Cover

Über dieses Buch:

Eigentlich ist der Bildreporter Viktor in das Luxushotel an den Comer See gefahren, um zu vergessen. Vergessen, dass seine 17-jährige Tochter Phil in einen Mord verwickelt war – und was er tun musste, um sie zu beschützen. Doch die Schatten der Vergangenheit holen Viktor unerbittlich ein. Ein dummer Fehler lässt ihn ins Visier der deutschen Zielfahndung geraten und Viktor verstrickt sich tiefer und tiefer in ein Netz aus Lügen. Doch nicht nur um seinen Hals zieht sich die Schlinge zu – er hat auch seit Tagen kein Lebenszeichen mehr von Phil erhalten …

Über den Autor:

Thomas Kastura, geboren 1966 in Bamberg, lebt ebendort mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern. Er studierte Germanistik und Geschichte und arbeitet seit 1996 als Autor für den Bayerischen Rundfunk. Zahlreiche Erzählungen, Jugendbücher und Kriminalromane, u. a. Der vierte Mörder (2007: Platz 1 auf der KrimiWelt-Bestenliste). Die letzte Lüge ist sein Debütroman, an den 2004 die Fortsetzung Der rote Punkt anschloss.

Die Website des Autors: www.thomaskastura.de

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Neuausgabe Februar 2016

Copyright © 2004 by Wilhelm Goldmann Verlag, München

In der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de

Titelbildabbildung: Thinkstockphoto/stevanovicigor

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-471-9

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Thomas Kastura

Der rote Punkt

Roman

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Never let me down again
Depeche Mode

Prolog

Das Ziehen in seinem Bauch ist fast verschwunden. Wenn er mit der Faust dagegen schlägt, spürt er noch ein leichtes Kribbeln. Als kröche ein Käfer in seinem Innern umher. Als seien nicht alle Holzsplitter entfernt worden, die in der Wunde zurückgeblieben waren. Als steckten sie noch tief in ihm drin. Der Käfer entfernt sie, speichelt sie ein, rollt sie zu Kugeln. So stellt er sich das vor.

Der Käfer ist nützlich. Trotzdem wird er ihn entfernen müssen. Vielleicht wird er ihn aufspießen, die inneren Organe entfernen und hinter Glas ausstellen wie ein naturkundliches Exponat. Damit er ihn immer erinnert an das, was gewesen ist.

Er hat eine Serie von Operationen hinter sich, lebensrettende und lebensgefährliche. Auf jeden Fall lebensverändernde. Als ihn seine Männer – die wenigen, die ihm verblieben waren – aus dem Krankentrakt befreit hatten, musste er sich weiteren Eingriffen unterziehen, um nicht erkannt zu werden, zumindest nicht nach dem äußeren Schein. Er verlor buchstäblich sein Gesicht. Eine Demütigung, die weitaus schlimmer wiegt als die Verletzungen, die ihm vor kurzem zugefügt wurden.

Und er ist ganz und gar nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Er fühlt sich betrogen um seine wahre Gestalt. Es kommt ihm vor, als starrten die Menschen einen Entwurf an, wenn er an ihnen vorübergeht. Nicht, dass er viel darauf gäbe. Es liegt ihm fern, dieser Art Spiegel eine Bedeutung beizumessen. Dennoch hat ihn die Sache um ein Vergnügen gebracht: sich in Schönheit zu zeigen, bevor die Menschen an ihm verzweifeln.

Während sein Körper heilte, nahm sein neuer Auftraggeber mit ihm Kontakt auf. Der Mann fühlte sich bedroht, jemand hatte versucht, ihn umzubringen. Die Aktion misslang, sie war schlecht vorbereitet, ungeschickt ausgeführt, von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Daraufhin hörte sich sein Auftraggeber um, wer mit Anschlägen auf lebende Objekte Erfahrung besaß. Er erfuhr von den Vorkommnissen in Livorno, von Schüssen und Handgranaten, von einer ganzen Reihe Toter. Daraufhin ließ er seine Verbindungen spielen, arrangierte ein Treffen, machte ein Angebot.

Er gelangte zu dem Schluss, etwas Neues zu beginnen und die alten Unternehmungen eine Weile ruhen zu lassen. Als er sich erholt hatte, kam er mit seinem Auftraggeber ins Geschäft. Ein Geschäft, das all seine Kräfte und Fähigkeiten erfordert. Bei dem er größere Umsicht und Verschwiegenheit walten lassen muss als früher. Das ihn seine gewachsene Macht spüren lässt.

Während er seinen neuen Aufgaben nachgeht, verfolgt er zugleich die Spuren derer, die ihn selber dem Tode nahe gebracht haben. Sie laufen auseinander, in drei unterschiedliche Richtungen, haben sich in Europa und Amerika verloren. Er zweifelt nicht daran, seine Feinde in absehbarer Zeit zu finden. Wenn sie sich absichtlich verstecken würden, hätte er sie längst aufgespürt – er kennt die Verstecke der Menschen. Aber sie sind ahnungslos, haben die Gefahr vergessen. Sie wissen nicht, wer seine Gedanken zu ihnen hinabschickt, bei Tag und in der Nacht, mit jedem Atemzug.

So wie jetzt, da er darauf wartet, dass einer, zu dem ihn sein Auftraggeber geschickt hat, aufwacht und feststellt, wie gering seine Aussichten sind, jemals wieder so etwas wie ein normales Leben zu führen. Was so viel heißt wie: Entscheidungen treffen, Absichten verfolgen, nach irgendetwas streben, und sei es nach Glück. Er wird ihm Ersatz verschaffen. Davon hat er eine Menge anzubieten, mehr denn je. Zumindest wird er ihn vor die Wahl stellen, eine Gunst, auf die seine persönlichen Feinde nicht hoffen dürfen.

Es sind drei. Von zweien weiß er den Namen. Sie sind so gut wie tot, Vater und Tochter, eine kleine Familie, wenn man so will. Er wird sie auslöschen, hätte es schon tun müssen, als er zuletzt Gelegenheit dazu hatte. Er versäumte es, weil er einer unerklärlichen Gefühlsregung nachgegeben hatte. Dafür hat er bezahlt. Es wird ihm nicht wieder passieren.

Von der Dritten kennt er nur das Gesicht. Sie wird es nicht mehr lange besitzen. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wird sie ihn um ein neues anflehen. Oder um etwas anderes. Er ist schon gespannt darauf, welchen Wunsch ihr der Schmerz eingeben wird.

Seine Gedanken tauchen hinab.

Erster Teil

Kapitel 1

Piekst ja gar nicht.

Ich stecke die Nadel in meine Bauchdecke. Ja, genau, in die Bauchdecke und nicht in die Armbeuge oder den Oberschenkel wie früher. Die Spritze ist gegen Thrombose. Damit sich kein Blutpfropf in den Adern bildet und Lungenembolie oder irgendetwas anderes Tödliches auslöst. Schlecht, wenn etwas verpfropft. Also haue ich mir einen Schuss nach dem anderen rein, jeden Morgen kurz nach dem Aufstehen. Nicht gerade angenehm, aber was soll ich machen? Bin ja schon froh, dass ich wieder laufen kann.

Vor einer Woche haben sie mich aus der Klinik entlassen. Den Wellness-Bereich könne ich weiter nutzen, hieß es, auf eigene Kosten, versteht sich. Eines ist sicher am Comer See: Geschenkt kriegst du hier nichts. Will ich auch gar nicht.

Wenn schon Wellness, dann auch richtig, dachte ich mir, nicht in Gesellschaft der Dreivierteltoten, die in der Klinik zu Dutzenden herumtaperten. Diese Leute waren nichts für mich. Quatschten einem die Ohren voll mit ihren Fast-Geschichten: Fast wäre der Tumor zu groß geworden, um noch operabel zu sein. Fast hätte der Arzt den handtellergroßen Fleck auf der Lunge übersehen. Fast hätten ihre hinfälligen, im biologischen Off dahindümpelnden Körper die wichtigsten Funktionen eingestellt. Aber dann kam ihnen ein Bypass, eine Spenderniere oder eine künstliche Herzklappe dazwischen. Abgesehen davon, dass mich diese Frankenstein-Storys deprimierten, konnte ich mit meinem lumpigen Beinbruch sowieso nicht dagegen anstinken. Da ging ich lieber ins Delle Alpi, um mich im schönsten Hotel Italiens von vorne bis hinten verwöhnen zu lassen.

Das nötige Kleingeld dazu schwamm im Hafenbecken von Livorno herum. In einem Bodybag. Na ja, nicht direkt Geld, sondern Shit, den man erst zu Geld machen musste. Nachdem ich mich nach Turin abgesetzt hatte, war es überhaupt kein Problem, das Zeug zu verticken. Die Gören an der Po-Promenade rissen es mir regelrecht aus den Händen. Wahrscheinlich wussten sie gar nicht, dass sie da unversehens an Spitzenstoff geraten waren. Golden Pollum, so was haben die sich bestimmt noch nie reingezogen, nicht in dieser Qualität. Barmherzige Seele, die ich nun mal bin, verstehe ich das Ganze als meinen Beitrag zum Weltfrieden. Die Joints, die derzeit in Turin kursieren, sind wie Kerzen, die man in einer Kirche aufsteckt zum Gedenken an einen lieben Verwandten. Am Po-Ufer brennt eine Lichterkette nur für mich.

Ich schmeiße die Spritze, den Alkoholtupfer und die Verpackung in einen fernsehturmgroßen Aschenbecher. Dann drücke ich auf den Metallstift und lausche dem Klappern im Inneren des Hohlkörpers, während der Müll verschwindet. Reines vermischt sich mit Reinem, Asche mit dem Injektionsbesteck, es stinkt entsetzlich.

Zeit für meine Anwendungen. Ich hole die CD aus dem Laptop. Zur Begleitung meiner morgendlichen Schüsse lasse ich Tosca laufen, nicht die Oper, sondern das Solo-Projekt von Richard Dorfmeister, das ich mir aus dem Netz gezogen habe. Mit Honey gleite ich in den Tag, wie einer dieser überbezahlten Verkaufsagenten, die schon unter der Dusche ganz heiß darauf sind, irgendeinen Netzwerkdeal über neue Computer, Betriebssysteme und weiß der Teufel welche supereffizienten, mckinseygeprüften Projekte abzuschließen, um dabei eine fette Provision nach der anderen einzustreichen. 1 want my honey, I want my honey. Genau.

Musik hat immer einen Sinn. Hin und wieder sollte man ein paar Worte darüber verlieren und nicht so tun, als habe sie keinen Einfluss auf uns. Es rächt sich, solchen Dingen keine Beachtung zu schenken. Musik pflanzt mir Dinge in den Kopf, die an einem anderen Ort verkümmern würden.

Ich schalte das Gerät aus und lasse es zusammen mit dem Übertragungskabel in einer Schublade des Barock-Sekretärs verschwinden. Als ich aufstehe, versuche ich das linke Bein nicht zu stark zu belasten. Fünfzehn Kilo, sagte der Doktor, als hätte ich eine Waage eingebaut, die mich permanent auf dem Laufenden hält über die Gewichtsverteilung, mit der ich durchs Leben hinke.

Ärzte haben gut reden. Sie geben ihre Anweisungen und lassen einen damit allein. Wenn sie von mir verlangten, auf einem Bein um den See zu hüpfen, würde ich es sofort machen, in der Hoffnung, dass es hilft. Ärzte haben Macht, vor allem an Kurorten. Da stehen sie ganz oben in der Rangordnung. Danach kommen Restaurantchefs, gefolgt von sexuellen Dienstleistern: Escort-Service, Eintänzer, Pflegepersonal. Wenn man die Medizin-Essen-Sex-Reihenfolge umdrehte, befände man sich in einem Rotlichtviertel von Bangkok. Auch eine Art Kurort, für meinen Geschmack aber zu laut und viel zu weit weg. Das Gute liegt meistens ganz nah.

Auf dem Weg zum Hotellift bleibe ich vor einem Empire-Spiegel stehen. Ich überprüfe den Sitz meines Anzugs. Den Designer verrate ich jetzt nicht, ich sage nur zeitloser Chic. Einreiher mit zwei Knöpfen, geringfügig verbreiterten Schultern, schmalem Revers, in einem zarten Dünen-Ton irgendwo zwischen Weiß und Ocker. Darunter ein umbrafarbenes Seidenhemd und – nicht lachen! – eine helle Krawatte mit dünnen Querstreifen.

Viktor und Krawatte? Geht das zusammen? Dafür gibt es eine natürliche Erklärung. Einerseits laufe ich so herum, um seriös zu wirken – also das genaue Gegenteil von dem, was ich bin. Andererseits wegen des guten Rundum-Gefühls. In so einem Anzug kommt man sich gleich wie ein besserer Mensch vor. Nicht im moralischen Sinne, den lassen wir mal beiseite. Eher kognitiv. Ich weiß, das klingt furchtbar, aber anders lässt es sich nicht ausdrücken, wenn man den Grad der Überlegenheit meint, mit der man durch den Tag spaziert. Zu einer guten Körperhaltung können verschiedene Faktoren beitragen: Macht, Geld, Einfluss, von mir aus sogar ein gewisses Maß an Wahrhaftigkeit – wenn man über den Rest nicht verfügt. Oder das unerschütterliche Bewusstsein, eine ganze Reihe von Leuten gerade nach Strich und Faden zu bescheißen.

Während ich die mit Blattgold überzogenen Ornamente des Spiegelrahmens betrachte, lege ich den Kopf schief und muss lächeln. Dieses geschmacklose, aber überaus kostbare Stück hat mir den rechten Weg gewiesen. Es war wie die Erleuchtung des Simeon, als er im jungen Jesus den Erlöser erkannte. Mich muss man sich als Simeon vorstellen, den Laptop, den ich unter dem Arm trug, als Jesus, und eines der bekanntesten Internet-Auktionshäuser als Erlösung. Es war ein ganz spezieller Augenblick.

Um ehrlich zu sein, ist das Geld in letzter Zeit etwas knapp geworden. Nach meinem Klinikaufenthalt, den ersten Wochen im Delle Alpi und dem Erwerb einiger Annehmlichkeiten (eine davon steht vollgetankt in der Tiefgarage), war ich gezwungen, mir etwas einfallen zu lassen, zumal ich auch noch für den Unterhalt meiner Tochter aufkommen muss. Phil besucht seit kurzem eine Privatschule in Kanada. Sie ist ziemlich helle, ihr IQ liegt jenseits von Gut und Böse, und bei ihren Zeugnissen geht mir jedes Mal einer ab. Aufgrund eines Einstufungstests hat sie ein Stipendium in Übersee gekriegt. Das spart uns schon mal das Schulgeld. Trotzdem kostet sie mich eine Stange Geld, und das muss irgendwoher kommen, wenn ich meinen Lebensstandard noch eine Weile halten will. Man gewöhnt sich so schnell daran, in einem Nobelschuppen wie dem Delle Alpi den Arsch hinterher getragen zu bekommen, dass man es bald nicht mehr missen will.

Der erste Gedanke, der mir kam, hatte mit meinem alten Beruf als Bildjournalist in Frankfurt zu tun. Dazu muss man wissen, dass am Comer See eine Klientel Urlaub macht, deren Großkotzigkeit nur noch von ihrer Eitelkeit übertroffen wird. Man glaubt es kaum, aber da hängen jetzt die Leute rum, die man vor dreißig Jahren mitsamt ihren versifften Schlafsäcken von der Seepromenade gekratzt hat. Jetzt machen sie sich in genau den Hotels breit, in deren Parkanlagen sie früher einen Haufen setzten, um dem Establishment einen Denkzettel zu verpassen. Die Gärtner müssen sie gehasst haben wie die Pest, noch mehr als die Hunde.

Inzwischen sind sie vom Golfspielen etwas dünner geworden, haben ihre Verdauung unter Kontrolle (was sich in absehbarer Zeit wieder ändern wird) und schauen langsam nach jener Vorstellung aus, die sie gerne von sich in Umlauf bringen möchten – von der sie aber nicht ganz sicher sind, ob sie ihr schon entsprechen. An diesem Punkt kam ich ins Spiel. Wer’s geschafft hat, möchte es nicht nur zeigen, er will es auch sehen. Am besten im Bild, und damit meine ich nicht dilettantische Schnappschüsse, sondern Aufnahmen in Studioqualität. Gut ausgeleuchtet, gestochen scharf, in einem schicken Ambiente – stylish eben, Porträts, wie Goya sie gemalt hätte, wenn er so ein Opportunist wie ich gewesen wäre.

Eine Kamera aufzutreiben, die nach Fotokünstler aussieht, war kein Problem. Also bot ich den Ex-Schlafsäcken an, sie professionell abzulichten, wie Filmstars, die eine Fotostrecke für die »Vogue« machen lassen, um ihr Image aufzupolieren und den Produzenten dieser Welt zu signalisieren: Kommt mal wieder mit einem Angebot rüber! Im Urlaub sitzen die Scheine locker, die Leute sind glaubhafter gebräunt als zu Hause, sie fühlen sich bedeutsamer – über Kunden konnte ich mich also nicht beklagen.

Die eigentliche Arbeit war aber nicht das Fotografieren, sondern die Nachbearbeitung am Computer. Das gehörte zu jedem Auftrag dazu. Stillschweigend machte ich Tränensäcke und Krähenfüße weg. Ich entfernte Leberflecke, Stirnrunzeln, zusammengewachsene Augenbrauen, schiefe Nasenscheidewände. Ich beseitigte Herpesbläschen, Mitesser, Aknenarben, Nasenbehaarung, Doppelkinne, Ringe am Hals. Ich korrigierte den Haaransatz, die Position der Ohren, Fettpölsterchen unter den Augen, aufgeworfene oder verhärmte Lippen, eingefallene oder aufgedunsene Wangen. Vor allem löschte ich Spuren schlechter kosmetischer Operationen aus: aufgespritzte Lippen, die an den Rändern ausfransten, Liftings, so straff wie Frischhaltefolie, Nasenkorrekturen, die offenbar nach den Richtlinien der Aktion Ahnenerbe vorgenommen wurden. Ich war der beste Schönheitschirurg, den sich diese Leute wünschen konnten. Natürlich habe ich ihnen nicht das Geringste von meinen kleinen, insgesamt aber recht umfangreichen Eingriffen erzählt. Und da sie auf meinen Bilddateien endlich so aussahen, wie sie aussehen wollten, schrieben sie es meinen fotografischen Fähigkeiten zu, sie richtig ins Bild zu setzen. Der Fotografie haftet nach wie vor etwas Magisches an. Wenn man jemandem das eigene Abbild zeigt, ist das ein Akt der Enthüllung, wie Kartenlegen oder Aus-der-Hand-Lesen. Mit ein wenig Übung kennt man die verborgenen Wünsche der Menschen. Erfüllt man sie, glauben sie einem alles.

So ging das ein paar Wochen. Ich mailte die Bilddateien an ein Studio in Mailand. Am nächsten Tag waren die Abzüge da, und ich kassierte ab. Es war gutes, leicht verdientes Geld. Aber richtig reich wird man damit nicht. Irgendwann will ich damit anfangen, für ein Häuschen zu sparen, in dem ich gemeinsam mit Phil leben kann. Häuschen, ganz richtig. Nicht in Frankfurt, ich bin ja nicht verrückt, sondern außerhalb, vielleicht im Taunus oder im Rheingau, vielleicht auch gar nicht in Deutschland, sondern irgendwo im Süden, an der Amalfiküste oder in der Provence, meine Bedürfnisse sind da ziemlich konventionell. Jedenfalls an einem Ort, wo wir uns möglichst wenig Sorgen zu machen brauchen, wo wir in Ruhe herausfinden können, was wir einander bedeuten, wo Phil in den Semesterferien vorbeischauen kann, wenn sie mal studiert oder wenn sie Sehnsucht nach ihrem treulosen, ohne viel Würde gealterten Papa hat. Ein Ort, wo unser bisheriges Leben nur das Rauschen von Platanenblättern im Wind ist. So stelle ich mir das vor, Glück ist so was wie Wind. Und eine genaue Vorstellung davon ist allemal besser als das, was man gemeinhin für Realität hält. Wenn Phil den Kopf zu mir dreht, will ich, dass sie schon vorher weiß, dass ich da sitze und sie seit einer Ewigkeit betrachte. Ich will, dass sie die Laken wiedererkennt, mit der ich ihr Gästebett beziehe. Ich will sehen, wie sie ihren Rucksack in die Ecke schmeißt und kommentarlos auf ihr Zimmer geht, als würden wir jeden verdammten Tag miteinander teilen.

Meine Fotografie, denke ich, bringt mich da nicht so schnell hin. Und Drogen in großem Stil verkaufen ist auch nichts für mich. Da kenne ich mich nicht gut genug aus. Ich war schon kurz davor, mich mit den Anfordernissen des gehobenen Autoklaus vertraut zu machen – am Comer See fahren jede Menge einladender Karren herum – als ich eine dieser Indiohaut-Schnepfen vor dem besagten Empire-Spiegel fotografierte. Das war dann mein Simeon-Erlebnis.

Spaßeshalber schnitt ich am Computer mal den ganzen Kopf aus, symbolische Enthauptung, um meinen unterschwelligen Aggressionen Raum zu geben. Zurück blieb der Spiegel, ein wenig von der Seite aufgenommen, damit ich nicht selber mit der Kamera zu sehen war. Kurz davor hatte ich im Internet auf ein Stativ geboten, weil mein altes wie ein Ostblock-Relikt wirkte. Ich klickte »Antiquitäten« an und wäre fast vom Stuhl gefallen, als ich die Preise sah.

Und jetzt versteigere ich das ganze Hotel. Seine Einrichtung, um genau zu sein.

Probeweise erwarb ich bei einem Händler in Bellagio ein Biedermeier-Beistelltischchen und vertickte es ganz legal im Netz. Das lief wie geschmiert. Als der Scheck da war, hab ich das Ding komplett mit Gutachten, das schon dabei war, ordentlich eingepackt und von UPS abholen lassen. Der Mann, der das Tischchen ersteigert hat, schrieb eine anerkennende Mail über die glatte Abwicklung und den guten Zustand der Ware. Wir hatten beide, was wir wollten. Internet macht in Windeseile glücklich.

Dann fing ich an, mir ein virtuelles Lager anzulegen. Ich fotografierte alles, was sich ohne große Umstände zu Geld machen lässt. Kommoden, Anrichten, Truhen, Buffets, Schränke, Sekretäre, Sessel, Sofas, Polsterbänke, Spieltische, Teetische, Nachttische, sogar den Klavierhocker aus der Piano-Bar. Ich spezialisierte mich auf Mobiliar. Das wirkt ehrlicher und solider als Kleinkram wie Uhren oder Kerzenständer. Außerdem war daran einfach ranzukommen. Die Gänge und Lobbys des Delle Alpi sind mit dem Zeug vollgestellt.

Vor einer knappen Woche habe ich den Krempel in einem Internet-Auktionshaus zum Verkauf angeboten, zu lachhaften Mindestgeboten, das zieht die Bieter an wie ein Stück Fliegenpapier. Damit die Sache solide wirkt, habe ich mein Verkäuferprofil mit einem simplen Hackertrick gefälscht, der in einer Computerzeitschrift abgedruckt war. Jetzt erscheint neben meinem Aliasnamen eine Bewertung über 1780 einwandfrei abgelaufene Transaktionen. Morgen laufen die Versteigerungen aus. Dann dauert es noch ein paar Tage, bis ich die Schecks zugeschickt bekomme, adressiert an ein Postfach in Como. Ich werde sie in verschiedenen Banken einlösen, von denen es rund um den See Dutzende gibt. Dann steige ich in meinen Jag, winke zum Abschied und bin eins-zwei-drei weg. Ein guter Plan. Bin richtig stolz drauf.

Und da so etwas allein nicht den geringsten Spaß macht und ich meinem toten Freund Gwizdek noch etwas schuldig bin, ziehe ich dieses Ding mit einer Partnerin durch: Gwizdeks Tochter. Ihr Name ist Zyna, mit weichem sch, von Grazyna. Die Italiener sagen einfach Gina zu ihr. Sie ist nicht gerade pflegeleicht, aber nützlicher, als ich anfangs dachte. Unter anderem hatte sie den Einfall, ein Zimmer in Chiasso anzumieten für den Fall, dass einer der Käufer unsere Adresse und Telefonnummer wissen will, bevor er seinen Scheck auf die Reise schickt. Chiasso ist ein Städtchen im Tessin – die Schweizer Grenze verläuft in Spuckweite des Delle Alpi.

In dem Zimmer steht nur ein Anrufbeantworter. Er leitet alle eingehenden Telefonate auf mein Handy um, das ich unter falschem Namen gekauft habe und nach Gebrauch entsorgen werde. Wenn wir die Schecks erst einmal haben, wird die Polizei in Chiasso nicht mehr das Geringste finden, was auf Zyna oder mich hindeutet. Es hört sich reibungslos an, und das ist es auch.

Als ich an einer Biedermeier-Vitrine vorbeikomme, für die das aktuelle Gebot gerade bei 2080 Euro steht, bleibe ich wie angewurzelt stehen.

»Sie interessieren sich für Antiquitäten?«, fragt eine Stimme auf Deutsch. Mit hessischem Akzent. Es gab eine Zeit, als ich das amüsant fand.

Ich drehe mich um. Kurzes schwarzes Haar, südländischer Teint, verbindliches Lächeln. Unwillkürlich zuckt meine Hand nach hinten. Dort steckte vor ein paar Wochen noch die Beretta, bevor ich die Waffe in dem Schließfach eines Turiner Bankhauses verschwinden ließ. Sagte ich schon, dass meine Gewaltbereitschaft in den letzten Monaten zugenommen hat? Muss an den Verletzungen liegen, die ich nach und nach erlitten habe. Da fallen die Hemmungen ab, wie abgeheilter Schorf, der aufgehört hat zu jucken. Eine unverfängliche, kleine Gaunerei ist da eher ein Rückschritt.

»Ein wunderbares Stück, finden Sie nicht?«

Der Mann tritt neben die Vitrine wie ein Verkäufer, der seine Ware anpreist. Er ist um die dreißig, sieht sehr gepflegt aus, als hätte er jede seiner Bartstoppeln einzeln abrasiert und würde seine Haut pfundweise mit revitalisierender Creme behandeln. Ein Gesicht wie ein High-End-Scan: hohe Auflösung, harmonisch aufeinander abgestimmte Tonwerte, sparsame Kontraste. Die Augen wirken so, als seien sie es gewohnt, zweimal hinzuschauen, um nichts zu übersehen. Jetzt blicken sie mich erwartungsvoll an. Sie suchen nach einer Reaktion.

Außer uns beiden befindet sich niemand in der Nähe. Man macht einen schweren Fehler, wenn man denkt, man könne mit der Vergangenheit abschließen. Irgendwann steht sie auf dem Gang eines Hotels vor einem und fängt ein Gespräch an.

»Frühes Biedermeier«, sage ich, um nicht unfreundlich zu wirken. Warum sollte es einer von Erdems Leuten sein? Erdem ist tot. Zumindest war er das fast, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe. Mit einem Holzsplitter im Bauch, der Professor Van Helsing alle Ehre gemacht hätte, lebt es sich nicht mehr lange.

»Mögen Sie alte Gegenstände?«, frage ich.

»Kommt auf das Ambiente an. Hier passen sie hin.«

Oder gehört er zu Ferro? Aber wie hätte der mich aufspüren können? Der falsche Reisepass, den mir Lidia über Attac besorgt hat, ist noch besser als mein eigener. Gab nicht die geringsten Probleme an der Rezeption – was im Delle Alpi ohnehin unwahrscheinlich ist. Da gibt es überhaupt keine Probleme. Irgendwann haben sie dieses unangenehme Wort einfach aus ihrem Vokabular gestrichen, hauseigene Sprachregelung, so ähnlich wie im Pentagon, da denkt man auch nicht negativ. Also komm wieder runter, Viktor. Claudio Ferro hätte viel mehr Anlass, eine nette kleine Paranoia zu entwickeln, als ich.

»Biedermeier«, wiederholt er und betrachtet die Vitrine. »Sie kennen sich aus, wie?«

»Ein bisschen.«

Na ja, ich habe für die Auktionen ein wenig Kunstgeschichte gepaukt. Nichts überzeugt die Leute mehr als Fachvokabular. Wenn man ihnen dann noch als Dreingabe eine Geschichte vorsetzt, etwa, dass diese Vitrine früher im Besitz von Caruso oder irgendeinem anderen Vintage-Prominenten war, der sich nicht mehr wehren kann, können sie ihren Dinner-Gästen etwas Interessantes erzählen.

Wenn ich nicht aufpasse, wird aus mir noch ein Verkäufer.

»Auf wie viel schätzen Sie die Vitrine?«

Ich wäge kurz ab. »Mehr als tausend Euro würde ich dafür nicht hinlegen.« Tausend Euro. Den Scherz kann ich mir nicht verkneifen.

Überrascht zieht er die Augenbrauen hoch. »Wirklich? Ich hätte sie höher angesetzt. Aber bei Antiquitäten ist das so schwer zu sagen.« Er macht eine Pause und streicht über sein Olivenholzkinn. »Wissen Sie, ich frage nicht ohne Grund. Ich bin gerade dabei, ein ähnliches Stück zu erwerben. Kein Biedermeier, etwas opulenter.«

»Was Sie nicht sagen.«

»Es ist ein interessantes Angebot. Leider habe ich in dieser Beziehung nicht die geringste Erfahrung. Ich brauche den Rat eines Experten. Ob Sie mir beim Frühstück wohl Gesellschaft leisten würden? Dann lege ich Ihnen die Angelegenheit genauer dar.«

Sorgfältige Wortwahl, vernünftige Sätze. So wirkt man glaubwürdig. »Ich denke kaum, dass ich Ihnen behilflich sein kann«, antworte ich. »Als Experten würde ich mich nicht gerade bezeichnen.«

»Ich wäre schon für eine zweite Meinung dankbar«, beharrt er. »Sonst weiß man gar nicht, wo man steht. Entschuldigen Sie, ich habe mich nicht vorgestellt. Mein Name ist Savvidis.«

Ich nenne meinen neuen Namen und ergreife automatisch die Hand, die er mir hinstreckt. Ein höflicher Mann, das muss man sagen.

»Woher wussten Sie, dass ich Deutscher bin?«, frage ich.

»Dafür habe ich einen Blick«, sagt er mit einem wissenden Lächeln.

Was soll denn das heißen? Da bemüht man sich um ein internationales Money-can-buy-anything-Auftreten, und dann so was. Andererseits halten sich momentan überraschend viele Deutsche im Delle Alpi auf. Die oberitalienischen Seen stehen derzeit wieder hoch im Kurs, europäische Luxustradition, in ein paar Stunden ist man da, Berge und Wasser, das bedeutet schon seit der Steinzeit Schutz und Ressourcen. In einem dieser feudalen Kästen irgendwo in Hinterasien muss ein Delle Alpi-Gast inzwischen ja Angst haben, dass ein aufgebrachter Mob daherkommt und ihm die Bude über dem Kopf anzündet.

»Tut mir Leid«, sage ich. »Aber ich bin gerade auf dem Weg ins Health-Center.«

Savvidis runzelt die Stirn.

»Massage«, setze ich hinzu. »Kann ich übrigens sehr empfehlen. Die Damen sind hervorragend geschult.«

»Vielleicht sehen wir uns trotzdem noch«, sagt er langsam und lässt seinen Blick den Gang entlang wandern. «Ich lasse mir immer viel Zeit. Bei allem, was ich tue.« Für einen Moment scheint er woanders zu sein. Er spielt irgendein fernes Ereignis in Gedanken durch, wobei sich sein Unterkiefer vorschiebt und ihm etwas Strenges, über die Maßen Kontrolliertes verleiht. Dann schaut er mir wieder in die Augen. »Falls Sie nach Ihrer Massage Lust auf eine kleine Unterhaltung haben – Sie finden mich auf der Veranda.«

»Mal sehen«, erwidere ich und setze mich in Bewegung.

Er geht neben mir her. Natürlich hat er den gleichen Weg wie ich. Wenn man Hotelbekanntschaften schließt, fühlt man sich wie unter Flugzeugpassagieren: Man ist eine Zeit lang ziemlich dicht beisammen, atmet dieselbe Luft, isst dieselben Speisen, schikaniert dasselbe Personal und teilt bei jeder Turbulenz ähnliche Hoffnungen und Ängste – und sowie man das Flugzeug mit einem erleichterten »Bye« verlässt, ist die alte Anonymität wiederhergestellt.

»Haben Sie sich verletzt?«, fragt er und deutet auf mein Bein.

Wir sind am Lift angelangt. Er drückt einen Messingknopf, der die profane Technik kaschieren soll. Diskrete Aufzuggeräusche. Kein Rumpeln oder Ächzen oder so etwas, nichts, was auf das wahre Alter des Gebäudes schließen ließe. Eines dieser unsichtbaren Dinge, die den Laden hier richtig teuer machen.

»Nicht der Rede wert.« Ich strecke mein Bein aus, demonstriere seine fast wieder vollständige Funktionsfähigkeit. »Verkehrsunfall. Ein Missgeschick.«

Das Reißen im Lenkrad, als einer der Leibwächter den Vorderreifen trifft. Ich lasse die Beretta fallen, benötige beide Hände, um den Wagen auf der Straße zu halten. A s den Augenwinkeln sehe ich, dass Ferro von den Körpern seiner Bodyguards abgeschirmt wird. Glassplitter regnen auf mein Gesicht. Ich habe ihn verfehlt.

»Selbst verschuldet?«, fragt Savvidis. Wir betreten den Lift. Die Tür schließt sich.

»Wie man’s nimmt.« Ich betrachte die Maserung der Holzpaneele. Gezackte Linien, wie Ausschläge auf einem Seismographen. Der Aufzug fährt los. Das Gefühl, in Morast zu treten.

Der Hinterreifen verabschiedet sich. Ich drücke das Gaspedal voll durch, entferne mich von dem Knäuel aus Anzügen, Pistolen und Sonnenbrillen. Tunk-tunk-tunk trommeln die zerfetzten Reifen gegen die Radkästen. Das Geräusch wird nur noch von dem irren Gebell von Ferros Schäferhund übertönt. In der nächsten Kurve bricht der Wagen aus und prallt gegen einen Müllcontainer. Mein Körper macht sich selbstständig, wird herumgeschleudert wie ein nasser Lappen. Nach einer Weile kommt er zur Ruhe. Ich richte mich auf, setze den Wagen zurück. Beim Kuppeln bemerke ich den Schmerz. Jemand treibt lange Nägel in mein Schienbein.

Savvidis sagt etwas. Ich kann es nicht verstehen, es dringt nur gedämpft an mein Ohr. Dann verlässt er die Kabine. Ein Schritt, zwei Schritte. Verlangsamt dreht er sich um. Sein Blick fällt an mir herab. Er formt Worte.

»Geben Sie auf sich Acht.«

Die Tür gleitet wieder an ihren Platz. Ich kippe nach vorn, stütze mich ab. Mit gesenktem Kopf lehne ich an dem polierten Holz.

Der Rückspiegel zeigt einen der schwarz gekleideten Leibwächter. Er kommt mit erhobener Waffe näher. Der Fuß an meinem kaputten Bein rutscht vom Pedal. Ich zerre es weg, kuppele mit dem anderen Bein, lege den ersten Gang ein, hieve das kaputte Bein wieder in Position, beiße ins Lenkrad, versuche das Bein ausgestreckt zu halten, obwohl mir dabei schwarz vor Augen wird. Dann gehe ich wieder aufs Gas. Der Wagen macht einen Ruck, als müsse er ein tonnenschweres Gewicht vom Fleck bewegen. Die Reifen beginnen sich zu drehen. Eine Rotation, dann noch eine. Langsam gewinnt der Wagen an Fahrt. Das kaputte Bein fällt nutzlos zur Seite.

Kapitel 2

Mein Kinn ruht in einer dafür vorgesehenen Kuhle. Ich strecke meinen Körper aus, schließe die Augen. Warte, bis vertraute Hände meinen Rücken berühren.

Phil fehlt mir. Sie ist der einzige Mensch, zu dem ich so etwas wie eine Beziehung habe. Alle anderen zählen nicht, flüchtige Bekanntschaften, die ich nach ein paar Wochen, vielleicht auch nach ein paar Jahren aus den Augen verliere. Leute sind wie Kleidungsstücke: Wenn mir überhaupt mal eines passt, hält es ein, zwei Saisons. Dann gebe ich es in die Altkleidersammlung, weil ich es einfach nicht mehr sehen kann. Oder weil es eingelaufen oder eine Naht aufgegangen ist. Oder weil mir neue Sachen besser gefallen. Mit den wenigen Klamotten, die ich über einen längeren Zeitraum behalte, einer bequemen Lederjacke zum Beispiel oder einem flauschigen Schal, traue ich mich irgendwann nicht mehr rumzulaufen. Ich lasse sie im Schrank hängen und vergesse sie, schaue sie nie wieder an. Nicht einmal, wenn wieder mal eine Retro-Welle ins Land geht. Auf den ersten Blick mag der Retro-Look zwar so aussehen wie die alten Teile. Aber entscheidende Details weichen voneinander ab: Der Schnitt ist ein wenig enger oder weiter, kürzer oder länger, die Farben sind blasser oder kräftiger. So ganz haut das nie hin. Deshalb lasse ich’s lieber bleiben und kaufe mir was Neues. Etwas, das noch keinen Geruch angenommen hat oder durchgescheuerte Stellen aufweist, in dem keine Werbekugelschreiber oder Streichholzbriefchen stecken. Das mir nicht zur Gewohnheit geworden ist und sich so anfühlt, als sei ich irgendwann mal reingewachsen. Das mir gleich wie angegossen passt.

Phil ist kein Kleidungsstück. Sie ist die Haut, durch die ich atme. Auch, wenn sie weit weg ist.

Die Tür des Behandlungszimmers öffnet sich. Ich behalte den Kopf unten, höre jemanden an die Pritsche treten. Ein paar Tropfen Öl auf meiner Haut. Fingerspitzen, die das Öl gleichmäßig verteilen. Der Geruch von Orangen. Synthetische Aromastoffe, frischer und nicht so süßlich wie echte Orangen. Ein Feuerzeug wird entzündet. Das hohle Ploppen einer Flamme, wie bei einem Gasherd. Es riecht nach Brennspiritus.

Zyna setzt den Schröpfkopf auf. Ich spüre, wie sich ein kreisrundes Stück Haut an meinem Rücken nach außen wölbt.

»Okay so?«, fragt sie. »Nicht zu fest?«

»Genau richtig.« In Wahrheit sitzt der Schröpfkopf eine Idee zu stramm. Aber ich mag das so.

Sie beginnt, den Glaskolben hin und her zu bewegen. Seine wulstigen Ränder hubbeln über meine Schultern, arbeiten sich durch das Gewebe, aktivieren die Tiefenmuskulatur. Bei einer Schröpfmassage geht das gezielter als mit bloßen Händen. Außerdem erzeugt das Vakuum in dem Glaskolben einen Zug – im Gegensatz zu dem Druck, den Finger ausüben.

Zyna führt den Schröpfkopf an meiner Wirbelsäule entlang. Falls es da Verspannungen gibt, poppen sie gerade auf wie die gotischen Pfeileraufsätze auf dem Mailänder Dom – und ich nehme an, dass mein Rücken nur noch aus Verspannungen besteht. Die Arbeit am Laptop hat ihm wahrscheinlich den Rest gegeben. Zu einer guten Körperhaltung gehört eben auch eine vernünftige Massage.

Der Schröpfkopf gibt ein ordinäres Geräusch von sich, als Zyna ihn entfernt. Sie hantiert mit Feuerzeug und Spiritus und setzt ihn wieder auf, direkt über meinem Steißbein, wo er an irgendwelchen Meridianen nuckelt. Wenn Zyna mir das Rückenmark betäuben und es dann mit einem Strohhalm aussaugen würde, fühlte es sich vermutlich ähnlich an. Und ich hätte nicht mal was dagegen. Bestimmt würde sie behutsam vorgehen.

»Bei wie viel sind wir jetzt?«

Sie lässt den Schröpfkopf los. Das Ding bleibt ein Stück über meinem Hintern stehen und knabbert an den Härchen, die dort zu meinem Leidwesen wachsen. Zyna legt eine Handfläche auf meine Wirbelsäule. Sie sucht einen bestimmten Punkt.

»Über zweihunderttausend«, antworte ich. »Aber das ist erst …«

Ein Knacken wie im Regenwald. Da, wo diese Baumriesen herumstehen und hin und wieder ein Ast vom Gewicht eines Kleinwagens abbricht. Ich will meinen Satz beenden, aber dafür brauchte ich ein paar Kubikzentimeter Luft in meinen Lungen. Sie sind so leer, als hätte jemand einen Bulldozer darauf abgestellt.

Zyna verändert ihre Stellung und stemmt sich erneut mit ihrem ganzen Gewicht auf das, was bis vor kurzem noch mein Rücken gewesen ist. Dabei macht sie mit der Handfläche eine Schraubbewegung, als wolle sie etwas durch meine Wirbelsäule hindurch in den Boden treiben. Es fühlt sich mörderisch an, dabei ist sie ganz leicht. Ich glaube nicht, dass sie mehr als fünfzig Kilo auf die Waage bringt, eine Miniaturperson, wenn man es aus der Sicht ihres Vaters Gwizdek betrachtet. Zusammen wögen wir wahrscheinlich genau so viel wie er. Eines der Dinge, die wir nicht überprüfen können, da er in Livorno erschossen wurde.

»Klingt nicht schlecht«, sagt sie und wuchtet einen weiteren Wirbel an seinen Platz.

Ich gebe ein heiseres Krächzen von mir, zu schwach, um so etwas Abwegiges wie Protest zu äußern. Völlig zermatscht erwarte ich den Killergriff. Aber Zyna ist fertig mit dem harten Teil der Nummer. Sie macht mit dem Schröpfkopf weiter, der sich wie ein Wackel-Elvis festgesaugt hat, so gut gefällt es ihm an der dreieckigen Stelle, wo die Pofalte beginnt. An guten Tagen lasse ich mich davon erregen.

Nach einer Weile benutzt Zyna die Hände und knetet meine Schultern und Oberarme durch. Bei dem derzeitigen Wellness-Boom sind gut ausgebildete Fachkräfte rar. Das Delle Alpi nahm sie mit Kusshand, als sie sich vor ein paar Wochen vorgestellt hat. Für unser Geschäft ist das überaus nützlich. Zyna kommt an einige Schlüssel ran, verschafft uns Zugang zu Bereichen des Hotels, in die ich als Gast nicht gelange. Dadurch konnten wir unser virtuelles Lager erheblich erweitern.

Auf ihre Anweisung hin drehe ich mich um und lege mich auf den Rücken. Zyna schiebt eine gepolsterte Rolle unter meine Kniekehlen. Sie setzt die Behandlung mit krankengymnastischen Übungen fort, biegt an meinen Beinen herum, als seien sie aus Knetmasse. Ihre Ausbildung hat sie in Deutschland gemacht, bevor sie sich an der Universität in Warschau für irgendeinen Medienstudiengang einschrieb. Sie hat all das, wovon ich in ihrem Alter geträumt habe: Entschlusskraft, Kompromisslosigkeit und eine Kälte, die auf mich menschlicher wirkt als dieses eintätowierte Körperlächeln, das ich überall sehe. Die Gewissheit, dass sie immer einen Schritt weiter gehen würde, als ich es wage. Immer, wenn sie mich zu sehr an meine Tochter erinnert, kneife ich ihr in den Po.

»Morgen also«, sage ich.

Sie klemmt eine blonde Strähne hinter ihr Ohr. »Ich kann’s kaum erwarten. Die Leute behandeln mich hier wie den letzten Dreck. Lange mach ich das nicht mehr mit.«

»Verlier jetzt nicht die Nerven«, beruhige ich sie. »Dafür bin normalerweise ich zuständig.«

»Anspannen!«, kommandiert sie.

Ich stemme meinen linken Fuß gegen ihre Bauchdecke. Der Oberschenkelmuskel zieht sich zusammen. Sie hält dagegen. Es kommt mir vor, als träte ich gegen einen Stahlträger.

»Und aus!«

Ich lasse das Bein wieder auf die Polsterrolle sinken.

»Dem Nächsten, der so tut, als wäre ich Luft, brech ich einen Arm. Mindestens.«

»Sachte, Zyna. Stell dir einfach vor, dass deine Patienten zu unseren Bietern gehören. Die kriegen schon, was sie verdienen.« Ich versuche ein aufmunterndes Lächeln. »Nämlich: niente.«

»Was juckt die das schon, ob sie ein paar tausend Euro weniger auf dem Konto haben?«

»Darum geht’s nicht. Es ist die Erniedrigung, betrogen zu werden. Das bohrt sich denen ins Fleisch. Es setzt sich richtig, tief rein, ganz egal, wie viel Geld sie haben. Deswegen sind sie ja reich: weil sie sich nicht betrügen lassen. Wenn man sie dann trotzdem über den Tisch zieht, verstößt das gegen ihr Lebensprinzip. Das ist wie eine persönliche Beleidigung, ein Schlag ins Gesicht.«

Wir wiederholen die Übung. Bei diesem Beuge- und Streck-Pillepalle kommen mir schon Zweifel, ob es was bringt. Ist das ihr Ernst? Aber Zyna ist hier unten der Chef, daran will ich nicht rütteln.

»Weißt du, in Japan massieren sie Kühe mit Bier, damit das Fleisch schön zart bleibt. Geschlachtet werden sie trotzdem.«

»Diese Körper«, fährt sie fort, ohne auf meine Bemerkung einzugehen, »je perfekter sie sind, desto mehr kotzt es mich an, sie zu behandeln. Die brauchen alle jemanden, vor dem sie sich in Pose werfen können. Einen, der ihnen dann den Arsch streichelt und am besten noch die Eier krault und ihnen sagt, was für einen phantastischen Body sie haben. Und wenn sie einen Teil davon kriegen, denn ein bisschen Mitleid hab ich ja schon mit diesen Gestalten – meinst du, einer von denen würde sich anständig bedanken? Von wegen! Trinkgeld und Ende. Ich hab’s satt!«

»Wo liegt dein Problem?«, frage ich. »Ich finde, das gehört zu deinem Job. So lange du denen keinen runterholen musst.«

»Hast du eine Vorstellung davon, was ich hier für Angebote kriege?«

Ich ziehe mein Bein zurück, bevor sie es mir aus Versehen abreißt. »Zeigt das nicht, dass du gute Arbeit leistest?«

»Frauen sind am schlimmsten«, sagt sie und holt ein Handtuch aus einem Regal.

»Warum?«, wundere ich mich, während sie meinen Rücken frottiert, als wolle sie keinen Fetzen Haut dranlassen. »Ich meine, du siehst nicht gerade aus wie die Inkarnation einer Lesbenphantasie«, füge ich hinzu. Na ja, es hängt wohl davon ab, von welcher Perspektive man es betrachtet. Ich dachte immer, dass zierliche kleine Polinnen mit einer Gwyneth-Paltrow-Frisur eher Windsurfer mit Holzperlenketten und Glücksarmbändern anziehen.

»Was weißt du schon!«

»Okay, du hast Recht. Also warum Frauen?«

»Die lassen nicht locker. Wenn du einem von diesen Mackern, die ganz besoffen von ihren Bauchmuskeln sind, wenn du denen sagst: ›Kein Interesse‹ dann war’s das. Sie haken es ab und lassen dich in Ruhe. Aber diese stinkreichen Tussis bringt so eine Massage richtig auf Touren. Vor allem, wenn ich mit Ayurveda arbeite, die sanfte Nummer, du verstehst? Dann merke ich sofort, ob’s denen kommt. Und es kommt ihnen, darauf kannst du dich verlassen.«

»Warum erzählst du mir das?«, frage ich.

»Weil mir sonst keiner zuhört.«

»Du übertreibst.«

Ich beginne mich anzuziehen. Aus Höflichkeit drehe ich mich halb von ihr weg, obwohl ich meinen Slip anbehalten habe und diesmal keine Erektion verbergen muss – im Gegensatz zu unserer ersten Massage, als sie nach einem erfahrenen Blick sagte: »Tut das eigentlich weh?« Seither muss ich sie bremsen, wenn ihre Finger auf Wanderschaft gehen. Unser Verhältnis ist etwas komplex.

»Und sie wollen mehr«, fährt Zyna fort. »Erst machen sie mir Komplimente. Dass ich wundervolle Hände hätte. Dass sie noch nie auf diese Weise angefasst worden seien. Wo ich das gelernt hätte und so. Dann beginnen sie, mit Anweisungen zu geben, meine Finger zu dirigieren. Wenn du dich weigerst, legen sie es als Verklemmtheit aus. Die denken, dass sie sich im Urlaub alles erlauben können.«

»Neigst du nicht etwas zur Verallgemeinerung?«, wende ich ein. »Ich meine, du wirst doch sicher nicht dauernd angemacht. Die Leute hier wirken nicht gerade so, als triefe ihnen die Sexsucht aus allen Poren.«

»Hast du eine Ahnung davon, was mir die Zimmermädchen erzählen? Wie viele Typen nur darauf warten, auf ihrem Bett zufällig beim Wichsen erwischt zu werden? Manchmal verstecken sie sich im Badezimmer und kommen mit einer Latte raus, während die Mädchen gerade die Laken wechseln. Oder sie bleiben in der Wanne liegen, lassen ihr rotes Ding aus dem Wasser schauen und grinsen dämlich, wenn jemand reinkommt, um den Boden zu schrubben. Von den unappetitlichen Sachen mal abgesehen.« Sie hält sich symbolisch den Finger in den Mund.

»Dann schmeiß doch den Job! Unser Internet-Angebot steht. Wir haben schon eine hübsche Sammlung beieinander. Und bald ist Zahltag. Miete dich in irgendeiner kleinen Pension ein, mach dir ein paar schöne Tage am See. Wenn es in ein paar Tagen so weit ist, hole ich dich ab.«

Sie ersetzt das Handtuch, auf dem ich gelegen habe, durch ein frisches, stellt Flaschen und Flakons an ihren Platz. Dann säubert sie ihre Hände. Methodisch bereitet sie alles für die nächste Behandlung vor. Ich merke, wie es in ihr arbeitet. Nach einer Weile schaut sie mich von der Seite an.

»Bist du sicher? Dass du mich abholen wirst, meine ich.«

Sie besprüht die Kuhle, auf der ich mein Kinn aufgestützt habe, mit Reinigungsmittel und wischt sie ab. Ein scharfer

Geruch verbreitet sich in dem Raum, der im Stil einer römischen Kaisertherme gestaltet ist: Fresken, wohin man schaut, und so viel Bronzebeschläge, dass das Material für die Medaillen einer ganzen Olympiade reichen würde.

»Oder wirst du mich einfach vergessen« – ein nachsichtiges Lächeln, als hätte sie schon seit längerem damit gerechnet -, »wenn du die Schecks abgeholt hast?«

»Bist du verrückt? Wofür hältst du mich?«

Ich schlüpfe in mein Jackett. Jetzt ist es also raus. Hab das schon kommen sehen. Zyna war von Anfang an misstrauisch. Zuerst wollte sie nicht glauben, dass die Masche mit den Online-Versteigerungen funktioniert. Und dann hat sie mir bei allem auf die Finger geschaut. Würde mich nicht wundern, wenn sie sich jedes einzelne Möbelstück notiert hat und hin und wieder selber ins Netz geht, um die Gebote zu kontrollieren.

»Du bist ein Betrüger«, sagt sie.

»Langsam! Ich habe …«

»Das meine ich gar nicht abwertend. Dafür, dass es dein erstes derartiges Geschäft ist, stellst du dich ganz vernünftig an.«

»Nett von dir.«

»Und genau deshalb trau ich dir nicht über den Weg.« Sie hebt die Hand, als ich etwas erwidern will. »Ganz egal, wie dick du mit meinem Vater gewesen bist. Bei mir zieht das nicht.«

Allmählich wird mir das zu viel. »Ich glaube, du flippst hier unten langsam aus. Wenn ich das richtig sehe, habe ich dich ins Boot geholt. Hättest ja in Polen bleiben können, dann würde ich das jetzt alleine deichseln.«

»Du hast mich um meine Hilfe gebeten.«

»Als wir uns in Frankfurt getroffen haben, hast du gesagt, du brauchst Ablenkung, einen Tapetenwechsel. Und Geld.«

»Braucht das nicht jeder?«

Ich drehe die Äugen zur Decke. »Was kann ich denn tun, damit du mir vertraust?«

»Nichts. Deswegen bleibe ich besser, wo ich bin. Vielleicht lasse ich mir’s von einem der alten Säcke machen. Die sind sicher ganz glücklich, wenn ich ihre schlaffen Schwänze mal ein bisschen kräftiger anpacke.«

»Okay«, gebe ich auf. »Hat keinen Zweck, mit dir zu reden, wenn du so drauf bist.«

»Mein Vater hat dir vertraut. Und jetzt ist er tot.«

»Dein Vater«, fange ich an und bin kurz davor, richtig laut zu werden. Mit etwas Überwindung schlucke ich meinen Frust runter. »Dein Vater«, fahre ich etwas ruhiger fort, »hat uns freiwillig geholfen. Das haben wir schon hundertmal durchdiskutiert, aber anscheinend geht das nicht in deinen verdammten Schädel.«

»Du kannst eine Menge behaupten. Mein Vater hätte sich niemals in unnötige Gefahr begeben.«

»Außerdem drehst du immer alles ins Gegenteil. Ich habe Gwizdek vertraut, wir alle haben ihm vertraut, nicht umgekehrt. Wenn er sich uns nicht angeschlossen hätte, stände ich jetzt nicht vor dir. Wahrscheinlich wären wir alle draufgegangen.«

»Deine Tochter hat euch doch erst in die Scheiße reingeritten.« Sie dreht sich weg und tritt gegen eine Bauernkommode, toskanischer Landhausstil. Gefällt mir auch nicht besonders, steht aber derzeit bei fünfhundert Euro.

»Warum war sie nur so bescheuert, zu diesem …, wie hieß er noch gleich, zu diesem Türkendealer ins Hotel zu gehen!«

»Erdem«, ergänze ich bitter, ich weiß, was jetzt kommt.

Hab’s mir schon oft genug anhören müssen.

»Warum hat sie sich überhaupt mit dem eingelassen? Warum hat sie stattdessen nicht ihren Itaker-Freund in den Wind geschossen? Der muss ja noch dämlicher als sie gewesen sein. Killt Erdems Bruder. Was für ein Schwachkopf! So einer hat’s nicht besser verdient.«

Ich habe ihr verschwiegen, dass Musti nicht von Tony, sondern von meiner Tochter umgebracht wurde. Zyna muss ja nicht alles wissen. Und Tony ist sowieso tot. Den juckt’s nicht mehr, ob man ihm einen Mord anhängt.

»Keine Ahnung, was mein Vater an deiner kleinen Schnalle gefunden hat. Von so was lässt man doch die Finger, wenn man nicht …«

»Das reicht«, unterbreche ich sie.

»Ich hab noch gar nicht angefangen.«

»Wir sehen uns morgen um zwölf auf meinem Zimmer. Wenn du denkst, dass ich über Nacht verschwinde, kannst du ja vor meiner Tür schlafen.«

»Ha-ha. Falls du abhaust, bin ich die Erste, die eine Mail an dieses Auktionshaus schickt. Und an die Bullen gleich mit, darauf kannst du dich verlassen.«

Ich zucke mit den Schultern und öffne die Tür. »Was soll mit so einer Partnerin noch schief gehen?«

»Noch eine blöde Bemerkung, und ich schlafe bei dir. Dann kriegst du eine Massage, die du so schnell nicht vergisst.«

Ich weiß, dass sie das ernst meint. Aber ich hab noch meine sieben Zwetschgen beisammen. Außerdem ist sie gerade mal zwanzig, drei Jahre älter als Phil.

»Wem willst du damit drohen? Mir oder dem Geist von Erdem? Der kommt nämlich jede Nacht und besorgt’s mir mit ’nem Holzpflock.« Ich mache ein Buuh-Geräusch wie in einem alten Gruselfilm.

Sie kichert und stößt mich spielerisch weg. Ich drehe mich von ihr weg und verlasse den Massageraum.