Karl May

 

Im Lande des Mahdi III

 

Karl-May-Reihe Nr. 19

 

Impressum

ISBN: 9783955019655

2016 andersseitig.de

Covergestaltung: Erhard Koch

Digitalisierung: Erhard Koch


andersseitig Verlag

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01097 Dresden


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Aufgehängt

Unser nächstes Ziel war, wie bereits erwähnt, der Maijeh Semkat, zu deutsch der Maijeh der Fische. Dieser Name sagte uns, dass wir dort auf reichliche Fleischnahrung rechnen konnten. Drei Tage brauchten wir bis dorthin. Dann mussten wir das Schiff verlassen und den Landweg antreten. Aber wie? Marschieren? Durch diese sumpfige Gegend! Das wäre eine böse Anstrengung gewesen, bei welcher wir nur höchst langsam vorwärts gekommen wären. Also reiten? Ja; aber auf was für Tieren? Pferde und Kamele gibt es in diesen Regionen nicht; sie sind vollständig unnütz und gehen überhaupt sehr schnell zu Grunde. Man bedient sich dort eines Reittieres, welches freilich nicht so edel wie das arabische Ross und nicht so oft besungen wie das »Schiff der Wüste« ist, nämlich des Ochsen.

Diese Tiere gedeihen am sümpfereichen Obernile ganz vortrefflich. Sie sind stark, schnell, gelehrig und dabei recht gutmütig. Die Reitochsen scheinen sich durch Zucht herausgebildet zu haben und eine Rasse für sich zu sein. Natürlich werden sie auch zum Tragen von Lasten verwendet.

Konnten wir solche Tiere bekommen, so hatte die Berechnung der Zeit ein sehr günstiges Resultat für uns. Ibn Asl wollte im ganzen zwanzig Tage brauchen; er war erst fünf fort und gelangte also wahrscheinlich nach fünfzehn Tagen an sein Ziel. Wir aber konnten in neun Tagen Wagunda erreichen, und so bekamen wir einen Vorsprung von sechs Tagen, welcher mehr als ausreichte, ihm dort den von uns beabsichtigten Empfang zu bereiten. Nur fragte es Sich, woher für uns alle Reit- und für unser Gepäck Lastochsen bekommen. Wir mussten sie uns eben in der Gegend unseres nächsten Zieles, des Maijeh Semkat, suchen.

Da oben wohnen die Bor, welche ungefähr zehntausend Köpfe zählen, die vierzig Dörfer bewohnen und sehr große Rinderherden besitzen. Glücklicherweise sind diese Bor ein Zweig des großen Dinka-Volkes, und da es die Rettung der ihnen stammverwandten Gohk galt, so glaubten wir, bei ihnen die notwendige Unterstützung zu finden.

Dabei handelte es sich auch um die Zeit. Wir wollten nicht gern einen Tag versäumen und mochten also die Unterhandlung mit diesen Leuten nicht bis zur Ankunft unseres Schiffes aufschieben. Darum wurde beschlossen, das große Boot vorauszusenden, welches acht Ruderer und einen Steuerer mit den notwendigen Mundvorräten fasste. Acht Ruderer gaben demselben eine weit größere Geschwindigkeit als der ›Falke‹ selbst beim allerbesten Winde entwickeln konnte. Ich sollte die Leitung übernehmen und erhielt vom Emir die Vollmacht, ganz nach Gutdünken mit den Schwarzen zu verhandeln. Als Ruderer wurden acht der kräftigsten Männer ausgewählt, unter denen sich der Dinka Agadi befand, der den Dolmetscher zu machen hatte, weil keiner von uns der Dinkasprache ganz mächtig war. Dass wir alle auch wohlbewaffnet waren, versteht sich ganz von selbst. Einige der Asaker wollten wissen, dass der Maijeh Semkat von Nilpferden wimmele und an seinen Ufern ganze Herden Elefanten zu finden seien. Das ließ mich ein interessantes Jagdvergnügen erhoffen.

Dieser Plan wurde kurz nach unserer Abfahrt von der zerstörten Seribah besprochen und auch sofort ausgeführt. Wenige Zeit später waren wir neun Männer dem ›Falken‹ schon sehr weit voran.

Die Ufer des Flusses waren während unserer ganzen Bootsfahrt dicht bewaldet; auf dem Wasser gab es oft und reichlich Schilf, was uns aber nicht aufhielt, da wir überall leicht durchkamen. Um die Kräfte meiner Leute zu schonen, ließ ich abwechselnd vier und vier rudern; ich selbst saß am Steuer. Selbstverständlich führten wir auch ein Segel, um uns die Gunst des Luftstromes nutzbar zu machen.

Am Abende legten wir an, um den Aufgang des Mondes zu erwarten und dann weiter zu fahren. Ich musste wenigstens eine kurze Zeit schlafen, da ich während der ganzen letzten Nacht kein Auge geschlossen hatte. Agadi befand sich in derselben Lage. Die andern aber hatten auf dem Schiffe ihre volle Ruhe gehabt. Ein Feuer schützte uns gegen die Stechfliegen, welche hier höchst lästig werden. Die Breite, in welcher wir uns befanden, gehört schon dem Gebiete der mit vollem Rechte berüchtigten Baudah an.

Der Nordländer hat nicht die geringste Idee von der Höhe, welche die Insektenplage dort erreicht. Unsere Stubenfliege, ja unsere so zudringliche Wasserschnake sind Engel gegen die höllischen Kreaturen, welche dort in Insektengestalt die andern Geschöpfe peinigen. Der Neger brennt große Haufen von Holz, Mist und nassem Stroh an, um seine Herde bei denselben lagern zu lassen. Er selbst gräbt sich bis an das Kinn in die heiße, stinkende Asche ein, um die Mücken und Fliegen von seinem Körper abzuhalten. Die greulichen Puppiparen bedecken die Rinder und Schafe oft in solcher Menge, dass die Haut gar nicht zu sehen ist. Einer solchen tage-, wochen- und monatelang fortgesetzten Plage muss das stärkste Rind erliegen. Darum ist selbst der letzte Matrose mit einer Namusiah versehen, und auf den Sklavenzügen hüllt sich der ärmste Askari in sein Netz, während freilich die bedauernswerten Schwarzen der entsetzlichen Plage vollständig preisgegeben sind.

Als der Mond über dem Walde stand, wurde ich geweckt, und es ging weiter. Der Schnabel des Bootes war mit einer Lehmdecke versehen, auf welchem wir ein Feuer brannten. Dieses schützte uns gegen die Fliegen und gewährte uns zugleich den Vorteil, Fische stechen und daran braten zu können. Der Rohl ist an Fischen sehr reich. Besonders reichlich wurde eine kleinere Welsart, welche sehr wohl schmeckt, gefangen.

Wir ruderten die ganze Nacht durch. Als am Morgen der Wind erwachte, wurde das Segel gerichtet und einem übergeben, während die andern sich, soweit es gehen wollte, in dem Boote niederlegten, um ein wenig zu schlafen. Dann wurde wieder gerudert, zur heißesten Mittagszeit abermals nur gesegelt, später wieder zu den Rudern gegriffen und dabei eine so bedeutende Strecke zurückgelegt, dass ich nach meiner Karte die Nähe des gesuchten Maijeh Semkat vermuten musste. Einer der begnadigten Asaker Ibn Asls war bereits einmal dagewesen und hatte mir gesagt, dass der Eingang zum Maijeh gar nicht verfehlt werden könne, weil kurz vorher der gewöhnliche Baumschlag aufhöre und von einem sehr ansehnlichen Delebwalde abgelöst werde.

Die Delebpalme ist neben der Dattelpalme die schönste Palme Nordostafrikas. Sie hat einen hohen, schlanken Stamm, welcher in der Mitte bauchig anschwillt und dann allmählich wieder dünner wird. Er erinnert dadurch an die Säulen mancher altägyptischer Bauwerke. Die dichte Krone besteht aus vielen dunkelgrünen Blattwedeln, welche denen der Dompalme sehr ähnlich sind. Die Früchte besitzen in reifem Zustande eine pomeranzengelbe Farbe und erreichen die Größe eines Kinderkopfes. Das Holz wird vorzugsweise zur Anfertigung leichter Boote und als Reibstock für das Getreide verwendet.

Der Abend war schon ziemlich nahe, als zu unserer Rechten das gesättigte Grün eines Delebwaldes erschien. Wir ruderten eine halbe Stunde an demselben hin, dann schien ein Arm des Flusses rechts abzugehen. Als wir demselben folgten, zeigte es sich, dass er sich bald zu einem weiten, seeartigen Becken erweiterte, welches der Maijeh Semkat, unser Ziel, war.

Wir hatten während der ganzen Fahrt keinen Menschen gesehen, und auch hier schien es, als ob uns keine Begegnung bevorstehe. Wir ruderten in den Maijeh hinein, dessen beide Ufer wir zunächst sehen konnten; dann traten sie soweit auseinander, dass wir uns, um gebotenen Falls schneller landen zu können, an das rechte hielten und demselben entlang fuhren. Während wir nahe am Lande schnell dahinglitten, suchte ich dasselbe mit gespannter Erwartung nach Spuren ab, welche auf die Anwesenheit menschlicher Wesen schließen ließen, lange Zeit ohne Erfolg. Die Zeit der kurzen Dämmerung näherte sich rasch, und schon glaubte ich, annehmen zu müssen, dass wir die kommende Nacht für unsern Zweck verlieren würden, als ich ein eigentümliches, guillotineartiges Gestell bemerkte, welches einige Schritte vom Ufer entfernt angebracht war. Vom Wasser aus führte ein tief ausgetretener Pfad zwischen den beiden Seitenpfosten und unter dem Querholze hindurch. An dem letzteren hing an einem schweren Steine eine kurze, eiserne Lanze, welche mit einer langen Leine in Verbindung stand, deren anderes Ende an ein leichtes Schilfbündel befestigt war. Die Spitze der Lanze war mit einem scharfen Widerhaken versehen.

Dieses Gestell war eine Nilpferdfalle. Das Nilpferd ist nämlich keineswegs ein so friedliches Tier, wie es oft beschrieben wird. Es greift den Menschen im Wasser sogar sehr oft ungereizt an. Verwundet ist es doppelt gefährlich, taucht unter und stößt dann wieder empor, um den Kahn des Feindes umzuwerfen und den letzteren zwischen den weit spannenden Kiefern zu zermalmen. Darum weicht ihm der Neger, wenn möglich, auf dem Wasser aus, stellt ihm aber desto eifriger am Lande nach, da das Fleisch und ganz besonders der Speck dieses Tieres ein sehr gesuchtes Nahrungsmittel ist. Selbst Weiße halten den Speck für wohlschmeckend und erklären die Zunge für eine Delikatesse.

Das Nilpferd hält sich tagsüber auf dem Grunde des Wassers auf und steigt am Abende an das Land, um sich an saftigen Pflanzen zu äsen. Besonders gern geht es da in die Zuckerrohr- und andere Felder, in denen es große Verheerungen anrichtet, da es wenigstens ebenso viel niedertritt, als es abweidet. Es hat da, wie fast jedes Wild, seinen bestimmten Wechsel, den es täglich benutzt, bis es ihn aus irgend einem Grunde aufzugeben gezwungen ist. Auf diesem Wechsel nun stellen die Neger ihre Fallen auf, schwebende Spieße oder Harpunen, welche, um einen kräftigen, tiefgehenden Stoß zu erzielen, mit Steinen beschwert sind. Die Fallen sind mit Vorrichtungen versehen, welche, sobald sie von dem Tiere berührt werden, die Harpune von ihrem Halte lösen und zum Falle bringen. Sie sticht sich tief in den Nacken oder Rücken des Tieres ein und kann infolge des Widerhakens von demselben nicht abgeschüttelt werden. Das verwundete Tier stürzt sich ins Wasser und verblutet nach und nach. Die Leiche kommt nicht sofort zur Oberfläche, sondern bleibt oft tagelang und noch länger unten. Wegen der in jenen Gegenden so außerordentlich schnell eintretenden Fäulnis würde das Fleisch verloren sein, aber die Harpune ist, wie schon bemerkt, mit einer langen Leine versehen, an welcher ein Schilfbündel hängt. Dieses letztere kann nicht untergehen; es schwimmt auf der Oberfläche des Wassers und zeigt den Suchenden an, an welcher Stelle das erlegte Wild zu finden ist.

So eine Falle hatten wir vor uns. Der unter derselben hindurchführende Pfad war der Wechsel eines Nilpferdes. Ich schloss natürlich: Wo man eine Falle aufgestellt hat, muss es Menschen geben, und richtete das Steuer nach dem Ufer. Aber ich hütete mich, gerade an dem Wechsel zu landen, und zwar nicht etwa aus Furcht vor dem Tiere, sondern aus Vorsicht betreffs der Menschen, welche wir aufsuchen wollten.

Noch wussten wir nicht, ob wir bei ihnen eine freundliche Aufnahme finden würden. Sie kamen jedenfalls zur Falle, um nachzusehen, und mussten, wenn wir dort landeten, unser Boot finden, auf welchem, wenn wir angegriffen wurden, unsere Rettung beruhte. Es musste uns also auf jeden Fall erhalten bleiben. Darum steuerte ich es noch eine Strecke am Ufer hin und legte erst dann an, als wir an einen schmalen Einschnitt kamen, den das Wasser machte und dessen Seiten so mit hohem, dichtem Schilfe bewachsen waren, dass man ihn kaum bemerken konnte. In diesen lenkte ich das Boot, welches, nachdem wir ausgestiegen waren, so in und unter das Schilf gezogen und geschoben wurde, dass es von einem Fremden fast unmöglich entdeckt werden konnte.

Jetzt mussten meine Leute warten, und ich ging zu der Falle, um sie und ihre Umgebung nach Spuren zu untersuchen. Es galt, zu entdecken, nach welcher Richtung wir uns zu wenden hatten, um diejenigen zu finden, von denen die Falle errichtet worden war. Das wollte ich ganz allein tun, um Spuren, welche uns verraten konnten, zu vermeiden.

Das war freilich nicht leicht, denn das Ufer war sumpfig, und die Füße sanken ein; aber die dadurch entstehenden Vertiefungen füllten sich sehr rasch mit so dicker, trüber Flüssigkeit, dass die Stapfen mir keine Sorge machen konnten. Um jedoch ganz und gar sicher zu sein, band ich mir Schilf um die Füße, so dass die Löcher, welche ich trat, fast genau den runden, großen Stapfen eines Nilpferdes glichen.

Bei der Falle angekommen, fand ich die Eindrücke nackter Menschenfüße. Als ich dieselben genau betrachtete, sah ich, dass die Leute, von denen sie herrührten, im Laufe des Nachmittages hier gewesen sein mussten. Um die beiden Pfähle war der weiche Boden aufgewühlt und hatte sich noch nicht wieder gesetzt. Ich schloss daraus, dass die Falle erst heute errichtet worden war.

Die Leute, welche diese Arbeit verrichtet hatten, waren nicht per Boot hier gewesen, sondern in und durch den Wald zurückgekehrt, wie die Fährte zeigte, welche sie gar nicht deutlicher hätten zurücklassen können. Ich beschloss, derselben eine Strecke weit zu folgen.

Der Wald bestand auch hier aus Delebpalmen, deren Kronen ein beinahe geschlossenes Dach bildeten. An den Stämmen rankten sich Schlingpflanzen empor, welche ihre Ausläufer nach allen Seiten sandten und zwischen den Palmen ein so dichtes Gewebe bildeten, dass ein Vordringen nur mit Hilfe des Messers möglich war. Darum waren die Neger gezwungen gewesen, sich einen Pfad durch dieses Geflecht zu hauen. Ich folgte demselben, immer bereit, bei einer etwaigen Bewegung schnell zur Seite abzuweichen, um mich zu verstecken.

Nach ungefähr fünf Minuten öffnete er sich auf eine lichte Stelle des Waldes, welche wohl durch Windbruch entstanden war. Auf derselben sah ich sechs Tokuls von solchem Umfange und so leichter Bauart, wie sie der Neger nur für einen kurzen Aufenthalt errichtet. Die Größe der Hütten ließ vermuten, dass trotz der geringen Anzahl derselben nicht wenige Menschen unter den sechs trichterförmigen Schilfdächern wohnten.

Vor den Türen lagen, saßen und standen die Schwarzen, lauter Männer, wie ich sah. Einige von ihnen waren beschäftigt, Feuermaterial zusammen zu tragen, denn in wenigen Minuten musste es dunkel werden. Wachen waren nicht ausgestellt; die Leute schienen sich hier vollständig sicher zu fühlen. An den Tättowierungen erkannte ich, dass ich Dinka vor mir hatte, also wohl Dinka von der Abteilung der Bor, welche wir suchten.

Ich kehrte auf dem Wege, den ich gekommen war, erst bis zu der Falle und dann zum Boote zurück. Dort erzählte ich, was ich gesehen hatte. Agadi, unser Dolmetscher, sagte:

»Das sind Krieger der Bor, Effendi. Sie befinden sich auf einem Jagdzuge und haben darum keine Frauen mit. Lass uns sofort zu ihnen gehen!«

»Meinst du, dass sie uns freundlich aufnehmen werden?«

»Ja. Warum sollten sie das Gegenteil tun? Wir kommen in freundlicher Absicht, und ich als ein Dongiol bin Stammesgenosse von ihnen. Komm, wir wollen gehen!«

Er wendete sich in der Richtung nach der Falle ab, um dieselbe einzuschlagen.

»Halt!« gebot ich ihm. »Lass uns dennoch vorsichtig sein! Es ist noch nicht so gewiss, wie du denkst, dass wir ihnen willkommen sind. Wenn wir uns zum Rückzuge gezwungen sehen sollten und nur den einen Weg nach der Falle hätten, so ist ihnen derselbe bekannt und sie können uns leicht verfolgen.«

»Wir haben doch gute Gewehre! Wir sind ihnen überlegen.«

»Ich fürchte mich nicht etwa vor ihnen; aber wenn wir Verluste vermeiden können, warum sollen wir es nicht tun? Machen wir uns einen zweiten Weg, welcher von hier aus direkt nach den Tokuls führt.«

»Wirst du die Richtung treffen?«

»Ganz gewiss. Falls wir fliehen müssen, ist ihnen dieser Weg unbekannt, und sie können uns nicht folgen. Dadurch gewinnen wir Zeit, unser Boot flott zu machen.«

»Wie du willst, Effendi; aber notwendig ist diese Arbeit nicht.«

Mochte er sich irren oder nicht, ich hielt es für besser, eine gesicherte Rückzugslinie zu haben. Wir zogen die Messer, hingen die Gewehre um und begannen, uns einen Weg durch die Schlingpflanzen zu bahnen. Wir taten dies selbstverständlich soviel wie möglich ohne Geräusch. Ich gab die Richtung an. Unsere Messer waren scharf und wir rückten ziemlich rasch vor. Dennoch wurde es dunkel, ehe wir die Lichtung erreichten. Da zündeten die Bor ihre Feuer an, so dass wir uns nach dem Scheine derselben richten konnten.

je weiter wir uns vom Ufer entfernten, desto trockener und fester wurde der Boden, was uns natürlich sehr willkommen war. Endlich hatten wir die Lichtung erreicht und sahen die Hütten vor uns liegen. Die erste derselben war von dem Orte aus, an welchem wir uns befanden, mit dreißig Schritten zu erreichen.

Vor jeder brannte ein Feuer, an welchem die Insassen beschäftigt waren, sich Fleisch zu braten. Der Duft desselben drang zu uns herüber. Agadi sog die Luft durch die Nase, schnalzte leise mit der Zunge und sagte:

»Das ist Mischwi el Husahn el Bahr. Sie müssen heut früh ein Nilpferd erlegt haben. Effendi, wir werden mit ihnen essen. Gehen wir gleich zusammen, oder soll ich erst mit ihnen sprechen?«

»Nein. Wir wählen keines von beiden, sondern den Mittelweg. Wir gehen zusammen bis an die erste Hütte. Dann trittst du vor, sie zu begrüßen und mit ihnen zu sprechen. Sobald du bemerkst, dass sie uns nicht Wohlwollen, eilst du zu uns zurück; das weitere wird sich dann finden.«

Agadi war einverstanden, und so schritten wir vorwärts. Da auch jetzt kein Wächter ausgestellt war, sah man uns nicht eher, als bis der Schein der Feuer auf uns fiel. Derjenige, welcher uns zuerst erblickte, stieß einen lauten Schrei aus, sprang auf und zeigte auf uns. Aller Augen richteten sich auf uns; ein vielstimmiger Schrei antwortete ihm; dann verschwanden die Schwarzen mit unglaublicher Schnelligkeit im Innern ihrer Hütten.

Am liebsten wäre ich gleich mit allen vorgerückt; aber ich sagte mir, dass dies nicht geraten sei. Ich sah Gewehrläufe, die auf uns gerichtet waren, aus den Eingängen ragen. Gingen wir jetzt weiter vor, so konnten wir niedergeschossen werden, ohne die Sicherheit zu haben, auch nur einen einzigen Schwarzen zu treffen. Darum ging Agadi allein nach derjenigen Hütte, welche die größte war und in welcher wir den Anführer vermuteten. Er schwenkte einen Palmenzweig in der Hand, überall, wo es Palmen gibt, eine Zeichen, welches eine friedliche Absicht bedeutet.

Bei dem Feuer angekommen, blieb er stehen. Er sprach gegen den Tokul; wir hörten eine antwortende Stimme. Die Worte gingen eine Zeit lang herüber und hinüber; dann kamen zwei Schwarze aus der Hütte. Sie waren nicht bewaffnet, traten zu Agadi und redeten mit ihm. Ihre Mienen, ihre Bewegungen dabei ließen auf keine feindseligen Absichten schließen. Endlich deuteten sie nach der Hütte, in welcher auch ein Feuer brannte, denn wir sahen den Rauch aus der obern Öffnung steigen. Sie luden ihn ein, mit ihnen hineinzugehen. Ich wollte ihm zurufen, dies nicht zu tun, unterließ es aber, um sie nicht misstrauisch zu machen. Er folgte ihrer Aufforderung.

Nun vergingen zehn Minuten, eine Viertelstunde, ohne dass er wiederkam. Aus der Viertel- wurde eine halbe Stunde, und noch immer ließ sich niemand sehen. Die Neger steckten in ihren Tokuls und kamen nicht heraus. Die Feuer, welche nicht genährt wurden, brannten immer niedriger. Das musste Bedenken erregen. Warum kam Agadi nicht wenigstens auf einen Augenblick heraus, um uns zur Geduld zu mahnen? Wenn wir warteten, bis die Feuer verlöschten, gaben wir den einzigen Trumpf, den wir jetzt hatten, aus der Hand. Ich rief den Namen Agadi einigemale, doch vergeblich. Ich rief ihm zu, dass er antworten möge. Da klang seine Stimme aus der Hütte: »Effendi, ich bin gefangen, weil man dich für Ibn Asl hält; sie glauben es mir nicht.«

»Ist der Anführer im Tokul bei dir?«

»Ja.«

»Er mag mit dir herauskommen. Ich will mit ihm reden!«

Er antwortete nicht. Es vergingen einige Minuten; dann sah ich ihn aus der Türe treten. Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, und außerdem hing er an einem Stricke, welcher in das Innere der Hütte reichte. Man konnte ihn an demselben augenblicklich hineinziehen.

»Nun?« fragte ich. »Wo ist der Häuptling?«

»Im Tokul. Er kommt nicht heraus. Ich soll dich auffordern, dich augenblicklich zu entfernen.«

»Und wenn ich es nicht tue?«

»So wird man uns erschießen. Und wenn du nicht gehst, zieht man mich an dem Stricke zurück und ermordet mich.«

»Und wenn wir gehen, was wird dann?«

»Es soll darüber beraten werden.«

»Wann sollen wir das Resultat der Beratung hören?«

»Morgen.«

»Warum erst dann? Du weißt, wie kostbar unsere Zeit ist. Wie und wo sollen wir es erfahren? Hast du etwa gesagt, wo sich unser Boot befindet?«

»Nein. Ich sagte, dass ich die Stelle zwar wisse, aber sie doch nicht beschreiben könne. Vielleicht überzeuge ich sie noch, dass du nicht Ibn Asl bist. Gehe zurück, und warte still bis morgen. Versuche jetzt nicht, mich zu befreien. Es würde mein augenblicklicher Tod sein.«

»Ich werde überlegen, was zu tun ist, und mich jetzt zurückziehen. Aber sage dem Häuptling folgendes: Ich werde schon beim Anbruch des Tages wiederkommen und mir Antwort holen. Erzähle ihm, was du von mir weißt, und teile ihm mit, dass, wenn dir nur ein einziges Haar gekrümmt wird, er es unbedingt mit seinem Leben bezahlen muss.«

Ich drehte mich um und entfernte mich mit meinen Asakern, doch nicht weit. Sobald uns der Schein der Feuer nicht mehr traf, blieben wir stehen. Als ich jetzt zurückblickte, sah ich Agadi im Eingange des Tokul verschwinden.

»Er ist verloren,« sagte einer der Soldaten. »Sie halten ihn für einen Verräter, für den Verbündeten von Ibn Asl. Da sie denken, dass du der Sklavenjäger bist, so werden sie bemüht sein, uns zu entkommen. Sie werden sich also heimlich davonschleichen und Agadi vorher umbringen.«

»Dass sie die Absicht haben werden, sich davon zu machen, das glaube ich auch. Aber wir werden sie hindern. Wir umzingeln das Lager.«

»Das hilft uns nichts. Wir könnten zwar einige erschießen, aber doch nicht alle.«

»Wenn sie fort wollen, müssen sie uns alle vor die Flinten kommen. Denke nur nach! Sie wohnen am Flusse und lagern jetzt am Maijeh. Der Wald ist undurchdringlich. Auf welchem Wege werden sie hierhergekommen sein? Etwa durch den Wald?«

»Schwerlich. Sie wollen Nilpferde jagen und wohl auch fischen. Sie sind auf dem Wasser hierher gekommen.«

»Einverstanden! Also wissen wir, was wir zu tun haben. Wir sahen ihre Boote nicht; sie haben sie versteckt, jedenfalls nicht weit von hier, und zwar in der Nähe des Nilpferdpfades, da man auf demselben am leichtesten nach dem Wasser kommt. Wenn wir ihnen diesen Weg abschneiden, können sie nicht fort. Wir sind acht Personen; das gibt vier Doppelposten, je einen im Norden, Süden, Osten und Westen des Lagers. Wir stellen uns am Rande der Lichtung auf, um, wenn der Mond nachher kommt, im Schatten sein zu können. Wollen die Neger auf einer Seite durchbrechen, so ruft der betreffende Posten. Wir andern hören es und eilen hinzu. Das ist alles, was wir zu tun haben. Die alten, schlechten Gewehre der Neger brauchen wir nicht zu fürchten. Kommt! Ich werde euch eure Plätze anweisen.«

Indem wir leise und langsam um das Lager schritten, ließ ich in der angedeuteten Weise drei Doppelposten hinter mir zurück. Der vierte bestand aus dem siebenten Askari und mir selbst. Ich hatte die südliche Stellung gewählt, weil da der Nilpferdpfad nach dem Maijeh führte und dies die Richtung war, in welcher wir ein Davonschleichen der Neger erwarten konnten.

Wir beide legten uns auf die weiche Erde. Es war unter den Palmen so dunkel, dass man uns nur dann gewahren konnte, wenn man über uns hinwegstolperte. Die Lagerfeuer verlöschten eins nach dem andern; als das letzte verglommen war, lagen auch die Tokuls in tiefer Finsternis. Es herrschte dort eine tiefe Stille. Auch die Tierwelt schlief, und kein Lüftchen regte sich. Die Tierwelt, ja, aber nicht die ganze. Myriaden von Leuchtkäfern zuckten unter den Wedeln der Palmen hin, und aber Myriaden Stechmücken fielen über uns her. Die lieben Tierchen sollten sich heute abend leider in uns täuschen. Es gibt nämlich in den Zuflüssen des oberen Niles eine kleine, ein- und linsenblätterige Wasserpflanze, welche gar keinen Geruch zu haben scheint, aber wenn man sie zerdrückt oder gar zerreibt, einen wahrhaft mephitischen Duft entwickelt. Wir waren am Nachmittage durch eine schwimmende Kolonie solcher Wasserpflanzen gerudert und hatten einige Handvoll von ihnen in das Boot geschöpft. Als wir dann ausgestiegen waren, hatten wir uns alle die Hände und die Gesichter mit ihnen eingerieben. Dies scheuchte jede Fliege, jede Mücke von uns fort.

Ich kenne keinen Gestank, welcher demjenigen dieser Sitt ed dschami el minchar gleicht. Wenn trotzdem ein Mensch, zumal ein Europäer, diese Qual derjenigen der Stechfliegenplage vorzieht, so kann man sich eine Vorstellung von der letzteren machen. Wird das Gesicht nicht durch ein Netz geschützt, so kann man es nach kurzer Zeit schon fast nicht mehr für ein menschliches halten. Es schwillt von dem Mückengifte an; die Augen verschwinden unter der Geschwulst; die Lippen werden zu förmlichen Wülsten, und die Nase verwandelt sich in einen blauroten Klumpen. Und wehe nun gar der Zunge, wenn es einer oder einigen Mücken gelingt, in den Mund zu kommen! Sie schwillt so an, dass sie fast die ganze Mundhöhle füllt, und wird unbeweglich. Das Sprechen wird zum unbeholfenen Lallen. Ebenso ist es auch mit den Ohren, deren Eingänge sich schließen, so dass man für lange Stunden taub geworden ist. Da lässt sich der Geruch der erwähnten Wasserpflanze doch noch leichter ertragen.

Und dazu waren wir gezwungen, weil wir die Mosquitonetze im Boote zurückgelassen hatten, da sie uns bei dem, was wir vorhatten, hinderlich gewesen wären.

So lagen wir eine ganze Weile, wohl eine halbe Stunde lang. Da wurden die bis jetzt so hellen Sterne bleicher, der Himmel im allgemeinen aber heller, denn der Mond ging auf. Er warf da, wo die Palmenkronen Lücken ließen, silberne, zitternde Lichter durch das Dunkel des Waldes, welche die wie Edelsteine flammenden Glühwürmer an sich lockten.

Da ertönte rechts von uns ein leises Geräusch.

»Hörst du, Effendi?« fragte mein Gefährte. »Was mag das sein?«

»Es kommen zwei Menschen geschlichen, jedenfalls sind es Neger.«

Sie kamen näher. Wir lagen an der Seite des Pfades unter den Schlinggewächsen, so dass sie uns nicht sahen. Es war hier unter den Palmen dunkel, dennoch erkannte ich die Umrisse ihrer schwarzen Gestalten, und es war mir, als ob sie Ruder in den Händen trugen. Als sie vorüber waren, wiederholte sich dasselbe Geräusch.

»Es kommen abermals welche,« flüsterte der Asaker. »Wollen wir sie vorbeilassen?«

»Ja. Sie gehen zu den Booten. Wenn wir sie vorbeilassen, können wir erfahren, wo dieselben liegen; im anderen Falle müssten wir sie mühsam suchen. Die nächsten aber, welche kommen, weisen wir zurück.«

Während ich ihm dies nur für ihn hörbar zuraunte, kamen die zwei Schwarzen an uns vorüber. Es war klar, sie wollten fort, und diese vier sollten die Boote klar machen. Ich horchte nach dem Lager hin und hörte nichts.

»Ich schleiche ihnen nach,« sagte ich. »Bleib' liegen. Kommen wieder welche, so rufst du sie an. Weichen sie nicht zurück, so schießest du den vordersten nieder. Das wird wirken, wenigstens bis ich zurückkomme.«

Ich kroch aus unserem Verstecke hervor und wendete mich dem Maijeh zu. Der Pfad hatte keine Biegungen, sondern führte schnurgerade nach dem Wasser und bildete, als ich eine Strecke gegangen war, eine Art Fernrohr, durch welche ich hinaus auf den Maijeh sehen konnte. Dieser glänzte im Scheine des Mondes wie flüssiges Metall; kein Lüftchen bewegte seine Oberfläche. Das Ufer wurde zunächst durch einen breiten Schilfrand gebildet, welcher zwischen dem Wasser und dem Walde lag. Aus diesem Schilfe erhob sich die Falle. Zwischen dieser und dem Walde sah ich die vier Neger stehen, mit dem Rücken nach mir gerichtet. Sie hatten allerdings Ruder in den Händen und schienen etwas, was ich aber nicht sehen konnte, auf dem Maijeh zu beobachten. Ich ging schnell weiter, bis ich den Ausgang des Waldes erreichte. Da sah ich, im Schatten der letzten Palmen stehend, den Gegenstand, welchen sie betrachteten.

Es war eine Nilpferdkuh, ein anscheinend riesiges Tier, nach der Größe des Kopfes zu beurteilen. Sie spielte im Wasser; sie tauchte auf und nieder, ließ aber, wenn sie emporkam, nicht den ganzen Körper sehen, sondern nur Kopf und Nacken. Auf dem letzteren hockte in sehr lächerlicher Stellung ein noch junges Nilpferd, welches die Höhe eines Neufundländerhundes hatte, aber dicker war.

Die alten Aegypter nannten das Nilpferd Rer, das ist Wasserschwein, und der Körper dieses Riesentieres hat wirklich eine große Ähnlichkeit mit demjenigen des Schweines, nur dass die Verhältnisse fast ungeheuerlich sind. Der Kopf lässt sich mit nichts vergleichen; es gibt eben kein Tier, welches einen ähnlichen Kopf besitzt. Das Gesicht des Hippopotamus ist ganz unverhältnismäßig breit und platt. Die kleinen, schweineartigen Augen stehen hoch oben. Der Rachen, welcher mit starken Hauern bewaffnet ist, kann einen starken Menschen in der Mitte des Leibes umfassen. Da Augen, Ohren und Nasenlöcher in derselben Ebene liegen, so kann das Tier den ganzen Leib verborgen halten und das Gesicht allein über das Wasser erheben, um zu atmen oder nach Feinden auszuschauen. Unter der starken Haut befindet sich eine dicke Schicht halbflüssigen Fettes, wodurch dem Tiere das Schwimmen ungemein erleichtert wird. Die sehr plumpen Beine sind so kurz, dass beim Laufen der Leib beinahe auf der Erde schleift.

Jetzt tauchte das Tier auf und ließ die Wasser zu beiden Seiten aus dem Rachen laufen. Dann wieder stieß es dieselben durch die Nasenlöcher, eine halbkugelförmige, dichte, feuchte Staubfontaine bildend, wälzte sich hin und her, schüttelte das Kleine ab, dass es ins Wasser fiel, nahm es wieder auf und näherte sich endlich dem Ufer.

Dort wurde das junge wieder abgeworfen; es platschte ziemlich beholfen durch das Wasser, erreichte das Land und trollte langsam den Pfad herauf, lief unter der Falle weg und blieb dann stehen, um sich nach der Alten umzusehen.

Diese hatte den Kopf über Wasser gehalten, um das Kleine zu beobachten und ihm, wenn nötig, beizustehen. Jetzt, da sich dasselbe auf festem, sicherem Boden befand, kam auch sie an das Ufer, eine gewaltige, unförmliche Körpermasse, welche sich wassertriefend und schnaubend an und durch das sumpfige Ufer arbeitete.

Das Junge sah die Alte kommen und trollte gemütlich weiter, sich den Negern nähernd, ohne dieselben, welche sich jetzt niederbückten, zu beachten. Es hatte noch keine Ahnung von den Gefahren, welchen sogar ein anmutvolles Nilpferd ausgesetzt ist.

Ich war ganz Auge. Meine Aufmerksamkeit war nur auf die beiden Tiere gerichtet. Alles andere erschien mir nebensächlich. So schien es auch den vier Negern zu gehen. Sie dachten nicht an die Boote, zu denen sie geschickt worden waren; sie sahen den köstlichen Braten, wenn auch in noch ungeröstetem Zustande, vor sich, und durch ihre Seelen ging ein tiefes Rühren, dem sich alles andere unterordnen musste.

jeder halbwegs gebildete Europäer kennt den gewaltigen Unterschied zwischen dem köstlichen Geschmacke eines zarten Spanferkels und dem schon mehr profanen Genusse, den ein alltäglicher Schweinebraten bietet. Ebenso weiß jeder leidlich erfahrene Sudanese zwischen dem Braten eines Nilpferd-Küchleins und demjenigen eines alten Hippopotamus zu unterscheiden. Hier kam das zarte Küchlein den Schwarzen so gar bequem entgegengetrollt, dass sie der Versuchung unmöglich widerstehen konnten. Sie sprangen auf, fielen mit den Rudern über das ahnungslose Tierchen her und schlugen es nieder. Es kreischte zwei- oder dreimal auf und erlag dann den schnellen, kräftigen Hieben, welche auf die empfindliche Nase gerichtet waren. Ich sah kommen, was nun kommen musste, nämlich das alte Tier.

Dieses hörte kaum die Schmerzenslaute seines jungen, so ließ es ein grimmiges Schnauben hören, welches mit sonst nichts zu vergleichen ist, und stürzte sich vorwärts. Mit einer Schnelligkeit, welche man dieser unförmlichen Fleischmasse gar nicht zutrauen sollte, schoß es durch die Falle. Dabei berührte es die Auslösung; die Harpune fiel - - aber hinter dem Tiere, weil die Bewegung desselben zu schnell gewesen war. Das Nilpferd blieb unverletzt und jagte weiter, bis dahin, wo das junge lag. Dort hielt es an und wendete es mit der Schnauze einige Male von einer Seite auf die andere.

Hatten die vier Neger sich für sicher vor dem Alten gehalten? Hatten sie gemeint, dass dieses nicht weiter als bis unter die Falle kommen könne? Wenn das der Fall war, so sahen sie sich schrecklich enttäuscht. Sie standen erst starr vor Entsetzen; aber dadurch, dass die Alte bei dem jungen anhielt, gewannen sie Zeit zur Flucht. Sie warfen die Ruder weg und rannten zurück, an mir vorüber, in den Wald hinein, dem Lager zu. In demselben Augenblicke hörte ich meines Gefährten laute, befehlende Stimme:

»Halt, bleib' stehen, sonst bist du eine Leiche!«

Dieser Drohung war zu entnehmen, dass die andern Neger oder wenigstens wieder einige von ihnen kamen. Die vier Ausreißer brüllten ihnen mehrere Worte, die ich nicht verstand, entgegen, jedenfalls eine Warnung. Zehn und noch mehr Stimmen brüllten; die Tierwelt erwachte aus dem Schlafe; Affen kreischten, Vögel erhoben ihre so verschiedenen Stimmen; der Schuss meines Gefährten krachte; im Lager heulten die Schwarzen; der ganze Wald war lebendig geworden. Meine drei andern Doppelposten ließen ihre Rufe ertönen; ich hörte ihre Schüsse fallen. Und das alte Nilpferd? Und ich?

Nun, wir waren hart hintereinander her, aber nicht etwa es hinter mir, sondern ich hinter ihm. Ich hatte mich tief in die Lianen gedrückt, um die vier Neger an mir vorüber zu lassen, und den Blick nicht von dem Tiere gewendet. Als es sich überzeugt hatte, dass das junge tot war, stürzte es wieder vorwärts, sah die Neger unter den Palmen verschwinden und schoss ihnen nach. Die Schnelligkeit, mit welcher dies geschah, war ganz unglaublich. Dabei ließ es einen Ton oder vielmehr Töne hören, welche gar nicht zu beschreiben sind. Das war kein Schnaufen mehr, kein Schnauben, kein Grunzen, kein Brüllen, und doch war es das alles und noch viel mehr als das.

Als es mir nahte, blieb ich stehen, nicht vor Schreck, sondern aus Berechnung. Meine beiden Läufe waren geladen; ich hätte schießen können, war aber vorsichtig genug, dies nicht zu tun. Das Riesentier musste so getroffen werden, dass es sofort fiel; hier unter den Bäumen aber hatte ich kein sicheres Zielen, und ein Nilpferd besitzt keineswegs viele Stellen, an denen es tödlich verwundbar ist. Von vorn durfte ich es auf keinen Fall nehmen.

Als es an mir vorüberschoss, streifte es mich, ganz leicht nur, im Verhältnisse zu seiner Stärke und seiner Masse; aber ich flog doch, wie von zehn Pferdekräften geworfen, seitwärts in das Dickicht, raffte mich jedoch sofort wieder auf und rannte hinterdrein. Was nun folgte, lässt sich wirklich leichter erleben als beschreiben.

Man denke sich einen von einem Nilpferde ausgetretenen Pfad, der keineswegs einem parkettierten Fußboden gleicht, sondern buchstäblich aus tiefen, runden Löchern, in denen das Wasser steht, zusammengesetzt ist. Rechts und links Dickicht. Oben die Palmenwipfel, welche den Pfad verdunkeln, und bricht ja ein einzelner Strahl des Mondes durch, so bewirkt er nur, dass die Unsicherheit vergrößert wird. Vorn Schüsse, Rufe, das Geheul und Geschrei der erschrockenen Menschen, von allen Seiten das Geplärr, Gekrächz, Gestöhn, Gebrumm, Gebrüll und Gekreisch der Tiere! Hart vor der Hand ein wütendes Ungeheuer, dem man den Garaus machen will, machen muss, um zehn und noch mehr Menschenleben zu retten!

Wie ich mit solcher Schnelligkeit vorwärts gekommen bin, wusste ich damals nicht und kann es heute noch viel weniger sagen. Das Nilpferd flog und ich flog auch, über die Löcher und Pfützen hinweg, zwischen den Lianenwänden hin. Ich stolperte über menschliche Körper, welche von dem Untiere niedergerannt worden waren, und kam doch nicht selbst zum Falle. Meine Füße berührten kaum den Boden, und doch blieb ich so gut bei Atem, als ob ich ruhig auf einem Sofa säße. Da lichtete sich das Dunkel über mir. Der Pfad war zu Ende, und die Bäume traten zurück. Die Lichtung begann und war vom Mondenscheine förmlich überflutet. Rechts, links, vorn rannten, flogen, schossen, stürzten, purzelten, wälzten sich schwarze Gestalten. Zehn, zwölf Sprünge vor mir stampfte das Nilpferd einen Mann unter den Beinen zu Brei. Fünf, sechs weite Sprünge links nach vorn, dann blieb ich stehen und legte an. Die Aufmerksamkeit zunächst auf mich selbst richtend, bemerkte ich, dass ich nicht zitterte; dann den Blick auf das Visier, die Mündung handtief hinter das linke Ohr des Hippopotamus gerichtet und dann losgedrückt. Der Schuss erdröhnte durch den Wald; die zweite Kugel folgte sofort nach; ich schnellte mich weiter nach links bis in den Schatten der nächsten Hütte, fuhr mit der Linken in die Tasche, wo ich die Patronen hatte, und wendete mich erst nun zurück, um schnell wieder zu laden und dabei zu sehen, welchen Erfolg meine Schüsse hatten.

Das Tier stand aufrecht, ohne sich zu bewegen. Es hatte den Rachen weit geöffnet und ließ die starken, stumpfen Hauer sehen. Es schien, als ob es in verderblicher Wut brüllen wolle, aber der Rachen blieb stumm; die Quelle der Stimme, die Lunge, war gelähmt. Ein schweres Zittern lief langsam über den Körper; er neigte sich nach rechts, nach links, nach vorn, wieder nach rechts und fiel dann schwer, wie aus Holzklötzen geschnitten, nach dieser Seite um. Da lag er starr und steif, ohne dass auch nur ein einziges Glied sich einmal noch bewegte.

Unterdessen hatte ich wieder geladen und näherte mich vorsichtig dem Kopfe, bereit, demselben nötigenfalls noch zwei schnelle Kugeln zu geben. Es war nicht nötig. Wie sich später zeigte, waren die beiden ersten direkt in das Gehirn gedrungen und hatten das Ungeheuer augenblicklich und vollständig gelähmt; es war tot.

Jetzt sah ich mich um. Mehrere Tote und Gequetschte lagen hier und dort an der Erde, sonst war niemand zu sehen; aber im Innern der Tokuls hörte ich Stimmen. Ich begab mich zum größten, trat in den Eingang und fragte:

»Agadi, bist du noch hier?«

»Ja, Effendi,« antwortete er. »O Allah, welch ein Schreck kommt über die Erde!«

»Bist du noch gebunden?«

»Ja, Ich hänge hier am Pfosten.«

»Sind noch andere hier?«

»Eine ganze Menge.«

»Ich werde dich abschneiden.«

Seine Stimme sagte mir, wohin ich mich zu wenden hatte.

Ich stieg zwischen, auf und über Menschen hinweg, welche ich nicht sah, und die sich dies ruhig gefallen ließen, schnitt ihn los, machte auch seine Hände frei und zog ihn dann hinaus auf den Platz. Wir waren, außer den Toten und Verwundeten, die einzigen Menschen draußen; die andern waren von der Angst in die Hütten getrieben worden. Als er das Tier liegen sah, schlug er die Hände zusammen und rief aus:

»Da liegt das Ungetüm, bei Allah, da liegt es! Ist es denn wirklich tot?«

»Ja, ich habe es erschossen.«

Ehe er antworten konnte, ertönte hinter der Tierleiche der laute Ruf:

»Allah akbar! Da liegt der vierfüßige Teufel, der uns alle verschlingen wollte! Er ist tot; er hat sein Leben lassen müssen und ist in seinen Sünden dahingestorben. Nicht wahr, du bist es, der ihn erschossen hat, Effendi? Ich steckte am Wege, und obgleich es dunkel war, sah ich dich hinter ihm her rennen.«

Der Sprecher war der Askari, mit dem ich am Wege gelauert hatte.

»Jetzt haben wir,« rief Agadi, »gewonnenes Spiel. Du hast das ganze Lager gerettet, hast den Kriegern der Bor das Leben erhalten, denn dieses Ungetüm hätte die Hütten und mit ihnen alle, welche sich darin befanden, niedergestampft. Nun kann uns niemand mehr als Feinde betrachten; nun wird man mir glauben, wenn ich wiederhole, dass du nicht Ibn Asl bist. Komm' mit herein, damit ich dem Häuptling sage, dass du sein Retter bist!«

»Dazu bedarf es meiner Gegenwart wohl nicht. Gehe also allein zu ihm. Er mag die Feuer wieder anbrennen lassen. Wenn wir das Tier zerlegen, soll jeder Bor ebenso wie jeder Askari sein Teil bekommen. Sage ihm das. Inzwischen will ich nach meinen Asakern sehen.«

Agadi trat wieder in den Tokul. Der Askari, welcher sich mit mir auf Posten befunden hatte, begleitete mich, als ich ging, um nach den sechs andern Asakern zu sehen. Sie hatten sich wacker gehalten. Keiner war von seinem Platze gewichen. Sie hatten das Geschrei, die Warnungsrufe gehört und die Verwirrung bemerkt, ohne aber zu wissen, welchen Grund dies habe, da sie die Sprache der Bor nicht verstanden. Die Schwarzen hatten vor dem Nilpferde fliehen und aus dem Lager brechen wollen, waren aber durch die Schüsse der sechs Asaker zurückgetrieben worden und hatten sich dann vor Angst in die Tokuls verkrochen. Freilich durfte ich meinen Posten ihr ruhiges Ausharren nicht allzuhoch anrechnen. Hätten sie gewusst, dass ein Nilpferd im Anzuge sei, so wären sie, obgleich sie den Schwarzen so wacker standgehalten hatten, sehr wahrscheinlich auch davongelaufen.

Ich führte sie in das Lager, ohne mich zu fragen, ob ich das auch wagen dürfe. Ich dachte gar nicht mehr daran, dass uns eine Gefahr drohen könne; ich war Herr der Situation gewesen und hatte das Gefühl, dass ich dies auch bleiben werde. Darum befahl ich meinen Soldaten, zwei große Feuer in der Nähe des Nilpferdes anzubrennen, damit es bei dem Scheine derselben ausgewirkt werde.

Während sie diesen Befehl ausführten, beobachtete ich die Schwarzen. Sie brannten ihre Feuer wieder an und holten ihre Angehörigen herbei, welche von dem Nilpferde getötet oder verletzt worden waren. Auch diejenigen, welche schon auf dem Pfade zu Fall gekommen waren, wurden gebracht. Im ganzen waren vier Mann tot und acht verwundet, und zwar meist schwer. Dies alles geschah in einer Weise, als ob unsere Anwesenheit ganz selbstverständlich sei. Als dann die Toten beiseite geschafft und die Verletzten in einem Tokul untergebracht worden waren, kam der Dolmetscher in Begleitung eines Schwarzen, den er mir als den Häuptling bezeichnete, zu mir. Ich konnte mir den Mann beim Scheine der jetzt wieder brennenden Feuer betrachten. Er stand im mittleren Lebensalter; sein Gesicht war beinahe vollständig schwarz, doch zeigten seine Züge nicht den bekannten Negertypus. Wie fast alle Angehörige des Dinkavolkes hatte er das Haar geschoren und nur auf der Mitte des Scheitels eine Art Skalplocke stehen lassen. Auch die bereits bei der Beschreibung des Dolmetschers erwähnte Tättowierung war in genau derselben Weise vorhanden. Sein Anzug bestand aus einem blauleinenen Hemde, welches ihm fast bis an die Füße reichte. Es wurde von einem Riemen zusammengehalten, in welchem eine alte Pistole und ein Messer steckten. In der Hand trug er eine lange, einläufige, arabische Steinschlossflinte. Er machte mir eine tiefe Verneigung, betrachtete mich mit neugierigen Augen, wobei sein Gesicht sehr bemerkbar freundlicher wurde, und sagte dann:

»Nein, du bist nicht Ibn Asl. Ich sehe das jetzt.«

Er bediente sich der Sprache seines Stammes, sodass Agadi mir die Worte verdolmetschen musste. Hierbei sei erwähnt, dass auch fernerhin jede Unterredung mit ihm oder einem seiner Leute nur mit Hilfe Agadis stattfand.

»Kennst du diesen Mann persönlich?« fragte ich ihn.

»Ja. Ich habe ihn einmal unten am Mokren el Bohur gesehen.«

»So kannst du allerdings entscheiden, ob ich dieser Halunke bin oder nicht.«

»Vorhin, als du an unserem Lager standest, konnte ich dein Gesicht nicht deutlich erkennen, und da ich weiß, dass Ibn Asl einen Sklavenzug zu unternehmen beabsichtigt, musste ich vorsichtig sein. Nun da ich dich aber so nahe vor mir habe, glaube ich den Worten dessen, den du zu mir sandtest. Ich musste ihm misstrauen, da ich erfahren hatte, dass er sich bei Ibn Asl befand.«

»Ich habe ihn über die Absichten des Slavenjägers aufgeklärt, und er hat sich infolgedessen von diesem losgesagt. Du kannst ihm und mir vertrauen.«

»Ich vertraue dir jetzt sehr gern. Sage mir, wie ich dir dankbar sein kann! Ich werde es gern tun.«

»Was ich getan habe, bedarf keiner Dankbarkeit; aber es gibt allerdings eine Gefälligkeit, um welche ich dich bitten möchte und die wir dir gut und ehrlich bezahlen werden. Wir brauchen Ochsen zum Reiten und zum Tragen unseres Gepäckes.«

»So ist es also wahr, dass Ibn Asl gegen die Gohk ziehen will?«

»Er will nicht nur, sondern er ist bereits unterwegs. Ich weiß, dass sie zu deinem Stamme gehören, und hoffe deshalb, dass du uns deine Hilfe nicht verweigern wirst.«

»Sie sind unsere Freunde und Verwandten, und es ist also unsere Pflicht, ihnen beizustehen. Dazu kommt, dass du uns gerettet hast. Dir sind sie fremd, und dennoch willst du sie retten; wie könnten wir, die wir zu ihnen gehören, dir unsere Hilfe versagen! Wie viel Ochsen brauchst du?«

»Ungefähr zweihundert. Wirst du so viele auftreiben können und zwar schnell?«

»Wenn du willst, kannst du schon morgen um die Zeit des Mittags tausend haben, denn wir sind sehr reich an Rindern, reicher als alle anderen Stämme, welche in dieser Gegend ihre Dörfer haben. Zweihundert werden zu wenig sein.«

Indem er diese letzteren Worte sagte, betrachtete er mich mit einem Lächeln, als ob er dabei einen für mich angenehmen Hintergedanken habe.

»Warum?« fragte ich ihn erwartungsvoll.

»Weil zweihundert Ochsen alle die Krieger, welche ausziehen werden, nicht fortbringen könnten. Wenn fremde Krieger sich solchen Entbehrungen und Gefahren unterwerfen, um den Gohk beizustehen, so dürfen doch wir unmöglich zurückbleiben. Ich werde zweihundert meiner besten Leute versammeln und mit euch ziehen.«

Nichts konnte mir lieber sein als dieses Anerbieten. Das war ja weit mehr, als ich hatte erwarten können! Darum antwortete ich erfreut:

»Ihr werdet uns sehr willkommen sein! Wir fürchten zwar Ibn Asl keineswegs, zumal wir überzeugt sind, dass die Leute Agadis, sobald wir mit ihnen sprechen, von ihm abfallen werden, aber man kann niemals der Kräfte zu viel haben. Nur fragt es sich, wie lange es dauert, bis du die zweihundert Krieger zusammenbringst.«

»Wann kommt der Reis Effendina mit seinen Leuten hier an?«

»Ich denke, dass er morgen gegen Abend hier sein wird.«

»Und ich meine, dass er dann nicht sofort aufbrechen kann, sondern bis zum andern Morgen warten muss. Da braucht er unsertwegen keine Zeit zu verlieren, denn ich werde jetzt gleich Boten aussenden, dass meine Krieger am Mittag schon beisammen sind. Damit wir uns unterwegs nicht der Nahrung wegen mit der Jagd aufhalten müssen, werden wir uns einen genügenden Vorrat von Speisen backen. Damit werden unsere Frauen und Mädchen bis zum Morgen fertig sein. Erlaube mir, mich zu entfernen, um dem Boten meinen Auftrag zu erteilen!«

Er rief seine Leute zusammen. Dann entfernten sich sechs von ihnen, um den Auftrag, den sie erhalten hatten, auszuführen. Sie gingen nach dem Ufer, um den Weg per Kahn zurückzulegen, die übrigen begleiteten sie, um das junge Nilpferd zu holen. Da auch ich mitging, sah ich, dass die Schwarzen ihre Boote in der Nähe der Nilpferdfalle versteckt hatten.

Als wir nach dem Lager zurückgekehrt waren, wurde auch das kleine Hippopotamus zerlegt; dann begann das Braten.

Ich saß mit meinen Asakern an einem der Feuer, und der Häuptling nahm bei uns Platz. Er freute sich auf den beabsichtigten Kriegszug, und ich erkannte aus jedem seiner Worte, dass wir an ihm einen sehr wackern Verbündeten haben würden.