Aus den unendlichen, geheimnisvollen Tiefen des Atlantischen Ozeans steigen sie auf, die zerklüfteten einsamen Eilande der Azoren, – Gipfel von unterirdischen Bergen, emporragend über die Wogen des weiten Atlantik …
In den unendlichen, geheimnisvollen Tiefen der Steilküste einer dieser Inseln schlummert das Milliardenrätsel heiß umkämpfter Schätze …
Möwen und Albatrosse streichen in graziösem Fluge mit heiserem Schrei über die Stätte hin, die der Ausgangspunkt heißer Wünsche, von Liebe, Haß und verbrecherischer Pläne war …
Mit heiserem Schrei – als wollten die Seevögel all derer spotten, die reinen Herzens oder aus schnöder Goldgier ihr Leben einsetzen des großen Geheimnisses wegen … –
Mit donnerndem Toben bricht sich die haushohe Brandung an der Spitze der Halbinsel von San Miguel.
Sind’s nicht Stimmen, die da hervorschallen aus diesem gewaltigen Naturkonzert der zerschellenden Wassermassen? Klingen nicht Stimmen, lauter noch als diese Symphonie des Atlantik, weit hinaus über Meere und Länder und preisen den Namen des Mannes, der in selbstloser Hingabe jahrelang für dieses Geheimnis kämpfte …?
Halbinsel von San Miguel …! Oben auf dunkler Felswand ein einsames, einfaches Holzkreuz … Ein Name darin eingeschnitten, der Name eines Braven, der nichts wußte von Habgier und Eigennutz …! – Ein zweiter Name darunter, der eines ganzen Mannes, des … Siegers! Des Siegers im Streit um den … Goldschatz der Azoren …!
Blutige Wogen brandeten über die Erde hin …
Weltkrieg – Massenmord, – das Getöse ungeheurer Kanonaden stieg anklagend zum Himmel empor …
Das Deutsche Reich glich einer belagerten Riesenfestung. Seine Kolonien waren längst in Feindeshand.
Auch Kamerun …
Und doch wehte noch eine einzige deutsche Flagge im weiten Gebiete der Kamerun-Kolonie – eine einzige …!
Wehte im Dunkel einer zerklüfteten Höhle südlich des Lobe-Flüßchens, wo die Granitmassen des Elefantenberges sich westwärts erstrecken und das turmhohe Gewirr der Steinblöcke von den Wogen des Atlantischen Ozeans gepeitscht wird … –
Qualmende Harzfackeln und Petroleumlaternen werfen in dieser Novembernacht des Jahres 1915 huschenden Lichtschein auf den Flaggenmast, auf das träge, wie tot herabhängende Fahnentuch …
Halbnackte Männer arbeiten mit schwieligen Fäusten vor starken Holzkisten …
Drei blonde Söhne eines deutschen, längst ergrauten Vaters …
Füllen des lockenden Goldes mattglänzende Kiesel in rauhe Behälter …
Schicht auf Schicht …
Millionen – ungezählte Millionen …
Nageln mit dröhnenden Hammerschlägen die oben mit Moospolstern abgedichteten Kisten zu, malen mit Kienrußfarbe Zahlen auf die Deckel … –
»Nummer 36! Drei Dutzend!« ruft Karl Werter, der jüngste der drei und seine Stimme weckt das Echo der Grotte.
»Hast wohl Lust, uns die höllische Bande da draußen noch zu guter Letzt auf den Hals zu locken!« warnt einer der Brüder.
Da taucht neben ihnen aus schwarzem Schlund auf roh gezimmerter Leiter, vor der Brust eine Laterne an dicker Schnur, auf dem Rücken einen prall gefüllten Tragsack, die Schwester empor.
Schüttet den Inhalt des Sackes auf den Felsboden.
Goldkiesel – lauteres Gold rollt über dunkles Gestein.
»Die letzte Ladung!« sagt das Mädchen schlicht und fährt mit der Hand über die schweißfeuchte Stirn.
»Dann geh’ und melde es dem Vater,« bestimmt der älteste Werter kurz.
Das Mädchen nimmt die am Felsblock lehnende Büchse, schraubt die Laterne kleiner und schreitet nach Osten achtsamen Fußes dem einen Ausgang der Höhle zu …
Bis die wärmere Luft der mondhellen Tropennacht ihr entgegenweht, bis sie sich kriechend vorwärtsschiebt – hinaus auf den schmalen Vorsprung zwischen die Büsche und die weitragenden Zweige des riesigen Baobab, der da unten am Fuße der Steilwand dunkles Gestrüpp überschattet.
Farmer Werter liegt hier seit Stunden und lauscht den vielfachen Tönen der Wildnis. Wendet nun den Kopf.
»Nun, Kind?« fragt er flüsternd und macht der Tochter Platz.
Maria meldet.
Heinrich Werter nickt zufrieden. »Gut, gut! – Wird auch Zeit, daß die Sache in Ordnung kommt. Gefällt mir hier Verschiedenes nicht. Du hast ja bessere Augen als ich, Kind!« Er haucht ihr die Worte ins Ohr. »Schau’ mal da unten neben dem Maniokstrauche den schwarzen Fleck. Wofür hältst du es?«
Maria starrt hinab. Achtzehn Meter mögen es sein bis zum hellen Maniokbusche.
Und – – das Mädchen erschrickt.
»Ein Neger!« haucht es zurück.
Heinrich Werter lacht lautlos – lacht grimmig in sich hinein.
»Hab’ also doch recht gehabt! Sie sind uns auf der Spur! Mögen sie …! Schwarzes Gesindel, Spione im Dienste der Franzosen, der neuen Herren der Kolonie!«
Er überlegt eine Weile. »Ich muß den Jungens jetzt helfen, Maria. Ich lasse dir noch meine Büchse hier. Und hier unter dem Felsblock, Kind, liegen die Zündschnüre. Du weißt Bescheid …«
»Ja, Vater. Geh’ nur. Sei ohne Sorge. Hier dringt niemand ein.«
Heinrich Werter kriecht rückwärts.
Ein Ast schnellt hoch. Der Alte flucht leise über die eigene Unachtsamkeit.
Und – – haarscharf an seinem linken Ohre vorüber pfeift ein langes Rohr, prallt gegen das Gestein, fällt matt herab.
Der Alte zerknickt den Giftpfeil, schleudert ihn ins Astgewirr des Baobab, dreht den Kopf.
»Vorsicht, Kind …! Ein Pfeilschuß!«
»Ich weiß, Vater. Ich hörte das Schwirren der Bogensehne.«
Eilt durch das Labyrinth der Grottengänge, steht vor seinen Söhnen, vor den gefüllten, vernagelten Kisten.
»Brav, Jungens! Und nun schafft die Ladung für U 45 zum Buchtausgang. Ich werde das Zeichen geben. Hoffentlich ist nichts geschehen, was uns noch einen Strich durch die Rechnung macht.«
Er schreitet davon, klettert über zackige Blöcke, steigt abwärts, hört sehr bald das leise Rauschen einer schwachen Brandung, spürt den Salzhauch des Meeres und erblickt, um die letzte Krümmung biegend, den matt schillernden Spiegel der schmalen Bucht, die hier, weiterhin riffumsäumt, noch von der Grottenwölbung überspannt wird.
Und hier lehnt am kühlen Fels, ein regloser Wächter, des deutschen Farmers treue Lebensgefährtin.
Heinrich Werter birgt die Laterne unter der Leinenjacke …
»Was Verdächtiges, Anna?« fragt er nur.
»Nichts …!«
Sie stehen im Dunkeln.
Draußen an den Riffen schäumt es weiß. Mondlicht funkelt in breitem Strich auf leicht bewegten Wellen.
»Ich werde das Signal geben,« sagt der wortkarge Mann.
Ein langes bengalisches Zündholz zischt auf.
Zwei Augenpaare überfliegen die fernen Riffe.
Des Alten scharfer Blick hat im schillernden Strich des Mondscheins eine schwarze Kuppel bemerkt. Wogen spülen darüber hin, verhüllen sie. Wogentäler lassen sie wieder auftauchen.
Und aus der Kuppel ragt ein meterlanges Rohr heraus, wird jetzt kleiner und kleiner, kürzer und kürzer.
Der Farmer ergreift seines Weibes Hand.
»Anna, – – sie kommen!« – Wie ein Jubelruf klingt es …
Und rasch schwingt er nun die Laterne im Kreise, weist dem deutschen U-Boote den geheimen Weg in die Grotte.
Bis die graue Stahlspindel vertäut am felsigen Ufer liegt, bis ein Seemann vom gewölbten Deck an Land springt, des Alten Hände drückt.
»Das Vaterland dankt Ihnen, Herr Werter! Ihr Name wird einst …«
Der schlichte Farmer wehrt fast verlegen ab. »Wir taten nur unsere Pflicht, Herr Kapitänleutnant. Was sollten wir mit dem Golde, das wir hier vor drei Wochen ebenso zufällig entdeckt haben wie die Grotte selbst?! Das Vaterland ist in Not.«
Eine Schar stämmiger Matrosen umgibt die beiden Männer und die schlanke Frau.
»Ein Hoch diesen Braven!« ruft Steuermann Hartwich leise … »Ein dreifaches Hoch!«
»Vorsicht!« warnt der Alte hastig. »Vorsicht! Die Franzosen sind hinter uns her. Unser plötzliches Verschwinden hat die Brut mißtrauisch gemacht, und ihre schwarzen Helfer …«
Er schweigt.
Donnernd, dröhnend pflanzt sich in den Gängen der Höhle der Widerhall starker Explosionen fort.
»Ans Werk!« – und Farmer Werters Stimme ist schrill und hell vor Erregung. »Ans Werk! Meine Tochter bewacht den anderen Eingang. Sie hat soeben den Baobab, die natürliche Leiter zum hohen Felsloche, durch Sprengschüsse gefällt! Ans Werk!«
Die drei Söhne Werters erscheinen schon mit den ersten Goldkisten, die Verladung beginnt.
Und drüben am Ostausgange liegt das deutsche Mädchen zwischen den Büschen, schickt Kugel auf Kugel hinab ins Gestrüpp, um sich dann kriechend in die Höhle zurückzuziehen. Rollt die Zündschnüre hinter sich her und bläst die Lunte an.
Eine Feuerschlange schießt vorwärts – schießt in die Pulvermine …
Ein ohrenbetäubender Krach. Felsen wanken, stürzen … Der Osteingang wird zu einem Haufen zackiger Blöcke.
Und draußen jenseits der Riffe taucht U 45 hinab in die Tiefe, trägt die kostbare Last vorwärts der Heimat zu.
Ein armseliges Boot, sechs Menschen darin, schleicht aus der Grotte hervor, verschwindet in der Mündung des nächsten Flüßchens, – schleicht im Schutze überhängender Bäume weiter und weiter mit lautlosen Ruderschlägen: Heinrich Werter und die Seinen, die nun in die Wildnis flüchten – bettelarm, umringt von rachsüchtigen Feinden.
In die Wildnis – irgend wohin, wo deutsche Kühnheit, Zähigkeit und deutscher Fleiß ihnen die neue Heimatscholle schaffen wird.
Vier Tage später … Wieder zur Nachtzeit … Nur nordwärts jetzt, wo der Azoren weitzerstreute Inseln die Unendlichkeit des Atlantik mit felsigen Küsten beleben.
Scheinwerferglanz irrt über die See. Zuckt mit grellem, tastendem Finger hierhin und dorthin. Entschleiert die schroffen Gestade des Vorgebirges Retorta der Azoreninsel San Miguel – ungeheure Granitmassen, düster, zerissen, jäh abfallend in die Schlünde des Ozeans.
Scheinwerfer eines schlanken englischen Kreuzers sind’s. Scheinwerfer, die nicht zur Ruhe kommen. Die gern etwas finden möchten im Wogengischt des heulenden Oststurmes.
Und jedes Mal, wenn einer der weißen Lichtkegel neben dem einsamen, von einer Korkweste getragenen Schwimmer vorbeigleitet, duckt der barhäuptige Mann den Kopf tief in die Wellen.
Rudert dann weiter mit kraftvollem Arm, – hinein in die Weite der Wasserwüste – entfliehend dem Schlimmsten, das ihm begegnen könnte: der Gefangenschaft!
Strömung und Wogen treiben ihn barmherzig von dannen.
Mittags am nächsten Tage sitzt der Einsame oben am Rande der bewaldeten Nordküste von Formigas und läßt den traurigen Blick über die im Sonnenglast daliegende See schweifen.
Hunger und Durst scheuchen ihn endlich empor. Er hat inzwischen seine Mauserpistole gereinigt, hat die zweiunddreißig Patronen gesäubert und von seiner Jacke die Abzeichen seiner Zugehörigkeit zur Kriegsmarine abgetrennt, hat sie und dazu seine Papiere an einem Holzfeuerchen verbrannt. Namenlos, heimatlos will er bleiben, bis … bis die Kriegsfurie sich wieder wie ein gesättigtes Ungeheuer verkrochen hat und das Meer wieder frei ist für Unternehmungen friedlicher, heimlicher Art.
Er will vorläufig nicht mehr Georg Hartwich sein, bis gestern noch Vizesteuermann der Reserve. Er will, wenn es sein muß, seine englischen Sprachkenntnisse zu keckem Betruge benutzen.
Wenn … es sein muß …!
Und umkreist nun erst einmal seine Insel, um sich zu überzeugen, ob sie noch immer unbewohnt, wie’s in den Lehrbüchern steht. Findet nirgends auch nur das geringste Anzeichen, daß hier Menschen hausen, findet nichts als Bäume, Sträucher, Basaltblöcke, Kraterkegel, heiße Quellen, tiefe Buchten, ungezählte Vogelscharen und wilde Kaninchen.
Entdeckt am Steilufer einer südlichen Bucht eine schwer zugängliche Felsterasse mit einem Naturzaune von Machiengestrüpp und einer einzelnen Konifere. Hier baut er seine Zweighütte. Hier will er geduldig des Tages harren, der ihn wieder zu den Menschen führt.
Und in den endlosen Stunden der ersten Tage fertigt er aus sauber gegerbter Kaninchenhaut zwei Pergamente an, zwei Zeichnungen. Als unvergängliche Farbe benutzt er den roten Lebenssaft derselben Purpurschnecke, die einst schon den alten Phöniziern zu ihren Purpurgewändern verhalf.
Die eine der Zeichnungen, doppelseitig, näht er mit Fischgrätennadel und getrocknetem Fischdarm in das Rückenfutter seiner blauen Weste unauffällig ein. Die zweite verbirgt er auf seiner Wohnterrasse unter einem schweren Basaltblock, dessen merkwürdige Form an die Gestalt eines knienden Menschen erinnert.
Alles, was er tut, geschieht nach reiflicher Überlegung. Er ist der einzige Hüter eines Geheimnisses, das … nicht ihm gehört! Er ist der einzige, durch den dieses Geheimnis zum Heile eines Volkes zu Leben und Wirken geweckt werden kann. –
Zwei Wochen vergehen. Wieder ist es Nacht – eine milde, windstille Nacht diesmal.
Georg Hartwich war wie bisher mit Dunkelwerden zur Ruhe gegangen. Wachte auf über ungewohntem Lärm … Glaubt zunächst zu träumen … Hört schrille Grammophonmusik, Gelächter, kreischende Weiberstimmen, wilde Gesänge aus rauhen Kehlen und … schlich zum grünen Naturzaune seiner Terasse.
Da liegt unter ihm auf den Wassern der sicheren Bucht ein mittelgroßer Dampfer. Am Heck hing die Flagge eines der südamerikanischen Staaten. Und auf dem Achterdeck ein wildes Gelage an langer Tafel – ein Gelage bei pendelnden bunten Papierlampions.
Wie ein Spuk das Ganze …
Zwei Dutzend Kerle, zur Hälfte mit Nigger- und Indianerblut in den Adern, dazu ein Dutzend Weiber in elegantesten Abendtoiletten.
Weiber, wie Georg Hartwich sie in den Hauptstädten der Welt stets in ähnlicher Aufmachung kennen gelernt hatte.
Und dort am oberen Ende der Tafel neben dem Kapitän ein Mädchen – ein schwarzhaariges Mädchen von bezaubernder Schönheit.
Den Sektkelch in der Rechten steht sie da, singt zum Grammophongekreisch den Text eines Walzers mit einer berauschenden Stimme, mit einem Temperament, daß jede Fiber ihres schlanken Leibes zu zucken scheint.
Georg Hartwich starrt hinab zum hell erleuchteten Deck – hinab in das zarte Antlitz der schwarzen Hetäre.
Kratzend und schrillend verstummt die Musik … Aber ein klarer weicher Ton aus dem Munde der Sängerin hallt jubelnd als Schlußakkord zwischen den Steilwänden der Bucht in mehrfachem Echo wider.
Ein leerer Sektkelch fliegt gegen das Gestein.
Beifallsrufe gellen zum nächtlichen Firmament empor …
Und der Mann neben der Sängerin reißt das Weib an seine Brust, küßt es in besinnungsloser Gier, bis ein kraftvoller Stoß ihn zurücktaumeln läßt.
Das junge Weib gleitet über die Laufplanke – hinein in das Dunkel der schattenden Felsen – schreitet leichtfüßig hinan zum schmalen Grat … Steht still und blickt hinab auf den Dampfer, auf die zechende Schar.
Georg Hartwich ahnt, daß der Dampfer dort kein harmloser Kauffahrer, daß diese fragwürdige Besatzung irgendwie zu den Hyänen des blutigen Völkerringens gehört.
Er streift die Schuhe von den Füßen, eilt auf wohlbekannten Pfaden abwärts – wieder aufwärts, liegt nun lang ausgestreckt drei Meter über dem schmalen Felsgrat, wo das Weib seines Spitzenkleides lüsterne Knappheit im Sternenlicht den schillernden Blicken eines bärenstarken Mulatten preisgibt.
Hartwich lauscht den keuchenden Worten des Farbigen … spanischen Worten … dem girrenden Lachen der Verführerin.
»Mafalda, Sennorita Mafalda – hier – hier ist der Schmuck! Aus dem Koffer des sinkenden Dampfers raubte ich ihn, für Euch, Sennorita.«
Sie streckt die Hand aus, empfängt die Gabe.
»Ich danke Euch, Juan …« – Ihr Blick ist Gewähren, ist brünstiges Locken.
»Und – – mein Lohn, Mafalda?! Mein Lohn?!« flüstert der Riese heiser.
Da schlingt sie ihm den rechten Arm mit anmutvoller Gebärde leicht um den braunen Stiernacken.
Zieht Juan, den zitternden Juan, sanft an sich und greift mit der Linken unter das Spitzengeriesel des Rockes. Fast den dort verborgenen Dolch.
Stößt zu … Schleudert den Riesen über den Rand des engen Pfades hinab in die Bucht.
Ein tierischer Schrei – ein wahnwitziger Schrei unendlicher Wut läßt die Zecher an Deck emporfahren.
Und ruhig und gelassen schreitet das teuflische Weib zum Schiffe zurück.
Fragen – Zurufe schallen ihr entgegen.
»Juan schlich mir nach,« sagt sie laut und drohend. »Ich mußte mich wehren. – Genügt euch das?«
Und wenige Minuten später schrillt wieder das Grammophon, singt Mafalda mit perlenden Tönen einen tollen Gassenhauer.
Georg Hartwich schleicht nach seinem Versteck zurück, kriecht in seine Hütte und wirft sich auf sein Lager.
Nun weiß er: Piraten sind’s, – Piraten unter der Maske eines harmlosen Frachtdampfers.
Und was die Schurken auf offener See plündern, hinmorden, versenken, kommt auf das deutsche Konto – auf das Konto deutscher Barbarei! –
Am Morgen ist die stille Bucht wieder leer.
Am Morgen findet Georg Hartwich die Leiche des erstochenen Mulatten auf steinigem Strande.
Verscharrt sie und vergißt, was die Spuknacht ihm brachte.
Vergißt’s fast vollständig in den endlosen zwei Jahren, die er noch auf dem Eiland Formigas ausharren mußte, bis ein Fischkutter von San Miguel endlich das Rauchsignal an der einsamen Küste bemerkt und … den zerlumpten, bärtigen Robinson, den … englischen Matrosen John Smith an Bord nimmt.
John Smith fragt die Fischer nach mancherlei …
Hört, daß heute der 3. Januar 1919, daß der Weltkrieg beendet, daß Deutschland kapituliert hat.
Zwei Wochen später darauf landet er als Heizer eines spanischen Dampfers in Amsterdam. Trägt noch die blaue Weste, in deren Rückenfutter die Zeichnung eingenäht ist, trägt in der Brust das große Geheimnis – das große Geheimnis des Goldschatzes der Azoren.
So betritt er am 28. Januar 1919 wieder deutschen Boden.
Graf Viktor Gaupenberg stand sinnend am Fenster seines im Mittelbau des alten Schlosses gelegenen Laboratoriums und schaute den verschneiten Weg hinab, der sich von der Terasse durch den Park und den Schloßberg abwärts ins weite Tal schlängelt. Dort unten in der Ebene liegt das Städtchen, von dem aus man in fünf Stunden so bequem die Reichshauptstadt erreichen konnte. Soeben war in den außerhalb der Stadt gelegenen Bahnhof ein Zug eingelaufen. Und Viktor Gaupenberg, letzter Sproß des edlen Geschlechts derer von Gaupenberg-Gaupa grübelte jetzt darüber nach, ob er wohl mit der Wahl der neuen Haushälterin, die noch eine erwachsene Tochter mitbrachte, den rechten Griff getan hätte.
Frau Therese Sanden, Witwe eines Geheimen Kanzleiassistenten, war ihm durch Exzellenz von Rotha aufs wärmste empfohlen worden. Da hatte er denn ohne langes Zaudern Frau Sanden telegraphiert, daß er damit einverstanden sei, wenn ihre Tochter Agnes gleichzeitig bei ihm die Stellung als Privatsekretärin antrete, von der er in der Hauptsache Verschwiegenheit und zeichnerisches Talent neben schneller Auffassungsgabe verlangen müsse.
Nun erwartete er die beiden Frauen, die soeben mit dem Berliner Zuge eingetroffen sein mußten und zu deren Empfang er seinen alten Diener und den ebenso alten Kutscher mit dem Jagdwagen zur Bahn geschickt hatte. –
Viktor Gaupenberg erkannte jetzt drunten auf der Chaussee den in flottem Trabe den Bergen sich nähernden Wagen, verließ das Laboratorium, verschloß die eisenbeschlagene Tür sehr sorgfältig und stieg die Treppe ins Erdgeschoß langsam hinab, blieb in der mit Jagdtrophäen und Waffen geschmückten weiten Vorhalle einen Augenblick stehen und hörte zerstreut zu, wie das Stubenmädchen Helene draußen auf der Terasse einen zerlumpten Vagabunden durch ein Geldgeschenk loswerden wollte.
Der eine Flügel der breiten Haupttür war weit geöffnet. Graf Viktor sah, daß der Bettler vor Frost zitterte und daß die nackten Zehen aus zerissenen Schuhen hervorgrinsten.
Der Mann bettelte jämmerlich um Kleidung und um ein warmes Gericht. Sein hageres Gesicht verriet trotz der entstellenden Bartstoppeln Intelligenz und Bescheidenheit.
Gaupenberg schritt rasch der Tür zu, rief das Mädchen an und befahl, sie solle den Fremden in die Küche führen.
Des Bettlers blaugefrorene Hand riß den löchrigen Filz vom Kopfe, und eine leise, angenehme Stimme dankte im voraus für alles gute.
»Herr Graf werden es nie bereuen, einem Unglücklichen geholfen zu haben,« fügte der Mann hinzu. »Ich bin nicht von ungefähr den steilen Schloßberg trotz meines kranken Herzens emporgeklettert, Herr Graf. Ich hoffte im stillen, den Herrn Grafen vielleicht zu Gesicht zu bekommen und etwas mitteilen zu dürfen, was vielleicht von einiger Bedeutung wäre, wie ich vermute …«
Gaupenberg wurde aufmerksam.
»Treten Sie ein,« sagte er nachdenklich und musterte den Menschen nochmals von oben bis unten.
Gleich darauf stand der Bettler im behaglich warmen Herrenzimmer dem Grafen gegenüber.
»Mein Name ist Edgar Wiener, Doktor der Philosophie Edgar Wiener,« erklärte er nun auf Gaupenbergs Frage mit schmerzlichem Lächeln. »Als der Krieg ausbrach, Herr Graf, war ich Hauslehrer bei dem schwedischen Baron von Axellund in der Nähe von Stockholm. Ich trat als Kriegsfreiwilliger ein, wurde verwundet, wurde als untauglich entlassen und konnte nirgends Anstellung finden.«
»Weshalb nicht?«
Edgar Wiener blickte zu Boden. »Ich … ich bin Morphinist, Herr Graf. Um mir Morphium zu verschaffen, bin ich in Berlin in eine Apotheke eingebrochen. Ich wurde mit einem Monat Gefängnis bestraft …«
Der Graf deutete auf einen der alten geschnitzten Lederstühle …
»Setzen Sie sich, Herr Doktor.« – Er trat an ein Schränkchen heran und füllte ein Weinglas. »Da, trinken Sie. Es wird Ihnen guttun.«
Doktor Wieners Gesicht bekam etwas Farbe. Ganz von selbst begann er dann:
»Das, was ich Ihnen gern mitteilen wollte, Herr Graf, ist folgendes. – Ich war so Mitte Januar etwa in Berlin. In einer Kaschemme am Rosenthaler Tor wurde ich zufällig Zeuge der Begegnung zwischen zwei Ausländern, die wohl in der Annahme, daß dort niemand der schwedischen Sprache mächtig sei, am Nebentisch über Ihre Person leise verhandelten.«
»Verhandelten?« fragte Gaupenberg gespannt.
»Ja – verhandelten! – Der eine suchte den zweiten zu überreden, bei Ihnen einzubrechen, Herr Graf, – in Ihr Laboratorium. Ich hörte weiter, daß Sie dem Kriegsministerium im September 1918 eine Erfindung angeboten haben sollen. Und die Zeichnungen für diese Erfindung wünschte der eine Ausländer in seinen Besitz zu bringen. Der andere Mann lehnte jedoch ab, obwohl ihm tausend Mark versprochen wurden.«
»Und was geschah weiter?«
»Ich versuchte dem, der den anderen zu dem Einbruch hatte verleiten wollen, nachzuschleichen. Der Mann sprang jedoch in ein elegantes Privatauto und jagte davon. Mehr weiß ich nicht, Herr Graf. Ich habe mich dann mühselig hier bis zur Gaupenburg durchgebettelt. Ich bin offen: ich rechnete auf Ihre Erkenntlichkeit. Wenn Sie mir mit Kleidung und Wäsche aushelfen würden, wenn ich mich hier nur ein paar Tage erholen dürfte, würde ich fraglos als Kriegsbeschädigter nachher irgendwo ein Unterkommen finden.«
Eine Stunde darauf saß Doktor Edgar Wiener in einem der Fremdenzimmer des östlichen Schloßflügels vor dem frisch geheizten Kamin. So erinnerte er in nichts mehr an den Strolch, den die dicke Helene mit ein paar Pfennigen hatte wieder wegschicken wollen.
Inzwischen hatte Graf Viktor in der Vorhalle seine neuen Hausgenossen begrüßt, die rundliche, unendlich gutmütig ausschauende Frau Sanden und die zierliche, schlanke Agnes.
Als Gaupenberg auch Agnes Sanden die Hand hinstreckte, als er nun ihr feines Gesichtchen mit den lebhaften und doch sanften dunklen Augen zum ersten Male dicht vor sich hatte, da war er doch vor Überraschung leicht zusammengezuckt.
Er hatte nicht erwartet, daß die neue Hausgenossin ein derart schönes Mädchen sein würde. Was Gaupenberg aber im ersten Augenblick so befangen machte, war der wehmütige Zug, der im Gesicht dieses schönen blonden Mädchens ausgeprägt war. Und dieser Zug sprach von bangen Stunden und durchweinten Nächten. War es nicht, als ob ein düsteres Geheimnis den Lebensmut dieses schönen Geschöpfes gebrochen hätte?
Um zwei Uhr nachmittags sollte im kleinen Speisesaal gemeinsame Mittagstafel stattfinden.
Als der alte Diener Gottlieb Knorz den Herrn Doktor hiervon um halb zwei benachrichtigte, lag Edgar Wiener im Bett und erklärte, er fühle sich zu seinem größten Bedauern zu elend, um an der Tafel teilnehmen zu können.
Er hatte vorhin, als die dicke Helene sein Bett frisch bezogen hatte, von ihr die Namen der neuen Haushälterin und der neuen Sekretärin erfahren, war, um sein jähes Erröten vor dem Mädchen zu verbergen, rasch ans Fenster gegangen und hatte nichts weiter gefragt. Auch abends ließ er sich das Essen dann auf sein Zimmer bringen. –
Um neun Uhr wurde das elektrische Licht in den weiten Korridoren des Schlosses ausgeschaltet. Graf Viktor arbeitete noch im Mittelbau in seinem Laboratorium. Auch die beiden Sandens waren noch auf.
Mutter und Tochter, die im letzten Jahre Not und Entbehrungen infolge einer schweren Erkrankung Agnes’ in ihren bittersten Formen kennengelernt hatten, fühlten sich nun hier auf der Gaupenburg endlich geborgen.
Immer wieder streichelte die liebliche Agnes Mütterleins Hände, wiederholte immer wieder: »Mutti, Mutti, mir ist’s, als ob wir das große Los gewonnen hätten!«
Zehn Uhr war’s, als es dann leise an die Tür des Wohnzimmers pochte.
Agnes eilte zur Tür, fragte, den Riegel zurückschiebend: »Sind Sie’s, Helene?«
Doktor Wiener drängte sich rasch ins Zimmer, drückte die schwere Eichentür ebenso rasch ins Schloß.
Das junge Mädchen war mit leisem Aufschrei zurückgeprallt und hatte wie abwehrend beide Hände erhoben.
»Doktor Edgar Wiener,« sagte der Eindringling mit ironischer Verbeugung. »Bitte nicht zu vergessen: Doktor Edgar Wiener, den Ihr beide nicht kennt, meine Lieben! Nur das wollte ich Euch mitteilen. Deshalb vermied ich auch, Euch im Speisesaal vorgestellt zu werden! – Gute Nacht!«
Und lautlos, wie er gekommen, huschte er wieder fünf Türen weiter in sein Zimmer zurück. –
Agnes Sanden lag schluchzend an ihrer Mutter Brust. Und über dem Haupte ihres weinenden Kindes flüsterte die verstörte Frau:
»Barmherziger Gott – warum diese neue Prüfung? – Warum muß dieser Mensch hier unsere Wege kreuzen?!«
Die verwitwete Fürstin Mafalda Sarratow bewohnte in einem der vornehmsten Pensionate des Berliner Westens in der Leibnitzstraße eine Flucht von drei Zimmern. Die blendend schöne Frau, der man trotz der Beschlagnahme ihrer in Südrußland gelegenen Güter durch die Bolschewisten unermeßliche Reichtümer nachsagte, gehörte seit Monaten zu den bekanntesten und gefeiertsten Erscheinungen der Berliner Salons. Ihre Lebensführung war über jeden Zweifel erhaben. Kein neidischer Klatsch wagte sich an sie heran. Herren gegenüber war sie von einer so kühlen Zurückhaltung, daß man allgemein annahm, sie müsse in ihrer kurzen Ehe mit dem um zwei Jahrzehnte älteren Fürsten sehr bittere Erfahrungen gemacht haben. Ihre Mildtätigkeit, ihr Lebenswandel und ihr madonnenhaftes weiches Antlitz hatten ihr den Beinamen Engel Mafalda eingetragen. Freilich gab es auch Zweifler, die über dieses »Engel Mafalda« ironisch die Achseln zuckten. Waren diese Menschenkenner unter sich, so nannten sie die Fürstin ganz anders: Tigerin Mafalda! Sie hüteten sich jedoch, diese Bezeichnung laut zu äußern, denn die Zahl der glühenden begeistertsten Verehrer der schönen Frau war weit größer als die zynischen Zweifler. –
An einem der ersten Februartage des durch politische Unruhen so ereignisreichen Winters 1919 wurde der Fürstin vormittags elf Uhr durch ihren Kammerdiener Sergius, der gleichfalls im Pensionat Looper untergebracht war, Doktor Wiener gemeldet.
Die Fürstin hatte soeben gefrühstückt, lag in einem reichbestickten seidenen Kimono im Salon auf dem Diwan und nahm Sergius’ Meldung, die merkwürdigerweise mit stark gedämpfter Stimme und in spanischer Sprache erfolgte, mit allen Zeichen freudigster Überraschung entgegen.
»Oh – wenn er Glück gehabt hätte!« meinte sie mit einem seltsamen Aufleuchten ihrer unschuldsvollen Rehaugen, das den Ausdruck ihrer Züge jäh veränderte.
Sergius, ein breitschultriger Hüne, dessen Hautfarbe den graugelben Ton des Südländers besaß, nickte der Fürstin vertraulich zu.
»Es wäre auch höchste Zeit, daß wir unsere Kasse wieder füllen, Mafalda,« sagte er noch leiser. »Die Geschichte ist zwei Millionen wert, und wenn man’s schlau anfängt, schlägt man auch drei dabei heraus. – Ich werde den edlen Doktor also vorlassen.«
Die Fürstin ging Edgar Wiener bis zur Tür entgegen. Auch Sergius blieb im Salon.
Der geschmeidige Edgar küßte der schönen Mafalda übertrieben respektvoll die Hand, tauschte mit dem Kammerdiener einen flüchtigen Händedruck aus und erklärte dann flüsternd mit einem faunisch frechen Lächeln:
»Vorzüglich schaust aus, Mafaldachen! Gott weiß, die Du’s anstellst, so jung und frisch zu bleiben!«
»Hast Du die Zeichnungen?« fragte die Fürstin leicht gereizt und deutete auf einen der Brokatsessel.
»Noch nicht, noch nicht …! Der Mann ist verteufelt vorsichtig, selbst mir gegenüber.« – Er setzte sich und wandte sich an Sergius. »Du könntest mir was Trinkbares besorgen, Freund Alfons. Meine Kehle ist trocken wie altes Leder. Kognak wäre mir am liebsten.«
Über Mafaldas Gesicht glitt unmerklich ein Ausdruck tiefster Verachtung. Sie verachtete jeden Menschen, der Sklave irgend einer Leidenschaft war. Sie selbst hatte sich stets in der Gewalt – in allem!
Der Diener verschwand mit einem Grinsen.
Kaum hatte sich die ins Nebenzimmer führende Tür hinter ihm geschlossen, als Edgar Wiener seinen Sessel näher an den Diwan heranrückte, auf dem die Fürstin Platz genommen, und hastig und ganz leise fragte:
»Soll Alfons weiter mit im Spiele bleiben, Mafalda?«
»Es muß sein,« nickte sie kurz. »Er ist der energischste von uns. Ihm kommt es auf nichts an.«
»Stimmt!« Und Edgar Wiener fuhr sich mit dem Zeigefinger in nicht mißzuverstehender Bewegung über die Kehle hin.
Der angebliche Kammerdiener trat wieder ein, füllte drei kleine Weingläser mit feinstem französischen Kognak und trank seinen Verbündeten zu.
Wiener stürzte den Inhalt des Glases hinab, trank noch ein zweites, zündete sich eine von Mafaldas stark parfümierten englischen Zigaretten an und begann seinen Bericht …
»… Daß der edle Graf sich total von mir hat einwickeln lassen, schrieb ich euch schon. Ich habe nun also auf der Gaupenburg festen Fuß gefaßt, ordne vorläufig die Schloßbibliothek und weiß, daß die Zeichnungen zumeist im Schlafzimmer des Grafen in einem modernen Tresor verwahrt sind. Bei Durchsicht alter Urkunden habe ich über die Gaupenburg mancherlei entdeckt, was für uns sehr wichtig sein kann. Es laufen da aus dem ältesten Teile des Schlosses, aus dem westlichen Flügel, in den unheimlich dicken Mauern schmale Gänge und geheime Treppen entlang, während die dazu gehörigen kleinen Geheimtüren im Wandgetäfel verschiedener Zimmer des Mittelbaues verborgen sind. Eine dieser Türen, von deren Existenz der Graf offenbar keine Ahnung hat, führt in sein Arbeitszimmer. Bevor er nun gestern Nachmittag mit mir die Reise hier nach Berlin antrat, konnte ich beobachten, daß er die Zeichnungen, ein flaches Ledertäschchen, zu sich steckte. Er trägt sie jetzt also in der Innentasche seiner Weste bei sich, und …« – eine Kunstpause – – »und es fragt sich, ob es nicht vielleicht angebracht wäre, den Versuch zu wagen, sie ihm hier in Berlin abzunehmen, was allerdings einige Gefahren mit sich bringen dürfte, da dieser gräfliche Ingenieur und Chemiker ein außerordentlich kräftiger Mann ist.«
Der Diener lachte schrill auf.
»Gefahren …?! Gefahren …?! – So stiehl ihm doch die Zeichnungen, Freund Wiener-Lomatz!«
»Das ist ausgeschlossen, verehrter Alfonso! Entweder schmelzen wir eines Nachts, wenn der Graf nicht daheim, den Stahlschrank mit einem Sauerstoffgebläse auf oder – – wir gehen hier sofort mit Gewalt vor.« Er blickte dabei den Diener erwartungsvoll an.
Sergius-Alfons wieder warf einen fragenden Blick auf die Fürstin.
Und die erklärte nun nach kurzem Überlegen:
»Lieber Edgar, die Sache eilt. Das hat Alfons schon vorhin betont. Diese kläglichen Taschendiebstähle in der Untergrundbahn können uns eines Tages Hals und Kragen kosten.«
Edgar Lomatz nickte ernst. »Ganz recht! Ich weiß davon ein Liedchen zu singen. Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht. – Also …«
»… Gewalt!« meinte der Diener kurz. »Beraten wir …«
Nach zehn Minuten war man einig. Man hatte alles genau besprochen, hatte die Rollen verteilt und jede Einzelheit einander fest eingeprägt.
Edgar Lomatz trank das vierte Glas Kognak …
»Euer Wohl, Freunde! Auf ein gutes Gelingen!«
Und fügte mit faunischem Grinsen hinzu: »Noch etwas Neues, amigos …: Ich habe da auf der Gaupenburg eine alte Liebe von mir wieder getroffen! Ja, denkt Euch, – so ein kleines Schäfchen, das mir vor einem Jahre teilweise recht nützlich war. Die sanfte Agnes arbeitete damals als Zeichnerin aushilfsweise in einer Abteilung des Generalstabs.«
»Ach – die!« meinte Mafalda Sarratow gleichgültig. »Ich besinne mich …«
»Ja, ja – das war noch eine bessere Zeit als heute,« nickte der Riese Alfons sinnend. »Die Spionage brachte mehr ein als die Handfertigkeit in der Untergrundbahn.« Er seufzte …
Edgar Lomatz nahm eine neue Zigarette und erhob sich …
»Ich will mich nun verabschieden. Du weißt Bescheid, Mafalda. Es müßte ja mit dem Teufel zugehen, wenn der Graf nicht Feuer fängt. Allerdings, mir scheint, als ob sich da zwischen ihm und der holden Agnes etwas anspinnt! Na – meinen Segen hätte mein verflossenes Bräutchen zu diesem Glück! – Wiedersehen also …«
Sergius kehrte in den Salon zurück. Mafalda stand am Fenster. Er trat neben sie, flüsterte ihr etwas ins Ohr …
Sie wandte langsam den Kopf …
»Das ist doch selbstverständlich, Alfons,« meinte sie kühl. »Ein Mensch wie er, ein Trinker und Morphinist, ist nie zuverlässig. Wenn wir ihn nicht mehr brauchen, verunglückt er.«
Der Hüne zog sie vom Fenster weg. Sein Gesicht lohte plötzlich auf. Beide Handgelenke der Fürstin umspannte er mit schmerzhaftem Druck.
»Du – der Graf ist ein Mann, der mir vielleicht ins Gehege kommen könnte!« Seine Stimme klang rauh und drohend. »Ich warne dich, Mafalda! Ich …«
»Narr!« sagte sie kalt. »Bin ich nicht Dein?! Seit Jahren Dein?! Was verlangst Du noch mehr?!«
Er schaute sie durchdringend an.
»Deine Seele, Mafalda! Nicht nur den Sinnenrausch! Was Du mir gibst, könntest Du jedem schenken!«
Ein rätselvolles Lächeln umspielte ihren schönen lügnerischen Mund …
»Ich habe keine Seele, Alfonso. Meine Seele starb in jener Nacht, als Du Deinen Namen San Jose mit der »Otritis« versenktest und mich allein am Leben ließest, als Du mich in Deine Kajüte schlepptest und … – doch – wozu die Erinnerungen?! Geh’ jetzt … Man erwartet mich um zwei Uhr zur Vorstandssitzung des Hilfsvereis für die Kriegsblinden.«
Der Fürstin dunkle Unschuldsaugen hafteten an der Tür, durch die Alfonso verschwunden.
»Puppen – –!« murmelte sie … »Puppen, die ich doch nach meinem Willen tanzen lasse …!« Ihre Lippen wurden schmal und grausam … »Die eine Nacht vergesse ich Dir nie, Du Satan! Nie!«
Dann ging sie, läutete ihrer Zofe und ließ sich beim Umkleiden helfen.
Graf Viktor Gaupenberg war im Astoria-Hotel Unter den Linden abgestiegen. – Am nächsten Morgen gegen elf Uhr betrat er in dem Berliner Vorort Köpenick das Grundstück der Bootswerft von Haller und Co., wurde hier von Herrn Haller persönlich empfangen und in einen der großen Schuppen geführt, wo das von ihm vor drei Monaten bestellte und nach seinen eigenen Angaben gebaute große Motorrennboot nunmehr versandfertig auf einem kräftigen Holzgestell ruhte.
Dieses Aluminiumboot wich in seiner Form vollständig von den bisher üblichen Typen der Rennboote ab, glich einer plattgedrückten Spindel, hatte keinen Kiel und ein leicht gewölbtes geschlossenes Deck mit drei Schiebeluken und einer beweglichen, zaunartigen Reling. Die Abmessungen des eigenartigen Fahrzeuges betrugen bei zwölf Meter Länge eine größte Höhe und Breite von vier und drei Meter. Das Boot sah plump und alles andere als schnittig aus, und die Probefahrten hatten trotz der beiden starken Motoren und der neuartigen zwei Schrauben bisher nur eine Geschwindigkeit von etwa achtzehn Knoten ergeben, eine Leistung, mit der Herr Haller durchaus nicht zufrieden war, was er jetzt auch dem Grafen gegenüber nochmals betonte.
Viktor Gaupenberg meinte darauf, diese bescheidene Geschwindigkeit genüge ihm vorläufig. »Vielleicht bringe ich noch einige Verbesserungen an, wenn die Sphinx erst auf dem Gaupasee schwimmt, Herr Haller. Schicken Sie das Boot jedenfalls noch heute ab. Den Transport von der Bahnstation zum Gaupasee übernehme ich selbst mit meinen Leuten. Die Bezahlung lasse ich Ihnen durch mein Bankhaus anweisen.«