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Hans-Ulrich Rohrbach

Zuflucht

Eine Momentaufnahme

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Inhalt

Vorwort

Hätten Sie’s gewusst? Fakten, die auch die Schweiz betreffen

Wir leben in einer absurden Welt und ernten was wir gesät haben

Ist das Boot wirklich voll?

Haben wir überhaupt eine Chance etwas zu verändern?

Das Asylwesen in der Schweiz

Das Modell Eschenbach oder eine Gemeinde auf dem Prüfstand

Dream-Teams gibt es auf der ganzen Welt

Und dann wäre da noch die Bibel

Was heisst das für unser tägliches Leben

Die fünf goldenen Lebensregeln

ANHANG 1: Der Integrationskurs von Eschenbach

ANHANG 2: Die Hausregeln

VORWORT

«ICH KANN DAS THEMA NICHT MEHR HÖREN»

Nicht wenige meiner Bekannten und Freunden haben die täglichen Berichte und Wiederholungen im Fernsehen schlicht satt: «Ich kann es nicht mehr hören oder sehen, es macht mich krank». Als ich mich für einen Vortrag über Flüchtlingspolitik und Freiwilligenhilfe vorbereitete und die Einladungen an die Gäste verschickt waren, erhielt ich mehrere Reaktionen, Briefe und Anrufe. «Ich werde nicht kommen, das regt mich zu sehr auf» oder «erzähle uns nichts, was wir nicht schon wissen oder gehört haben». Genau die Art von Motivation, die ich brauchte, um mich richtig in das Thema zu vertiefen.

Nun, es kann in der Tat krankmachen, dieses ständige, sich stets wiederholende Drama am Radio und Fernsehen, aber was mich persönlich noch mehr besorgt, ist die Tatsache, dass es immer mehr Menschen christlicher Prägung gibt, die zu diesem Thema nichts mehr zu sagen haben und sich abwenden.

DIE BIBEL ALS FLUCHTGESCHICHTE

Es gibt in der Bibel insgesamt 62 Stellen, in welchen das Wort «Zuflucht» erwähnt wird. Als Beispiel sei hier der 18. Psalm, Vers 3 angeführt: «Der Herr ist mein Fels, meine Burg und mein Retter, mein Gott ist meine ZUFLUCHT, bei dem ich Schutz suche».

Meine persönliche Konsequenz aus diesen Sätzen aus dem Alten Testament ist die direkte Verbindung zum neuen Testament und die schlichte, wohl wichtigste Aussage von Jesus: «Was Ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, habt Ihr mir getan».

ES WAR EIN ZUFALL

Seit ein paar Jahren fahre ich als Senior regelmässig mit dem kleinen Kirchenbus am Sonntag Besucher aus den Nachbargemeinden in die Kirche im Hauptort. Auch war ich während zwei Jahren Mitglied der Marketingkommission für das neue Generationenhaus, das in unserer Gemeinde gebaut wurde. Man kannte mich also als freiwilligen Helfer, aber mit Flüchtlingen hatte ich nichts am Hut. Meine Frau hingegen ist seit mehreren Jahren Deutschlehrerin im Asylheim unserer Gemeinde und verbrachte so alle zwei Wochen zwei bis drei Stunden mit den Asylsuchenden. Als nun der Kanton beschloss, in unserer Gemeinde die unterirdische Zivilschutzanlage, welche normalerweise als Camp für Rekruten und Soldaten während den Wiederholungskursen benützt wird, als temporäres Lager für 100 Flüchtlinge einzurichten, wurde sie vom Leiter der Anlage, ein ehemaliger Wirt, gebeten, sich Gedanken zu machen, wie man die Menschen dort beschäftigen könnte, z.B. mit Deutsch-Unterricht etc.

Sie organisierte 10 Bekannte und Freunde als Helfer und erstellte einen Zeitplan. Ich wurde gebeten, den Inhalt solcher Kurse mit entsprechendem Material und einer Power-Point-Präsentation zu gestalten. Und so entstand innert vier Tagen ein komplettes, täglich stattfindendes Programm mit Deutsch- und Integrationskursen am Morgen und aktiven Bastel-, Spazier-, Sport-, Bauernhofbesuchen etc. an den Nachmittagen. Während vier Monaten wurden die Asylsuchenden, nach ethnischen Gruppen eingeteilt, in englischer Sprache unterrichtet und betreut. Englisch deshalb, weil sich in jeder Gruppe jemand fand, der Englisch sprach und übersetzen konnte.

DAS BESTE PRAKTIKUM

Was daraus in der Gemeinde entstand, ist ein Wunder. Wir sind mit knapp 9'000 Einwohnern keine grosse Stadt, haben zum jetzigen Zeitpunkt «nur» 70 Asylsuchende, aber bis Ende dieses Jahres werden es mit Sicherheit mehr als 100 Menschen sein, die bei uns landen. Und diese zu betreuen, ist immer eine Aufgabe.

Nach der Auflösung des temporären Lagers wurden wir immer öfter gebeten, die gemachten Erfahrungen an andere Gemeinden weiterzugeben. Die Kirchen, Institutionen und Vereine fingen an, sich für unsere Aktivitäten zu interessieren. Der daraus entstandene Vortrag war die Grundlage für diesen Erfahrungsbericht.

Das Freiwilligenkonzept entstand gemeinsam mit dem Gemeindepräsidenten und dem evangelischen Diakon der Kirchgemeinde. Die Bereitschaft, einen Teil der Verantwortung der Betreuung sogenannten «nicht Studierten, nicht ausgebildeten und gelernten Amateuren» zu übergeben, war letztlich der Schlüssel für den Erfolg. Eine klare Struktur, ein Ausbildungsprogramm, ein Regelwerk für alle und vor allem die Bereitschaft, gemeinsam die Aufgaben zu bewältigen, haben dafür gesorgt, dass die Helfer in ihren «Dream Teams», so nennen wir die Aktivitäten der freiwilligen Helfer, motiviert und voller Energie bleiben und diesen Geist an die Asylsuchenden übertragen. Selbstverständlich sind wir nicht ein «Best of Camp», auch bei uns gibt es Menschen, die Probleme haben und machen, aber diese Probleme werden dank der guten Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Helfer in der Regel schnell und unbürokratisch gelöst.

Die in der Folge angegebenen Zahlen sind Momentaufnahmen und mögen nicht immer aktuell sein. Da wo möglich, sind Hinweise auf die Jahre vorhanden.

HÄTTEN SIE’S GEWUSST?

Fakten, die auch die Schweiz betreffen

Immer wieder kursieren die wildesten Zahlen und Horrorgeschichten um die Flüchtlinge. Und die Angst vor Überbevölkerung in einem kleinen Land ist beinahe tägliches Stammtischgespräch. Deshalb zuerst einmal einige Fakten, die in einem kleinen Quiz zu einem realen Überblick helfen.

WIE VIELE FLÜCHTLINGE GIBT ES AKTUELL WELTWEIT?

(Wir sind im Jahr 2016)

Vierzig, fünfzig, sechzig oder siebzig Millionen?

In den zum Teil fast unfassbaren Diskussionen in unserem Land, aber auch in den zahlreichen Fernsehsendungen in Europa, möchten uns immer wieder Politiker und andere sogenannte Spezialisten klarmachen, dass wir, sinnbildlich gesprochen, in einem fast oder ganz vollen Boot sitzen. Wahr ist, dass weltweit ca. 70 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Davon bleiben 2/3 aller Flüchtlinge im eigenen Land und versuchen, in einer anderen Gegend ihres Landes Frieden zu finden.

WIE VIELE FLÜCHTLINGE SIND NACH EUROPA GEFLÜCHTET?

Achthunderttausend, eine Million, anderthalb Millionen oder gar zwei Millionen?

Es waren bis Ende 2015 wahrscheinlich knapp zwei Millionen. Pro tausend Einwohner macht das in ganz Europa einen Durchschnitt von 2,7 Flüchtlingen. In der Schweiz sind es 4,7 Menschen, in Deutschland, Ungarn und Schweden fast 11 Menschen, aber in den anderen, vor allem osteuropäischen Ländern werden gerade mal 0,5 bis 1,5 Flüchtlinge pro tausend Einwohner gezählt. Das Hochkommissariat der UNO für Flüchtlingsfragen, die UNHCR, geht davon aus, dass Europa in den nächsten zwei Jahren noch einmal weitere ca. zwei Millionen Menschen aufnehmen muss.

WOHIN WÜRDEN SIE FLÜCHTEN?

Nach Australien, Deutschland oder einfach in einen anderen Kanton?

Stellen Sie sich vor, die IS ist in unserem Land und die Terroristen verbreiten Angst und Schrecken in unserer Region: Attentate, Plünderungen, Ihr Haus wird abgebrannt. Die Behörden machen nichts! Wohin fliehen Sie?

Weltweit sind 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Ca. 45 Millionen sind sogenannte Binnenflüchtlinge, die im eigenen Land auf der Flucht sind. Etwa 23 Millionen Flüchtlinge haben ihr Heimatland verlassen, davon sind knapp 2 Millionen nach Europa geflüchtet.

Ein Beispiel:

In Syrien gab und gibt es auch heute noch einige wenige ruhige und friedliche Orte.

Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, kommen nicht von dort und sind mehrheitlich einfach schlicht verjagt worden. Wer von Ihnen ist im Bauwesen tätig? Stellen Sie sich bitte nun vor, eine Bombe schlägt in Ihr Lager und Bürogebäude ein und wenige Tage später ist die IS Armee im Anmarsch. So geschehen einem Baumeister, der Privat- und Wohnhäuser baute. Die Familie nehmen, Frau und drei Kinder, ein paar Kleider, Bargeld und dann die grosse Flucht bis zu uns. Wo wären Sie hingegangen?

Von den insgesamt 11 Millionen Flüchtlingen in Syrien sind ca. 8 Millionen im eigenen Land auf der Flucht.

WIE ALT SIND DIE FLÜCHTLINGE?

Mehr als 50% aller Flüchtlinge sind minderjährig, das heisst unter 18 Jahren. In diesen Zahlen sind die Kinder von geflüchteten Familien inbegriffen. Das jüngste Kind, das allein in die Schweiz flüchtete in den letzten Monaten war 6 Jahre alt und wurde von ihrem Bruder, der 12- jährig ist, begleitet. Knapp weniger als 50% sind zwischen 18 und 59 Jahre alt. Menschen, die älter sind als 60, flüchten selten.

WIR LEBEN IN EINER ABSURDEN WELT UND ERNTEN WAS WIR GESÄT HABEN

Es gibt viele Beispiele, die zeigen, wie absurd unsere Welt geworden ist und wie unglaublich die Aktivitäten des letzten Jahrhunderts unsere jüngere Geschichte und unsere Situation heute beeinflussten.

Wir baden letztlich das aus, was uns die letzten fünfzig Jahre eingebrockt haben!

Beispiel 1 Das Multikulti-Syrien:

In Syrien tobt der Krieg, zuerst gegen Assad und dann gegen die IS seit fünf Jahren.

In diesem Land sind heute ca. 11 Millionen Menschen auf der Flucht, davon die Hälfte Kinder. Ca. 8 Millionen flüchten innerhalb des Landes.

Syrien galt als ein Land, in welchem die Christen sich sicher fühlen konnten, denn Präsident Assad, der Diktator, hat in seiner Grundverfassung Religionsfreiheit verankert. So haben seit dem Staatsstreich 1963 durch die Baathpartei Muslime, Christen, Jesiden, Drusen und Juden friedlich nebeneinander gelebt. Einer der Mitbegründer der Baathpartei von Assad war Christ.

Bis zum 7. Jahrhundert war Syrien übrigens ein christliches Abendland. Dann wurde es muslimisch. Die Mehrheit der Bevölkerung ist sunnitisch, aber die Regierung wird durch die alawitische Minderheit Baath gestellt. Es darf auch nicht verwundern, dass Russland seit langem ein enges Verhältnis zu Syrien hatte und immer noch hat. Assad und seine Baathregierung sind seit jeher marxistisch sozialistisch eingestellt.

Beispiel 2 Das christliche Syrien:

In Syrien lebten vor fünf Jahren noch ca. 1,8 Millionen Christen in Frieden.

Heute leben in diesem Land noch ca. 500’000 Christen.

Die fast völlig zerstörte Stadt Aleppo zeigt, was in diesen fünf Jahren seit dem Bürgerkrieg entstanden ist.

Vor dem Krieg lebten dort ca. 160’000 Christen, heute sind es noch knapp 40'000.

Der katholische Bischof Antoine Audo, der heute noch in Aleppo lebt, ist überzeugt:

Unter Assad haben die Christen immer Ruhe gehabt und wurden akzeptiert. Nicht Assad, sondern der IS ist der Feind der Christen, deshalb muss Assad geschützt werden.

Dass es in erster Linie die wohlhabenden Christen sind und nicht die armen unter ihnen, merkt man auch am relativ grossen Geldfluss unter den Syrern. Auch ist der Bildungsstatus allgemein der höchste unter den Flüchtlingen. Die armen und älteren Menschen müssen zuhause bleiben und die Qualen eines schrecklichen Krieges erdulden.

Die Aussage des katholischen Bischofs Antoine Auda unterstreicht die geschichtliche und politische Situation in diesem Land. Leider darf nicht unterschlagen werden, dass die Bomben von Präsident Assad in Aleppo und anderswo im Land zahlreiche Kinder und Familien tötet. Egal, was in Zukunft passieren wird, für viele wird es die falsche Entscheidung sein.

Beispiel 3 Die Revolution in Syrien:

Wissen Sie überhaupt, wie dieser Bürgerkrieg entbrannt ist?

Es ist eine weitere, letztlich völlig absurde Geschichte und einer der vielen ganz kleinen Puzzlesteine, der die allgemeine Unzufriedenheit explodieren liess und das Fass zum Überlaufen brachte.