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Band 57/58

 

Die verhängnisvolle Expedition

 

Phantom-Station

 

H. G. Ewers

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Wundersame Reisen durch Raum und Zeit

Die Terraner werden sehr früh in die unendlichen Weiten des Kosmos geworfen. Die Vielzahl der Wunder, die sie kennenlernen, wirkt auf sie unerklärlich.

Schon zu Beginn ihrer kosmischen Geschichte stoßen die Menschen auf das Gom, eine unbegreifliche, fremdartige Lebensform voller Rätsel. Sechzig Jahre nach dem Erstkontakt versucht Julian Tifflor, das Rätsel dieser Wesenheit endlich zu lösen ...

Bei einer Reise in das Sonnensystem der ersten Handelspartner der Menschheit entdecken Perry Rhodan und Reginald Bull einen Planeten, den es eigentlich gar nicht geben dürfte. Als sie dort landen, geraten sie in den Bann der Wächter dieser Welt – und müssen den Pfad des Vergessens beschreiten ...

 

Wieder einmal präsentieren wir zwei farbenfrohe und spannende Romane von H. G. Ewers, dessen phantastische Schilderungen die Leser immer wieder begeistern.

Inhaltsverzeichnis

 

 

Erstes Buch

Die verhängnisvolle Expedition

 

Zweites Buch

Phantom-Station

 

 

 

Die verhängnisvolle Expedition

 

Kommt das Gom aus einem anderen Universum?

Julian Tifflor soll das Geheimnis des Planeten enträtseln

Die Weiten der Universen

 

Es wird oft vom »Vorstoß der Menschheit ins Universum« gesprochen. Dieser Sprachgebrauch geht auf die frühen Tage der terranischen Expansion zurück, als man es noch nicht besser wusste. Zu jener Zeit waren selbst andere Galaxien unerreichbar fern. Manche Wissenschaftsrichtungen glaubten sogar, dass es technologisch unmöglich sei, die heimische Milchstraße zu verlassen, da diese eine eigene Raum-Zeit-Krümmung besäße, deren Überwindung mit den bekannten Antriebsarten nicht möglich sei.

Es sollte bis zum frühen 25. Jahrhundert dauern – also etwa 450 Jahre nach dem Aufbruch der Menschheit »ins Universum« –, dass sich erste Modellbilder der Struktur eines übergeordneten »Multiversums« abzeichneten. Als Tako Kakuta und die Woolver-Zwillinge von einem Raum-Zeit-Transmitter der Meister der Insel in den Hyperraum geschleudert wurden, konnten sie entsprechende Beobachtungen anstellen. Nach ihrer Wahrnehmung besteht das Standarduniversum, das den Menschen bis dahin alleinig bekannt war, aus Millionen von Galaxien, die in der Form eines Möbiusbandes angeordnet sind. Die größte Ausdehnung beträgt rund 30 Milliarden Lichtjahre.

Vergleichbare »Nachbar«-Universen liegen in einem Abstand von jeweils 500 Milliarden Lichtjahren. Auch sie bestehen aus Galaxien, die ein Möbiusband bilden. Rund eine Milliarde solcher Universen formen zusammen eine Kugel, das so genannte Hauptuniversum oder Multiversum. Dieses bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit zusammen mit anderen Hauptuniversen, die Billionen von Lichtjahren voneinander getrennt sind, bis ans Ende der Zeit im unendlichen Hyperraum.

Es sollte lange dauern, bis den Terranern die tatsächliche Bedeutung dieses Konzepts bewusst wurde.

Ihre erste Begegnung mit einem anderen Universum hatten sie im Jahre 2040 christlicher Zeitrechnung, als die Milchstraße vom »Roten Universum« geschnitten wurde. Es war dem Standarduniversum der Terraner sehr ähnlich, was die meisten universellen Konstanten anging, sodass ein Wechsel zwischen den Universen vergleichsweise einfach möglich war. Faktoren wie die (seinerzeit ohnehin noch unbekannte) Strangeness mussten keine Beachtung finden und wurden gar nicht erst bemerkt.

Es fiel allerdings sofort auf, dass das Rote Universum sich nicht nur durch sein rotes »Hintergrundglühen« vom Normaluniversum unterschied, sondern auch durch eine andere Eigenzeit. Gegenüber dem Universum der Terraner war diese um 1:72.000 langsamer. Dies verursachte bizarre Effekte, sobald etwa die Lichtgeschwindigkeit des »langsameren« Roten Universums von einem Raumschiff des »schnelleren« Normaluniversums durchbrochen wurde.

Aus diesem vorübergehenden ersten Kontakt mit einem anderen Universum nahmen die Terraner die Kenntnis mit, dass man abgetrennte Gebiete, in denen andere physikalische Konstanten galten, als eigenständige Universen bezeichnen konnte. Was nach heutigem Wissensstand eher simpel klingt, trug damals schon den Kern der Wahrheit in sich. Es fehlte allerdings am hyperphysikalischen Rüstzeug zur systematischen Erforschung anderer Universen (oder »Weltalle«, wie ein damals gängiger Begriff lautete).

Insofern sind die frühen Kontakte mit anderen Universen stets Ergebnisse von Zufallsbegegnungen, keinesfalls aber die von gezielter Forschung.

 

(Aus: Hoschpians unautorisierte Chronik des 14. Jahrhunderts NGZ; Kapitel 2.0.1, Das Multiversum: Wie es der Terraner sieht und wie es wirklich ist)

1.

 

Millionen Jahre sind vergangen, seitdem unser aller Urahn im Nebel einer grauen Vorzeit vom Meer ans Land kroch, Millionen Jahre, die im Vergleich zur Ewigkeit nur ein Augenblick waren. Heute, nach einer kurzen Rast auf der festen Erde, im Meer der Atmosphäre, wendet er sich einem neuen Element zu, dem Sternenmeer. Die Leuchtfeuer der Galaxis weisen ihm den Weg.

Die kugelförmigen Sternhaufen sind Gebilde von vollendeter Harmonie und Schönheit. Einige wenige kann man in klaren mondlosen Nächten in einem Feldstecher als kleine neblige Wölkchen sehen. Die meisten von ihnen reihen sich wie eine Perlenkette um unsere Welteninsel auf.

Löst man mit einem großen Teleskop ein Einzelobjekt auf, so heben sich vom samtdunklen Nachthimmel Tausende von schwachen Sternchen, dicht beieinandergedrängt, wie zahllose Edelsteine ab. Das Eigentümliche dieser Gebilde ist ihre starke Verdichtung zum Kern hin und ihr allmähliches Auflockern nach außen. Im Kerngebiet eines Kugelhaufens haben die Sterne gegenseitige Abstände, die an die geringen Entfernungen innerhalb eines Planetensystems erinnern. Stünden wir auf einem Planeten nahe des Zentrums, so wäre der Himmel übersät mit zahlreichen hellen Sternen, von denen viele bereits mit bloßem Auge als glühende Scheibchen gesehen werden könnten.

Einer der hellsten Kugelhaufen des nördlichen Himmels ist M 13 im Sternbild des Herkules. Sein Durchmesser beträgt rund 230 Lichtjahre. In dieser Sternenzusammenballung leuchten mehr als hunderttausend Sonnen.

Viele dieser Sonnen besitzen zweifellos Planeten – und auf vielen dieser Planeten kann sich intelligentes Leben entwickelt haben.

Diese Intelligenzen können humanoid sein – aber auch unsagbar fremdartig ...

 

Das kugelförmige Raumschiff hatte die Grenzen von Zeit und Raum mit drei gewaltigen Sätzen durch die absolut unanschauliche fünfte Dimension, den sogenannten Hyperraum, überwunden.

Jetzt schossen hochverdichtete Partikelströme aus den Impulsdüsen des Äquatorwulstringes. In ihrem Schein leuchteten die haushohen Blockbuchstaben über der unteren Polkuppel blutrot auf und enthüllten den Namen des Raumschiffes: GOSHUN.

Die bläulich flimmernden Impulsströme streckten ihre Energiefinger in die Schwärze des Weltraums und trieben den metallisch blinkenden Kugelleib auf eine kleine rote Sonne zu, deren matte Leuchtkraft vergeblich gegen die strahlende Pracht von M 13 ankämpfte.

 

Auf den warmlaufenden Bildschirmen der Panoramagalerie schälten sich die Flächen und Konturen des Beiboothangars plastisch heraus. Mattbläuliche Lichtreflexe huschten über die stählernen Hüllen der Arbeitsroboter. Dumpfes Dröhnen wurde durch die zahlreichen Außenmikrofone hereingebracht, wenn die wuchtigen Gestalten mit zielsicherer Emsigkeit draußen vorüberstampften. Wie von Geisterhand bewegt, wuchsen zwei andere Gestalten allmählich über den unteren Rand des Steuerbordsichtschirmes. Ihre hellbraunen Kombinationen und die silbernen Symbole auf der Brust wiesen sie als Techniker des Prüfkommandos aus. Dann kam auch die Schwebeplattform zum Vorschein, auf der die beiden Männer standen. Auf der Oberfläche der Plattform war ein Kasten montiert, von dessen halbrundem Antennenauge ein breit gefächerter grünlicher Lichtkegel ausging und systematisch die Außenhaut des Beiboots abtastete.

Die Techniker rauchten und unterhielten sich. Ungeachtet dessen aber ließen sie die Anzeigetafeln des Geräts nicht aus den Augen. Es kam zwar nur selten vor, dass die Skalen des Ultraschallbildwandlers oder des Gammadefektoskops Unregelmäßigkeiten in der molekülverdichteten Struktur einer Raumschiffswandung aufzeigten, aber wenn dieser Fall eintrat, hing das Leben der Schiffsbesatzung von der rechtzeitigen Entdeckung und Behebung der Mängel ab.

Von seiner Kontrollbank im Innern der Beibootzentrale aus verfolgte ein hagerer grauäugiger Mann mit scharfgeschnittenem Gesicht und silbernen Schläfen, die gar nicht zu seinem jungenhaft wirkenden Mund passen wollten, das Vorbeigleiten der Antigravplatte. Julian Tifflor, Oberst der Solaren Raumflotte und durch Befehl des Oberkommandos in die K-35, ein sechzig Meter durchmessendes Beiboot der Kaulquappenklasse, abkommandiert, haderte mit seinem Schicksal. »Noch immer dreiundzwanzig Minuten bis zum Start«, murmelte er und lehnte sich in den Kontursessel zurück. Unterdrücktes Stimmengewirr ließ ihn den Kopf zur Seite wenden.

Zwei Männer saßen an dem in der Mitte der Kommandozentrale stehenden Kartentisch und unterhielten sich flüsternd. Tifflor erkannte John Marshall, den Chef des Mutantenkorps, und den Suggestor Saburo Jamasaki.

John Marshall hielt ein Blatt Magnetfolie in der Hand und war anscheinend bemüht, seinem Gegenüber etwas zu erklären. Von Zeit zu Zeit blitzte es dabei hell in seinen blauen Augen auf. Kaum einer, der ihn nicht kannte, hätte ihm angesehen, dass er zu den Männern gehörte, die zusammen mit dem ehemaligen Deserteur der US-Space-Force und jetzigen Administrator des Solaren Imperiums, Perry Rhodan, gegen den Widerstand der irdischen Machtblöcke die Erde geeint und vor der atomaren Selbstvernichtung bewahrt hatten.

Man hätte ihm auch nicht angesehen, dass sein Gehirn über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügte. Marshall gehörte zur ersten Generation derjenigen Menschen, deren elterlicher Erbcode sich durch die Einwirkung radioaktiver Strahlung verändert und positive Mutationen hervorgebracht hatte. Marshall war ein Telepath von Geburt an. Inzwischen hatte er jedoch die anfänglich nur schwach ausgebildete Fähigkeit des Gedankenlesens durch Training weiterentwickelt und vermochte jetzt sogar mit nichthumanoiden Intelligenzen Gedankenaustausch zu pflegen oder, wenn sie der Telepathie nicht mächtig waren, doch wenigstens ihre Gedanken zu lesen und ihre Absichten zu erkennen.

Julian Tifflor seufzte und wandte sein Gesicht den Skalen der Kontrollbank zu. Doch seine Augen starrten durch die zahlreichen Anzeigen hindurch. Er verstand die Welt nicht mehr. Dass man John Marshall in die K-35 kommandiert hatte, konnte er noch verstehen. Schließlich war eine Verständigung mit dem Wesen, dem die Expedition galt, nur auf telepathischer Basis möglich. Aber warum man ihn, Tifflor, zum Expeditionsleiter ernannt hatte, erschien dem Oberst unverständlich. Gewiss, es gab ein Prinzip, nach dem Mutanten möglichst nicht mit Aufgaben belastet werden durften, die nicht unmittelbar in den Bereich ihrer parapsychischen Fähigkeiten fielen – aber da war ja noch Captain Raleigh. Roger Raleigh hatte sich als Kommandant der K-35 seit Langem bewährt. Er wäre Garantie genug für den Schutz der Expedition und des Schiffes gewesen. Tifflor sah keinen Grund, weshalb man ausgerechnet ihn, den Flottenoffizier im Z.b.V.-Stab, mit einer ausgesprochenen Routineangelegenheit betraut hatte.

Ganz in seine Gedanken vertieft, hatte er das Scharren von Stiefeln und das Zuschlagen des Zentraleschotts überhört, als Jamasaki gegangen war. So schrak er unwillkürlich zusammen, als sich Marshalls Hand auf seine Schulter legte. Über das Gesicht des Telepathen huschte ein farbloses Lächeln.

»Unzufrieden, Tiff?«

Wenn die beiden Männer allein waren, pflegten sie sich mit den Namen anzureden, die sich unter Freunden eingebürgert hatten. So verwendete Marshall Tifflors Spitznamen, der noch aus seiner Ausbildungszeit stammte, während Tifflor den Freund mit dem Vornamen ansprach.

Tifflors Mund verzog sich in der Andeutung eines Grinsens.

»Erraten, John. Haben Sie meine Gedanken gelesen?«

Marshall streckte in gespielter Entrüstung die Hände von sich. »Wo denken Sie hin, Tiff! Ich wäre der Letzte, der es sich herausnähme, gegen die Gesetze des Mutantenkorps zu verstoßen. Außerdem: Selbst ein Nichttelepath könnte Ihre Gedanken lesen. Sie stehen nämlich in Ihrem Gesicht geschrieben wie in einem offenen Buch. Soll ich Ihnen sagen, was Sie jetzt denken? Sie denken: ›Welcher Etappenbulle hat mir bloß diesen Routineauftrag angehängt?‹ Habe ich recht?«

»Halten Sie es etwa nicht für Routine«, sagte Tifflor erregt, »sich von der zum Schulschiff degradierten GOSHUN gemächlich vierunddreißigtausend Lichtjahre weit als Passagier befördern zu lassen, nur um dann mit einem Beiboot zwei Lichtstunden weit zum einzigen Planeten einer halb toten Sonne zu navigieren, zwei Wochen den Wissenschaftlern untätig bei der Arbeit zuzusehen und dann wieder in den Bauch der GOSHUN zurückzukriechen?«

Marshall antwortete nicht gleich. Er ließ sich auf der Seitenlehne des Kommandantensessels nieder. Sein Gesicht wirkte plötzlich sehr ernst.

»Ich wünschte mir, die Dinge lägen so einfach, wie Sie sie sehen, Tiff. Aber leider weiß ich es besser, denn ich war schon einmal auf Gom, wenn auch unfreiwillig und unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen, als es jetzt geschieht. Und ich sage Ihnen aus Erfahrung: Die Expedition nach Gom ist keine Routineangelegenheit. Die intelligente Lebensform dieses Planeten, die wir der Einfachheit halber ebenfalls Gom getauft hatten, ist unseren Vorstellungen nicht nur äußerlich, sondern vor allem in ihrer Denkart so ungeheuer fremd, wie es nur ein Wesen aus einem anderen Weltall sein kann.«

Tifflor zuckte die Achseln.

»Na schön, John. Ich verkenne nicht, dass es Schwierigkeiten mit der Verständigung geben wird. Aber das ist in erster Linie Ihr Problem. Ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen als Nichttelepath bei dieser Aufgabe helfen könnte. Das, was zur allgemeinen Sicherheit zu tun ist, kann Captain Raleigh ebenso gut wie ich erledigen. Dazu hätte das Flottenkommando keinen Z.b.V.-Mann einzusetzen brauchen.«

Um Marshalls Augen zuckte es plötzlich verdächtig.

»So, das Flottenkommando hat Sie also geschickt ...«, sagte er gedehnt.

»Wer sonst?«, brummte Tifflor unwillig. »Glauben Sie etwa, ich hätte mich freiwillig gemeldet?«

Marshall wandte sich ab, damit der Freund nicht den Schalk in seinen Augen sehen konnte. »Ein Z.b.V.-Mann wie Sie – und dann freiwillig zu einem Routinekommando melden ...? Das würde allerdings nicht mal ein Greenhorn glauben.«

Sprach's, und verschwand mit langen Schritten aus der Zentrale.

Tifflor war allein mit seinen Gedanken. Er war nicht so naiv, um die Doppeldeutigkeit von Marshalls Worten nicht zu begreifen. Aber worin sie begründet lag, das fand er nicht heraus.

Gewiss, Schwierigkeiten waren zu erwarten. Aber gab es die nicht auf jedem unerforschten Planeten und mit jeder fremden Rasse? Solche Begegnungen waren jedoch schon alltäglich für die sich rasch ausbreitende Menschheit geworden.

Marshall sah die kommende Kontaktaufnahme zweifellos in zu düsterem Licht. Er war Telepath, und es galt als erwiesen, dass alle Mutanten infolge ihrer Sensibilität mehr als andere Menschen gefühlsmäßigen Stimmungen unterworfen waren. Man sollte seine Prophezeiung nicht zu ernst nehmen!

Weder Julian Tifflor noch John Marshall konnten ahnen, dass die kommenden Ereignisse die Fantasie selbst des größten Schwarzsehers übertroffen hätten.

Tifflor registrierte das Summen des Telekoms mit einer gewissen Erleichterung, war es doch das Zeichen für den baldigen Start. Er schaltete auf die Frequenz des Mutterschiffes durch. Das vierschrötige, leicht gerötete Gesicht von Major Lewis Cardigan, dem Kommandanten des Schulungskreuzers GOSHUN, tauchte auf dem Bildschirm auf.

»Sir, wir haben in zehn Minuten die A-Position erreicht.«

»Danke, Major.«

Mehr sagte Tifflor nicht. Er betätigte die automatische Signalanlage, was zur Folge hatte, dass in jedem Raum der Kaulquappe die Rufglocken schrillten und in den gelb markierten Anzeigetafeln bestimmte Symbole aufleuchteten. In der K-35 wurde es lebendig. Männer in schweren Raumfahrerstiefeln polterten über die Gänge, Schotts schlugen zu, laute Kommandos erschallten.

Nach einer knappen Minute hatte jeder Mann der Besatzung seinen bestimmten Platz eingenommen. Auch die Zentrale war voll besetzt. Captain Roger Raleigh, der den neuen Feuerleitoffizier eingewiesen hatte, stürmte im letzten Augenblick in die Zentrale und ließ sich in den Kommandantensessel fallen. Im Kopilotensitz hockte bereits Leutnant Serge Krassin, der Erste Offizier der K-35 und Raleighs Stellvertreter.

Oberst Tifflor hatte im Augenblick nichts zu tun, und gerade das war es, was ihn am meisten ärgerte. Er blickte nach links, wo die transparente Stahlplastikwand die Ortungszentrale von der Kommandozentrale trennte. Dort saß der etwas beleibte Leutnant Luke Enzinger zwischen zwei Spezialrobotern neuester Konstruktion. Das Flottenkommando ließ neuerdings einen großen Teil der Beiboote und sogar mehrere Schlachtraumer vom Imperium-Typ mit diesen Robotern ausrüsten. Sie hatten lediglich registrierende Funktionen zu erfüllen und entlasteten damit den Ortungsoffizier, dem die Auswertung und Weitergabe der Meldungen oblag.

Enzinger schien mit dieser Neuregelung nicht einverstanden zu sein. Er schikanierte die Robots, was allerdings den mechanischen Gebilden nichts ausmachte.

Tifflor zapfte von seiner Kontrollbank aus die Verständigung der Ortungszentrale an und musste innerlich lachen, als er hörte, wie Enzinger den Robotern den Befehl gab, ein elektronenspektroskopisches Diagramm zu erstellen, obwohl von den Ortungsgeräten immer noch nur der Hangar der GOSHUN erfasst werden konnte. Selbstverständlich führten die Robots den Befehl wortgetreu aus, und jede ihrer Bewegungen wurde von Enzinger mit Argusaugen verfolgt. Der Mann hatte eine geradezu krankhafte Abneigung gegen Maschinenmenschen und Positronengehirne. Seine wahren Qualitäten pflegte er nur dann zu zeigen, wenn es hart auf hart ging.

»Countdown beendet, Sir. Beiboot K-35 klar zum Abstoß«, dröhnte Raleighs Stimme von rechts.

Tifflor nickte ihm mit emporgezogenen Brauen zu. Konnte sich dieser Mensch nicht einen etwas gedämpfteren Ton angewöhnen?

»Danke, Captain«, erwiderte er laut. »Veranlassen Sie die Räumung des Hangars!«

»Jawohl, Sir!«

Tifflor brauchte nicht auf die Panoramabildschirme zu sehen, um zu wissen, was draußen im geräumigen Hangar der K-35 vorging. Er hatte oft genug die letzte Phase vor dem Schleuderstart miterlebt. Jetzt würden die letzten Techniker und Arbeitsroboter des Überholkommandos sich von der Außenhaut und den Teleskopstützen des Beibootes lösen, ihre Werkzeuge und Schwebeplattformen in den Bodenkammern verstauen und den Hangar im Laufschritt verlassen. Stets war es ein Wettlauf mit der X-Zeit. Niemand hatte bis jetzt ergründen können, warum das so war, aber es schien bereits Tradition zu sein, sich erst im letzten Augenblick in Sicherheit zu bringen.

Nachdem die Detektoren die Räumung des Hangars als vollzogen gemeldet hatten, drückte Raleighs Hand gleichzeitig zwei Schaltplatten. Die eine schaltete die Selbstlenkautomatik des Beibootes auf Zeit, da unmittelbar nach dem Schleuderstart erfahrungsgemäß noch keine Ortungswerte vorlagen, die andere aktivierte das Bordvisifon. Raleigh zog den Mikrofonarm zu sich heran.

»Hier spricht der Kommandant. Wir starten in zwei Minuten. Raumanzüge schließen und überprüfen, anschnallen. Ende!« Er nickte Tifflor grinsend zu. »Alles klar, Sir.«

»Das will ich hoffen«, erwiderte Tifflor. Erneut schaltete er den Telekom zur Zentrale der GOSHUN durch. Auf dem Schirm entstand das Bild von Major Cardigans Oberkörper. Cardigan wusste um Tifflors außergewöhnliche Verdienste beim Aufbau der Macht des Solaren Imperiums und behandelte deshalb den Oberst besonders respektvoll. Vielleicht tat die Laune der Natur, die bewirkt hatte, dass sich Tifflor und der Administrator Perry Rhodan sehr ähnlich sahen, ein Übriges. Die Verehrung dieses verdienten Mannes reichte ja weit über die Grenzen des Solsystems hinaus und grenzte bei untergeordneten Dienststellen fast an Personenkult, obwohl Rhodan alles andere als das erstrebte.

Cardigan räusperte sich. »Die GOSHUN erreicht die vorgeschriebene Position zum errechneten Zeitpunkt, Sir.«

Tifflor nickte dankend. »K-35 klar zum Abstoßmanöver. In vierzehn Tagen an gleicher Position. Grüßen Sie Arkon von mir, wenn Sie dort landen sollten, Major.«

»Danke, Sir. Ich werde es ausrichten. Gravitationsschleuder klar. Hals- und Beinbruch, Sir.«

Tifflor winkte Cardigan nachsichtig lächelnd zu und unterbrach die Verbindung. Hals- und Beinbruch für einen Routineflug! Das war schon fast Hohn. Aber Major Cardigan hatte die Verantwortung über das Leben und die exakte Ausbildung von annähernd eintausend Kadetten der Raumakademie. Das war manchmal schlimmer, als den sprichwörtlichen Sack Flöhe zu hüten. Dabei konnte man schon für einen Probestart Hals- und Beinbruch wünschen. So etwas färbte natürlich ab.

Ob der Major wohl den Gruß an die richtige Adresse bestellte? Tifflor hatte zwar Arkon gesagt, aber den Administrator gemeint.

Tifflor seufzte. Auf den Zentralwelten des Arkon-Imperiums wurde galaktische Geschichte gemacht, und er musste hier in dieser abgelegenen Gegend der Galaxis versauern!

Aber als zehn Sekunden vor dem Start die Warnsirenen aufheulten, trat ein Ausdruck leichter Spannung in Tifflors Züge. Kein Raumfahrer – er mochte noch so viele Einsätze hinter sich haben – konnte dem Start in die Weiten des Alls entgegensehen, ohne dass eine geheimnisvolle Macht nach seinem Herzen griff und es höherschlagen ließ.

Jetzt stand auf dem Frontbildschirm der optischen Direkterfassung, der eben noch die glatten Wände des Hangartores gezeigt hatte, übergangslos ein nachtschwarzer Ausschnitt mit einem gigantischen Diadem blendendheller Sterne darin – der Kugelsternhaufen M 13 sandte seinen Gruß aus achtundsechzig Lichtjahren Entfernung herüber.

Dann wurde die K-35 von den gravitationsmechanischen Abstoßfeldern des Mutterschiffes gepackt und in den finsteren Abgrund der Ewigkeit geschleudert.

In der nächsten Sekunde begann die Selbstlenkautomatik des Beibootes zu arbeiten. Die Ringwulst-Konverter setzten ein, und aus den Felddüsen schossen kilometerlange sonnenheiße Strahlen, schoben im vorprogrammierten Kursmanöver die K-35 herum und stießen sie auf das Zielsystem zu.

Der Astrogator lieferte die exakten Werte, die sich aus Rot- und Parallaxenverschiebung ergaben. Demnach glitten sie bereits über die 190.000-Kilometer-Entfernungsmarke, bezogen auf die Position, welche die GOSHUN zum Zeitpunkt des Schleuderstarts innehatte. Die Beschleunigung betrug 300 Kilometer pro Sekundenquadrat.

Der Kopilot, Leutnant Krassin, saß vornübergebeugt in seinem Kontursessel und lauschte auf das Summen der Bordpositronik, des großen Rechenautomaten, der mittels eingegebener Symbolstreifen die vierdimensionalen Werte des endgültigen Zielkurses berechnete und mit dem jetzigen Kurs verglich. Als der schmale Plastikstreifen aus dem Auswurfschlitz schnellte, griff Krassin hastig zu und reichte ihn an Captain Raleigh weiter.

Raleigh nickte nur flüchtig. Seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt den Anzeigen der Kontrollbank. Er schaltete vorübergehend auf Manuellsteuerung, wartete, bis das münzengroße, blassrote Scheibchen der Sonne Gonom in das Tasterfeld des Reliefschirms gewandert war und wandte sich dann zu Tifflor.

»Zielgebiet liegt an, Sir. Ich schlage vor, dass wir den Rest der Automatik überlassen, bis wir die Grenze des Systems erreicht haben. Das wird in genau neunzig-Komma-drei-fünf Minuten der Fall sein.«

»Einverstanden, Raleigh. Schicken Sie die Leute bis auf die Wachbesetzung für neunzig Minuten in die Quartiere. Sie sollen sich noch etwas ausruhen, bevor der Tanz losgeht.«

»Tanz ...?«, fragte Raleigh verwundert.

Tifflor lachte. »Nun, ja. Das Gonom-System hat einen einzigen Planeten, dafür aber achtzehn Monde, von denen die meisten verwickelte Bahnen umeinander beschreiben und wiederum in Gruppen zu zweien oder dreien den Planeten Gom umkreisen. Der reinste Feldliniensalat, kann ich Ihnen sagen. Gonom ist eine sterbende Sonne, und ihre gelegentlichen Gravitationsausbrüche bringen die Schwerkraftlinien des Systems von Zeit zu Zeit durcheinander. Eine Gefahr besteht natürlich für uns nicht. Aber ich schlage vor, dass wir uns die günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen und ein schulmäßiges Manöver ohne Steuerautomatik durchführen.«

»Jawohl, Sir.« Raleighs Antwort war militärisch knapp, aber man hörte die Freude aus ihr heraus.

Tifflor nickte kaum merkbar. Es hätte ihn enttäuscht, wenn Raleigh über das bevorstehende Manöver unzufrieden gewesen wäre. Er war immer der Auffassung, dass ein Schiffskommandant sich solche navigatorische Leckerbissen, wie es das Gonom-System darstellte, nicht entgehen lassen dürfe, und freute sich, dass Raleigh der gleichen Meinung zu sein schien.

Unterdessen hatte Raleigh die Wachen eingeteilt und die restliche Besatzung in die Quartiere geschickt. Die Wache in der Zentrale bekam Leutnant Krassin, Raleighs Stellvertreter. Krassin, ein noch junger, etwas untersetzter Ukrainer mit einem kurz geschorenen Rundschädel und einem ewigen Lächeln auf dem lausbubenhaft wirkenden Gesicht, war erst seit einem halben Jahr auf der K-35. Vorher hatte er auf einem Zweimann-Zerstörer der Raumpatrouille gedient.

Tifflor hatte die Absicht gehabt, in seine Kabine zu gehen, um sich ebenfalls ein wenig hinzulegen. Stattdessen fand er sich plötzlich vor dem Backbordschirm wieder. Spielerisch betätigten seine Finger die Ausschnitt-Vergrößerung, und die Augen saugten sich an dem nur vage angedeuteten Nebelstreif des Orion-Armes fest. Irgendwo in diesem mit den Bordmitteln nicht mehr aufzulösenden Gebilde kreiste die Erde zusammen mit den übrigen acht Planeten des Solaren Imperiums um eine relativ kleine gelbe Sonne. Sie schien unverrückbar festzustehen, und obwohl Tifflor wusste, dass der nahe Kugelsternhaufen M 13 und die heimatliche Sonne sich seit Jahrmilliarden mit einer Geschwindigkeit von 116 Kilometern pro Sekunde einander näherten, vermochte sein Auge keine Bewegung zu erkennen. Dazu war die Zeitspanne menschlichen Verweilens im Universum zu kurz.

Tifflor dachte daran, dass es außer dem Kugelhaufen M 13 noch mehr als dreihundert dieser Sternzusammenballungen rings um die Milchstraße gab, und er kam sich plötzlich ungeheuer klein und bedeutungslos vor. Da hatten sich die Arkoniden zwanzig Jahrtausende lang für den Nabel der Galaxis gehalten, und in Wirklichkeit kannten sie nur einen verschwindend geringen Bruchteil dieser Welteninsel. Wer weiß, wie viele Imperien noch unbekannter Rassen es noch in den Weiten des Raumes gab. Nein, die Menschheit brauchte nicht zu befürchten, in den Zustand der Stagnation zu verfallen. Ihrer harrten noch Aufgaben genug – für Tausende von Jahren.

Julian Tifflors Gestalt straffte sich, unwillkürlich huschte ein befriedigtes Lächeln über sein Gesicht. Er schaltete die Vergrößerung aus und verließ die Zentrale. Nach wenigen Schritten war er an der Tür seiner Kabine angelangt. Doch er zog die bereits ausgestreckte Hand wieder zurück. Eine nachdenkliche Falte stand unvermittelt über seiner Nasenwurzel. Da war in seinem Unterbewusstsein etwas, das ihn beunruhigte. Aber was?

Als es ihm einfiel, pfiff er laut vor sich hin. Mit langen Schritten eilte er zum Zentralelift, ließ sich von den Kraftfeldern nach oben tragen und stand gleich darauf vor der verschlossenen Tür zu einer Kabine in der Nähe der oberen Polkuppel. Das auswechselbare Plastikschild wies in schlichten Buchstaben aus, dass hier Professor Nicholas Cobbler vom Terrania Institute of Extragalaxial Research sein Domizil aufgeschlagen hatte.

Tifflor überlegte, weshalb ihm Cobbler nicht vorgestellt worden war. Dann fiel ihm ein, dass der Professor erst eine halbe Stunde vor dem Start die K-35 betreten hatte. Vorher musste er sich in den Räumen der GOSHUN aufgehalten haben. Aber weshalb? Es war schon seltsam genug, dass auf der Passagierliste nur »Wissenschaftlicher Mitarbeiter« stand und sonst nichts. Tifflor beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.

Nachdem er den roten Meldeknopf gedrückt hatte, dauerte es einige Sekunden, bis die grüne Markierung über der Tür aufleuchtete. Dann schob sich das Panzerschott lautlos in die Seitenwand. Tifflor trat ein.

Hinter einem im Vergleich zur Größe des Raumes überdimensionierten Pultrechengerät erhob sich ein kleiner, unscheinbarer grauhaariger Mann. Mit dem Fuß schob er das zu einem beachtlichen Haufen getürmte Gewirr von Stanzstreifen beiseite und kam Tifflor entgegen.

»Nett, dass Sie mich einmal besuchen, Oberst Tifflor«, klang es unter dem Schnauzbart hervor.

Tifflor lauschte der Stimme nach. Sie war von angenehmem Klang und strahlte ein Fluidum aus, das den Oberst sofort für den kleinen Wissenschaftler einnahm. Er ergriff die ausgestreckte Hand.

»Die Freude ist ganz meinerseits, Professor. Aber hoffentlich störe ich Sie nicht bei Ihrer Arbeit ...«

Cobbler lächelte gewinnend. »Ganz im Gegenteil, Oberst. Aber bitte setzen Sie sich doch. Sie müssen schon entschuldigen, dass ich mich bis jetzt noch nicht bei Ihnen gemeldet habe, aber erst hatte ich bis kurz vor dem Start an der großen Positronik der GOSHUN zu tun, und danach wollte ich Sie nicht sofort belästigen. Ich weiß ja, welche Arbeit die Einrichtung eines Kurses bereitet.«

»Oh, das ist nicht so schlimm«, wehrte Tifflor ab und steuerte sofort auf sein Ziel los. »Sie befassen sich mit der Erforschung extragalaktischer Systeme, Professor ...? Darf ich fragen, welches Spezialgebiet?«

Cobbler lächelte hintergründig. »Vielleicht lachen Sie mich aus, wenn ich Ihnen sage, dass ich Spezialist für Exobiologie bin, genauer gesagt, ich befasse mich mit Formen der Organisation von Elementen extragalaktischer Systeme.«

Tifflor war verblüfft, aber er bemühte sich, das nicht zu zeigen. Die Exobiologie war ein Zweig der Erforschung von Evolutionsprozessen auf fremden Welten und bereits 1958 von Professor Joshua Lederberg ins Leben gerufen worden. Seit der Entwicklung der bemannten Raumfahrt hatte er eine stürmische Entwicklung genommen und viel zum Verständnis fremdartiger Lebens- und Stoffwechselweisen in der Galaxis beigetragen. Dass man diesen Forschungszweig aber bereits auf fremde Milchstraßen ausdehnte, die man bisher nur optisch und radiometrisch zu erfassen in der Lage war, hatte Tifflor noch nicht gewusst.

Er räusperte sich. »Das ist, glaube ich, ein sehr interessantes Gebiet«, sagte er höflich. »Ich fürchte nur, Sie können während unserer Expedition nicht viele neue Erkenntnisse gewinnen, denn wir kommen über unsere Galaxis nicht hinaus.«

Der Professor nickte. »Darüber bin ich mir völlig im Klaren, und ich hätte mich auch kaum bereit erklärt, die Expedition mitzumachen, da ich mitten in der Arbeit am Epsal-Projekt stecke. Aber nachdem mir der Administrator einige Unterlagen gezeigt ... Aber was haben Sie denn, Sir? Ist Ihnen nicht gut?«

Julian Tifflor war in der Tat blass geworden. Doch er fasste sich schnell wieder. Sein vorzüglich geschultes Gehirn war darauf trainiert, logische Gedankenverbindungen zwischen mehreren Fakten zu knüpfen. Und hier bot sich eine solche Verbindung geradezu von selbst an. Er vergewisserte sich noch einmal.

»Perry Rhodan? Er hat Ihnen den Auftrag persönlich erteilt?«

»Was ist daran außergewöhnlich?«, fragte Cobbler ungerührt zurück.

Tifflor holte tief Luft. Natürlich, für Cobbler mochte die Tatsache, dass der Administrator des Solaren Imperiums ihm persönlich einen Auftrag erteilte und die Aufgaben erläuterte, ein normaler Vorgang sein. Für Tifflor war er es nicht. Er wusste, dass es die angespannte politische Situation in der bekannten Galaxis seinem Chef nicht erlaubte, sich um die friedliche Forschung zu kümmern, so gern er es auch getan hätte.

Wenn er sich trotzdem die Zeit dazu nahm, musste ein besonderer Grund dafür vorliegen. Offenbar war die Erforschung Goms doch wichtiger, als er, Tifflor, geglaubt hatte.

Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Wenn es sich so verhielt, dann kam seine eigene Bestallung in das Amt des Expeditionschefs sicher ebenfalls nicht vom Flottenkommando, sondern direkt von Perry Rhodan. Das sah dem Chef wieder einmal ähnlich. Er liebte diese Art Überraschungen, die darin bestanden, einem seiner Offiziere einen scheinbaren Routineauftrag zu erteilen und sie dann durch eine Schlüsselfigur wissen zu lassen, wer dahinterstand und welche Bedeutung der Auftrag wirklich hatte.

Wie aus weiter Ferne vernahm er Cobblers Stimme: »... habe ich mich natürlich zuerst dagegen gesträubt. Aber als er mir dann eröffnete, all die Leute, die vor Jahren unfreiwillig einige Zeit auf Gom zugebracht hatten, wären der Meinung gewesen, das rätselhafte Gom-Wesen sei aus einem anderen Weltall gekommen, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und sagte zu.«

»Aus einem anderen Weltall«, wiederholte Tifflor sinnend. »Das hat mir heute schon ein anderer gesagt. Aber, um ehrlich zu sein, mich plagen da ziemliche Zweifel, Professor. Wenn eine Lebensform über die technischen Mittel verfügt, von einer Galaxis in die andere überzuwechseln, weshalb beschränkt sie sich dann auf einen einzigen Planeten?«

Er hatte sich erhoben und lief mit langen Schritten im Zimmer auf und ab. »Überhaupt, Professor! Wissen Sie, welche ungeheuren Schwierigkeiten dem Flug zu anderen Welteninseln entgegenstehen? Eine Galaxis bildet bekanntlich nicht nur eine Masse-Einheit, sondern auch eine Einheit der fünfdimensionalen Raum-Zeit-Krümmung. Keines der bekannten Antriebsprinzipien ist in der Lage, aus diesem stabilen Strukturfeld einen physikalischen Körper herauszureißen. Ich fürchte, da ist der Raumfahrt eine Grenze gesetzt.«

Ein feines Lächeln umspielte Cobblers Lippen. »Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen widersprechen muss. Vielleicht sollte ich etwas in die Vergangenheit abschweifen, um Ihnen an einem Beispiel die Fragwürdigkeit derartiger ›Grenzen‹ aufzuzeigen.

Da ist zum Beispiel die Lichtgeschwindigkeit. Auch eine ›Grenze‹! Die Relativitätstheorie von Professor Einstein stellte dazu eine Behauptung auf, deren Richtigkeit auch heute noch unbestritten ist, nämlich, dass eine bewegte Masse unendlich groß wird, sobald ihre Geschwindigkeit die des Lichtes erreicht. Daraus folgerte er – ich zitiere jetzt wörtlich: ›Da ein Körper von unendlich großer Masse naturgemäß einer Bewegungsänderung unendlichen Widerstand entgegensetzen würde, so folgt daraus wiederum, dass kein physikalischer Körper sich jemals mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen kann.‹

Jahrzehntelang haben namhafte Gelehrte und Praktiker diese Aussage unbesehen auch auf die Raumfahrt übertragen. Jedermann hat ihnen geglaubt, dass der interstellare Raum für die Menschheit auf ewig verschlossen bleiben wird – abgesehen von den Autoren utopischer Romane. Leider aber drangen deren Stimmen erst sehr spät durch die Wand der allgemeinen Ablehnung hindurch. Der Name Einstein besaß zu großes Gewicht, und meist genügte seine Zitierung, um die Kritiker lächerlich und damit unglaubwürdig zu machen.

Dabei hat Einstein selbst in einem anderen Teil der Relativitätstheorie den Schlüssel zum überlichtschnellen Flug eingebaut, nämlich in der Formulierung des Gesetzes über die Gleichheit von Masse und Energie. Er sagte uns – und bewies es auch –, dass Masse und Energie lediglich zwei verschiedene Aggregatzustände ein und derselben Sache sind: der Materie.

Gerade diese Formulierung aber war es, die der Auffindung des Schlüssels so lange Zeit im Wege stand. Leute, die den Zusammenbruch ihres veralteten Weltbildes nicht akzeptieren wollten, haben immer wieder dieses Gesetz verfälscht. Sie setzten Masse gleich Materie und behaupteten, die Energie sei immateriell.

Dabei war die einzige richtige Schlussfolgerung so einfach: Die Lichtgeschwindigkeit ist eine absolute Grenze für alle physikalischen Körper – außer solchen, die ihre Bewegungsenergie selbst erzeugen – und zwar aus Masse. Das aber tut jedes Raumschiff.

Da für diese Antriebsmasse ebenfalls das Gesetz gilt, dass sie unendlich groß wird, sobald sie die Geschwindigkeit des Lichtes erreicht, bleiben die Proportionen zwischen der Ruhemasse eines Raumschiffes und der zu einer Bewegungsänderung erforderlichen aktiven Masse notwendigerweise konstant. Der ins Unendliche wachsende Widerstand wird also von der ebenfalls ins Unendliche wachsenden potenziellen Energie in gleichem Maße aufgehoben, wie er sich erhöht.«

Cobbler schwieg und blickte Tifflor erwartungsvoll an.

Jetzt war es an Tifflor, den anderen zu überraschen. »Stimmt haargenau, lieber Professor, nur sind wir heute immer noch nicht in der Lage, dieses Prinzip voll und ganz auszuwerten. Unsere Sprünge durch den Hyperraum sind und bleiben eben nur ›Sprünge‹, die ersten Gehversuche sozusagen. Die Zukunft wird dem Linearflug durch den Normalraum gehören. Im Übrigen habe ich Sie völlig verstanden, Professor. Sie wollen sagen, dass es im Universum für jedes Problem einen Schlüssel gibt, und dass es an uns liegt, ihn zu finden.«

»Ganz recht«, erwiderte Cobbler. »Das, was wir heute noch als Grenze unserer Möglichkeiten ansehen, ist in Wirklichkeit nur ein Maß, ein Maß für die geistige und sittliche Reife der Menschheit. Aber ... wie war das vorhin mit dem Linearflug? Gibt es denn so etwas schon?«

Tifflor schüttelte den Kopf. Einen Linearantrieb gab es tatsächlich noch nicht, aber es wurde daran gearbeitet. Doch das war Staatsgeheimnis. »Es gibt ihn natürlich noch nicht, Professor. Aber wenn man jahrelang zwischen den Sternen kreuzt, wünscht man sich so etwas herbei, denn er würde den Schock der Ent- und Rematerialisation, wie er mit den Hypersprüngen verbunden ist, aufheben ...«

»Und wo der Wunsch vorhanden ist, da ist auch die Idee zu seiner Verwirklichung nicht mehr weit«, unterbrach ihn Cobbler lachend. »Wer weiß, vielleicht bringt uns die Begegnung mit dem Gom einen Schritt weiter?«

»Ich hoffe es«, entgegnete Tifflor. »Aber nun will ich Sie nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten.«

Er drückte die Hand des Professors und ging hinaus. Jetzt sah er die Expedition plötzlich in einem ganz anderen Licht als vorher. Natürlich legte Perry Rhodan größten Wert darauf, dass, wenn sie wirklich auf Gom hinter ein technisches Geheimnis kamen, dieses Geheimnis nicht in unbefugte Hände fiel.

 

Schrilles Sirenengeheul schreckte Tifflor von seinem Lager, auf dem er sich ein wenig ausgeruht hatte. Im Nu war er hellwach. Noch im Laufen schnallte er sich den schweren Waffengürtel um und stürmte in die Zentrale.

Bevor er einen Blick auf die Bildschirme werfen konnte, erstattete Leutnant Krassin Meldung. »Sir, Mikrowellenortung! Die Taster haben ein kugelförmiges metallisches Objekt ausgemacht.«

Dann, atemlos und mit weitaufgerissenen Augen, setzte er hinzu: »Polarer Halbmesser rund sechstausend Kilometer – mein Gott ... das Ding ist ja fast erdgroß!«

Tifflor hörte bereits nicht mehr hin. Schweigend ging er an Leutnant Krassin vorüber und ließ sich in seinen Sessel fallen. Er zog das Mikrofon zu sich heran und schaltete den Interkom zur Ortungszentrale durch.

»Leutnant Enzinger, was sagt Ihre Auswertung?«

»Die muss verrückt sein«, kam es trocken zurück. »Sir, ich habe die Entfernungsdaten überprüft. Sie stimmen. Das Ding ist, grob gerechnet, eine Milliarde Kilometer von uns entfernt. Die Analyse weist Nickel als dominierendes Oberflächenelement aus – und das bei fast Erdgröße, Sir. Die Positionsdaten ... Sir! Hören Sie noch?«

»Ich höre, Leutnant.« Um Tifflors Mundwinkel begann es verdächtig zu zucken. Er ahnte, was jetzt kam. »Was wollten Sie mir über die Position des Objekts sagen?«

»Sir, die Daten stimmen haargenau mit dem katalogisierten achtzehnten Mond Goms überein. Sollte das etwa ...?«

»Ja, Enzinger. Tragen Sie bitte die Ergebnisse der Mikrowellenortung in den Katalog ein, ebenfalls die der Spektralanalyse!«

»Leutnant Krassin!«

»Jawohl, Sir?«

»Blasen Sie den Alarm ab!«

»Jawohl, Sir. Alarm abblasen.«

Während Krassin dabei war, die Freiwachen in die Quartiere zurückzubeordern, drehte sich Tifflor langsam um. Er blinzelte John Marshall zu, der neben Captain Raleigh und zwei anderen Offizieren der Zentralebesatzung stand und etwas verlegen dreinschaute.

»Ich glaube, wir sollten die Besatzung über die Ursache des blinden Alarms aufklären, sonst zerbrechen sie sich den Kopf darüber, was eigentlich los war. Wollen Sie das erledigen, Marshall?«

Marshall nickte. »Gern, Tifflor. Aber Sie wissen den Grund doch auch, sonst hätten Sie wohl kaum den Alarm abblasen lassen.«

»Natürlich weiß ich Bescheid. Aber nur deshalb, weil ich über die damaligen Vorgänge im Gonom-System informiert bin. Krassin wusste es ebenso wenig wie die übrige Besatzung, weil irgendein Bürokrat beim Flottenkommando versäumt hat, die Veränderung in die neuen Kataloge aufzunehmen. Sie, Marshall, aber waren Augenzeuge der Verwandlung, die aus dem achtzehnten Mond ein mit Nickel überzogenes Ding gemacht hat, das unseren Orter so entsetzte, weil er es im ersten Moment für ein Raumschiff hielt. Augenzeugenberichte sind aber auf jeden Fall wertvoller als Berichte aus zweiter Hand.«

»Okay!«, erwiderte Marshall. »Ich will versuchen, mich kurz zu fassen. Die Geschichte ist nämlich so kompliziert, dass sie einen ganzen Roman füllen würde.

Der achtzehnte Mond des Gonom-Systems wird Laros genannt. Diesen Namen erhielt er von den Aras, entfernten Verwandten der mit uns verbündeten Arkoniden. Diese Aras sind bekanntlich die genialsten Mediziner der bekannten Galaxis. Leider befassten sie sich nebenbei in großem Umfange mit Rauschgifthandel. Dabei gerieten sie einmal an die falsche Adresse, nämlich an Perry Rhodan. Er klopfte ihnen gehörig auf die Finger. Da fassten sie den Beschluss, sich an der Erde zu rächen. Sie verbündeten sich mit den Sippen der Galaktischen Händler, da einer von ihnen über die genauen Positionsdaten der Erde verfügte.

Unser militärisches Potenzial hätte zu dieser Zeit noch nicht ausgereicht, um einem massierten Angriff auf das Sonnensystem zu widerstehen. Deshalb griff Perry Rhodan zu einer List.

Einige Spezialisten des Mutantenkorps landeten unbemerkt auf Laros und fälschten die im Positronengehirn eines Händlerschiffes verankerten Erddaten. Dann ließ Perry Rhodan eine Arkonbombe auf Laros abwerfen. Sie war auf die Ordnungszahl vierzehn eingestellt und sorgte dafür, dass die Silizium-Atome in den Fusionsprozess traten und dieser Prozess sich langsam weiter über Laros ausbreitete. Der Atombrand, der auf diese Weise entstand, war ein langsamer, aber unlöschbarer Brand. Moralische Bedenken gegen den Einsatz dieser erbarmungslosen Waffe brauchten wir nicht zu haben, denn auf Laros gab es kein eigenes Leben, sondern nur Laboratorien und Versuchsanstalten der Aras, in denen grausame Experimente mit gefangenen Wesen anderer Rassen angestellt wurden. Außerdem hatten die Aras drei Monate Zeit, den Mond zu verlassen, nachdem sie die Existenz der aktivierten Bombe festgestellt hatten.

Der Mond Laros wurde zu einer Sonne. Eigentlich hätte er explodieren müssen. Aber wahrscheinlich erstreckte sich sein Siliziumgehalt nur auf eine dünne Oberflächenzone. Das Ergebnis einer Silizium-Fusion war logischerweise Nickel, denn Nickel besitzt die Ordnungszahl achtundzwanzig.«

Leutnant Raleigh, der auf der Kante seines Sessels hockte und rauchte, pfiff durch die Zähne. »So war das also! Demnach wird Laros jetzt von einer regelrechten Nickelhaut umhüllt. Kein Wunder, dass die Mikrowellentaster verrückt spielten.«

Alles lachte erleichtert.

Tifflor wechselte nach einem kurzen Blick auf seine Uhr das Thema. »Ich glaube, wir bleiben gleich hier, meine Herren. Wir sind nur noch eine halbe Lichtstunde von Gom entfernt. Raleigh, lassen Sie die Besatzung ihre Plätze einnehmen!«

 

Raleigh flog das Beiboot in Manuellsteuerung und auf Direktsicht.

In einer Entfernung von nur 80.000 Kilometern wurde Laros passiert. Seine stumpfe Nickelhülle schien zu brennen. Aber das war nur der Widerschein des Sonnenlichts.

Tifflors Augen ruhten auf dem Reliefschirm der Direktbeobachtung. Die Sonne Gonom wirkte wie das drohend glotzende Auge eines Zyklopen. Ihre jetzt etwa tennisballgroße Scheibe war von unzähligen dunklen Flecken wie mit Pockennarben übersät, die nicht konstant blieben, sondern laufend ihre Ausdehnung änderten. Dann drang jedes Mal heftiges Geknatter aus dem akustischen Melder des Bolometers.

Gonom war ein sogenannter Roter Zwerg, eine sterbende Sonne, die schon seit Jahrtausenden im Todeskampf lag.

Nach Überquerung der Bahn des vierzehnten Mondes kamen die Stabilisierungstriebwerke und Korrekturdüsen nicht mehr zur Ruhe. Die sich dutzendfach überschneidenden Intensitätslinien der einzelnen Schwerefelder zerrten an der Schiffszelle und versuchten, die K-35 aus dem Kurs zu werfen. Doch Raleigh passte auf. Er hielt die Zwergsonne eisern im Zielschirm, und seine Kommandos wurden von den Ingenieur-Soldaten in den Kraftwerkssälen so exakt befolgt, dass die ungebärdigen Naturkräfte keine Chance hatten.

Endlich war es soweit. Die Schwerkraft Goms gewann das Übergewicht gegen die Einflüsse seiner Monde und half dem Kommandanten bei der Navigation. Er wandte sich zu Tifflor um.

»Haben Sie einen speziellen Wunsch hinsichtlich des Landeplatzes, Sir?«

Tifflor öffnete eben den Mund zu einer Antwort, da schrillte das Bordvisifon. Er schaltete das Bildsprechgerät ein. »Zentrale, Tifflor.«

»Enzinger spricht, Sir«, meldete sich der Ortungsfunker. »Vermessungsradar kommt nicht zur Oberfläche Goms durch. Überlagerung durch schwebende Staub- und Schuttmassen. Laut Dopplereffekt obere Grenze acht Kilometer.«

Tifflor runzelte die Stirn. »Danke. Geben Sie das Diagramm herüber, Leutnant!«

Er wandte sich zu Raleigh. »Keine Landegenehmigung, Captain. Fliegen Sie Gom in einer Parabel an und gehen Sie bei Distanz sechzig Kilometer in einen Orbit!«

Er zog das Diagramm der Ortungszentrale aus dem Auswurfschlitz der Rohrpost, musterte es kurz und reichte es dann zu Raleigh hinüber. »Da haben Sie den ersten Vorgeschmack von den Bedingungen dieser Welt, Raleigh. Da unten tobt augenblicklich einer der für Gom typischen Stürme. Geschwindigkeit eintausendvierundachtzig Stundenkilometer. Selbst venusische Bedingungen kommen da nicht mit. Die Atmosphäre ist so voller Staub und Felsbrocken, dass wir unmöglich den genauen Verlauf der Librationszone ausmachen können, und auf die Karte dürfen wir uns nicht verlassen, denn es gibt da unten kaum etwas, das stabil bleibt.«

Raleigh sah sich das Diagramm genau an. Aber nur das ruckartige Hochziehen der Augenbrauen verriet etwas von dem, was in ihm vorging. Inzwischen war die K-35 nahe genug an Gom herangekommen, und Raleigh gab die entsprechenden Befehle an die Kraftwerksstationen.

Aus den Bugdüsen krochen bläulichweiße Flammengebilde, schienen an der Außenwand der K-35 zu kleben und streckten ihre Energiefinger um so weiter in den Raum, je mehr die Geschwindigkeit des Raumschiffes verringert wurde. Der ehemals geradlinige Kurs ging in eine Parabel über.

Und dann tauchte Gom auch auf den Bildschirmen der optischen Direkterfassung auf. Als die K-35 in den vorerst endgültigen Orbit einschwenkte, erfassten die Männer in der Zentrale mit beklemmender Deutlichkeit Einzelheiten des Schauspiels, das die entfesselten Naturgewalten boten. Ein wahrer Höllenschlund schien sich aufgetan zu haben. Aus dem achttausend Meter hohen Schutt- und Staubmeer, das der Orkan geschaffen hatte, lösten sich immer wieder eruptionsartig kilometerhohe Wirbel, tanzten gespenstisch über den Staubwolken, um sich nach einiger Zeit wie gigantische Blumen zu öffnen und dann abrupt wieder in das Chaos zurückzusinken.

»Wie kommen diese Stürme nur zustande?«, fragte Raleigh.

Tifflor wollte antworten, aber der am Kartentisch sitzende John Marshall kam ihm zuvor.

»Sie sind eine indirekte Folge der äußerst langsamen Rotation des Planeten. Diese Rotation ist nämlich identisch mit seiner Umlaufzeit um die Sonne, sodass Tag und Nacht je 1,2 Jahre Erdzeit lang sind. Die Folge ist eine ausgeglühte Tagseite und eine superpolare Nachtseite. Es ist nur natürlich, dass diese extremen Temperaturunterschiede geradezu auf einen Ausgleich drängen, der dann durch die intervallartig auftretenden Stürme erfolgt. Es ist ähnlich wie auf der Venus, nur dass hier die Wirkungen ganz andere Ausmaße annehmen.«

»Und wie ist das mit der Zwielichtzone, die Oberst Tifflor erwähnte? Besitzt sie eine ausgeglichene Temperatur?«

Marshall lachte humorlos. »Ausgeglichene Temperatur ist ein Witz, Raleigh. Aber in gewissem Sinne haben Sie recht. Die Zwielichtzone ist temperaturmäßig noch einigermaßen zu ertragen, wenn man über einen klimatisierten Schutzanzug verfügt. Nur ist diese Zone nicht konstant, da der Einfluss der achtzehn Monde eine starke Libration hervorruft. Sobald der Sturm nachgelassen hat, sollten wir feststellen, nach welcher Seite die Zwielichtzone zur Zeit wandert, dann können wir die Wahl des Landeplatzes danach treffen und müssen während unseres Aufenthalts den Standort nicht wechseln.«

Marshalls Augen starrten plötzlich durch Raleigh hindurch.