Plastik­tütchen.

»Also Mord oder Selbstmord«, schloss er. »Irgendwelche Auffälligkeiten, Doktor?«

»Nichts Ersichtliches«, sagte der Notarzt. »Hören Sie, die Leiche muss schleunigst in die Rechtsmedizin. Ich bin hier jedenfalls fertig!« Er entfernte sich in Richtung seines Wagens.

»Mord oder Selbstmord ist die eine Frage«, sagte Renan, »die andere wäre: Nürnberg oder Fürth.«

»Hm«, Alfred musterte den Fürther Kollegen, der schweigsam rauchend neben ihm stand, »haben Sie vielleicht Feuer?«

»Wie meinen?«

»Feuer«, wiederholte Alfred lächelnd. »Auch in Nürnberg gibt es noch Raucher.« Der Dachs zog ein Feuerzeug aus der Tasche und gab es Alfred, der sich eine Selbstgedrehte anzündete.

»Danke«, nahm Alfred das Gespräch wieder auf. »Also, ich würde vorschlagen, dass die Sanis die Tote erst mal zur Gerichtsmedizin fahren. Die ist in Erlangen, womit wir zunächst nichts falsch machen können.«

»Meinetwegen«, erwiderte Nothaft.

»Und dann …«, Alfred nahm einen tiefen Zug, »der Frankenschnellweg ist auf dieser Höhe die Stadtgrenze, nicht wahr?«

»Eine ziemlich breite«, sagte Nothaft, »und weil die östliche Fahrbahn näher an Nürnberg liegt und die westliche näher an Fürth, gehört die da euch!« Er deutete mit der Zigarette auf die Leiche.

»So einfach ist das nicht«, erklärte Alfred. »Das ist eine Bundesautobahn, die gehört weder zu Nürnberg noch zu Fürth.«

»Aha«, antwortete der Dachs abfällig, »sollen wir dann den Bundesgrenzschutz holen?«

»Das würde wahrscheinlich nichts bringen« – Alfred kratzte sich am Kinn – »es gibt aber kommunale Gepflogenheiten in solchen Fällen …«

»So?« Nothaft wurde misstrauisch. »Welche denn?«

»Im Zweifelsfall entscheidet der Wohnort des Opfers.«

»Das ist mir neu!«

»Dann sind Sie noch nicht lange genug dabei«, lächelte Alfred. »1978 wurde so verfahren, bei einer Wasserleiche in der Pegnitz, und 1985 bei einem Prostituiertenmord in der Höfener Straße.«

»Na gut.« Nothaft machte ein gleichgültiges Gesicht. »Das bringt uns jetzt bloß nichts, weil wir die Identität noch nicht feststellen konnten.«

»Keine Papiere?«, fragte Alfred an Renan gewandt.

»Gehst du mit deinem Personalausweis joggen?«, fragte sie kopfschüttelnd.

»Schlüssel oder ähnliches?«

»Haben wir bis jetzt noch keine gefunden, wobei auch noch niemand so richtig gesucht hat.« Renan rammte die Fäuste in die Hosentaschen.

»Tja«, Alfred hob die Schultern, »dann müssen beide Seiten sich auf eine Ermittlung vorbereiten, würde ich sagen. Bis wir wissen, wo die Frau gewohnt hat.«

»Von mir aus«, seufzte Nothaft, seine Kippe austretend.

»Ist unsere Spurensicherung soweit fertig?«, fragte Alfred.

»Soviel gibt’s da ja nicht. Das dauert höchstens noch zehn Minuten«, sagte Renan. »Fotografiert haben wir reichlich. Das Auto, das sie erwischt hat, bleibt sowieso hier, und die anderen bringen uns ja nichts.«

»Die Brücke?« Alfred deutete in Richtung des Mainaustegs.

»Ich schicke Pit gleich hoch«, sagte Renan.

»Gibt es womöglich Zeugenaussagen, ob sich eine Person oder zwei da oben befunden haben?«, hakte er noch mal nach.

»Von den Fahrern, die in die Karambolage verwickelt waren, hat keiner etwas gesehen.« Renan ging wieder zurück in Richtung Dienstwagen. »Außerdem war es ja schon dunkel. Und derjenige, der sie erwischt hat, ist gerade nicht vernehmungsfähig.«

»Kriegt da jemand Manschetten?«, fragte Alfred scheinheilig, während Nothaft leicht panisch seinen Fürther Kollegen eine Kamera in die Hand drückte.

»Von diesem Wohnortprinzip habe ich noch nie was gehört«, raunte Renan ihm ins Ohr.

»Ich auch nicht«, erwiderte Alfred und ging in Richtung seines Alfas.

 

»Also, wenn ich mich umbringen wollte, würde ich nicht noch vorher joggen gehen.« Renan wühlte in einer ihrer Schreibtischschubladen.

»Ich würde auch nie einen Faschingsprinzen geben …« Alfred setzte sich und begann, Zigaretten zu drehen. »… aber selbst bei uns finden sich immer wieder Typen, die scharf drauf sind.«

»Ja, ja! Ich soll nicht immer von mir auf andere schließen, ich weiß.« Sie wühlte weiter.

»Ich tippe auf eine Lehrerin.« Alfred lehnte sich mit der halbfertigen Kippe zurück und leckte das Papier ab.

»Nee, nee, mein Lieber«, sie sah kurz von ihrer Suchaktion auf«, das war eine höhere Einkommensklasse.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Die Klamotten waren nicht vom Aldi und die Schuhe waren auch extrem teuer, und dann die Ohrringe, die Fingernägel …«

»Auf was ihr Frauen immer achtet …«

Renan atmete laut und tief ein.

»Das war bewundernd gemeint«, beeilte er sich zu versichern, »mir sind diese Details nämlich nicht aufgefallen.«

»Soso«, brummte sie.

»Also dann eben eine Dozentin von der Uni, da gibt’s doch jetzt diese Junior-Professoren«, nahm Alfred die Spekulationen wieder auf.

»Also, ich würde eher auf eine Business-Frau tippen«, Renan begann wieder zu kramen, »mittleres Management oder so. Siemens, Datev, was weiß ich.«

»Dann wird sie ja hoffentlich schnellstens vermisst«, seufzte er. »Irgendwie tut’s mir immer leid, wenn Tote keine Namen haben.«

»Wird da jemand sentimental?«

»Ich gestehe, dass mir das um diese Zeit etwas schwer fällt.« Er führte die Zigarette zum Mund.

»Untersteh dich, jetzt hier zu rauchen!«

»Einen Versuch war’s wert.« Er zuckte mit den Schultern und steckte die Kippe in sein Etui. »Was suchst du denn?«

»Na, das Übertragungskabel von der Digitalkamera.« Renan schlug die Schublade zu und öffnete eine andere.

»Hm, hm.« Alfred räusperte sich demonstrativ.

»Was denn?« Ihr Ton wurde wieder ungnädig.

»Wenn ich deine Aufmerksamkeit mal auf dein Bermuda-Dreieck lenken dürfte.« Er zeigte mit einem Lineal in die Mitte ihrer Schreibtischplatte.

»Wie? … oh«, sie zog das Kabel unter einer alten Zeitung hervor, »sag’ jetzt bloß nichts!«

»Würde mir nie einfallen.« Alfred bemühte sich um eine ausdruckslose Miene und öffnete eine Flasche Wasser.

»Warum bist du eigentlich erst zum Präsidium gefahren und hast einen Dienstwagen geholt?«, fragte er schließlich. Renan besaß kein eigenes Auto, weil ihr die dauernde Parkplatzsuche und das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer tierisch auf die Nerven gingen. Sie fuhr die meiste Zeit mit dem Fahrrad. Wenn sie dazu zu faul war, musste Alfred sie abholen. Der hasste Dienstfahrzeuge, weil sie meist kein Radio mit CD-Player besaßen und außerdem nicht Alfreds Vorstellung von automobilem Stil entsprachen. Daher fuhr er die meiste Zeit mit seinem privaten Alfa herum. Würde ziemlichen Ärger geben, wenn er beispielsweise einen selbstverschuldeten Schaden erlitte, aber bis dato war nichts dergleichen passiert.

»Ich hatte mir heute Abend einen ausgeliehen, weil ich Getränke besorgen musste«, erklärte sie beiläufig, »von daher dachte ich, ich fang mal alleine an. Zumal du abends um halb zehn doch mindestens schon drei Bier drin hast.«

»Dienstfahrzeuge für private Zwecke, ts ts ts!« Er schnalzte mit der Zunge. »Das ist aber nicht statthaft.«

»Alfred!« Ihr Blick wurde finster.

»Schon gut«, er hob abwehrend die Hände, »nur eine Randbemerkung. Schwamm drüber.«

»Ich dachte, die Oberlehrer-Phase hätten wir jetzt langsam überwunden!«

»Welche Oberlehrer-Phase?« Alfred tat ahnungslos. »Aber zurück zu unserem Fall …«

»Wenn es überhaupt unserer ist!«

»Ich würde mal damit rechnen. Insgeheim denke ich, dass der Fürther Kollege recht hatte mit seiner Interpretation der Zuständigkeit.«

»Dann hast du ja wenigstens noch eine Fifty-fifty Chance herausgeholt!« Sie nickte anerkennend.

»Momentan ist es gar nicht so übel, dass wir nicht mehr über sie wissen«, fuhr Alfred fort, »sonst müssten wir jetzt noch Angehörige verständigen und womöglich noch Spuren und Beweise sichern, erste Aussagen aufnehmen, Telefonlisten anfordern … es ist ja schon nach elf!«

»Ja, ich überspiele auch nur noch schnell die Bilder, dann mache ich Schluss für heute.« Renan unterdrückte ein Gähnen. »Und was machen wir morgen? Die Vermisstenanzeigen checken?«

»Wird noch zu früh sein«, sagte Alfred, »aber klar müssen wir das machen.«

»Die Rechtsmedizin wird sie wahrscheinlich auch nicht vorrangig behandeln, oder?«

»Wahrscheinlich nicht.« Er rieb sich die Augen. »Ich glaube ja auch nicht, dass die Frau da aus freien Stücken runtergesprungen ist. Aber solange wir ihre Identität und damit die näheren Lebensumstände nicht kennen, sollten wir keine vorschnellen Schlüsse ziehen.«

»Du meinst, es könnte noch irgendwo ein Abschiedsbrief auftauchen?«

»Es passieren ja manchmal die seltsamsten Dinge.« Er hantierte wieder mit der Wasserflasche. »Aber warte mal, wir haben ja noch dieses Ding hier« – er zog den MP3-Player ­hervor – »hm, ich habe jetzt keine Handschuhe da.«

»Gib mal her!« Sie riss ihm die Tüte aus der Hand und zog blitzschnell ein paar Latex-Handschuhe aus dem Bermuda-Dreieck. Mit spitzen Fingern holte sie das Gerät heraus, steckte einen der Stöpsel ins Ohr und fing an zu tippen.

»Aaah«, schrie sie plötzlich und ließ den Player fallen.

»Was ist?« Alfred fuhr hoch. »Eine Morddrohung?«

»Nein, schlimmer«, sie rupfte panisch den Stöpsel aus dem Ohr, »Ozzy Osbourne!«

 

»Herr Künzel, da wären eine Dame und ein Herr von der Kriminalpolizei«, die blonde Sekretärin mit der Model-Figur steckte ihren Kopf in das Chefbüro, »wegen der Frau Fritsche.« Bei der Nennung des Namens senkte sie die Stimme.

»Ich lasse bitten«, tönte es dialektfrei von innen.

Renan und Alfred betraten ein etwa 30 Quadratmeter großes Büro. Es gehörte zur Firma Syst-Ix, deren Hauptsitz sich im neuen Gewerbegebiet »Nordostpark« befand. Das Gebäude war ebenfalls ziemlich neu, funktional mit relativ viel Glas und auch ein wenig Holz daran. Über dem Eingang prangte eine stilisierte Computer-Maus, die einen gallischen Helm mit Flügeln trug – das Logo der Firma. Im Büro von Herrn Künzel war ein weicher dunkelroter Teppich verlegt. Die Büromöbel, allesamt aus massivem Buchenholz, verliehen der Business-Atmosphäre einen leichten Öko-Touch. Wie seinem Türschild zu entnehmen war, war Herr Künzel der CEO, Chief Executive Officer, der Firma. Alfred vermutete, dass das so viel wie Ober-Boss bedeutete. Künzel mochte etwa Anfang vierzig sein. Er trug einen eleganten anthrazitfarbenen Anzug und eine hellgrüne Krawatte. Er machte ein wichtiges Gesicht und bot seinen Besuchern je einen Stuhl vor seinem Schreibtisch an. Gleichzeitig blickte er auf die Uhr.

»Bitte machen Sie es kurz, meine Herrschaften«, sagte er. »Mein Terminplan ist in Einheiten von fünf Minuten getaktet und jede Einheit kostet mehr, als Sie an einem Tag verdienen, schätze ich!« Er ließ den Blick zwischen Renan und Alfred pendeln, wobei er ihre Kleidung einer Kostenschätzung zu unterziehen schien.

»Herr Künzel«, begann Alfred das Gespräch nach einem kurzen Begrüßungsritual, »Sie haben heute Mittag eine Frau …«, er blätterte in seinem Block, »Claudia Fritsche als vermisst gemeldet?«

»Ja, Frau Koch sollte das machen«, Künzel wirkte nun leicht unkonzentriert unter der perfekt gestylten, arroganten Business-Oberfläche, »aber bei der Polizei wollten sie eine Vermisstenanzeige erst nach 24 Stunden aufnehmen …«

»39 Jahre, blond, etwa einssiebzig groß, schlank, grüne Augen«, zählte Renan die gemeldeten Merkmale der Frau auf.

»Ja, sicher«, Künzel atmete tief durch, »könnten Sie mir jetzt bitte sagen, was los ist? Ist Claudia etwas zugestoßen?«

»Ist das Frau Fritsche?« Alfred legte ein Foto der Toten auf den Schreibtisch.

»Das ist …«, Künzels Augen wurden groß, »ist das Blut?«

»Ist sie es?«, hakte Alfred noch einmal nach.

»Ja, ja. Das ist Claudia Fritsche«, erwiderte Künzel schnell, »aber jetzt sagen Sie mir doch bitte, was passiert ist.«

»Sie wurde gestern auf der A73 von einem Auto erfasst und war sofort tot.« Alfreds Blick heftete sich auf den CEO, während Renan aufstand und sich scheinbar teilnahmslos in dem Büro umsah.

»Ja, hatte sie eine Panne?« Künzel wirkte nun echt fassungslos. »Was hatte sie denn nachts noch auf der Autobahn zu suchen?«

»Woher wissen Sie, dass es nachts war?« Renan war mittlerweile in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes angelangt.

»Weil sie gestern bis acht noch hier war.« Die Antwort kam schnell.

»Also war Frau Fritsche eine Ihrer Mitarbeiterinnen?«, fragte Alfred sofort hinterher.

»Mitarbeiterin trifft es nicht ganz«, Künzel blickte wieder auf das Foto, »sie war unser CIO.«

»Si Ei Oh?«, echote Renan.

«Chief Information Officer”, erklärte Künzel, »die Chefentwicklerin oder Chefingenieurin, wenn Sie so wollen.«

»Hat sie irgendwelche Angehörige?« Alfred entwand dem Mann sanft das Foto und steckte es wieder ein.

»Also hier bestimmt nicht.« Künzel schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. »Sie kam meines Wissens aus der Nähe von Hamburg …«

»Wo hat sie denn gewohnt?« Renan kam mit schnellen Schritten auf den Schreibtisch zu und stützte sich mit beiden Armen auf die Tischplatte.

»Soviel ich weiß, hat die Firma ihr damals ein kleines Loft angemietet, in … ähm …«

»Fürth?«, versuchte Renan nachzuhelfen.

»Nein, nein. Es ist zwar in der Nähe der Stadtgrenze, aber noch in Nürnberg. Da oberhalb von den Flusswiesen … Schnittling?«

»Schniegling!«, seufzte Renan und ließ sich wieder in den Stuhl sinken.

»Ja, richtig, ich bin auch noch nicht so lange hier.«

»Mist«, entfuhr es Renan.

»Hat das etwa eine größere Bedeutung?« Künzels Betroffenheit wich nun einer gewissen Verteidigungshaltung.

»Frau Fritsche ist dann also heute morgen nicht zur Arbeit erschienen«, nahm Alfred das Gespräch wieder auf.

»Wir hatten ein sehr wichtiges Meeting um neun, außerordentlich wichtig, um genau zu sein.« Der CEO nahm einen Bleistift und tippte damit nervös auf seiner Schreibtischunterlage herum. »Wenn Claudia jetzt ausfällt, ist das eine absolute Katastrophe für die Firma …«

»Sie hätte ja auch krank werden können«, wandte Alfred ein.

»Nicht so krank, dass sie diesen Termin versäumt hätte.« Künzel warf den Stift hin, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Und wenn, dann hätte sie angerufen. Nein, nein, ich dachte mir gleich, dass da was passiert sein muss …«

Es folgte eine kurze Gesprächspause. Alfred und Renan hatten sich im Laufe der Jahre so einige Tricks angeeignet, um Menschen zu unvorsichtigen Äußerungen zu bringen. Das Herumlaufen im Büro gehörte dazu, schnelle Fragenfolgen im Ping-Pong-System ebenso wie Schweigeminuten, die den Gesprächspartnern schnell peinlich wurden. Künzel schien davon aber nicht beeindruckt. Er blätterte in seinem Terminkalender und betätigte dann die Gegensprechanlage.

»Frau Koch, sagen Sie doch bitte den Termin mit Kramer ab, und den Termin mit der Agentur morgen verschieben Sie auf nächste Woche. Wir müssen jetzt dringend Zeit gewinnen.«

»Sehr gerne, Herr Künzel«, flötete es aus dem Lautsprecher.

»Und dann berufen Sie ein Krisen-Team ein. Ich will alle Chief-Manager in einer Viertelstunde im großen Konferenzraum haben! Pronto!«

»Um was ging es denn bei diesem außerordentlich wichtigen Meeting heute früh?«, nahm Alfred die Befragung wieder auf.

»Ja, das kann ich Ihnen leider nicht sagen«, Künzel war nun wieder ganz der Manager-Profi, »das sind Interna von Syst-Ix.«

»Natürlich«, lächelte Alfred. »Wir brauchen dann noch die genaue Adresse in Schniegling.«

»Da wenden Sie sich am besten an unsere Frau Koch.« Der CEO deutete mit einer ausladenden Geste in Richtung Bürotür. »Die wird Sie zur Personalabteilung führen. Benötigen Sie sonst noch etwas von mir?«

»Ein bisschen mehr über die Tätigkeit von Frau Fritsche, ihr Verhältnis zu Kollegen und Mitarbeitern«, zählte Alfred auf, »und dann würden wir uns gerne in ihrem Büro ­umsehen. E-Mails prüfen, eventuell auch Telefonverbindungen.«

»Das wird nicht gehen«, beschied Künzel knapp. »Das Büro können Sie sich von mir aus ansehen, aber in das EDV-Netzwerk oder die Telefonverbindungen kann ich Sie nicht so ohne Weiteres reinlassen. Hören Sie, kommen Sie doch bitte morgen noch einmal wieder, dann werden wir sehen, was sich machen lässt, okay?«

»Warum wollen Sie uns denn so schnell loswerden?«, fragte Renan direkt.

»Durchaus nicht«, beeilte sich Künzel zu versichern, »es ist nur so, dass die Geschäftswelt wegen so eines tragischen Unfalls nicht stehen bleibt, leider! The show must go on! Wir werden hier ziemlich rotieren die nächsten Tage.«

»Ein Unfall war es mit Sicherheit nicht«, sagte Renan im Rausgehen. »Es war entweder Mord oder Selbstmord!«

 

Die Firma Syst-Ix war so etwas wie ein Aushängeschild für die Region. Sie war mit führend auf dem Gebiet der Freeware. PC-Programme, die – anders als die von Digidoor, dem Marktführer – überall auf der Welt frei zugänglich waren und nichts kosteten. Das Ganze basierte auf dem Betriebssystem Linux, das ein finnischer Informatik-Student namens Linus Thorwalds in den neunziger Jahren programmiert und ins weltweite Netz gestellt hatte. Schnell hatte sich eine Community entwickelt, die das System im Internet stetig weiterentwickelte. Linux befand sich somit in einem fortlaufenden, internationalen Verbesserungsprozess. Was die Marktanteile anging, wurde es Digidoor nicht gefährlich, es hatte aber schon den einen oder anderen Stachel im Fleisch des Riesen hinterlassen – etwa als die Stadtverwaltung München kurz nach der Jahrtausendwende beschloss, ihre EDV komplett auf Linux-basierte Systeme umzustellen. Syst-Ix war in den Achtzigern von zwei Computer-Freaks in einer Nürnberger Garage gegründet worden. Nach einigen Jahren hatte es sich zum einen als Weiterentwickler von Linux in der Community einen Namen gemacht, zum anderen hatte es begonnen, ­einzelne ­Anwenderprogramme für dieses Betriebssystem zu entwickeln. So kam beispielsweise die erste wirklich reibungslos funktionierende Installationssoftware für das Linux-Betriebssystem aus Nürnberg. Später brachte Syst-Ix Pakete mit Text- und anderen Datenverarbeitungsprogrammen auf den Markt, die zwar im Prinzip frei im Netz erhältlich waren, aber erst mit dem Syst-Ix-Paket benutzerfreundlich installiert und bedient werden konnten.

Das Problem für einen normal wirtschaftenden Betrieb lag dabei allerdings im Erzielen von Profit. Eine Firma musste Geld verdienen, sonst konnte sie nicht überleben. Die Philosophie von Linux und allem, was damit zusammenhing, ging jedoch in eine ganz andere Richtung. Die von der Community erzeugten Lösungen und Produkte sollten ja der ganzen Welt kostenlos zur Verfügung stehen. Eine Lösung lag in der Entwicklung individueller Softwarelösungen für Firmenkunden. Hiermit hatte Syst-Ix gegen Ende der neunziger Jahre sehr gutes Geld verdient und schließlich die Gesellschaftsform in eine AG umgewandelt. Die beiden Gründer, Helmuth Ronthaler und Dietmar Schuster, behielten 51% der Anteile und verdienten sich mit dem Verkauf der restlichen im Hype des Neuen Marktes dumm und dämlich. Sie hatten sich längst aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, als der Markt 2001 zusammenbrach und auch für Syst-Ix ungemütliche Zeiten begannen. Immerhin hatte die Firma den Crash überlebt, was auch daran lag, dass sie tatsächlich gute Produkte zu bieten hatte und nicht nur Luftblasen auf Hochglanzpapier. In den folgenden Jahren wurde das Geschäft zunehmend schwierig, weil etliche der Firmenkunden mit eigens entwickelter Syst-Ix-Software die Wartungsverträge nicht verlängerten. Da Syst-Ix aus der alten Philosophie heraus nicht viel an der Entwicklung verdienen konnte und wollte, war man darauf angewiesen, dass die Kunden der Firma langfristig die Wartung, Betreuung und Erweiterung der EDV-Systeme übertrugen. Das funktionierte aber meist nur ein oder zwei Jahre lang, dann hatten sich die Systemadministratoren der Kunden so viel abgeschaut, dass sie ohne Syst-Ix auskamen.

Dies zwang nun Ronthaler und Schuster, sich nach frischem Kapital umzusehen. Sie legten neue Aktien auf und verkauften den Großteil an Investoren, unter ihnen ein Chip-Hersteller, aber auch etliche internationale Fonds. Gleichzeitig zogen sie sich auch aus dem Aufsichtsrat der AG zurück. Ronthaler ging bereits auf die sechzig zu, und der zehn Jahre jüngere Schuster hatte mal nachgerechnet und war zu dem Schluss gekommen, dass die Reste seines Vermögens bei geschickter Anlage für einen passablen Vorruhestand reichen würden. Es hieß, er hätte sich eine Finca auf Mallorca gekauft und würde nun an einem Wirtschaftskrimi über die EDV-Branche schreiben.

Das alles lag gut zwei Jahre zurück. Die Investoren hatten daraufhin die komplette Führungsmannschaft ausgewechselt. Seitdem gab es all die Officers, Managers und Assistants. Mittlerweile war die Firma in die neuen Räume im Nordostpark umgezogen und schien sich zusehends zu erholen.

»Und ist das wirklich so?«, fragte Renan, während sie die dritte Seite ihres Blocks beschriftete.

»Du, das weiß ich nicht.« Klaus wirkte nun wieder schüchtern. Er war einer der Computer-Nerds vom Dezernat 2, die sich mit Sonderformen des Betrugs beschäftigten. Renan kannte ihn nur flüchtig, von einer Sonderkommission, in der sie beide mal kurz zusammen gesessen waren, und von zwei, drei Veranstaltungen. Dort fiel aber schon auf, dass Polizeibälle, Faschingsfeiern und ähnliche gesellschaftliche Highlights nicht zu dem Terrain gehörten, auf dem sich die Kollegen EDV-Spezialisten souverän bewegten. Während Alfred mit seinen alten Kollegen Loriot- oder Heinz-Erhard-Sketche aufführte, ließ Renan sich hin und wieder zu albernen Verkleidungen hinreißen. Sie war einer der sieben Zwerge ­gewesen, die beim letzten Fasching dem Kriminaldirektor immer die Häppchen weggezogen hatten, kaum dass er vom Buffet zurückkam, und laut »Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?« kreischten. In ihren ersten Jahren hätte sie so was auch nur als peinlich empfunden, aber die Jahre im Polizeidienst ließen die Schamgrenze doch merklich sinken, außerdem konnte es tatsächlich von Vorteil sein, wenn man mit Kollegen aus verschiedenen Abteilungen schon mal »sieben Zwerge« gespielt hatte. Nur die Computer-Jungs waren irgendwie nicht in der Lage, derartig die Hemmungen fallen zu lassen. Sie saßen meistens in einem Pulk zusammen und unterhielten sich über … ja, was eigentlich? Renan nahm an, über Computer.

Auf jeden Fall war Klaus der einzige von denen, den Renan wenigstens flüchtig kannte, und so hatte sie eben einmal ihr Glück versucht, während Alfred einen Durchsuchungsbeschluss für das Loft der Toten organisierte.

»Ich höre mich mal um in der Community«, sagte Klaus schließlich. »Die Geschichte von Syst-Ix kann dir jeder im Traum erzählen, aber was da aktuell so läuft? Die sind alle schon längere Zeit fertig mit Syst-Ix, aber irgendwas geht da sicher noch rum.«

»Da würdest du uns sehr helfen«, lächelte Renan, »am besten, du würdest auf Vorgänge stoßen, die für ein Mordmotiv ausreichen.«

»Okay.« Klaus versuchte ebenfalls ein Lächeln und vermied ihren Blick. Er mochte etwa in Renans Alter sein, war extrem blass, hatte schon reichlich schütteres blondes Haar und doch noch einige Pickel im Gesicht. Es fehlte nur noch die dicke Brille, dann hätte er voll dem Klischee entsprochen, das Computer-Freaks nicht zu unrecht anhing. Es waren diese Typen, die in der Schule immer gute Noten in Mathe und Physik hatten, aber keine zwei Sätze für einen Aufsatz zustande brachten. Sie hatten selten Freundinnen, waren uncool gekleidet, verstauten ihre Schulsachen in schwarzen Aktenkoffern und wollten zur Klassenfahrt immer ins Technik-Museum nach Sinsheim. Irgendwie hatten sie Renan immer leid getan.

»Leider kenne ich mich mit Mordmotiven aber nicht so gut aus«, setzte er noch nach und kratzte sich verlegen am Kopf.

»Das ist nicht so schwer: Geld, Macht, Liebe-Schrägstrich-Beziehungen«, zählte Renan auf.

»So einfach?« Er schaute wieder haarscharf an ihren Augen vorbei.

»Unter dem Strich: ja.« Renan verspürte den starken Drang, seinen Kopf zu packen und auf ihre Blickrichtung einzustellen. Warum konnten einem diese Leute nicht in die Augen sehen?

»Wir kommen hier ja leider nicht so oft raus«, erklärte Klaus.

»Das ist manchmal ein Segen, glaub mir«, log sie frech.

Während sie sich ausmalte, dass Klaus wahrscheinlich keinen Tag im Außendienst überstehen würde, klingelte ihr Handy. Alfred hatte den Durchsuchungsbeschluss.