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Sabine Herzig

Karla Krempling

3. Teil: Die Enthüllung


Covergestaltung: Dotte Norkauer


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Kapitel 1

 

Es war ein harter Tag. Karla liegt auf ihrem Sofa und starrt stumm die Decke über sich an. Sie fühlt sich wie ausgebrannt, erschöpft und völlig schlapp. Sie kann keinen klaren Gedanken fassen, und sie scheint auch keinerlei Tränen aufbringen zu können, die sie um Randolf vergießen möchte. Es war doch schließlich ihr Mann, den sie einst geliebt hat. Jetzt liegt er friedlich auf dem Köllner Hauptfriedhof.

 

Als Karla am nächsten Morgen erwacht, fühlt sie sich etwas besser. Es ist ein trüber Sonntag. Obwohl es bereits halb zehn ist, sieht es draußen düster und finster aus. Tiefe graue Schneewolken bedecken den Himmel und entfachen eine bedrückende Atmosphäre. Karla ist hungrig und begibt sich in die Küche. Sie hat vergessen einzukaufen. Die letzten Tage waren einfach zu nervenaufreibend gewesen. Sie überlegt kurz, ob sie nebenan bei Britta und Leon nachfragt, ob sie ihr mit einem Ei und etwas Brot aushelfen können. Aber nein, diesen Gedanken verwirft Karla sogleich. Leon war gestern eindeutig zu neugierig und zu misstrauisch ihr gegenüber. Er hat angedeutet, dass er Randolfs Tod für sehr sonderbar hält. Wo er recht hat, hat er recht. Leon ist nicht dumm, und die Parallelen zum Tod von Karlas Mutter und Schwester, der sich Weihnachten vor ein paar Jahren ereignete, sind unübersehbar. Sie hatte nicht mit Leons Scharfsinnigkeit gerechnet. Damals kannte er sie noch nicht gut. Aber mit den Jahren hat sich das geändert. Was traut Leon ihr wirklich zu? Einen Mord? Besser gesagt drei? Von den anderen Morden an ihrer Schulfreundin Elke und an den Freunden ihrer Adoptivmutter Mathilde kann er nichts wissen, die entziehen sich seiner Kenntnis. Vertraut Leon ihr noch? Eine schwerwiegende Frage, die über ihr weiteres Leben entscheiden kann. Leon studiert Jura und will einmal Anwalt werden, wie sein Vater. So jemand gibt nicht klein bei, bis er die ganze Wahrheit kennt. Insbesondere, wenn sich Zweifel an den Todesumständen ergeben. Leon zweifelt es an, dass Randolf eine Lebensmittelvergiftung durch den Fisch im Restaurant bekommen hat. „Verdammt Leon, warum kannst du dich nicht einfach um deinen eigenen Kram kümmern!“ Missmutig stapft Karla in die Vorratskammer und beschaut sich den Vorrat an Konservendosen. Tunfisch in Öl, Kidney Bohnen, Erbsen und Mais. Für einen Salat sollte das reichen. Sie findet noch eine brauchbare Zwiebel und ein Aufbackbaguette. Das reicht für ein Frühstück völlig aus. Heute Abend kann sie sich eine Pizza kommen lassen und morgen geht sie frisch einkaufen.

 

Als sie den Salat zusammenmischt, erschrickt sie kurzzeitig vor sich selbst. Der Tunfisch! Sie ist doch Vegetarierin oder lebt es zumindest öffentlich. So kommt sie nie in Versuchung, ihre eigenen Mettbällchen essen zu müssen, die sie manchen Leuten, die es verdient haben, so gerne anbietet. Der Tunfisch! Sie isst ihn mit Genuss, aber weiß, dass sie in Zukunft ihren Müll auch sehr hüten muss oder noch besser nicht vor Ort entsorgen sollte. Sie muss sehr auf der Hut sein, denn Leon wird nicht locker lassen und noch einige Fragen an sie haben. Vielleicht sollte sie einfach in einer anderen Stadt ihr Studium fortsetzen. Dort würde sie keiner kennen und Leon würde es mit der Zeit vergessen. Aber sieht ein Ortswechsel nicht nach Flucht aus. Flucht wovor? Vor quälenden Fragen? Vor der Realität? Nein, so einfach kann sie nicht hier weg. Sie hat eine tolle Wohnung und ist mitten in ihrem Studium, was ihr wirklich Spaß macht. Jetzt wegzugehen wäre ein Schuldeingeständnis oder etwa nicht?

 

Sie setzt sich an den Küchentisch und schaufelt sich ihren Tunfischsalat in den Mund. Der heutige Tag ist grau, lang und deprimierend. Sie wird sich einfach in eine Decke hüllen und gemütlich auf dem Sofa Randolfs Roman noch einmal lesen. Britta erwähnte einst, dass er eine Biographie über sich geschrieben hätte. Alle dort auftauchenden Frauen, wären Freundinnen aus seinem Leben gewesen. Woher Britta das schon wieder weiß? Wie kommt sie an solche Informationen? Sicher, sie hat erwähnt, dass sie gerne später eine Detektei aufmachen würde, aber dass sie derart gut im Aufspüren von Details ist, überrascht Karla sehr. Auf Nachfrage hat Britta ihre Quellen nie preisgeben wollen. Das sei bei Detektiven so üblich, meinte sie. Nun, Karla konnte dem nichts entgegen setzen und war froh über die Informationen, die Britta ihr ungebeten besorgt hat. Ja, ungebeten, soviel steht fest. Sie hat es als beste Freundin Karlas für eine Selbstverständlichkeit gehalten, der Freundin zu helfen, wo es nur geht. Britta war es, die herausgefunden hat, was Randolf in London treibt und Britta war es, die eine Verbindung zwischen den blonden Romanfrauen und Randolfs blonder Begleitung herstellte. Britta, ein Fuchs und Genie in ihrer Arbeit oder hatte sie andere Gründe?

 

Es ist einfach sehr viel, was Karla durch den Kopf geht. Sie muss die Dinge sorgfältig sortieren. Sie wird sich in nächster Zeit von Leon und Britta ein wenig zurückziehen. Die beiden haben ihre eigenen Probleme, die sie in den Griff kriegen müssen. Britta hat offensichtlich mehr Schaden genommen als gedacht, als sie im Sommer das Kind verloren hatte. Ein Kind! Wie haben die beiden sich das überhaupt vorgestellt, mitten im Studium? War das etwa geplant? Das kann sich Karla nicht vorstellen. Leon ist in einer so konservativen Familie groß geworden, da versteht es sich von selbst, dass zuerst der Beruf und dann der Nachwuchs kommt. Karla kennt seine Eltern und deren Einstellung in diesem Punkt gut genug. Es war also nicht geplant, hält sie für sich fest. Auch Britta machte nie den Anschein, sich als Mutter zu Hause breit zu machen. Sie hatte hohe Ziele, siehe die Detektei. Und jetzt? Karla hofft inständig,dass es ihr bald besser gehen wird. Sie vermisst ihre beste Freundin, die Britta vor einem halben Jahr noch war. Seit dem ist einfach so viel passiert. So viel Kummer, so viel Leid.

 

Karla schnappt sich Randolfs Roman und zieht sich aufs Sofa zurück.

Kapitel 2


Zur gleichen Zeit sitzen nebenan in der Wohnung Britta und Leon beim Frühstück. Leon hatte frische Croissants im Ofen gebacken, die Eier gekocht und alles fein säuberlich gedeckt, bevor er Britta weckt und an den Frühstückstisch führt. Sie sieht immer noch schwach, aschfahl und krank aus. Sie hat auch keinen Appetit, aber Leon will keine Widerrede hören und schiebt sie förmlich vor sich her, bis sie Platz nimmt.


„Der Tag wird auch nicht besser, wenn du ihn hungrig unter der Bettdecke verbringst. Du magst vielleicht keinen Appetit haben, aber dein Körper braucht etwas zu essen, du bist so dünn und kränklich. Das ist einfach nicht gut, wenn du nichts isst.“



„Scheiß aufs Ei! Erzähl mir von der Beerdigung!“

„Wer war alles da?“

„Und von der Familie?“

„Sind die noch da?“

„Stimmt.“

„Karla! Immer nur Karla! Verdammte Karla! Alles ist nur passiert wegen Karla!“

„Wie soll ich das schon meinen. Randolf ist tot, Karla lebt. Sie hätte ihn nicht heiraten dürfen. Er wollte an ihr Geld und jetzt ist er tot!“