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Die Veröffentlichung des Bandes ist durch die Unterstützung des Vereins Forum Bildung mit Sitz in Winterthur und der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz ermöglicht worden.

Carsten Quesel, Vera Husfeldt, Norbert Landwehr, Peter Steiner (Hrsg.)

Failing Schools

Herausforderungen für die Schulentwicklung

ISBN Print: 978-3-03905-789-4

ISBN E-Book: 978-3-03905-966-9

1. Auflage 2013

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de

Inhalt

Vorwort (Rainer Huber)

Einleitung

»Failing Schools« im Kontext marktorientierter Bildungspolitik

Eine Analyse zur Reformdynamik in England und den USA

Sehr schwache Primarschulen im Fokus der niederländischen Schulinspektion

Erfahrungen aus einer Unterstützungsmaßnahme für »Schulen in schwieriger Lage« in Hamburg

Krisendiagnose und Veränderungsdruck

Schulentwicklungen zwischen Erst- und Nachinspektionen in Niedersachsen

Wenn die Ampel auf Rot steht

Ein Konzept zur Diagnose und Intervention bei grundlegenden Funktionsstörungen der Schule

Von der Krisendiagnose zum Turnaround

Explorative Befunde zu den Konsequenzen der »Ampelevaluation« im Kanton Aargau

Schulen in Krisenlage – Erfahrungen aus der Organisationsberatung

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Vorwort

Überall, wo Menschen eine Aufgabe erfüllen, können sich Unterschiede bemerkbar machen, die die Art und Weise des Vorgehens, die erzielten Ergebnisse oder die Auswirkungen des Handelns betreffen. Individualität und Qualität hängen insofern zusammen. Unterschiede lassen sich aber nur feststellen, wenn Bezugspunkte gewählt werden, die über den Einzelfall hinausweisen. In manchen Bereichen lassen sich solche Punkte relativ gut normieren und messen. In anderen Bereichen erweist es sich als schwierig, sich auf Kriterien zu einigen. Dies gilt zumal dann, wenn Aufgaben in komplexen Organisationen zu erfüllen sind und dabei zwischenmenschliche Beziehungen eine wichtige Rolle spielen. Die Schule ist dafür ein Paradebeispiel.

In vielen Ländern wird seit Längerem intensiv darüber diskutiert, was eine gute Schule auszeichnet und welche Schritte nötig sind, um die Schulqualität weiter zu steigern. Dabei besteht längst nicht Einigkeit darüber, was Schulqualität im Detail bedeutet. Auffällig ist aber, dass im Zuge dieser Diskussion vielerorts die Zahl der kritischen Diagnosen zunimmt, in denen Schulen bescheinigt wird, dass sie ihre Aufgaben nur knapp genügend oder gar ungenügend erfüllen. Dabei konzentriert sich das Augenmerk auf verschiedene Aspekte: Zunächst einmal geht es um die mess- und vergleichbaren Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Daneben ist von Bedeutung, ob die Schule Kindern und Jugendlichen ein soziales Umfeld bietet, in dem sie sich positiv entwickeln können: Welches Klima prägt das Schulleben? Wie geht die Schule mit Konflikten und sozialen Problemen um? In welchem Maß trägt sie dazu bei, den Kindern und Jugendlichen zur Selbstständigkeit und Selbstverantwortung zu verhelfen? Damit verbindet sich schließlich als weiterer Punkt die Anforderung, dass dem Personal ein Rahmen für die Stärkung von beruflichen Kompetenzen und dem sorgsamen Umgang mit humanen Ressourcen geboten wird.

Für Schulen, die diesen Punkten nicht gerecht werden, hat sich im englischsprachigen Raum der Begriff der »Failing School« eingebürgert – wobei dort das Kriterium der Schülerleistungen ganz deutlich im Vordergrund steht. Dabei ist die Analogie zu Unternehmen, die wegen fehlender Leistungen in Konkurs gehen, durchaus gewollt: In England oder den USA fehlt es nicht an Beispielen dafür, dass Schulen wegen fehlender Erfolge vom Bildungsmarkt verschwinden. Auch wenn in den meisten kontinentaleuropäischen Ländern und namentlich auch in der Schweiz eine andere Ausgangslage besteht, weil die öffentlichen Schulen sich auf eine politische Existenzgarantie stützen und vergleichende Leistungstests nicht denselben Stellenwert haben wie im angelsächsischen und angloamerikanischen Raum, ist auch hier der Bewährungsdruck in den letzten Jahren gewachsen: Es wird nicht mehr selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Schulen als Organisationen gut funktionieren und allenfalls einzelne Lehr- oder Leitungspersonen ein Problem darstellen.

Im Unterschied zum englischsprachigen Raum ist die Schulbeurteilung im deutschsprachigen Raum dadurch geprägt, dass Prozessen der Schul- und Unterrichtsorganisation ein vergleichsweise hoher Stellenwert eingeräumt wird. Während es bei den Resultaten von Leistungstests auf den ersten Blick einfach erscheint, anhand der erzielten Werte von erfolgreichen und erfolglosen Schulen zu sprechen, ist die Frage, ob Schulen auch bei der Gestaltung der Organisationskultur scheitern können, bislang noch nicht systematisch untersucht worden.

Die im September 2011 in Basel durchgeführte Tagung Failing Schools – Herausforderungen für die Schulentwicklung zielte darauf ab, das bislang teils ignorierte, teils tabuisierte Thema des Versagens von Schule als Organisation zu konkretisieren. Dabei sollte es nicht nur um die Darstellung und Analyse von Defizitdiagnosen gehen, sondern auch um die Frage nach sinnvollen und praktikablen Konsequenzen: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Schulen mit gravierenden Schwächen den Turnaround schaffen?

Insgesamt ist erfreulich, dass die Fachstellen für externe Schulevaluation den Schweizer Schulen mehrheitlich eine gute und teilweise sehr gute Qualität bescheinigen. Das darf aber nicht dazu führen, die Hinweise auf Schulen, die nicht einwandfrei funktionieren, einfach zu vernachlässigen.

Jedes Kind ist wichtig und soll in jeder Schule seinen Fähigkeiten entsprechend gefördert werden, sich wohlfühlen, seine Leistungsfähigkeit und seine Grenzen kennenlernen und sein Potenzial möglichst optimal ausschöpfen können. Je weiter die Entwicklung zur Informations- und Wissensgesellschaft voranschreitet, desto wichtiger wird es, diese Forderungen in den Schulen umzusetzen. Die meisten Schulleitungen und Lehrpersonen sind sich dieser Tatsache bewusst und beweisen unter teilweise widrigen Umständen großen pädagogischen Elan. In ihrer professionellen Entwicklung erhalten sie durch die externe Schulevaluation wichtige Fingerzeige. Dem Forum Bildung ist die Stärkung des pädagogischen Elans und seine Unterstützung durch systematische Bildungsbeobachtung – auch über staatliche Grenzen hinweg – ein sehr großes Anliegen.

Rainer Huber

Geschäftsführer Forum Bildung

Einleitung

Über lange Zeit hinweg hat sich der pädagogische Diskurs zu Fragen der Schulentwicklung sehr stark auf innovative Schulen konzentriert. Ende des 19. Jahrhunderts waren reformpädagogische Pionierschulen zum Gegenstand einer lebhaften Auseinandersetzung geworden, bei der zum einen über die Vorbildlichkeit und zum anderen über die Verallgemeinerbarkeit dieser Innovationen diskutiert wurde. War diese Diskussion zunächst vor allem von bildungstheoretischen Erwägungen geprägt, verschob sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts der Fokus zu empirischen Studien über Schulentwicklung und Schuleffektivität. Auch dabei blieb der Blick zunächst recht stark auf die Frage konzentriert, wie aussagekräftige Befunde zu »Good Practice« oder sogar zu »Best Practice« zu gewinnen sind. In der Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Schulen sich positiv entwickeln, weitete sich der Blickwinkel auf das Problem der sozialen Benachteiligung aus: In Stadtvierteln, die durch Armut, ethnische Segregation oder Gewaltkriminalität geprägt sind, ergeben sich andere Voraussetzungen für die Schulentwicklung als in wohlhabenden Quartieren.

Eine wichtige Erkenntnis lautete indes, dass der Standort einer Schule im Hinblick auf ihre pädagogische Wirksamkeit keine schicksalhafte Bedeutung hat: Lag bei wegweisenden Studien aus den 1960er-Jahren ein Hauptaugenmerk auf Aspekten sozialer Ungleichheit und Benachteiligung (z. B. Coleman et al., 1966), zog im Laufe der Siebziger- und Achtzigerjahre die Entdeckung, dass es Schulen gibt, die unter schwierigen Bedingungen sehr erfolgreich arbeiten (z. B. Mortimore, Sammons, Stoll, Lewis & Ecob, 1988; Rutter, Maughan, Mortimore & Ouston, 1979), mehr und mehr Aufmerksamkeit auf sich. Diese Entdeckung wurde im pädagogischen Diskurs unter anderem deshalb so lebhaft rezipiert, weil sie auch als Würdigung professioneller Kompetenz zu lesen war: Lehrpersonen und Schulleitungen sind in der Lage, einen bedeutsamen positiven Unterschied zu machen; sie können Kindern und Jugendlichen durch klugen und beharrlichen Einsatz mehr vermitteln, als aufgrund der Rahmenbedingungen der Schule zu erwarten wäre.

Die gute Nachricht hat indes auch eine Kehrseite, die seit den 1990er-Jahren in den Fokus wissenschaftlicher und bildungspolitischer Diskussionen gerückt ist: Es gibt Schulen, die einen Unterschied im negativen Sinne machen, weil sie dauerhaft hinter den an sie gestellten Erwartungen zurückbleiben und gravierende Probleme aufweisen, die nicht einfach ihrer sozialen Umwelt angelastet werden können. Im englischen Sprachraum hat sich für dieses Phänomen der Begriff der »Failing School« eingebürgert.

Der Begriff failure verweist auf die unangenehme Überraschung, dass eine als normal erwartete Leistung mehr oder minder abrupt ausbleibt. Das Wörterbuch hält hier zunächst Beispiele wie Herz- und Nierenversagen bereit, dann auch das Beispiel von Maschinen, die ihren Dienst nicht erfüllen. Die meisten Beispiele sind sich darin ähnlich, dass auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, warum die Funktion nicht erwartungsgemäß erfüllt wird. Die Wortgeschichte geht über das französische Verb faillir zum lateinischen Verb fallere zurück, das neben dem Bedeutungsfeld des Versagens auch in das Bedeutungsfeld des Enttäuschens hineingehört. Weil die Schule mehrere Funktionen zu erfüllen hat, die teilweise in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen (Fend 2006, S. 49ff.), können Probleme innerhalb des Bildungssystems in unterschiedlicher Hinsicht Enttäuschungen auslösen: So kann es im Hinblick auf die Qualifizierungs- und Allokationsfunktion enttäuschend sein, dass messbare Lernfortschritte ausbleiben oder dass sich kein bruchloser Übergang zwischen Schule und Arbeitsmarkt ergibt. Des Weiteren kann es im Hinblick auf Selektionsprozesse enttäuschend sein, dass sich die Schule nur begrenzt als geeignet erweist, soziale Strukturen zu konservieren oder aber zu verändern. Im Hinblick auf die Herausbildung moralischer und politischer Identität kann es enttäuschend sein, dass die Schule nicht in der Lage ist, flächendeckend für Loyalität und Gemeinsinn zu sorgen. Relativierend ist darauf hinzuweisen, dass Unterstellungen von Normalität diffus oder illusionär sein können. Von daher ist bei Enttäuschungen zunächst zu fragen, auf welche Funktionen sie sich genau beziehen, damit in einem zweiten Schritt geprüft werden kann, ob sich der Eindruck des Versagens substantiieren lässt.

Neben dem Begriff der »Failing School« sind noch andere Begriffe im Umlauf, die darauf verweisen, dass es bei der Differenz zwischen den Erwartungen an Bildungsorganisationen und deren tatsächlicher Performanz um ein vielschichtiges Problem geht. Die Termini »schools in difficulties« (Stoll & Myers, 1998) oder »troubled schools« (Smith, 2012) stellen insofern Oberbegriffe dar, als die angesprochenen Schwierigkeiten sowohl durch äußere Umstände als auch durch interne Faktoren bedingt sein können. Ebenso kann sich der Terminus »struggling schools« (Barber, 1995; Stephens, 2010; Turner, 1998) auf den Kampf gegen äußere Widerstände wie auf interne Konflikte beziehen – wobei die Verwicklung in Konflikte nicht mit dem Scheitern gleichgesetzt werden darf. Wenn von »schools in challenging circumstances« (Levin, 2007; Reynolds et al., 2006) die Rede ist, dann liegt der Akzent auf den Rahmenbedingungen, wobei ebenfalls offen ist, ob die Schulen die Herausforderungen bewältigen oder nicht, wiewohl negative Kontextfaktoren das Risiko des Scheiterns deutlich vergrößern. Mit den Termini »low performing schools« (Leithwood, Harris & Strauss, 2010; Mintrop, 2003) oder »underperforming schools« (McDermott & McDermott, 2009; van de Grift & Houtveen, 2007) wird hingegen der anhand von Testresultaten gemessene Output in den Vordergrund gestellt: In diesem Sinne sind mangelhafte Schülerleistungen das Hauptproblem. David Hopkins (2007, S. 151) macht den Vorschlag, drei Defizitstufen zu unterscheiden: Demnach sind »underperforming schools« dadurch gekennzeichnet, dass es an wirksamen Fördermaßnahmen für schwächere Schülerinnen und Schüler mangelt, während »low attaining schools« von gravierenderen Mängeln im pädagogischen Bereich geprägt sind, die etwa durch Beratung und Coaching anzugehen sind. Gleichwohl bestehe hier ein Potenzial für die selbstgesteuerte Schulentwicklung, während »failing schools« gravierende Leistungsdefizite aufweisen und zugleich unter Führungsproblemen leiden, die es nahezu unmöglich machen, eine selbstgesteuerte Erneuerung in Gang zu setzen.

Murphy & Meyers (2007) schlagen vor, die Problemgeschichte von »Failing Schools« aus dem Zusammenspiel externer und interner Faktoren zu erklären. Bei den externen Faktoren sind demnach Armut und soziale Segregation als Ursachen hervorzuheben, die außerhalb der Reichweite pädagogischen und schulorganisatorischen Handelns liegen. Bei den internen Faktoren spielen fehlende professionelle Kompetenzen bei Lehr- und Leitungspersonen, die Arbeitsmoral und auch der Teamgeist eine wichtige Rolle: Es kann demnach sein, dass die schlechten Rahmenbedingungen ein Klima der Hoffnungslosigkeit erzeugen – gleichwohl handelt es sich beim Klima um eine Größe, die dem Zugriff der Akteure nicht entzogen ist.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass schlechte Resultate bei Leistungstests häufig mit negativen sozialen Kontextfaktoren einhergehen, ist es aus Sicht der OECD sinnvoll, von »low performing disadvantaged schools« zu reden (OECD, 2012, S. 103ff.). Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Milieus sind stärker gefährdet, bei Tests schlecht abzuschneiden; Schulen in benachteiligten Quartieren sind stärker von Mobbing und Gewaltkriminalität betroffen: Dies wirkt sich negativ auf das Schulklima und das Commitment von Lehr- und Leitungspersonen aus, was wiederum negativ das Selbstbild von Schülerinnen und Schülern beeinflussen kann, sodass eine negative Spirale in Gang kommt. »Failing Schools« zeichnen sich demnach durch schwache Testresultate, mangelhaftes Führungsverhalten, fehlende Stabilität in der pädagogischen Beziehung und ein schlechtes Schulklima aus.

Ein entscheidender Punkt bleibt gleichwohl, dass Schulen trotz schlechter Rahmenbedingungen ausgezeichnete Arbeit leisten können, wie sich an zahlreichen Beispielen zeigen lässt. Ein zweiter wichtiger Punkt ist hinzuzusetzen: Es kann sein, dass Schulen unter komfortablen Rahmenbedingungen im Hinblick auf Schülerleistungen, Unterrichtsqualität oder Führungsverhalten deutlich hinter Vergleichswerten zurückbleiben. Vor diesem Hintergrund schlagen wir als Minimaldefinition für »Failing Schools« vor, dass es sich um Schulen handelt, die bei gravierenden Problemen nicht in der Lage sind, selbst eine angemessene Diagnose zu stellen und adäquate Lösungsstrategien zu entwickeln. Mithin sind immer zwei Aspekte zu berücksichtigen: Der eine betrifft das Auftreten von Störungen oder Misserfolgen, der andere die Fähigkeit, diese Probleme innerhalb des Systems wahrzunehmen und zu bearbeiten.

Diese Probleme können in Testresultaten oder in Klimadaten zum Ausdruck kommen, sie können aber möglicherweise auch dem quantifizierenden Zugriff entzogen bleiben. Oft werden sie durch soziale Rahmenbedingungen verschärft – jedoch sind Schulen in schwieriger Lage oder sozial besonders belastete Schulen aus den erwähnten Gründen nicht umstandslos mit »Failing Schools« gleichzusetzen. Umgekehrt kann es sein, dass ein Gymnasium, das vor allem von Jugendlichen aus wohlhabenden Verhältnissen besucht wird, als »Failing School« einzustufen ist.

Mit der hier gewählten Minimaldefinition schließen wir uns an Vorschläge an, bei denen der Begriff der »Failing School« auf einzelne Schulen als Organisation zu beziehen ist. Mithin setzen wir uns von Verallgemeinerungen ab, bei denen er das Versagen des Bildungssystems oder aber der Bildungspolitik bezeichnet: So fehlt es namentlich in der britischen Presse nicht an Artikeln, bei denen so unterschiedliche Dinge wie Mangel an qualifizierten Arbeitskräften oder Demonstrationen, die in Vandalismus umschlagen, auf »Failing Schools« zurückgeführt werden.1 Diese Kritik stützt sich auf Formeln, nach denen die Schule die Gesellschaft mit einer arbeitsmarkttauglichen jungen Generation oder mit guten demokratischen Bürgerinnen und Bürgern zu versorgen habe – kommt es zu Disparitäten oder zu Anomie, dann hat die Schule versagt. Kurzsichtig ist diese Kritik insofern, als sie verkennt, dass Disparitäten und Anomie bereits zur Ausgangslage der schulischen Bildungsprozesse gehören.

Aber auch dann, wenn die Versagensproblematik auf der Ebene einzelner Schulen betrachtet wird, kann es zu Schuldzuweisungen kommen, die den Kern der Sache verfehlen. Unter dem Titel Reframing Shame skizziert Larry Cuban (2012) in einem Artikel einen Prozess, der sich auf drei Stufen der Versagensdiagnostik erstreckt: Schulisches Versagen war in diesem Sinne, historisch betrachtet, zunächst einmal individuelles Versagen der Lernenden. Dass Schülerinnen und Schüler an Aufgaben scheitern können, gehört zu den Ursprungsthemen der Pädagogik. Über lange Zeit war es nicht unüblich, Kinder im Falle regelmäßigen Scheiterns als faul oder dumm zu stigmatisieren, wobei dieses Versagen teils auf mangelhafte Erbanlagen, teils auf mangelnden Willen und mitunter auch auf unglückliche Umstände zurückgeführt wurde. Zu den unglücklichen Umständen konnten Lehrpersonen und Schulleitungen durch Fehlverhalten beitragen: Individuelles Scheitern konnte in dieser Perspektive auch die Gestalt des beruflichen Versagens annehmen.

Bei der zweiten Stufe der Versagensdiagnostik rücken die unglücklichen Umstände als Quelle des Versagens ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Ökonomisch bedingte soziale Ungleichheit ist demnach das eigentliche Problem, wobei Mechanismen der Ausgrenzung wirksam werden, bei denen sich Mangel und Not mit kultureller Deprivation verbinden. Lehr- und Leitungspersonen waren in dieser Optik zunächst einmal Kinder ihrer Zeit und geprägt durch die eigene soziale Herkunft und deshalb nur sehr eingeschränkt in der Lage, korrigierend oder kompensierend in die Mechanismen der sozialen Reproduktion einzugreifen.

Mit der schon angesprochenen Entdeckung, dass es Schulen gibt, die unter sehr widrigen Umständen sehr effektiv arbeiten, geschieht der Übergang zur dritten Stufe der Versagensdiagnostik, bei der es um das Versagen professioneller Akteure geht. Es ist nicht ohne Ironie, dass diese Versagensdiagnostik mit einem Lob anhebt: Bei den leistungsstarken Schulen in benachteiligten Milieus zeige sich, dass kompetente Leitungs- und Lehrpersonen gleichsam in der Lage sind, sich selbst und ihre Schule »aus dem Sumpf« der Elendsquartiere zu ziehen. Vordergründig scheint diese Feststellung einen pädagogischen Triumph zu bezeugen – bei genauem Hinsehen steckt der Teufel aber im Detail: Laut Cuban sind aufgrund dieser Entdeckung Lehr- und Leitungspersonen nun generell mit der Erwartung konfrontiert, dass sie einen positiven Unterschied machen können – und dass sie versagt haben, wenn es nicht gelingt, die eigene Schule auf ein durchschnittliches oder überdurchschnittliches Leistungsniveau zu führen. Der Pyrrhussieg der Pädagogik besteht demnach darin, dass ihre Gestaltungskraft ausdrücklich gewürdigt wird, und zwar bis hin zu dem Punkt, dass sie nun den Erfolg aller Schülerinnen und Schüler garantieren soll (Cuban, 2012). In den USA habe das zu einem bildungspolitischen Klima geführt, bei dem sich Reformen darauf beschränken, leistungsschwache Schulen zu reparieren oder durch neue Schulen zu ersetzen, ohne die sozialstrukturelle Benachteiligung anzugehen, die der Leistungsschwäche zugrunde liege.

Die von Larry Cuban hinsichtlich des blaming and shaming geäußerte Kritik verbindet die Frage nach der Versagensdiagnostik mit derjenigen nach geeigneten Interventionsstrategien. Dabei ist zunächst einmal zu berücksichtigen, dass eine negative Diagnose selbst eine lähmende Wirkung haben kann. Wer einer Schule auf ungeschickte Weise beibringt, dass sie gravierende Funktionsprobleme hat, verstärkt unter Umständen die Handlungsunfähigkeit. Es ist mithin in Rechnung zu stellen, dass der Gebrauch des Etiketts »Failing School« stigmatisierend oder traumatisierend wirken kann.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob es bei fehlender Handlungsfähigkeit einen Sinn ergibt, sich in diplomatischer Zurückhaltung zu üben: Möglicherweise ist ja ein heilsamer Schock nötig, um die Schule in Bewegung zu bringen. Bei komplexen Systemen ist indes die heilsame Wirkung von Schocks nicht sicher. Um eine unheilvolle Eskalation zu vermeiden, verbiete es sich grundsätzlich, Schulen an den Pranger zu stellen: »Attempting to promote change by using shame, guilt or bully tactics will fail in the long run« (Fink, 1999, S. 139). In dieselbe Richtung zielt der Rat von Huber:»Sicher braucht man eine Bezeichnung für das Phänomen – aber ganz klar abzulehnen ist, eine konkrete Einzelschule öffentlich so zu etikettieren« (Huber, 2012, S. 2). Hier stellt sich allerdings die Frage, ob Etikettieren mit Anprangern gleichgesetzt werden kann. Die gute Absicht, einzelne Bildungseinrichtungen nicht öffentlich mit dem Etikett »Failing School« zu versehen, liegt auf der Hand: Der vorsichtige Sprachgebrauch soll verhindern, dass Krisen, die ohnehin schon schlimm genug sind, weiter zugespitzt werden. Es ist aber auch leicht erkennbar, dass die Sache nicht ohne Tücken ist. Kommen vertraulich geäußerte, kritische Einschätzungen auf irgendwelchen Kanälen schließlich doch an die Öffentlichkeit (und nach Murphy’s Law ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass dies geschieht), wird sich der Ärger potenzieren. Zum anderen kann übergroße rhetorische Behutsamkeit eine Kategorie wissenschaftlich unbrauchbar machen: Wenn ein Sammelbegriff nur insgeheim auf einzelne Untersuchungseinheiten bezogen wird und lediglich ein verklausuliertes Feedback gegeben werden kann, ist darüber nachzudenken, ob das Evaluations- oder Forschungsdesign möglicherweise verfehlt ist.

Von daher spricht manches dafür, einzelnen Schulen tatsächlich die kritische Diagnose zuzumuten, dass sie als Organisationen gegenwärtig nicht in der Lage sind, wichtige Probleme konstruktiv anzugehen. Entscheidend ist, dass sich eine solche Diagnose mit geeignetem Support verbinden muss, weil es zynisch wäre, die Hilflosigkeit zu konstatieren und es dabei zu belassen. Damit stellt sich die Frage, was zu tun ist, um einen Turnaround einzuleiten. Die OECD-Expertise »Improving low performing schools« nennt an erster Stelle die Stärkung von school leadership: Ein gelingender Wandel müsse bei der Führung ansetzen, die sowohl über pädagogische und organisationale Kompetenzen verfügen als auch einen Handlungsspielraum erhalten müsse, der es gestatte, diese Kompetenzen zur Geltung zu bringen (OECD, 2012, S. 112). Um solche Führungskräfte zu gewinnen, bedürfe es zum einen hoch entwickelter Qualifikationsprogramme und Weiterbildungsangebote, zum anderen müsse auch durch materielle Anreize dafür gesorgt werden, dass »Failing Schools« für hervorragende Leitungspersonen als Arbeitsplatz attraktiv sind.

Die Forderung, vorrangig in die Optimierung von Führungsstrukturen und die Rekrutierung von hervorragendem Führungspersonal zu investieren, teilt die OECD-Expertise mit zahlreichen anderen Konzepten zum Turnaround (vgl. z. B. Altrichter & Moosbrugger, 2011; Herman et al., 2008; Leithwood, Harris & Strauss, 2010; Murphy & Meyers, 2007, S. 137ff.; Mujis, 2007). Im Falle von England stehen sie im scharfen Kontrast zu Daten, die den Schluss nahelegen, dass es immer schwieriger wird, kompetente und engagierte Leitungspersonen für Schulen in Stadtteilen zu finden, die durch Armut, Segregation und Kriminalität geprägt sind (Howson & Sprigade, 2011). Mit Blick auf die USA weisen Herman et al. (2008, S. 10) darauf hin, dass der evidence level für den Effekt einer Reorganisation im Zeichen von strong leadership als eher niedrig einzuschätzen ist. Allgemein ist davor zu warnen, »Führung« zu überhöhen: Sie spielt für die Schulqualität eine wichtige Rolle, jedoch gibt es viele Befunde, die darauf hinweisen, dass sie die Lernarrangements und deren Einbettung im schulischen Leben nur indirekt zu beeinflussen vermag und in dieser Hinsicht die Lehrpersonen eine zentrale Rolle spielen (Fend, 1986; Hattie, 2003; Holtappels, 2008; Reynolds, 1991; Scheerens, 2006). Von daher empfiehlt sich ein partizipativer und situationsorientierter Führungsstil, der an verschiedene Schulkulturen angepasst werden kann (Nicolaidou & Ainscow, 2005, S. 245).

In der OECD-Expertise werden neben der Erneuerung auf der Führungsebene weitere Gelingensbedingungen für den Turnaround genannt, die sich sowohl auf formalisierte Strukturen und Prozesse als auch auf informelle Beziehungen erstrecken.

Es sei ein förderliches Schulklima zu schaffen, bei dem nicht die Disziplinierung im Vordergrund stehe, sondern eine durch Respekt und Anerkennung geprägte pädagogische Beziehung. Diese Beziehung müsse durch eine hoch entwickelte Förderdiagnostik und durch Förderprogramme unterstützt werden, die vor allem Kindern und Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten zugutekommen (OECD, 2012, S. 119).

Es bedürfe einer Personalstrategie für die dauerhafte Rekrutierung von hoch qualifizierten Lehrpersonen und für ein Mentoring, das junge Lehrpersonen bei akuten Problemen entlastet. Der Turnaround müsse dadurch vorangetrieben werden, dass in den »Failing Schools« günstige Arbeitsbedingungen geschaffen werden; zudem müsse es auch finanzielle Anreize und berufliche Aufstiegschancen geben, die das Engagement wachhalten (OECD, 2012, S. 128).

Auf der Unterrichtsebene solle schülerzentrierten Aktivitäten ein hoher Stellenwert zukommen, die aber von einem kohärenten und anspruchsvollen Curriculum her definiert und strukturiert werden. Formative und summative Leistungsbeurteilungen sollten so kombiniert werden, dass die Schülerinnen und Schüler optimale Fortschritte erzielen (OECD, 2012, S. 136).

Die Zusammenarbeit mit Eltern, Gemeinden und anderen Anspruchsgruppen sei zu intensivieren. Namentlich Eltern, die bislang schwer von der Schule erreicht worden seien, müssten mit Nachdruck einbezogen werden; ihnen sollten »clear guidelines« an die Hand gegeben werden, wie sie ihre Kinder optimal fördern können (OECD, 2012, S. 142).

Die von der OECD ins Auge gefassten Schritte für den Turnaround erstrecken sich mithin auf Aspekte der Personalentwicklung, der Unterrichtsorganisation und der Einflussnahme auf die soziale Umwelt der Schule. Mehrfach wird die Steuerung über materielle Anreize ins Spiel gebracht, wobei die Umsetzung in vielen Ländern weitreichende Veränderungen bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen voraussetzen würde. Unabhängig von den arbeitsrechtlichen Aspekten stellt sich dabei die Frage, ob die Aufgabenvielfalt im Lehrberuf überhaupt eine aussagekräftige Leistungsbewertung ermöglicht, die in Gratifikationen umgemünzt werden kann. Nicht minder unklar ist, wie genau eine professionelle Hierarchisierung in Form eines pädagogischen Karrieremusters aussehen soll: Das schulische Aufgabenfeld weist viele Merkmale auf, die einer solchen Hierarchisierung entgegenstehen – wobei an erster Stelle die Tatsache zu nennen ist, dass die Interaktion von Lehrpersonen und Lerngruppen sich recht beharrlich als ein Kerngeschäft erweist, das durch eine professionelle Über- oder Unterordnung pädagogischer Akteure kaum erleichtert oder ergiebiger gestaltet werden kann.

Das Gelingen des Turnarounds ist gemäß der OECD-Expertise unter anderem an Testergebnissen von Schülerinnen und Schülern abzulesen, wobei weniger absolute Werte, sondern relative Wissenszuwächse zum Maßstab gemacht werden sollen. Zugleich legt die Expertise Wert darauf, dass Aspekte der Individualisierung und der Binnendifferenzierung nicht vernachlässigt werden dürften. Gleichwohl bleibt die Würdigung der schülerzentrierten Aktivitäten der Leistungsorientierung untergeordnet. Wenn es heißt, dass durch das Curriculum eine »culture of high expectations of success« (OECD, 2012, S. 136) vorangetrieben werden soll, dann ist diese Formel nicht frei von Ambiguitäten: Einerseits lässt sie sich so lesen, dass auch schwächeren Schülerinnen und Schülern ein Grundvertrauen hinsichtlich der eigenen Erfolgsaussichten vermittelt werden soll; andererseits öffnet sich ein weiter Interpretationsspielraum hinsichtlich der Frage, wem in einer solchen Kultur Enttäuschungen und Misserfolge anzurechnen sind. Die Versagensproblematik kommt gleichsam durch die Hintertür wieder ins Haus des Lernens zurück.

Bei mehreren Punkten der OECD-Expertise zu Gelingensbedingungen des Turnaround kommen finanzielle Aspekte ins Spiel – wobei zugleich relativierend darauf hingewiesen wird, dass es um Probleme geht, die mit Geld allein nicht zu lösen sind. Jedoch ist klar, dass deren Bewältigung finanzielle Ressourcen erfordert – und hier besteht dann das Risiko, dass sich Regierungen eher auf gute Nachrichten aus dem Bildungssystem konzentrieren und die Bildungsadministration zur Produktion von Erfolgsmeldungen anregen.2 Immerhin ist aber in demokratischen Systemen für Dissens gesorgt – und damit auch für die Möglichkeit, dass Schulen ihre Nöte an die Öffentlichkeit tragen. Im Frühjahr 2006 hat die Rütli-Schule in Berlin mit einem Hilferuf auf sich aufmerksam gemacht, der nicht nur den Senat, sondern auch die Massenmedien erreichte. In dem Appell wurde eine Schulwirklichkeit erkennbar, die durch ethnische Segregation und Vandalismus geprägt war und in der Schülerinnen und Schüler den Lehrpersonen mit unverhohlener Verachtung begegnet waren.3 Der Hilferuf stieß auf außerordentliche öffentliche Resonanz, die dazu führte, dass sich das Bild der Schule innerhalb weniger Jahre zum Positiven gewandelt hat.4 Erkennbar ist, dass die öffentliche Anteilnahme den Lehr- und Leitungspersonen sowie der ganzen Schule gutgetan hat – wobei die Anteilnahme mit der Reorganisation der Schulform und vielfältigen Unterstützungsangeboten verbunden war. Die spektakuläre Aktion hat insofern den erwünschten Effekt ausgelöst, wobei aber darauf hinzuweisen ist, dass Wiederholungen zu einer Desensibilisierung führen und dieser Schritt insofern nicht musterbildend wirken kann.

Die Wirksamkeit des Hilferufs der Rütli-Schule zeigt indirekt auch, dass hier ein Fall administrativer Vernachlässigung und öffentlicher Indifferenz vorlag: Nicht die Schule hat in diesem Fall versagt, vielmehr müssen sich politische Akteure ankreiden lassen, dass sie ihren Aufgaben nicht gerecht geworden sind. In diesem Sinne beginnt die Geschichte von »Failing Schools« damit, dass ihnen soziale Probleme aufgebürdet werden und sie bei deren Bewältigung sich selbst überlassen bleiben. Vor diesem Hintergrund stellt sich immer die Frage, was auf der Ebene der Bildungspolitik getan werden kann, um die Wahrscheinlichkeit deutlich zu verringern, dass Schulen in eine Notlage geraten.

Indes ist nicht damit zu rechnen, dass die Antworten auf diese Frage einhellig ausfallen. Schon bei den wissenschaftlichen Expertisen gehen die Ansichten weit auseinander: Während die einen in der Steuerung über Bildungsstandards und Leistungstests die »letzte Chance für gute Schulen« (so der Titel von Wössmann, 2007) sehen wollen, gilt anderen diese Form der Steuerung als korrumpierende Praxis, die letztlich katastrophale Konsequenzen zeitigen müsse: Die Rede von »Collateral Damage« (Nichols & Berliner, 2007) lässt gar an zivile Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen denken, die von zynischen Militärstrategen achselzuckend in Kauf genommen werden. Solche rhetorischen Zuspitzungen führen relativ schnell zu einer Konstellation, in der nicht mehr Argumente ausgetauscht, sondern nur noch Belege für eine dogmatisch festgelegte Position gesammelt werden. Der vorliegende Band zielt darauf ab, solche Zuspitzungen zu vermeiden und verschiedene Gesichtspunkte zum Stichwort »Failing Schools« in einer vergleichenden und abwägenden Perspektive zur Sprache zu bringen. Die Grundthese lautet, dass es keine Patentrezepte und Wundermittel für die Gestaltung von Bildungssystemen gibt – und dass die Eigendynamik dieser Systeme nicht unterschätzt werden sollte.

Der Beitrag von Carsten Quesel und Vera Husfeldt setzt beim Thema der marktorientierten Steuerung des Bildungswesens an. Autorin und Autor rekonstruieren bildungspolitische Diskussionen und Reformprozesse in England und den USA im Hinblick darauf, an welchen Kriterien das »Versagen« von Schulen festgemacht wird und wie die Effekte marktorientierter Steuerungsversuche zu bilanzieren sind.

Frans J. G. Janssens behandelt das Beispiel sehr schwacher Primarschulen in den Niederlanden, wobei er das Hauptaugenmerk auf die Arbeitsweise des Schulinspektorats legt und Effekte von Interventionen im Anschluss an kritische Diagnosen zur Schulqualität herausarbeitet. Dabei kann er sich zum einen auf eine starke niederländische Forschungstradition zur Schulqualität und zum anderen auf seine eigene Berufserfahrung im Inspektorat stützen.

Joachim Herrmann beschäftigt sich mit einer Unterstützungsmaßnahme für »Schulen in schwieriger Lage« im Stadtstaat Hamburg, die im Zeitraum von 2007 bis 2010 durchgeführt wurde. Er skizziert die Grundzüge des Programms und behandelt dann eingehend die Kernprobleme der Schulen, die in dieses Programm involviert waren. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen plädiert er dafür, der Schulkultur im Rahmen der Diskussion über die Problematik des Organisationsversagens mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Elisabeth Schwank und Norbert Sommer legen eine Metaanalyse zur niedersächsischen Schulinspektion vor, bei der im Hinblick auf die Merkmale »schwacher« Schulen die Daten der Erstinspektionen mit denen der Nachinspektionen in Verbindung gebracht werden. Die Analyse führt die Autorin und den Autor zu einer positiven Einschätzung im Hinblick auf den Turnaround: In vielen Schulen sei es gelungen, in einem Zeitraum von rund achtzehn Monaten gravierende Mängel zu beheben.

Norbert Landwehr und Peter Steiner beschreiben in ihren Beiträgen, wie das Problem der »Failing Schools« in der Tätigkeit der externen Schulevaluation im Kanton Aargau aufgegriffen und bearbeitet wird. Sie stützen sich dabei auf ein Konzept, das gravierende Funktionsstörungen von Schulen durch das Symbol einer roten Ampel ausweist. Während im Artikel von Norbert Landwehr das Modell der Ampelevaluation dargestellt wird, legt Peter Steiner erste explorative Befunde zum gelungenen Turnaround vor, wobei er sich zum einen auf Evaluationsberichte und zum anderen auf Interviews stützt.

Im abschließenden Beitrag nimmt Toni Strittmatter aus der Perspektive des Organisationsberaters zur Problematik von extern oder intern verursachten Krisenlagen an Schulen Stellung. Er schildert Eskalationsmuster und liefert Hinweise und Ansatzpunkte, die es ermöglichen, das Muster zu durchbrechen. Aus seiner Perspektive lautet eine elementare Anforderung an Beratung und Intervention, dass mit Umwegen und Rückfällen immer zu rechnen ist. Bei der Gestaltung schulischer Wirklichkeit geht es in diesem Sinne niemals um Perfektion, sondern um die Lebensfähigkeit des Unvollkommenen.

Der vorliegende Band ist aus einer gleichnamigen Tagung hervorgegangen, die im September 2011 in Basel gemeinsam vom Forum Bildung und der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz ausgerichtet wurde. Dabei konnten wir an eine Vorgängertagung zur Frage der Wirksamkeit externer Schulevaluation anknüpfen (Quesel et al., 2011).

Beim Forum Bildung danken wir namentlich Diana Neuber für die hervorragende organisatorische Unterstützung; aus unserem eigenen Sekretariat möchten wir Silvia Moor hervorheben, die sich mit großer Sorgfalt um viele Detailfragen gekümmert hat. Bei der redaktionellen Bearbeitung der Manuskripte haben Sara Mahler und Natascha Hohl gründliche Arbeit geleistet. Für das Lektorat danken wir Susanne Gentsch vom hep-Verlag und Christoph Gassmann.

Aarau, im November 2012

Carsten Quesel, Vera Husfeldt, Norbert Landwehr und Peter Steiner

Literatur

Altrichter, H. & R. Moosbrugger (2011). Schulen in Schwierigkeiten. Was sagt die Schulforschung über Anzeichen, Ursachen und Lösungen? Lernende Schule, 14 (56), 8–11.

Barber, M. (1995). Shedding Light on the Dark Side of the Moon. Times Education Supplement, 12. Mai 1995. Online: www.tes.co.uk/article.aspx?storycode=11139 [22.11.2012].

Coleman, J. et al. (1966). Equality of Educational Opportunity. Washington: US Government Printing Office.

Cuban, L. (2012). Reframing Shame: How and When Blame for Student Achievement Shifted. Online: http://larrycuban.wordpress.com/2012/10/20/reframing-shame-how-andwhen-blame-for-student-low-achievement-shifted/ [16.11.2012].

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Carsten Quesel und Vera Husfeldt

»Failing Schools« im Kontext marktorientierter Bildungspolitik

Eine Analyse zur Reformdynamik in England und den USA

Mehr als tausend Primarschulen seien in England von der Schließung bedroht, so steht in einer Nachricht der Daily Mail vom 9. Dezember 2011 zu lesen.5 Für diese Fälle ergäben sich zwei Möglichkeiten: Sie könnten in eine neue Schulform verwandelt oder aber mit erfolgreichen Schulen verschmolzen werden. In einem Artikel des Wall Street Journal vom 24. September 2011 heißt es, die Stadt New York habe mehr als hundert Schulen benachrichtigt, dass sie geschlossen werden könnten, wenn sie bei der jährlichen Bilanz der Schülerleistungen schlecht abschneiden sollten.6 Dass es sich nicht um leere Drohungen handelt, geht aus den weiteren Ausführungen hervor: Seit 2002 habe die Stadtverwaltung 117 Schulen wegen schlechter Resultate der Schülerinnen und Schüler bei vergleichenden Leistungstests geschlossen. Versuche von Eltern und Lehrerverbänden, diese Schließungen gerichtlich anzufechten, seien weitgehend erfolglos geblieben.

Der vorliegende Artikel zielt darauf ab, den Hintergrund dieser Zeitungsmeldungen auszuleuchten. Zunächst einmal ist uns die Frage wichtig, anhand welcher Kriterien im englischen und amerikanischen Bildungssystem die Diagnose gestellt wird, dass eine Schule bei der Bewältigung ihrer Aufgaben versagt hat. Darüber hinaus interessiert uns der Deutungsrahmen, der der Definition dieser Kriterien zugrunde liegt. In dieser Hinsicht stellen wir das Paradigma der marktorientierten Steuerung des Bildungssystems ins Zentrum unseres Beitrags. Unser Augenmerk konzentriert sich auf das englische und das amerikanische Bildungssystem, weil den Regierungen Großbritanniens und der USA im Vergleich westlicher Länder ein Protagonistenstatus bei der Umsetzung marktorientierter Bildungsreformen zukommt. (Die Rede vom »englischen« Bildungssystem ist dabei kein Lapsus: Für das schottische Bildungssystem war die britische Regierung nie zuständig, im Fall von Wales hat sie diese Zuständigkeit verloren, und Nordirland ist ebenfalls ein Spezialfall.)

Academy Schools,Charter Schools