1. DIE GEHEIMNISVOLLE FELUKE

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Es war eine herrliche Nacht, eine jener wunderbaren Nächte, wie man sie nur an den Küsten Italiens findet, wo die durchsichtige Klarheit des Himmels selbst schöner als in den tropischen Gegenden ist.

Der kaum aufgegangene Mond spiegelte sich mit tausend zitternden Silberstrahlen auf der ruhigen Fläche des Tyrrhenischen Meeres. Die dem Horizont nächsten Sterne schienen lange Streifen geschmolzenen Goldes darauf zu werfen. Eine frische Brise, voll vom Dufte der noch blühenden Orangenbäume, wehte stoßweise von der Küste Sardiniens. Die spitzen Gebirge dieser Insel hoben sich klar vom Himmel ab; ihre Riesenschatten lagen auf der Ebene zu ihrem Fuße.

Eine schnelle Schaluppe, am Rande reich vergoldet, am Vorderteil ein vergoldetes Wappen, glitt über das Meer, gerudert von zwölf starken Männern. Ihr Wappen zeigte drei eiserne Fausthandschuhe und einen aufrecht stehenden Löwen.

Sie hielt sich im Schatten der Küste, die hier ziemlich hoch ragte, wie bemüht, unbemerkt zu bleiben von etwa aus Süden kommenden Schiffen. Zwölf kräftige, wettergebräunte, mit Stahlpanzern bewehrte Männer füllten das schlanke Fahrzeug. Auf der Brust trugen sie ein schwarzes Kreuz. Den Kopf bedeckten glänzende Helme. Rings um sie waren Spieße, Hellebarden, zweihändige Schwerter, die man zu Ende des 16. Jahrhunderts brauchte.

Am Steuer saß ein stattlicher, noch sehr junger Ritter von edlem Aussehen. Er trug einen goldverzierten Panzer, um den eine blauseidene Schärpe mit gelbgesticktem Rand sich schlang. Wie Silber glänzte der kleine Helm, den drei langwehende, weiße Straußenfedern schmückten. Hohe, gelbe Stulpenstiefel mit Silberschnallen ließen kaum die rotsamtenen Beinkleider sehen. Am Gürtel hingen ein langes Schwert und zwei Pistolen.

Seine hohe, schlanke Gestalt zeigte eine kräftige Muskelbildung, die ihn zu leichter Handhabung des schweren Schwertes befähigen mußte. Trotzdem war sein Gesicht mit den leuchtenden, blauen Augen von zarter rosiger Farbe. Goldblonde Locken fielen ihm wellig unter dem Helm auf die Schultern herab.

Neben ihm auf der Bank des Ruderschiffes saß ein Mann, rund wie ein Faß, wenigstens zehn Jahre älter als der geschilderte. Von Gestalt viel kleiner, hatte er ein gutmütiges Vollmondgesicht mit langem, rötlichen Bart, stahlgrauen, kleinen Augen und einer roten Trinkernase. Wie die andern, trug er einen Stahlpanzer, durchquert von einem großen Kreuz, und eine federbauschgeschmückte Stahlkappe. Sein breiter, gelber Ledergürtel war ein wahres Arsenal. Er trug darin, neben dem Schwert, zwei Dolchen und zwei Pistolen, eine riesige eiserne Keule.

Die Schaluppe war von der Küste Sardiniens abgelenkt und einer kleinen Insel zugeeilt, die sich deutlich im Südosten zeigte.

»In einer halben Stunde werden wir San Pietro erreicht haben!« sagte der Ritter.

»Sind die Koranhunde schon dort, Herr Baron?« fragte der Dicke seufzend.

»Beunruhigt dich das, Eisenkopf?« Der Malteser lächelte mit leichtem Spott.

»Mich? Nein. Ich fresse sie alle; sie werden schon die Kraft meiner Arme spüren! Ich fürchte Barbaresken nicht!«

»Aber dein Seufzen ... «

»Alte Gewohnheit, Herr Baron. Wäre noch schöner, wenn ein Katalane sich vor Algeriern fürchtete. Mein Vater hat mindestens tausend davon getötet und mein Großvater ... «

»Mindestens zehntausend!« warf der Ritter Sant’ Elmo lachend ein.

»Wenn nicht ganz zehntausend, so doch jedenfalls sehr viele!«

»Und sein Enkel Eisenkopf?«

»Wird ebensoviele umbringen!«

»Aber warum warst du neulich, als wir mit dem tunesischen Korsaren zusammenstießen, mit deiner furchtbaren Keule im Schiffsraum verschwunden?«

»Das ist wirklich nicht meine Schuld gewesen!«

»Wessen denn?«

»Die eines Bechers Zypernwein, der mir infolge irgendeiner Teufelei den Gebrauch der Beine unmöglich gemacht hatte. Irgendein Trick Mohammeds!«

»Ein Becher? Oder ein halbes Faß ›Angst‹?«

»Ein Abkomme der berühmten Familie Barbosa, die so viel Blut im Heiligen Lande und in Peru vergossen hat, Angst? Ihr wißt wohl nicht, Herr Baron, daß einer meiner Ahnherren den Kaiser der Inkas, Abatalisca, gefangennahm, und daß ein anderer beinahe Saladin getötet hätte? Aus so mutigem Blute kann kein Feigling hervorgehen. Laßt die Algerier in San Pietro landen und die Burg der Gräfin angreifen, da werdet ihr sehen, wessen Eisenkopf fähig ist!«

Diesmal hatte der Ritter geseufzt, und seine Züge zeigten eine gewisse Unruhe.

»In diesem Augenblick käme mir das sehr ungelegen«, erwiderte er. »Wäre meine Galeere zur Stelle, dann würde auch ich gern den Mauren zeigen, wie die Ritter von Malta kämpfen. Aber sie kann vor vierundzwanzig Stunden nicht hier sein!«

»Haltet ihr die Kunde, die man uns brachte, für wahr?«

»Ein gestern angelangter Fischer hat sie mir bestätigt!«

»Wird man es auf der Burg Donna Idas schon wissen? Und was beabsichtigen denn die Algerier mit der Landung?«

»Die Gräfin Santafiora zu rauben und das Schloß zu zerstören! Der Fischer hat eine Feluke bemerkt, die verdächtig um San Pietro herumstrich. Sie wird wohl der Kundschafter eines Geschwaders sein!«

»Aber was könnte dann eure Galeere gegen ein ganzes Geschwader ausrichten?« fragte nun zähneklappernd der Katalane.

»Unsere Leute sind nicht gewöhnt, die Feinde zu zählen!« erwiderte ihm mit fester Stimme der Baron. »Wir greifen diese Seeräuber an, und Gottes Wille geschehe!«

»Möge uns Sankt Isidorus schützen!« fügte Eisenkopf fromm hinzu.

»Das werden besser unsere Schwerter tun ... Still! Da erscheint wieder der Spion!«

Sant’ Elmo war aufgesprungen. Unwillkürlich griff er mit einer Hand zum Schwert, mit der anderen zur Pistole. Sein Antlitz zeigte äußerste Besorgnis.

Am Horizont, südlich der Insel San Pietro, flog ein langer, schwarzer Streifen, überragt von zwei lateinischen Segeln, mit großer Schnelligkeit übers Meer. Eine lange Silberspur bezeichnete seine Bahn.

Vorn leuchtete von Zeit zu Zeit ein glänzender Punkt auf dem Fahrzeug auf.

»Das muß die vom Fischer beobachtete Feluke sein«, meinte der Baron. »Mit wem kann sie nur Signale wechseln?«

»Ihr meint den leuchtenden Punkt? Ist es ein Feuer?«

»Es ist ein Metallspiegel, der die Mondstrahlen auffängt!«

»Vielleicht verständigt sich die Feluke mit einem Schiff im Meere?« fragte Eisenkopf.

»Nein. Sie gibt Signale zur Küste. Ah, unglaublich! Man antwortet von San Pietro her!«

Dort flammte plötzlich am Ufer ein Feuer auf und erlosch nach wenigen Minuten wieder, während die Feluke, die Segel wechselnd, rasch nach Südosten, in der Richtung der undeutlich sichtbaren Insel Sant’ Antioco, sich entfernte.

»Es ist mir unverständlich, wer ein Interesse haben kann, die Korsaren nach San Pietro zu locken, diese Räuber, die alles vernichten, wo sie landen! Es leben lauter zuverlässige Leute dort. Weißt du, daß der Fischer auf der Feluke die Flagge des Culkelubi gesehen haben will?«

»Was? Des Befehlshabers der algerischen Galeeren?« stammelte der Katalane. »Ach, Herr, auch der letzte der Barbosa fühlt, trotz des edlen Blutes in seinen Adern, einen Schauer bei diesem Namen!«

Der Baron schien die Bemerkung zu überhören. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf die Feluke gerichtet, die jetzt wie ein schwarzer Punkt auf dem Silberspiegel des Meeres erschien.

Wohin eilte sie? fragte er sich. Sind dort im Süden vielleicht die Galeeren Culkelubis versteckt? Warum sind keine Malteser Schiffe in der Nähe? Wo sind Venedigs und Genuas Flotten, die unser Mittelmeer bewachen sollen? Ich bin allein gegen alle. Siegen oder sterben! Sei es! Verteidigen wir die Mauern der Burg, die meine Braut schützen!

Das Gesicht des jungen Ritters hatte sich verändert. Seine Augen schossen Blitze. Er, der eben fast noch einem Knaben geglichen, zeigte, daß er imstande sei, ein Held zu werden.

Mit lauter Stimme rief er jetzt: »Steuert geradeaus nach San Pietro! Verflucht der Verräter, der die Korsaren dorthin gelockt!«

Eisenkopf war zähneklappernd in sich zusammengesunken: »Hätte ich nur ein einziges Becherchen Zypernwein im Leib«, murmelte er, »dann wehe den Feinden! Herr Baron, werden wir viel dort unten zu tun bekommen?«

»Wir müssen um unser Leben kämpfen!«

»Ist das Schloß der Gräfin wenigstens fest?« »Nun, wenn die Mauern nicht stark genug sind, müssen es unsere Schwerter sein!« rief ihm Sant’ Elmo zu.

»Aber der Stahl, selbst wenn er aus Toledo ist, widersteht nicht den Geschützen!«

»Ich denke, dein Schwert ist im Guadalquivir gekühlt, eine Toledoklinge, wie du sagst!«

Nach einigem Schweigen setzte der Katalane hinzu: »Schöne Überraschung für Donna Ida! Ist sie von eurer Ankunft unterrichtet?«

»Ich hatte mein Kommen angezeigt, und wenn der Sturm nicht das Steuer meiner Galeere beschädigt hätte, wäre ich ja schon gestern hier angelangt. Achtung! Die Feluke erscheint wieder. Sie scheint jetzt nach Sant’ Antico zu lenken, aber vielleicht sucht sie nur den Wind ... Auf, Leute, rudert aus allen Kräften, wenn ihr nicht vorzeitig mit den Hunden Bekanntschaft machen wollt. Vergeßt nicht, es sind die algerischen Panther!«

Die zwölf Matrosen brauchten nicht angespornt zu werden. Sie kannten nur zu gut die Verwegenheit der Korsaren und wußten, daß dieselben ziemlich weittragende Geschütze mit sich führten, die sie sehr geschickt zu handhaben verstanden.

Die Insel war jetzt nahe, während die Gegner noch vier Meilen zu durchlaufen hatten. Es blieb also Zeit genug zum Landen.

Der Baron, der das Steuer führte, lenkte nach einer von einem felsigen Vorgebirge gebildeten Bucht. Dort erhob sich an einer Seite ein hoher, majestätischer Turm mit Zinnen, an den sich ein massiver Bau anschloß, den der Schatten einiger Bäume noch verhüllte.

Am Ufer dieser Bucht hatte das von Sant’ Elmo und den Katalanen beobachtete Feuer gebrannt.

»Siehst du nichts, Eisenkopf?« fragte der Malteserritter.

»Nur ein erleuchtetes Fenster! Gräfin Ida scheint noch zu wachen.«

»Es ist ja noch nicht zehn Uhr!«

»Hoffen wir«, meinte der Dicke, »daß das Gesinde noch auf den Beinen ist! Diese Nachtbrise hat mich so hungrig gemacht, daß ich drei Mauren in fünf Minuten verspeisen könnte!«

Der Baron hatte sich erhoben. Seine Augen hafteten auf dem hellen Fenster, das sich deutlich von der dunklen Masse des Schlosses abhob.

Sollte man ihn erwarten? Eine rasche Röte flammte über sein Gesicht, aber machte einer plötzlichen Blässe Platz, als sein Blick das Meer überflog. Er suchte umsonst die Feluke. Ob das Unheil noch heute nacht über die Burg hereinbricht, oder ob seine Furcht übertrieben ist?

Sein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, daß ihm die Geliebte entführt werden könnte, daß diese kühnen, als Frauenräuber bekannten Piraten sie ihrem Herrn bringen oder dem Bey von Algier verkaufen könnten.

»Wenn wir nur bis zur Ankunft meiner Galeere aushalten! Wir sind zwar wenige, aber ausgezeichnete Kämpfer. Auch die Schloßbediensteten sind tapfer!«

»Herr Baron«, rief da der Katalane: »Die Feluke kommt wieder!«

»Noch allein?«

»Ich erblicke keinen anderen Segler.«

»Nehmt noch einmal alle Kraft zusammen, meine Braven!« Des Ritters Schaluppe war nun bei der Bucht angelangt. »Zieht sie ans Land, nehmt die Waffen und folgt mir! Die Piraten können uns jetzt nicht mehr auf offener See erreichen!«

2. ZULEIK

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Das heute nur in unbedeutenden Ruinen noch vorhandene Schloß des Grafen von Santafiora war im Jahre 1630 eine noch starke Festung, wenn auch nur bescheidenen Umfangs.

Angelegt, um die häufigen Überfalle der Barbaresken, die schon mehrfach die Insel San Pietro verwüstet und viele ihrer Bewohner als Sklaven fortgeschleppt hatten, zu hindern, war das Schloß den Malteserrittern Grafen von Santafiora zu Lehen gegeben worden. Diese hatten sich oftmals in Kämpfen gegen die Sarazenen in Sizilien und in den tunesischen und algerischen Gewässern ausgezeichnet.

Graf Albert, der erste Schloßherr, hatte bei solchen Treffen wichtige Dienste geleistet. Sein Sohn Wilhelm, genannt Stahlarm, war nicht weniger tapfer. Er hatte verschiedene Belagerungen überstanden, mit seinen Galeeren die berüchtigten tunesischen Korsaren besiegt und sogar gewagt, die Stadt Algier zu bombardieren. Dieser verwegne Streich sollte ihm das Leben kosten. Die Schiffe Culkelubis, des berühmtesten algerischen Admirals seiner Zeit, hatten ihn mit allen seinen Begleitern vernichtend geschlagen.

Als einzige Erbin war ein kleines Mädchen zurückgeblieben. Sie wuchs auf unter den Augen eines entfernten Verwandten, da ihre Mutter bei einem Angriff des Schlosses das Leben eingebüßt hatte. Die junge Gräfin Ida war unter dem Donner der Geschütze groß geworden.

Die Korsaren, mit der Absicht, ihren Fuß auf Sardinien zu setzen, versuchten mehrfach, das Schloß zu erobern. Aber die Heldenhaftigkeit der Malteser, die auf den Ruf des Mädchens zur Rettung kamen, hatte sie stets mit blutigen Köpfen heimgeschickt.

Unter den mit ihren Galeeren zu Hilfe eilenden Rittern stand Baron Carlo von Sant’ Elmo an der Spitze, der, ein Sizilianer, noch sehr jung Malteserritter geworden. Seine Tapferkeit, seine Schönheit, seine hohe Abkunft hatten nicht verfehlt, tiefen Eindruck auf die jugendliche Gräfin zu machen. Beide jung, beide Kinder von Verteidigern des Mittelmeers, beide allein in der Welt stehend, war es begreiflich, daß ihre Herzen sich fanden. Eine zarte Liebe verband beide, die ihre Erfüllung finden sollte in der bevorstehenden Vermählung.

Das Glück schien ihnen zu lächeln. Da kam Carlo die Kunde von seiten eines Schiffers, daß die Korsaren einen gewaltsamen Angriff auf das Schloß planten ...

In dem Augenblicke, als man von der Schaluppe des Barons das Korsarenschiff zuerst entdeckte, saß Donna Ida auf der Schloßterrasse. Sie war schön und anmutig, mit zartem, rosigem Teint und tiefschwarzen Augen, zierlich und biegsam wie eine Gerte.

Wenige Schritte von ihr entfernt, hockte auf einem Teppich ein junger Maure von dunkler Hautfarbe, schwarzem Haar und kühnem, äußerst regelmäßigem Gesichtsschnitt. Das Kinn war von einem spärlichen Bärtchen beschattet. Er hielt auf den Knien eine Laute mit langem Griff, eine algerische Tiorba.

Der Afrikaner, der Barbareske, der Sohn jenes Eroberervolkes, das seine Waffen nach Spanien, ja bis ins Herz Frankreichs getragen hatte, war in ihm unverkennbar. Er trug auch dessen Gewandung: seidenen Turban, grüne, silberverzierte Jacke, weite, rote Pluderhosen und gelbe Pantoffeln.

Seine feinen, nervösen Finger entlockten von Zeit zu Zeit, wie in Zerstreutheit, den Saiten süße Töne. Zuweilen schaute er in stiller Bewunderung auf das reizende Mädchen, deren Blicke auf das Meer gerichtet waren.

Hin und wieder leuchteten die Augen des Mauren blitzartig auf, und der Mund ließ ein Gebiß sehen, das einem Panther ähnlich war. In jenen Momenten hafteten seine Blicke auf der Feluke. Das braune Gesicht nahm den Ausdruck eines Raubtiers an, das auf Beute lauert und schon das Blut des Opfers wittert.

Die junge Gräfin schien sich nicht um den Lautenspieler zu kümmern. Auch sie schaute in ängstlicher Spannung auf die Silberfläche des Meers und auf die geheimnisvollen Manöver des Fahrzeugs.

Plötzlich wandte sie sich zu dem Mauren um: »Zuleik, wem gehört wohl der kleine Segler, der seit drei Abenden sich hier zeigt und des Morgens verschwindet? Er beunruhigt mich!«

»Ach, eine erbärmliche Feluke. Wie kann das die Herrin erschrecken! Es werden Fischer aus Cagliari oder aus Antioco sein!«

»Wenn es aber barbareskische Korsaren wären?« »Im Schloß stehen ja vier Kanonen auf den Wällen und eine auf dem Turme. Wie könnte ein so kleines Schiff wagen, sich ihren Schüssen auszusetzen!«

»Ich würde ruhiger sein, wenn der Baron Sant’ Elmo mit seiner Galeere hier wäre!«

Ein wilder Blitz leuchtete aus den Augen des Afrikaners. »Erwartet ihr ihn, Herrin?«

Mit Mühe unterdrückte er seine Unruhe.

»Ja, seine Galeere muß Malta schon verlassen haben. Siehst du nicht tapfere Männer immer gern?«

Ein leises Erröten überzog ihre Wangen.

»Aber sie wollen meine Rasse ausrotten, diese Tapferen!« zischte Zuleik.

»Deine Leute greifen uns ja fortgesetzt an!«

»Das ist Mohammeds Gebot!«

»Und Gott waffnet den Arm unserer christlichen Krieger zur Verteidigung!«

Der Algerier zuckte die Achseln und zupfte wieder die Saiten der Tiorba.

»Was ist das mit der Feluke!« rief Donna Ida, die sich jetzt lebhaft erhoben hatte. »Sie wendet und macht Miene, nach Sant Pietro zu segeln!«

»Es werden sicher Fischer sein!«

»Vor einer halben Stunde habe ich aber dreimal vom Verdeck des Schiffes blitzartig helle Lichter aufflammen sehen!«

»Ich habe nichts bemerkt.«

»Du warst ja unten am Strande!«

»Wenn unsere algerischen Fischer bei Nacht auf See sind, zünden sie Feuer an, um die Fische anzulocken!« erwiderte der Maure. »Ihr werdet solches Feuer wahrgenommen haben!«

»Nein, sicher, ich täuschte mich nicht!«

Zuleik lächelte und zupfte von neuem die Saiten. Aber seine mageren Finger entlockten ihnen jetzt rauhe, wilde Töne, als wenn er das Geschrei der Araber bei Kampfspielen oder im Angriff nachahmen wollte.

Die Töne schienen auch auf den Spieler selbst nicht ohne Einfluß zu bleiben. Sein Gesicht nahm einen wilden Ausdruck an. Die Augen glühten, der ganze Körper zitterte, und seine Lippen öffneten sich, als wollte er in das Kriegsgeheul der Mauren miteinstimmen.

»Was spielst du denn da?« fragte die Gräfin.

»Eine Wüstenphantasie!«

Die wilden Töne erschollen noch einige Minuten lang, dann wichen sie wieder süßesten Lauten. Der Maure schien das ferne Murmeln der Wellen, das Säuseln des Windes in den Palmen der Oasen, das Plätschern der Brunnen nachahmen zu wollen.

Plötzlich verstummte die Tiorba. Der Algerier hatte das Haupt auf die Brust gesenkt. Seine Züge waren wieder ruhig geworden. Er schien zu schlafen.

»An was denkst du, Zuleik?« fragte jetzt Donna Ida. »Du bist ja heute abend so sonderbar!«

»Ich dachte an die verlorene Freiheit, an die Moscheen im Schatten der Palmen, an die feurigen Rosse, an die lachenden Gestade meiner Heimat ... Wie oft sah ich im Traum den Marmorpalast meiner Ahnen, wo ich meine Kindheit verlebte; ich sah das Minarett, von dem der alte Muezzin morgens und abends zum Gebete rief, die marmorne Fontäne, an der abends die Frauen meines Vaters zusammenkamen, um ihre Lieder zu singen ... Ich sah die entzückende Gestalt meiner Schwester vor mir, dann wieder die Galeeren mit dem grünen Banner des Propheten, unsere feurigen Reiter im blitzenden Harnisch und wehenden weißen Mantel ...

Die Gräfin folgte lächelnd den Phantasien ihres schwärmenden Lautenspielers.

»Oh, was wäre noch aus mir geworden, wenn nicht eines Tages ein Christ mich gefangen hätte! Wo sind nun alle meine Träume von Ruhm und Eroberungen! Ein Sklave bin ich ... ! Diese Hände, geschaffen, um Keule und Säbel zu schwingen, Schild und Lanze zu führen, die Ungläubigen auszurotten, müssen nun die Tiorba spielen, als ob ich ein Weib wäre!«

Mit einem Ruck hatte der Maure die Laute von der Balustrade in den Wallgraben geschleudert.

»Zuleik!« rief da die Gräfin zornig, »du scheinst zu vergessen, daß du mein Sklave bist!«

»Darf denn der arme Sklave nicht einmal der Heimat gedenken und die verlorene Freiheit beweinen?« erwiderte der Algerier bitter.

»Ich habe dir versprochen, dich eines Tages gegen einen Christen auszutauschen. Du leidest, aber leiden die Unsrigen in den Händen des grausamen Culkelubi etwa weniger? Worüber beklagst du dich? Ich habe dich wie einen Freien behandelt, während die Christen von deinen Landsleuten gequält, gemartert und getötet werden!«

»Mich peinigt auch der Verlust meiner Freiheit wie eine Folter! Ich bin nicht zum Sklaven geboren, ich habe in den Adern das Blut der Eroberer Granadas!«

»Und trotzdem hast du während der zwei Jahre deiner Gefangenschaft keinen Fluchtversuch gemacht? Zuerst auf Malta und dann bei mir? Die Schaluppen des Schlosses liegen unbewacht, und ich habe dich frei auf der Insel umherschweifen lassen ... «

»Glaubt ihr, daß ich nie an Flucht gedacht habe?« Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er mit ruhigerer Stimme fort: »Wenn nicht das Mädchen, das meine Träume erfüllt, mich krank gemacht hätte, wäre ich längst über das Meer zum Hause meines Vaters geflüchtet!«

»Du liebst ein Mädchen?« rief Donna Ida überrascht.

»Ja, ein Mädchen, schön wie eine Jungfer im Paradiese des Propheten! Ihrethalben habe ich alle Erinnerungen an meine Familie zurückgedrängt, ihrethalben das Dasein als Sklave der Freiheit in Algerien vorgezogen. Sie hat meine Seele getrunken, sie die Mohammed nicht kennt!«

»Ist sie denn eine Christin?«

»Zu meinem Unglück!«

»Wo lebt sie?«

»Hier auf der Insel. Ich atme mit ihr dieselbe Luft, und dieselbe Sonne strahlt uns!«

»Eine Fischerstochter?«

Der Maure machte eine Gebärde höchster Verachtung. »Ich bin als Fürstensohn geboren. Wie könnte ich eine ärmliche Fischerstochter lieben. Weil ich gefangen bin? Schon morgen dürften meine Ketten fallen, und ich könnte wieder mächtig werden!«

»Hier gibt es nur Fischer auf der Insel. Ich fürchte, mein armer Zuleik, daß dein Verstand gelitten hat. Rufe meine Dienerinnen und geh jetzt zur Ruhe!«

In diesem Augenblicke ertönte am Ufer ein Hornsignal und darauf vom Turme des Schlosses der Ruf: »Zu den Waffen!«

Die junge Gräfin erschrak. »Wer kann zu dieser Stunde landen? Zuleik, rufe meine Waffenträger.« Sie war auf die Balustrade hinausgeeilt.

»Schau nur, da ist wieder die Feluke. Sollten uns deine Landsleute überraschen?«

»Es sind Christen«, antwortete der Maure mit finsterer Miene.

»Woher weißt du das?«

Jetzt ertönte eine helle Stimme durch die ruhige Luft: »Senkt die Brücke für den Baron von Sant’ Elmo!«

»Er! Carlo!« rief jubelnd die Gräfin, während sie mit der Hand zum Herzen fuhr, wie um seine Schläge zu hemmen. »Er!«

Das Gesicht des Algeriers nahm einen wilden Ausdruck an. Er ballte die Faust. Da sah er plötzlich jene von der Gräfin an den Vorabenden bemerkte Feluke rasch auf die Insel zuschießen. Im Mondschein leuchteten auch weiße Punkte am Horizont auf. Wilde Freude glänzte jetzt aus seinen Augen. »Die Panther sind da«, murmelte er. »Sie dürsten nach Christenblut!«

Die Zugbrücke wurde mit dumpfem Krachen heruntergelassen. Der Wachthauptmann, gefolgt von vier mit Fackeln versehenen Schildträgern, begrüßte den Ritter und seine Leute, indem er ihm im Namen der Schloßherrin den Willkommen bot.

»Welcher Wind führt euch zu so ungewöhnlicher Stunde her, Herr? Niemand hat euch schon erwartet!«

»Ein böser Wind, mein alter Antiochus! Ein Wind, der aus Algerien weht. Hebt sofort die Brücke, ladet die Kanonen und weckt alle Leute! Die Barbaresken sind in Sicht. Wo ist eure Herrin?«

»Sie harrt eurer im Saal.«

»Herr Antiochus« wandte sich jetzt der Katalane an den Hauptmann, »vergeßt nur nicht, daß wir hungrig und vor allem durstig sind! Und mit leerem Magen läßt sich schlecht fechten!«

»Das Gewünschte soll gleich zu Stelle sein!«

Der junge Ritter stieg die Freitreppe zu den Gemächern empor, wo Donna Ida in größter Unruhe seiner harrte.

Zuleik stand im dunkleren Teil des Saales. Er glich einem lauernden Raubtier.

Als Sant’ Elmo eintrat, den federgeschmückten Helm in der Hand und die Rechte am Degen, konnte die Gräfin einen freudigen Aufschrei nicht unterdrücken.

»Welch frohe Überraschung! Mein Herz hat mich nicht getäuscht!«

»Hast du mich denn erwartet?« fragte der Baron, indem er die ihm entgegengestreckte, kleine Hand aufs zärtlichste küßte.

»Nicht gerade heute abend, aber seit einigen Tagen schon spähte ich nach deiner Galeere aus. Wir Frauen fühlen von ferne die Nähe derer, die wir lieben!«

»Leider bin ich ohne meine Galeere gekommen. Der Sturm hatte ihr Steuer beschädigt, und darum mußte sie in einem Nothafen landen. Ohne diesen Unfall wäre ich schon gestern angelangt, und die Mauren hätte sich nicht in deine Nähe gewagt!«

»Die Mauren?« rief Donna Ida entsetzt.

»Dürften bald hier erscheinen!«

»Dann war also die Feluke, die ich seit drei Tagen sah ... «

»Der Vorläufer einer Flotte.«

»Woher stammt dir diese Kunde, Carlo?«

»Von einem Fischer, der sie mir selber brachte.«

»Und ihr seid sofort hierher geeilt?«

»Um meine Braut zu verteidigen oder mit ihr zu sterben.«

»Also steht wieder ein Sturm auf das Schloß bevor! O Himmel!«

»Sicher. Doch fürchte nichts, Ida! Ich habe zwar nicht viel Leute bei mir, aber es sind die tapfersten meiner Schiffe. Wieviel Mann sind hier zur Stelle?«

»Etwa 20, darunter 12 Krieger.«

»Dann sind wir zusammen nur 34 Mann? Allerdings recht wenig gegen die zahlreichen Feinde, die mit starker Artillerie kommen!«

»Erlaubt ihr mir einen Rat?« fragte der in diesem Augenblick hervortretende Maure.

»Ach, du bist es, Zuleik«, rief Sant’ Elmo. »Ich hatte dich nicht bemerkt!«

»Auf der Insel leben mehr als 200 Fischer, starke Männer, alle kampfgewöhnt, welche die Besatzung verstärken könnten!«

Der Ritter sah ihn erstaunt an. »Du gibst diesen Rat, der du dich freuen müßtest, deine Landsleute wiederzusehn?«

»Ich ersehne die Freiheit nicht!«

»Aber vor kurzem hast du dich erst über deine Gefangenschaft beklagt«, warf die Gräfin ein.

»Ja, brächte mir die Freiheit zugleich den Besitz der Auserwählten! ... Wenn der Ritter mit mir ins Dorf ginge, während die anderen sich zur Verteidigung rüsten, könnten wir in einer halben Stunde die Kämpfer zusammenbekommen!«

»Erst wollen wir nachsehen, ob die Korsaren wirklich schon in Sicht sind!« antwortete der Malteser.

Alle drei traten auf die Terrasse hinaus. Unter ihnen wurden zwei langrohrige Geschütze fertiggemacht.

Auch auf dem Turme war man in gleicher Weise beschäftigt.

Der Baron überschaute rasch das Meer. Er sah die Feluke etwa 300 Meter von der Küste dem Südende der Insel zueilen. Plötzlich erbleichte er, denn er hatte die Segel bemerkt, die von der Ferne sich näherten. »Die Barbaresken!« rief er.

»Sind es viele?« fragte die Gräfin, ängstlich sich an ihn klammernd.

»Noch kann ich sie nicht zählen! Sie segeln dicht zusammen und sind zu fern!«

Es entging aber Donna Ida nicht, daß seine Augen tiefe Besorgnis widerspiegelten. »Ich glaubte, an deiner Seite Tage süßen Glückes zu verleben, Geliebter, und jetzt ... Werden uns die Feinde überwältigen, mein Carlo?«

»Die Türme und Mauern dieser Burg sind fest und unsere Panzer nicht minder. Wir haben die Piraten schon früher zurückgeschlagen, wir werden es auch diesmal tun!«

»Aber damals waren die Malteserritter dabei!«

»Unser Mut wird die Zahl ersetzen. Überdies ist meine Galeere nah’, und der Kanonendonner wird den Eifer meiner Leute auf der Galeere beflügeln ... Komm, Zuleik, wir wollen die Fischer rufen. Ihre Familien sollen sich sofort nach Sardinien einschiffen. Noch ist es Zeit zur Rettung!«

»Wenn aber die Besatzung der Feluke inzwischen landet?« fragte die Gräfin.

»Sie werden vor Ankunft ihrer Galeeren nicht an Land gehen«, bemerkte Zuleik, während ein boshaftes Lächeln seinen Mund umspielte.

»Ist das Arsenal gut gefüllt, Ida?«

»Es dürften für 200 Mann Waffen da sein!«

»Dann eilen wir, Zuleik! Ehe die Schiffe der Feinde hier sind, kann noch eine Stunde vergehen!«

3. DER VERRAT DES MAUREN

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Einige Minuten später verließ der Baron mit dem Mauren zu Pferd die Burg. Die Gräfin auf der Terrasse folgte ihnen mit den Blicken, nicht ohne die Besorgnis, daß doch eine Korsarenschar unbemerkt landen und sich in der Nähe versteckt halten könnte.

Doch der Ritter war ruhig, solange er die Feluke noch ihren Kurs nach dem Süden der Insel richten sah. Er lockerte nur das Schwert in der Scheide und rückte den Dolch zurück.

Auch der Maure hatte, ehe er die Burg verließ, einen Stahlpanzer angelegt und sich mit Schwert und Dolch gewappnet.

Vom Ufer aus sahen sie, wie die Galeeren den Signalen der Feluke folgten, die mit Hilfe des Mondlichts durch einen Metallspiegel gegeben wurden. Aber sie waren noch fern, da die Brise sehr schwach wehte.

»Wir haben Zeit«, sagte der Baron.

»Ja, Herr, mehr als nötig«, antwortete der Maure. Sie ritten nebeneinander den Weg zum Dorf entlang.

Es waren nur ein paar Kilometer, die sich zu Pferd in zehn Minuten zurücklegen ließen.

»Galopp«, rief der Baron, sein Pferd anspornend.

Das Schloß verschwand hinter einem dichten Eichenwäldchen. Die beiden Pferde flogen nur so über den Sand.

Sie hatten den halben Weg zurückgelegt, als das Roß des Algeriers einen unerwarteten Sprung machte.

»Was tust du?« fragte der Ritter.

»Ich versperre euch den Weg«, antwortete der Maure, während Sant’ Elmo sein Pferd parierte.

»Bist du wahnsinnig geworden? Was heißt das?«

»Daß einer von uns weichen muß!« rief der Afrikaner düster. »Die Dame, die ihr liebt und die mir die Ruhe meiner Nächte raubt, kann nur einem Manne gehören. Die Gräfin Santafiora!«

»Elender Sklave, du wagst es ... «

»Der Sklave ist vom Blute der Kalifen, ein Fürstensohn. Mein Adel wiegt euren auf!«

»Hund«, schrie der Ritter. »So hast du also der Feluke die Signale gegeben und die Barbaresken angelockt?«

»Ich war es.«

»Verräter, stirb!« Mit einem Satze war er dicht bei dem Mauren und führte einen Schwertstoß nach seinem Halse. Aber er fand einen ebenbürtigen Gegner. Zuleik, stark und gelenkig, parierte den Stoß, der nur den Hals seines Rosses traf und versuchte nun seinerseits, den Feind tödlich zu treffen. Jedoch prallte seine Klinge an dessen Panzer ab.

»Weg frei!« schrie Sant’ Elmo.

»Niemals!« war die Antwort.

»Die Galeeren nahen!«

»Nur ihr habt sie zu fürchten, nicht ich!«

»Gib den Weg frei, um der Gräfin willen!«

»Um ihretwillen will ich euch töten!« entgegnete Zuleik.

Der Baron entschloß sich zum Angriff, das Schwert in der einen, den Dolch in der anderen Hand. Aber der Maure wich ihm aus. Im Galopp begann er den Ritter zu umkreisen, nach Art der Wüstensöhne, und so geschickt anzufallen, daß Sant’ Elmo alle Aufmerksamkeit nötig hatte, um den Hieben des Gegners auszuweichen. Ein Streich des Algeriers zerfetzte seinen grünseidenen Ärmel.

»Ein guter Hieb«, rief der Ritter. »Es soll dein letzter sein!« Geschickt zwang er sein Pferd fast zur Erde, löste die Füße aus den Bügeln, sprang auf den Feind los und suchte ihn vom Pferde zu reißen.

Auch letzterer wußte sich vom Sattel frei zu machen. Im selben Augenblick rief er: »Zu Hilfe, zu Hilfe im Namen Allahs und Mohammeds!«

»Ah, Elender, du rufst die Leute der Feluke!« Er hieb auf ihn ein, konnte aber nicht seiner Herr werden. Die Panzer dröhnten von den Schwertstreichen.

Zuleik wich im Kampfe nach den Dünen zu. Hier ließ er plötzlich seinen Dolch fallen, ergriff eine Handvoll Sand und warf sie dem Gegner ins Gesicht. Aber dieser konnte dem Wurf ausweichen und streckte den Mauren durch einen wuchtigen Hieb auf den Helm zu Boden. Schon wollte er ihm den Dolch in den Nacken bohren, als 10 bis 12 Bewaffnete unter wildem Geschrei auf der Düne erschienen. Es mußte die Bemannung der Feluke sein. Ihre braunen, mageren Gesichter, die bunten, um die Helme gewickelten Tücher und die Gewänder bewiesen es.

Dem Baron blieb nur übrig, auf sein Pferd zu springen und im vollen Galopp nach dem Schlosse zu flüchten. Vergebens suchten die Korsaren ihn einzuholen.

Noch war er fern vom Ziel, als er von Süden her wildes Geschrei, Jammerrufe von Frauen und Kindern und Gewehrfeuer hörte. Ein Blick zeigte ihm eine helle Röte hinter dem Eichengebüsch. Offenbar hatten die Seeräuber das Fischerdorf überfallen und in Brand gesteckt.

Plötzlich rief eine Stimme in schlechtem Italienisch: »Halt!« Statt zu gehorchen, spornte der Ritter sein Pferd noch mehr an und schwang seinen Degen. Ein halbes Dutzend Bewaffneter suchte ihm den Weg zu versperren. Aber er sprengte die Reihen. Ohne Zögern streckte er mit einem Pistolenschuß den ersten Angreifer nieder und hieb so wild auf die anderen ein, daß sie momentan zurückschreckten. So konnte er im Galopp zum Schlosse gelangen.

Die Brücke senkte sich. Eben wollte sein Pferd sie betreten, als drei Schüsse fielen. Das arme Tier brach zusammen. Der Ritter fiel mit ihm, doch hatte er die Geistesgegenwart, noch rechtzeitig die Füße aus den Bügeln zu ziehen.

Von der Terrasse aus sah es die Gräfin. Sie schrie angsterfüllt auf, da sie ihn verloren glaubte. Aber schon im nächsten Augenblicke eilte Sant’ Elmo über die Brücke.

Ein Kugelhagel ergoß sich vom Schlosse auf die heranstürmenden Feinde.

Gerührt begrüßte Eisenkopf den Geretteten, während die Brücke wieder hoch ging. »Ihr wart in Gefahr, mein Ritter, und ich, der eurem Vater versprochen, über euch zu wachen, war nicht dabei ... !«

Der Baron stürmte an ihm vorüber zur Braut, die ihn, totenbleich vor Aufregung, erwartete.

»Wie habe ich um dich gezittert!«

Er schloß sie stumm in seine Arme.

»Wo ist Zuleik?«

»Sprich nicht von ihm, mein Lieb! ... Sag’, gibt es einen unterirdischen Gang hier im Schloß?«

»Jawohl. Er führt zum Turm.«

»Kennt ihn Zuleik?«

»Er ist nur mir und dem Wachthauptmann bekannt.«

Der Baron atmete auf. »Zuleik hat uns verraten. Nun aber an die Verteidigung der Burg!«

4. DER ANSTURM DER BARBARESKEN

Inhaltsverzeichnis

Die Korsaren hatten die Insel besetzt. Infolge der Dunkelheit und der Sorglosigkeit der Fischer hatten sie sich, ohne Widerstand zu finden, des Dorfes bemächtigt. Männer, Frauen und Kinder, im Schlafe überrascht und erschreckt von dem wilden Geschrei und den Flintenschüssen, waren den Räubern zur Beute gefallen und nach den Galeeren geschleppt worden.

Nachdem die Barbaresken die Hütten niedergebrannt hatten, wandten sie sich gegen das ihnen seit langem verhaßte Schloß der Grafen von Santafiora.

Während die vier Galeeren und die Feluke nach dem Hafen gesegelt waren, um von dort aus das Schloß zu beschießen, hatten etwa 300 Mann ihrer Besatzung sich in aller Stille, mit Sturmleitern versehen, an die Burgmauern geschlichen.

Der wachthabende Hauptmann bemerkte sie erst, als sie sich bereits in dem zur Zeit fast ausgetrockneten Wallgraben befanden. Er gab Alarm und unterrichtete den Baron und die Gräfin von der nahen Gefahr. Die Kanonen waren jetzt nur noch gegen die Galeeren zu brauchen.

Der Ritter hatte die Feinde in solcher Nähe nicht erwartet. Aber er ließ sich nicht dadurch schrecken. Auch die junge Gräfin war jetzt beherzter. War sie doch seit der Kindheit an Gefahren gewöhnt!

Die besten Artilleristen standen auf Turm und Bastionen. Alle anderen Männer waren in Panzer gekleidet und bereit, die Stürmenden zurückzuschlagen. Die Frauen heizten indessen in der Küche große Kessel voller Wasser und Öl.

Sant’ Elmo hatte den Befehl erteilt, die Schiffe durch Kanonenfeuer fern vom Hafen zu halten. Während die Kugeln ihnen den möglichsten Schaden in der Bemastung taten, wurden die Angreifer im Graben mit siedendem Wasser und Öl begossen. Donna Ida hatte ihre Dienerinnen angespornt, beides reichlich auf die Wälle zu tragen. Aber die Korsaren im Graben wichen nicht. Ein Häuflein der kühnsten versuchten es, die Brücke zum Fallen zu bringen, während andere auf den Leitern vordrangen.

Der Angriff auf die Brücke war abgeschlagen worden. Der Hauptmann hatte vom Turme aus durch Geschütze die Soldaten zurückgeworfen, vermittels einiger Ladungen gehackten Eisens und Glases.