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Chagrans Thron

Band 1

von Tatjana-Stöckler

 

Sciencefiction-Roman

 

ISBN 978-3-946348-02-3

ISBN 978-3-946348-01-6 (Kindle E-Book)

ISBN 978-3-946348-00-9 (Print Ausgabe)

 

© Eridanus Verlag | Jürgen Hoffhenke

Hastedter Osterdeich 241 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Juliane Stadler

Korrektorat: Jana Hoffhenke

Umschlaggestaltung | Coverillustration: Detlef Klewer

Satz | Gestaltung: Jürgen Hoffhenke

»Immer wieder lief es auf eine Frage hinaus:

Wo liegt Cyrrion?«

Sams Pupillen weiteten sich von feinen Strichen hin zu Kreisen, die wie tiefe Löcher wirkten. Vom einen Extrem zum anderen und wieder zurück brauchte sie Sekundenbruchteile. Ike kniff seine Lider zusammen und schüttelte den Kopf. »Du treibst mich in den Irrsinn. Kannst du nicht mal stillhalten?«

Der Blick der Drakulonierin schoss zu dem Tartanen und gleich darauf zu den Kontroll-Monitoren. »Schau nicht hin, wenn es dich stört«, schnappte sie.

Sicher wusste Ike, dass das Spiel ihrer Pupillen nur ihre Aufregung zeigte. Auch er hätte vor Nervosität am liebsten etwas in seinen Händen zerquetscht. Nur noch wenige Augenblicke. »Wir könnten uns das hier ersparen, wenn du nicht mal wieder maßlos übertrieben hättest.«

Die Aggressivität in seiner Stimme konnte er nicht unterdrücken, genauso wenig wie Sam das Flackern ihrer Pupillen. Nach einem letzten Blick auf die Monitore und den Countdown der Uhr stemmte Sam sich mit einem Seufzer von ihrer Liege hoch und holte das Fläschchen aus dem Wandschrank. Sorgfältig ließ sie je einen Tropfen der Flüssigkeit in ihre Augen fallen, dann blinzelte sie. Während sie mit einer Hand das Medikament zurückstellte, löste sie mit der anderen die Haarspange und entfesselte ihre rote Mähne.

Ike nickte, als sie ihn fragend ansah. »Du siehst aus wie ein Mensch«, konstatierte er.

Die Haare verdeckten ihre spitzen Ohren und der schmale Ring um die Pupillen ließ die Smaragdfarbe nur umso intensiver strahlen. Eigentlich merkwürdig, dass die intelligenten Völker sich körperlich nur durch solche Details unterschieden, obwohl ihre Ahnen nichts miteinander gemein hatten. Alle besaßen sie Arme und Beine, opponierte Daumen, einen Kopf mit zwei nach vorne gerichteten Augen und Ohren an den Seiten. Mit Wesen, die dem nicht entsprachen, wurde die Kommunikation so kompliziert, dass nur heroische Wissenschaftler sich darum bemühten. Wobei es schwierig genug war, jemanden wie Sam zu verstehen, auch wenn sie äußerlich perfekt in das Schema passte. Solange sie nicht zu breit grinste oder gar auf drakulonische Art die Zähne fletschte, würde niemand ihre Fangzähne erahnen. Allerdings konnte der Tartane Sams Begründungen nicht folgen, warum niemand wissen durfte, dass sie eine Drakulonierin war. Sie bestritt, die drei politischen Blöcke gegeneinander aufhetzen zu wollen, auch wenn er ihr genau das unterstellte. Was sollte sie davon haben? Ikes Meinung nach eine Menge: Zu keiner Zeit blühte der Schmuggel mehr als während eines Krieges. Mit ihren Dimensionsschiffen geriete Sam nie zwischen die Fronten, Krieg würde ihre Gewinne maximieren. Trotzdem glaubte Ike ihr, dass sie das nicht beabsichtigte.

Eine Kneipenschlägerei konnte die Drakulonierin genießen, ihre Strafen bei Verstößen gegen die Bordregeln fielen bisweilen drakonisch aus, bei Begegnungen mit Kriegsschiffen ließ sie gerne so lange die Muskeln spielen, bis der gegnerische Kapitän den Schwanz einzog, aber sinnlose Gewalt, wie ein Krieg sie mit sich brachte, das war nicht ihr Ding.

»Nur dass ich jetzt blind wie eine tartanische Abflussschnecke bin.« Sam fauchte ihr Spiegelbild an.

Und wenn schon. Sie sah ohnehin erschreckend schlecht und orientierte sich mit Sinnen, die Ike sich nicht einmal vorstellen konnte. Wenn er nur daran dachte, schwindelte ihm. Welche ungeheure Hirnkapazität mochte nötig sein, die Sinneseindrücke sämtlicher verfügbaren Lebewesen zu verarbeiten, damit Sam ein Bild der Umgebung erlangte? Nicht davon zu reden, welche Fähigkeiten nötig waren, diese Bilder überhaupt zu empfangen und mit welcher Selbstverständlichkeit sie auch seine Sinne anzapfte.

Diese Katze mochte ihm so oft sie wollte versichern, dass sie seine Gedanken dabei nicht berührte, das unangenehme Gefühl blieb. Obwohl er sich längst daran gewöhnt haben sollte. Wenn sie etwas im Schilde führte, hätte sie ihm schließlich nicht sagen müssen, dass sie ständig mit einem Finger in seinem Hirn steckte.

»Dreißig Sekunden«, unterbrach sie seine Gedankengänge.

Ike straffte die Schultern. Seine Uniform saß perfekt.

»Zwanzig Sekunden.«

Sam zog einen Mundwinkel hoch und grinste ihr Spiegelbild an, das trotzdem nur ein halb erwachsenes Mädchen zeigte.

»Zehn Sekunden.«

Mit einem verärgerten Runzeln der Stirnbuckel vertrieb Ike ein Lächeln über ihre vorgetäuschte Bösartigkeit.

Jetzt kam es drauf an.

Wie einen Messerstich zwischen die Augen empfand er den Impuls des Transmitters. Am liebsten hätte er losgebrüllt. Stattdessen biss er die Zähne zusammen. Das verstärkte seinen grimmigen Gesichtsausdruck. Gut. Der Schmerz hielt nur Sekundenbruchteile an, was ihn trotzdem nicht bewegen konnte, den Transmitter öfter als unbedingt nötig zu benutzen.

Das Licht war so grell, dass selbst Ike blinzeln musste. Duftschwaden verbrannter Kräuter umwallten sie. Sam musste Höllenqualen empfinden mit ihrer Katzennase und den weitgestellten Pupillen, denen sie die Möglichkeit genommen hatte, die Netzhaut zu schützen. Wut baute sich in Ike auf, die er vergeblich zu unterdrücken versuchte. Zweifellos rechnete niemand hier mit Sams Empfindlichkeit. Womöglich betrachtete man es als höfliche Geste, den Saal so hell zu beleuchten. Noch ehe er die Gelegenheit bekam, eine Beschwerde zu knurren, umgab ihn plötzlich angenehmes Halbdunkel. Danke, Sam. Gegen den Rauch würde sie nicht so schnell etwas unternehmen können. Im ersten Moment sah Ike gar nichts mehr, dann erschienen vor seinen Augen die Umrisse ihrer Gastgeber. Laute des Erschreckens drangen an sein Ohr.

»Soll ich jemanden erschießen?«, grollte er und legte seine Hand dorthin, wo er seinen Blaster zu tragen pflegte. Riskant, dachte er im gleichen Moment. Wenn doch jemand eine Waffe dabei hätte …

Auf einmal herrschte atemlose Stille. Also waren die Rikanier unbewaffnet und befürchteten, dass ihre Gäste sich nicht an die Regeln hielten. Gut. Dabei hatte Sam gerade bewiesen, dass sie keine Waffe brauchte. Sam war die Waffe. Genauso, wie sie eine Lampe ausknipste, konnte sie das auch mit dem Gehirn eines Humanoiden machen.

Eine Frau! Ike fühlte deutliches Entsetzen, als er sich auf die Aura der Rikanier konzentrierte. Diese notorischen Patriarchen!

Mittlerweile erkannte Ike die Gestalten deutlich. Zwei Männer im Vordergrund, das mussten Rardon XCV. und der Kriegsfürst Kendrick sein, dahinter zwei Frauen. Arlenia hieß die Gattin des Herrschers, eine ausgesprochene Schönheit. Wer die andere war, wusste er nicht. Standen zwei Kinder neben ihnen? Etwas weiter entfernt sah Ike die Schemen von etlichen anderen Rikaniern. Er fixierte die beiden vorne, von denen einer deutlich hochgewachsener als der andere war, aber lange nicht an Ikes Größe herankam. Dafür überragte der Rikanier Sam um eineinhalb Köpfe, was keine Kunst bedeutete.

»Sie befinden sich in Gegenwart Seiner Majestät des Herrschers, Rardon des fünfundneunzigsten Bewahrers der sieben Planeten, des allmächtigen …«

»Schon gut!«, unterbrach Sam den Sprecher, bevor er alle fünfundneunzig Titel aufzählen konnte, einer für jeden Herrscher der Dynastie. Ike atmete auf, als der Wortschwall abrupt abbrach. Nichts hasste er mehr als Zeremonien.

Sam trat einen Schritt vor und Ike besann sich auf die Rolle, die er spielen sollte. Er senkte den Kopf und wich zur Seite, um Sam Platz zu machen.

»Der Herrscher und der Kriegsfürst. Rardon und Kendrick also.« Für diese Information brauchte Sam keinen Geheimdienst. Ihre Stimme schallte laut durch die Halle. Ike sah sich unauffällig um, solange die Aufmerksamkeit auf ihr lag. So viele Personen, wie er anfänglich angenommen hatte, befanden sich gar nicht hier. Nicht einmal eine Handvoll Beamter in ihren juwelenbestickten Roben drängte sich im Hintergrund des prächtigen Saales. Zwei große Jungen hielten sich in der Nähe der beiden Frauen. Leibwächter? Nein, keinesfalls. Erstens zu jung, zweitens fehlte die typische Ausstrahlung der Wachsamkeit und des Misstrauens. Vielleicht die Söhne? Nein, auch unwahrscheinlich. Existierte nicht sogar ein Gesetz, nach dem sich der Herrscher und sein Sohn nicht zusammen in einem bestimmten Umkreis aufhalten durften, um im Falle eines Attentats nicht die Kontinuität der Dynastie zu gefährden? Auf Rikan gab es für alles eine Vorschrift.

Da sie keine Antwort erwartete, sprach Sam weiter. »Hat also endlich jemand den Verantwortlichen mitgeteilt, was der Rest des Universums von rikanischen Strafzöllen hält?«

Wie klein Sam wirkte. Sie trug verborgen unter ihrem Rock hohe Stöckelabsätze, trotzdem musste sie den Kopf recken, um dem Kriegsfürsten ins Gesicht zu sehen.

Er wich einen halben Schritt zurück, hielt aber den Blick auf Sam gerichtet. »Sie können davon ausgehen, dass ich über den Verlust von 7500 Kriegsschiffen informiert werde.«

Nur mit Mühe konnte Ike die Überraschung aus seinem Gesicht fernhalten. 7500? Als er noch im Dienst der Tartanischen Flotte gestanden hatte, redeten die Geheimdienste über eine Gesamtzahl von Zehntausend. Das bedeutete, dass Sam innerhalb von längstens drei Jahren dreiviertel der rikanischen Flotte beseitigt hatte! Mit Sicherheit wusste niemand, dass Sam über weniger als hundert Schiffe verfügte. Das ahnten ja nicht einmal ihre eigenen Piloten. Jetzt wunderte es Ike nicht mehr, vom rikanischen Herrscher persönlich empfangen zu werden.

Auch Sam konnte eine gewisse Verblüffung nicht völlig verbergen. Sollte sie etwa gar nicht wissen, was sie da angestellt hatte? Katzen und ihr verdammter Spieltrieb! Ein Beweis dafür, dass es keine Götter gab. Denn wer von denen hätte die Verantwortungslosigkeit, einem Kind eine solche Waffe in die Hand zu geben?

»Und? Genug gespielt, Kendrick? Oder wollen wir die nächste Runde eröffnen?«

Eine nur für Ike wahrnehmbare Heiserkeit lag in der Stimme der Drakulonierin. Oh ja, sie war verblüfft und versuchte, das mit Kaltschnäuzigkeit zu überspielen. Was sollte sie sonst tun? Sich entschuldigen? Schließlich hatten die Rikanier eines ihrer Schiffe abgeschossen, bevor sie mit ihrem Spiel begonnen hatte.

»Unsere Kolonien werden nicht mehr ordnungsgemäß versorgt. Die Bevölkerung hungert und unsere Grenzen stehen jedem Feind offen. Wir kapitulieren.«

Sam öffnete den Mund. Sie schloss ihn wieder. Ihre Lippen formten das Wort »kapitulieren«, aber sie sprach es nicht aus. Ein hilfloser Blick schoss zu Ike.

Tut mir leid, Mädchen, aber da musst du alleine durch.

Ike formte den Satz so deutlich wie möglich in seinem Geist, obwohl das für sie nicht nötig war. Er konzentrierte sich darauf, weil er nichts von dem Chaos mitbekommen wollte, das in diesem Moment in ihrem Hirn ablief. Aber es half nicht. Ihre Worte dröhnten so laut in seinem Kopf, als ob sie auf ihn einschreien würde. Kapitulation? Was soll diese Scheiße? Ich will Handelsverträge, Durchfluggenehmigungen, Landeerlaubnis, doch keine Kapitulation! Meine Schiffe sollen Proviant aufnehmen, im Notfall eine Werft benutzen und ihre Waren verkaufen dürfen. Ike, was soll ich tun?

Tja, sie hatte gegen seinen Rat gehandelt, also wusste er jetzt auch nicht, wie sie aus diesem Klebseidensack wieder herauskam.

Sam atmete tief durch. »Wie ich euch Rikanier kenne, habt ihr eine Zeremonie dafür. Fangt also an, im Namen der Großen Mutter.«

»Dürfen Wir vorher erfahren, vor welcher Frau Wir Uns erniedrigen müssen?«

Das waren die ersten Worte, die der Herrscher sagte. Seine Stimme passte zu ihm: dunkel und volltönend. Die Juwelen seiner Robe klirrten leise, als er sich bewegte.

»Mein Name ist Sam.«

»Das ist sehr kurz. Und Sie sind …«

Sam. Sam war nur Sam und niemand wäre auf die Idee gekommen, sie anders anzureden. Schon sie zu siezen, hörte sich seltsam an. Ike war gespannt, wie Sam die unausgesprochene Frage beantworten würde. Etwa mit: Sathanthas II., Exilprinzessin von Drakulon?

»Ich bin.«

Die Augen des Herrschers verengten sich zornig. Seine Stimme klang gepresst. »Wir dürfen Universal nicht als Unsere Muttersprache bezeichnen. Unsere Frage bezog sich auf Ihren Rang und Titel.«

Sams Belustigung zog durch Ikes Gehirn. »Titel? Ike, habe ich einen Titel?«

»Vrama«, brummte der Tartane. »Das heißt soviel wie Mutter.«

»Mutter?« Ungläubig schüttelte der Herrscher den Kopf und maß Sams Körper mit einem Blick. »Wessen Mutter?«

Sam zuckt die Schultern. »Wir Piraten halten nichts von Konventionen.«

Ike riss die Augen auf. Piraten? Der letzte, der Sam so betitelt hatte, verließ die Kneipe mit blauem Auge und Gehirnerschütterung.

»Piraten!« Der Herrscher ließ bestürzt die Schultern hängen. »Wie … ?«

»Meine Schiffe!« Sams Haltung ließ jeden vergessen, dass sie mit ihrer Körpergröße wahrhaftig nicht prahlen konnte. »Nichts im Universum kommt an meine Schiffe heran. Einen Frachtflug von Tartan zur Erde erledige ich in weniger als acht Tagen.«

Genaugenommen in Nullzeit, wenn sie wollte. Aber das hätte ihr Geheimnis verraten. Keiner ihrer Piloten war dumm genug, das herauszuposaunen.

»Piraten.« Der Herrscher schüttelte den Kopf und machte eine resignierte Geste zu seiner Nummer zwei. »Egal. Beginnen Wir.«

Der Kriegsfürst schluckte und sah Sam ins Gesicht. Seine Hände zitterten, als er über seine Schulter hinweg einem der Rikanier winkte.

Als ob ein Peitschenschlag ihn getroffen hätte, zuckte der Beamte zusammen. Sein Gesicht verlor alle Farbe. Mit bebenden Lippen flüsterte er dem Mann neben ihm etwas zu. Zusammen hoben sie eine reich verzierte Kiste vom Boden und trugen sie nach vorne. Unter Verbeugungen stellten sie sie zwischen Sam und den Kriegsfürsten und zogen sich rückwärtsgehend zurück. Kendrick wartete, bis die beiden verschwunden waren, murmelte einige Formeln und sank vor dem Kasten in die Knie. Vergeblich versuchte Ike die Worte zu verstehen. Womöglich handelte es sich um einen so alten rikanischen Dialekt, dass selbst Rikanier ihn studieren mussten wie eine Fremdsprache.

Drei Schlösser knackten unter den Fingern des Kriegsfürsten, bevor der Deckel hochklappte. In roten Samt eingebettet lag ein Schwert.

Sams Mundwinkel zuckten in verhaltenem Triumph. Zur drakulonischen Uniform gehörte ein Schwert, aber wer fertigte so etwas noch an? Jeder ihrer Leute suchte für sie danach. Wo immer Ike sich umsah, außer gebrauchsuntauglichen Kopien oder schmuckloser, minderwertiger Ware hatte er bisher nichts gefunden.

Der Kriegsfürst griff mit ehrfürchtiger Miene nach der archaischen Waffe und hob sie aus ihrem Bett. Als er sie mit niedergeschlagenem Blick Sam reichte, konnte sie ihren Jubel nicht mehr verbergen. Viel zu schnell, um höflich oder gar würdevoll zu wirken, streckte sie die Arme danach aus. Bei jeder Bewegung reflektierte das Metall das Licht und glitzerte wie ein Edelstein. Ike verengte die Lider. Konnte das sein? Drakulonischer Diamantstahl? Nein, unmöglich!

»Dieses Schwert gehört zum rikanischen Volk wie der Thron und der Herrscher. Seit zweitausend Jahren wurde es nur zur Krönungsfeierlichkeit berührt. Es hat noch nie diesen Planeten verlassen. Niemand kann sich vorstellen, dass es geschehen wird.«

Ike spürte Sams Ungeduld. Sie wollte dieses Schwert. Drei Jahre hatte sie hart gearbeitet, um Verträge mit den Rikaniern zu schließen. Das allein hätte sie schon frohlocken lassen. Wenn die Rikanier ihr dazu dieses Schwert schenkten, würde sie wochenlang mit einem breiten Grinsen im Gesicht herumlaufen.

Kendrick reichte es ihr mit dem Griff voran. Sam hob die Klinge hoch und ließ sie im Licht funkeln. Sie lächelte zufrieden.

»Sie müssen jetzt mit diesem Schwert den Herrscher enthaupten.«

Sams Bewegung fror ein.

Ihr Blick huschte zum Herrscher, traf seine Augen. Sie starrte ihn an. Für einen Augenblick spürte Ike es knistern. »Pah!«, rief sie. »Enthaupten?«

»Erst ihn, dann mich«, sagte der Kriegsfürst.

»Enthaupten? Wisst ihr Sesselfurzer überhaupt, was für eine Sauerei das macht? Ich habe mir ein neues Kleid angezogen, das werde ich nicht mit solchen Kindereien verderben!«

Die Augen des Herrschers sprühten Funken, als wollten sie Sam lichterloh in Flammen stecken. Der Kriegsfürst starrte sie empört an. Trotz trat in sein Gesicht. »Das schreibt das Gesetz vor. Ich habe mit Rechtswissenschaftlern diskutiert, ob Sie das Blut des Herrschers trinken müssen. Sie meinten jedoch, dieser Brauch sei nicht zwingend vorgeschrieben. Wenn Sie allerdings der Tradition folgen wollen …«

Blut trinken! Ausgerechnet damit kam er Sam.

»Papperlapapp!« Nicht viel fehlte zum Schreien. Sams Augen funkelten, sie zog die Mundwinkel nach unten. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie ihre Reißzähne zeigen. Ike spannte seine Muskeln. Der Kriegsfürst sah ihn an und wich trotz seiner knienden Position zurück.

Sam atmete tief durch. »Das werde ich nicht tun. Wie lautet Plan B?«

Kendrick warf seinem Herrscher einen Blick zu, kaum merklich schüttelte der den Kopf. Es gab also einen Plan B, aber der sollte auf keinen Fall ausgeführt werden. Der Kriegsfürst sah wieder zu Sam und Entschlossenheit stand in seinen Augen. »Sie können, wenn Sie möchten, auch mich zuerst enthaupten. Ich bitte, das Schwert danach zu reinigen.«

»Zum Üben, hä?«

Ach du meine Güte! Hatte Sam nicht auf Ike eingeredet, er möge seine Wortwahl den Gegebenheiten anpassen? Dass man auf Rikan Wert auf Formalitäten und Ausdruck legte?

Sam hielt das Schwert in den Händen, in einer Haltung, die bewies, dass sie damit umgehen konnte. Schon oft genug hatte sie ein Schwert genau zu diesem Zweck gebrauchen müssen. Es gab nur wenige andere Methoden, einen Wrap zu töten. Aber Wraps musste man töten. Rikanier waren nur lästig. Sam würde doch niemals einen wehrlosen Mann, der vor ihr kniete … Nein!

Langsam hob sie das Schwert und trat einen Schritt zur Seite, auf den Herrscher zu. Er erwiderte ihren Blick und sank in die Knie. »Unser Haus, Unsere Familie, all Unsere Ämter und Unsere Heimat legen Wir in Ihre Hände.«

Sam tippte mit der Spitze des Schwertes auf seine Schulter. Er schloss die Augen.

»Das Schwert ist prima, das behalte ich. Dankeschön. Mit dem Rest können Sie sonst was machen. Was soll ich damit? Ich habe schon Mühe, mein eigenes Haus auf Cyrrion zu putzen. Jetzt hören Sie auf mit den Faxen und besorgen einen Schreibtisch, damit wir irgendwelche Papiere unterzeichnen können.«

Auf Sams Rücken materialisierte die Scheide des Schwertes, das sie bisher benutzt hatte, die miese Kopie eines drakulonischen Zeremonienschwertes. Mit gekonntem Schwung ließ sie das rikanische Schwert passgenau hineingleiten und stemmte die Fäuste in die Hüften.

Ungläubig sah Rardon XCV. zu ihr hoch. »Nein. Das ist unmöglich. Wir können die Traditionen nicht missachten. Das Ritual muss ausgeführt werden, sonst wäre kein Vertrag gültig.«

Auf Sams Gesicht erschien ein Lächeln, das so falsch war wie die Brüste einer Hafenprostituierten auf Geronimo. »Glaubt hier etwa jemand, ich könnte nicht dafür sorgen, dass ein Vertrag eingehalten wird, den ich unterschreibe? Nee, Leutchen, vergesst es. Wir unterschreiben eine Vereinbarung und halten uns brav daran. Oder soll ich davon ausgehen, dass die Unterschrift des rikanischen Herrschers wertlos ist?«

Jetzt musste es herauskommen. Wie lautete Plan B? Was verheimlichten die beiden, das sie als schlimmer empfanden, als zu sterben?

Wie mit einer Tonnenlast auf den Schultern erhob sich der Herrscher. Erst danach stellte sich auch der Kriegsfürst auf die Beine. Beide wechselten Blicke, denen man die Resignation anmerkte.

»Das bedeutet …«, stieß Kendrick hervor, eine Geste des Herrschers unterbrach ihn.

»Wir werden Verträge aufsetzen. Als Garant für die Erfüllung werden Wir Ihnen zwei Geiseln überlassen.«

Sam blinzelte. »Geiseln? Was soll ich denn damit?«

Der Herrscher ballte die Fäuste und atmete mühsam. »Mitnehmen. Von diesem Planeten entfernen. Damit sie nie wieder unter Unsere Augen geraten. Wenn Wir die Verträge nicht erfüllen, sollen die Geiseln die Folgen tragen.«

Ike konnte sich keinen Reim aus den Worten des Rikaniers bilden, Sam anscheinend auch nicht. Sie lachte trocken. »Inwiefern? Soll ich einen kleinen Finger nach Rikan schicken, wenn die Zollabfertigung zu lange dauert?«

Todesernst sprach aus den Augen des Herrschers. »So ist es wohl gedacht.«

Die vorgetäuschte Fröhlichkeit fiel aus Sams Gesicht. »Mann, Cyrrion ist kein Planet, auf den man Touristen mitnimmt. Ein falscher Schritt und man fällt in Magmalöcher. Nachts erfriert man und die Fallwinde schmettern einen ohne Haftstiefel auf Stalagtitenfelder. Die beiden sind schneller tot, als wenn ich im All die Schleuse öffne!«

»Nur unter dieser Bedingung werden die Verträge geschlossen.«

»Leute, der Planet Rikan ist ein Paradies. Ihr wisst gar nicht, wie gut ihr hier lebt! Jemand, der unter diesen Verhältnissen aufgewachsen ist, übersteht Cyrrion keine drei Tage. Es geht nicht!«

Wortlos fixierte Rardon XCV. Sams Gesicht. Keine Chance, Mädchen, sandte Ike ihr herüber. Der meint es ernst. Und er will es so wenig, dass er lieber sterben möchte.

Sam verzog einen Mundwinkel. »Im Namen der Großen Mutter. Wenn es sein muss. Können wir uns jetzt vernünftigeren Themen zuwenden?«

Ike atmete auf. Er wurde nicht mehr gebraucht. Mittlerweile war Kightors Schiff angekommen, wie die Biotronik meldete. Er und Wally warteten auf das Zeichen zum Einsatz. Zwei Dutzend Parjas auf der Dragon Queen erhoben sich synchron in ihren Quartieren und wurden eingekleidet, ohne dass man Sam anmerkte, wie viel Konzentration sie dafür brauchte. Ike legte die Koordination des Transports in die Verantwortung der Biotronik und gab das Signal. Hinter ihnen beiden materialisierten Kightor und Wally umgeben von einer Eskorte aus zwei Dutzend bunt uniformierter Drakulonier, wie sie von historischen Illustrationen bekannt waren.

Die Augen des Herrschers weiteten sich, der Kriegsfürst wich einen Schritt zurück. Jetzt begriffen sie, mit welchem Gegner sie sich angelegt hatten.

Greydon erhob sich aus seiner knienden Position nicht mit der Würde, die er auszustrahlen versuchte, zu sehr schmerzten seine Knie. Die Medikamentenvorräte neigten sich dem Ende zu und er wollte seine letzten Tabletten für Notfälle sparen. So hatte er sich, bei allen rikanischen Göttern, seine erste Mission als Admiral des Reiches nicht vorgestellt. Kommodore Karudis verneigte sich vor dem Altar und trat rückwärts aus dem Tempel. Draußen wartete er auf Greydon.

»Admiral, die Männer wären soweit.«

Greydon nickte. »Sie sollen warten. Es war mir wichtig, meine Gedanken zu klären.«

»Herr, Sie kennen meine Meinung.«

»Und Sie die meine, Kommodore.«

Karudis dachte doch nicht, dass Greydon die Hinrichtung jetzt noch absagen wollte? Lächerlich! Sollten etwa die Götter den Flottenkommandanten gnädig stimmen?

»Herr, die Männer murren.«

Greydon fuhr herum. »Es ist Ihre Pflicht, dagegen anzugehen!«

»Herr, ich tue mein Möglichstes. Ich bitte nur, dass ein Komitee gebildet wird, um die Lage besser einzuschätzen.«

Karudis folgte ihm in den Lift und lenkte ihn zum Maschinendeck. Greydon sah strikt an seinem Untergebenen vorbei. »Schon wieder diese Diskussion? Ich schätze die Lage ein, niemand sonst.«

»Herr, ein Experte …«

»Nein.«

Und dabei blieb es. Greydon ließ sich nicht von irgendwelchen Wissenschaftlern und selbsternannten Fachleuten erklären, wie es eine Mannschaft zu führen galt. In Krisenzeiten lag das Oberkommando bei ihm.

Energischen Schrittes wandte er sich in Richtung des Hauptaggregats. Linker Hand lag das Bullauge für die Maschinisten. Es kostete Greydon eine bewusste Anstrengung, nicht hinauszustarren. Am Anfang hatte er Stunden damit verbracht, in der endlosen Schwärze irgendetwas erkennen zu wollen – vergeblich. Nach und nach hatte sich der Raum um sie herum mit anderen rikanischen Raumschiffen gefüllt. Nur durch Lichtsignale konnten sie sich verständigen. Auch ein Forschungsschiff hatte sich eingefunden, was vorübergehend für Hochstimmung bei der Mannschaft sorgte. Doch auch diese sogenannten Experten hatten nichts herausfinden können, was Hoffnung gegeben hätte. Der Raum um sie herum gehorchte nicht den Gesetzen der Physik.

Die meisten der Kommandanten konnten nicht einmal sagen, wie sie hier hergelangt waren. Sie berichteten lediglich, dass sie in einem Gefecht mit diesen cyrrionischen Nadeln, den kleinen Beibooten, gestanden hatten, genau wie auch Greydon. Diese Gefechtsschiffe waren schnell, wendig und besaßen erstaunliche Feuerkraft. Nicht ein einziges Mal war es zu einer Konfrontation mit dem Mutterschiff gekommen. Die Cyrrioner mussten über ein unglaublich leistungsstarkes Tarnsystem verfügen. Anders konnte Greydon sich nicht erklären, wie seine Schiffe hinterrücks überfallen und in diese … Dimension gesperrt werden konnten. Ein Paralleluniversum sei es, wollte einer dieser Kittelträger ihn schulmeistern. Drei Tage Arrestzelle hatten ihn eines Besseren belehrt.

Die Wachen vor dem Maschinenraum salutierten, die Hauptzugangstür öffnete sich vor dem Admiral. Hier stank es noch mehr als im Rest des Schiffes. Selbst die Grundstoffe für die Duftessenzen gingen zur Neige. Wasser wurde aus Fäkalien zurückgewonnen. Die Vorstellung drehte Greydon den Magen um.

Das Exekutionskommando hielt seine Position inne und der Delinquent stand vor der Wartungsklappe. Alle nahmen Haltung an, als Greydon den Raum betrat, sogar der Verurteilte. Auf den Wink des Admirals las der Kapitän das Urteil vor. Der erste Maschinist reduzierte die Zufuhr der Materie-Antimaterie-Kammer und zentrierte die Magnetflasche.

»Haben Sie noch etwas zu sagen?«, fragte Greydon. Nicht, dass es ihn interessiert hätte, aber es gehörte zum Prozedere.

Der Meuterer salutierte. »Herr, ich bitte, meine Worte im Gedächtnis zu behalten, auch wenn mein Körper vernichtet wird: Die Flottendisziplin muss gelockert werden, um hier eine Kolonie aufzubauen. Die Männer und Frauen der rikanischen Verbände halten die Belastung nicht länger aus. Ich habe immer nur im besten Gewissen zum Wohle der rikanischen Flotte gehandelt.«

Nun, zumindest beabsichtigte dieser Offizier zu sterben wie ein Mann. Greydon nickte und der Maschinist öffnete die Wartungsklappe. Der Sicherheitsoffizier zeigte die Augenbinde, aber der Delinquent schüttelte den Kopf, er lehnte auch die Paralysierung ab. Ein gutes Beispiel für seine Kameraden. Greydon gab sein Einverständnis, bevor der Sicherheitsoffizier dem Verurteilten die Handfesseln löste. Freiwillig bückte er sich, um den engen Durchschlupf zu bewältigen. Direkt neben dem Auslassventil nahm er Haltung an und grüßte. An dieser Stelle musste er schon Gravitationsverlust spüren. Der Maschinist schloss die Wartungsklappe und drückte einen Knopf. Das Magnetfeld dehnte sich aus, die Materie-Antimaterie-Reaktion setzte wieder in voller Stärke ein. Einen Moment noch sah man die Umrisse des Meuterers, dann glimmte der Photonenstrahl in gewohnter Konstanz. Unspektakulär. Greydon hatte einmal eine Hinrichtung unter Gefechtsbedingungen anordnen müssen, während eines Bodenkampfs auf einem Planeten, abgeschnitten vom Raumverband, unter feindlichem Beschuss und mit zur Neige gehender Munition. Einer der Offiziere musste sein Schwert benutzen. Das Spritzen des Blutes hatte wahrhaft erzieherischen Effekt gezeigt. Kein einziges Widerwort mehr hatte Greydon zu hören bekommen.

Zumindest machte sich der Deserteur auf diese Weise noch nützlich. Ein Jammer nur, dass die gewonnene Energie in dieser Dimension nicht ausreichte, Schub zu erzeugen. Karudis ließ abtreten.

»Schade um ihn«, murmelte er, als die Mannschaften das Deck verlassen hatten.

»Ein Meuterer.«

»Ja, Herr, jedoch zwangen ihn die Umstände dazu.«

Greydon riss seinen Kopf herum und starrte Karudis an. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Herr, zu anderen Zeiten hätte er es weit bringen können in der Flotte. Ein vorbildlicher Offizier.«

»Seine geistige Stabilität ließ zu wünschen übrig. Wenn er diesen Stress nicht verkraften konnte, wäre er auch unter Gefechtsbedingungen zusammengebrochen.«

»Ja, Herr.«

Die Antwort des Kommodores kam nicht mit der Überzeugung, die Greydon sich gewünscht hätte.

Sams Haltung verfiel in dem Moment, als der Transmitter sie freigab. »Verfluchte Scheiße, was habe ich mir da wieder eingebrockt?«

Noch bevor Ike wusste, wo sein Kopf saß, spürte er ihren warmen Körper in seinen Armen. Das Stechen ließ nach, er registrierte Sams Kabine um sich herum. Erleichtert stellte er fest, dass er wieder frei atmen konnte. Auch er hatte das Bedürfnis, seine Muskeln zu entspannen, und ließ sich auf ihr Bett sinken. Sie schmiegte sich an ihn.

»Du hast es doch ganz gut durchgestanden.«

»Ike, sie wollten, dass ich sie umbringe!«

»Kleines, du hast es mit Rikaniern zu tun. Nur der Staat zählt, nicht das Individuum.« Bei den Tartanen lief es auch nicht viel anders. Nur Ike hatte …

»Das war der Herrscher. Ike, der Herrscher ist der Staat. Sie wollten von mir, dass ich ihren Staat zerstöre, alles, was ihnen etwas bedeutet.«

Und das nur, weil Sam das Selbstbewusstsein der Rikanier angekratzt hatte. Na ja, zugegeben, ein wenig mehr als nur das Selbstbewusstsein. Dreiviertel ihrer Flotte. Die Rikanier gingen davon aus, erst in Jahrzehnten ihre Schlagkraft wiederzuerlangen. Trotzdem: Schiffe konnte man bauen, Mannschaften wuchsen nach. Selbst wenn Sam Tribute erpresst hätte, Territorium oder was auch immer, das rikanische Reich hätte sich davon erholt. Aber nicht vom Verlust der Führungsspitze. Rikan ohne Herrscher war wie … Tartan ohne Krieg. Hätte jemand wie Sam die Regierung übernommen, wäre das Reich in absolutes Chaos gefallen. Die Versorgung der Kolonien wäre zerbrochen, jeder Rebell hätte sich ein Stück vom Kuchen abgebissen, kleine Nachbarn ihren Konkurrenten ausgelöscht. Was vom Reich übrig geblieben wäre, hätte sich in Splitter aufgelöst. Millionen denkender Wesen wären gestorben.

Warum hatte der Herrscher das in Kauf nehmen wollen? Das ging über Ikes Begriffsvermögen.

Weil die Alternative Schlimmeres für das Reich bedeutete.

»Sag mal, Sam, was ist eigentlich mit diesen Geiseln?«

»Hab sie mit den Parjas zurück an Bord transportiert. Ich denke, Wally wird darüber einen Vertragspunkt ausarbeiten.«

»Sicherlich.« Wally, das einzige Wesen auf Cyrrion, dem man Diplomatie zutraute. Seine Wally. Er hatte sie nicht einmal angesehen. Dazu war später Zeit genug.

Wer waren diese Geiseln, dass sie für den Herrscher solche Bedeutung besaßen? Dass er eher in den Tod gehen, lieber sein Reich zerstören wollte, als sie Sam zu überlassen? »Sam, wo, sagtest du, sind die Geiseln?«

Sie blinzelte und sah zu Ike. »Äh … Mit den Parjas hoch. Sind sie noch nicht da?«

Ike richtete sich auf und Sam rutschte von seiner Brust. »Wie sollen sie rauskommen? Es sind keine Cyrrioner!«

Handelsverträge!«, schrie Rardon XCV. und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Wally zuckte zusammen und schob mit bebenden Fingern ihre Papiere zusammen. Nichts verabscheute sie mehr als körperliche Gewalt. Niemand konnte behaupten, dass sie gelassen in diese Verhandlungen gegangen war. Dieses Hantieren mit Papier, nur den Rikaniern zum Gefallen, war so furchtbar umständlich. Dauernd gerieten die Blätter durcheinander.

Und dann hatte Ike sie nicht eines Blickes gewürdigt. Das musste an seiner Anspannung liegen, denn sie wusste, wie stark Sam ihn mit ihren Emotionen belastete. Die Drakulonierin beherrschte sich zwar bis an die Grenze ihrer Fähigkeiten, aber Ike bildete ihren Blitzableiter. Niemand außer ihm hielt das aus.

Dass er unter dieser Anstrengung auch noch seiner Frau schöne Augen machte, konnte sie nicht verlangen.

»Bisher hat das Rikanische Reich den Import außerrikanischer Waren mit militärischer Gewalt verhindert. Sam wünscht freien Handel«, sagte Wally.

»Sam, Sam! Wer ist denn diese Sam?«

Kightor richtete sich auf seinem Sitz auf. Seine weißen Haare verliehen ihm ehrfurchtgebietende Würde, als ob Jahrhunderte alte Weisheit aus seinen Worten spräche. Sogar seine lisorianischen Kollegen und Vorgesetzten an der berühmten Universität hatte er damit genarrt und viel zu früh seinen hohen Posten erhalten. Dabei handelte es sich bei seiner Haarfarbe um einen genetischen Defekt. »Sam ist diejenige, der Sie Ihre militärische Niederlage zu verdanken haben. Ich muss nicht betonen, dass sie jederzeit weitermachen könnte. Und wenn Sie mich fragen, kommen Sie verdammt gut weg.«

Rardon hob fragend die Brauen. Sein Blick musterte die hagere Gestalt seines Gegenübers, die langen Finger und die spitzen Ohren. »Ich dachte … Sie drücken sich nicht aus wie ein Lisorianer. Dabei …«

»Ich wurde als Lisorianer geboren, lebe aber seit vier Jahren auf Cyrrion. Ich bezeichne mich als Cyrrioner.«

Der Rikanier ließ sich schwer auf seinen Stuhl sinken. »Sind Sie denn nicht stolz darauf, Angehöriger eines Volkes zu sein, das geistige Überlegenheit über alle Bedürfnisse des Körpers stellt? Das durch seine intellektuelle Brillanz seine Eigenständigkeit gegenüber allen anderen, militärisch und physisch überlegenen Völkern bewahrte? Dessen Wert jeder andere anerkennt, selbst der größte Feind?«

»Stolz ist genau die Eigenschaft, die mein Volk zu verdrängen sucht. Ich habe meine Gründe dafür, mich stolz Cyrrioner zu nennen.«

»Ich wäre dankbar, diese Gründe zu hören.«