Zwei
In den ersten paar Wochen nach Brads Auszug wachte ich manchmal mitten in der Nacht auf und dachte nicht mehr daran, dass ich ja jetzt allein in dem Doppelbett lag. Instinktiv rutschte ich dann weiter auf Brads Seite, und mir wurde jedes Mal seltsam schwindelig, wenn ich merkte, dass er ja gar nicht da war. Dann klammerte ich mich am Bettlaken fest, so, als wolle ich nicht fallen.
In den ersten Wochen passierte das jede Nacht, und ich lag danach immer stundenlang wach und konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzugrübeln, warum Brad unbedingt Abstand von mir wollte und warum mich sein Wunsch und dessen praktische Umsetzung so eiskalt erwischt hatten. Nach etwa drei Wochen wachte ich dann nachts nicht mehr mit diesem Schwindelgefühl auf, sondern ich wachte einfach nur auf – manchmal um zwei Uhr morgens, manchmal auch erst um drei – und konnte dann bis zum Tagesanbruch nicht wieder einschlafen.
Ich hatte wirklich nicht gewusst, dass Brad in unserer Ehe keine Luft bekam. Das war der Teil an der ganzen Sache, der mir so unheimlich vorkam, wenn sich Nacht für Nacht der Schlaf davonmachte. Brad hatte das Gefühl gehabt, ersticken zu müssen, und ich hatte es nicht bemerkt. Manchmal hielten mich Zweifel wach, manchmal war es Trauer, manchmal Wut – und manchmal war es auch eine Mischung aus allen dreien.
An dem Morgen, als Brad mir sagte, dass er gehen würde, saßen wir an unserem Küchentisch. Die Teile der Sonntagszeitung lagen verstreut zwischen unseren Kaffeetassen, und der Duft des Omeletts, das ich uns gemacht hatte, hing noch in der Luft. Zwiebel, Paprika und Frühstücksspeck. Es war Mitte Februar, aber die Sonne hatte an jenem Morgen schon ein wenig Kraft, und ihre Strahlen ergossen sich vom Balkonfenster aus über unsere Schultern, als wollten sie hereingebeten werden. Brad sagte meinen Namen. Ich blickte auf und dachte, dass er vielleicht noch Kaffee wollte, doch er sah nicht mich an, sondern schaute zur Wohnungstür.
„Es gibt ein Stellenangebot für einen Radiologen in einer Klinik in New Hampshire“, sagte er.
Ein paar Sekunden verstrichen, bevor mir klar wurde, dass es hier um etwas ging, das ihm wichtig war. „New Hampshire?“
Er schaute auf seine Kaffeetasse und strich mit dem Daumen über den Henkel.
„Ja, in Manchester. Es ist eine Stelle in der Diagnostik, wo ich mit den Onkologen zusammenarbeiten würde, und ein Teil des Jobs ist auch Forschungsarbeit. Man hat mir diese Stelle angeboten.“
Er hob ganz langsam den Kopf, und unsere Blicke begegneten sich.
„Und du hast sie angenommen?“ Gedankenfetzen wirbelten durch meinen Kopf. Ich wusste gar nicht so recht, welche Frage ich ihm eigentlich stellen wollte. Warum erzählst du mir das?, schien da für den Anfang ganz angebracht, aber er redete weiter, bevor ich mich für die passende Frage entscheiden konnte.
„Nun, sie sind auf mich zugekommen, nachdem sie meine Artikel im ,Journal‘ gelesen hatten. Sie hätten mich gern in ihrem Team.“
Vielleicht hätte ich etwas Bestätigendes sagen sollen, hätte deutlich machen sollen, wie stolz ich darauf war, dass man ihn auserwählt hatte, aber ich konnte an nichts anderes denken als daran, dass Brad sich tatsächlich für diesen Job entscheiden könnte und wir aus New York weggehen müssten. Ich fragte mich schon, wie ich meiner Mutter und Tante Thea beibringen sollte, dass ich das Antiquitätengeschäft aufgeben müsse. Thea, die in einer betreuten Seniorenwohnanlage in Jersey City untergebracht war, würde wahrscheinlich darauf bestehen, dass dann meine Mutter wieder die Geschäftsführung übernahm, denn sie vertraute nur Blutsverwandten. Und darüber wiederum würde meine Mutter wahrscheinlich nicht besonders begeistert sein, denn Antiquitäten waren nicht ihr Ding. Und schon allein der Gedanke an meinen Umzug, daran, all das zu verlassen, was mir vertraut war, beunruhigte mich.
„Aber das ist in New Hampshire – weit weg“, sagte ich.
Er strich erneut über den Henkel seiner Tasse. „Es wäre ein Riesenschritt auf der Karriereleiter für mich“, fügte er hinzu und starrte weiterhin auf den Tisch hinab.
Meine Gedanken wanderten zu meinen Eltern. Sie würden einen solchen Wechsel wahrscheinlich als kometenhaften Aufstieg betrachten, selbst wenn es bedeutete, dass wir Manhattan würden verlassen müssen. Auf jeden Fall würde mein Vater es so sehen. Meine Eltern vergötterten Brad; das war schon immer so gewesen. Sie würden sicher nicht ausflippen, wenn ich ihnen erzählte, dass wir wegziehen würden, aber meine Mutter wäre wahrscheinlich verärgert darüber, dass ich dann den Laden nicht mehr würde führen können …
„Und willst du dir die Sache denn mal anschauen?“, fragte ich schließlich.
Meine Frage stieß auf ein Schweigen, das mir endlos vorkam. Und als Brad dann endlich aufblickte, wusste ich es.
Er hatte den Job bereits angenommen.
Ich stieß mit dem Ellbogen gegen meine Kaffeetasse, sodass ein kleiner Schwall Kaffees herausschwappte und den Sportteil der Zeitung besprenkelte. „Du hast schon Ja gesagt? Ohne es dir auch nur anzuschauen?“
„Ich war vergangene Woche zu einem Vorstellungsgespräch da. Sie haben mir den Flug bezahlt …“
Ich empfand eine Mischung aus Beschämung und Überraschung, die mich erröten ließ. Brad war wahrscheinlich an einem Tag nach New Hampshire und wieder zurückgeflogen, an dem ich davon ausgegangen war, dass er eine Zwölfstundenschicht hatte.
„Warum hast du mir nichts davon gesagt?“, murmelte ich.
Er schob seine Tasse von sich weg. „Weil ich mir die ganze Sache allein ansehen wollte.“
Die Luft im Raum schien zu stehen. „Aber warum?“
Brad strich sich mit der Hand über sein noch unrasiertes Gesicht. „Weil … weil ich da schon wusste, dass ich dich nicht bitten würde, meinetwegen irgendwelche Veränderungen in deinem Leben vorzunehmen.“
Mir blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. „Was soll denn das heißen?“
Doch ich wusste es schon. Es sollte heißen, dass er allein nach New Hampshire gehen wollte.
Er stieß beim Ausatmen einen Seufzer aus wie jemand, der um eine Erklärung für etwas gebeten wird, das eigentlich sonnenklar ist. „Ich glaube, es ist Zeit, dass wir ehrlich sind“, sagte er, und es klang so, als hätte er diese Situation schon hundertmal durchgespielt. „Ich glaube, wir brauchen eine kleine Auszeit.“
Mein erster Gedanke war, dass er einen Scherz machte. Aber über so etwas macht man keine Scherze. Das Schlimmste war jedoch, dass er offenbar glaubte, ich wüsste Bescheid. Er glaubte, dass ich es ebenfalls für nötig hielt, ein bisschen Abstand zu bekommen. Dass ich auch der Meinung sei, unsere Ehe stecke in einer Sackgasse. Dass ich ebenfalls glaubte, eine vorübergehende Trennung würde uns guttun, und dass ich nur so getan hätte, als wäre mir das nicht ebenfalls klar. Er musste schon eine ganze Weile so empfunden haben. Und ich hatte keine Ahnung gehabt.
Augenblicklich kamen mir die Tränen. Zwei davon lösten sich und liefen mir übers Gesicht. Brad wandte den Blick ab.
„Eine Auszeit wovon?“, flüsterte ich. „Brauchst du eine Auszeit von mir?“
„Jane …“, setzte er an, und plötzlich überfiel mich der Gedanke, dass er eine Affäre haben könnte, mit einer solchen Wucht, dass mir schwindelig wurde.
„Gibt es eine andere?“, platzte es aus mir heraus. „Gibt es eine andere Frau? Hast du eine Affäre?“
„Nein.“
Die Antwort kam sehr schnell, aber auch mit derselben müden Stimme.
„Du hast keine Affäre?“ Ich hätte ihm gern geglaubt, hatte aber gleichzeitig auch Angst davor, es zu tun.
„Nein, ich habe keine Affäre.“
Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte ich, er hätte Ja gesagt. Ich wünschte, er hätte eine Affäre gehabt, denn dann hätte es wenigstens jemanden gegeben, auf den ich hätte wütend sein können. Jemanden, dem ich die Schuld hätte geben können. Mir liefen weiter die Tränen. Brad griff nach der Schachtel mit Taschentüchern auf dem Küchentresen, nahm eines heraus und hielt es mir hin. Ich ignorierte es und wischte mir mit dem Ärmel meines Bademantels die Tränen ab.
„Ich verstehe das alles nicht“, sagte ich.
Er warf das Taschentuch auf den Tisch. „Du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass du glaubst, bei uns wäre alles in Ordnung, oder? Eigentlich hätte es gar nicht nötig sein müssen, es so deutlich auszusprechen. Ich wollte dir jedenfalls nicht wehtun.“
„Was hast du denn geglaubt, wie ich mich fühlen würde, wenn du mir das sagst?“ Feindseligkeit stieg in mir auf, die von Schmerz und Fassungslosigkeit herrührte. „Was hast du denn gedacht, wie ich mich fühlen würde, wenn du mir sagst, dass du mich verlassen willst?“
„Ich habe nicht gesagt, dass ich dich verlassen will, sondern dass wir eine Auszeit brauchen.“
„Aber Tatsache ist doch, dass du mich verlässt.“ Ich legte die Hände in meinen Schoß, damit sie ruhiger wurden.
„Ich glaube einfach, dass es uns beiden guttun würde, eine Zeitlang getrennt zu leben, um zu sehen, ob es überhaupt noch etwas gibt, das uns zusammenhält.“
Mein Gesicht brannte, als hätte er mich geohrfeigt. „Was sagst du denn da?“
„Ich glaube, dass Connor das Einzige ist, was uns noch verbunden hat. Sein Auszug war im Grunde der letzte Nagel im Sarg unserer Ehe. Seitdem ist es nicht mehr wie früher, und ich glaube, das weißt du auch.“
Ich machte den Mund auf, um zu protestieren, aber ich fand keine Worte. In diesem Augenblick erkannte ich, dass ich nicht genug unternommen hatte, um mit der Leere fertigzuwerden, die entstanden war, als Connor seine Siebensachen gepackt hatte, um in Dartmouth zu studieren. Und Brad auch nicht. In den vergangenen anderthalb Jahren war es mir oft so vorgekommen, als würden wir zwischen Connors Semesterferien und seinen Besuchen zu Hause die Luft anhalten. Brad war damit offenbar ganz anders umgegangen – zum Beispiel, indem er sich ein Leben ohne mich ausgemalt hatte. Aber was er da vorschlug, wollte mir einfach nicht einleuchten.
„Wie soll uns denn eine Trennung dabei helfen, herauszufinden, was uns noch zusammenhält?“, fragte ich.
„Wenn wir zusammen sind, bekommen wir es ja offenbar auch nicht heraus“, antwortete er.
Auch das saß. Ich griff nach den Taschentüchern, und er gab mir eines.
„Sollten wir es nicht erst noch mal mit einer Eheberatung versuchen?“, fragte ich
Er zögerte kurz. „Vielleicht. Nach einer Weile. Im Moment brauche ich einfach mehr Raum. Für mich. Und ich glaube, den brauchen wir beide.“
Ich nahm den französischen Kaffeebereiter, stand auf, ging in die offene Küche und stellte die Kanne so fest auf den Küchentresen, dass der Kaffee überschwappte.
„Jane?“
„Und für wie lange?“ Ich stand mit dem Rücken zu ihm.
„Das … das weiß ich noch nicht.“
„Und was ist mit Connor? Was sollen wir ihm sagen?“
„Wir sagen ihm nur so viel, wie er unbedingt wissen muss. Dass ich ein tolles Stellenangebot in New Hampshire bekommen habe und für eine Weile dorthingehe, um herauszufinden, ob wir uns beide einen Umzug vorstellen könnten.“
Ich drehte mich um und sah ihn an, meinen Ehemann, den Radiologen, dessen Aufgabe darin bestand, ins Innere der Menschen zu schauen. „Willst du das wirklich?“
Er schloss die Augen, als hätte ich die falsche Frage gestellt und er müsse jetzt erst eine Antwort suchen, die zu der Frage passte. „Ja, ich muss das tun.“
Eine ganze Weile schwiegen wir beide. Dann erzählte er mir systematisch, so als hätte er es eingeübt, dass er eine möblierte Wohnung in der Nähe seiner neuen Klinik gemietet habe, dass das Memorial-Krankenhaus, in dem er jetzt noch arbeitete, bereits über alles informiert sei und einer frühzeitigen Vertragsauflösung zugestimmt habe, sodass er bereits am folgenden Dienstag seine neue Stelle antreten könne. Er fragte mich, ob er den Wagen mitnehmen könne, obwohl er sowieso ihm gehörte. Dann meinte er, wir könnten die Zeit der Trennung ja nutzen, um herauszufinden, wohin wir eigentlich innerlich unterwegs seien.
„Und was soll ich meinen Eltern sagen?“, fragte ich. Meine Wangen waren nass von den Tränen, die geflossen waren, während er mir erzählt hatte, was bereits alles geregelt war.
Brad erhob sich. „Was haben denn deine Eltern damit zu tun?“
„Ich muss ihnen doch irgendetwas sagen.“
„Sag ihnen, dass ich schuld bin.“
Er wollte an mir vorbei, um die Küche zu verlassen – vermutlich, um zu packen –, aber ich streckte meine Hand aus und berührte ihn am Arm, sodass er stehen blieb.
„Aber du hast letzte Nacht mit mir geschlafen“, flüsterte ich.
Als er darauf nichts entgegnete, schaute ich zu ihm auf. Er blickte auf meine Hand, die auf seinem Arm lag, und wartete, dass ich losließ.
Er sagte zwar nichts, aber plötzlich wusste ich, was er dachte.
Was wir in der letzten Nacht zusammen erlebt hatten, war der körperliche Rest unseres Einsseins. Er hatte es geprüft und für nicht mehr ausreichend befunden.
Wir hatten zweiundzwanzig Jahre lang im selben Haus gelebt, ein Auto geteilt, dieselben Freunde gehabt und in einem Bett geschlafen. Und es war Connor gewesen, der die losen Fäden miteinander verknüpft hatte.
Ich ließ meine Hand sinken.
Ich hatte die Anzeichen dafür, dass Brad sich in unserer Ehe nicht mehr wohlfühlte, wirklich nicht bemerkt. Es hatte sie mit Sicherheit gegeben, aber ich hatte sie übersehen. Meine beste Freundin Molly, an deren Schulter ich mich am Tag nach Brads Auszug ausweinte, meinte, ich hätte mich vielleicht mit der Arbeit in Theas Antiquitätenladen abgelenkt, weil ich nicht gewusst hätte, was ich mit diesen Anzeichen anfangen sollte. Also hätte ich einfach so getan, als wären sie gar nicht da. Doch so war es nicht. Ich hatte diese Anzeichen wirklich nicht bemerkt.
Als Brad weg war, blieb mir gar nichts anderes übrig, als mich damit auseinanderzusetzen. Die Zeichen, die ich nicht bemerkt hatte, waren nämlich zu den Gründen geworden, weshalb er gegangen war. Sein leeres Bett drängte mich Nacht für Nacht zum Grübeln, während der Rest von Manhattan schlief. Wenn es dann Morgen wurde, schleppte ich mich völlig benebelt in den Laden. In der Woche nach Brads Auszug arbeitete Stacy noch nicht fest für mich, sodass nur ich und der sehr direkte Wilson dort waren. Wilson war ein pensionierter Geschichtslehrer, Liebhaber bunter Hawaii-hemden, Reparatur-Autodidakt und neben mir Theas einzige weitere Vollzeitkraft.
„Haben Sie einen Kater?“, fragte er mich am ersten Morgen nach Brads Auszug, weil er über meinen schwankenden Gang erschrocken war.
„Nein, Wilson. Ich habe nur nicht gut geschlafen.“
„Tut mir leid. Ich mache Ihnen erst mal einen Kaffee.“
„Danke.“
„Ist mir ein Vergnügen. Wissen Sie, wenn Sie nicht so viel raffinierten Zucker konsumieren würden, dann lägen Sie nachts auch nicht dauernd wach, Jane.“
Ich zog ganz langsam meinen Mantel aus und hängte ihn an den Kleiderständer auf dem Gang bei der Kasse. „Wahrscheinlich haben Sie recht.“
Er starrte mich an. „Das war doch nur ein Scherz, Jane. Möchten Sie einen Donut zum Kaffee? Ich habe nämlich auf dem Weg hierher welche gekauft.“
Bei Kaffee und Donuts vertraute ich mich Wilson dann an. Ich erzählte ihm, dass Brad einen Job in New Hampshire angenommen hätte und fürs Erste allein dort hinziehen wolle.
„Er hat Sie also verlassen“, sagte Wilson und wischte sich die Cremefüllung des Donuts aus den Mundwinkeln.
„Nein, nicht direkt. Aber genau so fühlt es sich an.“
Er stand auf und warf die Donutverpackung in den Müll. Inzwischen war es fast neun, also Zeit, den Laden zu öffnen. „Es fühlt sich genau so an, weil es auch genau so ist“, sagte er.
Ich knipste eine Tischlampe an der Kasse an. „Erinnern Sie mich bitte daran, dass ich nicht zu Ihnen komme, wenn ich mal Mitgefühl brauche, Wilson.“
Er ging mit dem Schlüsselbund in der Hand zur Ladentür. „Ach so, das wollten Sie also. Sie wollten Mitgefühl? Wo kriegt man das denn hier in New York?“ Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um.
„Sagen Sie mir doch bitte noch mal, warum Thea Sie eingestellt hat?“, rief ich ihm zu und genoss das kleine Lächeln, das er mir entlockt hatte. Es fühlte sich gut an zu lächeln, auch wenn es nur für fünf Sekunden gewesen war.
Wilson kam wieder zurück zu mir, und als er näher kam, konnte ich seinen Lieblingspfeifentabak im Stoff seines Hawaiihemdes riechen. Die vielen Falten in seinem fünfundsiebzigjährigen Gesicht verzogen sich, als er grinste.
„Natürlich, weil ich ihr Liebhaber war.“
In diesem Moment ging das Telefon. Er nahm das Gespräch entgegen, und im nächsten Augenblick kam eine Gruppe von Kunden herein. Später hatte ich dann nicht mehr den Mut, ihn zu fragen, ob das ein Scherz gewesen sei.
Meine Mutter und ich erreichten den Laden, wo sie in zweiter Reihe parkte, während ich hineinrannte, um die Gerberavase für sie zu holen. Die Spätvormittagssonne wärmte die belebte Straße, und Autos flitzten links und rechts an ihr vorbei. Jemand hupte, als ich die Beifahrertür von außen öffnete und die Vase auf dem Boden des Wagens abstellte.
„Vergiss nicht, dass wir nächste Woche Leslies Geburtstag bei uns feiern. Und schlaf dich um Himmels willen mal richtig aus. Du siehst nicht gut aus, Jane“, rief sie und fügte dann noch hinzu, dass meine Schwester sich zu ihrem vierzigsten Geburtstag keine schwarzen Luftballons, keine Antifalten-creme und auch keine Haftcreme fürs Gebiss wünschte. Ich versicherte ihr, dass ich im Laden bestimmt etwas Passendes für meine Schwester finden würde, das keinerlei Anspielung auf ihr fortgeschrittenes Alter enthielte.
„Schade, dass die alte Uhr in dem Stadthaus nicht funktioniert!“, schrie mir meine Mutter noch zu, als erneut ein Auto ihretwegen hupte. „Die würde ihr bestimmt gefallen.“
Ich schlug die Tür zu und half ihr, sich wieder in den Verkehr einzufädeln.
Die Uhr gehörte mir.