HORST PUKALLUS

 

 

T.N.T. Smith, Band 4:

Das Stahlgewitter

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

DAS STAHLGEWITTER 

Das Abenteuer geht weiter! 

 

Das Buch

 

1938: Auf der Spur des Unsterblichen Baranow wird T.N.T. Smith in der Sowjetunion als vermeintlicher Agent festgenommen. Nach abenteuerlicher Rettung zieht es ihn mit seiner Ex-Geliebten Grace und einem Volkskommissar in die von Russen und Japanern umkämpfte Mandschurei, wo ihn ein japanischer Vorstoß von seinen Begleitern trennt. Von der Roten Armee gejagt fällt er schließlich den Japanern in die Hände, die ihn für einen Kommunisten halten. Bei ihnen begegnet er dem mysteriösen Unsterblichen Grosvenor, der ihm aus der Patsche hilft und sodann mit Baranow nach Macao entschwindet. Mit Hilfe des Rekordfliegers Gasponi heftet Smith sich an ihre Fersen, doch in Macao warten schon die Angehörigen der SS-Organisation Ragnarök, um Grosvenor und Baranow mit U-Booten zu entführen...

 

T.N.T. SMITH. Die beinharte Science-Fiction-Serie spielt vor der atemberaubenden Kulisse des Zweiten Weltkriegs und führt den Leser in rasanten Abenteuern um die ganze Welt.

 

Der Autor

 

 

Horst Pukallus, Jahrgang 1949.

Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer.

Seit den späten 1960er Jahren veröffentlichte er Kritiken zur SF-Literatur, vor allem in der Zeitschrift Science Fiction-Times. 1974 erschien seine erste Erzählung Interludium. Es folgten u.a. die Story-Sammlungen Die Wellenlänge der Wirklichkeit (1983) und Songs aus der Konverter-Kammer (1985), die Pukallus als einen der vielseitigsten und intellektuell versiertesten deutschsprachigen Genre-Autoren seiner Generation etablierten. Neben seiner Meisterschaft im Metier der Kurzgeschichten/Erzählungen sind auch seine Romane Krisenzentrum Dschinnistan (1985) und Hinter den Mauern der Zeit (1989, zusammen mit Michael Iwoleit) von überragender inhaltlicher und stilistischer Qualität. Zu Recht wird Horst Pukallus mit dem großen amerikanischen SF-Schriftsteller Philip K. Dick verglichen.

Zu seinen herausragenden Übersetzungen aus dem Englischen/Amerikanischen gehören u.a.: Iain Banks: Vor einem dunklen Hintergrund (1998), John Brunner: Morgenwelt (1980), John Brunner: Schafe blicken auf (1978), John Brunner: Der Schockwellenreiter (1979), Philip K. Dick: Kinder des Holocaust (1984), Jack Womack: Heidern (1993) sowie die Deryni-Romane von Katherine Kurtz (1978 – 2000).

In den Jahren 1980, 1981, 1984, 1985 und 2001 erhielt er den Kurd-Laßwitz-Preis für die beste Übersetzung; 1991 erhielt er diese Ehrung für seine Erzählung Das Blei der Zeit.

Horst Pukallus lebt und arbeitet in Wuppertal.

 

Horst Pukallus

DAS STAHLGEWITTER

 

„Es naht das Jahrhundert, in dem Blut in Strömen fließt,

im Herbst der Toten Gebeine weithin auf Feldern bleichen.“ 

 

Aus dem Bundschwur der Faust der Gerechtigkeit und Eintracht 

Jahr des Hundes (1898) 

 

 

1. Kapitel 

 

          1. Am Khalkin Gol, April 1938 (Jahr des Tigers)

 

Es gibt Sachen, überlegt T.N.T. Smith, die dermaßen unwahrscheinlich sind, dass sie eigentlich gar nicht passieren können. 

Aber plötzlich zieht das Schicksal einem Menschen hinterfotzig den Teppich unter den Füßen weg, und sie ereignen sich doch. Nie im Leben hätte er sich träumen lassen, er könnte je in so einer unglaublichen, ja, abwegigen Lage sein. 

Während er aus der Froschsicht an Grace O’Maras Beinen empor schielt, umtanzen ihn unter lauten Ausrufen drei japanische Infanteristen. Zwei Dutzend weitere japanische Soldaten klatschen dazu im Takt. „Geduld, Smith, Geduld“, sagt Grace und blättert, eine 30-mm-Filmrolle unter den Arm geklemmt, in einem Stapel hektographierter Presse-Informationen. „Ich hab’s gleich.“ Leicht umweht ein eleganter, im Augenblick offen getragener Fuchsschwanzmantel ihre schlanke, zierliche Gestalt. Der Russe schneidet lautlos Fratzen und verdreht die Augen. Romantisch schimmert die Sonne des Spätnachmittags auf diese scheinbar volkstümliche Veranstaltung herab, so dass man meinen könnte, hier fände ein heiter-buntes Zusammentreffen von Abordnungen verschiedener Völker statt. 

Doch die Lage ist nicht nur abwegig, sie ist auch ausweglos; sie ist nämlich todernst. Die drei Japaner, die um Smith den Tanz vollführen, stampfen die mongolische Erde fest, in die man ihn bis ans Kinn eingegraben hat, und nahebei stehen nicht nur klatschende Zuschauer, sondern zudem mehrere japanische Panzer. Dem Russen quellen die Augen aus dem Kopf, weil vier Japaner gerade dabei sind, ihn mit Hilfe eines Gürtels und eines Schraubenschlüssels zu erdrosseln. („Messieurs“, tadelt Grace sie, indem sie kurz den Blick aus den Pressemitteilungen hebt und den Kopf schüttelt, „le pauvre suffeur terriblement.“) Und in der Umgegend rumpelt Artillerie-Störfeuer. Die Umstände sind wirklich alles andere als angenehm. 

Dabei waren die letzten Tage so aussichtsreich gewesen. Ein einigermaßen erfreulich verlaufenes Wiedersehen mit Grace O’Mara – der schönen, wunderbaren, so heiß von Smith begehrten Kollegin –, weitgehendes Entgegenkommen der sowjetischen Behörden und Militärs, Freiflüge, Betreuung, Bewirtung, alles was das Herz eines Journalisten nur begehren kann. Fast hätte Smith sich eingebildet, eine Glückssträhne zu haben.  

Die Scholle der ostmongolischen Steppe ist kalt. Im Somon Sumber, dem östlichsten Landesteil der Mongolei, steigt die Tagestemperatur im April selten über 8° Celsius. Schon spürt Smith, dass ihm allmählich sämtliche Glieder absterben. 

Endlich stapfen die drei Soldaten davon, sobald rings um Smiths Hals das Erdreich zu ihrer Zufriedenheit festgetreten ist. Smith hat Dreck in den Augen, aber er sieht, dass der Russe leblos zusammensackt, die Infanteristen den Leichnam fortschleifen, wahrscheinlich zu einem Massengrab. 

Der japanische Offizier, Oberst Kurotora, kommt in seiner eckig-steifen Gangart auf Smith zu. Auf der vernickelten Scheide seines Militär-Katana glänzt roter Sonnenschein, so dass sie wie eine blutige Klinge aussieht. Dichtauf wieselt ihm sein Dolmetscher nach. Kurotora brummt seinem Untergebenen ein paar kehlige Laute zu. 

„Der Oberst lässt letzt Mal fragen, Smith-san“, piepst der Dolmetscher in englischer Sprache, „ob Sie nun haben die Freundlichkeit und wünschen zu machen Geständnis, dass Sie sind bolschewist Agent.“ 

Smith zwinkert und blinzelt gegen Schmutz und Tränen an. „Hören Sie“, ächzt er, „Sie kennen doch die Wahrheit. Ich bin britischer Journalist und eigentlich nur auf der Durchreise. Mein Pass, der Presseausweis, das sowjetische Visum, meine Kreditkarte und die Aussagen meiner Begleitung bestätigen meine Angaben. Was wollen Sie denn sonst noch?“ 

Daraufhin wird Smith von dem Dolmetscher mehrere Sekunden lang durch die dicken Brillengläser regelrecht verständnislos angestarrt. Smith-san“, sagt er schließlich langsam und deutlich, „vielleicht ich habe nicht klar ausgedrückt. Ich bitt sehr höflich, Sie mir gütigst verzeihen. Der Oberst befiehlt: Wenn Sie nicht machen Geständnis, dass Sie sind bolschewist Agent, über Ihren Kopf fährt Panzer. Dann Kopf spritz zu Matsch wie Kürbis.“ 

Smith stößt ein bitteres Auflachen aus. „Ihr Englisch ist nicht übel, ich habe alles kapiert. Aber gestehe ich, werde ich umgenietet, was? Ach, es ist doch einerlei, auf welche Weise ich hier verrecke.“ 

Schnell schnattert der Dolmetscher seinem Vorgesetzten etwas zu. Offensichtlich ist nun Oberst Kurotoras Geduld erschöpft. Er reißt einen Mund voller Goldzähne auf und brüllt mehrere Sätze. Atemwölkchen stieben ihm von den Lippen in die kühle Luft. 

 „Der Oberst sagt, Sie sehr unklug, gomen nasai, Smith-san. Er sagt, er schon 1920 hat einig bolschewist Agent verheizt in Lokomotive.“ Dem Dolmetscher zittert das Kinn. „Er red kein Scherz. Tai-ken sumimasen, Smith-san. Ich Ihnen raten, o-negai shi-masu, Sie machen Geständnis. Dann vielleicht der Oberst Ihnen vorschlag Kollaboration.“ 

„Zum Donnerwetter“, schreit Smith, „ich gestehe doch nichts, was nicht wahr ist!“, Es ist einfach grässlich, dass Militärs überall auf der Welt gleich bescheuert sind. „Als Journalist bin ich der Wahrheit verpflichtet. Er soll sich den Panzer mit dem Rohr voran in den Hintern stecken!“ 

Nun wird der bedauernswerte Dolmetscher etwas blass. „Sore ja, de wa“, nuschelt er, „shikata ga arimasen...“ Er wendet sich Oberst Kurotora zu, vollführt eine zackige Verbeugung und erklärt ihm Smiths Standpunkt. 

Der Offizier würdigt Smith keines weiteren Blicks. Auf dem Absatz dreht er sich um. Smith kann es nicht genau erkennen, doch anscheinend gibt der Oberst einen Wink. An Graces Halbstiefeln vorbei sieht Smith, dass ein Japaner in lederner Kluft sich auf den nächst stehenden Panzer schwingt und durch eine Luke hinein steigt. 

Gleich darauf hört man den Anlasser leiern. Der Motor rattert. Kurotora und sein Dolmetscher schlendern beiseite. 

Nun ist es also so weit, denkt Smith. Er muss aus der schnöden Welt scheiden. Er merkt, dass ihm das Blut vollends in den Adern stockt. Wenigstens ist in seinem letzten Stündlein Grace bei ihm. 

„Ach, da steht es ja.“ Aufgeregt schwenkt Grace den Stapel Pressemitteilungen. „Du brauchst dir nicht den Kopf zu zerbrechen, Smith, hier lese ich’s schwarz auf weiß: Die Japaner haben keine Panzer von achtzehn Tonnen Kampfgewicht.“ 

 

Dabei ist es auf der Welt, als Smith sie, wie es den Anschein hat, verlassen muss, gerade ziemlich aufregend geworden. Er hat einen der Unsterblichen quer durch Europa verfolgt: Alexander Baranow, Ex-Offizier des Zaren. Über Baranow, der sich Budrys nennt, allerdings noch viel mehr falsche Pässe hat, hoffte er Cedric Grosvenor wieder zu finden, den Chef der Unsterblichen-Clique. 

Wenigstens der überlebenden Unsterblichen. Gilbert Castello und Piotr Drabek sind tot; geradeso scheißtot wie jeder tote Sterbliche. Die Unsterblichen, hat Baranow kürzlich im Orient-Express Smith erklärt, sind nämlich eigentlich gar nicht unsterblich, sie „werden nur sehr alt.“ 

Dadurch ändert sich nichts daran, dass es als erstrebenswert gilt, ihr Geheimnis zu lüften. Diese Tatsache hat das lange Ferngespräch bestätigt, das Smith in Wien mit seinem Londoner Chef Mr. Castle führte, dem Verleger der World. Seit Monaten leistet Smith kaum noch journalistische Arbeit, schickt nur die Fortsetzungen seines vornehmlich aus den Fingern gesaugten und auf fremdsprachige Reiseliteratur gestützten „Reiseberichts aus Nepal“ nach London. Dennoch übermittelte Castle ihm umgehend per telegraphischer Geldanweisung zweihundertfünfzig Britische Pfund. 

Dank Mr. Castles ausgezeichneten Verbindungen zur Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission in Wien suchte schon ein paar Stunden nach dem Ferngespräch ein Bote Smith in der billigen Absteige auf, in der er ein Zimmer gemietet hatte. (Baranow wohnte natürlich im hochfeinen Edelhotel „Kaiser Ferdinand“.) 

Ringsum keiften Nutten, zankten Freier und brüllten Loddel herum; unterdessen las Smith, während er einen grässlichen Åch’lputz verzehrte, Kopien von Aktenteilen und erfuhr Neues über Cedric Grosvenor. 

Die Unterlagen ergaben keinen vollständigen Lebenslauf des 1810 in Manchester geborenen Grosvenor, der häufig auch unter den Namen Elmer Harris oder Bruce Harris auftrat, schlossen aber etliche Wissenslücken. Zwischen 1863 und 1872 baute er in Australien eine Reederei auf und erwarb beträchtlichen Reichtum. (Wahrscheinlich hat er dafür, vermutet Smith, seinen Anteil aus der zusammen mit seinen Legionskameraden 1837 geraubten Soldkasse investiert.) 1873 ließ er sich in Casablanca nieder. Ab 1890 kennt man ihn in Südostasien, wo er in den Waffenhandel einstieg. Seit 1932 hat Grosvenor in den USA und im Nahen Osten die Finger in erheblichem Umfang auch im Ölgeschäft. 

1925 beteiligte sich an Grosvenors in Tripolis ansässiger Firma Trafalgar S.A. ein gewisser Sascha Budrys – also niemand anderes als Alexander Baranow! Infolgedessen lag für Smith die Schlussfolgerung nahe, dass die beiden Männer sich, wenn Baranow ostwärts reist, irgendwann zu Absprachen oder gemeinsamen Unternehmungen treffen. 

Zwar hatte Smith noch Baranows gefälschten Pass in Besitz, der auf den Namen Jean-Paul Lafleur lautete – und seinen Koffer mit Kleidung -, war aber der Meinung, damit nicht weit zu gelangen. Für den Fall, dass Baranow in die UdSSR fuhr – und den Verdacht hegte Smith schon seit Klagenfurt -, hat er Mr. Castle zudem gebeten, für ihn telegraphisch bei der sowjetischen Gesandtschaft in Wien ein Visum zu beantragen und Eilbearbeitung zu erbitten. 

Erfreulicherweise ist dem Gesuch seitens der UdSSR entsprochen worden. Als alter Antimonarchist hat Smith anfangs der 30er Jahre in verschiedenerlei Zeitungen, darunter auch österreichischen Blättern, ein paar ironische Glossen über die unappetitlichen Umtriebe expatriierter russischer Adeliger veröffentlicht. Offenbar ist er dadurch in guter Erinnerung geblieben. Am nächsten Tag konnte er das Visum im britischen Konsulat abholen. Baranows falschen Pass schnitt Smith in Schnipsel und spülte sie im Hotel das Wasserklosett hinab. 

Bei der fortgesetzten Verfolgung Baranows – zum Glück traf Mr. Castles Geld ein, bevor der Russe die Weiterreise antrat – betrug sich Smith überaus vorsichtig. Wohl hat er Baranow als leutseligen Zeitgenossen kennengelernt; seinem Gedächtnis war allerdings keineswegs entfallen, dass Baranow auf dem Parkplatz der SS-Schulungsherberge am Loibl-Pass nach der Erschießung Drabeks auch ihn mit Blei zu durchsieben beabsichtigt hatte. 

Kaum erfuhr Smith zwei Tage später in aller Morgenfrühe am Empfang des Hotels „Kaiser Ferdinand“, dass Baranow soeben abgereist war, raste er mit einer Automobil-Droschke zum Wiener Westbahnhof. 

Um Baranow im Menschengewimmel des Bahnhofsgebäudes wieder zu finden, wandte Smith einen alten Trick an. Er ließ „Mr. Budrys“ ausrufen und zum Auskunftsschalter bitten. 

Selbstverständlich erwartete er nicht, dass Baranow auf so etwas Dummes hereinfiel. Deshalb beobachtete Smith danach nicht die Auskunftsstelle, sondern sah sich in den Nischen der umliegenden Jugendstil-Kolonnaden um. Und tatsächlich bemerkte er dort bald darauf Baranow, der das Umfeld des Schalters ins Augenmerk nahm, um auszuspähen, wer ihn da wohl zu leimen gedachte. 

Als Baranow wenig später stutzig wurde, war es zu spät. Smith folgte ihm aufs Gleis und in die Eisenbahn Wien-Kraków-Kiew-Moskau. 

 

Adieu, Grace“, sagt Smith traurig ins Rattern des Panzermotor-Anlassers. Die Bemerkung über das Kampfgewicht der japanischen Tanks geht ihm in ihrer Herzlosigkeit nun doch entschieden zu weit. „Ich glaube, eigentlich haben wir uns nie richtig verstanden.“ 

„Ja, nein, nein...“ Grace wedelt mit den Papieren. Auf ihren Wangen wechseln Rötung und Blässe mit geradezu hysterischer Schnelligkeit. „Smith, es ist... Ich muss dir etwas gestehen...“ 

„Dass du mich liebst?“, fragt Smith hoffnungsvoll. 

„Ich...“ Kraftlos sinken Graces Arme herab. Blätter rutschen ihr aus der Hand und flattern davon. „Ich muss dir sagen, Smith... Ich weiß einfach nicht mehr weiter.“ 

2. Kapitel 

 

      1. Am Khalkin Gol, April 1938

 

Der Panzermotor haspelt, leiert und knirscht. Verstummt. Er springt nicht an. Von Kopf bis Fuß eisig-klamm aus Kälte und Furcht, sieht Smith, dass der Fahrer den Kopf aus der Luke steckt. Oberst Kurotora ruft ihm etwas zu. „Ano kuruma mô furui desu“, antwortet der Fahrer und zuckt die Achseln. 

Nun wird der Oberst ziemlich ungehalten. Seine Befehle gellen wie Schreie eines Kranichs durch die flache Weite der Steppe. „Hai!“, brüllt ein anderer Panzerfahrer und steigt in sein Fahrzeug. Jetzt stehen die Infanteristen im Weg. Im Laufschritt beeilen sie sich zur Seite.  

Inzwischen ist es so dämmerig geworden – düsterrot sinkt die Sonne in tintenblaue Wolken -, dass der Fahrer den Scheinwerfer einschalten muss. Der Motor rumort, knattert lauter, bis das Geräusch sich zu stetem Brummen vergleichmäßigt. Ruckartig setzt sich der Panzer in Bewegung, die Laufräder und -rollen des Fahrgestells quietschen. Auf klirrenden Ketten walzt er in Smiths Richtung. Das rechte Laufwerk hält stracks auf Smiths Nase zu. 

Zugegeben, es ist nur ein mittelschwerer Panzer, aber sein Gewicht ist für Smiths armen Schädel eindeutig zu hoch. Aus seiner Sicht ähnelt das Fahrzeug einem riesigen einäugigen Drachen, der sich unter Geschnaube und Getöse auf ihn zu wälzt. 

Smith fragt sich, ob es jetzt noch peinlich wäre, wenn er sich vor Grauen in die Hose scheißt. 

 

Noch einmal hat Smith Glück gehabt. Ein reserviertes Erster-Klasse-Abteil blieb leer, und es gab mit dem Nachlösen der Fahrkarte keine Schwierigkeiten. An der Grenze zur Tschechoslowakei erregte er bei den lässigen Zöllnern keinerlei Argwohn. 

Und es gelang ihm, Baranow während der anschließenden Fahrt unter Beobachtung zu halten. Aber natürlich war der Russe misstrauisch geworden. 

Beim Essen im Speisewagen schweifte Baranows Blick verkniffen mit nahezu uhrwerkhafter Regelmäßigkeit durch den Waggon. Jedes Mal versteckte sich Smith hinter einer Zeitung oder guckte zum Fenster hinaus. 

Offenbar hatte Baranow Bekanntschaft zu einer Familie italienischer Reisender geknüpft und aß mit ihnen an einem Tisch. Dabei befleißigte er sich mit seinem glanzvollen Französisch liebenswürdiger Konversation. („Je suis très désolé, Madame, mais à mon grand regret Monsieur Sartre n’est pas un saint de mon calendrier. La nausée passe ma portée, ce sont balles perdues.“) Dem Gesprächsstoff zufolge mussten die Italiener wohl Intellektuelle sein. Die älteste Tochter der Familie schmachtete Baranow auf unverhohlene Weise aus glühenden Augen an. 

Auf dem nächsten Abschnitt der Reise erhielt Smith unangenehme Gesellschaft. Weil außer ihm keine Fernreisenden das Abteil benutzten, durften andere Fahrgäste, sofern sie die Erste-Klasse-Fahrkarten gelöst hatten, auch ohne vorherige Reservierung darin Platz nehmen. Daher fiel ihm ein in Brno zugestiegener, schmerbäuchiger Sudetendeutscher mit kleiner, feister Ehefrau und stocktauber Schwiegermutter bald auf die Nerven. 

Aus Gutmütigkeit sprach Smith ein paar Worte auf deutsch, und schon musste er sich äußerst lästige, hässliche Tiraden anhören. Offensichtlich gehörte der Mann den hiesigen Henlein-Nazis der Sudetendeutschen Partei an und betrachtete die Welt aus dementsprechend grobschlächtiger Warte.