Romy könnte eine große Schauspielerin sein, aber niemand sieht sie, denn sie ist nur die Souffleuse. Aber auch das nicht lange, denn nach einem harmlosen Flirt mit Hauptdarsteller Ben, dessen einzige schauspielerische Glanzleistung sein Auftritt als »Frischedoktor« in einem Waschmittelspot ist, wird sie gefeuert. Und Ben kurz nach ihr.

Romy kehrt zurück in ihr winziges Dorf, um dort ihr Erbe anzutreten. Hier leben nur noch Alte. Und die haben sich in den Kopf gesetzt, rasch das Zeitliche zu segnen, denn auf dem Friedhof sind nur noch zwei Plätze frei. Wer da zu spät kommt, muss auf den Friedhof ins Nachbardorf. Und da gibt es – wie jeder weiß – nur Idioten.

Romy schmiedet einen tollkühnen Plan: Sie will mit den Alten ein elisabethanisches Theater bauen. Aus der gammeligen Scheune hinter ihrem Hof. Und mit ihnen Romeo und Julia auf die Bühne bringen. Sie haben kein Geld, keine Erfahrung, aber einen Star: Der »Frischedoktor« soll Regie führen! Ben ist begeistert: Regisseur! Das könnte unter Umständen der erste Job werden, den er nicht voll gegen die Wand fährt …

Bestsellerautor Andreas Izquierdo (Das Glücksbüro, Der Club der Traumtänzer) erzählt in seinem neuen Roman Romeo & Romy, wie ein Mauerblümchen seine Schüchternheit überwindet, gegen alle Widerstände seinem Traum folgt und damit nicht nur ein ganzes Dorf zu neuem Leben erweckt, sondern auch die große Liebe und eine Heimat findet.

Andreas Izquierdo, geboren 1968, ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er veröffentlichte u. a. den Roman König von Albanien (2007), der mit dem Sir-Walter-Scott-Preis für den besten historischen Roman des Jahres ausgezeichnet wurde, sowie den Roman Apocalypsia (2010), der den Lovelybooks-Leserpreis in Silber für das beste Buch 2010 erhielt und zum Buch des Jahres bei Vorablesen.de gewählt wurde.

Zuletzt erschienen von ihm die Bestseller Das Glücksbüro (2013) und Der Club der Traumtänzer (2014).

ANDREAS IZQUIERDO

ROMEO & ROMY

ROMAN

INSEL VERLAG

eBook Insel Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4441.

Originalausgabe

© Insel Verlag Berlin 2016

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Umschlag: Designbüro Lübbeke, Naumann, Thoben, Köln

Umschlagabbildungen: Fotolia, Berlin

eISBN 978-3-458-74459-7

www.insel-verlag.de

FÜR LUIS

VORSPIEL

1.

Es würde Tote geben, so viel stand fest.

Vier wenigstens, nein, fünf tatsächlich, aber erinnern würde man sich allenfalls an vier. Denn einer war so blass, so unwichtig, dass einen fast schon Mitleid überkam, weil sich bereits zu seinen Lebzeiten niemand für ihn interessiert hatte, er somit wenigstens im Tod eine Erwähnung verdient gehabt hätte. Die Wahrheit aber war, dass sich niemand an ihn erinnern würde, nicht einmal daran, dass er gestorben war. Gerecht war das nicht, aber es lag nun mal in der Natur des Menschen, sich dem Dramatischen zuzuwenden, dem Feuerwerk, dem Spektakel, dem lauten Geräusch.

Es würde also Tote geben.

Doch wie? Wie starb man richtig? Sodass der eigene Tod auch die Menschen erreichte? Es war bereits später Vormittag, und sie lag immer noch im Bett und dachte über nichts anderes nach: Wie starb man richtig? Es musste echt sein, unausweichlich, geplant, aber als Plan nicht bemerkt. In seinen Facetten ausgeleuchtet, in seiner Wirkung von größtmöglicher Strahlkraft. Aber wie? Laut? Leise? Deutlich? Subtil? Sowas durfte man nicht dem Zufall überlassen, und doch durfte unter keinen Umständen etwas Mechanisches durchschimmern. Die Kleinigkeiten waren entscheidend, die Details, die … nein, das Herz war entscheidend! Es musste das Herz berühren, sonst würde aus der Supernova des Schmerzes allenfalls ein Ladykracher.

Endlich stand sie auf und betrachtete sich im Spiegel: diese Haare! Mit dieser Wirrnis hatte sie den Tod verdient. Und keiner würde fragen, ob es richtig oder falsch wäre. Außerdem fand sie, dass ihre Oberschenkel zu dick und ihr Busen zu klein, ihre Nase zu groß und ihre Augenbrauen zu voll waren. Sah so jemand aus, dessen Name gleißend hell am Firmament erstrahlen würde? Dessen Tod Bedeutung haben würde und damit auch sein Leben zuvor? Die Beine zu kurz, der Hintern zu breit und ein Kleid, das sie wie eine aussehen ließ, die sich vor den Augen aller einen Dolch durch die Brust jagen konnte – allein man würde über ihren zuckenden Leib steigen und zusehen, dass man kein Blut auf die Schuhe bekam. Ausgerechnet heute, an einem so wichtigen Tag, war ihr, als würde unter ihren Füßen viel zu dünnes Eis ächzen und knacken und als würde sie im nächsten Moment ins Wasser schießen und nie wieder auftauchen. Keine Supernova, kein Spektakel, nur ein leises Platsch, und sie wäre weg, und niemand könnte sagen, wann und wo er sie das letzte Mal gesehen hätte. Oder wie sie überhaupt hieß.

Draußen trieb der Frühling frische Düfte durch die Straßen, die Sonne malte viele schöne Schatten auf den Asphalt, und sogar die als mürrisch geltenden Einwohner der kleinen Stadt tief im Westen der Republik schauten ganz freundlich drein. Romy jedoch dachte nur daran, dass es zu warm sei, zu freundlich, zu blühend. Wetter, das die falsche Stimmung beschwor: nicht unheilvoll stürmend, sondern sommernachtsträumend beschwingt. Furchtbar!

Ganz in Gedanken überquerte sie die Straße und übersah einen Wagen: Reifen quietschten, es roch nach verbranntem Gummi, dann tippte die Stoßstange sanft an ihr Knie.

Sie lebte!

Sie starrte den Fahrer durch die Windschutzscheibe an, der bleich die Hände um das Lenkrad krallte, und war dankbar. Um ein Haar wäre sie vorzeitig gestorben! Unter einem VW Polo. Und das in diesem Kleid!

Sie bog in die Fußgängerzone, spürte plötzlich Zuversicht, ja geradezu Lust am Atmen und freute sich mit einem Mal über die Sonnenstrahlen, die ihr auf der Nase herumtanzten. Jemand rief ihren Namen und drückte ihr pantomimisch die Daumen, und sie winkte zurück mit einem breiten Lächeln. Plötzlich waren alle düsteren Gedanken verflogen, sie nahm Fahrt auf und steuerte durch die Straßen und Gassen der kleinen Stadt auf ihr Ziel zu.

Das war ein toller Tag heute.

Ein perfekter Tag zu sterben!

Sie würden die Herzen aller berühren, und nichts Mechanisches wäre daran. Sie würden dahingehen in einem Feuerwerk der Leidenschaft. Alle fünf. Und sogar an den einen würde man sich erinnern, was ihn sicher freute, denn der arme Teufel neigte ohnehin zu Schwermut. Aber heute nicht! Er würde auftrumpfen, und niemand würde ihn vergessen.

Da kam er schon, der arme Tropf.

Wie er ihr winkte!

Und sie ihm.

Wie er ihr entgegenlief!

Und sie ihm.

Wie sie einander entgegenliefen!

Und als sie sich erreicht hatten, als er ihr in die Arme fiel und sie ihm, da sagte er nur unter Tränen: »Er hat mich aus dem fünften Akt gestrichen!«

Also doch nur vier Tote.

2.

Nicht nur der Tod konnte grausam sein, das Kürzen von Rollen auch. Genau genommen war es noch schlimmer als der Tod, jedenfalls für einen Schauspieler von Rang. Oder ohne. Noch gestern bei der Generalprobe hatte er wie ein Löwe gekämpft, hatte seinen Text zum Leuchten gebracht, hatte sie alle erreicht und war dramatisch dahingegangen. Und heute? Heute strich man ihn aus dem letzten Akt. Weil der Regisseur gesagt hatte, dass es die Dramaturgie stören würde. Weil er gesagt hatte, dass es vom eigentlichen Showdown ablenken würde. Und weil er gesagt hatte, dass er sich ernsthaft fragen würde, was Shakespeare nur geritten habe, diese Figur in den letzten Akt einzuweben.

»Shakespeare!«, rief Graf Paris empört. Und noch empörter: »Shakespeare!«

Graf Paris hieß eigentlich Ralf, aber jetzt, im Kostüm und in der Hitze der Leidenschaft, war er ein toller Paris.

Romy versuchte alles, den Untröstlichen zu trösten: »Ich finde, er hätte werkgetreu bleiben müssen!«

Paris nickte heftig: »Nicht wahr?!«

»Ein herber Verlust für den fünften Akt!«

Noch heftiger: »Nicht wahr?!«

»Es tut mir so leid!«

Er fiel ihr erneut in die Arme: »Ach, Romy … du bist die Seele dieses Ensembles. Du hältst alles zusammen, ohne dich wären wir alle verloren.«

Das war ein kleines bisschen übertrieben, aber es freute sie doch. Sie nahm ihn in den Arm und betrat mit ihm durch den Bühneneingang das Theater.

In den Umkleideräumen, den Gängen, auf den Treppen, Aufgängen und Stegen hoch über ihren Köpfen herrschte aufgeregtes Treiben. Hier huschte eine Darstellerin vorbei, halb bekleidet, an ihrem Rockzipfel die Garderobiere, die gerne geflucht hätte, aber sie hatte Nadeln zwischen die Lippen geklemmt, mit denen sie den Saum zu kürzen suchte. Dort rezitierte ein Darsteller lautstark seinen Text, offenbar unzufrieden mit der Intonation seiner Worte. Im Gegensatz zum Beleuchtungsmeister am Boden, der mit dem Beleuchter unter dem Dach über die Ausrichtung der Scheinwerfer stritt. In einer Ecke standen die Bühnentechniker bei ihrer gewerkschaftlich garantierten Pause, wobei es eigentlich immer so aussah, als wären sie in der Pause, wenn der Bühnenmeister nicht da war.

Romy zog Paris mittlerweile wie ein Kind hinter sich her, vorbei an einer Gruppe Komparsen und der Maske, in der zwei Visagistinnen Schauspieler schminkten und Smalltalk hielten. Sie stiegen eine kurze Treppe hinab und erreichten einen langen Gang, an dessen Ende Regisseur Peter von Teune gerade ein Zimmer verließ. Mit wehendem Schal und gereizter Miene.

Ein enger Flur, flackerndes Neonlicht, weiße Wände.

Ein kurzes Zögern.

Dann nahmen sie Fahrt auf und hielten wie Ritter beim Lanzengang aufeinander zu.

»Und du glaubst, du kannst ihn umstimmen?«, flüsterte Paris mit bebender Stimme.

»Aber bestimmt!«, flüsterte Romy über die Schulter zurück.

»Er sieht wütend aus!«

»Er sieht immer wütend aus!«

»Vielleicht war ich nicht gut genug?!«, zischte Paris ängstlich.

»Du warst grandios!«, zischte Romy zurück.

»Nicht wahr!«, rief Paris leise. »Nicht wahr?!«

Ein paar Meter noch, und Romy dachte plötzlich: Gott, wieso ist der nur so groß jetzt?! Riesig geradezu.

»Siehst toll aus, Romy!«, donnerte von Teune freundlich.

Für einen Moment war sie aus dem Konzept, und schon rauschte er an ihnen vorbei. Völlig ungebremst, mit flatterndem Schal und einem Hauch Dior in seinem Windschatten.

Sie sahen ihm nach.

»Ensemblebesprechung in fünf Minuten!«

Weg war er.

Da standen sie nun.

Paris, immer noch an Romys Hand, ließ den Kopf sinken, bevor es förmlich aus ihm herausbrach: »Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht?«

Romy legte ihm tröstend die Hand an die Wange: »Du wärest ein toller Shylock!«

Paris’ Lippen bebten: »Aber ich bin Paris. Und man lässt mich nicht sterben!«

Dann lief auch er davon.

3.

Der Rest war Schmollen.

Nicht wie das Kind, das zu Unrecht bestraft worden war, sondern wie der Mann, der die Last der Welt auf seinen Schultern trug, und niemand da, der es bemerkte. Zudem dieser Mann einfach nicht glauben konnte, wie ungerecht, wie gedankenlos, ja, wie egomanisch die Welt war, genauer gesagt: die Kollegen. Alle standen sie auf der Bühne und lauschten gerade den Worten des großen Meisters, aber niemand sah ihn. Romy schenkte ihm ein Lächeln, aber er wollte es nicht. Niemand sollte ihm mehr zulächeln. Nie wieder. Er würde einfach stillstehen und wie ein Geist verblassen.

Die anderen hingegen konnten kaum stillhalten. Sie barsten förmlich vor Aufregung, vor Lampenfieber und der Lust zu spielen. Nur mit Mühe konnten sie von Teunes Worten folgen; sie gingen in Gedanken ihre Texte durch, zappelten herum, traten von einem Fuß auf den anderen oder suchten heimlich die Blicke derer, die sie mochten. So wie Romy Romeo anblickte. Und Romeo Romy. Mal schelmisch, mal verstohlen.

Er sah so gut aus!

Endlich entließ sie von Teune, und sie stoben auseinander wie ein Schwarm pickender Hühner, in den man übermütig hineingesprungen war. Romy hielt Ausschau nach Romeo, doch sie fand ihn nicht, ahnte aber, dass er sie nicht aus den Augen gelassen hatte, und so schlich sie am Vorhang entlang von der Bühne, stieg eine kurze Treppe hinab, stieß mit einer hübschen, blonden Schauspielerin zusammen, die sie anfunkelte, bevor sie den Kopf hob und an ihr vorbeistolzierte, den Saum ihres Kostüms hebend, damit sie nicht drauftrat.

Schon im nächsten Moment spürte Romy, wie jemand nach ihr griff und sie am Arm in eine Nische zog.

»Romeo!«, lachte Romy. »Wer hat dich hergeführt an diesen Platz?«

»Die Liebe, die mich trieb, dir nachzuforschen. Sie lieh mir Rat, und ich ihr Augen.«

Wie schön das klang! Shakespeare.

Er sah sie an.

Und sie ihn.

»Du hängst!«

Er seufzte: »Scheiße! Immer diese blöde Stelle!«

»Seefahrer bin ich nicht …«, half Romy.

Er nickte: »… doch wärst du fern, wie ferner Strand …«

Dann näherte er sich ihr zum Kuss: »Beweg dich nicht, ich hol mir selbst den Segen. Dein Mund nimmt meine Sünde mit sich fort!«

Sie wehrte ihn kichernd ab. »Heb dir das für die Bühne auf!« Sie machte sich von ihm frei, beugte sich über seine linke Schulter und flüsterte: »Toi, toi, toi, mein schöner Romeo!«

Ein langer Blick, eine zärtliche Geste mit der Hand, schon eilte sie davon.

»So ungetröstet lässt du mich hier stehn?«, rief er schmachtend.

Romy drehte sich um: »Ja, was für Trost soll denn heut Nacht geschehn?«

»Für meinen Liebestreueschwur den deinen!«

Sie lachte: »Siehst du, es geht doch! Aber warte, ich habe etwas vergessen …«

Sie kam zu ihm zurück.

»Umdrehen!«, befahl sie.

Er gehorchte.

Dann trat sie ihm in den Hintern.

»Au! Das war ganz schön fest!«, maulte er.

»Es ist deine Premiere auf der Bühne. Das bringt Glück!«

Er rieb sich den Po und lächelte schief: »Ich weiß. Spuckst du mir bitte noch einmal über die Schulter?«

Wieder beugte sie sich über seine linke Schulter und sagte: »Toi, toi, toi!«

Dann lief sie erneut davon: »Wir sehen uns auf der Bühne, Romeo!«

»Julia?!«

Sie drehte sich fragend zu ihm um.

»Was Liebe kann, wird Liebe immer wagen!«

Sie lächelte und warf ihm eine Kusshand zu.

Diese Minuten vor der Premiere.

Die Anspannung, das nervöse Gelächter, das sanfte Gemurmel eines sich füllenden Saals hinter dem Vorhang. Kostüme wurden gerichtet, Schweiß getupft, letzte Stimmübungen gemacht. Dann, kurz bevor der Vorhang sich hob, kam von Teune zu ihnen, und auch er wünschte ihnen allen Hals- und Beinbruch. Vielleicht wäre ja alles gut geworden, wenn er es einfach dabei belassen hätte. Vielleicht hätte er einfach mit einem symbolischen Daumendrücken abtreten sollen. Aber er tat es nicht, vielmehr, er drehte sich noch einmal zu seinen Schauspielern um und sagte: »Und bitte vergesst nicht. Fünfter Akt, dritte Szene, Einstieg nach Graf Paris’ Tod! Also dann: Toi, toi, toi!«

Es war, als hätte er sich hinterrücks an den armen Paris angeschlichen und ihm die Klinge in den Rücken gestoßen. Ihm, den niemand getröstet, den niemand verteidigt hatte, der achtlos wie ein gebrauchtes Taschentuch auf den Boden geworfen worden war. Nun auch das. Eine letzte Demütigung.

Zu viel!

Wie der letzte Laut eines Sterbenden kam Paris über die Lippen, was keinem Schauspieler innerhalb eines Theaters je über die Lippen kommen durfte! Leise zwar, aber laut genug, dass Romeo es hören konnte. Er sah Paris entsetzt an, der selbst schockiert über das, was er gesagt hatte, die Hand vor den Mund hob und mit schlechtem Gewissen davonpreschte.

Romeo sah sich um: Was sollte er jetzt tun? Die Kollegen hatten es nicht gehört, starrten vom Bühneneingang auf die Bühne und den Vorhang, der sich gleich heben würde. Wieso war denn niemand in der Nähe, der ihm helfen konnte? Der einen Rat hatte? Er tat, was ihm gerade einfiel, und das war nicht sehr viel: drehte sich nach links um die eigene Achse, klopfte dreimal auf Holz und spürte, dass es nicht genug sein würde. Er war verflucht!

Wenn doch wenigstens Romy bei ihm wäre! Sie hätte gewusst, was in solchen Situationen zu tun gewesen wäre. Sie hätte ihm helfen können! Sie war immer für ihn da, unter ihrer Obhut erwuchs die Seele seines Spiels. Es waren ihre Augen, ihr sanftes Flüstern, das ihm die Welt bedeutete. Sie war doch seine Julia, ohne sie konnte er niemals Romeo sein!

Da war sie! Am Bühnenaufgang!

Sie umarmte jeden und flüsterte Toitoitoi. So wie alle Romy umarmten und ihr Toitoitoi wünschten. Sie winkte ihm zu, drückte noch einmal pantomimisch die Daumen, dann stieg sie hinab, eilte unter der Bühne hindurch zu einem winzigen Raum, in dem nur ein Stuhl stand, ein Textbrett und ein Licht.

Seine Julia.

Die Souffleuse.

Der Vorhang hob sich – das Spiel begann.

4.

Zu wissen, dass man ein Fiasko nicht würde aufhalten können, war ein bisschen zu viel für einen, dessen Premiere der Beginn einer großen Karriere hätte sein sollen. Und so schmolz vom ersten Satz an alles, was in ihm je Romeo gewesen war, dahin, sodass dort bald schon nicht mehr ein liebeskranker Montague aus Verona auf der Bühne stand, sondern nur Ben Rogotzki aus Oer-Erkenschwick, dessen größter Erfolg ein beliebter Werbespot für Waschmittel war. Der ihm ganz nebenbei zu diesem Engagement in der Provinz verholfen hatte, denn hier schätzte man mehr das Berühmte als das Talentierte. Zusammen mit einer hübschen, blonden Julia, die immer mal wieder im Fernsehen zu sehen war, eine, deren Gesicht einem irgendwie bekannt vorkam, aber deren Namen man nicht einordnen konnte. Diese beiden sollten Romeo und Julia zu einem Publikumsmagneten machen. Und zumindest für die Premiere war dieser Plan aufgegangen: Das Haus war ausverkauft.

Doch schon in der ersten Szene des ersten Aktes, gleich nach der Rauferei der Montagues mit den Capulets, suchte Ben unentwegt Romys Blick, und sie versuchte ihn aufzunehmen, ihm den Boden für Hingabe und Glück zu bereiten. Aber ohne Erfolg. Seine Sätze waren ohne Leben, ja, man konnte sagen: papieren. So blieben sie getrennt voneinander, ganz gleich, wie sie ihn mit Blicken lockte.

Und wie hatten sie harmoniert!

In der Generalprobe hatte es nur sie beide gegeben! Sie hatte sich praktisch aus dem winzigen, gerade mal fünfundzwanzig Zentimeter hohen Souffleurkasten nur mit der Kraft ihrer leisen Stimme befreit, war emporgeschossen zu Julia Capulet aus Verona, die jeden, der ihre Augen gesehen hatte, zum Gefangenen ihrer Leidenschaft machte. Sie hatte geweint, gelacht und gelitten wie keine vor ihr. Eine Gigantin des Theaterspiels – und niemand, der den Blick von ihr hatte abwenden können, am wenigsten Romeo.

Der hatte ihre Liebe, ihren Schmerz, ihre Sehnsucht, ihre Verzweiflung, ihr Hoffen, Ringen und Bangen mit allen Sinnen gespürt, obwohl er von der Bühne aus nur ihre Augen sehen konnte. Aber das hatte gereicht, sein Spiel zu beflügeln, weil sie an seiner Seite war. Da war plötzlich ein Band zwischen ihnen, das nur noch der Tod trennen konnte. Und als es dann so weit war, starb Ben den Bühnentod vollkommen erfüllt vor lauter Liebe.

Genau wie Romy.

Während der Generalprobe war dort unten, im Maschinenraum des Theaters, das Leben explodiert, während es auf der Bühne verkümmert war. Dort unten hatte jenes Herz geschlagen, war jener Konflikt entbrannt, der Menschen über die Jahrhunderte zu Tränen gerührt hatte.

Heute hingegen saß das Premierenpublikum völlig ungerührt da, weil es weder Liebe noch Verzweiflung spürte. Was es aber spürte, war eine minütlich zunehmende Entfremdung Bens von der Bühnen-Julia. Der war das Geturtel mit der Schlange im Bretterkasten schon während der Generalprobe gewaltig auf die Nerven gegangen. Schlimmer jedoch als das war, dass Ben seit gestern wie ein Idiot mit ihr poussierte, tändelte und balzte und nicht einmal bemerkte, wie sehr sein albernes Werben sie, die echte Julia, verletzte. Und jetzt ging das Seufzen und Gurren im Souffleurkasten schon wieder los, nur dass Ben seine Einsätze verpasste und spielte, als käme er gerade von einer Kegeltour.

Deswegen entwickelte ihr Spiel schnell Hitze, ja fast schon Raserei, sodass der erste Kuss im ersten Akt nicht das Los zweier Liebenden besiegelte, sondern wirkte, als könnte es Julia gar nicht abwarten, ihrem Romeo bei erster Gelegenheit einen Dolch durchs Ohr zu rammen.

Ein Desaster war das noch nicht, aber es stand kurz bevor. Ob es am Fluch lag? Oder an einer Verkettung unglücklicher Umstände? Jedenfalls steckte jemand einem Bühnenarbeiter, der gerade seine Mails auf Facebook checkte, einen gefalteten Zettel mit der Bitte zu, ihn Romy nach der Vorstellung zu geben. Alles, was er jedoch verstand, war, die Nachricht an Romy weiterzuleiten, und so reichte er den Zettel durch die Tür in die winzige Souffleusenkammer, als Romeo und Julia gerade die erste Balkonszene hatten.

Julia: »Wie kommst du her, sag mir, und sag warum? Die Mauern sind doch hoch und schwer zu klettern …«

Romy hielt den kleinen Zettel in der Hand und fragte sich, was es gerade so Wichtiges geben würde, dass sie jetzt Anweisung von der Regie bekam? Hatte sie zu laut gesprochen? Oder zu leise? Üblich war es nicht, dass einem während der Vorstellung eine Nachricht zugestellt wurde. Sie blickte zur Bühne hinauf und sah einen sehr fahrigen Ben.

Romeo: »Ich trag den Mantel Nacht, der mich verbirgt. Du liebe mich, sonst soll’n sie mich hier finden …«

Sie entfaltete den Zettel und las:

OMA LENE IST GESTORBEN.

BITTE KOMM SOFORT NACH HAUSE!

ANTON

Sie starrte auf die Zeilen, nicht sicher, ob sie den Sinn der beiden Sätze verstanden hatte, doch dann detonierte die Gewissheit mit einem grellen Blitz durch ihren Verstand, und in der Stille nach der Explosion rollte der Schmerz mit dumpfem, immer lauter werdendem Grollen an sie heran.

Julia: »Wer hat dich hergeführt an diesen Platz?«

Romeo: »Die Liebe, die mich trieb, dir nachzuforschen. Sie lieh mir Rat, und ich ihr Augen …«

Er stockte, blickte unauffällig zum Souffleurkasten, suchte verzweifelt die ihm vertrauten Augen, aber die waren nicht zu sehen. Und zu hören war auch nichts. Kein Flüstern. Kein Text.

Romeo hing.

Sekunden vergingen, in denen nichts passierte.

Julia zischte leise: »Seefahrer bin ich nicht …«

Doch Ben hörte sie nicht.

Sein Blick klebte förmlich am Souffleurkasten, was auch auf den Sitzen und Rängen nicht unbemerkt geblieben war: Hier und dort hörte man ein erstes Kichern über den Hänger und eine wutentbrannte Julia, die ihrem Romeo den Text mittlerweile so laut zuflüsterte, dass es die ersten Reihen mitsprechen konnten. Nur Ben offenbar nicht.

Romys Hände hingegen zitterten, sie hatte nicht bemerkt, dass sie gar nicht mehr atmete, und so entlud sich das Entsetzen in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und purer Luftnot: »NEIN!!!«

Sie weinte.

Romeo und Julia starrten auf den Souffleurkasten.

Das Bild zu einem Stillleben erstarrt.

Romy fand nicht mehr zu ihrer Aufgabe zurück, Ben nicht mehr zur Szene, und Julia verließ nach einer gefühlten Ewigkeit wütenden Schritts die Bühne.

Vorhang.

5.

Natürlich hob sich der Vorhang wieder nach ein paar Minuten, aber die Vorstellung war unwiderruflich ruiniert. Schlimmer noch: Der Vorfall schien das ganze Ensemble angesteckt zu haben. Niemand konnte eine akzeptable Leistung abliefern, außer Paris vielleicht, der sich sehr wacker schlug, auch ohne Bühnentod. Nach der Darbietung war er jedoch schnell verschwunden, ohne mit den Kollegen die missratene Aufführung in Sekt zu ertränken.

Ben war auch nicht nach Feiern, obwohl ihm sonst immer nach Feiern zumute war. Er hatte seinen Romeo derart zu Ende gequält, dass das Publikum letztlich froh war, als er endlich tot war und sie und auch sich selbst erlöste. Anschließend hatte ihn noch Julia in der Garderobe fünf Minuten angeschrien und war dann türeschlagend aus dem Theater gestürmt.

Immerhin hatte niemand gebuht, es gab sogar Applaus, wenn auch sehr verhalten. Fast hatte es den Anschein, als ließe man die Schauspieler auf der Bühne einfach stehen, während man sich Richtung Ausgang begab und hoffte, zum Abendkrimi rechtzeitig zu Hause zu sein.

Am nächsten Tag jedoch wurden eine wieder gefasste Romy, Ben, von Teune und die Bühnen-Julia zur Stadtverwaltung zitiert und trafen dort auf einen ziemlich angespannten Veranstaltungsmeister, Herrn Schubert, der demonstrativ in der einzigen Tageszeitung der Gegend blätterte. Es gab darin kein Feuilleton, sodass alle kulturellen Veranstaltungen im Regionalteil behandelt wurden. Und ein Blick auf die Überschrift, die irgendetwas mit »Eklat« enthielt, verriet, dass die Besprechung der Premiere wohl nicht sehr freundlich ausgefallen war.

»Ich denke, wir sollten uns über das, was gestern passiert ist, unterhalten«, sagte Herr Schubert und faltete die Zeitung sorgfältig zusammen. »Als wir, Herr von Teune, darüber gesprochen haben, was wir unserem Publikum hier anbieten können, kamen wir darin überein, dass es etwas sehr Bekanntes, sehr Großes sein müsste. Und ich denke, mit Romeo und Julia haben wir das größte und bekannteste Werk der Theatergeschichte an den Start gebracht. Sehe ich das richtig?«

Von Teune nickte zögerlich: »Richtig.«

»Ein Stück, das so berühmt ist, dass es nicht nur das Publikum, sondern auch alle Schauspieler kennen sollten, richtig?«

»Richtig.«

Herr Schubert starrte von Teune wütend an: »Und warum kennen Ihre Schauspieler es dann nicht?!«

Von Teune räusperte sich: »Sehen Sie, Herr Schubert, ich kann verstehen, dass Sie aufgebracht sind wegen dem, was gestern passiert ist, aber ich …«

Herr Schubert las ungerührt aus der Besprechung vor: »Ben Rogotzki, auch bekannt als der Frischedoktor aus der Waschmittelwerbung, spielte wie ein Schankwirt in einer Hobbit-Kneipe und behandelte Shakespeares Textvorlage wie ein Baby seine Windeln. Der einzige Trost dürfte da sein, dass ihm seine Kenntnisse als Frischedoktor bei der Reinigung von großer Hilfe sein werden.«

Julia konnte sich ein kurzes, amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. Von Teune schwieg, und Ben haderte: »Mann, sind die aber bissig hier auf dem Land!«

Herr Schubert ignorierte ihn: »Die Rolle der Julia hingegen hätte ein empathisches, ja flirrendes Spiel verlangt. Bekommen hat sie Constanze Strasser, auch bekannt aus der Vorabendserie Alle meine Kinder, die feinnervig wie eine Cruise Missile durch das Drama fetzte, und zum ersten Mal in der Theatergeschichte hätte es um ein Haar Szenenapplaus vom strapazierten Publikum gegeben, als sie am Schluss des Stückes die Güte hatte, sich endlich selbst zu entleiben.«

Constanzes Blicke schnitten Herrn Schubert in hauchdünnes Carpaccio. Und mit ihm die Zeitung, die er immer noch in Händen hielt.

Herr Schubert blieb völlig ungerührt: »Und sind Sie immer noch der Meinung, Herr von Teune, dass Ihre Schauspieler dasselbe Stück gespielt haben, das William Shakespeare 1597 einst erdacht hatte?«

Von Teune schwieg.

»Wollen Sie mir die Freundlichkeit erweisen zu erklären, wie es zu diesem Desaster gestern kommen konnte?!«, fragte Herr Schubert.

»Ich kann mir das nicht erklären, Herr Schubert. Noch in der Generalprobe lief alles wie am Schnürchen.«

Constanze schnaubte verächtlich.

»Ja? Frau Strasser?«, hakte Herr Schubert nach.

Constanze verschränkte die Arme vor der Brust und antwortete schnippisch: »Warum fragen Sie da nicht einfach mal die Souffleuse?!«

Romy spürte die Blicke, die sie von allen Seiten zu durchlöchern schienen, und bekam vor Scham und Schrecken einen roten Kopf. Eigentlich war sie nicht auf den Mund gefallen, aber vor allem Constanzes Ego, das ihr wie eine Bugwelle vorauseilte, spülte ihr bisschen Selbstvertrauen förmlich aus ihr heraus.

»Es gab da leider ein schreckliches Missverständnis mit einem Bühnenarbeiter …«, half von Teune.

Herr Schubert nickte nachsichtig. Dass Romys Oma gestorben war, hatte er also schon erfahren.

»Das meine ich nicht!«, schimpfte Constanze.

»Was meinen Sie dann, Frau Strasser?«, fragte Herr Schubert.

»Dass sie nicht weiß, wo ihr Platz ist. Das meine ich!«

Romy senkte den Kopf und versuchte, unsichtbar zu werden.

»Constanze!«, mahnte von Teune beruhigend.

»Hast du das wirklich nicht gemerkt, Peter?!«, fauchte Constanze wütend. »Am liebsten wäre sie die Julia gewesen!« Sie drehte sich zu Romy herum: »Aber ich bin die Julia! Ich! Verstehst du?!«

»Frau Strasser!«, mahnte Herr Schubert. »Es geht hier nicht um Eifersüchteleien …«

»Ich eifersüchtig? Ich?! Ich bin nicht eifersüchtig. Warum sollte ich eifersüchtig sein? Auf die?«

»Natürlich bist du eifersüchtig!«, maulte Ben. »Weil Romy die viel bessere Julia ist!«

»Sie ist die Souffleuse, du Hobbit! Die Souffleuse! Und leider hat sie dir deinen Verstand durch die Waschtrommel gedreht!«

»Oh, ja, klar, jetzt kommt die Nummer! Das ist ja sooo billig!«

Constanze lächelte böse und nickte Romy zu: »Billig? Hey, da stehst du doch drauf!«

»Du bist sowas von unprofessionell!«

»Du bist unprofessionell!«

»Nein, du!«

Constanze drehte sich wieder zu Herrn Schubert und blies sich wütend eine Strähne aus dem Pony: »Ich sag Ihnen was: Ich bin die einzige Professionelle in diesem Ensemble!«

»Schön zu hören. Gestern hätten wir eine Schauspielerin gebraucht …«, antwortete Herr Schubert.

Blicke wie Laser – Scheibchen in Laborqualität.

»Könnten wir vielleicht zu den Vorfällen auf der Bühne zurückkommen?«

Ben verschränkte die Arme vor der Brust: »Das war der Fluch.«

Jetzt ruhten alle Blicke auf ihm.

»Was für ein Fluch?«, fragte Herr Schubert.

»Na, der schottische Fluch!«, antwortete Ben.

Herr Schubert seufzte. »Sehen Sie, Herr Rogotzki. Hier in der Gegend gibt es keine Flüche. Es gibt Kühe. Schlechtes Wetter, zuweilen Starrsinn. Aber keine Flüche.«

Von Teune antwortete: »Das ist etwas sehr Theaterspezifisches, Herr Schubert. Wie Sie wissen, gibt es unter Theaterleuten einen gewissen Aberglauben, mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt.«

»Und?«

»Dazu gehört eben auch, dass es ein paar Dinge gibt, die man vor einer Vorstellung auf keinen Fall tun sollte. Pfeifen, zum Beispiel.«

»Hat jemand gepfiffen?«, fragte Herr Schubert.

»Nein.«

»Herr von Teune …«

Peter von Teune machte eine abwehrende Handbewegung und sagte: »Es gibt etwas Schlimmeres als Pfeifen. Jedenfalls unter Theaterleuten.«

»Und das wäre?«

»Macbeth.«

Herr Schubert sah verwundert vom einen zum anderen. Nur Ben nickte eifrig.

»Was ist damit?«

»Man darf diesen Namen nicht aussprechen!«

Von Teunes Gesicht war anzusehen, dass er mit dieser Erklärung selbst nicht wirklich glücklich war.

»Wir reden von Shakespeares Macbeth?«

»Ja.«

Herr Schubert lehnte sich in seinen Stuhl zurück: »Und es bringt Unglück, wenn man das ausspricht?«

»Allerdings!«, rief Ben.

»Idiot!«, zischte Constanze leise.

Ben drehte sich zu ihr: »Gegen dich ist Yoko Ono wie Mutter Teresa!«

»Oh, vor ein paar Tagen hat dir das aber noch ziemlich gefallen!«

»Da war ich betrunken.«

Plötzlich spürte er Romys Blick im Nacken und wagte nicht, sich umzudrehen.

»Könnten wir diese Kindereien lassen?«, fragte Herr Schubert. »Und zu den anderen Kindereien kommen? Macbeth?«

Ben antwortete: »Graf Paris hat es mir zugeflüstert. Unmittelbar vor der Vorstellung.«

»Und das hat gereicht?«, fragte Herr Schubert ungläubig.

»Da braucht es nicht viel!«, schnippte Constanze.

»Genau wie bei dir …«, konterte Ben.

Und wieder fühlte er Romys Blick im Nacken – wie unangenehm. Dass Constanze ihn böse anfunkelte war ihm hingegen egal.

»Da können wir ja von Glück sagen, dass wir Romeo und Julia ausgesucht haben. Stellen Sie sich mal vor, wir hätten Macbeth gespielt?!«

Herr Schubert hatte sich in Sarkasmus geflüchtet. In seinen Augen die einzige Chance dieses Gespräch geistig unbeschadet zu überstehen. Mittlerweile hatte ihn das Gefühl beschlichen, dass es doch einen Fluch geben könnte, nämlich mit Schauspielern in einen Raum eingesperrt zu sein, ohne die Möglichkeit zu haben, sie umzubringen. Oder sich selbst.

Von Teune sagte: »Theaterspieler sprechen dann immer nur vom schottischen Stück. Oder vom schottischen König … hören Sie, ich weiß, wie das im Moment in Ihren Ohren klingen muss …«

»Sie haben keine Ahnung, wie das in meinen Ohren klingt …«, gab Herr Schubert bissig zurück.

»Ich verspreche Ihnen, dass wir das ab jetzt im Griff haben. Gestern kam vieles zusammen, heute werden wir durchstarten und das Stück zu einem großen Erfolg …«

»Aber ohne die Souffleuse!«, fiel ihm Constanze ins Wort.

»Yoko!«, bellte Ben.

»Das ist mein Ernst! Ohne die Souffleuse.«

Von Teune versuchte zu schlichten: »Constanze, wir sollten das weniger emotional angehen …«

»Ich bin da ganz sachlich«, beschied Constanze, »aber Tatsache ist: Ich wurde hier als Julia eingekauft! Mich wollen die Leute sehen. Wenn ihr da anderer Meinung seid … bitte!« Sie stand auf und ging zur Tür: »Bei diesem Stück wird es nur eine Julia geben. Mich oder sie! Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«

Sie verließ den Raum – diesmal ohne Türknallen.

Einen Moment wusste niemand etwas zu sagen.

Dann räusperte sich Herr Schubert: »Wenn Sie uns dann bitte alleine lassen würden?«

Von Teune nickte kurz und stand auf.

»Aber es gibt doch bestimmt eine andere Lösung …«, schlug Ben halbherzig vor.

Herr Schubert antwortete: »Wir könnten den Romeo tauschen? Das könnte vielleicht ein Kompromiss sein?«

Ben schluckte, dann verließ er mit gesenktem Kopf den Raum. Romy wagte er immer noch nicht anzusehen.

Sie waren alleine.

»Was würden Sie an meiner Stelle tun, Romy?«, fragte Herr Schubert mild.

Romy spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.

»Das mit Ihrer Großmutter tut mir sehr leid. Aber wie Sie gerade eben gehört haben, geht es nicht um diesen kleinen Zwischenfall.«

Sie nickte.

»Wie lange sind Sie jetzt bei uns?«, fragte Herr Schubert.

»Knapp zwei Jahre«, antwortete Romy erstickt.

»Und Sie waren nicht immer die Souffleuse, richtig?«

Romy schüttelte den Kopf: »Nein.«

Herr Schubert schwieg.

Dann sagte er: »Ihr Vertrag mit uns läuft nur noch bis Ende der Spielzeit …«

Sie weinte und nickte gleichzeitig.

»Das Einzige, was ich für Sie tun kann, ist, Sie freizustellen. So lange werden Sie noch Ihr Gehalt beziehen. Wie gesagt: Es tut mir sehr leid. Sie sind ein netter Mensch.«

Romy stand auf und wischte sich die Tränen aus den Augen.

Er schüttelte ihre Hand: »Sie werden einmal eine tolle Julia sein. Aber leider nicht hier.«

Dann verließ Romy sein Büro.

Und das Theater.

DREI GRÄBER

6.

Dass die Großzerlitscher in letzter Zeit immer öfter über den Tod nachdachten, lag nicht daran, dass sie ihr kleines Dorf nicht mehr mochten, sondern ganz im Gegenteil: Es lag daran, dass sie ihr Dörfchen viel zu sehr mochten! Dabei war der Stolz auf die eigene Heimat im Prinzip auch gerechtfertigt, denn Großzerlitsch war ein hübscher Flecken Erde mit mittelalterlichen Häuschen in idyllischer Umgebung, mitten im tiefsten Erzgebirge, nahe der tschechischen Grenze. Aber es war auch schwer zu erreichen und lag sehr abgeschieden. So verwaist, dass die jungen Leute das Dorf schon lange verlassen hatten. Zurückgeblieben waren nur die Alten. Das war aber nicht der Grund, warum sie es sich in den Kopf gesetzt hatten, möglichst bald zu sterben. Es waren die schöne Heimat, auch wenn man tot davon gar nichts mehr haben würde, und eine gewisse Verstocktheit der städtischen Verwaltung von Kleinzerlitsch, die die Großzerlitscher nach einem frühen Grab schielen ließ. Oma Lenes Tod hatte diesen Umstand da nur noch befeuert.

Romy wusste von alldem nichts, als sie mit zwei großen Koffern am Bahnhof von Kleinzerlitsch ausstieg. Sie schleppte ihr Gepäck zum kleinen Bahnhofsvorplatz, bevor ihr ein junger Mann beim Tragen half und sie zum Roten Hirsch begleitete, der weit und breit das beste Essen zubereitete. In Großzerlitsch gab es das Muschebubu, aber da war die Auswahl nicht besonders.

Sie bekam einen Platz am Fenster und konnte so hinaus auf die Hauptstraße sehen, auf den Bahnhof und die fahrenden Autos. Es hatte sich seit ihrem letzten Besuch wieder viel verändert. Hier und da waren Fassaden erneuert worden, da und dort hatten neue Geschäfte eröffnet, und vom Zug aus hatte sie auch ein paar neue Häuser entdeckt. Kleinzerlitsch war wieder ein Stück gewachsen, der Tourismus hatte ein wenig Geld in die Gegend gebracht und auch bescheidenen Wohlstand. Es hatte ein schönes Nussknackermuseum, einige Geschäfte mit Erzgebirger Volkskunst, ein paar Gaststuben, meist Teil eines Hotels oder einer Pension. Lebensmittel- und Bekleidungsgeschäfte. Und natürlich die Hauptstraße, auf der immer Verkehr herrschte. Die Lebensader von Kleinzerlitsch.

Hier war was los!

Vor etwa vierhundert Jahren hatte Großzerlitsch an einer Handelsroute gelegen. Heute war es Kleinzerlitsch. Und so kam es auch, dass Kleinzerlitsch nicht nur viel größer als Großzerlitsch war, sondern auch Stadtrecht genoss und damit Verwaltungshoheit. Das alles hatte die Kleinzerlitscher aufgeschlossener, geschäftstüchtiger und optimistischer gemacht. Für die Großzerlitscher hingegen hatten die Kleinzerlitscher ihre Heimat schlicht verkauft. Und darum war denen auch egal, wo sie einst beerdigt werden würden. Den Großzerlitschern war es jedenfalls nicht egal.

Romy stieg in den Bus, der zweimal am Tag nach Großzerlitsch ging, ließ die Betriebsamkeit hinter sich und fuhr bald schon in einen Finsterwald mit hohen Fichten, die bei Regen und Kälte oft ein wenig nebelverhangen beieinanderstanden, sodass die Bäume aussahen wie riesige Soldaten, die sich dicht an dicht vor dem schlechten Wetter duckten und rauchten. Bald fuhr man einen steilen Berg erst hinauf, dann wieder hinab, über einen schmalen asphaltierten Weg, und hoffte, dass man keinen Gegenverkehr bekam, denn dann glich das zwei Ameisen, die sich auf der Kante eines Lineals begegneten.

Der Blick ins Großzerlitscher Tal versöhnte mit der etwas beschwerlichen Anreise. Es war lieblich und grün, von Wald und Wiesen umrandet. Fast sah es so aus, als hätte Gott hier einige Handvoll Häuser in die steilen Flanken hineingewürfelt und den Rest an der Straße verteilt, wo sie still aufgereiht warteten, dass der Tag vorüberging. Die meisten waren mit Holz oder Schiefer verkleidet, mit Sprossenfenstern und Schornsteinen auf dem Dach.

In der Dorfmitte ruhte ein von einem Bächlein gespeister Teich, früher mal der Löschteich des Dorfes, aber gebrannt hatte es seit Ewigkeiten nicht mehr, und einen Hydranten gab es mittlerweile auch. Von hier aus schlängelten sich wie Adern schmale, zumeist gepflasterte Wege und Sträßchen in alle Richtungen, vorbei an den Gebäuden im Zentrum, hinauf zu den Häusern an den Hängen.

Kurz hinter Großzerlitsch endete der asphaltierte Weg. Sackgasse. Mit Wendemöglichkeit für den Bus.

Romy stieg aus und winkte dem Busfahrer noch einmal zu, der ihr beim Heraustragen der Koffer geholfen hatte. Da sie der einzige Fahrgast gewesen war, hatte es ihn ermutigt, den Kavalier zu geben.

Sie atmete ein.

Sie atmete aus.

Es war nicht nur die klare, frische Luft, die so vertraut die Haut streichelte, es war, als spürte sie neben den Häuschen, Sträßchen und Gärten auch die, die hier schon immer gewohnt hatten. Sie hörte ihre Stimmen, ihr Gelächter, ihr Gemecker und ihr Seufzen wie ein immerwährendes Flüstern alter Geschichten, die das Laub rascheln ließen oder wie Pollen im Sonnenlicht tanzten. Erinnerungen. Wie die Farbe, die auf den Fassaden langsam verblasste.

Heimat war nicht das, was man sah, sondern das, was andere niemals sehen würden.

Ein Blick auf die Uhr verriet, dass sie spät dran war, daher stellte sie ihre Koffer schlicht an die Bushaltestelle und eilte los. Sorgen über ihr Hab und Gut musste sie sich nicht machen. Hier fuhr selten jemand vorbei und wenn, dann stahl er keine Koffer.

Eine weitere Besonderheit von Großzerlitsch war der Friedhof. Eingekeilt inmitten schöner historischer Friedhofsmauern, lag er zwischen verschiedenen Grundstücken, sodass man tatsächlich sagen konnte, dass er ein zentraler Teil des Dorfes war, und es gab keine Kirche. Die stand in Kleinzerlitsch. Die Großzerlitscher vermissten sie nicht, denn sie waren nie besonders gläubig gewesen.

Schon aus der Entfernung konnte sie die einleitenden Worte des Pfarrers hören und sah bald darauf die Großzerlitscher wie eine schwarze Traube um einen Sarg gruppiert. Anton bemerkte sie zuerst und winkte unauffällig: Er hatte ihr einen Platz frei gehalten. Erst dort, neben ihm und mit Blick auf den einfachen Eichensarg, wurde ihr Herz erneut schwer, und so weinte sie während der gesamten Beisetzung. Anton hielt sie tröstend im Arm, andere versuchten, ihr wenigstens ermutigende Blicke zuzuwerfen.

Der Sarg wurde hinabgelassen, ein Schäufelchen Erde von jedem Anwesenden setzte den Schlusspunkt. Die Großzerlitscher wandten sich nach und nach dem Ausgang zu, nur Romy blieb noch einen Moment an Antons Seite und starrte auf das herzlose Loch im Boden, das gleich von zwei städtischen Angestellten zugeworfen werden würde.

Oma Lene war nicht mehr da.

Der Gedanke war für Romy nur schwer greifbar, denn sie war immer für sie da gewesen. Selbst als sie in die Fremde gezogen war, hatte Romy immer das Gefühl gehabt, sie an ihrer Seite zu haben. Und jetzt war sie tot.

»Gut, dass du da bist!«, sagte Anton und strich ihr sanft ein paar Tränen von den Wangen.

»Ich kann gar nicht glauben, dass sie nicht mehr lebt«, antwortete Romy.

»Kommst du noch mit ins Muschebubu

»Ja.«

Sie wandten sich dem Ausgang zu. Wie dicht gedrängt hier Grab an Grab stand! Wie nah die Grundstücke und Häuser an den Friedhof stießen. Romy wusste, dass viele der Anrainer ganz gerne vom Fenster auf den Friedhof blickten, weil es so still war, so beruhigend.

»Es waren alle da«, sagte Romy.

Anton nickte: »Ja, außer Theo. Er musste sich um den Leichenschmaus kümmern. Und seine Mutter natürlich.«

Sie erreichten das kleine Eingangstor.

»Es ist so schnell gegangen«, begann Romy. »War sie krank? Sie hat nie etwas gesagt.«

Anton drehte sich zu ihr.

Er schien nach einer Antwort zu suchen, aber keine zu finden. So sagte er nur: »Nein, sie war nicht krank.«

Er wollte weiter, aber Romy hielt ihn am Ärmel fest: »Was ist passiert, Anton?«

»Ist doch nicht mehr so wichtig, Romy.«

»Doch, Anton, es ist wichtig. Für mich!«

Er sah sie an. Wieder dieses Suchen. Dann schien er aufzugeben und antwortete knapp: »Sie hat sich umgebracht, Romy.«

Er sah ihren Blick und wusste, dass er dem nicht lange standhalten konnte. Da drehte er sich schnell um und ging.

7.

Das Muschebubu hielt nur zum Teil, was es von außen versprach. Wilder Wein rankte sich an einem sehr hübschen Fachwerkhaus in die Höhe, rote Balken, weiße Lehmfelder, schwarzes Schieferdach versprachen dem müden Wanderer heimelige Rast. Doch schon dem Schankraum fehlte die Patina der Jahrhunderte, die Einrichtung stammte aus den Sechzigern, und der Boden war praktischerweise gefliest, leider nicht sehr schön. Die Fenster ließen wenig Sonne hinein. Vermutlich hatte das schummerige Licht dem Gast- und Wirtshaus einst den Namen gegeben, aber genau wusste das niemand mehr.

Theo schenkte Bier und Vogelbeerschnaps aus, er hatte ein paar Kleinigkeiten zu essen zubereitet, die nicht gerade reißenden Absatz fanden: Seit seine Mutter den Verstand verloren hatte, kochte er selbst. Jedenfalls war das Muschebubu voll, was selten genug vorkam. An allen Tischen und an der Theke saßen die Alten von Großzerlitsch und murmelten vor sich hin. In einer Ecke hing ein Fernseher unter der Decke, der immer lief, heute aber aus Pietätsgründen auf lautlos gestellt worden war.

Romy hatte Anton noch vor dem Eingang eingeholt und bestand auf einer Erklärung, aber Anton hatte abgewiegelt und gesagt, dass Romy sich keine Vorwürfe machen sollte. Lene hatte einen schönen Tod gehabt. Nicht gelitten, und man hatte sie auch in keiner unwürdigen Stellung gefunden. Sie hatte im Bett gelegen, als ob sie einfach eingeschlafen wäre. Und wahrscheinlich war sie das auch.

Romy zog Anton in eine Nische nahe am Tresen: »Anton! Sag mir sofort, was passiert ist!«

Anton bestellte ein Bier und bekam eins.

»Romy!«

Theo lächelte. Was wirklich nicht oft vorkam. Meist fluchte er. Und wenn er nicht fluchte, schimpfte er, und wenn er nicht schimpfte, war er mürrisch.

Romy umarmte ihn.

»Und? Bleibst du bei uns? Oder bist du nur auf der Durchreise?«, fragte Theo.

»Ich bleibe erstmal«, antwortete Romy.

Anton nickte stolz: »So berühmt, wie sie ist!«

»Anton! Bitte!«

Anton schüttelte den Kopf: »Nein, nein, ist doch so! Aus dir ist etwas geworden! Eine berühmte Schauspielerin!«

Theo stimmte zu: »Ja, wir sind alle sehr stolz auf dich, Romy! Wirklich!«

Sie wollte es korrigieren, aber sie sah Theos Gesicht und Antons Gesicht und brachte es nicht fertig, sie zu enttäuschen.

Und so sagte sie nur: »Ihr macht mich ganz verlegen …«

»Ach was!«, winkte Theo ab. »Solange du noch mit uns kleinen Leuten redest, kannst du ruhig noch berühmter werden.«

Irgendwo im Raum ging klirrend ein Glas zu Bruch.

Theos gute Laune raste wie das Beil einen Guillotine zu Boden: »Scheiße! Karl! Gläser sind teuer! … Du kannst nix dafür? Oh, ’tschuldige, war’s zu kühl? Mein Fehler!«

Er verschwand mit Kehrblech und Schaufel.

Romy sah ihm nach und wandte sich dann Anton zu: »Was ist mit Oma Lene passiert?«

Anton seufzte: »Der Friedhof ist das Problem.«

»Der Friedhof?«

Anton nippte an seinem Bier: »Er ist zu klein.«

»Das weiß ich, Anton. Er war immer klein, na und?«

»Es gibt nur noch drei Plätze … nein, warte: zwei. Einen hat Lene jetzt.«

Romy starrte ihn an: »Wovon zum Teufel redest du da?«

»Ich rede davon, dass der Friedhof zu klein ist. Und die Kleinzerlitscher wollen keinen neuen bauen, weil in Kleinzerlitsch noch jede Menge frei ist. Und erweitert werden kann er auch nicht, weil die Mauern unter Denkmalschutz stehen.«

»Und was hat das mit Oma Lene zu tun?«

Anton seufzte wieder, so als ob Romy eine Sache, die völlig klar war, einfach nicht verstehen wollte.

»Lene wollte hier sterben. Wir alle wollen hier sterben. Und es gibt nur noch zwei Plätze.«

Romy holte tief Luft: »Du verarschst mich gerade, oder?«

Anton schüttelte den Kopf: »Die meisten sind ehrlich gesagt ein bisschen sauer auf Lene.«

»WAS?!«

Ein paar der Alten guckten neugierig zu ihnen, doch als Anton eine beschwichtigende Geste machte, wandten sie sich wieder ab.

»Jetzt reg dich doch nicht auf, Mädchen. So sauer nu auch wieder nicht. Ich glaube, da ist nur ein bisschen Neid im Spiel.«

»WAS?!«

Anton runzelte die Stirn: »Romy, die Leute gucken schon. Wäre schön, wenn du mal was anderes sagen könntest …«

Eine Weile konnte Romy gar nichts sagen. Sie bestellte einen Vogelbeerschnaps und ein Bier, kippte den einen und spülte mit dem anderen nach. Da fühlte sie ein sanftes, schwummriges Gefühl, das half, ihre Zunge wieder zu lösen: »Du versuchst mir doch nicht gerade zu erzählen, dass ihr alle auf den Friedhof wollt?«

»Warum nicht? Ist doch schön hier!«

»Ihr habt sie doch nicht alle, Anton!«

Anton zuckte ungerührt mit den Schultern: »Die meisten von uns sind hier geboren. Da kann man doch verstehen, dass sie auch hier sterben möchten.«

»Schon, aber …«

Anton schüttelte den Kopf: »Kein Aber. Die Alternative wäre der Friedhof von Kleinzerlitsch. Und wie du weißt, liegen da nur Idioten!«

Jemand tippte Romy an: Hilde. Sie lächelte freundlich und nahm Romy zur Begrüßung in den Arm: »Meine Kleine, wie schön, dass du wieder bei uns bist!«

»Ich freue mich auch!«