Der Feenbriefkasten

Eigentlich lebt die kleine Fee Rosalie mit ihrer Mutter und ihrem Trollvater auf der Mooslichtung. Seit Kurzem jedoch geht sie in die Blütenwaldschule, wo den Feenkindern Zauberkunde, gutes Benehmen und die Feenregeln beigebracht werden. Das Allerwichtigste: Die kleinen Feen lernen, wie man den Feenbriefkasten leert. Dort hinterlassen Menschenkinder wie du ihre Wunschbotschaften. Möglicherweise hast du dir auch schon gewünscht, einer Fee zu begegnen? Einer echten Wunschfee, der du deine geheimsten Sehnsüchte mitteilen darfst?

Dann bist du hier genau richtig. In diesem Buch werden Wünsche wahr. Vielleicht ist es heute noch nicht dein Wunsch, aber das kann morgen schon ganz anders aussehen.

Gerade ist Rosalie zusammen mit ihrer Freundin Nikki zu Besuch auf der Mooslichtung. Komm, lass uns sehen, wie es den beiden Feenmädchen geht.

Tritt ein in die Welt der kleinen Wunschfee Rosalie und ihrer Freunde.

Zu Besuch auf der Mooslichtung

Hell und warm blinzelte die Sonne in Rosalies Zimmer. Ein Lichtstrahl fiel genau auf das Gesicht der kleinen Blumenfee. Rosalie erwachte und rieb sich erstaunt die Augen.

»Oje! Nikki!« Sie rüttelte die Freundin an der Schulter. »Wir haben verschlafen. Jokkel wartet auf uns.«

»Jokkel?« Nikki, die kleine Nebelfee, rümpfte die Nase. »Kenne ich nicht.« Mit lautem Gähnen drehte sie sich auf die Seite und presste sich ein Kissen auf das Ohr.

Rosalie kicherte. »Alte Schnarchnase. Na warte!«

Die kleine Fee wisperte ihrer Glockenblume, die auf dem Nachttisch stand, etwas zu. Sekunden später erklangen acht laute, helle Töne.

Kling, klong. Kling, klang. Kling, klong. Kling, klang!

Schlagartig war Nikki wach.

»Aufstehen, der Wecker hat geklingelt!«, rief Rosalie.

»Das war gemein«, brummte Nikki. »Eigentlich hatten wir der Blume das Klingeln verboten. Damit wir ausschlafen können.«

»Aber doch nicht so lange«, protestierte Rosalie. »Jokkel ist mit seinen haarigen Füßen bestimmt schon auf der Mooslichtung festgewachsen. Beeil dich, Nikki Pennbacke!«

Lächelnd beobachtete Rosalie, wie sich ihre beste Freundin aus der warmen Decke schälte. Sie wusste, dass Nikki frühes Aufstehen überhaupt nicht leiden konnte.

»Bin gleich fertig«, murmelte Nikki. »Für Jokkel mache ich ausnahmsweise mal feenfix!«

Rosalie nickte zufrieden. Auf keinen Fall wollte sie Jokkel warten lassen! Der mutige Trolljunge hatte Nikki und sie vor einigen Tagen gerettet, als eine wilde Koboldbande sie gefangen hatte. Wie ein Wirbelwind hatte Jokkel sie befreit. Warzenknarz, der Anführer der Kobolde, war von der Aktion des kleinen Trolls völlig überrascht gewesen. Jokkel war wirklich ein toller Freund!

Ungeduldig warf Rosalie ihrer Freundin ein Kleid zu. »Hier, beeil dich. Und lass Schuhe und Strümpfe weg.«

Nikki sah sie fragend an. Aber Rosalie tat so, als hätte sie es nicht bemerkt. Stattdessen packte sie Nikki an der Hand und schob sie zur Haustür hinaus.

»Raus mit dir. Frühstück gibt es später!«

»He!« Zunächst wollte Nikki protestieren, aber kaum war sie im Freien, blieb sie staunend stehen. »Oh, wie schön!«

Rosalie nickte. Schweigend beobachteten beide, wie die Sonne ihre langen Strahlen auf die Lichtung schickte. Während der Morgendämmerung hatten die Bäume das Licht noch mit ihren Ästen abgewehrt, doch nun brach die Helligkeit an allen Stellen hindurch. Feenstaubschön! Das Moos schimmerte, als hätte jemand Hunderte von kleinen Glitzersteinchen darauf verteilt. Ab und zu blitzten hauchfeine Netze auf, die fleißige Spinnen gestrickt hatten. Die ganze Lichtung glänzte und glitzerte.

»Komm!« Rosalie zog Nikki mit sich.

Unter einer Eiche stand Jokkel. Lässig lehnte er am Stamm und kaute an einem Grashalm. »Ich hab schon gedacht, ihr kommt erst, wenn alles vorbei ist.«

Nikki kniff die Augen zusammen. »Wenn alles vorbei ist?«

»Jokkel hat sich Sorgen gemacht, dass wir es verpassen, wenn das Licht unsere Mooslichtung küsst«, erklärte Rosalie ihrer Freundin. Dann wandte sie sich an Jokkel. »Dabei weißt du doch, dass ich fast nie zu spät komme, du alter Kobold. Vor allem nicht zum Taulaufen! Los geht es!«

Wie ein kleiner Grashüpfer sprang Rosalie über die Wiese. Kühle Wassertröpfchen hingen zwischen den Halmen und kitzelten sie an den nackten Füßen. Rosalie kicherte.

»Fangt mich!«, rief sie ausgelassen.

Der feuchte Boden gab schmatzende Geräusche von sich, als Nikki und Jokkel von rechts nach links und wieder von links nach rechts sausten, um die kleine Blumenfee zu fangen. Vergnügt begann Rosalie zu singen:

»Tautropfen mag ich sehr,

Sonnenschein mag ich noch mehr.

Und ganz besonders liebe ich …«

»Mich?«, hörte Rosalie da die glockenhelle Stimme ihrer Mutter.

Statt einer Antwort flog Rosalie in ihre Arme.

Ihre Mutter wirbelte sie einmal im Kreis. In Rosalies Bauch kribbelte es. Es war so schön, zu Hause zu sein. Tief sog sie die Luft ein. Sie war kühl wie Limonade. Der Boden roch nach Wiese und Moos. Und aus der Ferne waberte der Geruch von Blütennektar und frisch gebackenem Honigkuchen durch die Luft.

»Hm, wie das duftet! Bei uns zu Hause gibt es immer nur Graubrot und Nebelsuppe.« Nikki seufzte. »Kuchen ist bei so vielen Kindern zu teuer, sagt Mama.«

Rosalie sah die Freundin mitfühlend an. Nikki hatte fünf Schwestern. Das war bestimmt schön, weil immer was los war, andererseits musste Nikki aber auch alles teilen.

Rosalies Mutter lächelte. »Wenn du magst, darfst du heute gleich zwei oder drei Stücke essen, Nikki.«

»Und ich? Bekomme ich auch zwei oder drei Stücke?«, wollte Jokkel wissen.

»Feenhaargenau!«, rief Rosalie.

Gute und weniger gute Freunde

Eilig flogen Rosalie, Nikki und Rosalies Mutter zum Haus, Jokkel sauste hinterher.

Auf der Terrasse hatte Rosalies Vater schon den Tisch gedeckt.

»Tatarata!«, rief er mit seiner brunnentiefen Stimme. »Frühstück ist fertig.«

Schwungvoll ließ Rosalie sich auf einen der Stühle plumpsen, schnappte sich ihren Becher mit Blütennektar und trank gierig einen Schluck.

Klatsch! Watsch!

Ein paar große Tropfen landeten auf ihrem Kleid.

Rosalies Mutter seufzte, doch die kleine Blumenfee verkündete ungerührt: »Ich habe einen Bärenhunger!«, und schob sich ein großes Stück Kuchen in den Mund. »Schade, dasch unschere Tscheit hier gleisch wieder vorbei isch«, nuschelte sie mit vollen Backen.

»Rosalie!« Ihr Vater hob die dichten Brauen. »Was ist denn das für ein Benehmen?«

»’tschuldigung.« Rosalie klimperte mit ihren feenhauchdünnen Wimpern, und alle lachten.

Fröhlich schmausten und tranken und plauderten sie. Es dauerte nicht lange, da war der Kuchen aufgegessen, und auch der Krug mit Nektar war leer.

»Alte Trollblume. Seht mal!« Jokkel deutete auf die Mooslichtung.

Sofort erkannte Rosalie die Kutsche der Blütenwaldschule, die von einem Einhorn gezogen wurde.

»Schnell, Nikki, wir müssen unsere Koffer holen«, rief sie, als sie den strubbeligen Haarschopf der kleinen rundlichen Werkelfee erkannte, die auf dem Kutschbock saß.

»Soll ich dir helfen?«, fragte ihr Vater, doch Rosalie schüttelte nur den Kopf und stürmte ins Haus. Während sie ihren Koffer durch den Flur schleppte, hörte sie draußen die Stimme von Elvira.

»Ho, ho, ho. Bleib stehen, Hörnchen! Guten Morgen, da bin ich wieder!«, rief die Werkelfee. »Wo sind denn meine Mädchen? Der Unterricht fängt bald an.«

»Hier sind wir!« Rosalie hüpfte mit einem Satz aus dem Haus – und stolperte prompt über eine Wurzel. Dabei fiel ihr der Koffer aus der Hand und landete mitten auf ihrem großen Zeh.

»Aua!« Rosalie rieb sich den schmerzenden Fuß.

Hinter ihr stand ihr Vater, mit Nikkis Koffer in der Hand.

Rosalies Mutter strubbelte ihrer Tochter zärtlich durchs Haar. »Lass dir noch einen Rat von mir mit auf den Weg geben, mein kleiner Schatz. Es ist kein Fehler, um Hilfe zu bitten, wenn man sie braucht. Das macht das Leben so viel einfacher!«

Rosalie blickte beschämt zu Boden, während Elvira schwungvoll Nikkis Koffer verstaute.

»Ich werde dran denken, Mama, ganz bestimmt.« Dann küsste und drückte Rosalie ihre Eltern und knuffte Jokkel zum Abschied in die Schulter.