Christian Lunzer - Henner Kotte

Der Fall Nelböck

Arbeit und Lebenssinn

 

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Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95616-580-1

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Inhalt

Arbeit und Lebenssinn

Quellen

Lust auf mehr?

Mütter, Töchter, Ehefrauen

Gift & Galle

Auf Messers Schneide

Weibliche Tugenden

Mörderische Arbeitsmarktverwaltung

Mord am Arbeitsplatz

Arbeitsplatz und Ausbildung

Die Autoren

Der Verlag

Impressum

 

Arbeit und Lebenssinn

Montag, 22. Juni 1936. Ein strahlend schöner Frühsommertag. Es würde sehr warm werden, Mittagstemperaturen für Wien zwischen 25 und 28 Grad versprach die Zentralanstalt für Meteorologie. An der Universität ging das Sommersemester zu Ende, die letzten Vorlesungen, die ersten Prüfungen wurden abgehalten. Viel Betrieb war zu erwarten. Marie Finder, im Reinigungsdienst beschäftigt, hatte deshalb besonders früh mit ihrer Arbeit begonnen. Um halb zehn war sie bereits im Parterre des rechten Flügels im Hauptgebäude angelangt und freute sich auf das Dienstende, als sie plötzlich über sich, auf der großen Freitreppe, die zum Dekanat und zu den Hörsälen der philosophischen Fakultät führte und daher Philosophenstiege genannt wurde, Laute und Geräusche hörte, die gar nicht in diese Umgebung passten.

Vier knallende Revolverschüsse, knapp hinter einander, und dazu eine laute, erregte Männerstimme, die rief: „Da hast Du es, Hund verfluchter!“

Erschrocken ließ Marie Finder Eimer und Besen stehen und lief zum Treppenaufgang. Ein Mann lag, nach hinten zurückgefallen, seltsam verrenkt auf den Stufen. Ein Mädchen beugte sich über ihn. Studenten kamen aus den Hörsälen und gemeinsam mit Wachebeamten der Universität gelang es ihnen, den leblosen Körper, aus dessen Anzug Blut tropfte, den Halbstock höher ins Zimmer des Dekans zu tragen. Vorbei an einem jüngeren Mann mit Brille, der wie versteinert, noch den Revolver in der Hand, am Rand der Stiege stand.

Wenige Minuten später war auch die Rettung gekommen, aber der Arzt konnte nur mehr den Tod des Opfers feststellen. Zwei Schüsse in die Brust hatten das Herz getroffen und waren unmittelbar und sofort tödlich gewesen. Von den Studenten hatte Marie Finder auch seinen Namen erfahren: Moritz Schlick, Professor am philosophischen Institut und einer der auch international angesehensten Lehrer der Fakultät.

Die natürlich ebenfalls alarmierte Polizei kam, wohl des Schauplatzes wegen, in großer und prominenter Besetzung: Vizepräsident, Stadthauptmann und Oberkommissar. Der immer noch am Schauplatz stehende, inzwischen aber von zwei Wachmännern gehaltene Schütze ließ sich widerstandslos festnehmen und wurde in das Zimmer des Pedells geführt. Hofrat Höger begann das erste Verhör mit der Frage nach Namen und Daten. Der Verhaftete, der keineswegs erregt, sondern eher erleichtert oder befreit wirkte, hieß Hans Nelböck, war Doktor der Philosophie, am 11. Mai 1903 geboren, in Wien im siebten Bezirk, Westbahnstraße 35 in Untermiete wohnhaft, und arbeitslos.

Auch über sein Motiv zu der Bluttat gab er emotionslos Auskunft.