Twilight-Line Verlag

präsentiert

 

 

 

Verborgene Wesen
III

 

Kryptozoologische Kurzgeschichten

 

 

 

 

 

 

 

Twilight-Line Verlag GbR

Redaktion KryptoFiction

Obertor 4

D - 98634 Wasungen

 

www.twilightline.com

www.kryptozoologie.net

 

1. Auflage, Oktober 2013

ISBN 978-3-944315-08-9
eBook-Edition

 

© 2013 Twilight-Line Verlag GbR

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

 

 

 

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Inhalt      

 

Vorwort

Michael Schneider

 

Mertens Gesindehaus

Lily Beier

 

Rätselhaftes Bermudadreieck

Susanne Haberland

 

Die Sammlung

Elisa Bergmann

 

Artgerechte Haltung

Britta Ahrens

 

Katwambimbi

Detlef Klewer

 

Der Rüsselwühler

Eileanora Eibhlin

 

Cethosia cydippe australiensis?

Bernar LeSton

 

Barometz, Schutz und Schatz in Arborium

Ollivia Moore

 

Die Autoren

Vorwort

 

 

Werte Leserinnen und Leser,

 

unsere Welt, die wir erforscht und erkundet glauben, steckt hinter dem Offensichtlichen voller verborgener Wesen, die sich in ihrer Existenz vor dem Menschen verbergen oder einfach von der zoologischen Beschreibung übersehen wurden, obwohl diese mitten unter uns existieren. Hin und wieder tauchen diese sonst verborgenen Wesen auf und drängen sich in unsere Wahrnehmung. Sei es nun der berüchtigte Yeti aus dem Himalaya, der Bigfoot aus Nordamerika, fliegende Ungetüme wie der berüchtigte Mothman oder Seeungeheuer, die hin und wieder aus den Tiefen auftauchen. Wesen, die wir nur dann wahrnehmen, wenn wir regelrecht über diese stolpern.

Die Kryptozoologie, also grob übersetzt die Studie der verborgenen Tierwelt, ist eine spezialisierte Suchmethodik nach eben solchen Wesen oder den Hintergründen so mancher Legende über Ungeheuer.

Auch wenn die Kryptozoologie an sich erst in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts definiert wurde, gehen die Wurzeln bis weit in die Vergangenheit des Menschen zurück. Seit jeher war der Mensch von seltsamen und dem Betrachter unbekannten Tieren fasziniert. Viele Sagen und Legenden beruhen auf solchen alten und immer weiter ausgeschmückten Überlieferungen. Schon in der Steinzeit fertigte der Mensch prachtvolle Höhlenzeichnungen jener Tiere an, die in seinem Lebensraum und in seiner Mythologie vorkamen. In der Antike und mit den Anfängen der zoologischen Klassifizierung unter Aristoteles und weiteren Gelehrten, flossen solche Wesen in das Klassifizierungsbild der Tierwelt mit ein, wo diese bis ins 17. und 18. Jahrhundert ihren festen Platz in der Tierwelt besaßen. Und es gab schon immer Menschen, die sich der Suche nach solch fantastischen Wesen verschrieben.

Selbst Conrad Gesner, der wohl federführendste Vater der modernen Zoologie, nahm noch diverse mythologische Wesen (z.B. Einhörner, Drachen) in sein mehrbändiges Werk Historia animalium mit auf, allerdings bereits in einer kritischen Betrachtungsweise. Während der großen Aufklärung indes verschwanden die meisten dieser fantastischen Wesen aus den Lehrbüchern dieser Zeit. Schließlich verkündete der französische Baron und Naturwissenschaftler Georges Cuvier im Jahr 1812 lautstark, dass nur wenig Hoffnung bestünde neue Tierarten zu entdecken. Wie sehr sich Cuvier jedoch irrte, zeigen die Entdeckungen der letzten Jahre eindeutig. Nach dessen Einschätzung hätten der Berggorilla (1903), das Okapi (1901), der Komodowaran (1912) oder das Saola (1992) niemals existieren können, stellen diese doch sehr große Vertreter von landbewohnenden Tieren dar, obwohl man bereits im 19. Jahrhundert unsere Welt für erforscht erklärte. Dass dies eben nicht der Fall ist und wir im Grunde genommen gerade erst richtig beginnen unsere Welt systematisch zu erforschen, belegt recht eindeutig die Zahl der bislang bekannten Tierspezies auf der Erde. Grob überschlagen kennen wir heute bislang etwa 1,75 Millionen Spezies, davon kennen die meisten Menschen weniger als 0,01 Prozent. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich bei diesen nur um einen Bruchteil aller existierenden Arten handelt. Schätzungen gehen davon aus, dass die Gesamtzahl aller Arten der Erde deutlich höher ist. Die extremen Annahmen reichen dabei bis zu 17,7 Millionen Arten, am häufigsten werden jedoch Schätzungen zwischen 13 und 20 Millionen Arten angeführt, wobei man sich allgemein auf einen Mittelwert von 15 Millionen verschiedener Spezies festgelegt hatte. Einen Großteil dieser bislang unbekannten Arten wird man unter den Insekten und Wirbellosen finden, aber auch eine Unzahl höherer Tiere warten noch auf ihre Entdeckung. Allerdings müssen wir gerade heute sehr vorsichtig agieren, da wir viele Arten vermutlich durch das Eingreifen des Menschen bereits ausgerottet haben, bevor diese überhaupt entdeckt werden konnten.

Und genau diese vor dem Menschen verborgenen Wesen beflügeln unsere Fantasie und regen zu Geschichten über solche Wesen an. Im dritten Band unserer kleinen kryptozoologischen Kurzgeschichtenreihe haben sich erneut acht Autoren zusammengefunden, um uns an ihren Fantasien teilhaben zu lassen.

 

Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

 

 

Michael Schneider

 

Mertens Gesindehaus

 

Lily Beier

 

 

Am Rande einer kleinen Stadt im tiefsten Sauerland stand ein uraltes, doppelstöckiges Anwesen am Fuße eines Hügels. Fernab von allen größeren Verkehrswegen erregte es kaum Aufmerksamkeit. Lediglich ein ausgetrampelter Pfad, der gelegentlich von Fußgängern und Geländefahrzeugen genutzt wurde, bot Zugang zu dem alten Haus mit seinen zahlreichen Außengebäuden. Einst musste es einem reichen Bauern gehört haben, denn die Baustrukturen trotzten seit Jahrhunderten Wind und Wetter, ohne dass größere Reparaturen notwendig gewesen wären.

Immer wieder kursierten in den nahen Dörfern und Kleinstädten Gerüchte von merkwürdigen Vorgängen hinter den hohen Mauern. Abergläubisches Volk spann Gruselgeschichten von Geistern und Dämonen, die angeblich dort ihr Unwesen trieben. Wanderer, die sich ungebeten in die Nähe des Anwesens wagten, berichteten von bestialischem Geschrei, bedrohlichem Knurren und Kläffen und dem Gestank geronnenen Blutes, der dauerhaft in der Luft lag. Wann immer jedoch die Polizei den Hinweisen der besorgten Bevölkerung nachging, fanden sie nichts Bemerkenswertes vor, außer einer großen Anzahl verlassener Haustiere, die der Besitzer bei sich aufnahm.

In der ehemaligen Scheune reihten sich mehrere Reihen von Käfigen und Zwingern aneinander, in der Hunde, Katzen und Kleintiere Zuflucht fanden. Auf Anfrage ließ der Besitzer, Merten Stockert, Interessierte aus dem Umkreis zu sich kommen, um diesen den einen oder anderen Findling anzuvertrauen. Andererseits fand er öfters auch verlassene Tiere vor seiner Haustür wieder, wenn er morgens die Tür öffnete, um sich die Morgenzeitung aus dem Briefkasten an der Grundstücksgrenze abzuholen. So wurde aus dem unheimlichen Ort ein Tierheim, an dem auch die Tierschutzbehörde nichts Verwerfliches finden konnte.

Um die Verantwortung nicht allein tragen zu müssen, stellte Merten Stockert eines Tages seinen Neffen Jannik ein. Nachdem sein Wunsch, Tierarzt zu werden, an seinen unterdurchschnittlichen Abiturnoten gescheitert war, nahm er das unerwartete Angebot des alten Mannes, der ansonsten keinen Kontakt zu seiner Verwandtschaft pflegte, dankend an.

Das einsame Landleben störte ihn nicht weiter. Ebenso wenig die abweisende Art des Mannes, für den er arbeitete. Jannik selbst reichte es sich um die Tiere zu kümmern, die nichts weiter von ihm verlangten als ihre tägliche Futterration und ein wenig Aufmerksamkeit. Selbst die scheusten oder gefährlichsten Kreaturen fassten schnell Vertrauen zu dem feingliedrigen, schmächtigen Rotschopf, der so oft von seinen Altersgenossen gepiesackt wurde.

Nach nur einem Jahr kannte er sich mit dem Geschäft seines Onkels ebenso gut aus wie der Mann selbst. Auch die etwas ungewöhnlicheren Aufgaben, in die er nach und nach eingeweiht wurde, meisterte er mit Bravour.

Das Leben auf Mertens Anwesen verlief gleichförmig. Nur selten geschah etwas Außergewöhnliches. Deswegen fiel Jannik das Licht, das eines Abends hell am Ende der Zufahrt aufleuchtete, sofort auf. Er befand sich gerade in der Küche, um sich nach einem langen Arbeitstag sein wohlverdientes Abendessen zuzubereiten. Überrascht blinzelte er, aber es bestand kein Zweifel. Zwei Lichtpunkte hüpften über den unebenen Grund, kamen immer näher.

Kundschaft?, fragte er sich unwillkürlich mit gerunzelter Stirn. Davon hat Merten gar nichts gesagt.

Sein Onkel war für einige Tage verreist und so konnte er nicht fragen, ob der Besuch angekündigt war oder nicht. Nicht zum ersten Mal verfluchte er die anachronistische Einstellung seines Mentors, die sich streng gegen überflüssige Technik und die moderne Lebensweise als Ganzes richtete. Merten besaß kein Mobiltelefon, auf dem Jannik ihn erreichen könnte.

Vermutlich sollte ich froh sein, dass er so etwas Neuartiges wie Elektrizität nicht aus seinen heiligen Hallen verbannt. Seine Mundwinkel hoben sich bei dem Gedanken. Dann eben auf die altmodische Art.

Rasch verließ er die Küche, trat hinaus in die Finsternis und lief eilig in die Scheune zu seinen Schützlingen. Einige begrüßten ihn mit freudigem Gekläff oder Quieken, wohl in der Hoffnung einen zusätzlichen Leckerbissen zu erhalten.

„Tut mir leid, meine Lieben“, rief er im Vorbeigehen. „Morgen, versprochen.“

So schnell wie möglich durchquerte er die Halle, bis er einen Zwinger am anderen Ende erreichte. Mehrere große Hunde lagen schläfrig auf dem Boden. Die meisten ignorierten ihn einfach. Nur wenige hoben die Köpfe. Und nur ein einziges Tier gab ein leises Kläffen von sich und löste sich aus dem Fellknäuel, um mit fröhlichem Schwanzwedeln auf ihn zuzulaufen.

„Hey, Benny“, begrüßte er seinen Freund, während er die Arme um den felligen Hals schlang. Benny jaulte leise und fuhr mit seiner rauen Zunge überschwänglich über sein Gesicht. Jannik hatte den mächtigen Bernhardiner kaum drei Wochen nach seiner Ankunft schwer verletzt auf dem Weg in die nächstgelegene Stadt gefunden und zu Merten gebracht. Zuerst dachten sie nicht, dass er überhaupt überleben würde, doch das Vieh erwies sich als überaus zäh. Seit seiner Genesung wich er Jannik tagsüber kaum noch von der Seite, auch wenn er allen anderen Menschen misstrauisch begegnete. Allein deswegen wusste der junge Mann, er würde sich viel sicherer fühlen, wenn der große Hund an seiner Seite war, wenn er dem unangekündigten Besucher gegenübertrat.

„Na, dann komm!“, forderte er das Tier auf und gemeinsam setzten sie sich in Bewegung. Jannik schloss das Scheunentor hinter sich. Mittlerweile hatte das Fahrzeug das Ende der Zufahrt erreicht und stand lauernd, wie der Schatten eines gewaltigen Raubtiers, auf dem Vorhof. Eine hochgewachsene Gestalt lehnte an der Beifahrertür, wartete auf ihn, während er die Distanz, die sie trennte, überquerte.

„Guten Abend“, grüßte Jannik, sobald er sich in Hörweite befand. „Es ist schon sehr spät und mein Onkel hat nichts von einem geplanten nächtlichen Besuch erwähnt. Wer sind Sie? Und was wollen Sie hier?“

Der Fremde lachte leise, ein überraschend hoher Laut. Weiße Zähne blitzten in der Finsternis auf. Bennys Körper versteifte sich neben ihm, mahnte ihn zur Vorsicht. Beruhigend legte er eine Hand auf den buschigen Kopf.

„Merten hat mir gar nicht erzählt, dass er jetzt einen Angestellten beschäftigt. Wirklich überaus interessant“, sagte der Fremde. Auf Grund der hohen Tonlage sollte seine Stimme weibisch klingen, stattdessen spürte Jannik wie ein Schauder sein Rückgrat hinablief. Doch er weigerte sich dem Impuls ins Haus zu rennen und sich vor dem unheimlichen Mann zu verstecken nachzugeben.

„Wer sind Sie?“, wiederholte er stattdessen. „Und was wollen Sie so spät noch hier?“

Das Grinsen auf den schmalen, bleichen Lippen wurde ein wenig breiter. Jannik erkannte blasse Gesichtszüge und schulterlange, dunkle Haare in der Finsternis.

„Mein Name ist Mark Abban“, meinte der Fremde schließlich. „Und ich bin hier, weil ich an einem Geschäft mit deinem Chef interessiert bin.“

„Merten ist nicht da. Und er hat mir nicht gesagt, dass wir in den kommenden Tagen Besucher erwarten. Schon gar nicht um zehn Uhr abends.“ Entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen, reckte er sein Kinn vor, obwohl das Herz in seiner Brust viel zu schnell pochte.

„Ich muss keinen Termin vereinbaren. Merten ist darauf eingestellt mich jederzeit zu empfangen. Er wüsste ganz genau, warum ich hier bin. Was für ein unglücklicher Zufall, dass er nicht daheim ist. Aber mein Anliegen ist dringlich. Also wirst du mir helfen müssen.“

Der Fremde trat einen Schritt auf ihn zu. Benny knurrte drohend, brachte ihn zum Stillstand. Abban legte den Kopf schräg und ging dann vor dem riesigen Hund in die Knie. Probeweise streckte er eine Hand aus, bevor Jannik ihn vor dem misstrauischen Wesen des Tieres warnen konnte. Benny zuckte zurück, betrachtete die dargebotene Hand skeptisch, gab dann jedoch der Neugierde nach und schnupperte vorsichtig an dem fremden Körperteil. Mit geweiteten Augen beobachte Jannik wie der Hund vorsichtig mit der Zunge über die bleiche Haut fuhr und schließlich sogar zuließ, dass der Fremde sein Fell tätschelte.

„Du hast dir einen guten Beschützer ausgesucht“, meinte Abban.

Jannik schüttelte den Kopf. Wenn Benny nichts gegen den Fremden einzuwenden hatte, würde er ihnen schon nichts Böses wollen. Trotzdem konnte er das ungute Gefühl in seiner Magengrube nicht vollständig ignorieren. Er würde auf der Hut bleiben, bis er wusste, was sein Besucher wollte.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“

Der Mann erhob sich. Zwar lag noch immer ein Lächeln auf seinen Lippen, doch in den dunklen Augen, die ihn nun fragend anblickten, lag keinerlei Freude. Sie wirkten flach und tot, als sei jegliches Leben schon längst aus ihnen geflohen. „Ich bin hier, weil ich an einer ganz besonderen Züchtung von Merten interessiert bin.“

„Wir betreiben ein Tierheim, keine Zuchtstation“, antwortete Jannik automatisch.

„Wirklich?“ Abban hob beide Augenbrauen an. „Und wie würdest du das nennen, was in dem alten Gesindehaus dort hinten vor sich geht?“

Erschrocken zuckte er zusammen, wandte den Kopf in die Richtung, in die sein Gegenüber zeigte. Blut schoss ihm in die Wangen und er spürte, wie sich ungebeten Panik in ihm ausbreitete.

Das Gesindehaus.

Woher wusste Abban davon? Gehörte er etwa zu Mertens exklusiven Kunden, die in unregelmäßigen Abständen auftauchten, um sich die Biester zeigen zu lassen, die in dem verlassenen Gebäude hausten?

„Ich weiß Bescheid, was ihr hier treibt.“ Die Stimme des Fremden wurde zu einem leisen Flüstern. „Seit Jahren komme ich her, um ihm einige seiner besonders… wilden Exemplare abzunehmen. Sie geben exzellente Wächter ab, wenn man wirklich ungestört bleiben will, findest du nicht?“

Blut rauschte in Janniks Ohren. Ich wünschte, Merten wäre hier. Dann müsste ich mich nicht hiermit befassen. So blieb ihm nichts anderes übrig als stumm zu nicken und dem Fremden zu folgen, als er sich in Richtung des Gesindehauses fortbewegte. Aus der Ferne wirkte es wie jedes andere Gebäude des Anwesens. Ein wenig besser erhalten vielleicht, mit einem neu gedeckten Dach und zugenagelten Fenstern. Die Eingangstür jedoch bestand aus feuerfestem Stahl und war mit mehreren Sicherheitsschlössern versehen. Nichts und niemand konnte unbemerkt ein- und ausgehen.

„Ich nehme an, du hast die Schlüssel?“, fragte Abban.

Jannik nickte stumm und griff automatisch an den Schlüsselbund, den er stets um den Hals trug.

„Sehr gut. Heute will ich mir die Tiere nur ansehen. Morgen komme ich wieder und hole mir die ausgewählten Exemplare ab. Insgesamt brauche ich sechs Stück. Das sollte erst einmal genügen. Hier ist die erste Hälfte der Bezahlung.“

Reflexartig fing Jannik den dicken Umschlag, den der Mann ihm zuwarf.

„Die andere Hälfte kriegst du, wenn ich die Viecher morgen abhole.“

Jannik steckte den Umschlag weg. Seine Finger zitterten, fühlten sich kalt und taub an, als er den ersten Schlüssel ins Schloss steckte. Nacheinander öffnete er die Schlösser, bis die Tür mit einem leisen Klacken aufschwang. Mit einer unwirschen Geste schickte er Benny fort, den die unseligen Biester nur verunsichern würden und er konnte sich nicht auch noch mit einem panischen Bernhardiner befassen.

„Möchten Sie sich die Tiere selbst aussuchen?“

Ein weißes Aufblitzen in der Finsternis. „Selbstverständlich. Das mache ich jedes Mal.“

Hoffentlich zerreißen sie ihn in der Luft, dann habe ich wenigstens nichts mehr mit ihm zu tun, schoss es ihm durch den Kopf. Er atmete noch einmal tief durch, drängte die Furcht, die er jedes Mal beim Betreten des Gesindehauses empfand, beiseite. Die Bewohner dieses Gebäudes rochen es, wenn sich ihre Wärter fürchteten. Eine schmerzhafte rote Narbe an seiner Wade, die niemals vollständig heilen würde, war der Beweis dafür.

Vor seiner Arbeit auf Mertens Anwesen hatte er immer geglaubt mit jedem Tier auf Anhieb klarzukommen. Er liebte Tiere, mehr als Menschen, und das spürten sie. Mit wenig Mühe gelang es ihm Vertrauen zu ihnen aufzubauen. Doch die Wesen, die hier auf zwei Etagen, getrennt nach Geschlecht, ihr Unwesen trieben, jagten ihm noch immer einen fürchterlichen Schrecken ein. An ihnen war nicht viel Tierisches zu finden.

Wilde Bestien, getrieben von Blutlust und Instinkten, unterstützt durch bösartige Intelligenz, von der er befürchtete, dass sie seine eigene bei Weitem überstieg. Jedes Mal, wenn ihn der waldgrüne Blick dieses Wesens traf, spürte er, wie ein kleiner, scheuer, menschlicher Teil in ihm zurückschreckte, jeglichen Kontakt am liebsten vollständig unterlassen würde.

Diese Wesen verlangten lediglich Futter und schnappten nach jedem Eindringling, der ihnen zu nahe kam. Normalerweise kümmerte sich Merten allein um sie. Jannik hoffte, er würde ihm eines Tages die Tricks verraten, durch die sich die Bestien zähmen ließen. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig als sie während der Abwesenheit seines Onkels in ihren Zwingern zu lassen, was ihnen überhaupt nicht gefiel.

Leises, bedrohliches Knurren begrüßte sie, als sie die Halle betraten. Der Gestank nach verrottetem Fleisch und geronnenem Blut lag schwer in der Luft. Abgesehen von dem rohen, blutigen Fleisch, dass er verfütterte, wollte Jannik gar nicht wissen was Merten mit ihnen anstellte, wenn er allein war.

In der absoluten Dunkelheit leuchteten mehrere grüne Augenpaare auf. Er streckte eine Hand aus und betätigte den Lichtschalter an der Tür. Mehrere Schwarzlichtlampen leuchteten an der Decke auf. Die Biester mochten kein direktes Tageslicht.

Das Schwarzlicht verlängerte die Schatten, ließ die Szene, die sich nun vor seinen Augen entfaltete, umso surrealer erscheinen. An den Wänden befanden sich zahllose Zwinger unterschiedlicher Größe. In jedem huschte der Schatten eines gewaltigen Tiers umher. Auf den ersten Blick wirkten die Geschöpfe beinahe wie übergroße Windhunde, mit demselben schlanken Körperbau und langen Beinen, die es gewohnt waren ihre Beute in Grund und Boden zu hetzen.

Je näher man sie jedoch betrachtete, umso beängstigender wurde ihre äußere Gestalt. Zum einen wirkten die überdimensionalen grünen, leuchtenden Augen, die jeden noch so kleinen Funken Restlicht auffingen und verarbeiteten, erschreckend. Viel mehr jedoch fiel einem unvorbereiteten Beobachter vermutlich der mächtige Kiefer mit dem vorstehenden Gebiss auf. Unzählige spitze Zähne, die selbst Knochen problemlos zermalmten, glommen in dem schwachen Licht.

Während Jannik kurzzeitig erstarrte und sein aufgewühltes Inneres zur Ruhe zwang, schien der Fremde keinerlei Probleme mit dem verstörenden Anblick zu haben. Mit einem zufriedenen Grinsen und weit ausgebreiteten Armen lief er durch die Reihen der Käfige, betrachtete die Untiere fachmännisch, ließ sich nicht weiter durch ihre Drohgebärden einschüchtern.