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Über dieses Buch:

Zur Karnevalszeit befindet sich Nizza im Ausnahmezustand: bunte Paraden, Konfetti, Touristenmassen – und mittendrin ein brutaler Mord. Model Zoe wird tot aufgefunden. Gemeinsam mit seinem Partner wider Willen Damien Pomelli nimmt Kommissar Vidal die Ermittlungen auf und lernt den Karneval von seiner düsteren Seite kennen: Neid, Drogen, Bestechung – und mittendrin unschuldige Mädchen, die in ihrer blinden Erfolgssucht alles mit sich machen lassen. Schnell finden Pomelli und Vidal heraus, dass es hinter der glitzernden Maske des Karnevals zahlreiche schmutzige Geschäfte gibt – wie schmutzig erfahren sie aber erst, als es fast zu spät ist.

Über die Autorin:

Michelle Cordier, geboren 1962, arbeitete viele Jahre als Sekretärin, bevor sie das Geschichten erfinden und Schreiben für sich entdeckte. Von vielen Genres begeistert, veröffentlicht sie inzwischen unter verschiedenen Pseudonymen Krimis und historische Romane.

Michelle Cordier veröffentlichte bei dotbooks bereits den Roman »Die Schatten von Nizza. Ein Fall für Pomelli und Vidal«.

Die Website der Autorin: www.michelle-cordier.de

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eBook-Neuausgabe August 2018

Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel Mord hinter Masken bei dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Philipp Bobrowski

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/LiliGraphie

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 978-3-95824-767-3

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Michelle Cordier

Mord an der Côte d’Azur

Ein Fall für Pomelli und Vidal

dotbooks.

Prolog

Sie wartete immer noch darauf, dass es ihr – wie versprochen – Spaß machen würde. Dass es einen Mehrwert gäbe, mehr als das Geld, das sie entgegengenommen hatte. Getuschel und Gespräche vereinigten sich zu einem Summen, wie man es aus Bienenstöcken hörte.

Es roch jedoch nicht nach Nektar, sondern es stank geradezu ekelerregend nach Deo und Haarspray. Überall hingen Scheinwerfer, unheilschwanger, wie dicke Drohnen. Sogar in der provisorischen Garderobe, die das in Nizza führende Modehaus »Monique« eingerichtet hatte. Heute fand die Präsentation der Abendmode statt, die zwei heimische Designer, natürlich auf dem Weg zum internationalen Ruhm, entworfen hatten.

Ihr war es egal, für wen sie lief. Bunte Blütentupfen überall, in Seide, Brokat, Crêpe-Satin, Chiffon, Tüll-Spitze. Und die fleißigen Bienen: Näherinnen, Gehilfinnen, Models, Visagisten, Friseure.

Ihre Haare waren bereits fertig, über eine Stunde hatte es gedauert, und ihr Hintern tat weh vom Sitzen auf dem harten Stuhl. Um ihre Unruhe zu verbergen, ging sie auf und ab, passierte die langen Roben, die Federhüte, den unförmigen Schmuck. Der Stoff des Kleides, das auf der Stange vor ihr hing, interessierte sie. Vorsichtig glitten ihre Finger über die hauchdünne Seide, doch da kreischte die junge Frau neben ihr auf: »Lass das, das ist nur gesteckt.«

»Ja, weil du zu dünn bist«, gab sie zurück.

Psychedelische Musik übertönte ihre Stimmen.

»Guck dich doch selbst an, blöde Kuh!«

»Silence, les filles!« Die Leiterin der Abteilung Abendmode, Madame Solange, schwebte herbei. Die Brille, die sie trug, war mit einer goldenen Kette gesichert. »Ah, da ist ja Lola, nicht wahr?«

Sie nickte. »Ja, Kleid Nummer 8, 17 und 27.«

Ein prüfender Blick, ihre Aufmachung wurde wohl als akzeptabel eingestuft. »Unsere Näherin Nathalie wird dir gleich helfen. Schnell jetzt. Sind die ersten Mädels fertig?« Und schon war Madame Solange wieder am anderen Ende der Garderobe, wo hastig letzte Hand angelegt wurde.

In der ihr zugeteilten Ecke hing Nummer 8, ein langes, schmales Kleid in einem Violett, das ihr gar nicht gefiel. Sie zwängte sich hinein, versuchte, den Reißverschluss bis in den Nacken zu ziehen. Ob alles klappen würde? Durch einen Schlitz in einem der drapierten Vorhänge, die den Laufsteg von der Garderobe trennten, konnte sie die hereinströmenden Besucher sehen. Nur ausgewählte Kundschaft, es gab noch einen Empfang mit Champagner und Kaviar. Das Übliche für diese Menschen, die ohne weiteres 10.000 Euro für ein Abendkleid ausgaben.

»Lola?«

Sie zuckte zurück.

Das musste Nathalie sein, eine kleine, mollige Person mit einem Kirschmund. Sie sah nett aus. »Komm, der Reißverschluss. Sitzt das Haar? Soll ich noch mal drübergehen?«

»Nein, geht schon.«

Nathalies Griff in die Nähte, ein Ruck – und schon saß die Robe wie angegossen.

Ihr wurde bewusst, dass nicht sie das Kleid zum Leben erweckte, sondern diejenigen, die ihre Seele hineingesteckt hatten und jeden Stich, jeden Knopf kannten.

»Nun mach schon, du bist gleich dran.« Nathalie schob sie in die Schlange der wartenden Mädchen.

Beinahe wäre sie umgeknickt und hätte das Model vor ihr umgerissen. Das passierte einem Profi nicht, verdammt!

Nummer 7 stand im Gegensatz zu ihr wie angewurzelt auf ihren High Heels und sah sie mürrisch an. »Hast du was genommen, oder warum stolperst du so herum?«

»Pardon«, murmelte sie. Konzentration, tief einatmen.

Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Ein Meter achtzig pures Lampenfieber. Doch jetzt – Madame Solange winkte. Sie setzte einen Fuß vor den anderen, kam hinter der Trennwand hervor, auf der die Logos der Sponsoren prangten. Sie ging einige Schritte, nun lag der Catwalk in gleißendem Licht vor ihr. Die Zuschauer waren kaum zu sehen. Erst, als sie die Hälfte des Laufstegs beschritten hatte, konnte sie hier und dort Gesichter erkennen. Einen Mann im mittleren Alter, dicke Hornbrille, eine Frau mit grauen Haaren, das Collier um den faltigen Hals. Langsamer, nicht auf Nummer 7 auflaufen – was trödelte diese Ziege so? Wohin mit den Händen? Immer schön nah am Körper, nur etwas schwingen. Nicht zu sehr die Hüften, nein, nicht mit dem Arsch wackeln, das kam von allein. Stehen bleiben, die Hälfte war geschafft. Und jetzt die Drehung. Fast perfekt, nur eine kleine Unsicherheit. Ein Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht eingraviert hatte, Schritte, die so leicht aussahen und doch so schwer waren. Der Vorhang näherte sich, war endlich erreicht, sie konnte abtreten.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und nun ärgerte sie sich, dass sie ihr Deo nicht dabei hatte. Nathalie nahm sie in Empfang.

»Hast du Eau de Toilette für mich?«

»Nur die Ruhe.« Nathalie schälte sie aus dem Kleid, hielt ihr dann einen Flakon entgegen. Die kühle Nässe unter den Achseln tat gut. Nur noch zwei Kleider, es war ja nur ein kleiner Job. Sie würde es schaffen.

Nummer 17 war dunkelrot, schwerer Samt, der sich an ihre Schenkel schmiegte. Andere Schuhe, schnell jetzt. Und wieder zur Aufstellwand. Madame Solange starrte sie durch ihre Brille an wie eine Schlange. Die Köpfe verschwammen zu einer braunen Masse. Mann mit Hornbrille, Frau mit Collier. Die Musik hatte gewechselt, die Bässe hämmerten auf sie ein.

Die kleine Pause bis zum letzten Kleid genoss sie kaum, sie hasste das verdammte Lampenfieber. Sie saß auf einem Hocker und sah ihren Kolleginnen zu, ohne etwas wahrzunehmen. Die Musik, die bunten Farben, die Gerüche und zischenden Stimmen, alles strömte als hektische Lawine auf sie zu.

Nathalie kam zurück und hielt das Kleid in der Hand: Nummer 27, beige, Satin, tiefer Ausschnitt. Sie hatte keinen Blick mehr für das Design, es war ihr scheißegal, sie hätte auch Säcke angezogen.

Nathalie fummelte an ihrem Dekolleté herum. »Du hast ja ein Tattoo!«

»Ja und? Ist doch überschminkt.« Sie hatte kaum Luft, um zu sprechen, ihr Körper war immer noch verspannt.

»Ich meine ja nur.«

Als sie auf dem Stuhl vor dem erleuchteten Spiegel saß, tupfte Nathalie auf ihrer Stirn herum, puderte die Wangen neu. Ein Friseur riss ihr in aberwitziger Geschwindigkeit die Spangen und Klemmen aus dem Haar, bürstete ihre Mähne und fixierte ihren Pony so schräg über dem Auge, dass sie kaum noch etwas sehen konnte. Dann spürte sie im Stehen den Atem Nathalies im Nacken, die die winzigen Haken in die Ösen steckte und ihr einen Klaps auf den Hintern gab. Ob sie lesbisch war?

Ein letztes Mal. Mann mit Brille, Frau mit Collier. Sie fühlte sich nackt, entblößt durch die Kameras, beraubt von den gierigen Blicken, die nur ihren Körper betrachteten. Sie war nichts als eine Schaufensterpuppe auf Beinen. Als sie den Vorhang wieder erreichte, war ihr, als hätte sie stundenlang lang nicht geatmet.

Nur noch eine Viertelstunde warten, dann das letzte Posing mit den Schöpfern der Kollektion. Hinaus auf die Bühne, lächeln. Applaus, es war vorbei.

Als sie wieder in die Garderobe zurückkehrte, zwinkerte Nathalie ihr zu.

Sie quälte sich in ihre Jeans, verabschiedete sich von ihrer Helferin. Dezente Musik setzte ein. Sie war wieder frei, durfte ihre Haare verwuscheln. Kein Champagner und keine Häppchen, sie hatte keinen Bock auf die After-Show-Party.

Durch den Gang aus Paravents schlüpfte sie als eines der ersten Models hinaus in die Abteilung für Damenoberbekleidung. Beobachtet von starren Puppen in schicker Kleidung betrat sie die Treppe zum Personaleingang, durch den sie gekommen war. Auf der Straße sog sie die kühle Luft ein, hörte das Hupen der Fahrzeuge und wartete auf die Erleichterung. Warum nur hatte sie das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, dass etwas falsch gelaufen war?

Die Lichter der Hotels und Luxusgeschäfte auf der Avenue de Verdun sollten sie trösten und wärmen, doch sie fröstelte und fuhr sich über die Oberarme, die nur in einem dünnen Jäckchen steckten. Die Palmen und Pinien des Park Albert I. erhoben sich im Gegenlicht vor dem Nachthimmel, das Meer war unruhig an diesem Februarabend. Als sich dunkel umsäumte Wolken vor den Halbmond schoben, tauchte sie ein in den Bauch der Stadt.

Kapitel 1

Es waren die härtesten Wochen des Jahres. Nizza kleidete sich in bunte Farben, bot all seinen Charme und seine Kraft auf, um das Ereignis gebührend zu feiern, das ihm gleichermaßen Fluch und Segen war: Carnaval de Nice, eines der größten Karnevalsfeste der Welt, wie das Office du Tourisme großzügig anpries. Und in der Tat stand in dieser Zeit Nizza kopf im Bemühen, seine ein wenig dünkelhafte Pracht auch standesgemäß in einem vierzehntägigen Event darzustellen. Fiebrig gespannte Vereinsmitglieder hetzten sich ab, singende Massen füllten die Bistros und Brasserien, prunkvolle Umzüge zuckelten über die Promenade. Im abendlichen Spektakel auf der Place Masséna gaben sich Mond und Sterne den gleißenden Lichtfontänen und der Gischt aus Glitzer und Lasertechnik geschlagen. Die Pfosten mit den hockenden Männerskulpturen, die sich über dem akkuraten Pflastermuster erhoben, wurden zu störenden Pfeilern degradiert, weil sie das Aufstellen der Tribüne behinderten, vom Riesenrad ganz zu schweigen.

Damien Pomelli sah aus dem Fenster seines Arbeitszimmers auf die Rue de la Préfecture hinaus und hing seinen Gedanken nach. Vor ihm lag die Place du Palais de Justice, über die bereits morgen Menschenmassen in Richtung der Promenade ziehen würden, die sich entlang der blauen Engelsbucht erstreckte.

Mit einem Mal fiel ihm ein, dass er schon seit gestern etwas hatte erledigen wollen. Eilig zog er sein Handy aus der Hosentasche und gab eine Nummer ein. Zoé hatte gestern Nachmittag angerufen, Zoé Papine, die er schon lange nicht mehr getroffen hatte. Was hatte sie nur von ihm gewollt? Irgendeine Sache, wofür sie die Polizei benötigte, so viel hatte sie angedeutet. Und er hatte die Kontakte. Sie hatte aufgeregt geklungen, als sie auf seinen Anrufbeantworter gesprochen hatte.

Und es sah ganz danach aus, als müsse er jetzt das Gleiche tun, denn Zoé nahm das Gespräch nicht an. Der Rufton ertönte beharrlich, doch nach einer Weile legte Damien sich bereits die Worte zurecht. Er räusperte sich. Kurz darauf erklang auch schon Zoés weiche Stimme, mit der sie das Band besprochen hatte. Erinnerungen stiegen in ihm auf, er lächelte. Dann der Signalton.

»Hallo, Zoé, hier Damien, schade, dass du nicht da bist. Du, ich mach das, worum du mich gestern gebeten hast, das mit der Polizei. Das kriegen wir hin, nur ruf mich dazu gleich noch mal an.« Er legte auf und sah erneut hinaus, wobei ihn wieder Gedanken an den Karneval beschlichen.

Heute konnte er die Ruhe und Erhabenheit des Platzes noch genießen, obwohl hier und da bereits Absperrgitter und Toilettenhäuschen aufgestellt worden waren. Die Sonne verschwand immer wieder hinter Wolkenwänden, und die Trikolore vor dem Justizpalast blähte sich träge, aber die Temperaturen verhießen immer öfter das Ende des Winters mit seinen milden Regenschauern und Stürmen, die manchmal das Meer bis weit über die Promenade peitschten. Der Blumenkorso würde einen Vorgeschmack auf die Pracht bieten, die bald in den Parks und Gärten explodieren würde. Doch Damien beschlich beim Klappen der Tür zum Flur das Gefühl, als würde die Vorfreude vor seinen Mauern Halt machen und hinter ihm bald etwas anderes explodieren: Wut, Aggressionen, Frust. Größer konnte der Kontrast nicht sein.

»Können wir weitermachen?«, fragte er, als er sich seinen Klienten zuwandte. Madame Colleron setzte sich wieder. Sie hatte die Toilette aufsuchen müssen angesichts der Tränen, die ihr Make-up beschädigt hatten. Monsieur Colleron, seines Zeichens Leiter der Caisse d’Epargne an der Place Masséna, trommelte bereits mit den Fingern auf die blank polierte Tischplatte, an der sie saßen. Die Kaffeetassen waren leer, die Dose Cola ebenfalls, um die Océane, die 15-jährige Tochter des geschiedenen Paares, gebeten hatte. Um sie ging es in dieser Mediation.

Océane war in ihrem Stuhl zusammengesunken, stummer, schwarz geschminkter Protest. Ihr Lederhalsband trug Stacheln, ebenso das Armband, ihre Haare türmten sich in festbetonierten Spitzen auf. Dass sie sich den Schädel nicht teilweise rasiert hatte, war wahrscheinlich der letzte Sieg, den Madame Colleron über ihre Tochter errungen hatte. Und doch war das Mädchen wohl die einzige Person, die keine Maske trug. Océane wippte mit dem schwarzen Lederstiefel, Langeweile und Anspannung schienen sich die Waage zu halten.

Colleron setzte das Wortgefecht fort, während Damien seine Notizen zusammenschob, Ergebnisse seiner Befragung zu den Problemen mit Océane, zur Tagesstruktur, zur schulischen Leistung des Mädchens.

»Monsieur Pomelli, ich erwarte von Ihnen, dass Sie bei Gericht mein Gesuch unterstützen. Ich will das Sorgerecht für meine Tochter zurückerhalten.«

»Ich will aber nicht …«, protestierte Océane.

»Du hältst deinen Mund!«

Damien spürte, wie ihm die Unparteilichkeit, die für seine Tätigkeit so wichtig war, immer mehr verloren ging.

»Monsieur Colleron, ich werde nach Abschluss dieser Mediation entscheiden, wen ich wie unterstütze. Es geht um das Wohl Ihres …« Er verkniff sich das Wort Kind und fuhr fort: »Ihrer Tochter. Und deren Meinung ist keinesfalls unwichtig. Diese Mediation ist überhaupt nur zustande gekommen, weil Océane bald ein Mitspracherecht hat.«

»Mein Mann hat gar keine Zeit, sie zu versorgen. Das ist alles nicht so einfach.«

»Ein wahres Wort, Lena«, gab Colleron sarkastisch zurück. »Man sieht, was deine Versorgung hervorgebracht hat.«

»Ich habe da auch noch ein Wort mitzureden, das hast du doch gehört«, trumpfte Océane auf. Sie trug einen schwarzen Hoody mit überlangen Ärmeln, dessen Bündchen sie fast verkrampft zwischen ihre Finger klemmte.

Damien setzte sich in seinen Bürostuhl und rollte zu ihr hinüber, während Madame und Monsieur Colleron ihn skeptisch beobachteten. Er beugte sich ein wenig zu ihr vor, um ihr ins Gesicht zu sehen. Ihre Lippen waren fast schwarz.

»Ich habe aber den Eindruck, dass du selbst nicht weißt, wie du dich entscheiden sollst. Auch dafür gibt es Auswege, Océane. Wohnheime, Jugendgruppen, keine Eltern, nur Betreuer, Ansprechpartner, die für einen da sind.«

»Ach, diese Softies. Die merken ja nicht mal, wenn man auf dem Zimmer kifft.«

»Ich denke, sie merken es, überlassen aber euch die Entscheidung. Das ist es doch, was ihr wollt, oder? Ihr wollt Freiheit, Unabhängigkeit – und wenn ihr sie bekommt, ist euch das auch nicht recht. Ist es nicht so?«

Océane warf ihm unter langen Wimpern einen misstrauischen Blick zu und bewegte ihren Kopf zu einer unschlüssigen Geste. Ihre Art rührte ihn, denn sie offenbarte die Hilflosigkeit, die das Mädchen plagte. Manchmal fragte er sich, warum er sich das Leid anderer antat. Warum er nicht einfach in den Tag hinein und von den Zinsen lebte, die das Erbteil seines Vaters abwarf. Doch in diesem Augenblick mochte er seinen Nebenjob als Mediator, in den Richter Bosquet ihn hineingedrängt hatte. Ja, er war diesem sogar dankbar dafür, denn die Aufgabe erdete ihn, machte ihn zu einem Sterblichen, einem Sehenden und Fühlenden.

Inzwischen hatte er gelernt, dass es einem Lottospiel glich, Menschen einzuschätzen, doch dass er immer öfter einen Treffer landete, schrieb er seiner neu gewonnenen Neugier zu. Nach der Verabschiedung aus der Fremdenlegion und der Aufklärung eines Mordes an seinem Kameraden im letzten Herbst war sein Wille, mehr als andere zu erkennen, erwacht. Wie konnte er seine Kundschaft einschätzen? Was ging in ihren Köpfen vor, und in welchen Umständen waren sie gebunden? Menschliche Rätsel zu lösen, befriedigte ihn.

»Genau. Grenzen aufzuzeigen hat meine Frau wohl verpasst«, unterbrach Monsieur Colleron seine Gedanken. »Man muss sich ja schämen für das, was sie verbockt hat.«

Madame Colleron begann erneut zu schluchzen. Damien seufzte. Der reiche Bankier schämte sich für dieses Bündel Elend, das sein Aufbegehren so deutlich am Leib trug.

»Monsieur Colleron, sind Sie hier, um Ihre Frau zu demütigen oder um Ihrer Tochter ein schlechtes Gewissen zu machen? Sie erinnern sich – wir müssen eine Lösung für das Wohnungsproblem finden.«

»Problem, Problem – es gibt kein Wohnungsproblem. Sie kann mit zu mir, ihr Zimmer steht bereit, Giselle ist da …«

»Giselle? Du glaubst doch nicht, dass ich meine Tochter deinem Flittchen anvertraue!« Madame Colleron heulte auf wie ein getretener Hund.

Damien stand auf und klatschte einmal in die Hände. »Herrschaften, ich werde dem Richter den Vorschlag machen, Océane in einer netten Kiffergruppe unterzubringen. Die Mediation ist gescheitert, Sie werden die Verfügung des Familiengerichts abwarten müssen.«

Colleron erhob sich, ging einige Schritte durch den Raum und schüttelte den Kopf. Damien schien es, als würde er abschätzen, ob er sich ärgern oder insgeheim freuen sollte. Einerseits hatte er mit der Beantragung des Sorgerechts seine Vaterpflicht erfüllt, doch ihm blieb die Last der Erziehung erspart, wenn das Gesuch abgelehnt wurde. »Begründen Sie Ihre Entscheidung, Monsieur Pomelli.«

Oh ja, Treffer. Colleron wollte eine offizielle Bestätigung, damit er sein Scheitern seinen Freunden und Bekannten mit leidvoller Miene erklären konnte. Die würde er bekommen! »Das will ich gern tun. Sie beide zeigen sich von Ihrer negativen Seite. Madame Colleron ist überfordert, ausgelaugt und verzweifelt.« Er verschwieg, dass ihm ihre zitternden Hände und die rote Nasenspitze aufgefallen waren – Anzeichen eines weiteren schwerwiegenden Problems. »Sie, Monsieur Colleron, schielen mir zu sehr auf Ihre Reputation. Sie haben Angst, dass Ihr Ruf unter Océanes Eskapaden leidet. Die Tochter eines Bankiers, die Senioren an Ihrem eigenen Geldautomaten beraubt. Das mussten Sie unterbinden.«

Der Pfeil ging ins Schwarze. Der Bankier lief rot an. »Das ist doch unerhört!«

»Ha!«, rief Madame Colleron. Sie hing begierig an seinen Lippen, als würde er stellvertretend Colleron all die Gemeinheiten und Geringschätzungen der letzten Ehejahre büßen lassen. Es ging hier nicht um das Wohl Océanes, sondern um Sieg und Niederlage, um Hass und Rache unter ehemaligen Eheleuten.

Damien konnte sich noch an die Heirat erinnern, sie war in der Presse ausgiebig besprochen worden. Die Tochter aus adeligem Haus und der kleine, bürgerliche Bankangestellte – eine Traumhochzeit.

»Lassen Sie mich ausreden! Fakt ist, dass Sie in den letzten vier Jahren kaum Gebrauch von Ihrem Besuchsrecht gemacht haben. Keine gemeinsamen Ferien. Fakt ist, dass Ihre Tochter in der Szene aufgegriffen wurde …«

In diesem Moment hörte er seine Haustür schlagen. Ein dumpfes, rollendes Geräusch, das er gut kannte, hallte durch den Flur. Warum kam Robert aus seiner Wohnung herüber? Wollte er sich ein Aspirin ausleihen, weil er zu lange vor dem Monitor gesessen hatte? Bevor er sich fassen konnte, wurde die Tür zum Arbeitszimmer aufgerissen. Robert, schwer atmend und leichenblass, schob seinen Rollstuhl ein wenig vor.

»Damien, verdammt, es tut mir leid. Ich muss dich sprechen.«

»Aber du siehst doch …«

»Es ist wichtig!« Der drängende Ausdruck seines Freundes entfachte ein ungutes Gefühl, eine Art Vorahnung.

»Warte, Robert.« Er wandte sich seinen Klienten zu. »Wie gesagt, ich sehe keinen Sinn mehr in einer Mediation. Es war einen Versuch wert, aber die Fronten sind zu festgefahren und die Zielsetzung ist nicht gegeben. Das Verfahren wird seinen Gang nehmen.«

Die traute Familie erhob sich. Monsieur Colleron stürmte voran und verließ nach einem flüchtigen Kuss auf Océanes Stirn als Erster die Wohnung. Damien fragte sich für einen Moment, ob er nun seine Bankkonten gar zur Crédit Agricole transferieren sollte, um dem Unmut des Bankiers zu entgehen. Seine Ex-Frau folgte ihm nach einem wohlwollenden Händedruck und einer geflüsterten, aber heftigen Zwiesprache mit ihrer Tochter. Damien hörte nur, wie Océane sagte: »Jetzt piss dich nicht an, ich komme ja heute Nacht heim.« Was für ein Früchtchen.

Robert rückte in seinem Stuhl hin und her, der Abschied schien ihm nicht schnell genug zu gehen.

In dem Augenblick, als nun auch Océane nach der Türklinke griff, folgte Damien einem Impuls. Er hielt sie zurück und schob ihr den Ärmel des Hoody hoch. Er sah, was er erwartet hatte: kurze Narben, einige frisch, andere verheilt, die sich quer über ihren Unterarm zogen.

Sie stieß einen unwilligen Schrei aus, schob ihn von sich und rief: »Ich lasse mich nicht in die Klapse stecken, hören Sie? Warum können mich nicht einfach alle in Ruhe lassen?«

»Weil du das gar nicht willst«, gab Damien zurück und holte seine Visitenkarte hervor, die noch in der Jeans steckte. »Hier. Wenn etwas ist, ruf mich an. Und jetzt hau ab.«

Er drückte ihr die Karte in die Hand und lächelte. Océanes Augen wurden groß und erst jetzt, als sie ihm dieses runde Mädchengesicht zuwandte, konnte er erkennen, dass sie demnächst zu einer schönen jungen Frau mutieren könnte. Wenn sie wollte. Sie nickte nur und ging langsam, fast zögernd hinaus.

Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, rollte Robert zu ihm, als könnte er nicht erwarten, ihn über den Grund seines Besuchs aufzuklären. »Damien, es ist etwas Schreckliches passiert: Zoé ist tot!«, steiß er hervor, und dann rollten ihm Tränen über die Wangen.

Kommissar Joseph Vidal betrachtete mit Unbehagen das Durcheinander, das im hübschen, mit hellem Holz und verschiedenen Rottönen eingerichteten Appartement am Boulevard du Mont Boron herrschte. Verrutschte Läufer, aufgerissene Schubladen und Schränke, ein ausgekipptes Schmuckkästchen, eine offene Geldbörse, die einige Münzen verloren hatte. Er war versucht, sie aufzuheben und in die Börse zu stecken. Ein Bild stand, mit der Vorderseite an die Wand gelehnt, auf verstreuten Unterlagen am Boden, der Tresor, den es verborgen hatte, war geöffnet worden. Mittendrin wartete eine Kaktee mit langen, spitzen Blättern darauf, den Sommer auf dem kleinen Balkon zu verbringen, von dem aus man die Stadt sehen konnte.

Die Anlage, in der auch Ferienwohnungen vermietet wurden, hatte sogar eine Concierge, Madame Desange. Eine gute Wohngegend, in der eine Leiche so überflüssig war wie ein Blinddarm. Und doch: Mitten in diesem Durcheinander lag eine tote junge Frau mit verrenkten Gliedern und einem eingeschlagenen Schädel.

»Ist das die Tote?« An der Wand hing die überlebensgroße Porträtaufnahme einer Frau, offensichtlich das Werk eines talentierten Fotografen, der das schöne, zarte Gesicht in Schwarz-Weiß vollendet zum Ausdruck gebracht hatte. Die dunklen, professionell geschminkten Augen setzen einen Kontrast zu dem blonden Haar, das ihr in Locken über die nackte Schulter fiel. Der Blick verträumt, abwesend, verletzlich.

Inspektor Giraud, der auf die Concierge einredete, die die Leiche gefunden hatte, unterbrach sich. »Ja, Chef. Zoé Papine. Model.«

Vidal merkte, dass er eine dumme Frage von sich gegeben hatte, irritiert durch das blasse Gesicht der Toten und das blutverschmierte aufgesteckte Haar.

»Nicht nur Model, Monsieur«, jammerte Madame Desange und schüttelte den Kopf. »Sie war die Blumenkönigin! Morgen schon sollte sie auf dem Prunkwagen mitfahren. Ich habe es von einem der Reporter vor dem Haus, gestern, als sie noch gesund und munter wa – haaa …« Wieder stürzte ein Tränenschwall aus ihren Augen, und ihre Stimme ging in ein lang gezogenes Wimmern über.

»Schon gut, Madame, schon gut.« Giraud klopfte ein wenig zaghaft auf ihre Schulter. Als junger Inspektor von 27 Jahren war er noch ungeübt im Trösten älterer Damen.

An den polternden Schritten und ihrem lauten Keuchen erkannte Vidal, dass die Spurensicherung im dritten Stock des Wohnhauses angekommen war.

Eine tiefe Stimme kam aus dem Off: »Flur absperren! Hier, Einbruchspuren, Foto, Fingerabdrücke bitte.«

Ja, die Wohnungstür sah aus, als wäre sie eingetreten worden. Es gab keine weiteren Sicherheitsmaßnahmen, etwa einen Riegel. Kein Problem für einen Profi. Ein Einbruchdiebstahl, der zu einem Mord geworden war – das sah er nicht oft.

Die Tat musste am Abend vorher geschehen sein. Die Tote trug ein Negligé, doch sie war frisiert, geschminkt, und ihre Fingernägel wirkten frisch lackiert. Vielleicht wollte sie auf eine der zahlreichen Partys, die zum Karneval gegeben wurden. Der Täter hatte angenommen, sie sei bereits unterwegs, doch sie hatte ihn wohl überrascht.

Eigentlich ein klarer Fall. Allerdings war eine Leiche im Februar höchst störend für die Festivitäten. Umso mehr, da hier nun die Blumenkönigin höchstpersönlich vor seinen Füßen lag.

Vidal seufzte. Das Office du Tourisme wusste wohl noch nichts von diesem Unglück. Und die Presse – mon Dieu, er durfte nicht daran denken Wahrscheinlich waren bereits die ganze Zeit Paparazzi um den Block geschlichen.

Er spürte es bis in die Haarspitzen: Dieser Fall würde ihm eine Menge Ärger bereiten durch den Status der Toten. Dieser Mord zog ganz andere Fragen nach sich als der Tod eines der zahlreichen unbekannten Models, die in der Stadt unterwegs waren. Der Congrès von Nizza als Veranstalter des Karnevals, der Bürgermeister, der Präfekt, die Presse, alle würden ihm auf die Finger sehen. Ein schmaler Grat, auf dem er wandelte. Lagen Motive für einen Mord vor, der nur als Raubmord kaschiert worden war?

»Giraud!« Er winkte seinen Inspektor heran. »Sie prüfen wie üblich ihren Arbeitsplatz, ihre Konten, ihre Verbindungen und Freunde. Und ihren eMail-Verkehr, die Festplatte und so fort.«

Als er sich umsah, bemerkte er, dass der Rechner des Computers unter dem zierlichen Schreibtisch offen war. Die Abdeckung hing nur an einem Haken. Er zog sie vorsichtig herunter. Das Innenleben sah seltsam aus, Stecker und Platinen hingen dort, doch da er ohnehin nicht wusste, wie es im Inneren eines Rechners auszusehen hatte, sagte er: »Lassen Sie das Ding von unseren Technikern mal unter die Lupe nehmen.«

Es sah nicht so aus, als hätte jemand gewaltsam das Gehäuse heruntergerissen. Vielleicht war der Computer nur kaputt, und Zoé hatte daran herumwerkeln lassen.

»Gibt es Angehörige?«, fragte Giraud und sah sich zu Madame Desange um, die immer noch in einem Sessel auf ihre Entlassung wartete.

»Ja, ihre Mutter lebt in Cannes, und ein Cousin wohnt hier in Nizza. Aber ich kenne seinen Namen nicht, hab ihn nur mal gesehen.« Die Concierge errötete vor Stolz, der Polizei helfen zu können.

»Danke, Madame. Giraud, überprüfen Sie das und finden Sie die Anschriften heraus, damit ich die Angehörigen informieren kann. Oder möchten Sie das übernehmen?«

»Nein, nicht so gern, Chef«, stotterte Giraud und notierte seine Aufgaben auf einem kleinen Notizblock.

»Sie müssen das aber mal lernen. Ich denke, ich werde Ihnen die Ehre überlassen.«

Der junge Inspektor wurde blass, gab sich aber Mühe, sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Vidal betrachtete durch ein Fenster den grünen Hang. In der Wohnung wurde es allmählich stickig, auch wenn sie, abgesehen von den Spuren der Tat, blitzsauber und ordentlich aufgeräumt war, was ihm die Tote gleich sympathisch machte. Doch es verlangte ihn danach, frische Luft zu schnappen, verbunden mit dem würzigen Geschmack des Tabaks.

Er ertappte sich dabei, wie er die Zigarillodose in der Tasche seines Sakkos abtastete, eine unwillkürliche Bewegung, die er sich einfach nicht abgewöhnen konnte.

Er riss sich los und ging in das Ankleidezimmer, wo auf einer Kommode eine hohe, ausladende und doch filigrane Krone lag. Auf einer Kleiderstange hing ein langes, silbern glänzendes Kleid, dessen Oberteil über und über mit Perlen und Pailletten bestickt war. Vorsichtig betastete er die Spitzen und Bordüren, strich über den Tüll, der so dünn war, dass der Stoff an seinen rauen Fingern hängen blieb. Wie lange hatte er ein solches Kleid nicht mehr berührt? Früher war seine Frau in einem ungleich einfacheren Kleid zu einem Ball gegangen. Wie stolz sie darin gewesen war, sicher hatte sie sich wie eine Prinzessin gefühlt. Er schluckte seine Melancholie hinunter. Mit dem Wissen, dass seine Besitzerin das Kleid vor ihm niemals tragen würde, verband sich die Trauer wegen einer jungen Frau, die ihr Leben noch vor sich gehabt hatte, mit dem Schmerz über den Tod seiner Frau vor zwölf Jahren.

Wie musste Zoé Papine sich über die Wahl gefreut haben, er sah ihre strahlenden Augen und ihren lachenden Mund direkt vor sich.

Vidal musste an die Kehrseite der Medaille denken: die enttäuschten Blicke der Mitbewerberinnen, das falsche Lächeln, mit denen sie die Siegerin umarmten und auf die Wange küssten, die Aufmerksamkeit der Medien, den Verlust der Privatsphäre. Der Karneval war ein wichtiger Schritt im Leben einer Frau, die ehrgeizig an ihrer Karriere arbeitete. War die Wahl vielleicht gekauft worden? Hatte Zoé gar einen einflussreichen Gönner gehabt? Was steckte hinter der Fassade, hinter der Organisation des Karnevals?

Wirklich ein schmaler Grat. Das war kein einfacher Raubmord. Von dieser Theorie würde er ausgehen, bis er sie widerlegen und die Tat offiziell von einem Mord zu einem verhängnisvollen Zwischenfall herunterstufen konnte. Doch das durfte er nicht verlauten lassen. Die Kunst im Umgang mit der Öffentlichkeit bestand darin, die Bevölkerung nicht zu schockieren und die Presse ruhig zu halten. Wasser predigen und Wein trinken. Raubmord predigen und wegen Mordes ermitteln. Wozu leistete sich die Polizei einen Pressesprecher?

»Giraud! Informieren Sie auch den Leiter des Congrès. Die Herrschaften werden sich eine neue Blumenkönigin suchen müssen.«

Nachdem sie den Tatort der Spurensicherung überlassen hatten, stiegen sie in den Streifenwagen, der sie hergebracht hatte, und fuhren über den Boulevard Carnot am Port Lympia entlang.

Vidal vermied es, die Armstützen zu berühren. Wer wusste schon, wer hier vorher fettige Pan Bagnats gegessen hatte. Er atmete tief ein. Der Anblick des blauen Wassers, des ebenso blauen Himmels und der weißen Wolkenberge wischte allmählich die Eindrücke weg, die der Anblick des Blutes und der toten Augen hinterlassen hatte. Yachten zerrten an ihren Trossen, als könnten sie den Start in die Saison nicht erwarten. Er wusste es zu schätzen, seinen Dienst in dieser Stadt verrichten zu dürfen, denn so hässlich und schmutzig wie sein Geschäft nun einmal war, brachte ihm die in sich ruhende Schönheit der Stadt mit ihren weißen Villen, Belle-Epoque-Gebäuden, ockerfarbenen, fast italienisch anmutenden Hausreihen mit Arkaden und nicht zuletzt den Palmen und grün-weißen Felshängen immer wieder Ruhe und Frieden. Wenn nicht gerade mörderischer Verkehr herrschte wie an diesem Vormittag.

In der Rue Cassini, einer Schlucht aus warmen Farben mit grünen und blauen Fensterläden, warfen die langen Hausreihen Schatten. Mütter mit Kinderwagen waren unterwegs, Angestellte eilten zu ihren Arbeitsplätzen und Rentner begaben sich in die Bar Tabac oder andere kleine Kneipen, während ihre Frauen unter den winzigen grünen Markisen die Auslagen von Gemüse und Obst prüften. Hier merkte man noch nichts vom bevorstehenden Karneval.

Auf dem Place Garibaldi erhob sich das Standbild des bekanntesten Sohnes der Stadt, beschattet von mächtigen Linden, und der brüllende Löwe zu seinen Füßen sah aus, als würde er gern aus dem viereckigen Brunnenbecken, über dem er saß, saufen.

Der Wagen ratterte über die Straßenbahnschienen, doch Vidal lehnte sich entspannt zurück. Dieser Platz war der italienischste Ort von ganz Nizza, doch dieser Eindruck verschwand, sobald der Wagen unter dem Torbogen des nüchternen, silbern schimmernden Museums für Moderne Kunst verschwand. Die Kanalisierung des durch Nizza fließenden Paillon hatte den Architekten etwas Baugrund zum Spielen beschert, doch dass man diesen unpassenden Klotz mitsamt dem ebenso unpassenden Theater hier errichtet hatte, gefiel Vidal nicht.

Er betrachtete die wirr geschwungenen Gebäudeelemente, die den gläsernen Innenhof umgaben, und ihm kam Zoé Papines Computer wieder in den Sinn, dessen Innenleben dieser Anlage ein wenig ähnelte. Und schon lenkte Giraud den Wagen in einem Schlenker auf den freundlichen, im Sonnenlicht strahlenden Boulevard Carabacel, bis dann nach weiteren Minuten das Gebäude der Kriminalpolizei in der Avenue Maréchal Foch erreicht war.

Vidal stieg die Treppe zu seinem Büro hinauf. Der Raum wirkte nach dieser Fahrt so düster und verdrießlich, dass er den Lichtschalter betätigte. Immer noch beschäftigte ihn die Frage, warum Zoés Computer defekt war.

Die Zeit, die Giraud benötigte, um nähere Informationen zu besorgen, war das Schlimmste in einem neuen Fall. Alles war ungewiss und leider alles möglich. Daher ließ er in seinem Kopf die Rätsel wandern, rief Bilder in sein Gedächtnis und versuchte, der Toten näherzukommen. Zoé Papine, eine zielstrebige, moderne Frau, unabhängig, selbstsicher. Etwas stimmte nicht an dem, was er vor seinem inneren Auge sah. Hatte sie denn gar kein Handy?

»Giraud!«, rief er durch die geöffnete Tür zum Flur hinaus, wo der Kaffeeautomat stand.

»Chef?« Sein Inspektor trat mit zwei Tassen herein, vorsichtig, als trüge er rohe Eier. »Hier, der letzte Kaffee vom alten Automaten. Heute Nachmittag kommt der neue.«

Vidal nahm den Becher entgegen. »Haben Sie ein Handy bei Zoé gefunden?«

»Nein. In der Handtasche war keins. Auf dem Tisch im Salon auch nicht. Ich denke, die Kollegen werden es finden. Vielleicht steckt es in der Jackentasche.«

»Hatte sie einen Festnetzanschluss?« Vidal nahm einen Schluck der dunklen Brühe und verzog das Gesicht. Heißes Wasser, der Bohnenbehälter war mal wieder defekt. Es wurde wirklich Zeit für den Neuen.

»Nein. Also, ihre Mutter heißt Claire Papine, geborene Duvalier, sie stammt aus Vence.«

Mit einem Mal sprang Vidal auf, der Kaffee schwappte über und lief über den Schreibtisch. »Merde!« Vidal entnahm seiner Tasche ein Papiertaschentuch und wischte die Pfütze weg, bevor sie sich auf den Weg zu seiner Tastatur machen konnte. »Der Cousin, Giraud! Der Cousin könnte dann doch auch Duvalier heißen. Aus Vence!«

»Ja – und?«

»Ich kennen jemanden, der Duvalier heißt und aus Vence stammt. Rufen Sie Madame Desange an, sofort. Stellen Sie durch.«

Nach wenigen Augenblicken hörte er das Schnaufen der Concierge am Hörer.

»Madame, sagen Sie mir doch, wie sieht dieser Cousin von Mademoiselle Papine aus?«

»Also, der ist dunkelhaarig, gutaussehend, hat … ähm … muskulöse Oberarme.«

Diese Auskunft verwirrte ihn. »Und sonst? Besondere Merkmale?«

»Na ja, der arme Kerl sitzt im Rollstuhl.«

»Merci!« Mit Schwung landete der Hörer auf der Gabel. Vidal griff zu seinem Sakko, das er zuvor ordentlich auf den Bügel gehängt hatte.

»Sie machen weiter, Giraud! Ich fahre in die Rue de la Préfecture.«

Zu Robert Duvalier, dem querschnittsgelähmten Hacker oder Cracker, dem Freund von Damien Pomelli, dieses reichen, melancholischen Schweinehundes, der ihm im letzten Herbst nur Steine vor die Füße katapultiert hatte, und den er aus einem ihm unbegreiflichen Grund mochte.

Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass der Mund des Inspektors offenstand. Dieser Anblick transportierte ein neues Bild vor sein inneres Auge: Warum, zum Teufel, hatte Zoés Tresor offen gestanden?

»Willst du zurück in deine Wohnung?«

Damien reichte seinem Freund ein weiteres Taschentuch. Roberts Augen waren gerötet, und er zog noch einmal die Nase hoch. Die Nachricht war erschütternd. Zoé Papine, sie hatte ihn um Hilfe gebeten. Was war nur passiert?

Sie waren gute Bekannte gewesen, nicht nur das: Damien hatte sogar eine Nacht mit ihr verbracht. Sie hatte einen bezaubernden Körper gehabt, ein wenig dünn für seinen Geschmack, aber so anschmiegsam und warm. Ihr Lachen hallte noch in seinen Ohren. Wie viele Jahre war das her? Sechs, sieben. Sie war damals 19 gewesen, und er hatte mitten im Studium gesteckt. War es Jura gewesen? Oder schon Psychologie? Egal, das war eine andere Zeit gewesen, eine andere Welt, eine Welt voller Partys, Drogen, Alkohol und dem, was er damals Spaß genannt hatte.

Zuletzt hatte er Zoé an seinem Krankenbett gesehen, nach seinem Mali-Einsatz. Sein Bruder Albert und seine Frau Sylvie hatten sie mitgebracht. Sylvie, die Frau, die Damien immer noch liebte. Die Frau, die ihm eine Freundin und Seelenverwandte war, bis heute.

Er riss sich aus der Vergangenheit los, denn Robert schnäuzte sich gerade. »Nein, ich weiß nicht, ich muss immer noch heulen. Vidal soll mich nicht so sehen.« Roberts Haar war zerzaust, er war blass und atmete unruhig.

»Vidal ist bei dir? Hat er es dir gesagt?«

Robert nickte.

Sie saßen inzwischen in Damiens gemütlichen Salon, Robert nannte ihn sogar altmodisch. Doch die Einrichtung in dunklem, schweren Holz wurde durch helle Tapeten und Vorhänge aufgelockert und natürlich durch seine geliebten LeWitts an den Wänden. Heute fand er keinen Trost beim Anblick der bizarren Linien und Kreise, die ihm doch sonst immer bestätigten, dass die Welt ein Irrenhaus war.

Ein Raubmord, hatte Robert gesagt. Er beugte sich vor und umarmte ihn fest. Robert presste den Kopf an seine Schulter. Damien strich ihm über das Haar und sagte: »Ich gehe rüber und spreche mit Vidal. Du kannst nachkommen, wenn du willst.«

Er richtete sich auf, doch Robert hielt ihn am Ärmel des Pullovers fest. »Damien, da ist noch etwas.«

Er hielt inne und sah in Roberts verzweifelte braune Augen.

»Sie wollte sich noch mit mir treffen. Heute Mittag. Ich sollte ihr bei etwas helfen.«

»Du auch? Wobei?«

»Keine Ahnung. Sie hat mich seit einem halben Jahr nicht mehr angerufen. Vielleicht eine Recherche, eine Untersuchung. Oder etwas mit dem Computer. Ich weiß nicht, ob das wichtig ist. Aber vielleicht sollte der Kommissar es wissen. Aber wieso – ich verstehe nicht. Was heißt: Du auch?«

»Mich hat sie ebenfalls angerufen, gestern Nachmittag. Sie wollte wohl meine Kontakte zur Polizei nutzen.«

Robert grübelte. »Das ist seltsam.«

»Stimmt. Ich sage es Vidal, mal sehen, was er dazu meint.«

»Danke.«

In der kleinen Küche goss Damien seinem Freund ein Glas Cola ein. Nicht, dass er vor Aufregung einen Zuckerschock erlitt. Doch abgesehen von seinem Handicap war Robert ja kerngesund, spielte sogar Basketball, um sich fit zu halten.

Nach einem letzten Nicken ließ er ihn allein, überquerte den Flur und ging in die Wohnung nebenan, die ebenfalls ihm gehörte, und die er Robert gern überlassen hatte. Sie waren seit Langem Freunde, und er bildete sich etwas darauf ein, dass Robert ihn nicht nur gern hatte, weil er ihn seit dem Skiunfall nicht links liegen lassen hatte. Ein wenig waren sie ziemlich beste Freunde, nur im Vergleich zu dem bekannten Kinofilm mit umgekehrten Voraussetzungen.

Er stieß die Wohnungstür auf. Wenn Vidal aufgetaucht war, steckte ein Rätsel hinter dem Fall, bei dem er vielleicht behilflich sein konnte. Seine innere Stimme ermahnte ihn, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen, doch seine Erschütterung war zu stark. Er fühlte sich verpflichtet, Zoé posthum zu helfen.

Die Mittagssonne erleuchtete Roberts einfache Kaufhausmöbel im Salon. Kommissar Vidal erhob sich vom Stuhl aus Kiefernholz und schüttelte Damien die Hand. »Schade, dass wir uns unter so traurigen Umständen wiedersehen.«

Dabei hatten sie erst vor vier Wochen zusammen in Lucas kleiner Brasserie gesessen. »Was ist mit Zoé passiert?«

»Was wissen Sie über sie, Damien?«

»Sprechen Sie immer nur im Verhörmodus, Vidal?«

Der Kommissar lächelte traurig und strich sich über das bereits schütter werdende Haar. »In einem Fall von Raubmord muss ich leider verhören«, erklärte Vidal. Wie immer war er einfach, aber penibel sauber und ordentlich gekleidet und roch ein wenig nach seinen Zigarillos, von denen er genauso abhängig war wie von …

»Kaffee?«

»Gern.«

Vidal folgte ihm in die Küche, die ebenso klein war wie seine eigene. Damien stellte den Automaten an, lehnte sich an den Küchenschrank und kreuzte die Arme über der Brust.

»Wie geht es Robert?«, fragte Vidal. »Es hat ihn sehr mitgenommen.«

»Sie waren seit ihrer Kindheit oft zusammen. In den letzten Jahren natürlich nicht mehr, sie war ja als Model immer unterwegs. Allmählich kam der eine oder andere Erfolg, und dass sie zur Blumenkönigin gewählt wurde, hätte ihr bestimmt einige Möglichkeiten gebracht. Aber viel wichtiger ist, dass sie eigentlich in diesem Moment hier bei Robert sein sollte. Sie hatte sich mit ihm verabredet. Aber Robert weiß leider nicht, worum es ihr ging.«

»Was wirklich schade ist.«

Sie gingen mit ihren Tassen in den Salon zurück. Damien setzte sich auf das Sofa. Vidal zog es wieder zu seinem Stuhl, und er stellte die Tasse auf dem Tisch ab, nachdem er genüsslich zwei Schlucke genommen hatte.

»Mich hat sie auch angerufen«, fuhr Damien fort. »Sie hat auf meinen AB gesprochen, sie fragte nach meinen Polizeikontakten.«

»Hatten Sie ihr schon geantwortet?«

»Leider erst vorhin per AB. Kein Wunder, dass sie nicht ans Telefon ging. Wann ist sie gestorben?«

»Am Abend zwischen 20.30 und 21.30 Uhr.« Vidal starrte in seinen Kaffee. »Wofür hätte die Blumenkönigin Robert gerade zu Beginn des Karnevals so dringend benötigt? Vielleicht, um ihre Homepage zu pflegen? Sie wollte ihren Erfolg womöglich auf ihrer Website einstellen.«

»Ich glaube, sie hat keine eigene Homepage, sonst hätte Robert mir mal etwas erzählt.«

»Oder um ihren Computer zu reparieren? Hm, eher nicht. Und sie wollte etwas von Ihnen und von der Polizei. Das sieht verdächtig aus.«

»Es liegt nahe, dass ihre Absicht auch ihr Todesurteil war.«

Vidal hob die Hand. »Nur keine voreiligen Theorien. Wo waren Sie gestern Abend?«

Damien schnaufte. »Geht das schon wieder los? Bei meinem Cousin Jérôme. Wir haben in einer kleinen Männerrunde gepokert, bis 23 Uhr.« Er vergaß das mangelnde Vertrauen seines Mentors und dachte wieder an den Karneval, der einen so blutigen Auftakt genommen hatte. »Blumenkönigin? Das hat sie geschafft?« Zoé als Siegerin im harten Wettbewerb, ausgewählt von der kritischen Jury des Congrès, von Kameras und Mikrofonen umgeben – doch das war ihr Leben gewesen. »Davon hat Robert mir gar nichts erzählt.«

»Seit wann interessierst du dich für Karneval?«, fragte Robert und rollte in den Salon hinein. Er hatte sich gefasst, seine Miene war ernst und entschlossen. »Ich meine, abgesehen von früher.«

»Du hast es gewusst?«

»Ja. Sie hat es mir gesagt, als sie mich gestern Nachmittag angerufen hat.«

»Was genau hat sie gesagt?«, mischte sich der Kommissar ein.

»Ich solle ihr bei einer Untersuchung helfen, und es sei kompliziert. Alles Weitere beim Treffen.«

Damien sah von einem zum anderen. Vidal knabberte an seiner Unterlippe, Robert zog seine Augenbrauen düster zusammen.

»Wie wurde sie ermordet?«, fragte Damien.

»Das müssen wir noch rekonstruieren. Sie war zum Ausgehen fertig geschminkt und frisiert, aber noch nicht angezogen.«

»Wurde etwas gestohlen?«

Vidal sah auf. »Hm, ich weiß nicht, ob …«

»Ob Sie es uns erzählen dürfen? Mon Dieu, Vidal, wir können Ihnen helfen.« Damien rückte nach vorn auf die Sofakante, um den Gast eindringlich anzusehen. Robert nickte eifrig.

Vielleicht war es voreilig, doch Damien fühlte sich einfach verpflichtet, dem Tod einer Freundin auf den Grund zu gehen. Wie konnte er Robert in die Augen sehen, wenn er seine Hilfe versagte? Es reichte schon aus, dass er bereits irgendwie versagt hatte, auch wenn er nichts dafür konnte. Sie hätte ihm gestern beim Telefonat so einiges anvertrauen können. Vielleicht hätte schon das ihr Leben gerettet. Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los, seit Robert ihm die traurige Nachricht verkündet hatte. Wenn er sich vorstellte, wie hilflos Zoé ihrem Mörder entgegengetreten war, stieg kalte Wut in ihm auf. »Klären Sie uns auf, Monsieur Vidal. Robert ist der Einzige der Familie, den sie noch hatte. Außer ihrer Mutter. Weiß sie schon Bescheid?«

»Nein. Ich fahre gleich mit Giraud hin.« Vidal stand auf und wanderte im Raum umher. »Also gut. Ich verlasse mich auf Ihre Diskretion.«

Damien atmete auf und hörte dem Kommissar zu.

»Die Tür wurde gewaltsam geöffnet. Es herrschte Unordnung, wie bei einer Durchsuchung. Es fehlen vielleicht Schmuck und Geld, das müssen wir noch prüfen. Der Tresor stand offen. Der Computer war nicht einsatzbereit, er war geöffnet. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht brauchte Zoé deswegen Ihre Hilfe.«

»Möglich«, sagte Robert nachdenklich. »Sie klang aber aufgeregt. Was auch an dem Stress der letzten Tage liegen konnte.«

»Wissen Sie, was sie im Tresor deponiert hatte?«

Robert zuckte die Schultern. »Nein. Papiere vielleicht, etwas Bargeld oder auch Schmuck.«

»Wie ist der Tresor geöffnet worden?« Damien runzelte die Stirn. Er kannte die Wohnung und hatte den Eindruck, als würde etwas am geschilderten Szenario nicht passen.

»Das frage ich mich auch. Er ist nicht gesprengt oder aufgebrochen worden.«

»Sie hat ihn wohl selbst geöffnet, um ihren Schmuck herauszuholen.«

Vidal wehrte seine Vermutung mit einer Handbewegung ab. »Nein. Das abgenommene Bild stand auf einem Schwung Papiere, die beim Durchwühlen der Wohnung auf den Boden gefallen waren.«

»Also erst durchwühlt, dann der Tresor. Man hat sie gezwungen, die Kombination zu verraten, weil es in der Wohnung nichts Wertvolles gab.«

»Möglich. Aber es gab keine Anzeichen von Drohungen, also Verletzungen, nur ein Schlag auf den Kopf.«

Roberts Lippen zitterten. Damien warf ihm einen beruhigenden Blick zu.

»Sie machen es einem schwer, Vidal.« Er stand auf, um aus dem Fenster zu sehen, doch die Aussicht half ihm nicht bei seinen Überlegungen.

»Wir raten nur. Es ist zu früh, um bereits Theorien aufzustellen«, gab der Kommissar zu bedenken und rieb seine Fingerspitzen aneinander.

»Sie dürfen hier rauchen«, sagte Robert.

»Danke.«