Ursel Scheffler

Helden und Götter

Die spannende Welt
der griechischen Sagen

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IMPRESSUM

© KERLE

in der Verlag Herder GmbH,

Freiburg im Breisgau 2015

Alle Rechte vorbehalten

www.kerle.de

Umschlagillustration: Betina Gotzen-Beek

Lektorat: Stefan Wendel, Stuttgart

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80747-3

ISBN (Buch) 978-3-451-71323-1

INHALT

Liebe Leser, Sterngucker, Sagenfreunde und Zeitreisende

Gaia und Uranos

Die Titanenkinder

Wie Zeus das Licht der Welt erblickte

Wie Zeus seine Geschwister rettete

Der Kampf mit den Titanen

Der Einzug im Olymp

Der Kampf mit den Giganten

Die Kopfgeburt Athene

Prometheus

Die neun Musentöchter der Mnemosyne

Europa und der Stier

Der große Jäger Orion

Perseus

Wie Herakles auf die Welt kam

Herakles, der Löwenbezwinger

Der Stall des Augias

Der Stier des Minos

Der Kampf mit den Amazonen

Die Rinder des Riesen Geryones

Die goldenen Äpfel der Hesperiden

Der Höllenhund Kerberos

Die zwölf Aufgaben des Herakles

Theseus

Dädalos und Ikaros

Philemon und Baukis

Apollon und die Wasserschlange

Tantalos

Sisyphos

König Midas

Orpheus und Eurydike

Der goldene Apfel des Paris

Die schöne Helena

Die Abenteuer des Odysseus

Das Trojanische Pferd

Der Kyklop Polyphem

Äolos, Herr der Winde

Die Zauberin Kirke

Skylla und Charybdis

Die Sirenen

Chaos auf Ithaka

Odysseus bei Kalypso

Der Schweinehirt Eumaios

Der Bogenwettkampf

Die entscheidende Antwort

Das „Who is who“ der griechischen Sagenwelt

Liebe Leser, Sterngucker, Sagenfreunde und Zeitreisende,

unser Sternenhimmel ist ein spannendes Geschichtenbuch! Dort wimmelt es nur so von griechischen Sagenhelden. Sie haben in den Namen der Sternbilder „goldene Fußabdrücke“ hinterlassen.

Es ist ein lohnendes und aufregendes Abenteuer für Spurensucher und Vergangenheitsentdecker, die Geschichten hinter diesen Namen wiederzubeleben, denn die griechische Sagendichtung hat über Jahrhunderte die europäische Kultur entscheidend geprägt.

Auch heute – nach über zweitausend Jahren – tauchen die griechischen Sagen überall in unserem Alltag auf: Es fliegen Raumschiffe durchs All, die Apollo, Herakles, Venus oder Orion heißen. Man findet griechische Götternamen in Kinofilmen, Videospielen und Firmennamen wie Merkur, Saturn und Hermes. Und unsere Olympiaden sind nach den Sportwettkämpfen am Fuße des Olympos-Gebirges benannt, dem sagenumwobenen Wohnsitz der Götter.

Auch unsere Planeten tragen die Namen von griechischen Göttern. Es darf uns nicht verwirren, dass es lateinische Namen sind, denn als die Römer mit der Macht im Mittelmeer auch die komplette griechische Götterwelt übernahmen, wurde Zeus zu Jupiter, Aphrodite zu Venus, Hades zu Pluto, Hermes zu Merkur.

Überraschenderweise wählen Astronomen bis in unsere Zeit für neu entdeckte Himmelskörper ebenfalls Namen mit Sagenbezug.

Warum bekamen die Sternbilder Namen?

Es waren Merkbilder. In der Zeit, in der man noch kein GPS hatte, sondern seinen Kurs auf dem offenen Meer oder den Weg durch die Wüste nach den Sternen ausrichtete, waren sie eine wichtige Orientierungshilfe. Viele dieser Merkbilder haben eine lange Tradition. Die alten Babylonier benannten z. B. das Sternbild des großen Jägers Orion nach ihrem sagenhaften Jäger Gilgamesch, dem König von Uruk, der vor fünftausend Jahren gelebt haben soll.

Vor der Erfindung der Schrift hat man Sagen mündlich weitererzählt. Dichtern wie Horaz, Hesiod, Homer oder Ovid verdanken wir, dass die uralten Geschichten aus der Mythologie bis in unsere Zeit erhalten geblieben sind (griech. mythoi bedeutet „Geschichten“ und legein „erzählen“). Die Dichter und Sänger haben die mündlichen Überlieferungen in griechischer und lateinischer Sprache in kunstvollen Versen und Gesängen festgehalten.

Homer besingt die berühmte Abenteuerreise des Odysseus, und Ovid beschreibt in seinen „Metamorphosen“ (Verwandlungen), wie Götter und Sagenhelden zu Sternbildern oder anderen Wesen wurden. Zeus war in der Verwandlungskunst der olympische Weltmeister, besonders wenn er hinter hübschen Frauen her war, die er erobern wollte.

Auch viele deutsche Dichter haben griechische Sagen als Grundlage für ihre Werke benutzt. Friedrich Schiller versammelt in seiner Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ die griechischen Stämme „zum Kampf der Wagen und Gesänge“ auf der Landenge von Korinth. Johann Wolfgang von Goethe schreibt sein Drama „Iphigenie auf Tauris“ nach der Vorlage von Euripides.

Musik und Malerei lassen sich ebenfalls von der griechischen Mythologie inspirieren. In internationalen Kunstgalerien sind die griechischen Sagenhelden auf Gemälden und als Statuen zu finden.

Viele Berlinbesucher nehmen stundenlange Wartezeiten in Kauf, um im Museum die eindrucksvollen Fragmente der in Stein gemeißelten Sagengestalten des Tempelfrieses von Pergamon zu bestaunen.

Und hinter vielen unserer Redewendungen und Begriffe verbergen sich griechische Sagen: der Zankapfel, der Ödipuskomplex, Kassandrarufe, die Panflöte, in Panik geraten, den roten Faden verlieren, den Augiasstall ausmisten, eine Sisyphusarbeit leisten, jemanden bezirzen, eine Odyssee erleben, den Stier bei den Hörnern packen, eine Last auf den Schultern tragen, Tantalusqualen leiden und so weiter.

Nur wenige kennen heute noch die Geschichten, die hinter solchen Redensarten stehen oder auch hinter den Namen, die Firmen, Erfindungen, Produkte, Trickfilmhelden oder Raumschiffe tragen. Und dabei sind sie so spannend!

Wie erklärt sich die nachhaltige Erfolgsstory der griechischen Mythen?

Greifen wir nach den Sternen! Gehen wir der Sache auf den Grund! Blättern wir um und versuchen ein wenig Ordnung in das olympische Chaos zu bringen.

Denn mit dem Chaos fing alles an …

Gaia und Uranos

Am Anfang war das Chaos“, erzählt der griechische Dichter Hesiod in seinem berühmten Werk von den Ursprüngen der Götter, das etwa 700 Jahre vor Christus entstand.

Am Anfang herrschte also ein riesiges Durcheinander oder das große ungeteilte Nichts!

Aus dem Chaos gingen Gaia, die Erdmutter, und ihre Geschwister Eros, die Liebe, Tartaros, die Unterwelt, Erebos, die Finsternis, und Nyx, die Nacht, hervor. Die Erdmutter gebar aus sich selbst Uranos, den Himmel, und Pontos, das Meer.

Das allein ist schon schwer zu verstehen, aber es wird noch komplizierter:

Nach ein paar Jahrtausenden verliebte sich Erdmutter Gaia in ihren Sohn, den Himmelsgott Uranos.

Uranos und Gaia hatten zunächst sechs Söhne und sechs Töchter, die Titanen.

Unter ihnen waren der Sonnengott Hyperion, die Mondgöttin Phoebe und der Meeresgott Okeanos.

Die Titanen stritten sich und heirateten auch untereinander. Es waren ganz normale Götterkinder, an denen Vater Uranos zunächst nicht viel auszusetzen hatte.

Aber dann brachte Gaia noch einmal sechs Kinder zur Welt. Das waren ziemliche Monster: einäugige Kyklopen, fünfzehnköpfige und hundertarmige Hekatoncheiren.

Was für ein Schock!

„Ab in den Tartaros!“, befahl der entsetzte Vater Uranos und verbannte die sechs Monsterkinder in den hintersten Winkel der Unterwelt.

Die Titanenkinder

Erdmutter Gaia war empört. Sie gab Kronos, dem jüngsten und stärksten der Titanen, eine Sichel aus geschliffenem Flintstein. Damit entmannte Kronos seinen grausamen Vater und schleuderte das Glied seines Erzeugers in hohem Bogen ins Meer. Aus dem Meerschaum entstieg bei Zypern Aphrodite, weshalb sie die „Schaumgeborene“ heißt. Aus den Blutstropfen entstanden die Erinnyen (lat. Furien), gefürchtete Rachegöttinnen.

Nachdem Uranos durch diesen peinlichen Vorfall geschwächt war, bat Gaia ihren Sohn, seine Monstergeschwister aus der Unterwelt zurückzuholen. Das war allerdings keine sehr gute Idee, denn sie richteten nur Unheil an.

Da jagte Vater Uranos, der sich offenbar wieder etwas erholt hatte, die Ungeheuer kurz entschlossen wieder zurück in den Tartaros und ernannte sich selbst zum Chef des Götterclans.

Damit war Mutter Gaia ganz und gar nicht einverstanden. Sie war außerdem sauer auf ihren Sohn Kronos, der inzwischen fast so grausam und rücksichtslos geworden war wie sein Vater. Ein kleiner Trost war da der Orakelspruch, der prophezeite, dass eines der Kinder, die Kronos’ Frau Rhea gebären würde, eines Tages stärker wäre als der Vater.

Irgendwie erfuhr der Titan Kronos ebenfalls von diesem Schicksalsspruch. Da verschlang er vorsichtshalber alle fünf Kinder gleich nach der Geburt. Das waren Hestia, Demeter, Hera, Hades und Poseidon.

Götternamen am Sternenhimmel

Da die alten Griechen die Erde noch für den Mittelpunkt des Universums hielten, zählten sie auch die Sonne (ein Stern) und den Mond (ein Trabant bzw. natürlicher Satellit der Erde) zu den Planeten, deren Bewegungen sie mit bloßem Auge beobachten konnten (griech. planetes, die Umherschweifenden).

Die Planeten wurden nach den wichtigsten olympischen Göttern benannt. Wir kennen sie heute unter den römischen Namen: Jupiter (Zeus), Mars (Ares), Merkur (Hermes), Venus (Aphrodite), Neptun (Poseidon), Saturn (Kronos) und Uranus (Uranos).

Die Erde (Gaia) wurde erst später zu den Planeten gezählt, mit denen sie ja gemeinsam die Sonne umkreist.

Wie Zeus das Licht der Welt erblickte

Rhea war entsetzt und wütend darüber, dass Kronos ihre fünf neugeborenen Kinder verschlungen hatte. Sie verbündete sich mit ihrer Schwiegermutter Gaia.

Die Erdmutter tröstete Rhea: „Deine Kinder sind echte Götter und daher unsterblich. Sie leben im Bauch ihres Vaters weiter!“

Als das sechste Kind unterwegs war, schmiedeten die beiden Frauen einen Plan: Rhea sollte das Baby heimlich auf die Welt bringen.

Rhea hatte dafür eine Höhle im Dikti-Gebirge auf der Insel Kreta ausgespäht. Sie verwandelte die Flussnymphe Amalthea in eine göttliche weiße Ziege. Die sollte die Amme sein und das Baby mit der Götterspeise Nektar und Ambrosia aus ihren Hörnern nähren.

So kam der kleine Zeus im Dunkel einer kretischen Höhle auf die Welt. Er war ein wunderschönes Kind. Rhea war überglücklich.

Irgendwie hatte Kronos aber doch von der heimlichen Geburt Wind bekommen. Wutentbrannt eilte er herbei, tobte vor der Höhle herum und forderte das Kind.

Die listige Rhea reichte ihm stattdessen einen in eine Windel gewickelten Stein, den der riesige Titan gierig verschlang. Grollend zog er wieder ab.

Die List war geglückt!

Und weil der temperamentvolle kleine Zeus ab und zu ohrenbetäubend schrie, stellte Großmutter Gaia zum Schutz ihres Enkels bewaffnete Kureten, struppige Krachmacher-Dämonen, vor der Höhle auf. Sie trommelten kräftig mit den Schwertern auf ihre Schilde und Rüstungen, um sein Gebrüll zu übertönen.

Als Kronos wieder einmal neugierig vorbeischaute und ins Innere der Höhle spähen wollte, blieb der dicke Titan wie ein Korken im Eingang stecken. Die Ziegenamme Amalthea nahm einen mutigen Anlauf und stieß den Koloss mit ihren Hörnern vor den Kopf, um ihn wieder hinauszuschieben. Dabei brach eines ihrer Hörner ab. Es wurde später als magisches Füllhorn berühmt, das sich immer wieder mit Wein oder Gold füllte, je nachdem, was sich sein Besitzer wünschte.

Monde mit sagenhaften Namen

Nach Rhea, der Mutter des Zeus, ist der zweitgrößte Mond des Planeten Saturn benannt. Auch der Titan Iapetus und sein Sohn Atlas sind Namensgeber von Saturnmonden. Amalthea ist der Name eines Jupitermondes.

Viele Quellen bringen die Ziege Amalthea auch mit dem Sternbild Steinbock in Verbindung.

Wie Zeus seine Geschwister rettete

Das Baby Zeus entwickelte sich dank der liebevollen Pflege der Amme Amalthea und der Götterspeise aus den Ziegenhörnern prächtig. Ein bildschöner, kräftiger junger Mann wuchs heran. Er war geschickt auf der Jagd und im Umgang mit Waffen.

Amaltheas Sohn, der bockbeinige Pan, war von Kindheit an sein Spielgefährte. Ein goldener Hund, den sein Onkel, der Gott Hephaistos, hergestellt und zum Leben erweckt hatte, beschützte Zeus. Er begleitete ihn auch, wenn er mit Pan auf die Jagd ging.

Später bewachte der von allen Kretern verehrte „heilige goldene Hund“ den Zeustempel auf Kreta. Als er einmal gestohlen wurde, hatte das für die Beteiligten schreckliche Folgen. (Vgl. die Sage des Tantalos.)

Rhea war stolz auf ihren starken Sohn. Bei ihren heimlichen Treffen erfuhr Zeus auch von den Geschwistern, die sein Vater gleich nach der Geburt verschlungen hatte. Rhea weinte jedes Mal, wenn sie davon erzählte.

„Ich werde sie befreien, sobald ich groß und stark genug bin!“, versprach der feurige junge Gott seiner Mutter.

„Aber dazu brauchst du Verbündete! Ich werde die kluge Metis um Rat fragen“, bremste Rhea ihren temperamentvollen Sohn.

Und Metis, eine Tochter des Titanen Okeanos und der Meeresgöttin Tethys, hatte wirklich eine fabelhafte Idee, wie man Kronos dazu bringen könnte, seine verschluckten Kinder wieder auszuspucken.

Sie gab Rhea ein Fläschchen, das eine Mischung aus Meerwasser und Senfpulver enthielt, und sagte: „Sorge dafür, dass dein Sohn Zeus beim nächsten Fest auf dem Olymp als Mundschenk dienen darf. Kronos verschlingt seine Speisen immer hastig und ohne viel Überlegung. Da sollte es dem Jungen leichtfallen, zu vorgerückter Stunde das Mittel unbemerkt in sein Essen oder in seinen Krug zu schütten.“

Das nächste Gelage in der Götterburg ließ nicht lange auf sich warten. Hinter einer Säule verborgen beobachtete Rhea, wie sich ihr Sohn, als Mundschenk verkleidet, dem Kronos näherte und heimlich das Fläschchen von Metis aus dem Gewand zog.

Als Kronos wieder seine Nase in den Becher steckte, kippte Zeus schnell den Inhalt der kleinen Flasche in den Weinkrug.

Es dauerte gar nicht lange, da füllte Kronos seinen Becher aufs Neue und leerte ihn gierig in einem Zug.

Zu ihrer Freude beobachtete Rhea, wie Kronos kurz darauf blass wurde, aufstand, sich an eine Säule lehnte, würgte und in hohem Bogen alles ausspie, was sich in seinem Magen befand. Zuerst das Abendessen, dann den Stein in der Windel und hinterher seine fünf Kinder!

Danach war der Titan fix und fertig und sank erschöpft zu Boden.

Rhea war überglücklich, dass Hestia, Demeter, Hera, Hades und Poseidon ein zweites Mal das Licht der Welt erblickt hatten.

Und Zeus freute sich über seine Geschwister!

Der Kampf mit den Titanen

Götterkinder wachsen schnell. Hades, Poseidon und ihre drei Schwestern Hera, Demeter und Hestia holten in Windeseile nach, was sie im Bauch ihres Vaters versäumt hatten.

Gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Zeus heckten sie Pläne aus, wie sie sich an Kronos, dem Kinderfresser, rächen wollten.

Bald brach ein unglaublicher Machtkampf im Götterhimmel aus. Zeus setzte Himmel und Erde in Bewegung, um mithilfe seiner Geschwister seinen Vater Kronos zu besiegen. Kronos wurde von seinen Geschwistern, den Titanen, unterstützt.

Der Kampf tobte.

Die ganze Erde bebte.

Vulkane brachen aus, das Meer schäumte mit riesigen Wellen und verwüstete ganze Landstriche.

Da bekam Zeus unerwartet Verstärkung: Drei riesenstarke einäugige Kyklopen schmiedeten Donnerkeile und Blitze für ihn. Drei hundertarmige Riesen (die Hekatoncheiren Briareos, Gyes und Kottos) schlossen sich ihm an. Aus Dankbarkeit dafür, dass Zeus sie aus dem Tartaros befreit hatte, wohin sie ihr Vater Uranos, der Großvater von Zeus, gleich nach ihrer Geburt wegen ihrer Hässlichkeit verbannt hatte.

Jetzt wendete sich das Blatt. Zeus und seine Verbündeten gewannen die Oberhand. Getroffen von Donnerkeilen und Blitzen lagen die meisten Titanen am Boden.

Die übrig gebliebenen wurden von einäugigen Kyklopen mit einem Steinhagel angegriffen. Ein unglaublich lauter Schrei des Pan versetzte sie schließlich in solche Panik, dass sie Hals über Kopf flohen.

Nach zehn Jahren war der Kampf mit den Titanen schließlich zu Ende. Zeus hatte die absolute Macht im Götterhimmel errungen. Er verbannte Kronos und die Titanen in den hintersten Winkel der Unterwelt. Auch die hundertarmigen Riesen schickte er in den Tartaros zurück. Sie sollten die Verbannten dort bewachen. Außerdem waren sie ihm auf der Erde lästig, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatten.

Atlas, der Sohn des Titanen Iapetos, bekam eine Sonderaufgabe: Er sollte am Rande der Welt bis in alle Ewigkeit das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern tragen.

Sagenhafter Saturn

Unser Planet Saturn wird von zahlreichen kleinen und großen Monden mit Namen aus der griechischen Sagenwelt umkreist. Die Jahreszahlen nennen das Jahr ihrer Entdeckung, und der Durchmesser in Kilometern gibt an, welche Größenverhältnisse man sich vorstellen muss. Der nach dem schrecklichen Hekatoncheiren benannte Briareus (auch Aegaeon) hat nur einen Durchmesser von 600 Metern. Kein Wunder, dass er als Letzter entdeckt wurde!

Titan (1655) Ø 5150 km

Iapetus (1671) Ø 1436 km

Rhea (1672) Ø 1529 km

Tethys (1684) Ø 1066 km

Atlas (1980) Ø 32 km

Pan (1990) Ø 20 km

Briareus (2008) Ø 0,6 km

Der Einzug im Olymp

Nach dem Sieg über die Titanen zog Zeus mit seinem Gefolge im olympischen Götterhimmel ein. Er ernannte sich zum obersten Chef und regierte von da an über Himmel und Erde. Und über den Tartaros, der noch weit unter dem Hades (dem Totenreich) lag. So tief, dass ein Amboss, so hieß es, im freien Fall neun Tage brauchte, um unten aufzuschlagen.

Seinen Brüdern übertrug Zeus wichtige Jobs:

Poseidon bekam die Herrschaft über die Meere, die vorher der Titan Okeanos besessen hatte.

Hades wurde zum König der Unterwelt, die nach ihm benannt wurde. Seine Wächter, der Fährmann Charon und der Höllenhund Kerberos (deutsch Zerberus), sorgten dafür, dass keiner mehr aus dem Totenreich zurückkam, der einmal den Fluss des Vergessens überquert hatte. (Homer nennt den Fluss Styx, das Wasser des Grauens. Er umfließt den Hades neun Mal.)

Verstorbenen legte man eine Münze in den Mund, damit sie den Fährmann bezahlen konnten und nicht auf alle Ewigkeit am Ufer stehen und warten mussten.

Selbst die Götter erwiesen dem Fluss Respekt, wenn sie „beim Styx“ schworen. Wer diesen Schwur brach, verlor für neun Jahre sein Stimmrecht im Olymp.

Seinen dritten Bruder, Hephaistos, beauftragte Zeus mit den Bauarbeiten an den göttlichen Tempeln und Palästen, die auf den Gipfeln der olympischen Berge mit schneeweißen Marmorsäulen und goldenen Dächern in den Himmel wuchsen.

Ausgerechnet Hephaistos! Der Sohn der Hera, der als Baby von seiner Mutter wegen seiner Hässlichkeit vom Himmel gestoßen worden war, sorgte für die Schönheit im Olymp! Er entpuppte sich als tüchtiger Baumeister, Handwerker und Schmied. An Kunstfertigkeit tat es ihm keiner gleich. Außerdem war er ein Spaßvogel, der derbe Streiche liebte.

Er schmiedete für seine Mutter Hera, die er verständlicherweise nicht besonders leiden konnte, einen kunstvollen Thron aus Gold, der mit Edelsteinen verziert war, und sandte ihn auf den Olymp.

Stolz setzte sich Hera auf den Thron, der noch schöner war als der des Zeus. Aber als sie wieder aufstehen wollte, ging das nicht, denn ihr Sohn hatte einen komplizierten Mechanismus eingebaut, der sie mit goldenen Fesseln festhielt. Verzweifelt versuchte Hera, sich zu befreien. Auch die anderen Götter konnten ihr nicht helfen, und ein bisschen schadenfroh waren sie vielleicht auch.

Man schickte den Götterboten Hermes auf seinen flinken Flügelschuhen zur Grotte der Nymphe Thetis, bei der Hephaistos seit seinem unsanften Sturz vom Himmel wohnte. Der folgte zwar Hermes in den Olymp, weigerte sich aber zunächst, das Geheimnis des Stuhles zu verraten. Erst nach vielen Bechern Wein und dem Versprechen, dass er von nun an ein Dauerwohnrecht auf dem Olymp bekäme, löste er die Fesseln.

Von Zeus, den das Spektakel mit dem Stuhl offenbar amüsiert hatte, bekam er obendrein Aphrodite, die Göttin der Schönheit und der Liebe, zur Frau.

Es war abzusehen, dass die bildhübsche Göttin es als Gemahlin des hässlichen Vogels mit der Treue nicht so genau nahm. Der argwöhnische und erfindungsreiche Hephaistos rechnete damit, dass sie ihn hintergehen würde. Er dachte sich daher eine Falle aus, um sie bei einem Seitensprung zu ertappen.

Er schmiedete ein Netz, so fein wie Spinnweben und so hart wie Stahl, und befestigte es über dem Ehebett. Dann verabschiedete er sich.

„Ich muss auf eine längere Reise“, schwindelte er.