Der Sturm der schwarzen Seelen

 

 

 

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Band 46

 

Der Sturm der schwarzen Seelen

 

von Logan Dee und Michael Marcus Thurner

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2016

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind …

Unterdessen wird Coco Zamis von Asmodi erpresst. Der Fürst der Finsternis entreißt ihr das noch ungeborene Kind und benutzt es als Pfand. Während die junge Hexe bisher sicher war, dass sie es von dem Verräter Dorian Hunter empfangen hat, behauptet Asmodi, dass er es ist, der sie geschwängert hat.

Um ihr ungeborenes Kind wiederzuerlangen, begibt sie sich in Asmodis Hände. Doch keine der Aufgaben, die er ihr stellt, erfüllt sie zu seiner Zufriedenheit. Behauptet zumindest er und erpresst sie weiterhin.

Schließlich gelingt es ihr mit der Hilfe ihrer Familie, Asmodi den Fötus zu entreißen.

Aber jetzt ist es ihr eigener Vater, Michael Zamis, der ihr den Fötus verweigert.

Auf der Suche nach ihrem gestohlenen Dämonen-Fötus reist Coco Zamis nach London. Zufällig trifft sie ihren tot geglaubten Liebhaber wieder: Dorian Hunter. Doch der erkennt sie nicht, lädt sie aber in seine Villa in der Baring Road ein. Dort stößt Coco auf ein entsetzliches Geheimnis: Hinter einer mit magischen Schutzzeichen versperrten Kellertür wird ihr ungeborenes Kind versteckt gehalten. Dorian Hunter entpuppt sich als Marionette ihrer Familie. Er lebt in einer magisch erzeugten Scheinwelt. Coco kämpft mit allen Mitteln um ihr Kind. Mithilfe des geheimnisvollen Damon Chacal gelingt es ihr schließlich, den Fötus an sich zu bringen. Um ihn fürs Erste allen Widersachern zu entziehen, beschwört sie den einstigen Hüter des Hauses Zamis aus dem Reich der Toten und gibt ihr Ungeborenes in dessen Obhut.

Coco Zamis hat vorerst genug von ihrer Familie. Um Abstand zu gewinnen, flüchtet sie aus Wien und Europa. Es trifft sich gut, dass ihre alte Freundin, die Vampirin Rebecca, gerade ein neues Domizil in New York bezogen hat und Coco einlädt, sie zu besuchen. Es handelt sich um das legendäre Dakota Building. Schnell stellt Coco fest, dass ihre Freundin in größter Gefahr schwebt.

Rebecca ist schwanger und steht unter dem Einfluss der Vanderbuilds, einer mächtigen Dämonenfamilie, die im legendären Dakota Building residiert.

Coco erhofft sich Hilfe von der Voodoo-Priesterin Mama Wédo, doch nach dem Ritual behauptet Rebecca, mit Mama Wédo den Körper getauscht zu haben.

Gleichzeitig zeigen die Bewohner im Dakota Building ihr wahres dämonisches Gesicht. Immer deutlicher wird, dass sie Rebeccas Baby für ihre teuflischen Machtspiele benötigen. Und auch Coco gerät in die Fänge der Vanderbuilds. Als Rebeccas Kind auf die Welt kommt, entpuppt es sich als dämonische Kreatur.

Schließlich gelingt es Coco, ihre Widersacher zu besiegen, das Dämonenkind zu töten und mit Rebecca aus dem Dakota zu fliehen.

Coco und Rebecca finden, dass sie es verdient haben, sich von den Strapazen zu erholen und reisen durch die USA. Zudem hat Rebecca eine Botschaft ihrer verschollen geglaubten Tante Elvira erreicht. Diese steckt jedoch in Schwierigkeiten und schließt sich ihnen an …

 

 

 

 

Erstes Buch: Der Sturm

 

 

Der Sturm

 

von Logan Dee

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

Prolog

 

Vergangenheit (1959)

Der Tod erreichte New Mill am 26. April 1959. Er kam in einem schwarzen Leichenwagen angefahren. Auf den Türen stand jedoch nicht der Name eines Bestatters, sondern in bunten Lettern FLYING MOVIES.

Vor dem New Mill Theatre hielt der Wagen an. Nicht wenige Passanten warfen ihm einen schrägen Blick zu. Hinter den abgedunkelten Scheiben war von draußen nicht zu erkennen, dass vier Personen darin saßen.

Oan Kazar nannte sich der Mann am Steuer. Er war ein uralter Dämon, der nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Die nikotingelben Finger, die das Lenkrad umklammerten, erinnerten an Spinnenbeine. Der fast kahle Schädel war eiförmig, und die buschigen Augenbrauen und die tief in den Höhlen liegenden Augen verliehen ihm ein eher abschreckendes Aussehen. Er griff nach einer Zigarette, zündete sie mit einem Fingerschnipsen an und inhalierte tief.

»Diesmal also New Mill!«, sagte er mit näselnder Stimme. »Immerhin ein Ort, dem wir noch nie zuvor unsere Aufwartung gemacht haben …«

»Red nicht so geschwollen daher!«, keifte seine schlechtere Hälfte vom Beifahrersitz her. »Wir waren noch nie hier, weil das Kaff am Ende der Welt liegt!« Sie seufzte, als hätte sie all das nicht verdient. Barbarya Kazar stammte tatsächlich aus einer angesehenen Bostoner Dämonenfamilie. Mit ihrer Sippe ging es bergab, als eine andere Sippe die Vorherrschaft beanspruchte. Schließlich war nur noch Barbarya am Leben. In Boston war sie nicht mehr erwünscht, also begann eine lange Leidensodyssee, an dessen Ende die Heirat mit Oan stand – eine Entscheidung, die sie längst bereute, aber nicht mehr rückgängig machen konnte, ohne ihren Tod zu riskieren. Oder noch schlimmer: in einen Freak verwandelt zu werden.

Sie wirkte wie Anfang vierzig und sah noch immer gut aus. Ihre Figur war vielleicht ein wenig zu füllig, ihre Haare zu blond, und das Gesicht zu übertrieben geschminkt, aber es gab genügend Männer unter den Menschen wie den Dämonen, die gerade darauf abfuhren. Außerdem verstand sie sich, genau wie ihr Ehemann, in den Künsten der Hexerei.

»Ich muss pissen!«, meldete sich der Jüngling auf der Rückbank zu Wort. Er erinnerte ein bisschen an den jungen James Dean, und genauso rebellisch war er auch. Jo und seine Schwester Miranda waren Zwillinge, obwohl man es ihnen kaum ansah. Allerdings war Miranda ebenso bockig. Sie kleidete sich lieber wie ein Junge und trug die Haare genauso kurz. Während Jo ein lausiger Hexer war, war es Mirandas Spezialität, alle möglichen Hilfsdämonen herbeizubeschwören.

»Im Kino wird es sicherlich eine Toilette geben«, sagte Oan, dem der rüde Umgangston seines Sohnes ein Gräuel war. »Komm einfach mit mir, und dann sehen wir weiter.«

»Miranda und ich sehen uns unterdessen ein wenig in diesem Nest um. Vielleicht läuft mir ja ein richtiger Mann über den Weg«, erklärte Barbarya und stieg bereits aus.

Oan rauchte die Zigarette zu Ende und sah seiner Frau und seiner Tochter nach. Sein Leben war wirklich kein Zuckerschlecken, aber als Dämon alter Schule sah er darin eine Prüfung.

»Was ist jetzt, Alter?«, drängte Jo. »Oder soll ich auf die Rückbank pissen?«

Seufzend stieg Oan aus, wartete, bis sein Sohn zu ihm aufgeschlossen hatte, und gemeinsam betraten sie das Kino, in dem am Vormittag nur das Betreiberehepaar anwesend war.

Wie immer wurde Oan bereits erwartet. Es wurde immer schwerer, Kunst zu verkaufen. Oan hatte Filme im Gepäck, die als verschollen galten. Oder von denen die meisten Experten bis zuletzt nicht geglaubt hatten, dass sie jemals gedreht worden waren. Im Gepäck hatte er diesmal eine Shakespeare Verfilmung von »Der Sturm« aus dem Jahre 1937. Kein einziges Verzeichnis auf der Welt listete diesen Film auf. Chapman, der Besitzer des Movie Palace, begrüßte Oan entsprechend skeptisch.

»Sie haben einen Abend, um mich und die Leute zu überzeugen, dass es sich lohnt, Ihren Film zu sehen. Die Bewohner hier mögen keine Experimente. Western laufen immer gut. Und weil wir hier einen Männerüberschuss haben, bloß keine Schmachtfetzen. Action, Horror, Krimis, das wollen die Leute hier sehen.«

»Keine Sorge, ›Der Sturm‹ wird die Zuschauer begeistern. Ich habe da meine Erfahrungen. Ich plane, den Film eine Woche lang zu zeigen. Natürlich vor ausverkauften Rängen …«

Jo kam von der Toilette wieder. Im Mundwinkel hing eine Zigarette. »Sauerei, alles verdreckt da drin! Die Putze habe ich mir gleich mal vorgeknöpft.«

»Die Putze ist meine Frau, du Halbstarker!«, wetterte Chapman mit hochrotem Kopf. »Wenn du ihr nur ein Haar gekrümmt hast, dann …« Er verstummte mitten im Satz und schnappte röchelnd nach Luft. Wenn er auch kein begnadeter Hexer war, ein paar wirkungsvolle Tricks beherrschte er trotzdem.

Während Chapman zu Boden ging und sich wälzte, fragte Jo lässig: »Brauchen wir den Kerl noch oder kann ich ihn verrecken lassen?«

»Was hast du nur wieder angestellt? Was ist mit seiner Frau?«

»Die ist patzig geworden, weil die Toilette angeblich geschlossen ist. Da musste ich ihr den Kopf waschen.«

»Was hast du ihr getan?«

»Ich sagte doch: den Kopf gewaschen. In der Toilette. Leider hat die Schlampe das nicht überlebt.« Er blies lässig den Rauch aus.

»Du verdammter Idiot! Du bringst noch über uns alle das Verderben!«

»Was ist jetzt mit dem Kerl hier?«, wollte Jo wissen. Seinen Vater nahm er eh nicht ernst. Allerdings war er offiziell noch immer das Familienoberhaupt.

Chapman zuckte nur noch. Sein Gesicht war blau angelaufen.

Oan überlegte nur kurz, dann stand seine Entscheidung fest: »Wenn seine Frau tot ist, wird er natürlich Ärger machen. Schaff die beiden fort. Wir übernehmen für eine Weile dieses Theater.«

»Keine Sorge, Dad, ich weiß auch schon, wie ich die beiden spurlos verschwinden lasse.« Er gab ein demonstratives Schmatzen von sich.

Oan drehte es fast den Magen um. Er wusste nicht, welches Gen von welchem Vorfahren bewirkte, dass Jo kannibalische Gelüste hatte. Von klein auf hatte er Menschenfleisch allem anderen vorgezogen.

Er schüttelte den Kopf. Nein, das war kein guter Start, den sie in New Mill erwischt hatten. Jetzt galt es, das Beste daraus zu machen.

 

 

1.

 

Gegenwart

»Silber! Ich bin auf eine Silberader gestoßen!«, schrie Johnny begeistert. Das Gesicht des achtjährigen Jungen glänzte vor Erregung. Triumphierend hielt er einen mit Mineralien durchsetzten, glitzernden Stein hoch.

Sein Bruder Steve sah skeptisch zu ihm hinüber. Steve war im Oktober zehn Jahre alt geworden, und es war seine Idee gewesen, auf dem Gebiet der alten Minen nach Silber zu suchen. Dann würde er endlich ein neues Fahrrad bekommen und sich öfter ein Superheldenheft leisten können. Im Moment reichte sein karges Taschengeld nur für das Nötigste.

Seufzend stieg er aus seiner Grube. Seit einer Woche arbeiteten er und Johnny bereits hier im »Bergwerk« auf der Abraumhalde, und jeder von ihnen hatte seitdem ein rund ein Meter fünfzig tiefes Loch gegraben. Mr Snyder, der zweijährige Mischlingsrüde bellte aufgeregt und lief schwanzwedelnd zwischen beiden Löchern hin und her. Der Hund war der Garant dafür, dass ihnen ihre Eltern überhaupt erlaubt hatten, sich so weit von der Farm zu entfernen. Wobei Steve ihnen nicht auf die Nase gebunden hatte, dass es ihn und seinen Bruder zu den alten Minen zog.

1920 waren in dieser Gegend große Silbervorkommen entdeckt worden. Bis in die sechziger Jahre hinein hatte der Boom angedauert. Rings um die Bergwerke waren Städte wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die meisten standen heute leer, galten als Geisterstädte, die die Wüste bereits wieder zurückeroberte. Auch Johnnys Großvater hatte die Gier nach dem Silber hierhergezogen. Aber er war klüger als die meisten gewesen. Als er genügend geschürft hatte, hatte er sich in der Nähe ein Grundstück gekauft und eine Straußenfarm darauf errichtet. Das Straußenfleisch war begehrt bei den Arbeitern, und Steves Großvater, Opa Walter, hatte es dadurch zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Nach dem Abflauen des Silberbooms sank auch der Absatz für das Fleisch. Dennoch betrieben Steves Eltern bis heute die Straußenfarm. Mehr recht als schlecht, wenn es nach den Streitereien ging, denen er oft heimlich lauschte.

Er nahm Johnnys Stein und betrachtete den Fund ausgiebig. Er war faustgroß und mit silbernen Quarzeinschüssen versehen. Aber dass das kein echtes Silber war, erkannte ein Blinder. Sein Vater besaß noch einen kleinen Silberbrocken zu Hause, ein Erbstück. Daher wusste Steve, wie Silber aussah.

Trotzdem wollte er seinen kleinen Bruder nicht enttäuschen. Allein, um ihn bei der Stange zu halten. »Könnte gut sein, dass der Stein was wert ist«, sagte er daher. »Wir sollten ihn zu den anderen packen.« Es war nicht das erste »Silber«, das Johnny gefunden hatte. Er sah sich bereits als erfolgreicher Schatzsucher und hatte seinen bisherigen Berufswunsch – Polizist – wieder verworfen.

»Guck mal da!«, sagte Johnny und wies nach Osten. Von der Abraumhalde aus hatten sie einen Rundumblick über das ganze Land. Sogar ihre Farm konnten sie in der Ferne als winzigen Fliegenschiss erkennen. Im Süden lag Eden, eine der Geisterstädte, die bereits fast vollständig wieder vom Wüstensand bedeckt war. Nur noch wenige Holzbaracken zeugten von ihrer einstigen Anziehungskraft. Mit ihren zahlreichen Saloons, Bordellen und anderen Vergnügungsstätten war sie so etwas wie ein El Dorado der Glückritter gewesen.

Ganz im Gegensatz zu Dead Mill. Eigentlich hieß die Stadt Great Mill, und ihre Erbauer hatten offensichtlich Großes vorgehabt. Sogar die Eisenbahnlinie führte einst direkt bis an die Stadt. Great Mill war die letzte der Silberstädte, die verlassen worden war. Am Ende hatte man nur noch von Dead Mill gesprochen. Ein Investor hatte sogar versucht, aus Dead Mill eine Touristenattraktion zu machen, und die Ortsschilder entsprechend umgestaltet. Aber Dead Mill lag, genau wie die anderen, viel zu weit weg von den großen Städten.

Außerdem spukte es dort. Aber das war wieder eine andere Geschichte.

Jetzt sah auch Steve, dass sich am Himmel etwas zusammenbraute. Ein Unwetter zog auf, und es trieb direkt auf sie zu. Wenn sie Glück hatten, schafften sie es vielleicht noch rechtzeitig zurück zur Farm.

»Los, Johnny, wir brechen für heute unsere Zelte hier ab und sehen zu, dass wir vor dem Regen nach Hause kommen!«

Plötzlich fing Mr Snyder an zu bellen. Es war ein wütendes Bellen, und das war eigentlich untypisch für den Hund.

»Ruhig, Snyder!«, befahl Steve, aber der Hund gebärdete sich eher noch wilder.

»Vielleicht hat er eine Klapperschlange gerochen«, sagte Steve. Eigentlich war es zur Beruhigung gedacht, aber er erreichte dadurch nur, dass Johnny wie von der Tarantel gestochen herumsprang und mit panischen Blicken den Boden absuchte.

»Vielleicht war es ja auch nur ein Erdhörnchen«, sagte Steve rasch, und nachdem sich Mr Snyder auch weiterhin nicht beruhigte, fasste er ihn am Halsband und schüttelte ihn.

»Au weia!«, rief Johnny und zeigte hinunter auf einen Punkt im Westen.

Steve zerrte Mr Synder mit sich und trat neben seinen Bruder. Jetzt sah er es auch: dieses Ding, das in riesigen Sprüngen vor dem Sturm davonlief und sich der Abraumhalde erstaunlich schnell näherte.

»Ein streunender Hund!«, entfuhr es ihm.

»Aber ein großer!«, sagte Johnny.

Das rennende Tier erzeugte eine riesige Staubwolke. In dieser Wolke war schemenhaft noch eine andere Gestalt zu erkennen. Doch schien diese nicht zu laufen, sondern zu schweben. Jedenfalls war das der Eindruck, der infolge des aufgewirbelten Sandes erzeugt wurde. Steve hatte Mühe, Mr Snyder zu bändigen.

»Was ist, wenn der fremde Hund Mr Snyder nicht leiden kann?«, fragte Johnny.

Was ist, wenn er uns nicht leiden kann, dachte Steve. Aber er wollte seinen kleinen Bruder nicht noch zusätzlich ängstigen. Er schaute erneut in die Richtung und wunderte sich, wie schnell der Hund herangesprungen kam. Dabei schien es Johnny so, als würde auf einem alten Projektor eine wacklige Zeitrafferaufnahme ablaufen, sodass man nicht einzelne Bewegung mitbekam. Diese Beobachtung haucht ihm einen dermaßen großen Schrecken ein, dass er spürte, wie sich trotz der Hitze sein Nacken mit einer kribbeligen Gänsehaut überzog.

Plötzlich schnappte Mr Synder nach ihm. Vor Schreck ließ Steve das Halsband los. Der Hund kam frei und raste jaulend davon. Genau in die andere Richtung.

»Verdammter Köter!«, schrie Steve. Er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen schossen. Nicht vor Schmerz. Mr Snyder hatte nicht richtig zugebissen, sondern nur angedeutet, zu was seine spitzen Reißzähne fähig waren. Steve war enttäuscht, dass Mr Snyder überhaupt zugeschnappt hatte. Das hatte er niemals zuvor getan. Umgekehrt hatte auch Steve ihm noch nie »verdammter Köter« hinterhergebrüllt.

»Mr Snyder! Komm zurück! Bei Fuß!«, rief Johnny, aber der Hund raste weiter mit wehenden Ohren davon. Johnny wandte sich an seinen Bruder. »Wir müssen ihn einfangen!«

Ja, das mussten sie wohl. Allerdings verspürte Steve ein Unbehagen, Mr Snyder zu folgen. Denn der raste genau auf Dead Mill zu. Und er wusste nicht, was schlimmer war: Die Tatsache, dass ein fremder riesiger Hund genau in ihre Richtung lief (und eine mindestens ebenso merkwürdige Gestalt, die an seiner Seite zu schweben schien) oder die Aussicht auf eine Tracht Prügel oder Stubenarrest, wenn sie es vor dem Sturm (und vor dem fremden Hund!) nach Hause schafften und erzählten, wo sie sich herumgetrieben und Mr Snyder verloren hatten. Die Abraumhalden galten bei allen Eltern als höchstgefährlicher Spielplatz. Dafür waren sie bei den Kindern umso beliebter.

Aber noch etwas anderes war die Sache mit Dead Mill. Jedem Kind im County wurde schon mit der Muttermilch eingeflößt, dass Dead Mill eine No-go-Area war. Niemand sprach so richtig darüber. Das war auch nicht nötig, denn die Dinge sprachen für sich.

Als Steve drei oder vier war, hatte eine seiner Tanten bei ihnen auf der Farm gelebt. Tante Liza. Kurz nach ihrem fünfzigsten Geburtstag war sie erkrankt und kurz danach an einer Lungenentzündung gestorben. Man hatte sie auf dem St.-James-Friedhof beigesetzt. Einige Tage später erzählte man sich in der Familie, dass die Leute aus Dead Mill Tante Liza zu sich geholt hätten. Erst als er älter war, verstand Steve den Zusammenhang. Liza war Opa Walters älteste Tochter. Und es hieß, dass Opa Walter eines Tages, als er schon an Demenz erkrankt war, von seinem Bett aufgestanden und die fünf Meilen hinaus nach Dead Mill gelaufen war. Niemand wusste, was er dort gesucht hatte. Jedenfalls hatte man ihn dort nach einer Woche verdurstet in einer der verfallenen Häuser gefunden. Sein Gesicht, so hatte Steve seine Eltern einmal flüstern hören, soll dabei zu einer fürchterlichen Fratze verzerrt gewesen sein, so als hätte er vor seinem Tod etwas Schreckliches erblickt.

Auch Opa Walter hatte man auf dem St.-James-Friedhof beerdigt. Nach zwei Monaten hatte jemand sein Grab geschändet. Jedenfalls war die Leiche verschwunden, und nicht wenige glaubten, dass es ihn, den Toten, zurück nach Dead Mill gezogen habe. Jedenfalls war auch Tante Lizas Leiche, kurz nachdem man sie begraben hatte, verschwunden …

Geschichten dieser Art gab es viele, und jeder Junge und jedes Mädchen, das Steve kannte, wusste mindestens eine zu erzählen.

Nein, freiwillig würde er sich nie und nimmer nach Dead Mill begeben. Aber jetzt lief Mr Snyder genau auf die Geisterstadt zu, und sein Bruder Johnny rief immer wieder mit Tränen in den Augen, dass sie ihn einfangen müssten.

»Also schön, du Quälgeist«, seufzte Steve. »Wirf den blöden Stein weg, und nimm die Beine in die Hand!« Und schon lief er los, die Abraumhalde hinunter, während er darauf achtete, dass sein kleiner Bruder nicht allzu weit zurückblieb.

Während er lief und dabei die Staubwolke, die Mr Snyder erzeugte, genau im Auge behielt, hoffte er, dass zumindest der fremde Hund sie nicht verfolgen würde.

Nach fünf Minuten Dauerlauf bekam er so fürchterliche Seitenstiche, dass er erst einmal verschnaufen musste. Johnny lag mit seinen kürzeren Beinen mehrere Meter zurück. Schweratmend kam er neben Steve zum Stehen. Der schaute zurück. Zum Glück war von dem Hund und der Gestalt nichts mehr zu sehen. Entweder hatten sie eine andere Richtung eingeschlagen oder den Gipfel der Halde, die sich wie ein riesiger Vulkan in den Himmel türmte, noch nicht erreicht.

Steve ließ den Blick noch höher wandern. Der Sturm hatte sie fast eingeholt. Die dunklen Wolkengebirge verschluckten zusehends das Tageslicht. Heftige Böen trieben die Windhexen vor sich her. Die Aussicht, noch einigermaßen trocken nach Hause zu kommen, sank gegen null.

Er schaute wieder nach vorn. Von der Staubwolke, die Mr Snyder erzeugt hatte, war nichts mehr zu sehen. Dafür waren aber die ersten Häuser Dead Mills nicht mehr weit entfernt. Die dicht beieinander stehenden Ruinen wirkten aus der Entfernung wie das verfaulte Gebiss eines Riesendinosauriers. Das allein war beängstigend genug, aber noch beunruhigender war der Gedanke, dort nach Mr Snyder zu suchen. Und mehr denn je verspürte Steve einen tief verwurzelten Widerwillen, sich der Geisterstadt überhaupt zu nähern.

Johnny war es, der ihm jede Entscheidung abnahm und ihn weitertrieb.

»Das war Mr Snyder!«, rief er und rannte erneut los.

Steve hatte nichts gehört. »Du spinnst!«, rief er seinem Bruder zu, als er zu ihm aufgeschlossen hatte. »Snyder ist schon längst über alle Berge!«

»Nein, ich habe ihn bellen hören! Und er ist in Gefahr!«, beharrte Johnny trotzig. Natürlich kannte auch er all die Legenden, die sich um Dead Mill rankten. Aber für ihn waren es eben nicht mehr als Geschichten. Gruselgeschichten. Und im Moment sorgte er sich mehr um seinen Hund als darum, sich vor Angst in die Hose zu machen.

Die Sorge verlieh ihm Flügel, und diesmal fiel er nicht hinter seinen größeren Bruder zurück, sondern hielt sogar mit ihm Schritt.

Als sie die ersten Häuser erreichten, fielen auch die ersten Regentropfen aus einem bleischwarzen Himmel herab. Innerhalb von Minuten prasselten harte Hagelkörner auf sie ein.

»Schnell, wir müssen uns irgendwo unterstellen!«, schrie Steve. Das Heulen des Sturmes riss ihm die Worte von den Lippen. Als Johnny nicht gleich reagierte, packte er ihn am Arm und zog ihn mit sich unter die erstbeste Hausveranda. Aber auch die bot wenig Schutz. Durch das morsche Vordach regnete es hindurch, als wäre es gar nicht vorhanden.

Johnnys Blick fiel auf den Eingang. Eine Tür gab es längst nicht mehr. Im Laufe der Jahre hatten Plünderer alles mitgenommen, was nur irgendwie verwertbar schien.

Das türenlose Loch wirkte wie der Schlund einer Höhle.

Trotzdem war die Angst von Steve abgefallen wie eine alte Haut, die man nicht mehr benötigte und einem nur noch hinderlich war. Auch an Mr Snyder verschwendete er im Moment keinen Gedanken. Seine einzige Sorge war, sich vor dem Unwetter in Sicherheit zu bringen.

Er zog Johnny mit sich in das Innere der Ruine. Es war zwar stockdunkel darin, aber es regnete nicht hinein.

»Los, wir suchen uns einen bequemen Platz und warten ab, bis der Sturm vorübergezogen ist.«

»Und Mr Snyder?«

Steve spürte die Sorge seines Bruders um den Hund, daher fasst er noch fester zu, damit Johnny nicht auf den dummen Gedanken kam, weiterzusuchen. Vielleicht war Mr Snyder auch schon längst wieder auf dem Rückweg und würde irgendwann auf der Farm auftauchen. Er sagte das seinem Bruder, aber Johnny schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Er steckt hier irgendwo, das spüre ich.«

»Pure Einbildung!« Steve platzte der Kragen, und er drückte seinen Bruder einfach zu Boden. Kurz wehrte sich der Jüngere, dann sackte er zusammen und schluchzte vor sich hin. Sofort tat es Steve leid, ihn so hart angefasst zu haben. Aber es schien ihm im Moment die einzige Möglichkeit, ihn zu beschützen.

Die nächsten Minuten schwiegen sie, und jeder brütete vor sich hin, während allein das Prasseln des Hagels und das Heulen des Sturms zu hören waren. Das Haus erzitterte unter den Böen wie ein zu Tode erschrecktes Tier.

Plötzlich hob Johnny den Kopf. »Hast du das gehört, Steve?«

»Nein, was denn?«

»Das Bellen! Mr Snyder braucht unsere Hilfe!«

»Das hast du vorhin auch gesagt. Ich höre kein Bellen. Lass dir mal den Kopf untersuchen!«

Es sollte spaßig klingen, aber Steve spürte, wie ihn erneut die Angst packte. Sein Bruder hörte etwas, und zwar nur er. Vielleicht dauerte es nicht mehr lange, und Johnny würde nicht nur Mr Snyders Gebell hören, sondern auch andere Stimmen. Vielleicht sogar die von Opa Walter und Tante Liza. Er wünschte, seine Gedanken würden in eine andere Richtung driften, aber den Gefallen taten sie ihm nicht. Die Finsternis gaukelte ihm die schrecklichsten Gestalten vor, sodass er die Augen schloss, aber auch das half wenig.

Wie mochte Opa Walter ausgesehen haben, als man ihn in irgendeinem dieser Häuser gefunden hatte? Und was hatte er gesehen, das sein Gesicht auf so furchtbare Weise verzerrt hatte?

Und Tante Liza? Vielleicht war sie ja nie wirklich gestorben! Vor einigen Wochen hatte er aus der Gemeindebibliothek ein Buch von Edgar Allan Poe entliehen. Nicht ganz rechtmäßig, denn es durfte nur an Leser ab sechzehn Jahren herausgegeben werden. Aber so lange wollte Steve nicht warten. Also hatte er einen günstigen Moment abgewartet und es in seinen Rucksack gleiten lassen. Seitdem wusste er alles über Mordwerkzeuge, Foltermethoden, gespenstische Gewölbe, blutrünstige Katzen und eben auch Tote, die nur scheintot waren.

Vielleicht waren Opa Walter und Tante Liza ja auch scheintot und schlichen hier noch irgendwo herum?

In diesem Moment krachte ein heftiger Donnerschlag, der selbst den Boden erbeben ließ.

»Mr Snyder!«, schrie Johnny gleichzeitig und riss sich aus der Umarmung. Er sprang hoch und rannte hinaus, ehe Steve ihn aufhalten konnte.

»Du Blödmann! Bleib stehen!«, schrie ihm Steve hinterher. Dann erhellte ein sekundenlanger Blitz den Raum.

Fast hätte er aufgeschrien, als er die Schattengestalt sah, die sich deutlich vor der Wand abzeichnete. Doch der Schrecken saß ihm wie ein Kloß im Hals. Schreckensstarr blickte er auf die Erscheinung, die nun langsam auf ihn zukam.

Es war nicht Opa Walter. Und auch nicht Tante Liza.

Es war eine Frau, die Steve noch nie im Leben gesehen hatte.

Und an ihrer Seite schritt ein riesiger Wolf.

 

»Man könnte glauben, dass wir die letzten Lebewesen auf Erden sind. Seit einer halben Stunde ist uns kein einziger Wagen mehr entgegengekommen«, seufzte Rebecca. Dabei drückte sie nur meine eigenen Gedanken aus.

Nach unserem Abenteuer in Blackwater Bay hatten wir es ruhiger angehen lassen wollen. Das war uns leider nicht ganz gegönnt, unser Problem hieß Tante Elvira, die jeden unserer Vorsätze an einen entspannten Urlaub zunichtemachte – aber der Reihe nach ...

Wir waren zunächst Richtung Mexiko gefahren und hatten uns schöne Wochen in San Diego versprochen. Aber schon dort erwies sich Tante Elvira als ständiger Klotz am Bein. Sie nörgelte an allem herum, spielte sich auf, brachte uns ständig in Verlegenheit, indem sie den jungen Männern nicht nur Avancen machte, sondern sie dank ihrer magischen Fähigkeiten auch in ihr Bett bugsierte. Mehr als einmal klopfte Rebecca nachts an meine Hoteltür, um bei mir zu schlafen, da ihre Tante mal wieder das Bett mit einem ihrer rekrutierten Liebhaber teilte. Bleich und kraftlos wankten ihre Opfer morgens aus ihrem Zimmer und erinnerten sich an nichts mehr.

Einmal hatte ich, nachdem Rebecca frühmorgens nach einem ihrer nächtlichen Ausflüge zu mir ins Bett geschlüpft war, nicht mehr einschlafen können. Leise, um sie nicht zu wecken, war ich aufgestanden und hatte ein Bad im Pool genommen, der sich im Innenhof des Hotels befand. Der Sternenhimmel über mir verblasste bereits und die Morgenröte kündigte sich mit einem unglaublich intensiven Farbenspiel an. Da sah ich, während ich auf dem Rücken meine Bahnen schwamm, wie sich die Tür von Tante Elviras Zimmer öffnete und ihr ausgelaugter Liebhaber auf die offene Veranda torkelte. Irgendetwas an ihm machte mich stutzig. Ich kletterte aus dem Pool und fing ihn ab, nachdem er die Außentreppe herabgestiegen war.

Er befand sich noch immer leicht in Trance, deshalb fiel es mir umso leichter, ihn zu hypnotisieren und ihm zu befehlen, anzuhalten. Oberhalb der Jeans trug er nur ein verwaschenes T-Shirt, unter dem sich sein Sixpack abzeichnete. Ich schob den Rundhalsausschnitt ein wenig herunter und erkannte die Bissmale an seiner Halsschlagader.

Von da an war mir klar, dass wir uns mit Tante Elvira ein viel größeres Problem aufgeladen hatten als befürchtet.

Zunächst erzählte ich Rebecca von meiner Entdeckung. »Bisher habe ich gedacht, dass sich die dämonischen Charaktereigenschaften deiner Tante Elvira aufs Hexen beschränken. Aber sie scheint genau wie du auch vampirische Gelüste zu haben.«

»Ich weiß«, gestand Rebecca zu meiner Verblüffung.

»Du weißt es und hast mir nichts davon erzählt?«

»Was glaubst denn du, warum ich jede Nacht bei dir anklopfe? Meinst du, es fällt mir leicht, mit anzusehen, wie Tante Elvira ihren Liebhabern das Blut abzapft? Ich bin auch nur eine Vampirin ...«

Der Gedanke, dass sich Elvira und ihre Tante die Liebhaber teilen würden, war tatsächlich kein sehr appetitlicher. Aber auch so war der Wurm drin. Die Tage und Nächte waren einfach nur noch nervig. Vielleicht lag es auch an mir. Ich hatte immer weniger Lust, in der Gegend herumzufahren und in fremden Betten zu übernachten. Ja, ich hatte mir eine Auszeit gewünscht, aber ich spürte, dass ich sie nicht mehr so genießen konnte wie anfangs. War das Heimweh? Nach Wien und dem Café Zamis? Nein, es steckte mehr dahinter. Seit Monaten war ich nun nicht mehr in Wien gewesen. Und mit jedem Tag, den ich länger in Amerika war, wuchs mein Gefühl, dass allein dort mein Platz war. Dass ich dort etwas zurückgelassen hatte. Eine Aufgabe, die noch längst nicht vollendet war.

Genaugenommen war es sogar ein ganzer Berg von Aufgaben, aber daran mochte ich jetzt nicht denken.

Mittlerweile befanden wir uns in Nevada. Tante Elvira hatte darauf bestanden, weil sie unbedingt noch Las Vegas einen Besuch abstatten wollte, ehe wir uns aus den Staaten verabschiedeten.

Nun, Las Vegas war noch weit, und vor uns lag nichts als der staubige Highway, während sich rechts und links von uns scheinbar endlose Wüste erstreckte. Ab und zu grüßte eine riesige Reklametafel.

»Keine Sorge, Kindchen, wenn wir erst mal in Vegas sind, lassen wir die Puppen tanzen!«, sagte Tante Elvira, als hätte sie meine Gedanken erraten, und schmatzte genüsslich mit den vollen Lippen. Wahrscheinlich dachte sie an männliche Puppen. Möglichst muskulös und ausdauernd.

»Hey, habt ihr das gesehen!«, rief Rebecca plötzlich. Sie stieg auf die Bremse, und das Wohnmobil kam rumpelnd am Straßenrand zum Stehen, nicht ohne eine riesige Staubwolke zu fabrizieren, die zunächst einmal dafür sorgte, dass man überhaupt nichts mehr sah.

Ich hatte tatsächlich nicht mehr auf die Umgebung geachtet, weil es da, wie gesagt, nicht viel zu beachten gab, daher hatte ich keine Ahnung, was Rebecca meinte.

»Ich meine das Schild, an dem wir gerade vorbeigefahren sind«, sagte Rebecca aufgeregt.

»Bisher habe ich auf dieser Strecke nur Reklameschilder gesehen«, sagte ich. »Auf dem letzten war eine nach einem Erfrischungsgetränk lechzende Bikinischönheit.«

»Nein, das gerade war etwas anderes! Eine Holztafel mit einer verblichenen Schrift darauf. Außerdem war etwas daran festgenagelt!«

»Wahrscheinlich eine Fata Morgana. Gib endlich wieder Gas, damit wir pünktlich bei Sonnenuntergang in Vegas sind!«, sagte Tante Elvira, die es offensichtlich kaum erwarten konnte.

Rebecca ließ sich nicht von uns beirren, sondern öffnete die Fahrertür und sprang hinaus. Für ein paar Sekunden verschwand sie in der Staubwolke.

Tante Elvira rief ihr einen saftigen Fluch hinterher, während ich ebenfalls ausstieg. Im Gegensatz zum klimatisierten Wageninneren herrschte draußen eine Bruthitze. Die Staubwolke lichtete sich bereits wieder, und ich sah Rebecca in zehn Meter Entfernung auf etwas zulaufen, das tatsächlich einer Holztafel ähnelte. Von hinten war sie allerdings nicht beschriftet, sondern wurde mit zwei schrägen Pfeilern abgestützt.

Ich beeilte mich, zu Rebecca aufzuschließen, während mir mit jedem Schritt die unerbittliche Hitze bewusster wurde. Rebecca und ich erreichten das Schild gleichzeitig. Und beide sahen wir gleichzeitig die merkwürdige Kreatur, die man darangenagelt hatte.

»Was ist das für ein Viech?«, entfuhr es Rebecca.