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Ilka Sommer

Sex als Rollenspiel

Aufregende Veränderungen





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Am Scheideweg

Mit Blick auf den Wegweiser ballte Sascha unschlüssig die Fäuste. Stand er denn nicht prinzipiell am Scheideweg? Welchen Weg sollte sein Leben nehmen?

Sein Job als Callboy konnte – durfte nur eine Episode sein. Die Aufträge waren zwar ebenso reizvoll wie lukrativ, aber wie lange könnte er das durchhalten? Körperlich und nervlich? Die Spleens, die er nebenher befriedigen musste, waren nichts für sensible Gemüter. Wenn er da nur an Nora dachte. Einmal musste er den kulturell interessierten Opernliebhaber mimen, beim nächsten Mal einen Freier, der Prostituierte schikaniert. Okay, es gab zwar schon einige Frauen, die sich gerne mit ihm unterhielten und seinen Charakter schätzten, aber von den meisten seiner Auftraggeberinnen fühlte er sich als Sexsklave missbraucht. Anfangs war er noch stolz, wenn sich notgeile Schnepfen nach ihm verzehrten, wenn vernachlässigte Frauen verrückt nach der Sexmaschine mit den zärtlichen Fingern, der flinken Zunge und dem unermüdlichen Monsterschwanz waren – doch jetzt …

Jetzt war alles anders. Jetzt, wo ihm Ofarim im Schach ein Remis gegönnt hatte, jetzt wo das bezaubernde Mädchen bedingungslos der Einladung zu dieser Tour gefolgt war.

Sascha nickte entschlossen. Ja, er müsste versuchen möglichst bald aus diesem Bums-Zirkus auszusteigen. Er müsste mit Leon verhandeln. Vielleicht könnte er die Cronneck-Provision als Sondertilgung einsetzen? Falls ja, müsste er nicht mehr oft zu Verdi, müsste sich höchstens noch ein bis zweimal als Masochist auf Gut Bluenholz oder als Dr. Pröhl verdingen, bis er seine Schulden komplett abgerammelt hätte.

Sascha grübelte erneut. Erneut kam er zu dem Ergebnis, dass Callboy kein Job mit Zukunft ist. Leon überlegte schließlich selbst, ob er sich auf organisatorische Aufgaben zurückziehen sollte. Diese Idee könnte ihm glatt von einer Oberstudienrätin souffliert worden sein, meinte Sascha. Oder war Leon diese Variante von seiner Heidi mit schlagkräftigen Argumenten nähergebracht worden? Leicht möglich, Sascha hatte ja bereits erlebt, wie schnell die Blonde in Rage geraten konnte. Aber gut, war es denn nicht auch verständlich, dass Heidi auf Dauer Leon nicht mit unzähligen anderen Frauen teilen wollte?

Leons anderer Plan, der vorsah, Nachwuchs-Callboys auszubilden, klang jedoch eher nach Sophie Lansen. Hoffentlich hatte Ofarim wirklich nicht mitbekommen, dass ihre Tante nicht nur beim Schneidern meisterliches Talent besaß.

Im Rückblick wunderte es Sascha immer noch, dass Ofarim dieser Reise ohne geringstes Zögern zugestimmt hatte. Ein warmes Gefühl durchflutete ihn, denn das könnte bedeuten, dass Ofarim ihr antiquiertes Keuschheitsgelübde überdacht hatte. Aber was war, wenn sie einfach nur ein Faible fürs Bergwandern hatte? Wenn ihre Gefühle für ihn rein platonischer Natur waren? Sah sie in ihm nur eine Art großen Bruder? Und was war, wenn ihn seine Ahnung bei der letzten Rast nicht getäuscht hatte? Wenn die Lehrerin das Mädchen für sich gewinnen wollte ...

„Du kennst den Weg, oder?“, kappte Heidis Ruf seine Gedankengänge, als sie den Wegweiser skeptisch musterte. Ihre sonst so resolute Stimme hatte nun beinahe flehenden Charakter.

„Klar, alles unter Kontrolle. Ich wollte nur warten, bis wir beieinander sind.“

Sascha winkte Leon, der zurückgefallen war. Mit den beiden großen Rucksäcken schnaufte er inzwischen wie eine Dampflok.

„Bei der Witterung müssen wir eng zusammenbleiben“, appellierte Sascha, als Leon die Gruppe erreicht hatte, erst dann ging er weiter.

„Hey, wieso biegst du nach links ab?", keifte Heidi. Nach einer kurzen, konzilianten Phase war sie wieder die Alte. „Der Pfeil zeigt doch eindeutig nach rechts!"

„Und wohin würden wir dann kommen?"

Sascha, der nur ein wütendes Schnauben zur Antwort bekommen hatte, marschierte unverdrossen weiter. Heidi hatte null Schimmer, wo es hinging, aber okay, meinte Sascha zynisch, jedenfalls wäre sie am schnellsten dort – irgendwo halt. Wie hielt es Leon nur mit diesem Schrapnell aus? Andererseits ... die Oberstudienrätin Adelheid Hollgarth hatte auch etwas Faszinierendes an sich. Was es bei dieser Heidi genau war, konnte Sascha bis jetzt nicht ergründen. Eine Sache war jedoch unschwer zu erkennen: Die Lehrerin war unverschämt sexy – selbst in ihrer weiten Trekkingkluft.

In seiner eigenen Montur wurde es Sascha immer wärmer – verflixt, was hatte denn Ofarim alles in ihren Rucksack gestopft? Einen zentnerschweren Schminkkoffer nebst Föhn und Haarglätter? Ihre Utensilien wurden ebenso wie sein eigenes Marschgepäck mit jedem Schritt schwerer. Aber zum Glück war es nicht mehr weit. So wie sich Sascha die Route eingeprägt hatte, führten jetzt nur noch wenige Serpentinen in östlicher Richtung zum Ziel … hoffentlich. Sascha schluckte – liefen sie überhaupt nach Osten?

Er fluchte leise vor sich hin. Warum hatte er sich von der ach so turboschlauen Lehrerin nur so verunsichern lassen? Es war eine rhetorische Frage, Sascha wusste, woran es lag. Nicht nur ihr schroffer Kommandoton hatte ihn durcheinandergebracht, auch die Versuche, sich Heidi nackt vorzustellen. Prompt kribbelte es ihm im Schritt. Sascha stöhnte. Weniger vor Erregung, sondern vor allem deshalb, weil sein Schwanz immer so schnell auf die Bilder in seinem Kopf reagierte. Viel zu schnell – verdammt, jetzt bekam er auch noch eine richtige Erektion. Gut, dass er vorneweg lief. So konnte sich Sascha in die Hose greifen, ohne dass die anderen darauf aufmerksam werden konnten. Er atmete befreit auf – der Eingriff war zwingend nötig gewesen, denn seine sperrig gewordene Männlichkeit hätte ohne die eben erfolgte Lagekorrektur ein zügiges Weiterlaufen unmöglich gemacht.

Aber warum haderte Sascha mit seinem blitzartig anschwellenden Phallus? War denn nicht die Fähigkeit zum schnellen Durchstarten neben Schwanzgröße und Standfestigkeit ein entscheidender Erfolgsgarant in seinem Job? Und konnte er es denn seinem Rambo verdenken, dass er knüppelhart wurde, wenn in seinem Kopfkino ein saftiger Porno lief?

Wieder sah er vor seinem geistigen Auge, wie sich Heidis Lippen um seine glühende Eichel schmiegten, wie sie gierig saugte, während sie von Leon von hinten gefickt wurde. Sascha schämte sich, denn in seiner ruchlosen Fantasie tauchte jetzt sogar Ofarim auf. Scheu beobachtete sie das hemmungslose Trio, ihre Finger glitten in ihren blütenweißen Slip. Das Mädchen schloss stöhnend die Augen, als sie an ihrem unschuldigen Fötzchen zu fingern begann. Plötzlich stand sie auf, stieg aus ihrem Höschen und fragte schüchtern, welcher Schwanz ihr denn die Jungfräulichkeit nehmen wolle ...

Sascha biss sich auf die Unterlippe, um ein verräterisches Stöhnen zu unterdrücken. Verflixt und zugenäht, warum peinigten ihn ausgerechnet jetzt so versaute Utopien? War es denn jetzt nicht wesentlich wichtiger, sich auf den Weg zu konzentrieren? Hatten sie sich etwa längst verlaufen, nur weil ihm vor Geilheit bebende Frauen durchs Hirn spukten? Weil zugleich sein Schwanz spukte? Sascha musste kurz anhalten. Er schloss die Augen, sah, wie sein Sperma aus ihm heraussprudelte. Es verschwand restlos zwischen Heidis Lippen – zugleich schrie Ofarim auf, ein roter Schwanz zuckte in ihr: Leon hatte sie entjungfert!

„Warum bleibst du stehen, Sascha? Bist du erschöpft oder hast du endlich gemerkt, dass wir uns hoffnungslos verfranzt haben?“

Heidis beißende Kritik ließ den Film reißen – leise ächzend setzte Sascha den Weg fort. War es der Richtige oder hatte er am Wegweiser tatsächlich die falsche Entscheidung getroffen? Nein, sagte er sich trotzig, sie kamen aus nördlicher Richtung, mussten nach Osten, ergo nach links!

Sascha wurde es mulmig. Selbst wenn sie in der richtigen Richtung marschierten, würden sie jemals ankommen? Jetzt wo der Pfad mehr und mehr unter einer Schicht aus schwerem Pappschnee verschwand?

Es war unverantwortlich. Seine Nerven fingen zu vibrieren an, wieder wischte er den Schnee ab. Sascha kniff die Augen zusammen – was war das am Hang vor ihm für ein dunkler Klotz?

Sascha rief den anderen zu, dass sie es geschafft hätten. Er mobilisierte alle Reserven und rannte los, so schnell es das Gewicht der Rucksäcke und der rutschige Schnee erlaubten.

Sascha lauschte angestrengt, hörte jedoch nur sein eigenes Keuchen und den hämmernden Puls in den Ohren. Im Haus blieb es ruhig. War niemand da? War es die falsche Hütte oder war es nur so, dass die dicken Schneeflocken jeden Laut verschluckten?

Sascha vernahm ein dumpfes Poltern. Endlich! Er wartete, die Tür knarrte. Ein bärtiger Hüne kam in gebückter Haltung durch die niedrige Tür. Er trug ein kariertes Flanellhemd, ausgebeulte Cordhosen, seine Quadratlatschen steckten in Wollsocken. Er stemmte seine riesigen Fäuste in die Hüften und baute sich breitbeinig vor Sascha auf.

Sascha lachte, der Hüne musterte ihn von oben bis unten und brummte dann: „Was is’ passiert, Pröhly? Bist in einer Lawine herg’rollt? Du siehst ja aus wie d‘r Yeti persönlich!“

„Ned nur das“, feixte der Mann aus der Hütte. „Frag’ meine Zala.“

„Alex Murphy Koninski!“, tönte Leon, als er wieder genug Luft hatte. „Ein besseres Versteck hättest du wirklich nicht finden können, alter Kumpel. Danke für die Einladung!“