1
Unterm-Schnee-Raten

Es war ein klirrend kalter Dezembertag im kleinen Städtchen Schmuddelfing. Eiszapfen glitzerten an den Regenrinnen, und Schneeberge türmten sich neben den Gehwegen.

Die Menschen trugen Handschuhe und wickelten sich in warme Schals. Wenn sie ausatmeten, stiegen feuchte Wolken in die Luft, die sofort an ihren Nasen festfroren.

Nur den kleinen, grünen Olchis auf der Schmuddelfinger Müllkippe war die Kälte krötenfurzegal! Sie hatten eine Haut wie Tintenfisch.

Doch eine Sache störte die Olchis trotzdem: Der Schnee deckte nicht nur ihren geliebten Müll zu, er dämpfte auch seinen angenehmen Müffelgeruch.

»Lausiger Hühnerich! Wie ekelhaft sauber das hier aussieht!« Olchi-Opa saß auf dem rostigen Ofen vor der Olchi-Höhle und spuckte ein Stückchen von seiner Knochenpfeife in die weißen Flocken. »Du könntest den Staubwerfer anschalten und ein bisschen Schmutz verteilen, Olchi-Oma.«

»Ich mach mich lieber schick für meinen Gefurztag.« Olchi-Oma klemmte sich bunte Plastikfetzen zwischen die Hörhörner. Zufrieden betrachtete sie ihr Spiegelbild in einer Glasscherbe.

»Aber du hast doch erst gestern Gefurztag gefeiert!«, rief Olchi-Papa. Er hockte auf dem Rand der Müllbadewanne und ließ Olchi-Baby zwischen schmuddeligen Lappen planschen.

Olchi-Oma sah ihn erstaunt an. »Ist das schon sooooo lange her?«

Es interessierte die Olchis nicht im Geringsten, ob gerade Dezember oder August war, Montag oder Mittwoch oder Sonst-ein-Tag. Sie kümmerten sich nicht um das Datum oder die Uhrzeit. Nur ihren Gefurztag vergaßen sie nie. Den feierten sie, sooft sie wollten. Mit Stinkerkuchen und jeder Menge Gefurztagskerzen – die schmeckten ihnen besonders gut.

Überhaupt hatten die Olchis ständig Hunger. Sie mochten alles, was gammelig und ranzig war. Rostige Nägel futterten sie wie Gummibärchen und alte Schuhsohlen wie Wiener Schnitzel.

Olchi-Babys Magen knurrte jetzt so laut, dass Olchi-Mama es in der Höhle hören konnte. Sie kam mit einem herrlich miefenden Topf heraus. »Moderstampf für alle!«

 

»Wo sind denn die Olchi-Kinder?«, fragte Olchi-Mama, nachdem sie Olchi-Baby mit einer Ladung muffelndem Mampf versorgt hatte.

»Sie haben gerade Feuerstuhl gefüttert.« Olchi-Papa zeigte zur Garage.

Dort hielt der Flugdrache der Olchis Winterschlaf. Er durfte nur geweckt werden, wenn es einen ganz wichtigen Grund dafür gab. Sonst bekam er schrecklich schlechte Laune. Deshalb warteten die beiden Olchi-Kinder sogar für die Fütterung ab, bis der Drache gähnen musste. Dann kippten sie ihm einen Eimer Stinkerbrühe direkt ins offene Maul.

Aber jetzt schnarchte Feuerstuhl grunzend vor sich hin. Und die Olchi-Kinder waren verschwunden.

»Vielleicht schleudern sie wieder Waschmaschinen durch die Luft«, sagte Olchi-Papa. Das machten die Olchi-Kinder gern, sie waren nämlich sehr stark.

Doch heute hatten sie sich ein anderes Spiel ausgedacht. Es hieß: Unterm-Schnee-Raten.

»Ich sehe was, was du nicht siehst, und das hat einen Buckel«, rief das eine Olchi-Kind und zeigte auf ein weißes Ungetüm. Etwas Schmales ragte neben dem Schneehaufen schräg nach oben. »Was ist das?«

»Eine Kloschüsselgiraffe«, rief das andere Olchi-Kind. »Oder ein niedriger Elefant. Oder eine Pupsmaschine mit Blitzableiter.«

»Richtig!«, rief das eine Olchi-Kind, ohne nachzuschauen. »Du bist dran!«

Die Olchi-Kinder stapften weiter.

Plötzlich stolperte das eine und fiel der Länge nach hin. »Mmmpf!« Es zog seine Knubbelnase aus dem Schnee. »Mir hat einer ein Bein gestellt! Wer war das?« Das Olchi-Kind drehte sich suchend um.

Ein verbogener Metallstab steckte hinter ihm in den weißen Massen.

»Das ist bestimmt der Hochsprungstab von einer Riesenheuschrecke«, rief das andere Olchi-Kind. »Oder ein Spazierstock für besonders kleine und dünne Leute. Oder der Fühler von einer Weltraum-Ameise. Komm, wir ziehen es raus!« Es zerrte an dem Stab.

PLOPP! Ein brauner Kasten tauchte aus dem Schnee auf.

Die Olchi-Kinder beglupschäugten ihn unsicher.

»Ziemlich eckig für eine Ameise«, sagte das eine Olchi-Kind.

»Aber wie ein Roboter-Tier sieht es schon aus«, fand das andere. »Ob das irgendwas kann?«

2
Staubflöckchen, Schmutzlöckchen

Die Olchi-Kinder betrachteten das Ding, das sie aus dem Schnee gezogen hatten, von allen Seiten. Es hatte einen kaputten Tragegriff, einige Knöpfe zum Draufdrücken und zwei, an denen man drehen konnte.

Sofort probierten die Olchi-Kinder alle aus.

KRACKS, KNURPSEL, MIIIIEEEP! – machte der Kasten.

Das eine Olchi-Kind ließ ihn vor Schreck in den Schnee fallen. »Das ist wirklich ein Roboter-Tier!«

»Vielleicht hat es Winterschlaf gemacht, wie Feuerstuhl. Und jetzt haben wir es aufgeweckt«, rief das andere.

»Dann hat es bestimmt Hunger«, sagte das eine Olchi-Kind. »Was frisst so ein Roboter-Tier wohl?«

»Keine Ahnung. Komm, wir zeigen es Olchi-Papa. Der kennt sich aus mit Robotern und Maschinen.« Olchi-Papa war nämlich ein großer Erfinder. Das andere Olchi-Kind hob den Kasten vorsichtig hoch und klemmte ihn sich unter den Arm.

Dann liefen die Olchi-Kinder zurück zur Olchi-Höhle.

»Guckt mal, was wir gefunden haben!«

Olchi-Mama, Olchi-Papa, Olchi-Oma und Olchi-Opa kamen neugierig näher. Alle starrten auf den braunen Kasten.

»Das ist ein Radio«, sagte Olchi-Papa.

»Kein Roboter-Tier?«, fragte das eine Olchi-Kind.

»Muffelfurzteufel! Schade!«, rief das andere. »Ich hätte soooooo gerne ein Roboter-Tier gehabt …«

»Ein Radio ist auch toll«, sagte Olchi-Papa. »Ich hab mal eins zum Drachenradio umgebaut. Dazu habe ich es Feuerstuhl mit einer Schnur um den Hals gehängt. Leider war die Schnur zu lang. Bei der ersten Drachenlandung ist es auf den Boden gekracht …«

»Wenn es kein Tier ist, können wir es ja in einem Fischgrätensößchen kochen«, überlegte Olchi-Mama. »Das würde gut zu meinem Moderstampf passen.«

»Aber in dem Radio ist Musik drin. Man muss nur an den Knöpfen drehen, und schon kommt sie raus«, erklärte Olchi-Papa.

»Olchig!«, rief Olchi-Oma. »Musik für meine Gefurztagsfeier.«

»Wir haben schon ganz doll gedreht«, erzählte das eine Olchi-Kind. »Es kam nur Miep und Knister raus.«

Das andere Olchi-Kind drehte einen Knopf.

KNURPSEL! MIIIEEEP! KNISTER! – krachte es aus dem Lautsprecher. Auf einmal war das Radio still.

»Jetzt ist es wieder eingeschlafen«, sagte das eine Olchi-Kind und schüttelte den braunen Kasten. »Aufwachen!«

Doch das Radio machte keinen Mucks mehr.

 

Olchi-Papa begutachtete das Radio, das die Olchi-Kinder von der verschneiten Müllkippe mitgebracht hatten. »Bestimmt hat es die Batterien leer gesaugt«, sagte er.

»Das Radiodings frisst Batterien?«, wunderte sich Olchi-Oma. »So wie wir?«

Olchi-Papa nickte. »Haben wir noch welche in der Olchi-Höhle?«

»Ja, aber die sollte es zum Nachtisch geben!«, rief Olchi-Mama empört.

»Zuerst die Musik – dann der Nachtisch!«, entgegnete Olchi-Papa und verschwand in der Höhle.

Kurz darauf kam er mit einer Schachtel Batterien zurück. Olchi-Papa biss die Verpackung auf und öffnete eine Klappe an der Rückseite des Radios. Er tauschte die Batterien aus. Kaum hatte er die letzte hineingesteckt, ertönte eine Männerstimme aus dem Lautsprecher:

»Ihr hört Radio Gammelsberg mit der Wettervorhersage. Es wird auch in den nächsten Stunden immer wieder zu Schneefällen kommen. Dabei bleibt es eisig kalt. Passend zum herrlichen Winterwetter habe ich ein Lied für euch. Ihr kennt es alle – singt einfach mit!«

Die Musik erklang, und ein Kinderchor setzte ein: »Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommst du geschneit …«

Schon bei der zweiten Strophe grölte die ganze Olchi-Familie laut und schief mit:

»Staubflöckchen, Schmutzlöckchen,

wann machst du dich breit?

Hier ist’s viel zu sauber,

drum wird’s höchste Zeit!

 

Komm, leg dich auf alles,

du gammliger Dreck!

Klecks matschige Flecken,

und geh nie mehr weg!«

Olchi-Baby krähte fröhlich dazu.

Olchi-Oma schaltete schließlich doch den Staubwerfer an. Wie feiner Schnee rieselte der Schmutz auf die Olchi-Familie herab.

3
Eine spannende Ankündigung

»Hier ist Radio Gammelsberg mit einer wichtigen Nachricht«, verkündete der Radiosprecher.

Die Olchis spitzten ihre Hörhörner.

»Wie ihr alle wisst, feiern wir bald einen ganz besonderen Geburtstag, nämlich den von Jesus. Er ist in einem Stall zur Welt gekommen. Da war es sicher nicht so sauber wie in unseren geputzten Wohnzimmern. Wahrscheinlich roch es auch etwas muffelig zwischen all den Tieren …«

»Wie bei uns«, rief das eine Olchi-Kind.

»Und Tiere haben wir auch: Kröten, Flöhe, Läuse, Ratten, Feuerstuhl, die Fledermaus Flutschi …«, zählte das andere Olchi-Kind auf.

»Wer ist denn dieser Jesus?«, fragte Olchi-Oma.

»Vielleicht der Junge mit dem kleinen Hund, der manchmal zur Müllkippe kommt«, sagte Olchi-Papa.

»Feiern ist jedenfalls immer gut«, fand Olchi-Mama.

»Aber ich hab doch schon Gefurztag!«, rief Olchi-Oma.

Olchi-Opa verdrehte die Glupschaugen. »Du hattest doch erst gestern.«

Nun plapperten Olchi-Mama, Olchi-Papa, Olchi-Oma und Olchi-Opa aufgeregt durcheinander.

Nur die Olchi-Kinder hörten noch dem Radiosprecher zu:

»… darum sucht die Stadt Schmuddelfing wieder Erwachsene und Kinder für die lebende Krippe …«

»Die suchen Kinder als lebende Gerippe!«, rief das eine Olchi-Kind.

Alle Olchis horchten auf.

»Wer?«, fragte Olchi-Mama verdutzt.

»Die in Schmuddelfing«, rief das Olchi-Kind.

»Alle sind eingeladen«, sagte der Radiosprecher. »Wenn ihr dabei sein wollt, kommt heute Nachmittag zum Rathaus. Gebt euch Mühe mit euren Kostümen. Nur die schönsten werden ausgewählt. Weitere Informationen bekommt ihr gleich hier auf Radio Gammelsberg. Aber vorher hören wir noch ein Adventslied, gesungen vom Kinderchor aus Glanzhausen.«

Die Musik dudelte los.

 

»Filziger Fliegenschrott! Lebende Gerippe