Andreas H. Schmachtl

Die Freunde

vom Heckenrosenweg

Abenteuerliche Geschichten von Tilda, Rupert, Molly & Co

Inhalt

Eine nette Vorstellung

Tildas Freiraum

Streithähne

Ruperts schlimmer Tag

Der frühe Vogel … und so weiter

Molly gerät in Schwierigkeiten

Rettet Molly!

Wir demonstrieren!

Tilda, das Ehrenkaninchen

Hörnchen allein zu Haus

Einmal hoch hinaus, bitte!

Ein Leuchtturm-Abenteuer

Alle meine Entchen

Ist da jemand?

Ein Fall für die Wissenschaft

Humphrey zieht ein

Kirschblütenfest

Ein Traum in Holunderblütenweiß

Es war einmal ein Igel

Liebe Tante Emily

Mini-Rupert mal zwei

So schön wie früher

Das Beste zum Schluss

Eine nette Vorstellung

Schön, dass ihr da seid! Es gibt nämlich jede Menge Neuigkeiten von Tilda Apfelkern zu berichten.

Ihr wisst doch sicher noch, dass die holunderblütenweiße Kirchenmaus in dem kleinen Dorf irgendwo zwischen den Hügeln lebt, oder? Im Heckenrosenweg, direkt am Fuße des Kirchturms, steht Tildas behagliches Häuschen. Dort kocht sie leidenschaftlich gerne Marmeladen, bäckt die herrlichsten Kuchen und lässt beinahe keinen Tag vergehen, an dem sie nicht mindestens ein schönes Tässchen Tee mit ihren Freunden genießt. Also schaut doch ruhig mal bei ihr vorbei. Tilda wird sich sicher sehr freuen, euch zu sehen!

Eines Morgens, es mag jetzt ein paar Wochen her sein, hatte Tilda schon vor Tau und Tag alle Hände voll zu tun. Nun, eigentlich war das für Tilda Apfelkern nichts Neues. Denn wenn sie nicht gerade einem ihrer Freunde bei einer äußerst wichtigen Sache half, wollte sie wenigstens ein bisschen Ordnung in ihrem eigenen Häuschen schaffen.

Aber in diesem Augenblick wartete Tilda nun darauf, dass ihr wunderbarer Hefezopf endlich fertig war. Sie hatte den duftigen Teig vor dem Backen mit Eigelb bestrichen und mit Mandelblättchen bestreut. Schließlich sollte der Zopf nicht nur erstklassig schmecken, sondern er sollte auch so aussehen!

„Gleich werde ich noch drei Gläser frische Kirschmarmelade kochen, den Kartoffelsalat für heute Abend vorbereiten und dann“, sagte Tilda zu Schnecki, „könnten sie eigentlich kommen.“

Schnecki wohnte bei Tilda und war der ruhigste Hausgenosse, den man sich überhaupt nur vorstellen konnte. Ja, und mit „sie“ meinte Tilda natürlich ihre übrigen Freunde – allen voran Igel Rupert. Die zwei kannten sich, ach, schon ewig!

Rupert wohnte unter den knorrigen Wurzeln der mächtigen Eiche direkt gegenüber von Tildas Haus. Und über ihm lebte Edna Eichhorn mit ihren Zwillingen Billy und Benny. Robin Rotkehlchen hatte sein Nest in einem Mauerspalt neben der Kirchenpforte gebaut, und die graue Maus Molly lebte praktischerweise direkt unter dem Postschalter im Dorfladen, sodass sie immer genau berichten konnte, was im kleinen Dorf zwischen den Hügeln Wichtiges passierte.

Aber sagte ich eigentlich schon, warum Tilda ihre Freunde überhaupt eingeladen hatte? Nun, es war allerhöchste Zeit, das Zimmer im ersten Stock gleich rechts auszuräumen und zu renovieren. Und das konnte eine Maus allein natürlich kaum schaffen. Sogar wenn alle mit anfassten, würde das Räumen, Streichen und Putzen vermutlich den ganzen Tag dauern.

Molly klopfte als Erste an Tildas Haustür – und hatte die neueste Zeitung dabei. „Wir können uns praktische Malerhüte daraus basteln“, erklärte sie, nachdem sich die beiden Mäuse begrüßt hatten.

„Wir könnten die Zeitung aber auch erst einmal lesen“, schlug Tilda vor.

„Sicher“, nickte Molly. „Das ginge natürlich auch.“

Und das taten sie, gemütlich bei einer Tasse Tee, bis Robin erschien.

Wie der Blitz flitzten jetzt auch die Hörnchen in bester Laune quer durch den Garten. Nur Rupert … der kam wie immer zu spät. „Entschuldige, meine Liebe“, brummte er verschlafen. „Ich habe wirklich versucht, pünktlich zu sein.“

„Das weiß ich doch, Rupie“, sagte Tilda und reichte ihm erst einmal einen Tee. „Wir haben es ja nicht eilig, oder?“

„Nicht im Mindesten, Tilda“, versicherte Robin. „Für uns alle zusammen ist das bisschen Renovieren doch ein Klacks. Und wir haben sicher noch genügend Zeit für ein herrliches Frühstück.“

„Auf jeden Fall!“, stimmten die anderen zu. Und sie LANGTEN auch ordentlich zu. Im Handumdrehen war der gesamte Hefezopf verdrückt.

„Ehrlich gesagt bin ich nach dem guten Essen viel zu voll zum Renovieren“, gestand Edna.

„Und zu müde“, nickte Rupert. „Schließlich heißt es ja auch: ‚Nach dem Essen sollst du ruhn‘!“

„Na schön“, sagte Tilda. „Dann warten wir eben noch ein Weilchen. Ich könnte euch in der Zwischenzeit erzählen, welche Farben ich mir für das Zimmer ausgedacht habe: Die Wände sollen nämlich efeugrün werden. Nicht lindgrün, versteht ihr? Und die Holztäfelung würde ich mir cremeweiß wünschen.“

„Diese Farbe war wirklich nicht leicht aufzutreiben“, berichtete Molly. „Ihr könnt euch ja nicht vorstellen, wie viele Arten von Weiß es gibt: Schneeweiß, Eierschale oder Federweiß …“ Da Molly im Dorfladen wohnte, wusste sie über derlei Dinge natürlich besonders gut Bescheid. Und so zog beim Plaudern der Vormittag vorüber, ohne dass die Freunde Tildas gemütliche Küche auch nur verlassen hätten.

Gegen Mittag hatte die Sonne dann alle Wolken vom Himmel vertrieben, und Billy und Benny gefiel der Gedanke plötzlich gar nicht mehr, noch länger im Haus zu hocken und womöglich sogar Möbel schleppen zu müssen.

„Geht ruhig spielen“, sagte Edna.

„Ja, und nehmt Schnecki mit“, bat Tilda. „Er scheint sich ein bisschen zu langweilen.“

Damit waren drei der Helfer schon mal verschwunden. Und die übrigen dachten in der Zwischenzeit viel eher an ein schönes Mittagessen als an Tildas cremeweiße Zimmerwände.

„Ich könnte uns schnell ein leichtes Süppchen zaubern“, schlug Tilda vor. „Lasst aber noch ein bisschen Platz.

Schließlich soll es heute Abend noch Kartoffelsalat geben.“ „Oh, den werden wir nach all der Schufterei auch brauchen“, vermutete Rupert.

Aber um es gleich zu sagen: Das Zimmer renovierten die Freunde dann doch erst am nächsten Tag. Doch auch dieser Tag war keineswegs verschwendet gewesen. Immerhin hatten sie alle bei Tilda zusammengesessen, sich gegenseitig Geschichten erzählt und ganz nebenbei Tee und reichlich Gebäck verdrückt. Und das taten die Freunde ohnehin am allerliebsten.

Tildas Freiraum

Wenn man etwas Neues hat, dann möchte man es am liebsten mit seinen besten Freunden teilen und es sofort allen zeigen. Zum Beispiel ein schönes Buch oder eine besonders tolle Kaninchen-Figur.

Und nun stellt euch nur mal vor, wie es Tilda mit ihrem neuen Zimmer ging!

Schön, das Renovieren hatte vielleicht ein bisschen länger gedauert als geplant. Aber schließlich sah das Zimmer ganz genau so aus, wie Tilda es sich vorgestellt und schon lange gewünscht hatte.

Ihr müsst wissen, dass Tildas Häuschen aus wirklich enorm vielen verschiedenen Räumen und Zimmern bestand. Vor Tilda hatten nämlich schon viele, viele Generationen von Apfelkern-Mäusen in dem Haus am Fuße der Kirchenmauer gelebt. Und natürlich hatten es alle so umgebaut und eingerichtet, wie sie es gerade brauchten.

Damit hatte jeder Raum in Tildas Haus seine eigene und meistens recht verworrene Geschichte. Zum Beispiel hatte irgendwer ein Klo am Ende eines sehr langen Korridors angebaut. Der Weg dahin war allerdings so weit, dass Tilda überhaupt erst EINMAL in ihrem ganzen Leben dort gewesen war. Dann gab es noch die hübsche Kammer von Eusebia Maus, die Tilda nur durch einen Zufall beim Frühjahrsputz im letzten Jahr entdeckt und in die sie sich auf der Stelle verliebt hatte. Tildas Küche, ihr Wohnzimmer, ihr Schlafzimmer und sogar das Bad hatte sie schon immer genau so gekannt, wie sie bis heute aussahen.

Und ebendarum fand Tilda es ja auch so unglaublich spannend, EIN Zimmer so einzurichten, wie sie – und nur sie ganz allein – es wollte. Molly hatte natürlich versprochen, Tilda nach dem Renovieren beim Einrichten zu helfen. Und so standen die beiden Mäuse nun Seite an Seite in dem nagelneuen Zimmer.

Molly seufzte leise vor Glück: „Ist es nicht herrlich, wenn alles noch so neu und unbenutzt duftet?“

„Oh ja, und wie, Liebes“, stimmte Tilda zu.

So ein leeres Zimmer war wie ein ganz neuer Anfang. Alles war möglich und kaum etwas unwahrscheinlich. Ja, beinahe konnte Tilda ihren neuen Raum flüstern hören: „Komm schon, lass uns etwas ganz Besonderes aus mir machen.“

Und das wollte Tilda auch sofort tun. Die Frage war nur: Was?

„Hast du dir schon überlegt, wozu du dein neues Zimmer nutzen möchtest?“, fragte Molly, als hätte sie Tildas Gedanken erraten.

„Nun“, gestand Tilda kleinlaut, „eigentlich nicht. Zuerst dachte ich ja, ich könnte ein Schlafzimmer daraus machen. Immerhin war es bisher ja auch eines. Aber …“

„… ein Schlafzimmer hast du schon“, nickte Molly verständnisvoll.

„Eben“, grübelte Tilda. „Wenn man die hübsche Kammer mitzählt, habe ich sogar zwei. Rupert war ja der Meinung, ich könnte eine eigene kleine Bibliothek gebrauchen. Verstehst du? So eine, wie er sie hat.“

„Na klar“, jubelte Molly. „Dann brauchst du jede Menge Regale, einen Sessel zum Lesen, eine Lampe und ein Tischchen vielleicht. Ach ja, und Bücher natürlich. Und davon hast du ja wirklich genug.“

„Das stimmt“, antwortete Tilda. „Aber damit fangen die Probleme auch schon an. Denn meine Sachbücher stehen im Wohnzimmer. Die Geschichten brauche ich natürlich im Schlafzimmer, und meine Kochbücher müssen schon in der Küche bleiben. Streng genommen brauche ich also keine Bibliothek.“

„Hmm … ICH würde ja ein Nähzimmer aus dem Zimmer machen“, schwärmte Molly. Sie war im Handarbeiten nicht zu schlagen und hatte Tilda zur Einweihung ein paar hübsche Gardinen genäht und auch gleich aufgehängt.

„Du könntest aber auch ein Ankleidezimmer daraus machen“, schlug Molly vor.

„Ach, Liebes“, lachte Tilda. „Was soll ich schon groß ankleiden? Schal und Mütze kann ich mir auch im Flur anziehen.“

„Braucht Schnecki vielleicht ein Spielzimmer?“

„Er ist lieber in meiner Nähe.“

„Dann brauchst du sicher ein Arbeitszimmer“, fuhr Molly fort.

„Nun“, sagte Tilda, „streng genommen ist hier im Haus jedes Zimmer mein Arbeitszimmer.“

Noch einmal blickte Tilda sich in dem Raum um. Die Holztäfelung war wunschgemäß cremeweiß, die Wände darüber efeugrün gestrichen. Und die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster hereinfielen, ließen die Bodendielen honiggolden glänzen.

Im Grunde, dachte Tilda, hatte sie sich ihr neues Zimmer ganz genau SO vorgestellt. Sie freute sich über Mollys neue Gardinen. Dann würde sie noch ein Bild aufhängen, das ihr besonders gut gefiel, und eine hübsche Lampe aussuchen. Und sonst, dachte Tilda weiter, brauche ich eigentlich nichts.

„Ja, das ist es, Liebes“, verkündete Tilda zufrieden. „Ich werde dieses Zimmer ganz einfach leer lassen. Es ist sozusagen … mein Freiraum!“ „Tilda!“, jubelte Molly entzückt. „Du hast doch immer die besten Ideen!“

Und das stimmte auch. Ein bisschen Freiraum tut wohl jedem von uns gut, nicht wahr? Ja, und nachdem das beschlossen war, holten sich die beiden Freundinnen eine Decke, zwei Kissen, um es sich darauf gemütlich zu machen, und ein Tablett mit Teebechern und Haferflocken-Rosinen-Plätzchen. Sie breiteten die Decke einfach auf dem Fußboden aus und ließen sich dann genüsslich inmitten des warmen Sonnenflecks nieder. Ganz so, als würden sie ein Picknick machen.

So etwas geht natürlich in jedem x-beliebig vollgestellten Zimmer ebenso. Aber in Tildas Freiraum war es wirklich das wunderbarste aller Vergnügen.