Die Drei Fragezeichen
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Signale aus dem Jenseits

erzählt von André Minninger

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2016, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur

ISBN 978-3-440-14852-5

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Pure Beklemmung

Bob fühlte sich wie in einem Traum. Die Wolken hingen so tief, dass man beinahe das Gefühl hatte, nach ihnen greifen zu können.

Als er in seinem VW Käfer auf das Gelände des Gebrauchtwarencenters T. Jonas fuhr und den Wagen vor der Freiluftwerkstatt zum Stehen brachte, war die Sonne schon hinter den Wolken verschwunden. Ein heftiges Gewitter kündigte sich an, aber noch war alles trocken. Bob sprang aus dem Auto und steuerte auf den Gerümpelberg zu, unter dem sich die Zentrale der drei ??? verbarg. Da vernahm er lautstarke Stimmen, die durch die offene Terrassentür des Wohnhauses der Familie Jonas drangen.

»Das ist ja wohl das Allerletzte, Titus! Wie kannst du es nur wagen, mich so zu bevormunden!«

Bob stutzte. Das war eindeutig die Stimme von Mathilda Jonas, der Tante seines Detektivkollegen Justus.

»Und ich bin nicht noch einmal bereit, für diesen Schwindel so viel Geld zu bezahlen!«, wetterte dessen Onkel Titus wütend dagegen.

Bob wollte eigentlich nicht lauschen, aber seine Neugier war zu groß. Langsam ging er näher an die Terrassentür heran, blieb jedoch stehen, als Mrs Jonas vollends die Beherrschung verlor und sich ihre Stimme vor Erregung überschlug: »Ach, dazu bist du also nicht bereit, Titus? Dann will ich dir mal etwas sagen: Mir geht es auch gegen den Strich, dass du aus unserer gemeinsamen Geschäftskasse –«

Plötzlich hielt sie inne.

»Was hast du?«, erkundigte sich ihr Ehemann. »Warum sprichst du nicht weiter?«

Im selben Moment trat Mrs Jonas auf die Terrasse hinaus und sah Bob irritiert an. »Wie kommst du …? Ich meine …«

Peinlich berührt trat Bob einen Schritt zurück.

Nun erschien auch Mr Jonas im Türrahmen und blickte seine Frau anklagend an.

»Da siehst du, wohin das führt, wenn du dich so in Rage redest!«

Von der Situation vollkommen überfordert, wandte sich Bob zum Gehen und stotterte dabei unsicher: »Ich … ich habe gar nichts gehört und wollte sowieso gerade … äh … zu Justus und Peter.«

»Die beiden sind nicht da«, entgegnete Mrs Jonas bestimmt und verschränkte die Arme. »Also kannst du auch genauso gut hereinkommen und die Rolle des Schiedsrichters übernehmen!«

Bob verspürte einen dicken Kloß in seinem Hals. »Also ich weiß wirklich nicht, ob es richtig ist, mich in Ihren … nun ja … Streit einzubeziehen«, stammelte er verlegen.

»Oh doch!«, widersprach Mrs Jonas vehement. »Mein Mann bildet sich nämlich ein, mir die Leviten lesen zu müssen. Darum würde es mich brennend interessieren, wie du die Sache einschätzt!«

»Nun ja …« Bob erkannte, dass er keine andere Wahl hatte. Kleinlaut willigte er ein und folgte dem aufgeregten Ehepaar ins Haus.

»Also, ich bin stinksauer!«, polterte Mrs Jonas gleich weiter, nachdem Bob der Aufforderung, am Küchentisch Platz zu nehmen, gefolgt war. »Mein Mann will mir das Fernsehen verbieten! Ist das nicht unglaublich?«

»Du verdrehst mir die ganze Zeit das Wort im Mund!«, schnaubte Mr Jonas zurück und warf seiner Frau wütende Blicke zu. »Niemand verbietet dir, den Fernseher einzuschalten!«

»Ach ja!? Na, das ist ja interessant!« Demonstrativ stemmte Mrs Jonas die Hände in die Hüften. »Jetzt, wo ein Zeuge hinzugekommen ist, ruderst du also feige zurück!«

Bob fühlte sich äußerst unbehaglich und deutete deshalb auf die beiden Feuerlöscher vor der Terrassentür, über die er zuvor beim Betreten der Wohnung beinahe gestolpert wäre. »Sollen die beiden Löscher da eigentlich vor der Tür stehen bleiben, oder kann ich sie irgendwo anders unterbringen?«

»Gut, dass du fragst«, antwortete Mr Jonas. »Der eine muss in die Freiluftwerkstatt, der andere ist für eure Zentrale. Die Feuerlöscher sind gestern frisch gewartet worden.«

Bob wollte sich gerade erleichtert vom Sofa erheben, als Mrs Jonas energisch auf ihn zutrat. »Hiergeblieben! Das kann warten, Bob! Zuerst hörst du dir an, was ich zu sagen habe.«

»Mathilda, bitte …«, versuchte Titus Jonas seine Frau von ihrem Vorhaben abzubringen.

Doch die war nicht zu bremsen. »Seit einer Weile stellt Astrala in ihrer Fernsehsendung Menschen, die sich in einer verzweifelten Lebenslage befinden, ihre … ihre … na ja, nennen wir es mal ›esoterischen Kräfte‹ zur Verfügung.«

»Astrala?« Bob stutzte. »Nie gehört. Wer ist das denn?«

Mr Jonas’ Gesicht rötete sich. »Dein Glück, Junge! Diese geschäftstüchtige Hexe hat nur eines im Sinn: leichtgläubigen Menschen ihr Erspartes abzuluchsen!«

»Das sind böse Verleumdungen, Titus«, erwiderte Mrs Jonas. »Auch wenn es noch so unglaublich klingen mag: Meiner Freundin Emily hat Astrala den Kontakt zu ihrem verstorbenen Mann ermöglicht!«

»Bitte?!« Augenblicklich begannen Bobs innere Alarmglocken zu läuten. »Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, Mrs Jonas, aber an solch einen Hokuspokus glauben Sie doch nicht wirklich!?«

»Das ist kein Hokuspokus!«, entgegnete Mathilda Jonas entschieden. »Ohne Astralas Hilfe hätte Emily die Kombination für den Safe niemals herausgefunden!«

»Safe? Was denn für ein Safe?«

»Na, der Safe ihres geliebten Horace! Er muss kurz vor seinem Tod die Kombination geändert haben. Jedenfalls konnte sie ihn nicht mehr öffnen. Astrala hat ihr dann den Tipp gegeben, in einem ganz bestimmten Buch auf dem Nachttisch nachzusehen, und tatsächlich war dort auf Seite 317 ein kleiner Zettel mit dem neuen Code eingeklebt!«

Bob schaute sie an. Das klang zwar überzeugend, aber … »Da müssen Sie etwas falsch verstanden haben, Mrs Jonas«, sagte er zögernd. »Es ist nicht möglich, mit Toten zu reden!«

Mr Jonas nickte zustimmend. »Das sage ich ihr ja auch schon die ganze Zeit! Da hat dir jemand einen Bären aufgebunden, Mathilda! Meine Meinung willst du zwar nicht hören, aber die letzte Telefonrechnung hat mir jetzt den Rest gegeben. Vierhundert Dollar musste ich berappen!«

»Die kann ich dir gerne wiedergeben«, sagte Mrs Jonas schnippisch, »wenn man damit deinen Seelenfrieden wiederherstellen kann …«

»Mir geht es doch gar nicht ums Geld, Mathilda, sondern darum, dass du eine Betrügerin reich machst, die offensichtlich ihre Kunden nach allen Regeln der Kunst für dumm verkauft. Und darum appelliere ich an deinen gesunden Menschenverstand: Hör damit auf, dieser Hexe unser Haushaltsgeld in den gierigen Rachen zu werfen!«

Mrs Jonas schnappte wie ein Karpfen empört nach Luft. Hilfe suchend wandte sie sich an Bob. »Mein Mann stellt mich wie die letzte Idiotin hin! Das lasse ich nicht auf mir sitzen! Astrala ist keine Betrügerin. Ich werde es euch beweisen.« Sie warf einen prüfenden Blick auf ihre Armbanduhr. »Astrala ist bereits seit zehn Minuten auf Sendung. Du kommst jetzt mit ins Wohnzimmer, Bob, und bildest dir ein eigenes Urteil über die einzigartigen Fähigkeiten dieses Mediums. Anschließend kannst du dann selbst entscheiden, auf wessen Seite du dich stellst: auf die meines Mannes oder auf die der Tante deines besten Freundes Justus.«

Bob wollte widersprechen, doch Mrs Jonas fasste seine Hand und zog ihn energisch ins Wohnzimmer. Hier griff sie nach der Fernbedienung und wies den dritten Detektiv an, auf einem der drei Fernsehsessel Platz zu nehmen. Dann drückte sie auf den Knopf und auf dem Monitor erschien in Großaufnahme eine bläulich schimmernde Kristallkugel, die auf einem seltsam geformten Metallständer thronte.

»Meine Nichte ist vor zwei Jahren an einer schrecklichen und langwierigen Lungenkrankheit gestorben«, ertönte die niedergeschlagene Stimme einer älteren Frau, die offenbar per Telefonleitung in die Sendung hinzugeschaltet war. »Und seitdem träume ich jede Nacht von ihr. Sie glauben ja gar nicht, wie verzweifelt ich bin. Jedes Mal schrecke ich schweißgebadet aus dem Schlaf hoch und weine mir die Augen aus.« Aus dem Fernsehlautsprecher drang ein leises Schluchzen. »Ich habe mich ja damit abgefunden, dass ich mein Engelchen auf diesem Planeten nie mehr wiedersehen und in meine Arme schließen werde, aber ich muss wissen, ob es ihr gut geht in der … in der anderen Welt.«

Bob warf einen kurzen Blick auf Mrs Jonas, die völlig ergriffen mit halb geöffnetem Mund auf den Bildschirm starrte und den Worten der Anruferin lauschte.

»Ich habe etliche Stunden in der Warteschleife verbracht und bin heilfroh, dass ich jetzt endlich mit Ihnen sprechen kann. Denn Sie, Astrala, sind die Einzige, die Kontakt zu meiner kleinen Franny aufnehmen kann!«

»Bleiben Sie ganz ruhig, Helen«, ertönte nun die Stimme einer anderen Frau, während das Fernsehbild auf zwei gepflegte Hände in Großaufnahme umschwenkte, die mit langsamen Bewegungen ein feines silbernes Etui öffneten und ihm ein Räucherstäbchen entnahmen. »Sie werden von Ihrer geliebten Franny gleich Antworten auf all Ihre Fragen erhalten, sofern die kosmischen Schwingungen einen Kontakt zu ihr erlauben …«

Bei diesen Worten bekam Bob plötzlich eine heftige Gänsehaut. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und ohne dass er sich dagegen wehren konnte, trat ihm der kalte Angstschweiß auf die Stirn …

Angstschweiß

»Mein Engelchen soll mir nur sagen, ob sie glücklich ist, oder ob es ihr an irgendetwas fehlt«, klagte die Anruferin mit brüchiger Stimme. »Und ich würde natürlich auch gerne wissen, wo sie sich befindet. Ich meine … vielleicht ein klitzekleiner Hinweis … nur eine Andeutung …«

Jetzt zoomte die Kamera erneut auf die Kristallkugel, während am unteren Bildschirmrand in Laufschrift eine zwölfstellige Telefonnummer eingeblendet wurde.

»Erzählen Sie mir noch ein bisschen mehr von der kleinen Franny«, wurde die Anruferin von der geheimnisvollen Spiritistin Astrala, deren Gesicht noch immer nicht zu sehen war, sanft aufgefordert. »Damit sich vor meinem geistigen Auge ein plastisches Bild von Ihrem Engelchen manifestieren kann. Erst dann bin ich in der Lage, Kontakt zu ihr herzustellen.«

Bobs Gedanken fuhren Looping in seinem Kopf. Hilfe suchend wandte er sich an Mrs Jonas. »Sagen Sie, bekommt man diese Astrala auch mal zu sehen?«

Doch Justus’ Tante zischte ihm nur ein spitzes »Pssst!« zu, während sie weiterhin gebannt auf den Bildschirm blickte.

»Meine kleine Franny sieht wirklich wie ein Engelchen aus«, erklärte die Anruferin. »Ihr blondes Haar glänzte wie Seide, ich habe es immer vor dem Zubettgehen gebürstet, und dabei haben wir im Kanon die schönsten Kirchenlieder gesungen. Dann habe ich ihr noch eine Gutenachtgeschichte vorgelesen.«

»Oh, wie anrührend …«, säuselte Astrala, während Bob nervös mit den Fingern auf der Armlehne des Sessels trommelte. »Ich habe schon ein Bild von ihr … Ein klares Zeichen, dass wir mit der Kontaktaufnahme beginnen können …«

Wieder wurden in Großaufnahme die Hände der Spiritistin gezeigt, wie sie nach einem Feuerzeug griff. Und dann endlich – Bob zuckte unwillkürlich zusammen – zeigte das Bild ihr Gesicht. Die etwa fünfzigjährige Frau saß an dem Tisch, auf dem die Kristallkugel lag. Sie hatte schwarze, schulterlange Haare, die ihr Gesicht umrahmten. Dazu trug sie eine große Sonnenbrille, durch deren verdunkelte Gläser die Augen nicht zu erkennen waren. Zur weißen Spitzenbluse, die ihr ein souveränes Auftreten verlieh, trug sie eine strassbesetzte Brosche mit seltsamen Zeichen. Sie zündete das Räucherstäbchen an und blies den aufsteigenden Rauch mit großer Geste in die Kamera. »Franny …«, hauchte sie beschwörend und rückte dabei ihre Sonnenbrille zurecht. »Ich nehme Kontakt zu dir auf, weil deine besorgte Tante wissen möchte, ob es dir gut geht.«

Bob kniff seine Augen zusammen und betrachtete das Gesicht der Spiritistin genau. Obwohl er eben so sicher gewesen war, diese Stimme zu kennen, sagte ihm sein Verstand nun, dass er einer Sinnestäuschung erlegen sein musste. Es konnte sich hier nur um eine zufällige Ähnlichkeit handeln.

Mathilda Jonas sah währenddessen verzückt auf den Bildschirm. »Ach, wenn ich doch auch einmal mit ihr sprechen könnte … Als Erstes würde ich allerdings ihr einen Ratschlag geben. Immer dieselbe langweilige Spitzenbluse! Ihre Stylisten machen wirklich keine gute Arbeit! Da kann man doch auch mal was Geschmackvolleres aussuchen!«

Bob konnte, ebenso wie Mrs Jonas, seinen Blick nicht vom Fernseher lösen und verfolgte mit größtem Interesse den weiteren Verlauf der Sendung, in der Astrala nun erneut in die Rauchsäule blies und die Hände gebieterisch in die Höhe hob. »Franny … kannst du mich hören? Franny … gib deiner Tante und mir ein Zeichen!« Einige Sekunden verharrte sie in ihrer Bewegung, bis sie plötzlich zusammenzuckte und in den Qualm deutete. »Da! Es formt sich eine Himmelspforte … und ich höre eine Stimme …«

»Was sagt sie?«, fragte die Anruferin aufgeregt. »So reden Sie doch!«

Wieder pustete die Spiritistin in den Rauch und zeigte auf den Dunstschleier. »Da ist sie! Und … Helen, es ist nicht zu fassen … Franny … sie … sie hat Flügel! Sie ist ein wahres Engelchen! Was sagst du, Liebes? Ja, deiner Tante Helen geht es gut, aber …«

Die Anruferin hatte sich nun nicht mehr im Griff und fing heftig an zu schluchzen. »Was – was sagt sie?«

»Franny hat ein neues Zuhause bei ihrer Großmutter gefunden, und … und sie bittet Sie, den Herd auszuschalten, bevor ein Unglück passiert!«

»Was … oh! Die Milch! Aber … wie können Sie das … Oh, mein Gott, sie ist es wirklich!«

»Bleiben Sie ganz ruhig, Helen. Tief durchatmen. Nehmen Sie jetzt erst einmal die Milch vom Herd.«

»Moment, ich bin sofort wieder da!«

»Was hab ich dir gesagt, Bob!« Tante Mathilda sah den Jungen triumphierend an. »Das ist der Beweis! Astrala kann Kontakt zu den Toten aufnehmen!«

In diesem Moment zoomte die Kamera das Gesicht der Spiritistin so dicht heran, dass Bob für den Bruchteil einer Sekunde doch ihre Augen erkennen konnte. Und jetzt hatte er Gewissheit! Blitzartig sprang er auf und wandte sich entschlossen zum Gehen.

Mrs Jonas blickte ihn überrascht an. »Was ist denn plötzlich in dich gefahren, Junge? Die Sendung ist noch lange nicht zu Ende. Du willst doch nicht etwa jetzt schon –«

»Ich muss leider sofort in die Zentrale, Mrs Jonas«, fiel er ihr ins Wort und blickte noch einmal kurz auf den Bildschirm. »Mir … mir ist etwas Wichtiges eingefallen, was ich auf der Stelle erledigen muss!«

»Jetzt, wo es gerade spannend wird?« Justus’ Tante warf ihm einen verständnislosen Blick zu. »Willst du denn gar nicht wissen, was die kleine Franny ihrer Tante noch zu sagen hat?«

Bob drehte sich im Türrahmen noch einmal um und deutete verlegen auf das Ziffernblatt der großen Standuhr neben dem Kamin. »Ich bin eh schon viel zu spät dran, und wenn ich nicht innerhalb der nächsten zwei Minuten einen Anruf tätige, geht mir ein wichtiger Job durch die Lappen! Sie können mir ja später erzählen, wie die Sache ausgegangen ist!«

Mit diesen Worten verließ er hastig das Wohnzimmer und trat durch die Küche auf die Veranda hinaus, wo er um ein Haar mit Titus Jonas zusammenstieß.

Justus’ Onkel wich geschickt aus und blickte Bob überrascht an. »Hoppla, Junge! Du hast es aber eilig!« Er grinste. »Dir ist das übertriebene Gehabe meiner Frau mit dieser Spiritistin auch schon nach wenigen Sekunden auf den Wecker gefallen, oder?«

Bob schüttelte abwesend den Kopf. »Nein, nein, das ist schon okay. Aber mir ist schlagartig eingefallen, dass ich noch einen dringenden –«

»Mir brauchst du nichts zu erklären, Bob. Und dass meine Frau heute besonders unter Strom steht, liegt wahrscheinlich auch an dem nahenden Gewitter. Da wird gleich eine gewaltige Ladung auf uns niederprasseln.« Mr Jonas deutete zum Himmel. »Sieh nur, wie dunkel es geworden ist. Aber das erspart mir wenigstens das Gießen der Pflanzen.«

Bob lächelte verkrampft und wollte sich schon in Bewegung setzen, doch Mr Jonas wies auf die zwei Feuerlöscher auf der Terrasse. »Vergiss diese beiden Dinger da nicht! Einen stell bitte neben den Eingang der Freiluftwerkstatt und den anderen nimmst du mit in eure Zentrale.«

Die Zentrale war ein alter Campinganhänger, in dem sich Bob mit seinen beiden Freunden Justus und Peter ein komplettes Büro eingerichtet hatte. Vor einigen Jahren hatten die Jungen damit begonnen, sich in ihrer Freizeit unter dem Firmenlogo Die drei ??? als Hobby-Detektive zu betätigen, und sich zu diesem Zweck in einem ausrangierten Wohnwagen ihren Arbeitsplatz geschaffen. Um dort ungestört zu sein, hatten sie diesen unter einem Haufen Schrott getarnt. Bob benutzte als Zugang das sogenannte »Kalte Tor«, einen alten, ausgehöhlten Kühlschrank, dem die Rückwand fehlte und der dadurch als Zugang zu einem schmalen Gang diente, der ins Innere der Zentrale führte. Dort befand sich alles, was die drei Jungen für ihre Ermittlungsarbeit benötigten: Computer, ein Telefon mit integriertem Lautsprecher und Anrufbeantworter sowie ein kleines Kriminallabor.

Die drei Detektive waren mit ihrer Arbeit bisher sehr erfolgreich gewesen, und der für Recherchen und Archiv verantwortliche Bob Andrews war besonders stolz auf den Inhalt eines alten Aktenschrankes, der ebenfalls in dem engen Wohnwagen untergebracht war. Darin befanden sich – chronologisch sortiert – um die zweihundert Ordner, in denen Bob akribisch jeden einzelnen Fall ihrer bisherigen Detektivlaufbahn bis ins kleinste Detail protokolliert hatte.

Jetzt galt Bobs Aufmerksamkeit einzig und allein dem Computer. Er schaltete den Rechner an und loggte sich mit zitternden Fingern ins Internet ein. Lange musste er nicht suchen, bis sich die Homepage des Fernsehsenders Spirit Network, in dem die ominöse Astrala mit den Toten in Kontakt trat, auf dem Bildschirm aufbaute. Und noch schneller hatte Bob mit ein paar Klicks die Adresse des Senders herausgefunden. Mehr brauchte er vorerst nicht zu wissen. Er notierte sie in seinem Notizbuch, fuhr den Rechner wieder herunter und verließ eilig die Zentrale.

Draußen hatte sich der Himmel inzwischen noch mehr verfinstert. Während Bob auf seinen Käfer zusteuerte, drehten sich tausend Gedanken in seinem Kopf herum. Er musste irgendwie in das Fernsehstudio gelangen. Nur wie? Als er kurz darauf mit seinem Wagen auf Hollywood zusteuerte, hatte er plötzlich eine Eingebung. Auf halber Strecke parkte er vor einem Pizzaimbiss und betrat den Laden. Er bestellte eine Gemüsepizza, die ihm der Mann hinter dem Tresen zum Mitnehmen in eine Pappschachtel packte.

Mit dieser Schachtel traf Bob etwa zehn Minuten später vor dem Pförtnerhäuschen des Fernsehsenders ein und schenkte dem Bediensteten, der gelangweilt hinter der Glasscheibe saß, sein schönstes Lächeln. »Guten Abend, Sir.«

Der Pförtner erwiderte den Gruß nicht. »Zu wem wollen Sie bitte?«, fragte er stattdessen und sah ihn über seine Brillengläser hinweg prüfend an.

Bob deutete auf den Pizzakarton. »Ich habe hier eine Pizza, die eine gewisse Mrs Astrala bei uns bestellt hat.«

»Astrala?«

»So ist es. Und man sagte mir ausdrücklich, ich möge mich beeilen, damit die Pizza noch warm bei der Empfängerin eintrifft.«

»Einen Moment …« Der Pförtner gab den Namen in seinen Computer ein. Dann scrollte er auf dem Bildschirm eine Namensliste herunter und runzelte die Stirn. »Bedaure, diese Person ist nicht in diesem Haus beschäftigt und auf der Besucherliste findet sich auch kein Eintrag.«

»Oh, Verzeihung, wie konnte ich das vergessen?« Bob trat näher an die Scheibe heran. »Astrala ist ja nur ihr Künstlername. Ihr richtiger Name lautet Franklin. Clarissa Franklin.«

Auf Sendung

Der Pförtner lächelte. »Na, die Lady ist mir bekannt«, erwiderte er und klickte mit der Maus eine neue Seite an. »Da hab ich sie. Halle drei, Studio C. Das zweite Gebäude links. Na, dann zisch mal los, damit die Pizza nicht kalt wird!«

»Danke, Sir!« Bob hob die Hand zum Gruß und setzte sich in Bewegung. Ihm war mulmig zumute, denn er wusste selbst nicht genau, weshalb er so fest entschlossen gewesen war, sofort zu Mrs Franklin ins Fernsehstudio zu fahren. Doch nun war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen, denn mit jedem Schritt kam er dem einstöckigen Flachbau näher, neben dessen verglaster Eingangstür unübersehbar ein goldenes Schild mit der Aufschrift Studio C prangte.

Als Bob den Eingang erreicht hatte, betrachtete er kurz sein Spiegelbild in der Glastür, atmete tief durch und betrat das Gebäude.

Der Flur, der vor ihm lag, war menschenleer. Rechts und links gingen mehrere Türen von ihm ab, die alle geschlossen waren. Kein einziger Laut war zu hören. War er hier wirklich richtig? In den Fernsehstudios, die er bisher erlebt hatte, hatte meist aufgeregtes Treiben geherrscht. Aber in diesem Gebäude war es so still wie in einem Mausoleum. Doch plötzlich öffnete sich eine der Türen und eine junge brünette Frau mit auffallend großen Ohrringen trat auf den Flur hinaus. In ihrer Hand hielt sie einen Schnellhefter, auf dem Bob den Schriftzug Karma-Hour entziffern konnte.

»Kann ich dir behilflich sein?« Sie lächelte Bob freundlich zu und strich sich dabei eine Haarsträhne aus der Stirn.