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Jochen Gartz

Vom griechischen Feuer
zum Dynamit

Eine Kulturgeschichte der Explosivstoffe

Jochen Gartz

Vom griechischen Feuer
zum Dynamit

Eine Kulturgeschichte der Explosivstoffe

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Titelbilder

Nicht bei allen Abbildungen konnten die Inhaber der Bildrechte ermittelt werden.

Verlagsgruppe Koehler/Mittler

Ein Gesamtverzeichnis unserer lieferbaren Titel schicken wir

eISBN 978-3-8132-1008-8

© 2007 by Verlag E. S. Mittler & Sohn GmbH

Produktion: Inge Mellenthin

Inhaltsverzeichnis

Statt eines Vorwortes

Vorgeschichte: Antike Brandmischungen und das berühmte »griechische Feuer«

Der älteste Explosivstoff: das Schwarzpulver

Die Verbreitung der frühen Feuerwaffen im 14. Jahrhundert und ihre Weiterentwicklung

Büchsenmeister und das Feuerwerksbuch von etwa 1420

Historische Persönlichkeiten und ihr Verhältnis zum Pulver und den neuen Schusswaffen

Die neue Salpeterindustrie als Voraussetzung für die Verbreitung des Schwarzpulvers

Die frühe Entwicklung der Rakete

Pyrotechnik oder »Lustfeuerwerkerei«-Freude an Blitz, Knall und Feuer

Zündhölzer als alltägliche Anwendung explosiver Gemische

Von der alchimistischen Übergangszeit bis zum 19. Jahrhundert: Knallgold und weitere »hochexplosive Körper«

Alfred Nobels Arbeiten: Initialzündung und Dynamit

Die Ablösung des Schwarzpulvers als Treibmittel: Schießbaumwolle und rauchschwaches Pulver

Neue Militärsprengstoffe und ihre Anwendung im 20. Jahrhundert: TNT und verwandte Substanzen

Sprengstoffterrorismus um 1900

Spektakuläre Explosionsunfälle

Resümee und Ausblick

Literatur

Bildquellen

Danksagung

Meiner Mutter Margot Gartz gewidmet,
die trotz mancher lauten Überraschung
meine jugendlichen chemischen Interessen immer
gefördert hat und so meine spätere Berufswahl
entscheidend mit beeinflusst hat
.

Statt eines Vorwortes

»Sicherlich war das Pulver nicht die Erfindung eines Einzelnen; vielmehr musste sein Geheimnis, noch ehe man sich überhaupt einen Gedanken von seiner treibenden Kraft machte, erst lange durch vieler Hände gegangen sein, bis es endlich durch ein äußeres Ereignis, vielleicht durch einen Zufall, eindringlich bekannt wurde. Und der Mensch, der diesem Vorfall gerade am nächsten stand oder der die Nachricht davon überlieferte, den hat man dann mit dem Pulver in Beziehung gebracht und später, als der Zusammenhang bereits wieder vergessen war, den Erfinder genannt! … Doch seien Unkundige, vor allem aber Schüler, eindringlich vor jeder Art explosiven Zeitvertreibes gewarnt: Wer nicht zum mindestens die chemischen Grundoperationen beherrscht, verzichte auf diesen Sport zur Selbstverstümmelung.«

Alfred Stettbacher (1919)

Bedeutendster Sprengstoffchemiker der Schweiz vom ersten Drittel des 20. Jahrhunderts

»Die Pulvermenge ruft diese Wirkung hervor, weil sie im Körper der Bombarde selbst entzündet wird. Da sie sich nicht in einem Raum befindet, wo sie sich ausdehnen kann, so treibt die Natur sie dazu, sich gewaltsam einen Ausweg zu suchen, und indem sie das schwächere Hindernis vor sich bricht oder beseitigt, gelangt sie in die weite Luft.«

Leonardo da Vinci (1510)

Universalgenie

»Eine Erhöhung der tödlichen Präzision des Kriegsmaterials wird uns den Frieden nicht sichern. Die beschränkte Wirkung der Sprengstoffe bildet in dieser Hinsicht ein großes Hindernis. Es gibt nur ein Mittel der Abhilfe. Der Krieg muss so geführt werden, dass nicht nur der Soldat an der Front, sondern auch die Zivilbevölkerung in der Heimat von der Vernichtung bedroht wird. Lassen Sie das Damokles-Schwert über jedermanns Haupt schweben, meine Herren, und Sie werden Zeugen eines Wunders werden – jegliche kriegerische Handlung wird innerhalb kürzester Zeit eingestellt werden, wenn die Waffen zum Beispiel bakteriologischer Natur sind.«

Alfred Nobel (1890)

Sprengstoffpionier und -produzent, Förderer der Wissenschaft

»Es lässt sich fast durchweglich nachweisen, dass jede neu auftretende, die älteren übertreffende Waffe zunächst als der Menschlichkeit zuwider verdammt wird, später aber durch Ablauf der Zeit und durch weitere, sich überholende Fortschritte als legitimiert erscheint.«

S. J. von Romocki (1895)

Autor des einflussreichsten Buches zur Geschichte der Explosivstoffe seiner Zeit

»Von allen Erfindungen, die je gemacht wurden, ist zweifellos diejenige des Schießpulvers eine der am meisten umstrittenen, was die Person des Erfinders und die Zeit der Entdeckung anbelangt. Wie jede andere Erfindung hat auch sie ihre Vorgeschichte, aus der sie als notwendiges Ergebnis einer langen Erfindungsgeschichte erkannt wird.«

Richard Escales (1914)

Bedeutender deutscher Sprengstofffachmann und Autor mehrerer grundlegender Werke vom Beginn des 20. Jahrhunderts

Vorgeschichte: Antike Brandmischungen und das berühmte »griechische Feuer«

Über viele Jahrtausende kannten die Menschen keinen anderen Knall als den des Blitzschlages oder von einem sehr seltenen Meteoritenfall. Es wäre frühen Kulturvölkern wie Sumerer, Ägypter und selbst den Griechen und Römern unfassbar und widersinnig erschienen, dass ein unscheinbarer Stoff durch Flammenzündung oder sogar durch Schlag plötzlich unter Knall mit Zerstörungsgewalt explodiert.

Dagegen ist es wahrscheinlich, dass gelegentlich Staubexplosionen bereits in diesen alten Kulturen auftraten, die dann aber im göttlichen oder geisterhaften Rahmen gedeutet wurden.

Fein verstäubtes Getreide oder Mehl sowie vulkanischer Schwefel, der z.B. lange vor unserer Zeitrechnung in Sizilien abgebaut wurde, explodieren nach der Aufwirbelung in Luft schon durch die Flammen von Fackeln oder Öllampen.

Obwohl solche Staubexplosionen bereits den Kornstampfern und Bäckern der Pharaonenzeit Ägyptens als Blitz- und Donnerschläge aufgefallen sein müssen, existieren hierüber keine eindeutigen historischen Quellen, die solche Geschehnisse belegen. Bis heute haben brennbare, feinverteilte Stäube in Luft verheerende Explosionen verursacht, so z.B. beim Verarbeiten von Metallen, Schwefel, Mehl, Zucker, Getreide sowie im Bergbau als gefürchtete Aufwirbelung von Kohlepartikeln.

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Die Flotte des Kaisers Michael II. (820–829) zerstört ein Schiff des Rebellen Thomas durch griechisches Feuer.

Sie sind nicht Inhalt dieser Darstellung, da keine eigentlichen Explosivstoffe vorliegen, die sich ohne Luftzufuhr in sehr kurzer Zeit zersetzen. Langhans (1930) hat solchen Ereignissen, genau wie den Explosionen von Gasen und Lösungsmitteldämpfen mit Luft, eine interessante historische Abhandlung gewidmet.

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Griechischer Flammenwerfer, 5. Jh. v. Chr.

Dagegen wurde das Schwarzpulver als ältester Explosivstoff über einen langen Prozess aus schon sehr lange bekannten Brandmitteln entwickelt, so dass deren Geschichte hier näher behandelt wird.

Die Anwendung von Brandgemischen unter Zusatz von leicht entflammbaren Substanzen wie Schwefel, Harzen, Ölen oder Erdpech (Asphalt) lässt sich für Indien und China bis in das 2. Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgen. Solche Brandstoffe werden im Alten Testament der Bibel erwähnt und auch das Heer des persischen Königs Xerxes war um 480 v. Chr. mit entsprechenden Brandpfeilen ausgerüstet. Thukydides (etwa 460–400 v. Chr.) beschrieb sogar schon eine »Feuermaschine«, die im Peloponnesischen Krieg von den Böötiern im Jahre 424 v. Chr. bei der Belagerung von Delion und schon vorher 427 vor Platää eingesetzt wurde. Seine Beschreibung erinnert an einen modernen Flammenwerfer. In einem mit Blasebalg versehenen Bronzekessel tauchte ein eisenbeschlagenes Holzrohr in die Brandmischung ein, das durch Drehung auf beliebige Ziele gerichtet werden konnte:

»… als die Bedienungsmannschaft an dem Ort angekommen war, ließ sie den Blasebalg stark spielen und blies in den Kessel. Da nun der Wind in den Kessel ging, in dem sich glühende Kohlen, Schwefel und Erdharz befanden, wurde dadurch eine so gewaltige Flamme entfacht, die gegen die Mauer schlug, daß niemand mehr auf dem Wall bleiben konnte, sondern die Krieger die Flucht ergriffen.«

Auffällig ist, dass hier bereits Gemische aus Schwefel und Kohle verwendet wurden, die später als Bestandteil des Schwarzpulvers neben den noch zu erwähnenden Salpeter auftauchen.

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Leiter und Fallbrücke, darauf ein Krieger mit
einem Handsyphon für griechisches Feuer
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In der ältesten militärischen Fachliteratur, dem »Poliorketikon« des Griechen Aineias Taktikos (um 350 v. Chr.), werden Brandsätze aus Schwefel, Pech, Weihrauch, Kiefernholzspänen und Harz beschrieben, die als Wurfgeschosse (»Falarica«) oft eine Hantelform hatten und in der Antike weite Anwendung fanden. Der griechische Rhetor Athenaios, der zu Beginn des 2. Jahrhunderts u.Z. lebte, berichtete in seinem »Gastmahl der Gelehrten« (»Deipnosophistai«) über Xenophon, den Taschenspieler, der ein selbstentzündliches Feuer (pyr autómaton emporschießen ließ. Sextus Julius Africanus (etwa 160 oder 180 bis 232) beschrieb dann 230 u.Z. in seinen »Kestoi« (eigentlich »bunter Zaubergürtel der Venus«) neben vielen magischen Formeln, Rezepten und Geheimmitteln auch die Möglichkeiten der Anwendung von Brandmitteln im Krieg. Es verwundert heute, dass er als christlicher Bischof von Aelia Capitolina, gebaut auf den Trümmern von Jerusalem, die kein Jude betreten durfte, auch Ratschläge zur hinterhältigen Vergiftung von Lebensmitteln und Wein und zum Giftmord gab. Er beschrieb ausführlich das selbstentzündliche Feuer, so nach folgender Vorschrift:

»Das Pyr autómaton besteht aus gleichen Teilen lebendigen Schwefel, Steinsalz, Weihrauch und‚ ›Blitzstein‹, das man alles in der Mittagssonne in einem schwarzen Mörser gemahlen und mit gleichen Teilen Sykomorenholzkohle und flüssigen Asphalt von Zakynthos (d.H. Erdöl der Insel Zante) zu einer dicken Paste verrieben hat. Dann gibt man gebrannten Kalk hinzu. Die Masse muß in der Mittagszeit sorgfältig gerührt werden, wobei der Körper geschützt werden muß, da leicht Entflammung auftritt. Man muß sie dicht verschlossen in ehernen Kästen aufbewahren und vor den Sonnenstrahlen schützen, bis sie benötigt wird. Wenn die Kriegsmaschinen der Feinde in Brand gesetzt werden sollen, werden sie mit dieser Paste am Abend bestrichen, und wenn die Sonne aufgeht, wird alles verbrennen.«

Neuartig war der Zusatz von gebranntem Kalk, der erstmalig von den Römern auch zur Bereitung von

Beton benutzt wurde. Dieses Verfahren wurde in der Neuzeit erst vor ca. 100 Jahren wieder entdeckt.

Dieser Kalk entwickelt mit Wasser oder schon mit Morgentau eine sehr hohe Temperatur, die die gesamte Brandmischung entzünden kann. In einer späteren Quelle, die sicher auf Africanus zurückgeht, heißt es über die Anwendung ähnlich: »… bei den ersten Regenfällen des Herbstes die Erde, die mit dieser Masse bestrichen wurde, zu brennen anfangen und die Bewohner vernichten wird«.

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Destillationsapparatur der Chemiker aus Alexandria in Ägypten, 4. Jh.. n. Chr.

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Chinesische Wurfmaschine zum Schleudern von Feuertöpfen, um 1000

Natürlich ist hier keine Erde, sondern brennbare Materialien wie Holz oder Stroh gemeint.

Manche Forscher halten dieses Rezept allerdings für einen anonymen Zusatz zu den »Kestoi« im 7. Jahrhundert. Dann ist auch sehr umstritten, ob sich in Vorschriften des Africanus schon der Salpeter wiederfindet. Diese Substanz gibt als Bestandteil des dann beschriebenen Schwarzpulvers in der Wärme leicht Sauerstoff ab und ermöglicht erst Verbrennungen ohne Luftzufuhr bzw. sehr hohe Umsetzungsgeschwindigkeiten bis hin zur plötzlichen Explosion.

Diese in den »Kestoi« beschriebenen Brandmassen waren das erzielte Ergebnis vieler Versuche und leiten direkt zum berühmten »griechischen Feuer« über.

Seit der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts beschrieben byzantinische und auch arabische Chronisten das Auftauchen eines neuen Brandmittels, das weitaus schrecklicher in der Wirkung war als alle früher beschriebenen und angewendeten Mischungen.

Es wurde in Mitteleuropa bald »Le feu grégeois« (»griechisches Feuer«) genannt. Diese Bezeichnung war den Entdeckern in Byzanz fremd, die sich trotz der verwendeten griechischen Sprache als Oströmisches Reich »Römer« nannten. Sie bezeichneten die Brandstoffe als »pyr thalássion« (Seefeuer) oder »pyr hygrón« (flüssiges Feuer). Der letztere Ausdruck weist, wie von vielen Chronisten seit dem 7. Jahrhundert übereinstimmend bezeugt, darauf hin, dass jetzt recht dünnflüssige Gemische angewendet wurden, die weitaus entzündlicher waren als ihre Vorgänger. Angeblich hat der um 650 aus dem unter arabischer Herrschaft stehenden Heliopolis (das frühere Baalbek der Phönizier) geflohene jüdisch-syrische Architekt Kallinikos diese Brandmasse erfunden, der aber vielleicht nur die Anwendungstechnik als Siphon einführte.

Festzuhalten ist, dass bis heute die genaue Zusammensetzung des »flüssigen Feuers« nicht bekannt ist, die als Staatsgeheimnis in Byzanz behandelt wurde. So schrieb der Kaiser Konstantin VI. Porphyrogenitos (780–797) an seinen Sohn:

»Man muß auch die Aufmerksamkeit auf das flüssige Feuer richten und all jene fortschicken, die sein Geheimnis kennen lernen wollen, das durch einen Engel dem ersten König der Christen, Konstantin, anvertraut wurde mit dem ausdrücklichen Verbot, es anderswo als in der Stadt der Christen (Konstantinopel) anzuwenden. Der große König schwor auf dem Altar der Kirche zu Gott, daß derjenige, der es wagen sollte, dieses Geheimnis einer fremden Macht zu verraten, den Namen eines Christen verlieren und außerdem für unwürdig erklärt werden sollte, je eine Stellung im Staat zu bekleiden, daß ferner der Verräter, er sei König, Patriarch oder jeder andere Mensch, für immer verflucht sein sollte. Gott möge ihn mit dem Blitz erschlagen, wenn er die Kirche betritt.«

Das neuartige Brandmittel wurde erstmalig um 670 bei der Seeschlacht vor der Halbinsel Kizykos an der Propontis, dem heutigen Marmarameer, von den Byzantinern unter Konstantin IV. Pogonatus (668–685) gegen die Araber unter Yazid, dem Sohn des Kalifen von Syrien, angewendet. Die arabische Flotte wurde völlig vernichtet. Ein nachfolgender Sturm rundete das Inferno ab. Der Chronist Theophanos sprach dabei von »Feuerschiffen, die mit Siphonen ausgerüstet waren«. Bronzene Siphonrohre liefen in einen vergoldeten Löwenkopf aus, dessen weit geöffneter Rachen das Feuer ausspie.

In der »Taktika« des byzantinischen Kaisers Leo III. Isaurus (717–741) steht darüber geschrieben:

»Im Vorderteil des Schiffes war ein Bronzerohr so angebracht, daß das vorbereitete Feuer vorwärts nach links oder rechts geschleudert und auch von oben herabfallen konnte. Das Rohr war auf einem Zwischendeck montiert über dem Deck, auf dem die Spezialkrieger standen, so daß es sich über die Angreifer, die im Bug versammelt waren, erhob. Das Feuer wurde entweder auf das feindliche Schiff oder in die Gesichter der Angreifer geschleudert.«

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Chinesischer Flammenwerfer. Eine einzylindrige, doppeltwirkende Kolbenpumpe aus Bronze saugt über Rohre Öl aus einem Behälter, am Austritt des Rohres befindet sich eine Zündvorrichtung, um 1044.

Die Dünnflüssigkeit und extreme Brennbarkeit des »Seefeuers« auf dem Wasser lässt nur den Schluss zu, dass der Grundbestandteil eine durch Destillation aus Erdöl gewonnene Benzinfraktion war, die anstelle des Erdöls in ähnlicher Mischung wie im »pyr autómaton« vorlag. Sicher ist die Mischung in Byzanz selbst entwickelt worden. So hat der im 7. Jahrhundert in Konstantinopel lebende Mönch Stephanos, der als bedeutender Alchimist seiner Zeit galt, ausgezeichnete Kenntnis von Destillationsverfahren besessen, die mehrere Jahrhunderte vorher in Alexandria entwickelt wurden. Ein anonymer byzantinischer Autor betonte bereits Mitte des 6. Jahrhunderts, dass Erdöl für die Byzantiner ebenso wichtig sei wie Eisen und noch weit wichtiger als Silber und Gold. Arabische Chronisten berichteten auch später, dass Erdöl als wichtiger Rohstoff sogar in Kirchen Konstantinopels gelagert wurde!

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Schleuderrad zum Werfen von Feuerbrändern, um 1326

Der Ingenieur F. M. Feldhaus machte vor etwa 100 Jahren Versuche mit einer Mischung aus Benzin und gebranntem Kalk, die er auf Wasser spritzte. Die Erhitzung reichte aus, um das Benzin schließlich explosionsartig zu entzünden. Im Zuge der Hitzeentwicklung tritt zuerst eine teilweise Verdunstung des Benzins ein, dessen Dämpfe dann mit Luft unter starker Verpuffung und Brand des noch flüssigen Stoffes reagieren.

Allerdings wurden in Byzanz vor allem auch im Landkrieg und im kleineren Maßstab die Mischungen mit Flamme entzündet. Der Bericht in der »Taktika« über Seegefechte spricht auch dafür. Hier wurden wahrscheinlich beide Entzündungsverfahren angewendet. Anna Komnena, die Tochter des Kaisers Alexios I. Komnenos, beschrieb ein Verfahren aus dem Schlachtfeld um 1100:

»Die Brandflüssigkeit in Rohren man Männern gibt, die einen guten und gleichmäßigen Atem haben. So entzündet es sich am Ausgang des Rohres, fängt Feuer und fällt gleich einem feurigen Wirbelwind in die Gesichter der Feinde.«

Später benutzen die Krieger auch Handsiphone für die Schlacht. Das »griechische Feuer« hat den Bestand des Byzantinischen Reiches über mehrere Jahrhunderte gesichert, beginnend mit dem Sieg über die Araber, die sich dann 678 zurückzogen. Auch spätere Eroberer konnten zurückgeschlagen werden. So besiegte der Kaiser Leo V. der Armenier im April 814 die Bulgaren in der mörderischen Schlacht bei Mesembria in Thrakien durch die Anwendung des »flüssigen Feuers«.

Der Mönch Nestor aus dem Kiewer Höhenkloster beschrieb in seiner nach ihm benannten Chronik vom Anfang des 12. Jahrhunderts, wie im Jahr 941 durch nur 15 mit »griechischem Feuer« ausgerüstete byzantinische Schiffe der Angriff von mehr als 1000 Wikingerschiffen des Fürsten Igor (912–945) auf Byzanz abgeschlagen wurde:

»… und dann, mit einem beflügelten Feuer bewaffnet, ließ der griechische Befehlshaber die Flammen mittels gewisser Röhren auf die russischen Kriegsschiffe schleudern – ein schreckliches und unglaubliches Schauspiel! Als die Russen dieses magische Feuer sahen, flohen sie seewärts, um seiner Berührung zu entkommen, und nur einer kleinen Anzahl gelang es, die Heimat zu erreichen. Bei ihrer Rückkehr berichteten sie ihren Landsleuten: Die Griechen besitzen ein Feuer, das wie der Blitz durch die Luft fliegt; sie schleuderten es auf uns und verbrannten unsere Boote; daher konnten wir sie nicht besiegen.«

Auch 1082 wurden die Normannen unter Robert Guiscard beim Angriff auf die Byzantiner unter Palaeologos bei Dyrrhachium (Albanien) durch das »griechische Feuer« zurückgeschlagen. Die Normannen setzten einen riesigen hölzernen Belagerungsturm ein, in dem mehr als 500 ausgewählte Soldaten auf den Angriff warteten. Die Byzantiner überschütteten den Turm mit »flüssigem Feuer« und verbrannten ihn mitsamt den Kriegern. Bei einem weiteren Versuch, die Stadtmauer mit einem Stollen zu untergraben und so hineinzugelangen, drangen die Byzantiner in den mit Normannen gefüllten Gang ein und »zerstörten die Gesichter der Feinde mit Feuer«.

Papst Innozenz II. verbot unter Androhung von schweren kirchlichen Strafen 1139 auf der 2. Lateransynode neben der Armbrust auch die Verwendung des »griechischen Feuers« in Mittel- und Westeuropa, da es »zu mörderisch und unmenschlich« sei. Das Verbot wurde tatsächlich mehr als anderthalb Jahrhunderte lang eingehalten.

Auch die Araber verwendeten ab ca. 880 zunehmend Brandmaterial auf der Basis von Erdöl, die zum Schrecken der Kreuzfahrer wurden.

So schrieb 1248 der Chronist de Joinsville über den 6. Kreuzzug beim Kampf vor Damiette:

»Jedermann, der sich vom ›feu grégeois‹ ergriffen fühlte, glaubte sich verloren; jedes Schiff, das davon erfasst wurde, war unfehlbar ein Raub der Flammen.«

Allerdings gebrauchten die Araber die Brandmittel nur als schon antike Anwendung in Wurfmaschinen, die entsprechende Behälter verschossen. Die Anwendung in Siphonen war ihnen offensichtlich technisch nicht möglich.

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Arabische Wurfmaschine zum Schleudern von Brandflaschen auf Erdölbasis, 14. Jh.

Obwohl z.B. der Araber Al-Rasi (865–923) schon die Destillation des Erdöls zu benzinähnlichen Fraktionen beschrieb, erwähnen arabische Chronisten um 1000, dass Byzanz auch jederzeit über Tausende von Brandhandgranaten (»fliegende Naphtha«) verfügte, die in Qualität und Wirkung den arabischen Waffen weit überlegen gewesen sind. Dieser Vergleich weist eindeutig darauf hin, dass zumindestens in dieser Zeit der Salpeter als stark verbrennungsförderndes Mittel in den byzantinischen Gemischen vorlag, denn die Erdölprodukte waren die gleichen wie bei den Arabern. Vielleicht war er sogar schon in den Mischungen des Kallinikos enthalten, da diese »flüssigen Feuer« von so überraschender Wirkung waren. In diesem Falle hätte schon eine richtige explosive Mischung vorgelegen, die unter Einschluss bei Flammenzündung explodieren kann.

Vor etwa 1.000 Jahren wurden schon beträchtliche Mengen an Erdölprodukten gelagert und eingesetzt. So brannten die Araber im Jahre 1168 mit etwa 3.250 Kubikmetern Petroleum Kairo völlig ab, um die Stadt nicht in die Hände der »Franken« fallen zu lassen.

Durch die Entwicklung der Feuerwaffen im 14. Jahrhundert ging die Anwendung des »griechischen Feuers« immer mehr zurück. Zum letzten bedeutenden Mal scheint es von den byzantinischen Verteidigern bei der Erstürmung Konstantinopels durch die Türken im Mai 1453 verwendet worden zu sein. Letztere setzten zusätzlich zu ihrer erdrückenden Übermacht auch erstmalig ein von einem ungarischen Büchsenmeister aus Bronze gegossenes Riesengeschütz ein, das bei einem Kaliber von 95 cm Steinkugeln von mehr als 300 Kilogramm verschoss und so Breschen in die gewaltigen Stadtmauern schlug.

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Steinschleuder des Mittelalters, um 1445

Allerdings gibt es durch Forschungen des Engländers W. L. Hime starke Anhaltspunkte, dass noch die Venezianer bei der Verteidigung von Famagusta auf der Insel Zypern im Jahre 1571 »griechisches Feuer« auf die Köpfe der Türken herabgossen. Vom 14. bis Anfang des 16. Jahrhunderts gibt es auch in englischen Chroniken Hinweise, dass dort die Krieger gelegentlich das Brandmittel unter dem Namen »wild fire« (wildes Feuer) angewendet haben.

Um 1500 wurde das »griechische Feuer« noch für magische Tricks verwendet und einem staunenden Publikum im kleinen Maßstab gezeigt. Der letzte Alchimist, der es nochmals beschreibt, ist der Franzose Blaise de Vignere (1522–1596). Danach gerät es allmählich und bis heute geheimnisumwittert in Vergessenheit. Als Kuriosum taucht die mittelalterliche Waffe schließlich über 400 Jahre später nochmals im Protokoll der letzten, von Hitler geleiteten Rüstungskonferenz vom 22.3.1945 auf:

»Der Führer regt an, sofort zu prüfen, ob eine Möglichkeit besteht, das sogenannte griechische Feuer zum Zwecke der Entzündung von Holznotbrücken über die großen Flüsse anzuwenden. Bericht über eventuelle Möglichkeiten ist kurzfristig zu erstellen.«

Hier konnte auch das »griechische Feuer« nicht mehr helfen …

Der älteste Explosivstoff: das Schwarzpulver

Vor etwa 1.000 Jahren wurde an verschiedenen Orten Europas begonnen, Sammlungen von Rezepten des Geheimwissens anzulegen. Im Kern basierten sie auf wesentlich älteren Überlieferungen, die teilweise bis auf das 2. oder 3. Jahrhundert u.Z. zurückreichten und so meist römischen oder alexandrinischen Ursprungs waren.

Aus etwa dem 11. Jahrhundert stammt nun das Liber ignium ad comburendos hostes« (»Buch der Feuer, die Feinde zu verbrennen«), von dem heute noch lateinische Versionen, meist aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, und jüngere deutsche Übersetzungen existieren. Als dessen Autor wird Marcus Geraecus (Marcus der Grieche) genannt. Die Identität dieser sagenhaften Person kann wohl nie mehr geklärt werden. Die publizierte Annahme, dass der Autor eine Gruppe von Spaniern oder spanischen Juden versinnbildlicht, erscheint gar nicht überzeugend. Aber auch ältere Hypothesen vom Ende des 19. Jahrhunderts, die eine historische Person als Autor des bedeutenden Buches ausweisen, bringen keine eindeutigen Beweise für dessen Autorenschaft.

So zitierte der Leibarzt des Kalifen Mamun (814–840), Mesue, 846 einen Marcus Graecus aus Byzanz. Dieser war wahrscheinlich der Alchimist, der in späteren, unklaren, orientalischen und lateinischen Überlieferungen als »Markos, Markusch, König Marchus oder Markusch, König von Ägypten« auftaucht.

Sehr wahrscheinlich war die Urfassung des »Feuerbuches« von Marcus Graecus in griechischer Sprache abgefasst, was sich auch in Hellinismen der Satzbildung zeigt.

Der Engländer Jebb erwähnte 1733 das Vorhandensein eines entsprechenden griechischen Buches in einer englischen Bibliothek. Er war auch der erste Herausgeber des »Opus maius« von Roger Bacon in neuerer Zeit (siehe Seite 20). Leider ist diese griechische Version bis heute verschollen.

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Gewinnung von Schwefel, 1540

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Bereitung des Schwarzpulvers durch Mischung
der Komponenten, mit Originalrezeptur, 14. Jh
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In dem Werk von Graecus werden auch Begriffe verwendet, die auf eine Kenntnis des Autors von Italien hinweisen. So erwähnt er das »italienische Erz« (»aes italicum«) oder die »Erde von Michna d.i. Messina« (»terra de Michna dico Messinae«). Die überragende Bedeutung des Buches liegt darin, dass hier zum ersten Mal die Rezepte zur Herstellung des Schießpulvers aufgeschrieben worden sind. Auf alle Fälle ist aufgrund der führenden Stellung des Byzantinischen Reiches in der Pyrotechnik (»griechisches Feuer«) anzunehmen, dass Marcus Graecus ein Autor (oder eine Autorengruppe) aus Byzanz war, der griechisch sprach, wie schon sein Name zeigt. Auch die Verdienste von Kallinikos am »griechischen Feuer« werden ausgiebig gewürdigt, ein weiteres Indiz für die byzantinische Herkunft des kenntnisreichen Marcus Graecus.

Wissensreste über die griechische Herkunft des sagenhaften Autors bestanden auch noch in späterer Zeit. So erwähnt das anonyme, berühmte und noch zu erörternde Feuerwerksbuch von 1420, allerdings in Vermengung mit der Person des legendären Berthold Schwarz: »… Kunst auß büchsen schiessen … ein Nigramanticus (Geisterbeschwörer) geboren in Kriechenlandt.«

Marcus Graecus beschreibt zunächst einige antike, byzantinische und arabische Brandmischungen aus Pech, Schwefel, Ölen und verschiedenen Harzen, die z.T. schon bei Sextus Julius Africanus erwähnt werden. Auch einige unsinnige Phantasieprodukte enthält die Schrift. Dann erklärt er eine Art »griechischen Feuers«, in der erstmalig der Salpeter als sauerstoffabgebendes Mittel eingearbeitet ist:

»Griechisches Feuer bereite folgendermaßen: nimm Schwefel, Weinstein, Gummi (Baumharz), Pech, gekochten Salpeter, Erdöl und gewöhnliches Öl, laß es gut kochen und wenn man diese Mischung irgendwo aufstreicht, dann fangen Holz und Eisen (?) Feuer, das nur mittels Harn (?), Essig (?) oder Sand gelöscht werden kann.« Wie neu die Kenntnis des Salpeters (»sal petrosum«) zur Zeit der Abfassung des Buches noch war, geht aus der Tatsache hervor, dass der Autor glaubt, zunächst klären zu müssen, was Salpeter eigentlich ist:

»Merke, daß ›sal petrosum‹ ein Mineral der Erde ist und in Ausblühungen an Steinen gefunden wird. Diese Erde löst man in kochendem Wasser, das man anschließend durch Filtrieren reinigt; laß es dann einen ganzen Tag und eine ganze Nacht kochen, so findest Du am Boden verfestigte und durchscheinende Salzblättchen.«

Auch der heutige Name »Salpeter« leitet sich identisch vom lateinischen Namen »sal-petrae« (Salz aus Stein oder Fels) ab. Dieses Herstellungsrezept zeigt eindeutig europäischen Charakter, da nicht nach Art der großen, natürlichen, indischen Vorkommen direkt in der Erde gesprochen wird.

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Abwägen der Pulverbestandteile mit Originalbeschreibung, 14. Jh.

Man findet nun unter Verwendung des Salpeters folgende Rezepte:

»Merke, dass es zwei Zusammensetzungen für ein Feuer gibt, das durch die Luft fliegt, die erste ist diese:

Nimm ein Teil Kolophonium und ebensoviel natürlichen Schwefel und ›sal petrosum‹. Pulverisiere alles und mische es mit Leinöl oder, was besser ist, mit Lorbeeröl zu einer Paste. Dann wird diese in ein Schilfrohr oder in einen ausgehöhlten Stab gefüllt und angezündet. Er fliegt davon, wohin immer Du willst, und verbrennt alles.«

Dieses Rezept zeigt, dass systematisch die Zusammensetzung des »griechischen Feuers« abgewandelt wurde, was eindeutig auf einen byzantinischen Ursprung hinweist. Die Öle waren jetzt nicht mehr so brennbar wie die Erdölprodukte, dafür wurde durch den Salpeter Sauerstoff zugefügt. Natürlich entstanden diese Rezepte rein empirisch ohne Kenntnis irgendwelcher chemischer Zusammenhänge, führten aber so zu einer frühen Form der Rakete.

Der Text fährt dann fort:

»Die zweite Art des fliegenden Feuers wird folgendermaßen hergestellt:

Nimm ein Pfund natürlichen Schwefel, zwei Pfund Holzkohle von einer Linde oder Weide, sechs Pfund ›sal petrosum‹. Mische diese 3 Stoffe auf das Feinste auf einer Marmortafel. Danach gib das Pulver in eine Hülle zum Fliegen oder in eine solche, die Donner erzeugt.

Merke: Die Hülle für das fliegende Feuer (›ignis volans‹) soll dünn und lang sein und aufs beste vollständig mit dem Pulver gefüllt werden. Die Hülle aber, um Donner zu machen, sei kurz und dick, nur halb mit dem Pulver gefüllt und an beiden Enden mit Eisendraht gut verschlossen.«

Dieses Rezept der Mischung für eine Rakete bzw. zur Erzeugung von Donnerschlägen stellt praktisch das Schießpulver dar, welches heute Schwarzpulver genannt wird. Dieser älteste Explosivstoff ist aus langen Forschungsreihen über Brandstoffe entstanden, wie die zuerst genannten Mischungen noch unter Zusatz von Ölen belegen. Durch den festen und pulverigen Zustand der Mischung war die letztere leicht herstellbar, in Hüllen einzufüllen und so dosiert anzuwenden. Offensichtlich hat man in dieser frühen Zeit schon bemerkt, dass der Schwefel die Mischung zusammenhält, da prinzipiell auch reine Gemische aus Salpeter und Holzkohle einsetzbar sind, die sich aber beim Lagern leicht entmischen. Auch erniedrigt der Zusatz von Schwefel vorteilhafterweise den Flammpunkt der Mischung. Später hat man dann die Mischungsverhältnisse der drei Substanzen in bestimmten Grenzen variiert. Generell kommt aber die frühe Mischung den »modernen« Gemengen schon sehr nahe.

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Albertus Magnus, Stich nach einem Originalgemälde von Beato Angelico

So ist folgender Vergleich interessant:

Pulverzusammensetzungen

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Lienhard Fronsperger (1520–1575) aus Ulm erwähnt die identischen Mengen des Graecus als Geschützpulver in seinem 1555 erschienenen, bedeutenden Kriegsbuch »Geschütz vnndt Fewrwerck« und noch bis ca. 1900 wurde die gleiche Zusammensetzung in Feldsignalraketen angewendet. Sie gestattete noch nicht die größtmöglichste Kraftentfaltung, die bei etwa 10 % Schwefel, 15 % Holzkohle und 75 % Salpeter liegt, liefert aber besonders wenig Rückstände bei der Verpuffung.

Entsprechend dem Buchtitel, der lediglich die Verbrennung der Feinde und nicht deren Erschießen beinhaltet, muss besonders darauf hingewiesen werden, dass Graecus noch nicht erkannte, dass diese Mischungen zum Treiben von Geschossen geeignet sind und so die Grundlagen der Feuerwaffen für ca. 550 Jahre bildeten. Letztere werden im nächsten Kapitel abgehandelt.

Nach der Entdeckung der treibenden Wirkung der Verbrennungsgase der Gemenge wurden schon bald Variationen vorgenommen.

Nach Guttmann dosierte man im Jahre 1546 in England:

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Mit großer Wahrscheinlichkeit gelangte die Kenntnis des Buches von Marcus Graecus und der darin enthaltenen Rezepte ab 1204 nach Mitteleuropa. In diesem Jahr eroberten die Kreuzfahrer Konstantinopel. Bis 1261 hatten die Grafen von Flandern dort den Thron inne. Danach wurde das Byzantinische Reich reorganisiert und endete erst mit dem Ansturm der Türken im Jahre 1453. Etwa Mitte des 13. Jahrhunderts wurde das »Feuerbuch« des Marcus Graecus im Buch »De mirabilibus mundi« (»Von den Wundern der Welt«) nahezu völlig kopiert. Es fand weite Verbreitung, da es dem bekannten Gelehrten und Dominikaner Albert von Bollstaedt (Albertus Magnus, 1193–1280) zugeschrieben wurde, der aber zweifellos nicht der Autor des Buches war. Vielleicht war gerade dieses Buch dann die Grundlage für die allgemeine Kenntnis der explosiven Mischungen und der Entwicklung der Feuerwaffen. Nicht nur in dieser Zeit wurden Bücher und Artikel wichtiger gemacht, indem allgemein bekannte Namen als Autorenschaft deklariert wurden.

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Roger Bacon

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Verschlüsseltes Herstellungsrezept für Schießpulver aus einem Manuskript von Roger Bacon.

Der englische Franziskanermönch Roger Bacon (1210 oder 1214–1292 oder 1294) erwähnte in seinen Schriften auch in dieser Zeit mehrmals das Pulver. Wegen seiner vielen Künste und Kenntnisse bezeichneten ihn seine Zeitgenossen als »Doctor mirabilis« (»Wunderdoktor«). Das hinderte die Kirche nicht, ihn 1257/58 wegen mancher reformatorischer Ansicht unter Kirchenaufsicht in Paris zu stellen und ab 1278 14 Jahre lang einzusperren. Kurze Zeit nach seiner Entlassung starb er dann.

Schon 1242 beschrieb er, teilweise chiffriert, in der nur unvollständig erhaltenen Schrift »De mirabili potestate artis et naturae« die Donner- und Zerstörungswirkung der Pulvermischung. In seinem Brief mit dem nun erweiterten Vortitel »Über die wunderbare Kraft der Kunst und der Natur des wunderbaren Pulvers und über die Nichtigkeit der Zauberei«, welcher 1252 an eine hohe kirchliche Person als Verteidigung gegen den Vorwurf der Ausübung der schwarzen Kunst gerichtet war, führt er dann aus, dass manche Dinge auf Naturvorgängen beruhen, die man gewöhnlich für zauberhaft hält:

»Wir können aus Salpeter und anderen Stoffen ein künstliches Feuer bereiten, das aus beliebiger Entfernung zur Entzündung gebracht werden kann … Das griechische Feuer und ähnliche Zündstoffe sind mit diesen Mischungen verwandt …

Außer diesen Dingen gibt es noch andere erstaunliche Sachen in der Natur. Der in der Luft hervorgebrachte Donner bewirkt größeren Schrecken, als der natürliche Donner. Eine bescheidene Menge des geeigneten Materials, von der Größe eines Daumens, gibt einen starken Knall und einen heftigen Blitz.«

Ein wesentlicher Teil des Briefes betrifft die Herstellung des »Eies des Philosophen«, das dreimal dunkel und rätselhaft von ihm nach Art der Alchimisten beschrieben wurde und dem Pulver des Graecus entspricht, allerdings im Gemisch von sechs Teilen Salpeter, fünf Teilen Holzkohle und fünf Teilen Schwefel. Roger Bacon hielt sich große Teile seines Lebens unweit des Niederrheins auf, wo die Feuerwerkskünste schon sehr frühzeitig bekannt und gepflegt wurden, was auf den byzantinischen Einfluss durch die Grafen von Flandern resultiert.

Dann beschrieb Roger Bacon in einem 1265 an den Erzbischof von Paris geschriebenen Brief, der ihn vom Verdacht der Magie befreien sollte, die Fortschritte des menschlichen Geistes in der Ausnutzung der Naturkräfte und führt als Beispiel jene blitzende, donnernde und sprengkräftige Mischung an, die aus Schwefel, Salpeter und Holzkohle besteht. Schließlich heißt es in seinem 1267 dem Papst Clemens IV. (1265–1268) gewidmeten Hauptwerk »Opus maius« im Kapitel »Wunderbare Experimente«:

»Wir können auch ein künstliches Feuer aus Salpeter und anderen Stoffen herstellen. Du kannst damit eine ganze Stadt oder ein Heer in unerträglichen Schrecken versetzen; kein Donnergetöse ist damit vergleichbar.

Die Erfahrung hierzu können wir an jenem Kinderspielzeug sammeln, das man jetzt überall antrifft: ein daumengroßes Stück Pergament, bei dessen Zerreißen durch die Gewalt eines Salzes, das man ›sal petrae‹ nennt, ein so schrecklicher Lärm entsteht, dass er das Dröhnen eines heftigen Donners übertrifft und der Lichtschein hierbei das hellste Leuchten eines Blitzes übersteigt.«

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Handpulverstampfe, um 1420

Die Zusammensetzung der knallenden und blitzenden Mischung gab er hier ebenfalls nur in verschlüsselter Form wieder:

»… die Gesamtmasse aber sei XXX. Jedoch Salpeter LVRV VOPO VIR CAN VRIET Schwefel; und so wirst du Donner und Blitz machen, wenn du die Kunst verstehst.«

Solche Anagramme waren zu dieser Zeit als Verschlüsselung sehr beliebt. Die Auflösung heißt: »Nimm sieben Teile Salpeter, fünf Teile Haselnussholzkohle und 5 Teile Schwefel.«

Merkwürdig ist, wie sich nach seinen Darstellungen innerhalb von 25 Jahren eine breite Kenntnis der Wirkungsweise der Mischung sogar nach Art eines allgemein zugänglichen Kinderspielzeuges (»in vielen Ländern«) herausgebildet hatte. Da zur Zeit der frühesten Feuerwaffen 70 oder sogar 100 Jahre später die Zusammensetzung des Pulvers von den Büchsenmeistern streng geheim gehalten wurde, ist anzunehmen, dass auch die exakte Mischung in dem Spielzeug ein Geheimnis der Hersteller blieb. Dafür spricht auch seine eigene Verschlüsselung durch das Anagramm.

Ebenfalls seltsam erscheint, dass die Mischung schon beim Zerreißen des Spielzeuges explodierte. Ohne Funkenquelle tritt dieses bei solchen Gemengen nicht auf, sehr wohl z.B. aber beim sehr reibungsempfindlichen Knallsilber, das noch heute so in Knallfröschen angewendet wird (siehe Seite 112 ff.).

Auffällig ist auch, dass Roger Bacon außerhalb der Knallwirkung die treibende Wirkung der Pulvergase in der Rakete nicht erwähnte. Offensichtlich kannte er das »fliegende Feuer« nicht. Dadurch erscheint wahrscheinlich, dass er das Buch des Graecus nicht selbst in den Händen hatte und lediglich davon nur einen Teil vom Hörensagen kannte. Hierzu passt auch, dass er keine identischen Passagen abdruckte, im Gegensatz zum Inhalt des Werkes »De mirabilibus mundi«. Im Einklang mit diesen beiden Büchern ist auch Bacon die Treibwirkung der Pulvergase auf Geschosse noch völlig unbekannt.

Das älteste deutsche Pulverrezept, das außerdem schon den ersten Bezug zum »Büchsenschießen« herstellt, stammt aus einer anonymen Schrift von etwa 1330, in der zusätzlich noch Theologisches, Rossarzneivorschriften und andere Inhalte zu finden sind. Es lautet folgendermaßen im Original:

»Item datz ist das Pvlver damit man aus der Physz schiest. Da soll man nehmen zv zwei tail lindains oder saclwaidens kols vnd zwai tail sal petre vnd daz fvnftail soll man avch nemen svlfvr vivi oder rechten zwefel. vnd derzv soll man avch nehmen firnis glaz den zehenden tail vnd das soll man als derr machen vnd soll es inder ain ander stozzen zv ainem pvlver in ainem morser, vnd wenn man es in die physs tvt so sol man datz dem loch da man den slvzzel in die physs trvcht hinain zv dem pvlver giezzen ainen tropphen kecksolvers.«

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Pulvermühle, um 1480