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Christoph-Maria Liegener (Hrsg.)

2. Bubenreuther
Literaturwettbewerb
2016

© 2015 Christoph-Maria Liegener

Herausgeber: Christoph-Maria Liegener

Verlag: tredition

ISBN:
978-3-7345-6222-8 (Paperback)
978-3-7345-6223-5 (Hardcover)
978-3-7345-6224-2 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autoren unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Vorwort

Die Siegertexte

Erster Platz: Walther

Zweiter Platz: Peter Paul Wiplinger

Dritter Platz: Didi Costaire

Vierter Platz: Julia Kersebaum

Fünfter Platz: Mark Neis

Weitere ausgewählte Werke

Harald Kappel

Franz Wolf

Maja Loewe

Dörte Müller

Wolfgang Rinn

Christiane Schwarze

Christel Manzey

Jana E. Hentzschel

Thomas Glatz

Kristiane Kondrat

Hermann Bauer

Leonhard F. Seidl

Ursula Dimper

Shuang Zhao

Michael Hetzner

Steffen M. Diebold

Edda Gutsche

Wolfgang J. Fink

Elena Strauch

Elif Didikci

Claudia Engeler

Ursula Kubik

Wolfgang Prietsch

Frank Neumann

Jessica Pietschmann

Helmut Glatz

Thomas Talger

Waltraud Zechmeister

Ditmar Danelius

Peter Schütt

Cornelia Arbaoui

Heiner Brückner

Ulrich Bihler

Manfred Pilz

Sebastian Hage-Packhäuser

Barbara Schilling

Wilfried Flau

Anette Gonserowski

Dietrich Wagner

Lara Messerli

Rudolf Strohmeyer

Christina Kiene

Nicole Makarewicz

Eva Kittelmann

Romy Salvagno

Susanne Stang

Sarah Katharina Kayß

Marlene Fleißig

Ina Spang

Chiara Blum

Karl Plepelits

Hanno Berg

Irmgard Wackerzapp

Henrike Staudte

Ursula Kubik

Angélique Duvier

Katharina Rios

Wolfgang Rödig

Elke Wiese-Dohse Biel

Michael Köhler

Samantha Scheffler

Helmut Rinke

Dorothee Hövel-Kleibrink

Adi Traar

Angela Flam

Hannelore Berthold

Rüdiger Butter

Meike Bruhns

Gerwin Kästner

Monika Piller

Johanna Amthor

Stephanie Maharaj

Miriam Reimann

Susanne Schulze

Hanne Vogt

Herbert Kuboth

Oliver Bruskolini

Louise Lunghard

Anja Pompowski

Wolfdietrich Jost

Magnus Tautz

Burckhard Garbe

Doris Bauer

Peter Jabulowsky

Susanne Mathies

Marion Redzich

Matthias Delbrück

Bastian Kienitz

Klaus Oberrauner

Claudia Windirsch-Schuster

Sören Heim

Franziska Hanke

Edgar Wenzel

Monika Schuster

Stefan Hölscher

Heidrun Biallowons

Jasmin Engel

Brigitte Günzel

Verena Liebers

Lisa Straubinger

Franziska Bauer

Franziska Werum

Daniela Lambrecht

Raven Elisabeth Dietzel

Susanne-Marie Hüttner

Pedro Zobel

Karl Henghuber

Dagmar Dusil

Carmen Streißnig-Fink

Andreas Leonhard Hilzensauer

Felix Wendler

Karl Forcher

Josef Mitterer

Johanna Klampfer

Vorwort

Auch wenn sich die Veranstaltung „Wettbewerb“ nennt, steht der Konkurrenzgedanke nicht im Vordergrund. Zum Ersten befinden sich nicht die Schreiber im Wettstreit, sondern die Werke, die sich im Idealfall von ihren Autoren gelöst und ihre eigene Existenz entwickelt haben. Zum Zweiten soll das Ganze zwanglos genommen werden, da doch Bewertung von Literatur immer auch subjektiv sein muss. Der Spaß soll im Vordergrund stehen: der Spaß am Schreiben und der Spaß am Lesen. Schön wäre, wenn ein Hauch der olympischen Idee die Teilnehmer beflügeln würde. So könnte ein schönes Gemeinschaftsprojekt entstehen.

Fühlt es sich nicht zuweilen an, als ob Poesie in der Luft liegt? Wenn der Geist der Dichtung durch die Welt weht, schwerelos, frei und ungebunden ... Er mag sich von Zeit zu Zeit mit dem Geist eines Sterblichen verbinden. Der Kairos, der günstige Augenblick, kann mal den Einen, mal den Anderen heimsuchen. Diese Gunst der Stunde muss man nutzen. Handwerkliches Geschick und Gespür sind natürlich erforderlich. Nicht zu vergessen Hingabe und Sorgfalt. Um ein Gedicht zu schreiben, reicht es nicht, ein paar Zeilenumbrüche in einen aus einer Laune dahingeschriebenen Text zu setzen. Das kann der Anfang sein. Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Man muss sich schon wirklich bemühen. Das erfordert der Respekt vor dem Werk. Es gilt, das Erlebte mit der äußeren Form in Einklang zu bringen. Alles muss passen. Die äußere Form ist wichtig. Sie hilft, das Werk vom Autor zu lösen. Dann entsteht etwas, das eine eigene Daseinsberechtigung hat. Eine Blüte der Natur. Ein solches Gedicht kann von allen neidlos bewundert werden. Solche Werke zu finden, ist das Ziel des Wettbewerbs.

Nicht nur Poesie, auch Prosa ist gesucht. Auch sie kann uns packen, mitreißen, Blicke gewähren, die wir uns nie vorstellen konnten. Auch hier ist es so, dass das Werk eine Eigendynamik entwickelt. Es will entstehen, drängt nach außen. Man muss die Flut nur bändigen.

Wie im letzten so ist auch in diesem Jahr zu betonen, dass die Verantwortung für die Texte allein bei den Autoren liegt. Korrekturen wurden nur selten vorgenommen. Die entsprechende Sorgfalt wird von den Autoren erwartet. Natürlich kann niemand die völlige Ausrottung des Tippfehlerteufels verlangen. In Einzelfällen wurde dann und wann eingegriffen. Ansonsten gilt: Wenn etwas nicht stimmt, so ist das eben das Werk, wie es nun einmal existiert. Das ist Authentizität. Außerdem kann eine gewisse Sorglosigkeit in der Ausführung Ausdruck von Spontaneität sein. Der Überarbeitung sind Grenzen gesetzt.

Die eingestreuten Kommentare bitte ich zu entschuldigen. Sie dienen nicht der Kritik, sondern der Auflockerung. Wenn auch vielleicht entbehrlich, so bringen sie doch hoffentlich eine zusätzliche menschliche Komponente in die Anthologie, damit nicht nur eine Aneinanderreihung von Texten entsteht. Schließlich ist es auch Ziel der Anthologie zu unterhalten. Das ist mir wichtiger, als ein hypothetisches Niveau zu erreichen, über das man streiten kann.

Die Unterhaltung geht hauptsächlich von den Texten aus. Meiner Meinung nach ist es heute nicht mehr zu vernachlässigen, dass der Schriftsteller für die Leser schreibt. Er mag selbst Spaß an der Sache haben und, in der Tat, das Schreiben kann ja ein Erlebnis sein. Der letzte Schliff entsteht jedoch erst, wenn der Schreibende an sein Publikum denkt. Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zur Quantenmechanik. Dort existieren die Eigenschaften eines Objekts nicht objektiv, sondern nur in Abhängigkeit von der jeweiligen Messung. In der Literatur könnte man analog sagen: Der „eigentliche“ Text besteht nicht aus den Buchstaben, sondern ist etwas, das erst beim Lesen entsteht – im jeweiligen Leser. Dort soll bitte etwas Gutes entstehen. Im Kopf des Lesers Chaos zu erzeugen, ist nur beim ersten Mal lustig.

Die Siegertexte wurden wieder an den Anfang gestellt. Danach folgen, in der Reihenfolge ihres Eingangs, die weiteren ausgewählten Texte. Leider gilt wie beim letzten Mal: Der Platz ist begrenzt – es konnten nicht alle eingereichten Texte aufgenommen werden. Neu ist, dass maximal ein Text pro Autor in der Anthologie erscheint. Trotzdem überstieg die Anzahl der Werke bei Weitem die Kapazität und es musste auch eine Auswahl unter den Autoren getroffen werden. Nicht jeder, der es verdient hätte, kann dabei sein. Es ist wie ein Spiel. Wer diesmal nicht dabei war, könnte vielleicht beim nächsten Mal mehr Glück haben.

Wieder kam eine bunte Mischung von Einsendungen zusammen. Mutige Anfänger wagten ihr Glück und erfahrene Schriftsteller unterstützten die Aktion durch ihre Teilnahme. Ihnen allen sei Dank gesagt.

Dr. Dr. Christoph-Maria Liegener

Die Siegertexte

Erster Platz:

Walther

Spätsommerahnungen

Die Wolken blasen ihre Backen auf,

Und Wind rauscht durch die leeren kalten Zimmer:

Schrill zetert aus den Kellern ein Gewimmer.

Das Fremde rüttelt Türen, Knauf um Knauf.

Das Jahr wird wieder alt; der Sonne Lauf

Wird kürzer, und ein fahler grauer Glimmer

Erdrückt die Farben in der Scheiben Schimmer:

Die Fenster werden trüb. Ein schlechter Kauf

Verbirgt sich in den neuen kurzen Hosen,

Die hingeworfen eine Lehne zieren.

Bald werden Herbst- und Winterstürme tosen,

Die weißen Dahlien ganz schnell erfrieren.

Vorm Fischteich blühen stolz die letzten Rosen,

Und Sommerflieder neigt die lila Spieren.

Kommentar: Ein Sonett in der klassischen Schlegelschen Form mit fünfhebigen Iamben. Sprachlich zwischen Melancholie und Humor. Interessante Enjambements. Thema ist überraschenderweise nicht der vielbesungene Herbst, sondern der Spätsommer. Auch nicht der anheimelnde Altweibersommer. Es wird kalt. Meisterhaft eingefangene Impressionen.

Der Autor nennt sich Walther, auch Walther Stonet. Sein Klarname – das ist kein Geheimnis – lautet Werner Theis. Er hat erklärt, das Preisgeld für das von ihm ins Leben gerufene Feuilleton „zugetextet.com“ zu verwenden. Ein großartiges Projekt.

 

Zweiter Platz:

Peter Paul Wiplinger

Etwas von dieser Welt

kinder im keller kinder im gefängnis kinder in schubhaft kinder auf den straßen kinder in fabriken kinder an webstühlen kinder am bau kinder in krankenhäusern kinder in waisenhäusern kinder in zeltlagern kinder in der wüste kinder im urwald kinder in booten kinder in lastwagen kinder in weißen säcken kinder in särgen kinder im bombenhagel kinder im granatfeuer kinder hinter den fronten kinder zwischen den fronten kinder zwischen ruinen kinder in zerstörten häusern kinder in ausgebrannten wohnungen kindersoldaten kinder die kämpfen kinder die arbeiten kinder die keine schule besuchen kinder die nicht lesen können kinder die nicht schreiben können kinder die nicht spielen dürfen kinder die mißbraucht werden kinder die ein sexspielzeug sind kinder mit aids kinder die erblindet sind kinder die hungern kinder die verhungern kinder die weinen kinder die machtlos sind kinder die hilflos sind kinder die ohnmächtig sind kinder die ausgeliefert sind kinder die auf der flucht sind kinder die traurig sind kinder die verzweifelt sind kinder die verloren sind kinder die verstoßen worden sind kinder die töten kinder die getötet werden kinder die keine kinder mehr sind kinder in armut und krankheit kinder auf müllhalden kinder in einer welt der gleichgültigkeit der ausbeutung der gewalt kinder da und dort doch nicht bei uns diese kinder anderswo diese kinder auf der ganzen welt diese kinder sind wie in einer anderen und doch in unserer welt diese kinder ohne eine kinderwelt so schön ist diese landschaft schön und voller harmonie ein wahres paradies

kinder in kindergärten kinder in schulen kinder in eliteschulen kinder mit förderunterricht kinder die sich integrieren in eine fremde kultur kinder die sich nicht integrieren kinder die in zwei welten leben kinder die gehorchen müssen kinder die so aufwachsen wie die eltern kinder die ganz anders sind als wir noch kinder waren damals dort kinder auf die man stolz ist kinder die mit computern hantieren kinder die mit handys telefonieren kinder mit armbanduhren kinder mit modischen accessoires kinder in teuren klamotten von kindern aus einer anderen kinderwelt für sie gemacht kinder mit skateboard kinder mit computerspielen kinder mit horrorfilmen kinder mit gewaltvideos kinder in einer harry potter-welt kinder mit fastfood kinder mit übergewicht kinder mit langeweile kinder von reichen eltern kinder von armen eltern in sozialwohnungen kinder beim kiddy song contest kinder als kleine erwachsene kinder mit ansprüchen kinder die etwas fordern kinder die modetrends nachlaufen kinder die sich nur für eine glamourworld interessieren die kinostars verehren kinder die in discos tanzen kinder mit ihrer eigenen kindersprache kinder die sich unverstanden fühlen kinder als scheidungsopfer kinder als druckmittel kinder als ballast kinder als hindernis kinder als ärgernis kinder die uns auf die auf die nerven gehen kinder die unsere freiheit einschränken kinder die viel mehr verlangen als wir geben können oder geben wollen kinder die für kinder in einer anderen welt kein verständnis kein mitgefühl mehr haben kinder die schon als kinder sagen das geht mich doch nichts an kinder die alles was sie bekommen für selbstverständlich halten kinder die erwachsene als idioten und als ihre feinde sehen auch ihre eltern ihre lehrer kinder die ganz cool sind kinder die pornos schauen kinder die lachend gewaltszenen auf ihren handys speichern und verbreiten kinder die drogen nehmen kinder die gewaltbereit und gewalttätig sind kinder die kriminell sind kinder die sich selber jede chance nehmen kinder die gar keine chancen haben kinder von hartz 4-empfängern in plattenbauten kinder von alkoholikern kinder die geschlagen werden kinder die von reichen saturierten eltern nicht verstanden werden wir geben dir doch alles sagen sie zu ihren kindern kinder die in ihren kinderghettos allein gelassen sind nur die wumm-wumm-musik dröhnt in den ohren der bus durchquert die landschaft jemand beginnt ein lied zu singen und alle singen mit

was willst du denn mit einem kind du bist ja selber noch ein kind was willst du denn mit einem kind was mußtet ihr denn auch so früh seid ihr denn wahnsinnig was mußtet ihr denn das in eurem alter was habt ihr euch dabei gedacht bei uns da gab es so etwas noch nicht nein wir waren nicht mal aufgeklärt wir hatten keine zeit für so etwas wir hatten keine discothek wir hatten keinen wohlstand keinen luxus nein wir kifften nicht im keller nein da hätte es vom vater was gesetzt bei uns gabs winnetou und karl may und keinen harry potter bei uns gabs nur ein altes fahrrad das war das höchste und baden in der donau oder in einem schotterteich nein wir hatten auch kein auto nein wir hatten nichts und waren mit dem was wir so hatten auch zufrieden ja fast glücklich damals hatte niemand etwas und niemand hatte mehr als alle anderen jedenfalls nicht dort wo wir als kinder lebten nein nur die kinder der reichen und der bonzen die hatten mehr als wir diese kinder anderswo die von den anderen die hatten etwas aber das war schon immer so und so wird es denn auch immer bleiben die einen haben was die anderen haben nichts schau dir doch die schöne landschaft an das kostet nichts ich hab gesagt schau dir die schöne landschaft an kapier doch endlich was du bist du bist doch unser kind und nicht das kind von reichen leuten die haben sowieso nur ihre partys ihre schönheitsoperationen naja vielleicht zum aufputz auch noch ein zwei kinder die haben sie solange sie zusammen sind und dann gibts andere kinder im besten fall so eine patchworkfamily mit mehreren vatis und muttis und einer kinderschar zum feiern bei den kindergeburtstagsfesten denn alle sind verständnisvoll und tolerant der vati muß gleich wieder ins büro er hat so viel zu tun er muß noch arbeiten spätnachts noch im büro da darf man ihn nicht stören nein spielen kann er jetzt nicht mit euch kindern ein andermal vielleicht das kindermädchen kann das tun oder ihr könnt euch auch ein video anschauen aber nur solche aus dem untersten regal die oberen die sind noch nichts für euch die sind für vati und für mutti reserviert laßt bloß die finger davon sonst gibt es was na gut in die disco könnt ihr gehen bis mitternacht nein keine diskussion um 12 seid ihr zuhause und rumgeknutscht wird nicht ein cola ohne irgendwas oder eine dose redbull das ist erlaubt das ist genug jetzt ab mit euch in welcher welt glaubst leben unsere blöden eltern und alle diese doofen erwachsenen denn die haben eigentlich doch keine ahnung die haben nichts kapiert die wissen gar nicht wer wir sind die sitzen nur im auto und fahren durch die landschaft die sie ohnedies schon kennen sie fahren lustlos durch ihre erwachsenenlandschaft mit zeitgeist-modeheftchen in den händen mit einem laptop oder einem netbook auf den knien der vati der studiert die börsenkurse die mutti möchte ihren busen gern vergrößern und fett absaugen lassen der vati hat affären und geliebte doch das wird hingenommen akzeptiert das ist doch ganz normal und niemand spricht darüber das ist der preis den man eben für ein komfortables leben zahlt das ist doch geil und supercool das ist normal und niemand regt sich auf ein jeder kann doch tun was er so will solange es im rahmen bleibt ein jeder hat ja doch sein eigenes leben er hat ein recht darauf man lebt sich aus

macht keinen terror sagt der vati zu seinen kindern dazu habt ihr keinen grund der terror der ist anderswo den brauchen wir nicht hier den terror bringen diese scheiß-muslime in die welt den bringen uns die araber und auch die juden die wollen keinen frieden die al-quaida in afghanistan in pakistan all die verrückten anderswo in libyen im jemen in syrien tunesien ägypten im irak die wollen alle doch nur terror also haben sie ihn auch ein solches land gehört regiert demokratie ist nichts für sie die sind nicht reif dafür demokratie das ist doch nur etwas für uns doch auch in unserem system braucht es eine starke hand da siegt auch hier der stärkere der stärkere siegt immer das ist doch ein naturgesetz also liebe kinder liebe kids schaut zu auf welche seite ihr gehören wollt wenn nötig seid brutal nur ja kein opfer sein kein mitleid mit den opfern die sind an ihrem leben doch alle selber schuld was geht uns afrika was geht uns indien was geht uns so ein kongoland ein swaziland denn an was geht uns südamerika was geht uns nicaragua was geht uns was weiß ich was an was geht uns serbien was geht uns japan an was geht uns ungarn an was gehen uns die roma an hinaus aus unseren ländern hinaus wo sie nicht hingehören wichtig ist für uns die wirtschaft wichtig sind die wachstumsraten wichtig ist die produktion schaut nur auf china da ist wirtschaftswachstum china wird bald eine weltmacht sein ein volk-ein reich-ein führer hieß es damals und dann gab es autobahnen dann gab es ordnung disziplin das sagte noch der alte opa ja der war begeistert ja der schrie heil hitler und hob die hand zum hitlergruß und trat dem juden lachend in den hintern als der vor ihm kniete und er schoß dann auch ein paar von denen tot das waren notwendige maßnahmen für die volksgesundheit das waren kampfmaßnahmen gegen all dieses partisanengesindel gegen diese dreckigen untermenschen das war im krieg der krieg war leider dann verloren doch nicht unsere ideale die sind geblieben die haben wir noch immer und davon hat die heutige generation keine ahnung die haben keine ideale was willst du denn zum abendbrot fragt sanft und unterwürfig dann die oma ich geh jetzt weg sagt vati ich muß noch ins büro ich muß jetzt auch sagt mutti ach leckt mich doch am arsch sagt der sohn jürgen und streckt den mittelfinger in die höhe ich geh zu meinen freunden und vor dem fenster draußen vor dem prächtigen haus sitzt noch das töchterchen im garten träumt so vor sich hin von liebe sex und trallala sitzt ganz in sich gekehrt im garten betrachtet still die landschaft die wunderschöne die landschaft die in ein wunderbares purpurrosa abendrot getaucht ist wie schön das ist wie schön sagt sie fast lautlos zu sich selbst und seufzt dabei

wir kaufen ein wir kaufen alles ein wir kaufen uns bei allen ein wir kaufen alles auf wir gehen an die börse wir sind schon an der börse sind völlig börsenorientiert das aktienkapital verdoppelt sich der hedgefonds wird verdreifacht es steigen börsenkurse und profite bis alles explodiert dann implodiert es letzendlich und es zerplatzt die immobilienblase das geld das hat sich aufgelöst in nichts luftgeschäfte nennt man das böswillig wie eben manche sind das geld ist weg ist futsch und niemand weiß wohin verschwunden was wir da machen sind eben bankgeschäfte ganz normale bankgeschäfte mit risikopapieren alles profitorientiert so ist nun mal das geschäft ein paar milliarden dahin ein paar milliarden dorthin auf einen knopf gedrückt ein kurzes telefonat nur mit den richtigen leuten und schon ist man um ein paar millionen reicher das sind ja auch nur zahlen sagt man die anderen sind dann ärmer haben nichts mehr haben nichts mehr vom lebenslang gesparten geld haben nichts mehr für ihr alter haben nichts mehr für die kinder haben nichts mehr für sich selbst das haus gehört der bank das haus das wird versteigert das haus ist weg dafür steht aber eine notunterkunft fürs erste schon bereit schau zu mein freund wie du jetzt irgendwie noch weiterkommst der börsenguru wird dann angeklagt die schadenssumme wird noch ausgerechnet unvorstellbar diese wahnsinnssummen ein börsenguru kommt für jahre ins gefängnis hinter gitter doch vielen anderen ist nichts passiert rein gar nichts es war ja nur ein bankmalheur da kann doch niemand was dafür das bankgeschäft das ist halt so das weiß doch jeder und das muß er wissen das geld das bleibt verschwunden es war ja sowieso nur virtuelles kapital und schnell verliert ja nur der reiche da hats der arme gut der kann gar nichts verlieren zynismus meint ihr nein zynismus ist das nicht das ist nur lebensrealität mein lieber das ist die realität des globalisierten wirtschaftslebens das ist die realität in dieser welt und das war schon immer so der handel mit den rohstoffen die künstlich geschaffene knappheit anstatt getreide auf die felder pflanzen wir jetzt gelben raps und mais für öl und daraus wird dann diesel und benzin der biosprit dann gibt’s zwar nichts zum essen für die armen doch dafür fahren wir die reichen die wohlstandssituierten in unseren klimatisierten limousinen durch die landschaft durch die schöne landschaft wir fliegen in den urlaub fliegen zu geschäftsterminen fliegen dahin dorthin überall termine ein anruf aus amerika ein sms an die geliebte warte dort auf mich im sheraton hotel ich komme bald bin gleich bei dir ich freu mich schon auf dich auf uns dann auch noch schnell ein anruf zur angetrauten gattin ach meine liebe ich hab so viel zu tun du weißt es ja ich hab so viel zu tun ja selbstverständlich wäre ich jetzt liebend gern bei dir doch leider

der segen urbi et orbi der kleine weiße punkt ganz vorne auf dem platz die purpurroten roben der kardinäle das viele weiß die ordenspriester die klosterfrauen und hunderttausend pilger sie alle jubeln dem heiligen vater zu und der ermahnt sie richtet seine botschaft an die welt zwar nichts konkretes aber viele hohle leere worte altgewohnte oft gehörte phrasen er mahnt zur tugend und enthaltsamkeit nein kein kondom in afrika enthaltsamkeit sei hier die lösung das ist ein von gott uns auferlegtes heiliges gebot wir müssen lernen uns wieder zu bescheiden enthaltsam zu sein in einer zeit der maßlosigkeit sagt er und die menge jubelt ein schluck aus einer wasserflasche alle knien nieder und bekreuzigen sich der erzbischof williams leugnet ja gar nicht den holocaust nicht so direkt er hat nur eine etwas andere meinung in bezug auf die geschichte und meinungsfreiheit müsse sein das sei ein menschenrecht so sagen sie und alle sind doch unsere brüder ach ja die unangenehmen mißbrauchsfälle die sind schon ärgerlich hier sollten wir betroffenheit signalisieren doch nicht zuviel ein wort wie opferschutz das wäre angebracht nein keine wiedergutmachung wo doch gar nichts gutzumachen ist wir sind doch eben alle nur sündhafte menschen und gott vergibt ja denen die bereuen nein nichts konkretes nein nichts direkt ansprechen weiterhin von werten sprechen von wahrheit und von würde von brüdern und von schwestern von verirrten menschen von gottes ebenbild

der dalai lama lächelt und ist weise al-quaida-kämpfer verdammen die ungläubigen wollen die ganze welt islamisieren steinigen die ehebrecher hängen homosexuelle auf an kränen frauen werden verhüllt erniedrigt vergewaltigt und folter ist normal in mehr als hundert ländern dieser erde menschenrechtsverletzungen werden als solche nicht mehr deklariert nicht mehr so benannt kollateralschäden sagt man dazu ein jedes system hat kollateralschäden die gibt es auch wenn man in bester absicht freiheit bringen will und wohlstand eben unsere demokratie

die medien die zeitungen die zeitschriften die journale die tvsender die rundfunkanstalten die plakate die werbung die worte die bilder alles voll mit worten und mit bildern tagtäglich voll informiert die ganze welt vernetzt ich scheiß auf diese welt ich setze mich jetzt in den garten die kinder sind schon aus dem haus die mama ist bei einem kurs ich nehme mir ein bier und dann noch ein glas wein ich schaue in die landschaft in die wunderschöne landschaft was geht denn mich das alles an so denke ich was geht denn mich die welt an diese welt da draußen die welt das bin nicht ich da draußen ist die welt und ich bin ich solange ich noch lebe bin ich ich

Wien, 25.-26.5.2011

Kommentar: Gesellschaftskritik wie aus dem Maschinengewehr. Schreiben ohne Punkt und Komma. Das lesbar zu machen, ist eine Kunst. Der Autor beherrscht sie meisterhaft.

 

Dritter Platz:

Didi Costaire

Streifzug (Sonettenkranz)

I. Unten in der Stadt

Graffiti prangen schier an jeder Wand.

Die sind zwar hässlich, deshalb aber prägend

für diese ehedem passable Gegend.

Nun bin ich wohl der einzige Passant

im Randbezirk, den das Regime vergaß.

Vorm ersten Eingang lungert eine Clique.

Ich schaue weg und spüre stiere Blicke.

Es liegt was in der Luft, wahrscheinlich Gras.

Aus einem Fenster schallen schrille Schreie.

Ein Flaschenhals steckt irgendwo im Laub.

Nicht enden wollend wirkt die Häuserreihe.

Ich warte lieber nicht auf Vorkommnisse

und mache mich geräuschlos aus dem Staub.

Der Weg führt gradewegs ins Ungewisse.

 

II. Surreale Welten

Der Weg führt gradewegs ins Ungewisse.

Das Industriegebiet von einst steht leer

und mutet seltsam an, wie eine sehr

bizarre Trash- und Horrorfilmkulisse,

worauf ich gleich auf einen Zombie treffe,

der sicher irgendwas genommen hat.

Er blickt, als sei er Boss der Geisterstadt.

Sein Hund verkneift sich Jaulen und Gekläffe.

Der nächste Kerl ist dito ein Kaputtnik,

als Schatten seiner selbst schlaff weggedöst.

Das Viech, das um ihn rumfliegt, mimt den Sputnik.

›Geschmeidig bleiben!‹ lautet die Prämisse,

wenn Toleranz an ihre Grenzen stößt.

Es riecht nach Unrat, Moder und nach Pisse.

 

III. Reale Welten

Es riecht nach Unrat, Moder und nach Pisse.

Man scheißt auf Haute Couture und fragt: »Wofür?«

und schlurft in Jogginghose vor die Tür.

Nicht bloß im Asphalt zeigen sich die Risse.

Fassaden bröckeln nach immensen Pleiten.

Die Häuserfronten wurden zügig alt,

Pupillen inhaltsleer und bitterkalt

und Mienen eisig wie zu ärgsten Zeiten.

Die Uhren stehen längst auf kurz vor knapp.

Nicht alle wissen, wo sie hingehören.

Da hört man oft: »Die Menschheit schafft sich ab!«

Der Pessimismus überrollt das Land.

Man ahnt diverse Dinge, die verstören.

Ne schwarze Katze hockt am Wegesrand.

 

IV. Kontraste

Ne schwarze Katze hockt am Wegesrand.

Mit ihrem Buckel schützt sie sich vor Tritten.

Daneben Menschen, die um Hilfe bitten,

im Grunde froh und gleichsam angespannt.

Sie gingen weit, mitunter Schritt für Schritt.

Vor Terror und Gewalt sind sie geflohen.

Man fürchtet, dass erneut Konflikte drohen,

denn heimlich reist der Krieg im Schlepptau mit.

Ich selber schleiche mich ums Straßeneck

zu jenem Unterstand, wo Busse stoppen.

Ein paar Minuten später bin ich weg.

Die Straße, wo ich aussteige, wirkt schlicht,

doch kann die Letzte augenscheinlich toppen.

Bisweilen existiert noch Mittelschicht.

 

V. Vereinzelung

Bisweilen existiert noch Mittelschicht.

Die Bürger hasten zwischen all den Läden

und andre rasten, qualmen oder reden,

vielleicht auf seichten Klatsch und Tratsch erpicht.

Die Neugierde wird aktuell genährt.

Es gellen die Geräusche von Sirenen.

Die Nachbarn stürzen hin wie die Hyänen,

als sich ein Leichenwagen langsam nähert.

Ein Rentner, heißt es, starb bereits vor Wochen.

Erst eben kam jedoch die Ambulanz.

Der Hauswirt hätte totes Fleisch gerochen.

Gerüchte sind von Wahrheit kaum zu trennen.

Zwar stößt die Sache rasch auf Resonanz,

doch scheint man sich mehr schlecht als recht zu kennen.

 

VI. Rechts

Doch scheint man sich mehr schlecht als recht zu kennen...

Wird Individualität gesät,

dann erntet man auch Anonymität

und scheut sich schön, sie Einsamkeit zu nennen.

Na gut, bevor ich Trübsal blasend unke,

bekomme ich schon Bock auf kühles Bier.

So nehme ich ein Wirtshaus ins Visier

und strande in der dunkelsten Spelunke,

wo sich Halunken trunken unterhalten.

»Wir hassen Knoblauch, Sushi und Kakao«,

raunzt eine jener finsteren Gestalten.

»Die Asylantenheime müssen brennen!«

Die Typen hier sind stramm, die Sitten rau

im Netzwerk falscher Sender und Antennen.

 

VII. Tatendrang

Im Netzwerk falscher Sender und Antennen

wird mir malad. Ich trinke gar nicht aus

und bin im Nu aus diesem Laden raus.

Da sehe ich ein Mädchen heftig flennen.

Ich frage nach: »Was ist dir denn geschehen?«

Sie schluchzt: »Die Jungs sind doof und überhaupt.«

Die haben ihr das Taschengeld geraubt,

sind weggerannt und nimmermehr zu sehen.

Was Große können, lernen Kleine schnell,

doch wiederholt gelangt man zum Ergebnis:

Die Welt verhält sich ziemlich kriminell

und landet mal das Böse vor Gericht,

greift sich der Anwalt sein Erfolgserlebnis.

Den Opfern schlagen Keulen ins Gesicht.

 

VIII. Unterpfand

Den Opfern schlagen Keulen ins Gesicht,

doch auch ein Watschenmann verstellt sich eitel.

Sogar im Burschen mit dem Plastikbeutel

erkennt man eher spät den armen Wicht.

Er sieht nicht aus, als ob er trinkt und raucht,

wirkt weder dekadent noch ungewaschen,

und dennoch stöbert er nach leeren Flaschen -

abrupt, wie er in den Papierkorb taucht.

Umsonst bleibt sein Bemühn und unbelohnt.

Die ganzen Sammler konkurriern gewaltig.

Inzwischen wird kein Mülleimer verschont.

Ich steuere ein andres Viertel an.

Das Leben ist halt heute vielgestaltig.

Trotz allem geht es immerzu voran.

 

IX. Oben

Trotz allem geht es immerzu voran,

besonders in den besseren Quartieren.

Ich starte dort, ein wenig zu flanieren.

Indes, ein Wachmann ist ein wacher Mann.

Obwohl ich Villen nur bewundern will,

ist der sofort vor Ort, mich anzusprechen,

als plane ich ein schändliches Verbrechen.

Ich schieße los und rede vom Idyll,

als er, zwar äußerlich betont gesittet,

jedoch in seiner Mimik höchst bestimmt,

mich unverzüglich fortzugehen bittet.

Man hütet edle Güter und Kleinode.

Das Alte wird hier nicht auf neu getrimmt.

Was etwas taugt, kommt niemals aus der Mode.

 

X. Segler

Was etwas taugt, kommt niemals aus der Mode

und bildet so zu jener den Kontrast,

indem es jetzt genau wie weiland passt.

Juwelen werden keine Spur marode.

Ich sitze nun am nahgeleg’nen Wasser,

wo Boote liegen und gesegelt wird.

Trotz Gegenwind erscheint man unbeirrt.

Nur einem merkt man an, warum und dass er

Novize ist samt seiner stolzen Yacht.

Da wirken beide vorzugsweise protzig -

ein Merkmal junger monetärer Macht.

Das Geld zieht jedermann in seinen Bann.

Auf Widrigkeiten reagiert man trotzig,

solang man aus dem Vollen schöpfen kann.

 

XI. Bar und Bares

Solang man aus dem Vollen schöpfen kann,

sind Happyends in Sicht, so wie im Kino.

Ich schreite kurzerhand zum Spielcasino,

wo mancher Glückspilz einiges gewann,

nicht am Roulette-Tisch, sondern an der Bar.

Dort treffen sich die Schönen und die Reichen

im sanften Dämmerlicht mit ihresgleichen

bei Krimsekt, Kanapees und Kaviar.

Mich hält man freilich vom Ereignis fern.

Wenn Spieler um die wahren Werte zocken,

dann hat man Kiebitze mitnichten gern.

Diskret entzieht man sich dem Futterneid,

wo astronomische Gewinne locken.

Man steigert stetig die Geschwindigkeit.

 

XII. Schizophren

Man steigert stetig die Geschwindigkeit.

Die Mächtigen, die Wirtschaft und Eliten

erzielen immer bessere Renditen,

was das System nicht gegen Fäulnis feit.

Ich stehe vorm modernen Hospital,

wo Pfleger, Schwestern und die Ärzte eilen,

um jene, die verweilen, prompt zu heilen,

im Geist von Hippokrates’ Ideal.

Sie rüsten sich mit teuren Apparaten,

doch viele Kranke sind geweiht - dem Tod.

Gesunde brüsten sich dank Implantaten.

Ihr Aufenthalt, just eine Episode,

erbringt dem Chefarzt mehr als Lohn und Brot.

Wir merken bald, der Wahnsinn hat Methode.

 

XIII. Stillleben

Wir merken bald, der Wahnsinn hat Methode

und ist doch offensichtlich zeitgemäß.

Den Leuten juckt es ständig im Gesäß.

Bloß hin und wieder hilft der Proktologe.

In einer Glasvitrine hängt die Taube

in Weiß auf blauem Grund gleich unter J.

Ob Jesus mich beseelt, der liebe Gott,

ein Wunder, Überirdisches, der Glaube?

Ich gehe also in die Kirche rein

und sehe fromme Bildnisse der Glorie,

was ich in Ruhe tue, ganz allein.

So macht sich neben Stille Stillstand breit.

Museumartig innewohnt Historie.

Letztendlich gibt es nur Vergangenheit.

 

XIV. Endstation

Letztendlich gibt es nur Vergangenheit.

Im Freien flattert eine Nebelkrähe.

Der Friedhof liegt beschaulich in der Nähe.

Für jeden endet mal die Lebenszeit.

Da fragt man sich gravierend nach dem Sinn,

wenn Hinterbliebene auf Steine schreiben,

der Tote würde unvergessen bleiben.

Zum Grab jedoch bewegt sich niemand hin.

Bedächtig schreite ich zum Ausgangstor.

Was sprang heraus bei meinem Unterfangen?

Gewiss bin ich nicht weiter als zuvor

und zweifle dann am eigenen Verstand.

Da wird mir klar: Ich bin im Kreis gegangen.

Graffiti prangen schier an jeder Wand.

 

XV. Zeitraffer (Meistersonett)

Graffiti prangen schier an jeder Wand.

Der Weg führt gradewegs ins Ungewisse.

Es riecht nach Unrat, Moder und nach Pisse.

Ne schwarze Katze hockt am Wegesrand.

Bisweilen existiert noch Mittelschicht,

doch scheint man sich mehr schlecht als recht zu kennen

im Netzwerk falscher Sender und Antennen.

Den Opfern schlagen Keulen ins Gesicht.

Trotz allem geht es immerzu voran.

Was etwas taugt, kommt niemals aus der Mode,

solang man aus dem Vollen schöpfen kann.

Man steigert stetig die Geschwindigkeit.

Wir merken bald, der Wahnsinn hat Methode.

Letztendlich gibt es nur Vergangenheit.

Kommentar: Gelungener Kontrast zwischen der kunstvollen Form des Sonettenkranzes und der drastischen Schilderung von Morbidität und Verfall.

 

Vierter Platz:

Julia Kersebaum

Was zur Hölle, Terry

Mr. Johnson überfährt den Hund der Franklins.

Unabsichtlich. Beim Herausfahren aus seiner Ausfahrt.

Es ist Samstagmorgen. Die Stadt schläft noch.

Mr. Johnson wickelt den Hund in eine Picknickdecke, legt ihn auf die Rückbank seines Wagens und fährt los.

Auf der Brücke hat er für ein paar Sekunden lang die Idee, den Hund über das Geländer in den Fluss hinabzuwerfen. Einfach so. Problem gelöst.

Aber er fährt weiter. Der erlösenden Vorstellung zum Trotz. Auf der anderen Seite des Flusses, zwischen Maisfeldern und Rinderweiden liegt das Haus von Dr. Parker. Eine kleine, verschrobene Farm. Die Holztreppen knarren laut, als Mr. Johnson, mit dem Hund in der Picknickdecke auf dem Arm, auf die Tür zugeht.

Er hat keine Hand frei, also tritt er drei Mal mit der Fußspitze gegen die Tür.

Er hört im Inneren Schritte. Nackte Füße auf den Treppenstufen.

Als Dr. Parker die Tür öffnet, trägt sie einen ausgeblichenen Bademantel. Sie fährt mit den Fingern durch ihr zerwühltes Haar und reibt sich den Schlaf aus den Augen.

Sie sagt: Terry… was zur Hölle?

Mr. Johnson streckt ihr die Picknickdecke entgegen. Er sagt: Es war ein Unfall.

Dr. Parker tritt beiseite und lässt ihn eintreten.

Mr. Johnson bleibt einen Moment im Flur stehen. Er sieht die Treppe hinauf. Oben hört er Schritte. Er sagt: Ich wusste nicht, wo ich sonst hinsollte…

Dr. Parker nickt. Sie geht in den Raum rechts von der Treppe. Das Behandlungszimmer. Hier sind die vier Kätzchen zur Welt gekommen, die jetzt noch in Mr. Johnsons Bett liegen und schlafen.

Dr. Parker schaltet das Licht ein und deutet Mr. Johnson, die Picknickdecke mitsamt dem Hund auf den Behandlungstisch zu legen. Als sie die Decke zurückschlägt, beginnt der Hund zu winseln. Ein erstes Geräusch.

Mr. Johnson sagt: Ich dachte, er ist tot.

Schritte auf der Treppe.

Elliott Parker fragt: Weißt du eigentlich, wie viel Uhr es ist, Terry?

Mr. Johnson sagt: Ich war auf dem Weg zum Frühsport…

Er klopft sich demonstrativ auf den prächtigen Bierbauch. Elliott Parker lächelt. Dann geht er in die Küche. Er sagt: Erstmal Kaffee.

Dr. Parker zieht eine durchsichtige Flüssigkeit in einer Spritze auf und sieht Mr. Johnson auffordernd an.

Mr. Johnson legt seine Hände auf den Kopf des Hundes und krault, so innig er kann.

Dr. Parker spritzt dem Tier die Lösung und sagt ein paar beruhigende Worte.

Dann beginnt sie mit der Untersuchung.

Der Hund begrüßt ihre Finger mit wohlwollendem Schwanzwedeln.

Erst als sie an einem seiner Hinterbeine ankommt, knurrt er wütend.

Elliott Parker bringt ihnen dampfende Tassen Kaffee und lehnt sich an einen der Schränke. Er lächelt Mr. Johnson freundlich an und fragt: Was macht das Boot?

Mr. Johnson zuckt mit den Schultern. Auf Dr. Parkers Anweisung hin beginnt er wieder mit Kraulen. Dr. Parker verschwindet im Nebenraum. In eine Bleischürze gekleidet kommt sie zurück. Sie löst die Bremsen des Tisches und zieht ihn langsam in den Nebenraum. Mr. Johnson folgt. Immer noch kraulend. Bemüht liebevoll. Fast so, als könnte er seine Schuld fortkraulen.

Das Röntgengerät blitzt. Mr. Johnson sieht nicht von den zuckenden Hundeohren auf.

Dann schiebt Dr. Parker den Tisch wieder ins Behandlungszimmer zurück.

Mit ihrem Kaffee in der Hand verschwindet sie wieder.

Mr. Johnson krault weiter. Ab und zu nippt er an seiner Tasse.

Mr. Parker steht immer noch an den Schrank gelehnt da. Er sagt: Ich hatte auch überlegt mir so ein Boot anzuschaffen… aber-

Er gestikuliert in Richtung des Röntgenzimmers.

Aus dem Dunkel des Raums ruft Dr. Parker: Wofür brauchen wir denn ein Boot? Du wirst doch sogar beim Schwimmen seekrank.

Elliott verdreht die Augen. Er sucht Unterstützung in Mr. Johnsons Blick. Aber Mr. Johnson ist vollkommen auf den Hund fixiert.

Als Dr. Parker mit den Röntgenbildern zurückkommt und sie vor die Neonleuchte an der Wand hält, sieht Mr. Johnson endlich auf. Dr. Parker pfeift leise. Sie sagt: Ein Bilderbuchbruch.

Mr. Johnson fragt: Und jetzt?

In seinem Kopf turnt das Wort "Einschläfern" herum. Es hüpft auf und ab. Mal laut, mal leise.

Dr. Parker sagt: Gips.

Sie sieht ihn kritisch an. In ihrem Blick die Frage: Was sonst?

Als der Gips schließlich getrocknet und mit grellblauem Klebeband umwickelt ist, setzen sie den Hund gemeinsam auf dem Boden ab. Er wacht zusehends aus der leichten Narkose auf.

Sie setzen sich ins Wohnzimmer an den Esstisch und trinken eine weitere Tasse Kaffee.

Elliot Parker hat Bagel aufgebacken und sie essen leise schmatzend.

Mr. Johnson hält den wachsamen Blick auf dem schwankenden Hundekopf.

Er sagt: Ich konnte ihn noch nie wirklich leiden… er kann ganze Nächte durchbellen… aber umbringen wollte ich ihn natürlich auch nicht.

Dr. Parker lächelt vage. Sie kaut auf ihrem Bagel herum und sieht aus dem Fenster auf die Felder hinaus. Dann ein Blick auf die Uhr an der Wand. Sie sagt: Ich muss langsam los…

Sie steht auf und steigt die Treppe wieder hinauf.

Mr. Johnson kann hören, wie sie zwischen Schlafzimmer und Badezimmer hin und her läuft.

Elliott Parker sagt: Vielleicht kannst du mich ja mal auf deinem Boot mitnehmen…

Mr. Johnson nickt. Er brummt: Sicher.

Eigentlich hat er keine Lust Elliott mitzunehmen. Die Vorstellung, einen ganzen Tag auf seinem kleinen Boot zusammen mit Elliott zu verbringen, ist ihm regelrecht zuwider.

Dr. Parker kommt die Treppe wieder hinunter. Sie trägt jetzt Jeans und Cowboystiefel und ein T-Shirt mit dem Logo des örtlichen Autohandels. Mr. Johnson sieht ihr entgegen. Er steht auf und holt die Picknickdecke aus dem Behandlungszimmer.

Er breitet sie auf der Rückbank des Wagens aus und geht dann noch einmal über die knarrende Treppe ins Haus hinein. Er sagt: Danke für den Kaffee… ich melde mich wegen des Boots.

Elliott nickt ihm zu. Er macht keine Anstalten, sich zu erheben.

Mr. Johnson hebt den schwankenden Hund hoch und trägt ihn hinaus.

Dr. Parker folgt ihm. Federnden Schrittes.

Sie streicht dem Hund zum Abschied über den Kopf. Dann wendet sie sich an Mr. Johnson. Sie sagt: Meld' dich, wenn was ist.

Mr. Johnson nickt. Er lächelt sie an und sagt: Danke.

Als er mit dem Auto wieder auf die Straße zurückfährt, stapft Dr. Parker gerade über die Weide in Richtung der nächsten Farm. Mr. Johnson sieht ihr hinterher. Er hält sie auch im Rückspiegel noch eine Weile im Blick. Er sagt: So eine nette Frau, oder?

Der Hund antwortet nicht. Er begutachtet missfallend das blaue, steife Bein.

Mr. Johnson fährt wieder über die Brücke, dann durch den inzwischen erwachten Ort.

In der Einfahrt steht seine Frau und sieht ihm entgegen.

Als er geparkt hat, öffnet sie die Tür und sagt: Der Hund von den Franklins ist weg…

Mr. Johnson nickt wissend. Er öffnet eine der Türen und nimmt den Hund wieder auf den Arm. Mrs. Johnson begutachtet das eingegipste Bein.

Bevor sie zu einem "Ach, Terry…" Vortrag ansetzten kann, trägt Mr. Johnson den Hund zum Nachbarhaus hinüber. Wieder klopft er mit dem Fuß.

Die Franklins öffnen. Vater, Mutter und zwei Kinder. Sichtlich beunruhigt.

Mr. Johnson überreicht den Hund. Er sagt: Tut mir leid… er ist mir einfach vors Auto gelaufen.

Mr. Franklin reicht den Hund an seinen Sohn weiter. Er sagt: Passiert…

Mr. Johnson nickt. Er dreht sich um und geht zu seinem Haus zurück. Er denkt an das Hundefell zwischen seinen Fingern. Er denkt an Dr. Parker. An Frühsport denkt er nicht mehr.

Seine Frau und die Kinder sitzen beim Frühstück. Mr. Johnson setzt sich dazu. Er sieht in die Runde.

Dann sagt er: Elliott Parker ist wirklich ein komischer Vogel… Mrs. Johnson nickt zustimmend, sagt aber: Sie aber auch… Dr. Parker, meine ich.

Mr. Johnson sieht über den Tisch hinweg. Die Gesichter seiner Familie sind ihm plötzlich fremd. Er nickt, ohne nicken zu wollen. Er denkt an Dr. Parkers federnden Schritt.

Von der Treppe klägliches Miauen. Die Kätzchen sind endlich erwacht.

Mr. Johnson lehnt sich in seinem Stuhl zurück und schließt für einen Moment die Augen.

Er denkt an sein Boot. Er stellt sich vor, mit dem Boot davonzusegeln. Irgendwo hin. Ziellos. Einfach nur weg. In seiner Vorstellung setzt Dr. Parker ihm eine Kapitänsmütze auf. Sie sagt lächelnd: Was zur Hölle, Terry.

Mr. Johnson ruft Dr. Parker aus dem Badezimmer an. Versteckt. Mit gedeckter Stimme.

Er sagt: Hallo… Nein, dem Hund geht es gut… hättest du heute Nachmittag vielleicht Zeit?

Im Hintergrund hört er Kühe muhen und Cowboys rufen. Dr. Parker zögert. Sie sagt: Siebzehn Uhr?

Mr. Johnson sagt: Ich hol dich ab.

Der blaubeinige Hund wartet in der Auffahrt auf Mr. Johnson. Schwanzwedelnd.

Mr. Johnson nickt ihm zu. Er steigt in sein Auto und rollt langsam aus der Auffahrt. Der Hund steht da und sieht ihm zu. Aus warmen, schwarzen Augen. Mr. Johnson denkt: Ein billigender Blick.

Wieder fährt er über die Brücke.

Dr. Parker wartet vor ihrem Haus.

Sie steigt zu Mr. Johnson in den Wagen, als er vorfährt.

Sie fragt: Was gibt es denn?

Während sie sich anschnallt.

Sie rollen die Landstraße entlang. Richtung Wasser.

Mr. Johnson sagt: Manchmal hätte ich nicht übel Lust einfach zu verschwinden, du?

Dr. Parker lacht wieder. Sie sieht ihn freundlich an.

Dann fragt sie: Wer hat das nicht?

Sie sitzen auf Mr. Johnsons Boot. Jeder ein Bier in der Hand und sehen dabei zu, wie die Sonne im Wasser verschwindet.

Sie reden nicht.

Sitzen einfach nur da. Ab und zu sehen sie einander an. Dann schleicht sich das Lächeln wieder in Dr. Parkers Züge.

Als es Zeit ist, zurückzukehren, sagt Mr. Johnson: Ich hatte mir mein Leben so ganz anders vorgestellt…

Dr. Parker nickt langsam. Sie sieht ihn an. Mr. Johnson macht eine schnelle Vorwärtsbewegung, nimmt ihr Gesicht in beide Hände und küsst sie.

Dr. Parker weicht zurück, ihre Hände abwehrend auf seiner Brust.

Kopfschüttelnd geht sie um den Wagen und öffnet die Beifahrertür.

Sie ist ein wenig rot geworden um die Ohren herum.

Durch die staubige Scheibe, über die Motorhaube hinweg sieht sie ihn an.

Dann sagt sie: Was zur Hölle, Terry?!

Kommentar: Isolierender, treffender Erzählstil. Kraftvoll, knapp und auf den Punkt gebracht. Phänomenologischer Ansatz. Absolut gelungen.

 

Fünfter Platz:

Mark Neis

September

Der Sommer

atmet aus

Früher nun

brechen die Abende

aus ihrem Versteck

jenseits der Hügel

Blasen zur Jagd

auf die Tage

deren warmes Gold

bereits vergraben

Herbsten den Gedanken

Schattenkühle ein

als liege das Jahr

schon im Sterben

Kommentar: Keine systematische Metrik, keine Reime. Einfachste sprachliche Mittel, aber die Worte treffen genau. Ein wirklich schönes Herbstgedicht.

Weitere ausgewählte Werke

 

Harald Kappel

Der Fährmann

Das Ufer ist in ein fahles, silbriges Mondlicht getaucht.

Du bist bereit,

bereit für die letzte Fahrt.

Es ist still,

so still, so ruhig, so endgültig.

Vor Dir der Fluss, wie gemalt,

flüssige Farbe,

zäh, tief, unüberwindlich,

aber Du hast keine Angst.

Als Du Deinen Fuß hineinsetzen willst,

siehst Du Ihn,

auf der anderen Flussseite,

Er sieht Dich an,

ohne Augen, ohne Gefühl.

Er ist nur ein Umriss,

schwärzer als alle Schatten,

alles Licht weicht vor Ihm zurück.

Er ist groß,

größer als alles, was Du vor Ihm sahst.

Er ist klein,

kleiner als alles, was Menschen sich vorstellen können.

Er lebt

und Er ist tot,

und Er spricht mit gewaltiger Stimme,

ohne Töne, ohne Schall.

Er dringt in Deine Gedanken.

Er sagt:

„Ich komme, ich bin Dein Fährmann.“

Er stößt sich ab,

sich und sein Floß,

es gleitet....nein, es schwebt über den schwarzen, glitzernden

Fluss,

es taucht nicht ein,

aber es fliegt auch nicht.

Du solltest Angst bekommen,

aber da ist keine Angst,

nur Erwartung.

Du bist wie gefesselt.

Wieder sagt Er:

„Ich komme. Ich hole dich.“

Wie wird Er sein?

Wie wird Es sein?

Wenn Er Dich packt,

mitnimmt?

Wie sieht das andere Ufer aus?

Er ist so groß und so klein.

Du willst dich abwenden,

Er sagt:

„Bleib, ich komme.“

Und Du bleibst,

ohne Angst.

Er kommt näher,

und doch kannst Du die Entfernung nicht schätzen.

Sein Fährmannsstab reicht von der Hölle bis ans Licht,

unendlich groß, unendlich klein.

Er stößt sich ab, ohne sich zu bewegen.

Er kommt unendlich schnell, und unendlich langsam.

Und als Er vor Dir steht,

ist Er so weit weg,

so dass Du Ihn niemals berühren könntest.

Er sagt:

„Ich bin der Fährmann,

ich hole Dich,

Deine letzte Fähre wartet.“

Er reicht Dir seine Hand,

und alles wird anders,

ganz anders....

Kommentar: Es wird anders – davon kann man wohl ausgehen. Das ist eine wichtige Quintessenz. Der Text, zwischen Lyrik und Prosa balancierend, führt dahin.

 

Franz Wolf

Entlarvung eines Heuchlers

Verträumt blickte das Oberhaupt der Katholischen Kirche aus dem Fenster auf den Petersplatz, der, sonnenbeschienen, viele hundert Besucher zum Verweilen einlud. Der selbsternannte Stellvertreter Gottes auf Erden und unumschränkter Herrscher über eine Milliarde Katholiken, die ihm in teilweise hündischem Gehorsam vertrauten, war stolz auf sich und sein Pontifikat. Ein Wort, eine Geste von ihm reichte aus, Massen zur Hysterie zu drängen, was er, gottgleich, gerne tat. Über die Folgen machte er sich weniger Gedanken.

„Ich gebiete“, murmelte er mit einem huldvollen Lächeln auf den Lippen, „ihr gehorcht! So wird es sein. Jetzt und in der Zukunft.“

Damit wendete er den Kopf, denn in seinem Amtszimmer hatte eine Dunkelheit Einzug gehalten, die ihn frösteln ließ. Eine Dunkelheit, oder man hätte besser sagen sollen: Ein Zwielicht, welches den Raum zwar verdüsterte, aber dennoch jeden Gegenstand im Zimmer auf eigentümliche Weise erstrahlen ließ.

Irritiert schaute er sich um, vermochte aber nicht festzustellen, woran das liegen konnte. Der Papst fühlte eine leichte Erschöpfung, tat ein paar Schritte, wollte sich in seinen Sessel plumpsen lassen, das aber ging nicht, denn da saß offenbar schon einer.

Über die Maßen erschrocken, fuhr er wieder auf, entschuldigte sich gar bei der Person, aber er konnte sie nicht sehen …