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Jörg H. Trauboth

Drei Brüder

Ein Deutschland-Thriller

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Jörg H. Trauboth

Drei Brüder

Ein Deutschland-Thriller

Cover unter Verwendung des Fotos

© Smulsky - Fotolia.com #24723429

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte vorbehalten!

1. Auflage 2015

2. aktualisierte Auflage (2018)

Impressum

ratio-books • 53797 Lohmar • Danziger Str. 30

info@ratio-books.de (bevorzugt)

Tel.: (0 22 46) 94 92 61

Fax: (0 22 46) 94 92 24

www.ratio-books.de

eISBN: 978-3-939829-77-5

eISBN: 978-3-96136-030-7 (engl.)

Print ISBN: 978-3-939829-64-5

PoD: 978-3-96136-031-4 (engl.)

Hörbuch: GESAFA-Verlag ISBN: 978-3-943273-05-2

published by

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FÜR MARTINA

ICH WILL!

Die Handlung dieses Deutschland-Thrillers spielt vor dem Hintergrund der aktuellen Terror- und Gefährdungslage in Europa und in der Welt. Gleichwohl sind alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen frei erfunden, sofern sie nicht als reale Personen oder Institutionen genannt werden.

Eine Ähnlichkeit der erdachten Handlungen und Personen mit realen Bezügen wäre zufällig und nicht beabsichtigt.

Die Personen sind in einem Personenverzeichnis gelistet, Fachausdrücke in einem Glossar.

Man bereut nie, was man getan hat,
sondern immer, was man nicht getan hat.

Marc Aurel,
Römischer Kaiser (161 bis 180)

Inhaltsverzeichnis

DREI ELITESOLDATEN

1. Afghanistan

2. Berlin

Bundeskanzleramt

3. Hammelburg

4. Nordirak / Berlin

5. Berlin

DREI CONSULTANTS

6. Rheinland

Flugplatz Bonn Hangelar

Köln / Remagen

Köln

Hangelar

Köln

Flugplatz Koblenz-Winningen

7. Berlin

8. Palma de Mallorca / Rheinland

DSCHIHAD

9. Mossul / Eifel / Köln

10. Rheinland-Pfalz, Büchel – Taktisches Luftwaffengeschwader 33

11. Köln

12. Westliches Mittelmeer / Berlin / Algerien

13. Berlin – Auswärtiges Amt

14. Nordafrikanisches Festland

OPERATION RESCUE

15. Köln

16. Algerische Wüste

17. Köln

18. Algerische Wüste

19. Rakka

20. Köln

21. Algerische Wüste

22. Rheinland / Mittelmeer

23. Algerische Wüste

24. Mallorca / Köln

25. Köln

26. Mallorca

27. Algerische Wüste

28. Berlin

29. Algerische Wüste

30. Spanische Küste / Algerien, Felsenstrand

31. Rakka

32. Köln

DER FLUG DER KRANICHE

33. Remagen

34. Calw

35. Rheinland / Berlin

36. Epilog

PERSONENVERZEICHNIS

GLOSSAR

ANMERKUNGEN

DANKSAGUNGEN

LITERATURVERZEICHNIS/-EMPFEHLUNGEN

ABBILDUNGEN

Abbildung 1 – Operation Eagle

Abbildung 2 – Operation Rescue

DREI ELITESOLDATEN

1.

Afghanistan

Seit fünf Stunden schon zieht die Gruppe von sechs Männern durch die dunkle, karge Landschaft des Hindukuschs. Begleitet nur von dem entfernten Heulen eines einsamen Wolfes und einem kalten Wind, den die Männer aber nicht zu spüren scheinen.

Plötzlich bleibt einer stehen. Marc Anderson, ein Hauptmann aus dem deutschen KSK, dem Kommando Spezialkräfte, hebt die Hand zum Hals. Er flüstert leise, aber bestimmt in sein Kehlkopfmikrofon.

»George, da liegt sie. Das vordere Flugzeugteil in elf Uhr, das Heck in zwei Uhr.«

George, der kleine, drahtige Truppführer Navy Seal One aus Ohio, klappt das Nachtsichtglas vom Helm herunter.

Aus welchen Gründen auch immer war der Kampfjet nicht explodiert. Lediglich die Trümmer schwelten noch etwas.

»Roger, Jungs, ich informiere Bagram Air Base.«

»Charlie Force from Echo Force – Over.«

»Echo Team – Go ahead – Over.«

»Wir haben den Jet – Suchen die Crew – Over.«

»Roger Echo Team – Wir warten auf euren Abruf – Over.« So ungewöhnlich es war, die Navy Seals hatten darum gebeten, den deutschen Elitesoldaten Marc Anderson dabei zu haben. Er ist einer der wenigen, die das Gebiet im tiefen, hinteren Afghanistan aus früheren Einsätzen wie kein anderer kennt. Der groß gewachsene, schlanke Soldat aus Calw hatte schon jetzt, mit seinen 27 Jahren, einen geradezu legendären Ruf bei den amerikanischen und britischen Spezialeinheiten. Zusammen mit den Navy Seals hatte er einige Amerikaner hinter den Linien befreit und zurückgeholt, und sich als Leader und Teamplayer ohne jegliche Allüren einen überragenden Ruf erworben.

Aber Anderson wollte den Job keinesfalls allein erledigen: »Nur, wenn ich meine Kommandobrüder mitnehmen kann«, hatte er in der US Air Base Bagram gesagt, »nur mit Thomas und Tim!«

»Okay, Marc, akzeptiert!«

Die Seals wissen genau, was »Band of Brothers« bedeutet. Elitesoldaten in allen Spezialstreitkräften sind nicht einfach Kameraden, sie sind Brüder. Nun, auf der gemeinsamen Suche nach einem verschollenen US-Kampfjet und dessen Besatzung haben die Seals drei deutsche Brüder. Nationalitäten spielen keine Rolle, nur Professionalität und bedingungsloses Vertrauen. Marc sagte auch zu, weil er George in gemeinsamen Einsätzen schätzen lernte.

Die Echo Force, bestehend aus den US Seals One, Two, Three und den deutschen KSK-Soldaten Marc, Thomas und Tim, war in der Nacht mit Gleitfallschirmen gelandet. Sie hatten sich einen Landeplatz 10.400 Meter von der letzten bekannten Position der F-15E Strike ausgesucht, in der Hoffnung, nicht schon bei Ankunft von den Taliban empfangen zu werden. Es gab keine genauen Koordinaten vom Absturzort. Schlimmer noch, sie hatten bisher kein Ortungssignal der Crew empfangen können. Der Pilot hatte im Tiefflug »No engine – Mayday – Mayday – Bailing out!« gemeldet. Eine kurze Ausschussmeldung, nicht mehr. Offensichtlich war alles sehr schnell gegangen. Vermutlich musste die Besatzung sofort raus, keine Zeit mehr zum Reden. Nach der gelungenen Landung mussten sie über fünf Stunden das auf dreitausend Meter Höhe liegende, in Frage kommende Suchfeld von zwanzig mal zwanzig Kilometern systematisch erkunden.

Marc war in dem unübersichtlichen und gefährlichen Terrain eine Art Pfadfinder. Die Amerikaner vertrauten ihm vollkommen, und zu Recht, wie sich wieder einmal gezeigt hatte. Er hatte die abgestürzte F-15 in der kürzest möglichen Zeit gefunden, bei Nacht und unentdeckt im feindlichen Gebiet. Sie hatten sich voran gearbeitet, als hätten sie das immer zusammen getan: Marc voraus, Terrain prüfen, Zeichen geben, die anderen fünf folgen, Etappe für Etappe, geduckt, sichernd, leise. In der Stille der Nacht wäre jedes zu laute Wort, jeder Ausrutscher auf dem Geröll ein Geschenk für den Taliban.

Während George nun die Koordinaten an die wartende amerikanische Eingreiftruppe durchgibt, sucht Marc mit dem Fernglas weiter die Umgebung des Flugzeuges ab. Die F-15 wurde nicht abgeschossen, sondern stürzte wegen technischer Probleme ab. Das schien klar. Aber der Aufschlag musste bis weit in die Berge des Hindukuschs hinein zu hören gewesen sein. Gut möglich, dass die Taliban die Crew bereits gefangen genommen hatte und jetzt die Navy Seals erwarteten. So war das meistens.

»Thomas, Bericht!«

»Links sauber!«

»Tim?«

»Rechts sauber!«

Langsam, nach allen Seiten sichernd, bewegt sich das Aufklärungsteam in Richtung der Absturzstelle.

»Ich übernehme, Marc!«

»Okay, George, du hast übernommen!«

George führt nun den Trupp bis auf dreihundert Meter an das Wrack heran. Die Flugzeugnase samt Cockpit steckt wie ein monströser Pfeil im Boden. Krumm, aber erstaunlich intakt. Ausgerechnet dort, wo etwas Erde ist, denkt er.

»Kannst du jemanden im Cockpit erkennen?«, fragt Marc.

»Negativ, durch das Glas nicht einsehbar, obwohl das Kabinendach fehlt.«

»Thomas und Tim – beide zum Wrack und berichten, alle anderen warten hier«, flüstert George ins Kehlkopfmikrofon.

Die beiden Deutschen setzen sich in Bewegung. Wie Pat und Patachon, denkt Marc. Der große, kräftige, blonde Thomas, ein wandelnder Kleiderschrank, neben ihm der kleine, zähe, durchtrainierte Tim mit seinem geliebten, schwarzen Zauselbart, wie die Afghanen.

Langsam nähern sie sich von beiden Seiten dem vorderen Teil des Wracks. Gespannt verfolgt die Gruppe die Bewegungen der beiden Deutschen. Es ist absolut ruhig, bis auf diesen einen Wolf. Den kalten Wind, der an diesem Ort wohl immer bläst, spüren sie auch jetzt nicht, während sie am Boden liegen und beobachten. Die Nacht ist nicht einfach nur dunkel, sie ist schwarz. Pechschwarz. Kein Stern, kein Licht am Boden. Karge Felsen, etwas Gestrüpp, keine Bäume mehr in dieser Höhe. Sie sehen nur, was sie mit ihren Nachtsichtgeräten anvisieren. Das wenige Licht wird elektronisch so verstärkt, dass ein grünes Bild von der Umgebung entsteht. Sie haben sich an dieses künstliche Bild gewöhnt.

»Option eins:«, sagt George, »sie hängen in den Sitzen, dann wird’s eine Drecksarbeit. Option zwei: einer hängt drinnen, dann suchen wir den anderen. Option drei: beide haben es geschafft.«

»Frage ist nur, warum sie vollkommen stumm sind«, flüstert Marc hinüber.

George flüstert zurück. »Spricht für Option eins.«

Thomas und Tim haben die Flugzeugnase erreicht.

»Thomas an Seal One, keiner im Cockpit, Schleudersitze fehlen, Crew hat sich raus geschossen!«

»Verstanden, gute Nachricht, seht ihr Dokumente?«

Sie leuchten rein.

Aus der Ferne sehen die drei Navy Seals und Marc das Licht der beiden KSK-Soldaten in ihren Gläsern wie grelle Blitze.

»Karten und ein Kniebrett!«, meldet Tim.

»Okay, rausnehmen. Thomas, du bereitest eine Sprengladung vor!«

Hauptfeldwebel Thomas Heinrich, ein 1,85 m großes Muskelpaket und Sprengstoffspezialist, legt seinen 40 Kilogramm schweren Rucksack ab, mit dem er sonst verwachsen zu sein scheint. Die Kameraden kennen Thomas eigentlich nur mit Gepäck oder unter Hanteln. Und immer mit einem Kampfmesser unter dem Kopfkissen.

Während er den Sprengstoffsatz legt, sichert sein kleiner Freund Tim die unmittelbare Umgebung des Jets. Die beiden reden kein Wort miteinander. Müssen sie auch nicht. Sie kennen sich besser als jedes Ehepaar. Auch deswegen hat George sie zusammen an das Wrack geschickt.

In weniger als vier Minuten hat Thomas das Cockpit für eine Sprengung mit Fernzündung vorbereitet.

»Erledigt, George!«

»Okay, Männer, langsam zurück!«

Kurze Zeit später ist der Trupp wieder komplett. Sechs Männer, zwei Nationen, ein Team.

Sie liegen zwischen Felsbrocken und suchen durch die aufgesetzten Nachtsichtröhren nach weiteren Anhaltspunkten. Felsen, Bergrücken, Spalten. Wo könnten die Fallschirme sein, wo die Schleudersitze? Wenigstens die beiden Sitze müssten doch erkennbar sein, wenn sie hier irgendwo liegen. George winkt Marc zu sich.

»Was schlägst du vor?«

»Die F-15 flog laut Radar mit östlichem Kurs. Also müssen wir die Jungs Richtung Westen suchen. Der Waffensystem-Offizier schießt sich zuerst raus, also sollten wir ihn westlich des Wracks finden, den Piloten aber hier, in der Nähe des Wracks.«

George nickt bestätigend. Der hinten Sitzende betätigt den Schleudersitz immer zuerst, sonst liefe er Gefahr, von der Sitzrakete des Vordermanns getroffen zu werden.

Marc zeigt auf die digitale Karte im Maßstab 1:50.000. Berge, Flüsse, sonst nichts. Der raue, kalte Hindukusch hat für die Jungs aus dem Westen ein fremdes, karges Gesicht.

»Hier, ich schlage diesen Weg vor.«

»Okay, Pfadfinder, du übernimmst!«

»Habe übernommen.«

Es sind diese standardisierten Prozeduren, die Voraussetzung für das Funktionieren im Team sind. Einer gibt vor, die anderen bestätigen. Das ist im Cockpit so und ist nicht anders in der Echo Force, die Marc jetzt anführt.

Marc spricht leise zu der Gruppe.

»Seals One, Two, Three, ihr nehmt die linke Seite. Thomas, Tim und ich die rechte. Ich bin in der Mitte. Abstand zwischen euch maximal dreißig Meter. Jeder hat Kontakt zu seinem Nachbarn.«

Sie teilen sich auf.

»Position eingenommen«, bestätigt einer nach dem anderen. Sie stehen jetzt auf einer Linie von knapp einhundertfünfzig Metern. Jeder ist für sich allein. Aber sie können den Trooper an ihrer Seite sehen, den Bruder für den Notfall.

Marc schaut auf den Kompass, zweihundertsiebzig Grad. Sie setzen sich in Bewegung.

Nach dreißig Minuten erreichen sie einen langen, schmalen Höhenrücken.

»Runter«, gibt Marc leise durch. Sie pressen sich flach an den Boden. Langsam schiebt sich Marc an einen nackten Felsen. Er hebt den behelmten Kopf gerade so weit, dass er einen Überblick bekommt. Vor ihm liegt eine Landschaft mit riesigen, runden Felsbrocken und steil abfallenden, gigantischen Felswänden, unterbrochen von tiefen Spalten, die im fahlen Nachtlicht nur zu erahnen sind. Darüber das im Nachtsichtgerät leuchtende Weiß, der Schnee auf den Sechstausendern.

Marc sucht angestrengt die Gegend ab. Nichts. Kein Schleudersitz, kein Fallschirm. Nur dieses Felsenmeer und eine karge Vegetation. Eine erbärmliche Welt in der grünen, künstlichen Realität der Nachtsichtgeräte.

»Wir können nicht den geraden Weg nehmen, Gentlemen. In zweihundert Metern an der Spalte ist Feierabend.«

Die Gruppe bewegt sich, rundum sichernd, weiter nach Westen.

George bleibt plötzlich stehen.

»Hörst du das, Marc?«

Aus den Funkgeräten von George und Marc kommt ein leises, auf- und abschwellendes Heulen.

»Das Notsignal, George! Gentlemen, wir haben Kontakt!«

Der Trupp weiß, dass dieses Signal von den Piloten nach dem Ausschuss aktiviert und nur wenige Minuten pro Stunde gesendet wird.

»Es ist fünf Minuten nach der vollen Stunde, passt, ist gemäß Absprache! Das ist unser Mann, George!«

»Wie ist die Peilung, Marc?«

»Elf Uhr. Die Quelle ist verdammt leise. Er muss Lichtjahre weg sein.«

Bei den Männern der Echo Force steigt der Puls. Kontakt zu einem der Piloten! Doch sie halten die Suchformation bei und arbeiten sich weiter nach vorn. Noch haben sie nicht die Ortungsposition. Auf einmal geht es nicht mehr weiter. Wie ein unheimliches Maul tut sich eine mindestens acht Meter breite, dunkle Spalte vor ihnen auf.

Von einer Sekunde auf die andere wird der Heulton schrill. Erschrocken dreht George die Lautstärke herunter.

»Er muss hier sein, ganz in der Nähe!«

»Tim an Marc, ich sehe einen Fallschirm, in der Spalte, zwanzig Meter unten!«

»Alle Mann sammeln – zu Tim«, flüstert Marc ins Mikro.

»George, du übernimmst!«

»Habe übernommen!«

Sie robben sich zu ihm, dicht an die Spalte, und leuchten hinunter. Unten sehen sie etwas, was da nicht hingehört. Die Reste eines Fallschirms, er hat sich an zwei Felsvorsprüngen aufgehängt. Der Laser-Entfernungsmesser zeigt dreiundzwanzig Meter.

Und dann ist da noch etwas. George stockt der Atem, als er es im grünlichen Licht erkennt. Es ist nicht, dass jemand wie leblos an den Fallschirmfetzen hängt, sondern die endlose Tiefe darunter. George weiß, dass es eine Herausforderung sein wird, den Unglückskerl da herauszuholen, ohne dass der ganz abstürzt.

Aber was ist mit ihm?

Er richtet den Strahl der Lampe auf die Gestalt.

»Bist du okay, da unten?«

»Seid ihr Amerikaner?«, kommt es schwach aus der Tiefe.

George strahlt. Der Mann lebt!

»Ja, Darling, wir kommen direkt vom Himmel und holen dich jetzt raus!«

»Wird auch verdammt noch mal Zeit. Ich friere mir hier den Arsch ab!«

Er scheint in Ordnung zu sein, denkt George und ruft in die Tiefe: »Musstest du ausgerechnet diese Spalte nehmen?«

»Ich liebe Spalten, aber diese ist selbst für mich eine Nummer zu groß.«

George schaut stolz zu Marc hinüber.

»Da unten hängt ein cooler Typ, redet wie ein richtiger Texaner. Los, wir holen ihn raus!«

George blickt auf sein Team. Er braucht besser zwei Trooper da unten. Einen, der sofort sichert und den weiteren Absturz verhindert, und den anderen für das Bergen. Navy Seal One weiß, dass Tim und Thomas die meiste Erfahrung in derartigen Abseilsituationen haben, also müssen die deutschen Freunde wieder ran.

»Tim und Thomas, seilt euch ab!«

Kurze Zeit später lassen sich die Unzertrennlichen runter ins Dunkel der Spalte. Die Navy Seals sichern von oben. Marc und George leuchten tief in den dunklen Schlund hinein, um den beiden möglichst viel zusätzliche Orientierung zu geben. Doch das Licht verliert sich schnell. Sie müssen aufpassen, dass sie den Fallschirm und die Gurte nicht berühren. Trotzdem dauert der Abstieg keine sechzig Sekunden.

»Wir sind bei ihm!«, meldet Tim.

Der Texaner hängt frei. Völlig frei. Nichts ist da, wo er sich hätte abstützen können. Eine falsche Bewegung, und der Rest des Fallschirms würde mit ihm in den Abgrund rauschen.

Behutsam und Schlimmes ahnend hatte er zu seiner Taschenlampe gegriffen. Augenblicklich heftiger Schmerz oben rechts.

Was war da los? Er fasste mit der rechten Hand an die Schulter.

Entsetzlicher Schmerz.

Angst.

Nur keine falsche Bewegung!

Es dauerte, dann hatte er die Lampe endlich. Was er unter sich sah, schockte ihn.

Denn er sah – nichts.

Der Lichtstrahl konnte die Tiefe nicht annähernd erfassen. Unter ihm verbarg sich der Eingang ins Nirwana. 50 Meter, 1000 Meter? Er würde ein paar Mal an die Wände knallen und dann … Oh, my God …

Er leuchtete nach oben. Der Schirm hing einigermaßen gut eingehängt zwischen zwei Felskeilen.

Erst allmählich fasste er Vertrauen in die Verankerung über ihm. Er sprach mit seinem Schirm, ermahnte ihn in liebevollen Worten durchzuhalten. Mehrmals strich etwas an seinem Kopf vorbei.

Fledermäuse?

Was immer, keine unnötigen Bewegungen machen!

Diese verdammten Schmerzen. Diese Kälte.

Er hatte das Gefühl, sein Oberkörper würde unter dem Zug der Gurte absterben. Würden die Retter den Notcode überhaupt hören?

Als er wie durch ein kleines Fenster zum Himmel einige Sterne sah, fasste er Hoffnung. Die Rettung hinter den feindlichen Linien hatten sie mehrmals geübt. Er wusste, dass das CSAR-Team auf Weg sein musste.

Jetzt waren sie da! Thank God! Sie hatten ihn in dieser verdammten Spalte geortet.

»Nice to meet you!«, sagt Tim und greift nach dem Gurt des Texaners, um ihn bei sich einzuklinken. Doch der starrt nur auf Tim, dem ein verfilzter, schwarzer Zauselbart unter dem Kinnriemen des Helmes hervorquillt.

»Du bist kein Amerikaner, du bist ein Taliban!«

Tim lacht.

»Nein, ich bin Tim, dein Freund von der deutschen Bergwacht!«

Der Amerikaner guckt ungläubig in Tims Gesicht.

Thomas schaltet sich ein: »Und ich bin Thomas, alter Junge! Kannst heute ausnahmsweise Tom zu mir sagen. Du hast dir ja ein nettes Appartement ausgesucht!«

»Ich mache dich jetzt vom Fallschirm los«, sagt der vermeintliche Taliban, »und dann klinke ich dich an den Fahrstuhl nach oben ein. Halte dich bei mir fest! Bist du bereit?«

Der Amerikaner nickt.

Ein Ruck nach unten, ein kurzer Schrei, aber so laut, dass spätestens jetzt der Hindukusch aufgewacht ist.

»Verdammt, meine rechte Schulter ist im Eimer, Vorsicht!«

Mit schmerzverzerrtem Gesicht hängt der schwergewichtige Texaner am kleinen Tim.

»Thomas an George, Prellung oder Bruch der rechten Schulter. Kein Blut!«

Tim packt ihn um die Hüfte und stemmt sich mit den Füßen und dem Rücken von den Wänden ab.

»Auf geht’s, Cowboy, es geht jetzt hoch zu Mom!«

Wenig später sind die Drei oben. Während die Echo Force nach hinten sichert, empfangen George und Marc den Geretteten.

»Ich bin George, Navy Seals. Willkommen bei Freunden. Bist du der Pilot oder der Weapon Systems Operator?«

»Les Miller, WSO. Habt ihr meinen Piloten Buddy?«

»Negativ. Wie viel Zeit lag zwischen euren beiden Schleudersitzausschüssen?«

»Höchstens zwei Sekunden!«

George überlegt. Am Wrack war Buddy nicht, auf gerader Linie zu Les ebenfalls nicht.

»Dann muss dein Buddy hier in der Nähe sein! Wir müssen uns noch einmal umsehen.«

»Charlie Force from Echo Force. Wir haben Les.«

»Roger Echo Force – Sind abrufbereit in der Warteposition.«

»Kannst du laufen, Les?«

»Wenn dir sieben Stunden der Sack eingequetscht war, was glaubst du, wie schnell du laufen kannst?« Und mit Blick auf Tim: »Passt auf euren Taliban auf, traut dem nicht!«

Dann zieht er ein verklumptes Etwas aus der Tasche und gibt es seinem neuen Freund von der deutschen Bergwacht in die Hand.

»Was ist das?«

»Schokolade, Taliban!«

Tim lacht.

»Wie geht’s deiner Schulter, Les? Brauchst du eine Spritze?«, fragt er ihn.

»Hängt davon ab, was ihr jetzt mit mir vorhabt, am Boden robben kann ich nicht.«

Zu Buddy McAllen ist es nicht weit. Fast stolpern sie über den Schleudersitz des Piloten. Der Fallschirm bläht sich leicht im Wind auf, zieht am Körper des langen, schlanken Amerikaners und fällt dann wieder zusammen. Buddy zittert. Seine rechte Kopfhälfte ist unter den blonden, kurz geschnittenen Haaren blutverschmiert. Durch die olivfarbene Fliegerkombi sieht George unterhalb der rechten Hüfte einen großen dunklen Fleck, darunter eine breite Lache aus getrocknetem Blut am Boden.

»Sieht böse aus«, signalisiert George zu Marc, »er muss im Dunkeln voll an die Felskante geknallt sein.«

»Buddy, kannst du mich hören?« George rüttelt ihn. Thomas nimmt eine Flasche Wasser aus dem Rucksack und gießt sie ihm vorsichtig über den Nacken. Der Amerikaner gibt keinen Laut von sich. Marc klatscht leicht auf Buddys Wangen, spricht ihn an.

»Buddy, wir sind deine Freunde, kannst du mich hören, du bist fast zu Hause. Ich gucke mir jetzt deine Hüfte an!«

»Charlie Force from Echo Team. Wir haben Buddy – Brauchen einen Medic – Macht euch auf den Weg!«

George liest die Koordinaten von seinem mobilen GPS ab und lässt sie sich bestätigen.

»Unser Glückstag, Jungs, wir haben beide Männer, wir haben sichere Funkverbindung und die Charlie Force ist in fünfzehn Minuten da.«

Er schaut auf den schwer verletzten Buddy, dann rundherum und ergänzt: »Aber wir haben eine ganz schlechte Lage hier.«

Der Trupp ist von vorne bestens einsehbar. Keine natürlichen Hindernisse. Nach hinten ein Hügel mit Sicht von oben auf die Gruppe. Buddy sitzt wie auf einem Präsentierteller an einen Stein gelehnt. Ein Wunder, dass er bisher unentdeckt blieb.

Das Kommando liegt flach am Boden und sichert, während Thomas Buddy versorgt. Er begutachtet die tiefe Wunde an Buddys Oberschenkel, legt ihm einen Druckverband an und bedeckt ihn mit einer wärmenden Folie. Buddy hat viel Blut verloren, er droht zu kollabieren. Thomas ist Medic, aber Buddy braucht mehr, als Thomas im Gepäck dabei hat.

»Sein Kreislauf ist völlig im Keller, George.«

»Buddy, nicht einschlafen. Wie ist der Name deiner Frau?«, fragt George.

Buddys Augen öffnen sich langsam. Zum ersten Mal.

»… Linda … girlfriend …«

»Wo wohnt Linda, Buddy?«

»… New Jersey …«

George leuchtet über sein Gesicht. Buddy ist weiß, stöhnt und atmet schwer.

»… sag‘ ihr, dass ich sie liebe …«, flüstert er.

»Das wirst du ihr in Bagram gefälligst selber sagen, Buddy, hörst du! Was hältst du davon, Buddy? Buddy, sprich!«

Buddy schaut George aus leeren Augen an. Seine Lippen formen etwas. George legt das Ohr an seinen Mund.

»Les … is Les okay?«

George winkt den Backseater Les heran.

»Halt ihn wach, Les, mach‘ ihm Mut!«

Der dicke Les beugt sich über seinen Piloten.

»Buddy, alter Junge, nicht aufgeben, Linda braucht dich. Ich brauche dich in unserer fucking F-15. Du willst mich doch wohl in dieser alten Krähe nicht im Stich lassen? Wie willst du deinen Hamburger in Bagram, Buddy? Was hältst du von einem Texas-Burger mit Käse, Paprika, schönen Beilagen aus Mexico, mit Senf oder lieber mit Thomy Ketchup?«

Buddy hat die Augen wieder etwas geöffnet und reagiert mit einem leisen Lächeln. Schließlich hat Les, mit dem er hier seit sechs Monaten fliegt, gerade sein eigenes Lieblingsgericht beschrieben.

Dann fallen seine Augen wieder zu.

Thomas und Marc nicken sich zu. Zustand kritisch. Buddy muss in den nächsten dreißig Minuten an einen Tropf, sonst war’s das.

Tims grüne Gläser wandern über den Horizont von rechts nach links, links nach rechts.

»Wir liegen hier nicht gut, gar nicht gut …«

»Wir können nicht verlegen«, flüstert Marc, »die Charlie Force erwartet uns hier an diesen Koordinaten«, während er selbst die Gegend absucht, die in der Infrarotrestlichtverstärkung wirkt, wie die hässliche Landschaft eines anderen Sterns. Marc interessiert nicht das normale Grün. Er sucht das gleißende Grün, das Weiße von Kleidungsstücken und das Schwarze im Nachtsichtgerät. Menschen.

»Oh Mann, wir liegen hier überhaupt nicht gut, gar nicht gut, wie auf dem Präsentierteller«, wiederholt Tim.

Marc zuckt zusammen.

»Taliban in zehn Uhr!«

Im Fernglas wachsen die Umrisse mehrerer Männer heran. Fünf, sechs? Sie scheinen zu suchen, kommen langsam näher. Durch die diffuse Morgendämmerung erste Stimmen.

»Charlie Force – Tangos in area«, gibt George leise an die anfliegende Force durch.

»Roger – Five minutes to go – bleibt wo ihr seid!«

Die Echo Force liegt so flach am Boden wie möglich, nur wenig geschützt von kleinen Felsbrocken. Thomas zieht Buddy runter, der stöhnt laut. Jeden Augenblick kann es losgehen. Die Amerikaner mit individuell gestalteten Schnellfeuergewehren aus der geheimen Waffenkammer der Seals, die Deutschen mit G 36KA2. Feindkontakt ist tausendmal geübt. Und doch rast das Blut durch die Adern, der Puls geht hoch, das Adrenalin rauscht.

George sieht einen Afghanen den Arm hochreißen. Ein Zeichen? Jetzt lautes Rufen. Weitere Afghanen!

George überlegt kurz, wann der richtige Zeitpunkt ist.

»Feuer nur auf mein Kommando!«

Er mag den Kampf auf lange Entfernungen nicht. Die Männer auch nicht, nicken ihrem Leader zu.

»Zwei Tangos in drei, hinter dem Felsen, dreißig Meter«, gibt Seal Two durch.

»Okay, habe ich.«

»Vier Tangos in zehn …«, kommt von Seal Three.

Auf einmal kracht das Geschoss einer Panzerfaust ein, heftig und brutal. Sie verfehlt das Echo Team nur um wenige Meter.

George checkt die Lage. Das war knapp. Verdammt knapp! Im nächsten Moment springen die Taliban aus ihren Deckungen heraus und stürmen heran.

»Feuer frei!«

Gezielt nehmen sich die Elitesoldaten jeden Einzelnen vor. Treffer, Patsch!

Dunkle schwarze Flecken zwanzig Meter vor Marc im Nachtsichtglas.

Blut. Blut wird schwarz.

Zielen, patsch!

Tango drei Uhr! Absprache mit Handzeichen und Kopfbewegung.

Präzisionsschüsse.

Nur kurze Salven. Die Hülsen rasseln wie ein Rinnsal nach rechts raus.

Ziele von vorn, von der Seite, stehend, gebückt, im Sprung. Wie im Trainingsraum. Aber hier mit kurzen Schreien.

Das Team arbeitet präzise wie ein Uhrwerk.

Die Distanz zu den Angreifern wird kürzer. Es sind zu viele, viel zu viele …

»Gentlemen, sie wollen, dass wir uns leerschießen«, gibt Marc durch. Doch einen Marc wird man nicht leerschießen. Er zählt mit Tim und Thomas in Calw, am Heimatstandort der Spezialkräfte, zu den besten Scharfschützen. Und er vermeidet es, die Patronen aus dem Stangenmagazin im Dauerfeuer zu vergeuden. Selbst, wenn sie mit dreißig Mann auf ihn zustürmen. Danach wäre sein G 36 heiß und damit ungenau. Marc mag keine Ungenauigkeiten.

Einer der Taliban kniet seitlich an einem Felsen. Er sucht sein Ziel. Marc sieht durch den Nachtsichtaufsatz 80 nur den Sprengkopf der Panzerfaust. Eine hässliche, spitze, grüne Röhre. Entfernung hundert Meter.

Kurzer Feuerstoß aus dem Stangenmagazin. Direkt in den Kopf. Der Afghane wirbelt durch die Luft. Im grünen Glas schwarze Flecken. Kein Kopf mehr.

George nickt rüber. Er weiß, Menschen zu töten ist für die Germans ein verdammtes Rechtsproblem. Verdächtige totschießen gibt’s bei denen nicht. Das hier ist aber Kampf ums Überleben! Rules of Engagement, die genehmigten Einsatzregeln, erfüllt … und man ist unter sich …

Buddy stöhnt, versucht sich aufzurichten. Thomas drückt ihn runter.

»Er braucht dringend eine Infusion, sonst war’s das, George!«

»Sag ihm, in fünf Minuten ist er auf dem Weg nach Hause, zu Linda.«

Über ihnen pfeifen die Geschosse vorbei.

»Hast du gehört Buddy, wir sind gleich unterwegs, halte durch. Linda wartet auf dich.«

George und seine beiden Seals feuern nach vorn, die Deutschen nach hinten den Hügel hinauf.

Sie sind eingekreist. Jetzt wird es verdammt eng!

George spürt, wie erste Angst in ihm hochkriecht, dass sein Trupp es auf diesem verdammten Präsentierteller hier nicht schafft. Er hat keine Lösung. Die Hilfe muss sofort kommen.

»Charlie Force – Echo Team unter schwerem Beschuss!

»Roger Echo Team – wir sind …«

Der Spruch geht im Krach unter. Hubschrauberlärm! Der schönste Lärm, den Elitesoldaten sich in aussichtsloser Lage wünschen. Wie von Geisterhand stehen plötzlich zwei aus dem Tal kommende AH-64 Apache-Kampfhubschrauber vor ihnen in der Luft. Man hört sie mehr, als dass man sie sieht. Aus den Raketenbehältern rechts und links zischen Luft-Bodenraketen in die kleinen Gruppen der Taliban, gefolgt von Garben aus der dreißig Millimeter Bordkanone. George‘s aufgekommene Angst ist verflogen. Seine Feuer speienden Drachen sind da!

Spezialnachtvisier, Zielzuweisung, nicht hinschauen, sonst wirst du blind!

Neuer, tosender Lärm.

Die lange Silhouette eines Monsters taucht auf, kommt näher. Der Chinook-Transporthubschrauber hängt schwerfällig wenige Meter über dem Boden. Ratternde Salven aus dem Ungetüm. Fünfzig lebensrettende Meter vor den Elitesoldaten. Jeder Meter einer zu viel! Denn es sind noch zu viele Taliban. Die beiden Rotoren wirbeln Steine und Dreck durch die Luft.

Warum immer wieder dieses Monstergerät?, denkt Marc, hoffentlich geht das gut.

Das Monster bewegt sich auf den Boden zu, setzt erst hinten auf, dann vorne. Krach, Nachwippen, steht endlich auf dem leicht abfallenden, felsigen Boden. Sofort springen Charlie Force Fighter mit ihren bereits angelegten Nachtsichtgeräten aus dem Chinook.

Niederknien, zielen.

Die Apaches drehen sich wie computergesteuerte Wesen auf die Ziele zu, geben Feuerschutz für die Echo Force.

Marc wirft sich um die eigene Achse auf den Rücken, checkt die Lage für den Trupp. Jetzt kommt der gefährlichste Moment in diesem Hexenkessel. Für sie und die Hubschrauber, denn das ist eine perfekte Situation für einen grandiosen Feuerball mit nur einer einzigen Panzerfaust. Drei Seals schleppen unter dem Feuer der Apache-Hubschrauber Les und den mittlerweile bewusstlosen Buddy zum Hubschrauber.

Geschafft!

Der Medic nimmt Buddy in Empfang, er hat den Infusionsbehälter und die Sauerstoffmaske bereits in der Hand. Buddy hat jetzt eine Chance. Vielleicht.

Ein verkabelter Amerikaner an der Tür des Chinook winkt hektisch.

»Get in, get in!«

»Tim, Tango hinter dir!« Marc kann ihm nicht helfen, sein Bruder steht genau in der Schusslinie.

Der kleine Tim schnellt katzengleich herum, schießt aus der Hüfte. Der Taliban spreizt im Fallen die Arme. Seine Kalaschnikow wirbelt durch die Luft wie eine groteske Zirkusnummer.

»Danke, Marc.«

Tangos jetzt von allen Seiten. Die Echo Force rennt gebückt Richtung Hubschrauber.

Gucken, erkennen, Salve, neues Magazin, weiter!

Jeder sichert sechzig Grad.

Sechs mal sechzig. Kein Sektor darf offen bleiben. Einer für alle, alle für einen.

Noch zehn Meter bis zum Chinook!

Die Charlie Force und die Navy Seals One und Two sind drin, geben Feuerschutz für George und die drei Deutschen, unterstützt von den zwei Höllenmaschinen, die noch in der Luft warten.

Thomas kniet sich in der Deckung des Hubschraubers nieder und aktiviert die Fernzündung. In der Ferne gibt es eine gewaltige Explosion, die das Tal beben lässt. Das Echo will nicht aufhören. Es ist, als würde der Hindukusch zerbersten. Erledigt. Was geheim war, musste zerstört werden. Der US-Kampfjet dürfte nur noch aus kleinen Metallteilen bestehen.

»Hurry up, hurry up!«, kommt von dem Amerikaner in der Tür des Chinook. Er fuchtelt jetzt hektisch mit dem Arm herum. Das Monster ist in Gefahr. Es wäre nicht das erste Mal, dass Soldaten zurückbleiben müssen.

Tim und Thomas sind mit einem gewaltigen Sprung drin, hinter ihnen George, Seal One.

Marc ist der Letzte am Boden. Wie immer. Erst sein Trupp, dann er.

Das Monster hebt bereits ab. George winkt ihm hektisch zu. Marc wirft das Gewehr um die Schulter, dann ein Riesensatz zur Tür, George hält ihn fest, zieht ihn hinein. Halb hängend feuert Marc seine letzten Salven in Richtung der Mündungsfeuer am Boden.

Die drei Hubschrauber mit der Echo Force und der geretteten F-15-Crew tauchen ab in das dunstige Tal.

Seal One klopft seinem deutschen Freund von hinten anerkennend auf die Schulter.

Marc Anderson befindet sich auf dem Zenit seiner Karriere, nicht wissend, dass er seine eigentliche Prüfung noch vor sich und sein Glück als Elitesoldat heute für immer verbraucht hat.

2.

Berlin

Auch an diesem 17. Dezember röhrt der nicht ganz legale Auspuff der Harley Road King etwas zu laut bei der Einfahrt in die Garage des Auswärtigen Amtes in Berlin. Die Polizeiposten vom Amt wissen: Rudi fährt vor, Dr. Rudolf Kürten, der Mann für alle Fälle, wenn deutsche Staatsbürger irgendwo in der Welt ein gravierendes Problem haben.

»Guten Morgen, Herr Doktor Kürten!«

Rudi klappt das Helmvisier hoch: »Ich hab‘ doch gesagt, lasst endlich den Doktor weg!«

»Jawohl, Herr Doktor!«

Es ist in der Tat ein etwas untypischer Ministerialdirigent, mit Biker-Lederjacke, einem dezenten Ohrring, einem spitzen Kinnbärtchen und zum Zopf zusammengebundenen Haar, der da sein Reich betritt.

Sein Reich im Hochsicherheitstrakt unter Tage, eine 24-Stunden-Krisenmanagementmaschine, ist das Beste, was es in Deutschland gibt. Seine Leute sind Spezialisten vom Auswärtigen Amt, der Bundeswehr und aus den Nachrichtendiensten, Menschen, deren Vita er selbst nicht immer kennt. Doch Rudi muss sich vollkommen auf sie verlassen können. Jede falsche Koordinate, jede falsche Uhrzeit, jeder falsche Name, jede falsche Wetteranalyse oder jede falsche politische Einschätzung kann Leben gefährden. Rudis Job aber ist es, Leben zu retten. Am liebsten würde er das selbst tun.

Aber er ist nicht Frontsoldat, sondern am Schreibtisch so etwas wie der oberste Krisenmanager der Nation. Oft genug am finalen Hebel der Verantwortung, wenn die Leitung oder sogar die Regierungschefin nicht entscheiden will.

Rudolf betritt das Krisenreaktionszentrum durch die Tür aus Tresorstahl, einem Erbe aus früheren Tagen, als hier noch die Reichsbank untergebracht war. Der Ort war eine kluge Wahl. Die abhörsicheren, einhundertzwanzig Zentimeter dicken Stahlbetonwände und achtzig Zentimeter dicken Fensterläden aus Stahl leisten beste Dienste gegen das Abhören von außen. Da aber der Feind auch innen sitzen kann, legt jeder Teilnehmer einer Krisensitzung sein Handy vor der Tür in den kleinen Schrank mit den achtzehn verschließbaren Fächern ab, Minister eingeschlossen.

Rudolf schaut kurz in den Lombardraum hinein, in seine Schaltzentrale.

»Guten Morgen allerseits, irgendwelche besonderen Vorkommnisse?«

Alberne Nachfrage, denkt er, denn hier ist jede Nacht etwas los und wird routinemäßig von der Nachtschicht unter Leitung des Beamten vom Dienst abgearbeitet: Entführte werden zurückgeholt, Angehörige telefonisch beruhigt, Sanitäter und Seelsorger geordert, und es wird ständig nach verschollenen Deutschen gesucht. Oft tauchen die dann irgendwann von selbst wieder auf. Nichts Besonderes. Es gibt im Fachjargon die Unterscheidung zwischen Vorkommnissen und den Besonderen Vorkommnissen, den BV, bei denen ihn die Nachtwache der Nation aus dem Bett holen würde.

Vor dem Beamten vom Dienst stehen vier Telefone, eines mit der Aufschrift Vorsicht Abhörgefahr! An sich nicht notwendig, denkt Rudi, meine Leute sind von Haus aus verschwiegen. Sie reden auch über die verschlüsselten Geräte nur das absolut Notwendige. Am liebsten: Verstanden – Roger – Over – Out.

Die Welt draußen ist hier in einen einzigen Raum gepackt. Neun Normaluhren mit den Namen der Hauptstädte, austauschbar mit dem aktuellen Krisenort in der zugehörigen Zeitzone. An der Wand Karten und die Privat- und Handynummern der Minister und Staatssekretäre. Sensible Daten, die abgedeckt werden, wenn Fremde das Allerheiligste betreten. Rund um die Uhr gehen die Ticker-Meldungen der Agenturen über Bild und Text ein, ebenso die BND- und BKA-Berichte und die der zweihundertvierzig deutschen Botschaften, so genannte Drahtberichte, die immer noch so heißen, obwohl sie längst elektronisch sind. Überall flimmert es, zehn Bildschirme allein für die Nachrichtensender. Für fast jedes Land gibt es einen Länderordner. Es gibt kaum etwas, was hier planerisch nicht schon vorgedacht ist.

Jeden Morgen wundert sich Rudi darüber, dass es hier bei dem Rund-um-die-Uhr-Betrieb in drei Schichten nicht muffig riecht. Wenn es richtig heiß hergeht, hat er im Amt eine Reserve von über zweihundertfünfzig geschulten Beamten für den Telefondienst. Bei Rudi läuft alles zusammen. Er ist ein Kellerkind der besonderen Klasse.

Allerdings ist sein Dienstzimmer kein Kellerverließ, es ist wie alle Dienstzimmer der Ebene Abteilungsleiter/Ministerialdirigent/Besoldungsgruppe B 6 nach besonderen Standards ausgerichtet. Großer Mahagoni-Schreibtisch, schwerer Teppich, Besprechungsecke mit feinen, schwarzen Sesseln, das Bild des Außenministers in Öl.

Dieser, der Leiter des Amtes, Georg von Rüdesheim, hat ein nettes, freundliches Gesicht.

Minister kommen und gehen. Mit ihnen die Ölgemälde. Nur der kleine schwarze Nagel an der Wand bleibt. Jahrzehntelang. Er hat inzwischen quasi einen ministeriellen Status bekommen. Ein Nagel wie der ideale Beamte dieses Hauses. Unauffällig und leistungsstark.

Ein Schild in Rudis Zimmer wird jedoch nie bewegt:

Failure is not an option.

Rudi lebt konsequent nach diesem Prinzip. Es stammt von der NASA, und galt der zu rettenden Apollo 13-Crew im All. Katastrophen verhindern durch Vermeiden von Fehlern. Auf dem Motorrad wie auch im Krisenkeller. Da gibt es für Rudi keinen Spielraum.

Er mag seine achtunddreißig Frauen und Männer von der Abteilung 04 im geheimnisumwitterten Krisenkeller – und sie ihn. Denn Dr. Rudolf Kürten ist nicht der amtstypische, aalglatte Beamte, sondern stets locker, mit viel Herz, und dabei hoch kompetent. Er hat seine Krisenweihen als Botschafter in Kenia, und damit auch zuständig für Somalia und Burundi, bekommen. Niemand im Amt kennt das leidige Thema Piraterie so gut wie er. Mit zweiundfünfzig Jahren weiß er auch, dass ein lockeres Arbeitsklima die besten Erfolge garantiert.

Doch Fronterfahrung und kooperativer Führungsstil sind nur eine Sache. Rudi ist keineswegs naiv. Hier im Krisenmanagementzentrum der Republik ist analytischer und emotionsfreier Sachverstand gefragt. Ohne Wenn und Aber.

Für die Lösung komplexer Lagen hat Rudolf ein bestimmtes Konzept geradezu verinnerlicht.

Es war vor vier Jahren, bei einer Einweisung für Spitzen-Führungskräfte der Wirtschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg Blankenese. Er sieht den Oberst noch vor sich: Linker Arm in einem Tragetuch, Narbe oberhalb des rechten Auges, ganz scharfer Blick. Ein Typ wie Graf von Stauffenberg, hingerichtet am 20. Juli 1944.

»Bevor Sie eine Entscheidung treffen, meine Damen und Herren, verfahren Sie nach diesen vier Schritten:

1. Situation Analysis:

Alle Faktoren der Situation, bitte ohne jegliche Bewertung. Wir Soldaten nennen das Eigene Lage und Feindlage. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Wirtschaft, können das z.B. die Produktpalette und der Wettbewerb sein. Bei den Damen und Herren vom Auswärtigen Amt der eigene rechtliche Rahmen und die politische Situation im Problemland. Verstanden? Okay, weiter geht’s!

2. Assessment:

Bewerten Sie jetzt aus der Situation Analysis Ihre Lage und die des Gegners. Aber keine Emotionen, sachlich bitte! Sie fahren gut, wenn Sie nach Faktoren bewerten. Ich sehe, Sie schauen mich fragend an, was Faktoren sind. Sehr einfach. Zum Beispiel die Fähigkeit der eigenen und der gegnerischen Ressourcen, die Marktsituation, die politische Lage, je nachdem, wo immer Sie arbeiten. Bei uns Militärs kann zum Beispiel das Wetter der entscheidende Faktor sein. Je umfassender Sie bewerten, umso besser wird die Entscheidungsgrundlage. Ist das auch verstanden? Nun, dann komme ich zu:

3. Objectives:

Sie glauben, dass Sie jetzt entscheidungsreif sind? Falsch, meine Damen und Herren. An dieser Stelle werden leider zu oft zu frühe, und damit auch falsche Entscheidungen getroffen. Entschleunigen Sie einen Augenblick. Schauen Sie in sich und fragen Sie sich: Was ist die Zielsetzung meines Handelns in dieser Lage? Was will ich erreichen? Ihre Antwort wird den Kurs bestimmen. Wollen Sie vielleicht den ganz großen Krieg gewinnen oder in dieser Phase vielmehr nur die Medien beruhigen? Im letzteren Fall ist Ihr Handeln auf Krisenkommunikationsoptionen ausgerichtet. Sie sehen, wie schnell man sich hier verlaufen kann. Damit zum letzten Punkt.

4. Conclusions:

Jetzt dürfen Sie Ihre Entscheidung treffen. Vielleicht hatten Sie die schon in der Hosentasche. Gut, dann ist sie jetzt immerhin bestmöglich abgesichert. Vielleicht sind Sie aber nach dieser Analyse mit einer ganz anderen Entscheidung unterwegs. Aber Vorsicht meine Damen und Herren – meistens gibt es mehrere Optionen! Listen Sie diese auf und wählen Sie die Entscheidung aus, die Ihre Zielsetzungen, Ihre Objectives, am besten erfüllen. Machen Sie Gewichtungen. Aber behalten Sie immer Ihre Mittel und Möglichkeiten im Auge, bleiben Sie in der Realität.«

Der Oberst zeichnet vier Buchstaben.

»Wir nennen diesen Führungsprozess SAOC«, er zeigt dabei auf die Anfangsbuchstaben von Situation Analysis, Assessment, Objectives und Conclusions.

»Es ist das klassische Führungsinstrument von Streitkräften. Damit wurden Kriege gewonnen oder zumindest vermieden. Viele meiner Kameraden sind heute Kollegen von Ihnen in der Wirtschaft und fahren mit diesem System auch dort bestens. Trimmen Sie Ihren Stab auf diesen Prozess. Und wenn sich die Lage ändert, dann lassen Sie SAOC neu anlaufen.

Last but not least: Vergessen Sie nie die Kontrolle. Fragen? Ich danke Ihnen.«

Danach hätte Rudi eigentlich nach Hause fahren können. Das war doch mal etwas! Es gibt eben Klicks im Leben.

Und manches Mal braucht man dazu einen sympathischen und garantiert authentischen Uniformträger.

Seitdem nistet SAOC in Rudis Großhirn wie die Schaltungen vom ersten zum fünften Gang, wenn er aus dem Spreewald ins Amt fährt. Allerdings hat er es längst aufgegeben, SAOC seinem Leiter des Krisenreaktionszentrums, Ministerialrat Dr. Hartwig Bloedorn, beizubringen. Irgendwie kann er diesen Mann nicht erreichen oder die Chemie zwischen beiden stimmt einfach nicht.

Rudolf schaut auf die Wandtafel. Zwölf Entführungslagen mit verschiedenen, maßgeschneiderten Krisenstäben je nach Land des Geschehens. Er kennt jeden Fall. Jede Dramatik. Jede Person. Jede Familie.

Aber ein Fall ist anders. Ein Entführungsfall, der bereits über zwei Jahre läuft, ohne sichtbare Bewegung. Zwei Männer werden als Schutzschild gegen die permanente militärische Bedrohung missbraucht. Das Bundeskriminalamt hat inzwischen ein Team für die Betreuung der beiden Familien in Deutschland abgestellt. Doch eigentlich brauchen diese Familien vor allem psychologische Betreuung. Rudi hat dafür rund um die Uhr Zugriff auf eine Hotline, die ihm in fast jeder deutschen Stadt ein Kriseninterventionsteam garantiert.

Und seit acht Wochen ist man in Sorge um die beiden deutschen Mitarbeiter eines Unternehmens, Helmut Weier und Josef Fischer, die entgegen der Reisewarnung des Amtes im Nordirak tätig wurden. Immerhin hatten sich beide in ELEFAND, die kostenlose, elektronische Liste der Erfassung von Auslandsdeutschen, eingetragen. Der Bundesnachrichtendienst vermutet sie in den Händen des Islamischen Staates, der schnell wachsenden muslimisch-militanten Terrorgruppe, die längst al-Qaida weltweit den Rang abgelaufen hat. Bisher gab es überhaupt kein Signal von irgendeiner Seite. Der Krisenstab Weier/Fischer, mit dem hausinternen Kürzel WEFI, ist auf Erkenntnisse der Nachrichtendienste angewiesen. Und in der Tat gibt es einen ersten Hinweis von der CIA, dass zwei deutsche Geiseln vermutlich im Nordirak festgehalten werden. In diese Richtung laufen jetzt alle Bemühungen von WEFI.

Rudolf weiß, dass die vergleichsweise komfortablen Zeiten vorbei sind, als es bei Entführungen nur um Lösegeld ging. Seitdem Deutschland sich zunehmend im Kampf gegen den internationalen Terror engagiert, nehmen die politischen Erpressungen zu und die Chancen für die Geiseln dramatisch ab.

Während er auf dem Weg zum Lagezentrum ist, stürzt Dr. Bloedorn hektisch auf ihn zu.

»Herr Dr. Kürten, gut, dass Sie da sind! Wir haben gerade über YouTube eine Videodrohung vom Islamischen Staat mit Ultimatum bekommen. Die Geiseln Weier und Fischer sollen am 25. Dezember enthauptet werden, wenn Deutschland sich nicht aus den Unterstützungsaktivitäten im Kampf gegen den IS heraushält!«

Rudolf vergisst einen Moment, dass er diesen aalglatten Bloedorn nicht mag. Der Mann kann geschlagene zwanzig Minuten bedeutungsvoll reden, ohne etwas zu sagen. Hohe Diplomatenschule. Hier im Krisenkeller hat das Amt ihn eigentlich auch nur geparkt. In Krisensituationen hyperventiliert er geradezu in so einer Art Krisenorgasmus. Leider ausschließlich um des blinden Aktionismus willen, weniger aus echter Sorge um die betroffenen Menschen.

Und an die denkt Rudolf jetzt, als sein Blick die Computer, Faxgeräte und Chiffriermaschinen im Lagezentrum streift, und dann wie so oft an den neun, leise im Gleichtakt tickenden Bahnhofsuhren hängen bleibt. Im Nordirak ist es bereits zwei Stunden weiter.

Wann soll enthauptet werden? 25. Dezember, also in neun Tagen! Das gibt wenigstens etwas Luft. Jede Stunde ist jetzt wertvoll. Sie müssen auf Vollgas-Modus umschalten.

»Herr Bloedorn, Krisenstab WEFI für 16:00 Uhr lokal einberufen! Leitungsebene informieren!«

Rudi eilt in sein Büro, das unbarmherzige Ticken der Uhren noch im Ohr.

»Sandra, ruf‘ Silberlocke zu mir und bitte meinen Blazer!«

Seine Sekretärin Sandra weiß, wenn die Harley-Jacke gegen den Blazer getauscht wird, ist der Ernstfall eingetreten. Und sie weiß natürlich auch, dass BKA-Direktor Harry Busch, genannt Silberlocke, der beste Kenner der islamistischen Terrorszene ist und ein ausgebuffter Verhandlungsfuchs dazu.

»Ich wollte Ihnen noch sagen, dass die Ehefrauen von Herrn Weier und Herrn Fischer eben angerufen haben. Chef, die sind am Ende ihrer Kräfte!«

»Haben wir die Erreichbarkeit?«

»Haben wir!«

»Sagen Sie beiden, ich rufe sie nach der Sitzung an.«

Er weiß, wie entsetzlich es für die Familien ist, die Enthauptungsdrohungen in den Nachrichten und die Enthauptungen selbst später wohlmöglich im Internet zu sehen.

Dann vertieft er sich in den Lagevortrag. Was wissen wir? Wie wird die Bewertung sein?

Doch schon jetzt ist ihm klar, es könnte die erste Enthauptung von Deutschen in diesem Jahr sein. Irgendwie war die RAF kalkulierbarer, geht es ihm durch den Kopf, da kannte man seinen Feind …

»Ich denke, Sandra, wir bekommen heute noch hohen Besuch.«

»Meinen Sie wirklich? Sie war in den zwei Jahren doch bisher nur ein einziges Mal hier, und das war zu ihrem Antrittsbesuch.«

Bundeskanzleramt

Als Susanne Ehrlich, die Leiterin des Kanzlerbüros, am Telefon die seltsam belegte Stimme des Bundesaußenministers Georg von Rüdesheim hört, ist ihr klar, dass es jetzt brennt. Sie ahnt nichts Gutes für den Dienstplan ihrer Chefin.

»Ist die Bundeskanzlerin erreichbar, sie antwortet nicht auf Ihrem Krypto-Handy?«, fragt von Rüdesheim.

»Das kann sein, Herr Minister, wenn sie das andere Telefon benutzt.«

»Diese Krypto-Dinger sind extrem unpraktisch«, entgegnet er etwas unwirsch.

»Darf ich die Chefin in Berlin vermuten? Ich muss sie dringend sprechen.«

»Darf ich erfahren, worum es geht?«

»Sie dürfen«, antwortet Georg von Rüdesheim nun etwas spitz. Es nervt ihn, dass in allen Vorzimmern dieser Welt die Büroleiter die Macht haben, wie bei ihm selbst …

»Der IS hat offensichtlich die beiden deutschen Geiseln Weier und Fischer in seiner Gewalt. Es gibt die klare Drohung, sie zu enthaupten, wenn wir uns nicht zurückziehen.«

»Ich darf Sie durchstellen Herr Minister, haben Sie Ihr Krypto-Handy aktiviert?«

»Ich rufe selbstverständlich bereits damit an.«

Bundeskanzlerin Dr. Henriette Behrens ist auf dem Weg von ihrer Wohnung im Süden Berlins zum Bundeskanzleramt. Vor und hinter ihr je ein Wagen mit Personenschutz.