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Claudia Rossbacher

Enter ermittelt

30 Rätsel-Krimis

Texte erstmals erschienen in der ›Presse am Sonntag‹

 

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

 

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Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Sven Lang

Herstellung: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © tankist276 - Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-4064-9

Perfekt bis in den Tod

1. Rätsel-Krimi

 

Wien. Konferenzzimmer der Werbeagentur Benson & Benson. 15 Uhr.

Die Hände der Kreativdirektorin Sabine Potuzak zitterten nach wie vor, als sie weitersprach: »Sie war eine jener Frauen, denen die Männer zu Füßen lagen. Und nicht nur die … Angie bekam immer, was sie wollte. Auch privat …« Potuzak nahm die schwarz gerahmte Designerbrille ab, um ihre Tränen wegzuwischen, bevor sie sich einmal mehr an diesem Nachmittag laut schnäuzte.

Dunkle Haare, asymmetrischer Schnitt – typische Kreative, stellte Franz Enter, Kriminalinspektor bei der Mordkommission, fest. Sie mochte vielleicht Ende 20, höchstens Anfang 30 sein. »Sie waren also mit der Toten befreundet?«, hakte er nach.

»Von Anfang an. Seit sie bei uns zu arbeiten begonnen hat.« Die Augen der Frau füllten sich erneut mit Tränen.

»Angelika Berger war bei uns Etatdirektorin seit fast zwei Jahren«, ergänzte der Controller Jürgen Schmid. Mittdreißiger, grauer Anzug, unscheinbar bis auf die große Nase und die mit reichlich Gel nach hinten frisierten halblangen Haare.

»Angie verfügte über Stil und Charme. Sie war intelligent und sah dazu blendend aus. Ein perfekter Engel, mit dem jeder von uns gerne ein Stück weit schwebte«, ergriff nun auch der Geschäftsführer, Andreas Raffeis, das Wort. Smarter Typ, Anfang 40, schwarzer Anzug, graues Hemd, teure Schuhe. Sein Blick wanderte vom Kriminalinspektor zur Leiche, die mit Folie zugedeckt auf dem Boden des Konferenzzimmers auf den Abtransport wartete. Raff­eis seufzte schwer, während in Enters Kopf Mick Jagger ›Angie‹ anstimmte.

»Angie war klug und talentiert. Keiner konnte die Kunden so rasch von einer Idee überzeugen wie sie. Sie hatte Charisma, war wunderschön und sexy – ohne dabei jemals billig zu wirken. Und sie war mir eine wunderbare, zuverlässige Freundin.« Die Kreativdirektorin kämpfte tapfer gegen weitere Tränen an.

Enter hatte schon viel gehört, aber eine derartige Lobeshymne war ihm in all den Jahren nicht unterkommen. ›Angie, A-engie …‹, dröhnte die Melodie in seinem Schädel. »Hatte Frau Berger denn gar keine Feinde? Ich meine, solch eine Perfektion zieht doch meist auch Neider an«, bemerkte er.

Sabine Potuzak biss sich auf die Unterlippe, um zu verhindern, dass sie neuerlich losheulte.

Der Geschäftsführer versicherte, dass Angie keine Feinde gehabt hatte. »Glauben Sie mir. Unsere Kunden liebten Angie, auch die Lieferanten und unsere Mitarbeiter sowieso … Jeder mochte Angie, einfach jeder«, erklärte er im Brustton der Überzeugung.

Nun ja, fast jeder, fügte Enter gedanklich hinzu. Sonst würde der perfekte Engel jetzt nicht hier liegen. Tot, erschlagen mit einer goldenen Werbepreisstatuette, welche die Agentur erst vor Kurzem für eine Versicherungskampagne gewonnen hatte. Gar kein schöner Anblick mehr. ›Angie, I still love you, baby …‹

»Andreas mochte Angie ganz besonders. Jedenfalls bis zum vergangenen Freitag. Nicht wahr?«, ätzte die Kreativdirektorin.

Raffeis sah sie wütend an. Wenn Blicke töten könnten, wäre Potuzak wohl auf der Stelle neben ihrer ermordeten Freundin gelandet, ging es Enter durch den Kopf.

Dem Controller war die Situation sichtlich unangenehm. Er kaute nervös am Nagel seines Zeigefingers.

»Was wollen Sie damit andeuten, Frau Potuzak?«, hakte Enter nach.

»Dass ich mit Angie ein Verhältnis hatte, können Sie ruhig wissen«, kam Raffeis ihrer Antwort zuvor.

»Bis sie vergangenen Freitag mit ihm Schluss gemacht hat und er sie daraufhin gekündigt hat. Angie war heute nur hier, um ihre Sachen abzuholen«, ergänzte die Potuzak.

»Aha. Jetzt wird’s interessant. Reden Sie ruhig weiter«, ermunterte er sie.

Raffeis verschränkte die Arme vor der Brust und suchte den Blick des Controllers, der kaum merkbar mit den Schultern zuckte.

»Angie hat ein Buch geschrieben, in dem sie bis ins kleinste Detail schilderte, was hier wirklich läuft: schwachsinnige Kunden, eitle Kollegen, abgesprochene Deals hinter den Kulissen, einfach alles. Na ja, genau genommen war es erst ein Manuskript. Aber letzten Donnerstag hat sich ein Verlag bei ihr gemeldet, der es veröffentlichen wollte. Das Buch hätte die Webebranche aufgemischt. Und manche wären dabei gar nicht gut weggekommen …« Sabine Potuzak funkelte ihren Chef böse an.

»Herr Raffeis etwa?«, fragte Enter scheinheilig.

»Was soll das? Ich wusste doch gar nichts von Angies Roman. Sie hat ihn mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt«, protestierte Raffeis.

»Wer’s glaubt … Angie war sich absolut sicher, dass du ihr Manuskript gefladert hast. Wenn das Buch erschienen wäre, hättest du die Agentur zusperren können.«

Die Männer von der Gerichtsmedizin setzten den Ausführungen der Kreativdirektorin ein jähes Ende. Der Leichnam wurde in den Sarg gehoben und abtransportiert. Sabine Potuzak wurde einmal mehr von ihren Emotionen überwältigt. Sie schluchzte heftiger denn je in ihr Taschentuch.

Enter wandte sich an Raffeis: »Sie behaupten also, nichts von dem Buch gewusst zu haben?«

»Nein! Ich schwöre es. Ich habe keine Ahnung, was Angie da geschrieben hat.«

»Glauben Sie ihm kein Wort. Der Mann lügt, wenn er den Mund aufmacht. Das ist schließlich sein Geschäft.« Potuzak hatte ihre Sprache wiedergefunden.

»Von dem du bisher ganz gut gelebt hast … Aber weißt du was? Hiermit bist du gefeuert!«, schnauzte Raffeis zurück.

»Mir doch egal! Oder glaubst du, ich arbeite für einen Mörder?«

»Nun gehst du aber zu weit, Sabine«, warnte der Controller.

»Ich bin mir sicher, dass Andreas Angie umgebracht hat, damit ihr Buch nicht erscheint«, behauptete Potuzak.

»Unsinn. Jeder hätte das Manuskript aus ihrem Büro klauen können«, erwiderte Raffeis. Nun mischte sich Enter wieder ein: »Auf jeden Fall lügen Sie, Herr Raffeis, wenn Sie behaupten, dass Sie von dem Buch nichts wussten. Stellt sich nur noch die Frage, ob Sie Frau Berger auch erschlagen haben. Kommen Sie freiwillig mit mir aufs Revier oder muss ich Ihnen Handschellen anlegen?«

 

Warum ist Kriminalinspektor Franz Enter sich sicher, dass Andreas Raffeis vom Buch der Angelika Berger wusste?

Lösung 1. Rätsel-Krimi

 

Sabine Potuzak erwähnt ein Manuskript beziehungsweise Buch. Dass es sich dabei um einen Roman handelt, wie Raffeis es bezeichnet, kann nur wissen, wer das Manuskript kennt oder davon wusste, was er jedoch bestreitet. Aus den Worten der Kreativdirektorin müsste man eher schließen, dass es sich bei dem Werk um ein Sachbuch oder eine Biografie handelt. Außerdem: Woher weiß Raffeis, dass das Manuskript aus Angies Büro geklaut wurde, wenn er angeblich nichts damit zu tun hatte?

 

Alter schützt vor Morden nicht

2. Rätsel-Krimi

 

Die alte Dame war tot. Mausetot. An sich nicht weiter verwunderlich, hatte sie doch fast 78 Jahre auf dem etwas krummen Buckel gehabt. Erst kürzlich war ihr ein Herzschrittmacher implantiert worden. Für 28.000 Euro! Dagegen nahmen sich die Kosten für Medikamente, die Ilse Reichenbach seit Jahren täglich gegen diverse Wehwehchen eingenommen hatte, wie der berühmte Lercherlschas aus, stellte Franz Enter, Kriminalinspektor bei der Wiener Mordkommission, anhand der ihm nunmehr vorliegenden Unterlagen fest. Kein Wunder, dass die Krankenkassen bankrott waren. Was für eine Geldverschwendung! Erst recht, wenn man bedachte, dass der sündhaft teure Schrittmacher den Abgang der alten Dame nicht hatte verhindern können. Enter räusperte sich. So etwas Respektloses durfte er nicht einmal denken, rief er sich zur Ordnung. Wo er doch wusste, dass die wohlhabende Unternehmerwitwe keines natürlichen Todes gestorben war. Dem aufmerksamen Hausarzt der privaten Seniorenresidenz waren die blutunterlaufenen Flecken an den Innenseiten der Lippen und die geplatzten Äderchen in den Augen der Verstorbenen gleich aufgefallen. Beides sprach dafür, dass die alte Dame am helllichten Sonntag auf ihrer Chaiselongue erstickt worden war.

Vier Tage nach dem Mord stand also eindeutig fest, dass die Tatwaffe eines ihrer fliederfarbenen Seidenkissen war, wie Enter es von Anfang an insgeheim vermutet hatte. Er seufzte und vertiefte sich weiter in die Akte. Neben dem Speichel des Opfers war darauf auch die DNA von Ilse Reichenbachs Töchtern, Charlotte und Katharina, gefunden worden, die die Mutter einmal im Monat getrennt voneinander besuchten. Welche der beiden am vergangenen Sonntag gegen 15 Uhr aufgetaucht und um circa 16 Uhr wieder verschwunden war, hatte die Empfangsdame nicht sagen können, da es ihr nicht gelang, die eineiigen Zwillinge auseinanderzuhalten. Sicher war sie hingegen, dass Ilse Reichenbach zuvor noch am Mittagessen teilgenommen hatte. Von der Rezeption aus hatte sie die Speisesaaltür im Blickfeld.

Der Besuch der Tochter fiel genau in den Tatzeitraum, der laut Gerichtsmediziner zwischen 15 und 17 Uhr liegen musste. Um 17.20 Uhr hatte die Pflegerin Elvira, die der Reichenbach bei der Abendtoilette helfen sollte, die Tote entdeckt und – nachdem sie vorschriftsmäßig den Notrufknopf betätigt hatte – Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet, bis sie schließlich realisiert hatte, dass es zu spät war. Das erklärte auch ihr Haar auf der Bluse der Leiche.

Bei den Zeugenbefragungen am Montag nach dem Mord hatten sowohl die Direktorin als auch die Bewohner nur Gutes über die stets freundliche Pflegerin zu berichten gewusst, erinnerte sich Enter.

Elvira konnte den Mord gar nicht fassen. »Warum tut jemand so etwas? So eine nette alte Dame wie die Reichenbach mit dem Kissen ersticken …« Dann brach sie in Tränen aus. Scheinbar hing sie ebenso an ihren Schützlingen wie diese an ihr.

Auf der Chaiselongue war auch die DNA des pensionierten Kammerschauspielers Robert Kleemann, der gleich nebenan wohnte, gefunden worden. Ein Jugendfreund, dem Ilse Reichenbach in der Seniorenresidenz wiederbegegnet war. Zur großen Freude beider, jedoch sehr zum Ärgernis der Reichsten aller Bewohnerinnen – Industriellenwitwe Hermine Rausch, die seit Einzug der Neuen kaum noch Zeit mit ihrem Robert verbringen konnte. Dabei war sie alleinstehend und hatte niemanden, der sich um sie kümmerte. Außer den Pflegern, die sie für besondere Zuwendungen fürstlich entlohnte. Besonders ihre Lieblingspflegerin Elvira. Was im Nachhinein betrachtet auch weitaus gesünder war als eine Betreuung durch die Familie, wurde die Rausch nicht müde zu betonen. »Die Töchter der Reichenbach waren doch nur auf ihr Geld aus. Wenn Sie mich fragen, haben die die Erbschaft nimmer erwarten können«, vertraute sie Enter an. Dabei pfiffen sogar die ältesten Spatzen von den Dächern, dass Hermine Rausch der unerwünschten Konkurrentin am liebsten eigenhändig die Gurgel umgedreht hätte. Allerdings konnte sie mit einem hieb- und stichfesten Alibi aufwarten: Der Notar Dr. Richard Lainer hatte ihr an jenem Nachmittag ihr Testament zum Unterschreiben vorbeigebracht. Wenn Geld keine Rolle spielte, war selbst dem frömmsten Familienvater der Sonntag nicht mehr heilig. Außerdem beteuerte Hermine Rausch standhaft, dass sie nie und nimmer das Apartment der Reichenbach betreten hätte. Nicht um alles Geld der Welt. Und damit war Enter wieder bei dem Thema, das ihn in diesem Fall nicht losließ – dem schnöden Mammon. Die zehn Monate, die die Reichenbach in der Residenz im Wiener Nobelbezirk verbracht hatte, hatten ein kleines Vermögen verschlungen. Aber damit war es nun vorbei. Zum Glück für die beiden Alleinerbinnen. Sollte die alte Rausch etwa recht behalten? Hatte eine der Töchter die Reichenbach umgebracht? Jede von ihnen schwor, dass jeweils die andere Schwester zuletzt bei der Mutter gewesen war.

Welche log? Und wie sollte er das bei eineiigen Zwillingen beweisen, die dieselbe DNA in sich trugen? Beide hatten kein Alibi, jedoch umso stärkere Tatmotive. Die kinderlose Charlotte Reichenbach war seit über drei Jahren arbeitslos und hatte im Zuge der Börsenkrise den größten Teil ihrer Ersparnisse verloren. Glaubte man ihrem AMS-Berater, war die Aussicht auf einen angemessenen Job für die 45-jährige Akademikerin gering. Katharina Schmid-Reichenbach ging es sogar noch schlechter. Ihre Innenstadt-Boutique stand kurz vor dem Konkurs, und sie wusste nicht, wie sie ihren Sohn in Zukunft durchbringen sollte – mit den lächerlichen Alimenten, die der Kindesvater bezahlte. Motive und Verdächtige gab es in diesem Fall also genug.

Doch halt! Wie hatte er das nur übersehen können?, fragte sich Enter, während er die Ergebnisse der DNA-Spurenanalyse erneut genau betrachtete. Er kannte die Mörderin längst! Ein Anruf bei Dr. Lainer verschaffte ihm letzte Gewissheit über das Tatmotiv.

 

Wer ist Ilse Reichenbachs Mörder?

 

Lösung 2. Rätsel-Krimi

 

Die Mörderin kann nur Pflegerin Elvira gewesen sein, da sie bereits vor der Auswertung der DNA-Spuren wusste, dass das Opfer mit einem Kissen erstickt worden war. Angestiftet wurde sie von Hermine Rausch, die sie dafür großzügig in ihrem Testament bedacht hat, was sich Enter mit dem Anruf bei Dr. Lainer bestätigen ließ.

 

Kater mit Leiche

3. Rätsel-Krimi

 

Drong – drooong! In seinem Kopf dröhnte es gnadenlos. Dieser ohrenbetäubende Lärm war unerträglich! Wer wagte es in aller Früh? Mit schmerzverzerrter Miene quälte sich Kriminalinspektor Franz Enter mühsam aus dem Bett, das er so gerne noch ein paar weitere Stunden gehütet hätte. Er schwankte, wartete einen Augenblick, bis er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

Drong – drooong!, wiederholte sich der akustische Terroranschlag, während er vom Schlafzimmer in den Flur wankte. Wer immer ihn an seinem freien Tag aus dem Bett läutete, sollte einen verdammt guten Grund dafür haben. Warum war ihm bloß so schlecht? Und schwindlig? Ach ja: Er war bis weit nach der Sperrstunde im ›Fluchtachterl‹ geblieben, erinnerte er sich dunkel. Egal. Er war niemandem Rechenschaft schuldig und hätte heute ausnahmsweise einmal ausschlafen können.

Drooong!

Na warte! Enter riss die Wohnungstür auf und blinzelte die Störenfriede aus verquollenen Augen an. »Was is’ los?«, schleuderte er den beiden Männern heiser entgegen. »Heute ist mein freier Tag!«

»Guten Morgen, Herr Kollege, dürfen wir reinkommen?«, entgegnete Wolfgang Flint, wie Enter Kriminalinspektor bei der Abteilung Leib und Leben.

»Du gestattest doch, Franz«, meinte Christian Haas, der Jüngere der beiden Kriminalbeamten, und schob Enter zur Seite, um an ihm vorbei in die Wohnung zu gelangen.

»Was wollt ihr denn in aller Früh von mir? Ist wer Wichtiges ermordet worden?« Das musste wohl der Grund sein, dass sie ihn sogar an seinem freien Tag störten, vermutete Enter und schloss die Tür hinter den Kollegen. Dann folgte er ihnen ins Wohnzimmer und blieb wie angewurzelt stehen.

Haas beugte sich über eine Frau, die regungslos auf der Couch lag, und fühlte ihren Puls. Enters Kater Willi betrachtete die Szene von der Fensterbank aus.

Wie war die Frau bloß auf sein Sofa gelangt?, fragte sich Enter. Wer war sie überhaupt? Offensichtlich war sie tot. Die Gedanken zuckten wie Blitze durch sein Gehirn, bis der Brechreiz überhandnahm. Ein Kater und eine Leiche waren eine üble Mischung. Er lief ins Badezimmer, Flint hinter ihm her.

Während Enter über dem Waschbecken hing, verständigte Haas die Spurensicherung und den Gerichtsmediziner. Flint ließ derweil den schwer bedienten Kollegen nicht aus den Augen. Der säuberte schließlich das Waschbecken und hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn. Das kalte Wasser würde seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, hoffte Enter und stoppte den Guss erst, als der eisige Schmerz auf der Kopfhaut nicht länger zu ertragen war.

»Wir müssen dir ein paar Fragen stellen«, hörte er Haas sagen, der nun im Türrahmen stand.

»Woran ist sie gestorben?«, fragte Enter und sah ihn über den Badezimmerspiegel an.

»Ich tippe auf Genickbruch«, meinte Haas.

Der Wasserstrahl hatte ein paar vage Erinnerungen an die vergangene Nacht in Enters Bewusstsein gespült. Wenn nur der verdammte Kopf nicht so schmerzen würde! Scheißalkohol! Er musste versuchen, die Bruchstücke zusammenzufügen.

»Ich habe die Frau gestern im ›Fluchtachterl‹ kennengelernt. Im Lokal unten am Eck. Anna heißt sie. Nachname weiß ich nicht. Hofbauer, sagst du? Aha. Ihr habt den Führerschein in ihrer Handtasche gefunden, sehr gut.«

»Anna wollte nach der Sperrstunde auf ein Glaserl zu mir raufkommen. Ich hab ihr meinen Türcode zugesteckt. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Na ja, sie war verdammt sexy, und ich bin auch nur ein Mann.«

»Ob noch jemand im Lokal war? Sicher. Viola, die Kellnerin und René, der Barmann – ein ziemlicher Hallodri. Er hat die Anna auf Teufel komm raus angebraten, obwohl er mit Viola liiert ist. Viola hat ihm eine Szene gemacht und dann wutentbrannt das Lokal verlassen.«

»Zuerst hab ich mich mit Schurli, dem Lokalbesitzer Georg Böck, unterhalten. Wir kennen uns schon ewig. Er kümmert sich um den Kater, wenn ich mal länger weg bin. Irgendwann ist die Anna dazugestoßen. Der Schurli hat sie mir vorgestellt. Aber da war ich schon nicht mehr ganz nüchtern. Sonst hätte ich ja nicht so locker … Na, egal. Ich bin jedenfalls mit der Anna an der Bar geblieben. Und der Schurli ist irgendwann in seinem Büro im Hinterzimmer verschwunden.«

»Wer außerdem da war? Lass mich nachdenken. An einem Tisch saßen junge Leute. Studenten, schätze ich. Zwei Frauen, drei Männer. Sie tranken Bier oder Radler. Einer von denen hat Anna mal erfolglos nachgestellt, hat sie mir geflüstert. Irgendwann kam er an die Bar und wollte mit ihr reden. Sie hat ihn ziemlich rüde abgewimmelt. Der war vielleicht stinksauer. Am anderen Tisch saß unsere Hausmeisterin Elisabeth Kwapil mit einer Freundin. Die beiden haben Rotwein getschechert und getschickt wie die Blöden. Sie haben ständig zu uns herübergeschaut und getuschelt. Die waren sicher neidig, weil die Anna so anziehend auf Männer wirkte.«