Detektiv Nobodys Gesammelte Abenteuer

 

Robert Kraft

 

 

 

 

 

Inhalt:

 

 

Robert Kraft – Biografie und Bibliografie

Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer - Band 1

I. Wer ist es?

II. Eine japanische Mysterie.

III. Flederwisch und Wetterhexe.

IV. Die Geheimnisse von Red Castle.

V. Feindliche Minen.

VI. Abenteuer in Aegypten.

VII. Im Geiergebirge.

VIII. Jussuf el Fanit.

Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer - Band 2

1. Die Verjüngungskur

2. Auf der Teufelsinsel

3. Der Kosak

4. Die Rätsel mehren sich

5. Die Inselmütter

6. Die Mexikanerin

7. Nobody und Kompanie

8. Über und unter der Erde

9. In der Arche Noah

10. Katastrophen

Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer – Band 3

1. Der Organist

2. Vorbereitungen

3. Feuerproben

4. Ein Staatsauftrag

5. Auf der Fährte

6. Die Freundschaftsinsel

7. Der Verzweiflungskampf

8. In den Goldfeldern

9. Der Schmugglerkapitän

Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer - Band 4

1. Samson und Dalila.

2. Titanenkämpfe.

3. Im Fegefeuer.

4. Wladimir Zwanowitsch.

5. Der rote Skorpion oder Das Wunder von Portugal.

Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer - Band 5

1. Undine.

2. Little Pet.

3. Die Todeskarte.

4. Der Mann mit den Teufelsaugen.

5. Mit Gordon Cumming.

6. Im Zeichen der Schlange.

7. Das Haus mit den zwei Fichten.

8. Die Wunderstute Niagara.

9. Der Indianerkopf.

Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer – Band 6

1. Die Magnetinsel oder Der schlafende Tod

2. Die Kette der Inkas

3. Das Unfaßbare

4. Um ein Millionenhalsband

5. Der Geisterkönig von Sumatra

6. Im Urwald von Tjibodas

7. Die letzte Cherokesin

8. Der Champion der Königin

Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer – Band 7

1. Das große Rätsel.

2. Die Mysterien des Nordpols.

3. Mephistopheles.

4. Im Teufelsbrunnen.

5. Auf neuer Fährte.

6. In einem unbekannten Lande.

7. Der Herr der Erde.

8. Nur eine Nacht.

9. Im Koloradotal.

10. Verloren und gefunden.

Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer – Band 8

I. Die Fahrt der Argonauten

II. Vertauschte Rollen

III. Um zwanzig Millionen

IV. Die Kristallkugel

V. Der singende Gott

VI. Die Geheimnisse des Serails

VII. Von Abenteuer zu Abenteuer

VIII. Die Toten kommen wieder

IX. In eigener Angelegenheit

 

 

 

 

 

Detektiv Nobodys Gesammelte Abenteuer, R. Kraft

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849629809

 

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admin@jazzybee-verlag.de

 

 

 


 

Robert Kraft – Biografie und Bibliografie

 

Deutscher Schriftsteller, geboren am 3.10.1869 in Leipzig, verstorben am 10.05.1916 in Haffkrug. Sohn eines Weinhändlers. Nach mehreren Ausreißversuchen von zu Hause beginnt er mit 18 Jahren ein Studium an der Technischen Staatslehranstalt in Chemnitz. 1889 gelingt ihm schließlich die Flucht und er beginnt eine abenteuerliche Weltreise über u.a. London, New York, Grönland, Kanada, Australien , Indien und die Türkei zurück nach Deutschland. Dort wird er zum Wehrdienst zwangsrekrutiert und verbringt die meiste Zeit bis 1893 in einem Lager für nicht mehr gebrauchte Bücher der Marine. 1894 zieht er nach London, wo er Johanna Rehbein heiratet. In den folgenden Jahren zieht es ihn ruhelos immer wieder von London nach Leipzig und zurück. Johanna bekommt zwei Töchter. Über einen Aufenthalt in Monte Carlo kommt die Familie 1904 nach Deutschland zurück. K. stirbt 1916 an einem Magenleiden.

 

Wichtige Werke:

 

•         Die Vestalinnen, 1895.

•         Das Mädchen aus der Fremde, 1896.

•         Vier Frauen und nur ein Mann, 1898.

•         Das Schwert des Damokles,1899.

•         Ungleiche Naturen, 901.

•         Jochen der Taugenichts oder Matrosenliebe zu Wasser und zu Lande, 1902.

•         Ein moderner Lederstrumpf, 1902.

•         Die Templer vom Ringe,1903.

•         Sonnenkinder, 1903.

•         Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer, 1904–1906.

•         Die Augen der Sphinx. Gesammelte Erzählungen und Romane, 1908.

•         Atalanta. Die Geheimnisse des Sklavensees, 1911.

•         Das Gauklerschiff oder die Irrfahrten der Argonauten, 1912.

•         Die neue Erde, 1910.

•         Die Abgottschlange, 1916.

•         Untersee-Teufel, 1919.

 

 

Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer - Band 1

 

 

I. Wer ist es?

 

»Wann laufen wir in den Hafen von New-York ein, Herr Kapitän?«

 

»Diese Nacht, Sir.«

 

»Können Sie die Zeit nicht genauer bestimmen?«

 

»Es wird gegen Mitternacht werden.«

 

»Das paßt mir vortrefflich. Danke, Herr Kapitän.«

 

Der Frager, welcher auch diese letzte Aeußerung getan hatte, schlenderte davon, und ehrerbietig blickte der Kapitän, verwundert blickten alle Passagiere der eleganten Gestalt des jungen Mannes nach.

 

Des >jungen< Mannes?

 

»Er ist noch keine zwanzig Jahre alt,« hatte ein amerikanischer Passagier zu seinem Freunde gesagt.

 

»Was sagen Sie?« rief der andere erstaunt. »Noch keine zwanzig Jahre? I, wo denken Sie denn hin!!! Der ist mindestens vierzig Jahre alt.«

 

»Sie sind verrückt! Der ist höchstens achtzehn Jahre alt.«

 

»Sprechen Sie denn nur wirklich im Ernst?«

 

»Gewiß, es ist mein völliger Ernst. Ich gehe jede Wette mit ein, daß dieser junge Herr, der sich im Kajütenbuch als Eugen Salden eingetragen hat, jedenfalls ein Deutscher, noch nicht zwanzig Jahre alt ist.«

 

»Und ich behaupte, daß er die vierzig schon überschritten hat. Wetten?«

 

Gut, also wetten! Es ging um den Fahrpreis der ersten Kajüte, um 200 Dollar.

 

Der eine Yankee näherte sich dem fraglichen Herrn bei Gelegenheit, knüpfte mit ihm ein gleichgültiges Gespräch an ... aber merkwürdig, er brachte es nicht fertig, diesen Mr. Salden nach seinem Alter zu fragen. Es war geradezu, als ob dieser es schon wisse, was jener von ihm wolle, und als ob er nicht geneigt sei, sein Alter anzugeben. Sobald der Amerikaner nach einer Einleitung mit seiner Frage herausrücken wollte, blickte Mr. Salden ihn etwas schärfer an, und jenem blieb die Frage förmlich in der Kehle stecken, er wurde unter dem Blicke verlegen, begann schnell von etwas anderem Gleichgültigen zu sprechen.

 

»Lächerlich,« sagte der andere, als der erste unverrichteter Dinge zurückkam, er habe den Herrn nicht nach seinem Alter fragen mögen, »ich glaube gar, Sie genieren sich.«

 

Jetzt ging also der zweite hin. Aber merkwürdig, auch dieser kam nicht zum Ziel. Mr. Eugen Salden antwortete einsilbig, und als die Frage kommen sollte, blickte er jenen scharf an und ließ ihn verlegen stehen.

 

Kurz und gut, die beiden Yankees konnten ihre Wette während der ganzen Reise nicht austragen, denn sie brachten es nicht über sich, diesen Herrn nach seinem Alter zu fragen, sie wagten nicht, ihn noch einmal anzusprechen. Aber warum eigentlich nicht, das war und blieb beiden ein Rätsel, und es ist leicht begreiflich, daß sie dann nicht mehr gern darüber sprachen.

 

»Ich glaube, es ist ein Raubtierbändiger,« sagte der eine nur noch, »er hat einen so eigentümlichen Blick.«

 

Ja, über diesen eigentümlichen Blick war auch von anderer Seite schon oft gesprochen worden.

 

»Wenn er seine Augenlider niederschlägt, wie er so oft tut, so ist es, als wenn ein zweischneidiges Schwert in die Scheide gesteckt würde.«

 

So hatte sich eine poetisch veranlagte Dame geäußert.

 

»Aber Luzy!« rief entrüstet ihre jüngere Freundin. »Der hat doch die schönsten, sanftesten Augen!«

 

»Na, ich danke!« meinte aber jetzt der alte Vater. »Das ist doch der reine Basiliskenblick!«

 

Doch nicht nur um seinen Blick ging an Bord des Schnelldampfers der allgemeine Streit.

 

»Was für edle, männliche Züge!« hieß es bewundernd auf einer anderen Seite.

 

»Männlich? Ein richtiges Mädchengesicht!«

 

Und so stritt man sich über alles und jedes, was an diesem Manne, der sich Eugen Salden nannte, nur zu beobachten war, und jetzt, am zehnten Tage der Reise, kurz vor New-York, war man sich immer noch nicht klar, ob er jung oder alt, ob männlich oder weibisch, ob dick oder dünn, ob kräftig oder zierlich - ja, obgleich er sich selbst für einen Deutschen ausgab, kam jemand auf die Ansicht, daß jener trotz seines blonden, schlichten Haares ganz gewiß ein Türke sein müsse.

 

Zuletzt empfand man denn auch das Humoristische dieser verschiedenen Ansichten, die gar nicht aufhören wollten, man lachte sich gegenseitig aus. Aber während sich alles ausschließlich mit dem rätselhaften Manne beschäftigte, kümmerte dieser selbst sich um niemanden, still schritt er auf dem Promenadendeck hin und her, still saß er an der Tafel, nur in seine Teller vertieft, und dennoch beherrschte er durch einen einzigen Blick die ganze Gesellschaft, er brauchte nur einmal aufzusehen, so verstummte alles und erwartete seine Ansprache, obgleich diese nie erfolgte.

 

Den stärksten Beweis seiner geheimnisvollen Macht hatte Salden aber jetzt geliefert.

 

Der Kapitän der >Persepolis< war ein Grobsack erster Güte. Wenn er aus Versehen einmal von einem Passagier angeredet wurde, so schnob er ihn grimmig an, und da machte er keinen Unterschied, und wenn es der Prinz von Wales gewesen wäre, die Hände hätte er doch nicht aus den Hosentaschen genommen, noch weniger die Pfeife aus dem Munde.

 

Da, wie der Kapitän gerade einmal an Deck stand, hatte der vorübergehende Salden an ihn jene Frage gestellt, wann das Schiff in den Hafen einlaufen würde, zwar höflich, aber doch auch in bestimmtem Tone.

 

Himmel, solch eine Frage hätte einmal ein anderer Passagier wagen sollen.

 

»Wenn wir dort sind!! Das werden Sie schon noch zeitig genug erfahren!! Was geht das Sie überhaupt an, was, he?!«

 

Und was tat der Kapitän jetzt? Er sah den auf sich gerichteten Blick, diese scharfen, kalten Augen - und schnell riß er die Hände aus den Hosentaschen und die Pfeife aus dem Munde und gab einen höflichen Bescheid.

 

Aber nicht nur das, der Passagier war mit der Antwort nicht zufrieden, wollte die Zeit noch genauer erfahren - und wahrhaftig, der bärbeißige Kapitän gab ihm auch noch eine genauere Antwort! Und dann wurde er von einem grimmigen Aerger gepackt, über diesen >bloody Dutchman,< und noch mehr über sich selbst - aber nun war es zu spät, und wie er wieder auf die Kommandobrücke ging, konnte er sich selbst nicht begreifen. - -

 

Salden begab sich nach dem Mitteldeck. Dort befand sich im Gespräche mit einem anderen Herrn ein dicker, jovialer Mann, welcher gleichfalls erste Kajüte fuhr. >Mr. Cunning, London, Tabaksagent< hatte er sich eingeschrieben. Er war dem Schiffspersonal schon bekannt, hatte bereits mehrmals die >Persepolis< benutzt, wenn er wegen seiner Tabaksgeschäfte nach Amerika ging.

 

Den Hut lüftend, trat Salden auf diesen zu.

 

»Verzeihung. Bitte, mein Herr, würden Sie nicht die Güte haben, mir einmal in meine Kabine zu folgen? Es handelt sich um ein wichtiges Geschäft.«

 

Daß der so plötzlich mit solch eigentümlichen Worten Angeredete mitten im Satz stockte, war begreiflich.

 

»Was ... was ... was ... ich ... ich ... ich kenne Sie ja gar nicht!«

 

»Salden ist mein Name.«

 

»Mein Name ist ... ist ... ist ... Cunning, jawohl, James Cunning. Was denn für ein Geschäft?«

 

»Bitte, wollen Sie mir nicht in meine Kabine folgen, es läßt sich nicht gut hier abwickeln.«

 

Salden sah ihn fest an - und der Dicke folgte, wie von einer geheimnisvollen Macht getrieben, obgleich er doch zu zögern schien.

 

Auch Salden hatte eine einschlafige Salonkabine, in diese führte er den Herrn und bat ihn, Platz zu nehmen. Mechanisch setzte sich der dicke Herr auf das kleine Sofa, Salden ließ sich ihm gegenüber nieder.

 

»Ein Geschäft?«

 

»Mein Herr, ich befinde mich in großer Geldverlegenheit ...«

 

»Ja, aber,« unterbrach ihn der andere erstaunt, »wie komme denn ich dazu? Ich kenne Sie doch gar nicht.«

 

»Salden ist mein Name,« wiederholte jener mit unerschütterlicher Ruhe.

 

»Sehr angenehm, aber ... wie komme ich denn nur dazu?«

 

»Allerdings handelt es sich um ein Geschäft, um ein sehr günstiges für Sie. Sie sind doch Juwelier oder ...«

 

Als wäre dies eine ungeheure Beleidigung, mit solch ungestümer Hast fuhr der dicke Herr empor, plötzlich purpurrot im Gesicht.

 

»Juwelier? Ich? Keine Ahnung! Ich bin ein Londoner Tabaksagent, ein ganz bekannter Mann, alle Zollbeamten in New-York kennen mich, passen Sie auf, wie die vor mir den Hut ziehen werden. Wie kommen Sie denn darauf, daß ich Juwelier sein soll?«

 

»Ich dachte, weil Sie Ihren dicken Spazierstock mit Diamanten gefüllt haben.«

 

Ach du großer Schreck!!! Der dicke Mann knickte zusammen, als hätte er einen Hexenschuß bekommen, und blieb wie ein geprellter Frosch auf dem Sofa liegen.

 

Es war in der Tat so, obgleich Cunning weder ein Juwelier noch ein Schmuggler von Profession war. Es war dies das erstemal, daß er Diamanten, überhaupt etwas nach Amerika zu schmuggeln versuchte.

 

Mr. Cunning war wirklich ein ehrlicher Tabaks-Händler, hatte schon viel des hochbesteuerten Krautes von Amerika herüber und von Holland fertige Zigarren hinüber gebracht, aber noch niemals geschmuggelt. Da hatte er vor kurzem einen alten Freund wiedergetroffen, einen holländischen Diamantenhändler ... »Höre du, du reist doch immer hin und her, dich kennen doch schon die amerikanischen Zollbeamten, du hast schon Zoll genug bezahlt, dir traut man doch so etwas nicht zu ... wollen wir einmal zusammen ein Schmuggelchen machen?«

 

Mr. Cunning war der Versuchung unterlegen, in zehn Tagen 100 000 Mark verdienen zu können. Auf seinen Reisen führte er ständig einen dicken Spazierstock mit sich, den Zollbeamten in New-York auch schon wohlbekannt. Aber noch keiner hatte ihn jemals einer Untersuchung gewürdigt, und so wußte auch niemand, daß er hohl war. Der Spazierstock barg nämlich in seinem Innern einen dicken Stoßdegen. Dieser wurde oben, dicht am Griff, abgebrochen und nun die Oeffnung mit jenen kleinen, geschliffenen Steinchen ausgefüllt. Und was da alles hineingegangen war! Für eine halbe Million!

 

Wenn Mr. Cunning auch sonst auf ein reines Gewissen hielt, beim Skatspiel mogelte er doch manchmal, und dann verriet er sich nicht durch Erröten, und ebensowenig ward er verlegen, wenn er einmal jemanden mit einer Ladung minderwertigen Tabak anschmierte. Ueber solche Kleinigkeiten also war er erhaben. Mr. Cunning hatte an Bord den so wertvoll gewordenen Spazierstock mit demselben Gleichmut wie sonst gehandhabt, hatte ihn wie sonst nur manchmal, wenn er an Deck promenierte, mit hinaufgenommen, sonst hatte er es riskiert, die Schatzkammer unten in seiner Kabine stehen zu lassen. Wahrhaftig, kein einziger Mensch konnte auch nur ahnen, daß der Spazierstock überhaupt hohl sei!

 

Und nun, und nun!! Vor allen Dingen waren die Diamanten im Werte von einer halben Million unwiderruflich futsch. Und dann mußte noch extra die doppelte Steuergebühr bezahlt werden, so gegen 200 000 Mark, und wenn das Mr. Cunning nicht konnte oder wollte, so durfte er auf Sing-Sing, der New-Yorker Strafinsel, ein bis zwei Jahre lang Baumwolle spinnen.

 

»Ein Detektiv! Ich bin ruiniert!!« stöhnte der geprellte Frosch.

 

»Sie irren,« entgegnete aber Mr. Salden, »ich bin kein Detektiv, bin niemals Detektiv gewesen. Fassen Sie sich, mein Herr. Sie haben von mir absolut nichts zu fürchten. Meinetwegen schmuggeln Sie so viel Diamanten, als sie wollen, mich soll es nur freuen, wenn Sie dieselben glücklich durchbringen. Ich habe in meinem Leben selbst genug geschmuggelt, noch ganz andere Sachen, ganze Schiffsladungen, und das aus keinem anderen Grunde, als weil es mir Spaß machte, meine Schlauheit mit der des Zollbeamten zu messen. Und Sie werden die Diamanten auch glücklich durchbringen, denn wenn Sie selbst nicht geplaudert haben, so ahnt an Bord kein Mensch, daß Sie in Ihrem Spazierstock etwas verborgen haben, Sie erregen nicht den geringsten Verdacht.«

 

Der geprellte Frosch richtete sich etwas auf und sah den so Sprechenden mit offenem Munde an.

 

»Ja, aber ... aber ... woher ...«

 

»Woher ich es dann weiß? Ja, bei mir ist das etwas anderes. Mir hat die Natur ein ganz besonders geschliffenes Auge eingesetzt. Ich habe sofort gemerkt, als ich Sie zum ersten Male mit dem Spazierstock sah, daß es wohl derselbe Stock ist, den Sie immer tragen, daß er aber nicht ganz genau dasselbe Gewicht hat, an welches Sie sonst gewöhnt sind. Ich kalkuliere, der Stock ist um eine Kleinigkeit leichter geworden. Sie stießen mit dem Stocke an Deck auf, und ich hörte sofort, daß der Stock nicht durchweg aus Holz bestehen könne. Ich kalkuliere, daß er einst einen Stockdegen enthalten hat, den Sie abgebrochen haben, und was anderes, als Juwelen sollte man denn in solch einem kleinen Raume schmuggeln wollen? Sollte ich nicht recht haben?«

 

Mr. Cunning riß seinen Mund nur noch weiter auf. Aber seine furchtbare Angst verließ ihn durch diese Erklärungen noch nicht, und das mußte auch der Mann, der das Gras wachsen sah und hörte, bemerken.

 

»Fürchten Sie doch nichts,« fuhr er deshalb fort, »wie gefügt, kein anderer Mensch, als nur ich allein wird solche Beobachtungen angestellt haben, und ich tue Ihnen nichts. Allerdings haben wir einen Detektiv der Zollbehörde an Bord ...«

 

»Einen Detektiv?«

 

»In der ersten Kajüte, der Steward mit der großen Glatze ...«

 

»Ach wo, den kenne ich ja schon seit lange!!«

 

»Und ich sage Ihnen, mein Herr, dieser so unschuldig aussehende Steward ist ein Detektiv! Das habe ich nicht von anderer Seite gehört, das hat er mir nicht selbst gestanden, sondern das sehe ich ihm auf den ersten Blick an. Wodurch, das kann ich Ihnen hier nicht erklären, das ist eben bei mir eine besondere Gabe. Eine diesbezügliche Wette dürfte ich als Ehrenmann gar nicht annehmen, denn ich bin meiner Sache todsicher. Da ich nun diesen Detektiv in bezug auf Sie beobachtet habe, so kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß er nicht die geringste Witterung auf Ihren Spazierstock hat.«

 

Mr. Cunning begann etwas ruhiger zu atmen.

 

»Mein Herr, Sie bergen mit Ihrem Beobachtungstalent eine Goldquelle in sich. Und Sie sind in Geldverlegenheiten?«

 

»Ja. Aber denken Sie nicht etwa, ich will jetzt aus Ihnen Geld herauspressen. Ich bin ein Ehrenmann. Hiermit genug. Dies alles wäre gar nicht nötig gewesen, hätten Sie meine Frage, ob Sie ein Juwelier seien, bejaht. Auf irgend eine Weise muß doch ein Geschäft angeknüpft werden,«

 

»Was für ein Geschäft?«

 

Mr. Salden knöpfte seinen eleganten Rock auf und zog aus der Westentasche an schwergoldner Kette eine große, goldne Uhr, ließ zwei Deckel aufspringen.

 

»Diese Uhr habe ich mir erst kürzlich in der Schweiz gekauft. Sie kostete 500 Francs.«

 

Der Tabaksagent verstand wirklich etwas davon.

 

»Das glaube ich gern.«

 

»Wollen Sie 50 Dollar geben? Gerade die Hälfte. Sie machen eitt gutes Geschäft dabei.«

 

»Mit Vergnügen!!« jauchzte der dicke Mann förmlich auf, denn er fühlte plötzlich einen Zentnerstein von seinem Herzen fallen.

 

»Diese Kette kostete mich 250 Mark. Jedes Glied ist gestempelt. Geben Sie mir dafür 40 Dollar?«

 

»Mit Vergnügen!«

 

»Hier,« Mr. Salden zog aus seinem Schlips eine Nadel, offenbar ein Kunstwerk. »Wieviel sie gekostet hat, weiß ich nicht. Es sind mir schon einmal 1000 Dollar dafür geboten worden ...«

 

»1000 Dollar? Mit Vergnügen!!!«

 

Es war eine prachtvolle Nadel, die verschiedensten Edelsteine strahlten ein wahres Feuermeer aus, die Nadel war schon oft genug bewundert worden, der rätselhafte Fremde mußte ein reicher Kauz sein.

 

Jetzt freilich stellte sich das Gegenteil heraus. Aber warum sollte er nicht in Geldverlegenheit gekommen sein? Und die Steine waren echt, das erkannte auch der Tabakshändler. Dieser Mann konnte die Nadel auch nicht gestohlen haben, konnte überhaupt kein Gauner sein. Denn erstens hätte er dann die Nadel doch nicht so öffentlich getragen, und zweitens, wäre er ein Gauner gewesen, so hätte er doch vor allen Dingen dem entlarvten Diamantenschmuggler den Daumen aufs Auge gesetzt.

 

»Aber mein lieber Herr, berauben Sie sich doch nicht Ihrer Wertsachen. Wenn Sie in Geldverlegenheiten sind, so bin ich ja gern bereit ...«

 

»Bitte sehr, ich war einst ein reicher Mann, jetzt gehe ich nach Amerika, um zu arbeiten, ein Arbeiter braucht keinen solchen Schmuck, es sind auch keine Andenken. Also geben Sie 1000 Dollar für diese Nadel?«

 

»O, die ist noch viel mehr wert ...«

 

»Bitte,« unterbrach ihn Mr. Salden abermals, »ich bin kein Handelsjude, mein einmal geforderter Preis gilt. Also 1000 Dollar?«

 

Der sich gerettet fühlende Schmuggler konnte seiner Dankbarkeit nicht einmal Ausdruck geben.

 

Dann löste der merkwürdige Mann aus seinem Oberhemd noch drei Brustknöpfchen und zwei Manschettenknöpfe, ebenfalls alles massives Gold mit Diamanten, und bot den ganzen Satz gleichfalls für die runde Summe von 1000 Dollar an.

 

Der Tabakshändler mußte dies alles wohl oder übel nehmen, er hatte nämlich in seiner Freude lieber mehr gegeben, und es lag auch klar auf der Hand, daß er dabei ein ausgezeichnetes Geschäft machte. Geld genug hatte er bei sich, er entnahm seiner Brieftasche 2090 Dollar, und als er dann die Kabine verließ, wußte er nicht, was er von dem jungen Manne und diesem ganzen Geschäft denken sollte.

 

- - -

 

Unterdessen war es Abend geworden. Bald würde die Schiffsglocke zum letzten Male zur Mahlzeit rufen.

 

Auch Salden verließ seine Kabine, schlenderte langsam durch die Korridore und betrat das Zwischendeck. Ehe er vom Schiffe Abschied nahm, wollte er wohl noch einmal dieses obskure Reich besichtigen.

 

Ja, in dem mit Menschen vollgepfropften Raume - zu jener Zeit wurden noch Männlein und Weiblein ungetrennt in das Zwischendeck eingepfercht - sah es auch arm genug aus.

 

Bei dieser Reise machte das Zwischendeck einen noch jämmerlicheren Eindruck als sonst, weil sich darin eine große Schar von Irländern mit Frauen und Kindern befanden, vor kurzem noch gutsituierte Bauern, welche aber durch ein verruchtes Gesetz von Haus und Hof vertrieben, zu Bettlern gemacht worden waren, und nicht einmal in ihrer Heimat durften sie bleiben, fort mit ihnen aufs Schiff, nach Amerika! Dort bekommt ja jeder Einwanderer freies Land. Diese Aermsten der Armen würden sich einen Pflug erst leihen müssen, und während die Männer die Bäume zum einstigen Hause fällten, mußten Frauen und Kinder vor dem Pfluge die Zugtiere vertreten.

 

Salden unterhielt sich mit diesem und jenem der Irländer, ließ sich den Führer des Trupps vorstellen, einen alten Mann, der schon in Amerika gewesen war und die Verhältnisse kannte, der seine unglücklichen Landsleute nur abholte.

 

»Schauderhaft! Hier, nehmt.«

 

Und dabei hatte er dem alten Manne einige Tausenddollarnoten in die Hand gedrückt, nicht nur die beiden, welche er von dem Tabakshändler erhalten, sondern auch noch drei andere. Also der seltsame Mensch hatte noch genug Geld gehabt, hatte gar nicht nötig gehabt, seine Schmucksachen zu verkaufen!!

 

Die Leute wollten es erst gar nicht glauben, von einem Unbekannten plötzlich so viel Geld geschenkt bekommen zu haben, daß sie in ihrer neuen Heimat gleich als existenzkräftige Farmer beginnen konnten. Auch das anwesende Schiffspersonal staunte, so etwas war an Bord der >Persepolis< noch nicht vorgekommen.

 

Aber damit war es noch lange nicht genug. Salden ging weiter durch das Zwischendeck und streute mit vollen Händen das Geld aus, und wieder zeigte es sich, daß er noch reichlich versehen gewesen war, so z. B. teilte er ja auch Silber- und Goldstücke aus, während er von dem Agenten nur Papier erhalten hatte.

 

Allerdings gab er ohne Ansehen der Person, drückte achtlos das Geld in alle Hände, die sich ihm entgegenstreckten, oder schüttete es dort einer alten Frau in den Schoß - und dennoch, er machte einen Unterschied!

 

Ein alter, schmieriger Jude näherte sich ihm, von seiner hungernden Familie eine Jeremiade erzählend.

 

»Schmuhl, du hast mehr unter deinem Kaftan, als wir alle zusammen, oder ich will heute nacht nicht lebendig das amerikanische Festland erreichen!«

 

Der Jude machte, daß er verschwand.

 

Zuletzt nahm Salden noch einige junge, dürftig gekleidete Leute mit in seine Kabine und verteilte unter diese seine gesamte Garderobe. - -

 

Im Speisesalon fand die letzte Mahlzeit statt. Von dem Verkaufe seiner Schmucksachen war nichts bekannt geworden, wohl aber hatte sich schnell verbreitet, wie er im Zwischendeck viele tausend Dollar verteilt, wie er seine ganze Garderobe verschenkt hatte. Was sollte man davon denken? Salden saß mit an der Tafel, aber auch in der letzten Minute löste er nicht das Rätsel, das ihn umgab, war unnahbar wie immer.

 

Und der Schluß dieser Reise sollte erst den Anfang des allergrößten Rätsels bilden.

 

Auf dem einsamen Meere wurde es lebendig, überall tauchten Lichterchen auf, deren Zahl ständig zunahm. Man näherte sich der Küste, dem Hafen, wenn man auch noch immer einige Stunden davon entfernt war.

 

Es war eine warme Sommernacht, aber stockfinster.

 

Ungefähr eine Stunde vor Mitternacht war es, als sich vorsichtig, manchmal um sich spähend, ein Mann nach dem äußersten Hinterteile des Schiffes schlich, wo sich das Reserve-Steuerrad für die höchste Not befindet, gerade über der Schraube, welcher Teil des Schiffes für die Passagiere streng geschlossen ist.

 

Es war Salden. Dort, wo das von der Schraube aufgewühlte Kielwasser phosphoreszierend brandete, angelangt, blickte er nochmals um sich. Kein Matrose, kein Mensch war in der Nähe. Schnell zog er aus der Brust eine Brieftasche, entnahm ihr einige Papiere, zerriß diese und ließ die Stückchen über Bord flattern. Dann warf er die Ledertasche selbst ins Wasser.

 

»Vernichtet für immer ist mein Name,« murmelte er, »nun gilt es bloß noch meine eigene Persönlichkeit.«

 

Ehe er den Satz vollendet, hatte er die Hände auf die Bordwand gelegt und ...war mit einem Hechtsprung kopfüber in der Flut verschwunden!

 

Als er wieder auftauchte, war er außerhalb des Bereiches der gefährlichen Schraube, aber dort rauschte die >Persepolis< als ein feuriges Ungetüm mit Hunderten von glühenden Augen mit ungeschwächter Schnelligkeit davon, und kein Ruf >Mann über Bord!< war erschollen.

 

Und der Selbstmordkandidat befand sich in der heitersten Stimmung.

 

»Willkommen, mein liebes Meer!« erklang es jauchzend aus den schäumenden Wogen. »Kennst du mich noch? Bisher bin ich deinem unersättlichen Magen unverdaulich gewesen, denn schon dreimal verschlucktest du mich, und dreimal spiest du mich wieder aus. Hast du es diesmal anders mit mir vor? Nun, Meer, schlag zu; wir wollen sehen, wer stärker ist, ich oder du! Und wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben!«

 

Mit diesen Worten hatte er sich den Kragen abgeknöpft - also nicht abgerissen, wie es wohl jeder andere gemacht hätte, wenn er sich im Wasser dieses Kleidungsstückes entledigen wollte - sondern hatte ihn fein säuberlich abgeknöpft. Einstecken tat er ihn freilich nicht, sondern ließ ihn mit dem Schlipse schwimmen. Dann zog er den schwarzen Gehrock aus, hierauf kamen die Stiefeletten daran, und daß er dabei mit dem Kopfe unter das Wasser mußte, genierte ihn nicht im mindesten, wie man überhaupt auf den ersten Blick bemerkte, daß er ein gottbegnadeter Schwimmkünstler war, eine Seehundnatur. Als auch die Strümpfe von den Füßen waren, kamen die Hosen daran, dann die Unterwäsche, und das alles wurde so recht hübsch gemächlich ausgezogen, da wurde kein Band abgerissen, schließlich streifte er sich auch noch das Hemd über den Kopf, und nun, so wie ihn der liebe Gott erschaffen hatte, ging es mit mächtigen Stößen vorwärts, dorthin, wo in der Ferne die meisten Feuer leuchteten.

 

In den letzten Tagen war die See sehr aufgeregt gewesen, jetzt wieder geglättet, wenigstens hatte man von dem hohen Schiffe aus nur eine leicht gekräuselte Wasseroberfläche gesehen ... aber wenn man selbst im >leicht gekräuselten Ozean< liegt - ei die Dunnerwetter! würde da wohl mancher sagen - denn da geht's noch immer bergauf und talab, das Wasser schlägt dem ungeschickten Schwimmer noch oft genug über dem Kopfe zusammen.

 

So ward also auch Salden noch tüchtig vom Wellenschlag des Ozeans geschaukelt, aber er war eben ein ausgezeichneter Schwimmer, mit jedem Stoß legte er mindestens zwei Meter zurück, und dann ging es wieder einmal Hand über Hand.

 

Ein in weiter Entfernung vorüberstreichender Dampfer verkündete durch acht Glasenschläge die Mitternachtsstunde. Schon eine Stunde also schwamm Salden so kraftvoll, und da war noch keine Spur von Ermüdung zu merken.

 

Noch eine Stunde verging, aber dem Schwimmer nicht die Kraft. Jetzt hatte er sich ein bestimmteres Ziel gewählt. Das große Lichtermeer, dem er immer näher kam, ließ er links liegen und hielt auf einen kleineren Komplex von erleuchteten Fenstern zu, welche einsam aus der dunklen Nacht hervortraten.

 

»Die Insel Manhattan, auf welcher New-York liegt, ist es auf alle Fälle,« murmelte er, »und meiner Ansicht nach, welche bei einem neugeborenen Kinde freilich nicht viel gilt, ist das dort ein einsames Bade-Hotel, und wenn sich das neugeborene Kindlein nicht irrt, so sollte mich das sehr freuen, dann würde ich mich dort gleich in die Wiege legen, und bei dieser Geschichte bekommt man auch Appetit.«

 

Noch eine halbe Stunde, und er bekam bei einem Versuche, Grund zu finden, feinen Sand unter die Füße, er begann zu waten, und immer deutlicher konnte er jetzt die Umrisse eines großen Gebäudes mit einigen erleuchteten Fenstern erkennen.

 

Er hatte noch immer lange Zeit zu waten, der Badegrund stieg nur allmählich an. Als ihm das Wasser nur noch bis an die Knie ging, zuckte er plötzlich etwas zusammen, blieb stehen und hob den einen Fuß, um den Splitter daraus zu entfernen, den er sich eingetreten hatte.

 

»Eine Stecknadel! Wahrhaftig, eine Stecknadel! Der Himmel hat mir für meinen neuen Lebenslauf das erste Bekleidungsstück geschenkt!!«

 

Er behielt dieses erste >Bekleidungsstück< in der Hand und hatte nun bald den trockenen Strand erreicht. Auf diesem standen viele elegante Badehütten, er untersuchte einige Türen und fand sie alle fest verschlossen, aufbrechen tat er keine.

 

Da sah er im Dunkeln am Boden etwas Weißes leuchten, er hob es auf - ein Bogen Zeitungspapier.

 

»Aaagh, Adams Feigenblatt ist auch schon gefunden! Wenn der Himmel weiter mir so gnädig gesinnt ist, betrete ich dort das Hotel noch als tadellos gekleideter Gentleman. Ein Glück nur, daß ich die Stecknadel aufgehoben habe. Ich habe es ja immer gesagt: der Mensch soll sparsam sein, soll auch gar nichts fortwerfen, nicht einmal eine Stecknadel. Also machen wir Toilette.«

 

Sein Körper war bei dem langen Waten im seichten Wasser schon trocken geworden, so wickelte er sich den Bogen Papier um die Hüften und steckte die Ränder mit der Nadel fest.

 

So kostümiert, marschierte er direkt auf das hellerleuchtete, noch geöffnete Portal zu, in welchem er mehrere Personen unterscheiden konnte, und was er da sah, das genierte ihn alles nicht, das Portal zu betreten.

 

Es war richtig ein Hotel, ein Badehotel, welches nur in der Sommersaison ständige Gäste aufnimmt.

 

Jetzt, in der zweiten Nachtstunde, war schon alles ruhig. Aber das Dienstpersonal, weibliches und männliches, hatte doch noch bis jetzt zu tun gehabt, soeben gaben alle die, welche Schlüssel unter sich hatten, diese an der Portierloge ab.

 

»Good morning Ladies and Gentlemen.«

 

Einen Moment Todesstille, und dann ein furchtbares Kreischen, und verschwunden war plötzlich alles, was einen Weiberrock getragen hatte.

 

Steht da plötzlich mitten unter ihnen ein nackter Kerl! Ein Glück nur, daß die Stecknadel das bißchen Papier zusammenhielt.

 

Der Portier aber und die Kellner und die anderen dienstbaren Geister männlichen Geschlechts reckten den Hals immer weiter heraus und machten immer größere Augen.

 

»Was - ist - denn - das?!«

 

Der nackte Mann ließ sich nicht beirren, und jetzt war er ein total anderer als noch vor zwei Stunden an Bord der >Persepolis<.

 

Gravitätisch setzte er das eine nackte Bein vor, stemmte die eine Hand in die Hüfte, die andere streckte er aus, und so sagte er in schnarrendem Tone mit abgerissenen Worten:

 

»... ääääääähhhh ... ein Zimmer ... erste Etage ... vornheraus ... mit Salon ... mit Bad ...mit Wasserklosett ... mit musikalischem Wasserklosett ... wenn man sich draufsetzt, muß es den Priesterchor aus der Zauberflöte mit voller Posaunenbegleitung und Paukenschlag spielen ...«

 

So schnarrte der nackte Mann im affektiertesten Tone. Und was sagten der Portier, die Kellner und die anderen dazu?

 

So etwas, wie hier geschildert, und was dann noch weiter geschah, ist in keinem anderen Lande möglich als nur in Amerika - um einen modernen und äußerst zutreffenden Ausdruck zu gebrauchen: im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten.

 

In Deutschland und in jedem anderen Lande, England vielleicht nicht ausgeschlossen, wäre doch sofort die Polizei geholt und der nackte Eindringling, der sich so benahm, auf die Wache oder gleich ins Irrenhaus gebracht worden. Nicht so in Amerika.

 

Dazu aber müssen wir den nackten Mann erst einmal mit den Augen des Hotelpersonals betrachten.

 

Sie sahen eine schlanke Männergestalt, aber der Körper ausgebildet wie der eines Athleten, die kleinste Muskel trat wie gemeißelt hervor - und sie sahen die wohlgeformten Füße, ebenso mit peinlicher Sorgfalt gepflegt wie die schlanken Hände - und im Augenblick war ihnen alles klar; das war so ein Faxenmacher vom Athletic-Klub, dem vornehmsten Klub New-Yorks, dem lauter solche Dandies angehören, welche nicht wissen, wie sie Zeit und Geld totschlagen sollen, hier handelte es sich einfach um eine tolle Wette.

 

 

Also die dienstbaren Geister verbissen ihr aufsteigendes Lachen und waren wie die Ohrwürmchen um den sonderbaren Gast herum, denn da gab es natürlich dann, wenn es zur Auflösung kam, fürstliche Trinkgelder.

 

»Sehr wohl, mein Herr, ein Zimmer vornheraus. Wünschen der Herr vielleicht noch zu speisen?«

 

»Speisen, jawohl ... auf meinem Zimmer ... Weinkarte ... und eine Spielkarte ... ganz neu ... und ein Nachthemd ... braucht nicht ganz neu zu sein.«

 

»Sehr wohl, mein Herr.«

 

Gut, der späte Gast, dessen ganzes Gepäck in einer Stecknadel und in einem Zeitungsblatt bestand, ward in ein prachtvolles Schlafzimmer geführt, in dem nichts weiter fehlte als das Wasserklosett mit Musik. Zuerst brachte ihm der Kellner ein langes Nachthemd, Salden, wie wir ihn vorläufig noch nennen wollen, bestellte eine Flasche des teuersten Champagners, die Küche lieferte noch immer ein ausgewähltes Souper. Auf einem Teller lagen auch die gewünschten Spielkarten.

 

»Wünschen der Herr sonst noch etwas?«

 

»Nein, für jetzt nichts mehr. Morgen früh den New-Yorker Herald und andere Morgenzeitungen.«

 

»Sehr wohl, mein Herr.«

 

Der Kellner wünschte gute Nacht und ging, der Gast schloß sich ein, um die Mahlzeit im Nachthemd einzunehmen, und dann konnte der kuriose Kauz für sich allein auch noch eine Partie Karten spielen - oder für sein künftiges Schicksal sich die Karten legen.

 

Unterdessen wälzten sich unten die Kellner und Dienstmädchen vor Lachen. Besonders über das >musikalische Wasserklosett mit Posaunenbegleitung und Paukenschlag< konnten sie sich gar nicht wieder beruhigen. Wenn nur erst der helle Tag anbräche, daß man sehen konnte, wie sich das noch weiter entwickelte, was sich aus dem nackten Fremdling noch entpuppte. - -

 

Die Morgenzeitungen waren nach und nach gekommen, und da der rätselhafte Gast sie doch auf sein Zimmer bestellt hatte, durfte der Kellner es wagen, die Zeit des Wiedersehens abzukürzen, er klopfte an die Tür.

 

»Come in!«

 

Der Riegel konnte durch einen Mechanismus vom Bett aus zurückgeschoben werden, der Kellner trat ein.

 

Salden lag noch im Bett, die Schüsseln und die Flasche waren geleert, aber das Spiel Karten verschwunden.

 

»Hier sind die gewünschten Morgenzeitungen.«

 

»Geben Sie her!«

 

»Befehlen der Herr das Frühstück?«

 

»Jawohl, das Frühstück. Es darf etwas ausgiebig sein. Und Seife und Kamm usw.«

 

Der Kellner brachte mit mehreren Gängen alles Verlangte. Salden las im Bett die Zeitungen.

 

»Halt,« kommandierte er, als sich der Kellner wieder entfernen wollte, »wem gehört dieses Hotel?«

 

»Mr. Ephram.«

 

»Ist er anwesend? Ist er zu sprechen?«

 

»Während der Saison ist Mr. Ephram immer anwesend. In einer Stunde wird er zu sprechen sein.«

 

»Gut, ich möchte ihn dann sprechen. - Halt! Kennen Sie die dem Meere entstiegene, schaumgeborne Venus, auch Aphrodite genannt?«

 

Der Kellner machte ein sehr dummes Gesicht.

 

»Nein, diese Dame ist mir leider unbekannt.«

 

»Schade. Die bin ich auch nicht - aber ihr Bruder. Rufen Sie den Hotelier, ich muß ihn sprechen, ehe ich hier noch mehr Schulden mache.«

 

Als sich der Kellner entfernte, war ihm etwas unwirsch im Kopfe. Wenn er den Herrn sonst auch gar nicht verstanden hatte, so summte ihm doch immer das fatale Wort >Schulden< in den Ohren.

 

Der Hotelbesitzer kam. Er hatte schon von seinen Leuten alles erfahren, es hatte ihn sehr amüsiert, schließlich war er doch auch ein Mensch, freilich mehr noch Geschäftsmann.

 

Salden hatte das Bett verlassen und sich gewaschen, sonst aber empfing er den Hotelier natürlich im Nachthemd.

 

»Sie wünschten mich zu sprechen, mein Herr? Ich bin der Besitzer dieses Hotels. Ephram ist mein Name.«

 

Das Nachthemd machte eine tadellose Verbeugung.

 

»Sehr angenehm. Nobody ist mein Name.«

 

Auch den Hotelbesitzer befiel plötzlich eine unangenehme Empfindung. Jetzt hätte der vornehme Faxenmacher wenigstens seinen Namen nennen müssen. Denn >Nobody< heißt auf deutsch >Niemand<. Das war also der Herr Niemand. Nun gibt es im Englischen allerdings diesen Namen, auch im Deutschen, aber ... die ganze Geschichte gewann jetzt doch den Anschein, als habe man es mit einem Individuum zu tun, das seinen Namen nicht nennen wolle.

 

Und das sagte der vormalige Salden dem Hotelier denn auch gleich offen heraus, immer höflich, aber auch etwas von oben herab, und den Mann dabei immer fest anblickend.

 

»Sie werden erfahren haben, unter welchen außergewöhnlichen Umständen ich diese Nacht Ihr Hotel betreten habe. Ich schulde Ihnen ein Zimmer, ein Souper, ein Flasche Champagner und noch mehreres andere. Ehe ich noch weitere Schulden mache, teile ich Ihnen mit, daß ich keinen Cent besitze, vollständig mittellos bin, und bitte Sie dennoch, mich nicht für einen Hochstapler oder Zechpreller halten zu wollen.«

 

Wohl stutzte der Wirt noch mehr als zuvor, aber war dies die Sprache und das Benehmen eines Hochstaplers?

 

Und dann diese merkwürdigen Augen, sie schlugen den Hotelier wie in einen Bann.

 

»Ja, wer sind Sie da aber, mein Herr? Wo haben Sie Ihre Kleider gelassen? Wie sind Sie überhaupt in solch eine Lage gekommen?«

 

Mr. Nobody, wie er sich jetzt nannte, nahm vom Tisch den >New-Yorker Herald< und hielt ihn dem Hotelier entgegen, auf eine bestimmte Stelle deutend.

 

»Haben Sie diesen heutigen Artikel schon gelesen?«

 

Ein mysteriöser Vorfall an Bord des Schnelldampfers >Persepolis<.