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Carsten K. Rath

OHNE FREIHEIT
IST FÜHRUNG
NUR EIN F-WORT

Für David!

Carsten K. Rath

OHNE FREIHEIT
IST FÜHRUNG
NUR EIN F-WORT

Mitarbeiter entfesseln
Kunden begeistern
Erfolge feiern

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lektorat: Christiane Martin, Köln | www.wortfuchs.de

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Autorenfoto (Umschlag): Giorgio Balmelli

Illustrationen, Satz und Layout: Judith Hilgenstöhler, Hamburg | www.daisydraft.com

© 2017 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2017 erschienenen Buches “Ohne Freiheit ist Führung nur ein F-Wort” von Carsten K. Rath, ©2017 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-749-1

ISBN epub: 978-3-95623-452-1

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

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INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT VON DR. FLORIAN LANGENSCHEIDT

PROLOG

Freiheit für COMO

1. BEFREIUNGSSCHLAG

Warum es in den erfolgreichsten Unternehmen nur Entscheider gibt

2. FREIHEIT VERPFLICHTET

Warum unabhängige Mitarbeiter Ihr Vertrauen verdienen

3. REDEFREIHEIT

Warum starke Chefs klare Worte sprechen

4. WINNING-TEAMS

Warum Individualisten die besseren Teamworker sind

5. PIONIERGEIST

Wie Freiheit Innovation entfesselt

EPILOG

Freiheit ist unheilbar

QUELLENVERZEICHNIS

DER AUTOR

PROMINENTE STIMMEN ZUM BUCH

VORWORT VON DR. FLORIAN LANGENSCHEIDT

Zum Aufwärmen: Gedanken über die Freiheit

Es gibt sicher Glück in Diktaturen. Aber auf die Dauer will der Mensch frei sein. Sich nicht vorschreiben lassen, wie sein Glück und Leben auszusehen haben – selbst wenn der Diktator es gut meint. Und erst recht nicht sich einsperren, versklaven oder unterdrücken lassen.

Deshalb stand das Volk im ehemaligen Ostblock auf und spülte die sozialistischen Machthaber weg. Deshalb schüttelten die Menschen in vielen Ländern am Mittelmeer ihre Diktatoren ab. Nach den großen historischen Revolutionen in Europa und Amerika, nach Aufklärung und Demokratisierung haben wir die Freiheit in uns wie Blut im Herzen und Atem in der Lunge: Wir wollen bestimmen, wer wir sind und was wir tun. Wir wollen Freiheit. Erst von den Eltern, dann von den Lehrern und immer vom Staat.

Nur bei der Arbeit war Freiheit die längste Zeit nicht im selben Maße ein Thema. Bei der Arbeit lassen wir uns immer noch gängeln. Ausgerechnet da, wo wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen, lassen wir uns von Unfreien führen und kontrollieren. Warum? Und wie können wir das ändern?

Diesen Fragen stellt Carsten K. Rath sich in diesem Buch. Es ist das Buch von einem, der aufbrach, das Führen neu zu lernen. Carsten geht mit seinen Unternehmen und mit seiner Art zu führen einen ganz eigenen Weg. Ihn auf diesem Weg zu begleiten, ist aufrüttelnd, unterhaltsam und hier und da auch ein bisschen schmerzhaft. Mit der Freiheit ist es wie mit der Heilung: Manchmal muss es ein bisschen wehtun, bevor es besser werden kann. Nennen wir es: Wachstumsschmerzen.

Natürlich, darauf verweist schon die bloße Notwendigkeit von Führung, sollten wir nicht glauben, dass wir je ultimativ frei sein könnten. Werbung, Mode, Geld, Umgebung, Medien – ständig werden wir beeinflusst. Die Autonomie ist immer eine scheinbare. Aber lieber Verführung und sanfter Einfluss als Polizeistaat und Zensur! Gleichzeitig verunsichert uns ein zu hohes Maß an Freiheit, wenn sie nicht auf ein Ziel gerichtet ist. Zu viele Wahlmöglichkeiten machen unzufrieden. Mancher freut sich im Urlaub ohne Terminplan nach einer Weile auf sein klar strukturiertes Alltagsleben. Wir sind nicht dazu gemacht, ständig zwischen unendlich vielen Optionen zu wählen – und wir können auch gar nicht jede Entscheidung qualifiziert selbst treffen. Wir wünschen uns Orientierung. Auch bei der Arbeit: Wir wollen geführt werden. Aber nicht von Diktatoren und Autokraten, denen es nur um Macht und den eigenen Vorteil geht. Sondern von Menschen, die das Gleiche wollen wie wir: frei sein und etwas bewirken.

Wir wollen frei sein, um uns freiwillig zu binden. Freiheit ohne Verantwortung und Bindung mag kurzzeitig reizvoll sein, auf die Dauer ist sie, wie im offenen Meer ausgesetzt zu sein. Deshalb suchen wir uns Aufgaben, verlieben uns, bekommen Kinder – und arbeiten. Wir schaffen uns aus eigener Entscheidung heraus Strukturen und Ziele. Wir brauchen sie zum Glück genauso wie die Freiheit, sie selbstbestimmt auszuwählen.

Freiheit gibt keine Garantie für Glück und Sinn, aber sie ist eine Voraussetzung dafür.

Dr. Florian Langenscheidt

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Mit einem dumpfen Geräusch schlägt mein Sitznachbar auf dem Boden der Flugzeugkabine auf. Er ist mit dem Fuß im Riemen meiner Umhängetasche hängen geblieben, die vor mir liegt. Meine Papiere verteilen sich quer über den Kabinenboden. Und er liegt dazwischen, der Länge nach im Gang ausgestreckt, zu Fall gebracht von meiner Tasche.

Normalerweise würde ich mich jetzt wahnsinnig schlecht fühlen. Sie kennen den Effekt, wenn man jemanden stürzen sieht: Man leidet förmlich mit und will sofort helfen. Umso mehr, wenn man auch noch eine Mitschuld trägt, wenigstens gefühlt. Eigentlich würde ich jetzt aufspringen und mich vergewissern, dass nichts Schlimmes passiert ist. Ich würde dem Mann im Business-Anzug auf die Beine helfen und mich dafür entschuldigen, dass mein Gepäckstück an dem Unheil beteiligt war.

Nicht in diesem Fall. Zu meiner eigenen Überraschung muss ich mir eingestehen, dass sein Sturz mir so gar nicht leidtut. Irgendwie hebt er sogar meine Laune. Ich fange den Blick der Flugbegleiterin ein. Die ist besser als ich darin, ihre Gefühle zu verbergen, aber so ganz gelingt es auch ihr nicht. Die Schadenfreude, professionell unterdrückt, zeigt sich in einem Zucken ihrer Mundwinkel. Und mich selbst höre ich sagen: „Hochmut kommt vor dem Fall!“

„Ernsthaft, Carsten?“, denke ich bei mir. „Du machst dich über jemanden lustig, der über deine Tasche gefallen ist?“ Aber der Appell an mein Gewissen verhallt weitestgehend ungehört, während der Gestürzte sich wortlos aufrappelt und sich einige Reihen weiter nach hinten auf einen anderen Sitzplatz verzieht.

Was war denn hier passiert?

Beim Boarding ging es schon los. Eigentlich wollte ich mich entspannen, vielleicht ein bisschen Arbeit erledigen. Doch dann kam er: der König der Lackaffen. Schon als er ins Flugzeug einstieg, erregte er meine Aufmerksamkeit, und nicht nur meine. Lautstark zog er am Handy über einen Kunden her, während er sich neben mir auf dem mittleren Platz niederließ. Dabei machte er sich so breit wie möglich. Ließ keinen Zweifel daran, dass die beiden Armlehnen zwischen seinem und den anderen Sitzen in dieser Reihe ihm gehören. Seine ganze Körpersprache sagte: Hier geht es um mich und nur um mich. Das ist mein Flugzeug, denn ich bin hier der Wichtigste. Dann ließ er sich – mutmaßlich zur Erleichterung seines Gesprächspartners – weiterverbinden und machte dem Vernehmen nach noch einen Mitarbeiter zur Schnecke.

Mit allen anderen Passagieren als unfreiwilligen Zeugen. Also auch mit mir als Zeugen.

Als die Durchsage „Boarding completed“ aus den Lautsprechern kam, fand das immens wichtige Telefonat plötzlich ein jähes Ende – mein Sitznachbar hatte einen neuen Anlass gefunden, sich zu produzieren. Das Flugzeug war nämlich nur zu einem Drittel ausgebucht. „Und da quetschen Sie mich hier in eine Reihe mit zwei anderen Typen auf den B-Platz in die Mitte? Was für eine Scheiß-Airline ist das eigentlich?“, brüllte er die Flugbegleiterin über mehrere Sitzreihen hinweg an. Und sprang schwungvoll auf, um sich umzusetzen. Doch dabei kam meine Tasche ihm in die Quere. Und dann fiel er und mit ihm die unangenehme Anspannung in der Kabine.

Vom ersten Moment an hat sein Verhalten bei mir extremes Unwohlsein erzeugt. Nun, da das Schauspiel vorbei ist, beginne ich mich zu fragen, woran das liegt. Was an diesem Kerl treibt mich zur Weißglut? Warum kann ich ihn nicht einfach ignorieren? Welche missgestimmte Saite schlägt er in mir an?

Irgendwo auf der Strecke zwischen München und Zürich wird es mir klar: Er hat in mir die Erinnerung an andere sogenannte Führungskräfte wie ihn geweckt, denen ich schon begegnet bin. Es gibt sie in den meisten Unternehmen. Überall zerstören sie Motivation mit mieser Führung. Überall auf der Welt blockieren sie Excellence. „Me, myself and I“ ist ihr Motto. Und in manchen Unternehmen ist das leider noch immer die richtige Haltung, um es nach oben zu schaffen.

Nach dem Aussteigen sehe ich ihn in der Ankunftshalle verschwinden – in null Komma nichts verschmilzt er mit seiner Umgebung. Genauer gesagt: in einer Gruppe von anderen Ego-Junkies, die irgendwie alle gleich aussehen. Mit entblößten Zähnen klopfen sie sich gegenseitig auf die Schulter – etwas zu fest, als dass es ehrlich wirken könnte. In ihren Blicken sind Jovialität und Wachsamkeit gleichermaßen. Fehlt nur noch, dass sie vergleichen, wer den dicksten Füller im Gepäck hat.

Und plötzlich klingt eine andere Saite in mir. Plötzlich tut er mir nun doch leid, mein Sitznachbar. Ob er es sich ausgesucht hat, dieses Affenkostüm von einer Attitüde? Oder ob es ihm übergestülpt wurde von einem Senior-Affen, der ihn nach seinem Vorbild erschaffen hat? So geht es den meisten von ihnen. Denn sie wissen nicht, was sie tun (könnten). Sie kennen es nicht anders. Gerade als ich ein bisschen Mitleid entwickle für diesen Zeitgenossen, läuft eine Gruppe von Kindern an mir vorbei. Gut gelaunt, noch weit von der Corporate-Welt entfernt. Oder doch nicht? „Wer hat die Kokosnuss, wer hat die Kokosnuss, wer hat die Kokosnuss geklaut?“, singen sie wie aus einer Kehle.

Und plötzlich fällt mir ein, zu welcher Spezies der Typ aus dem Flieger gehört. Und all die anderen, an die er mich erinnert.

Dieser Flug war die Geburtsstunde der Figur COMO® – kurz für Corporate Monkey. Auf den nächsten Seiten werde ich Ihnen noch viel darüber erzählen, was ich damit meine. Und warum ich damit manchmal auch mich selbst meine.

Dieser Flug hat so viele Erinnerungen wachgerufen. An echte Affen, die ich in Afrika und Thailand in freier Wildbahn beobachten konnte – immer auf der Suche nach der Kokosnuss. Und an Menschen in Affenkostümen, mentalen Uniformen sozusagen, die auch nichts anderes im Kopf haben als ihren Vorteil. Die nur aus einem Grund an der Palme hochklettern, nämlich um an den nächsten geldwerten Vorteil zu kommen. Für ihren Status, für ihr Ego – und notfalls auch gegen das Unternehmen. Denn sie selbst kommen immer zuerst und dann lange nichts. Und das nennen sie dann: Führung.

Ich habe mehr als einmal darunter gelitten. Haben wir das nicht alle? Und genauso oft habe ich festgestellt: Sie selbst leiden auch darunter. Denn schlechte Führung ist ein Perpetuum mobile, genauso wie gute Führung. Sie fühlt sich für niemanden gut an, und doch wird sie von einem COMO zum nächsten durchgereicht.

Dieser Erkenntnismoment hat mich ein Stück weit mit den COMOs versöhnt oder vielmehr mit den Menschen hinter der Affenmaske. Und vor allem hat er mich erkennen lassen:

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Mich selbst eingeschlossen. Auch ich wurde vom Monkey Business erzogen, auch ich hatte falsche Vorbilder. Der Typ im Flugzeug – er hat mich nicht zuletzt an mich selbst erinnert. Kein Wunder also, dass er so starke Gefühle bei mir ausgelöst hat. Immer wieder gab es Momente, wo der COMO in mir sich gezeigt hat, wo ich gegen ihn ankämpfen musste, und es gibt sie manchmal auch heute noch. Einige dieser Geschichten werden Sie in diesem Buch lesen. Manchmal bin ich an meinem inneren COMO gescheitert, manchmal habe ich ihn besiegt. So wie jeder, der führt. Sie und ich – wir laufen jeden Tag Gefahr, in die COMO-Falle zu tappen.

Aus der Beobachtung eines Prachtexemplars von einem COMO in freier Wildbahn – und all den Erinnerungen – habe ich zwei Schlüsse gezogen: Erstens bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir den COMO in uns akzeptieren können und dürfen. Er ist ein Teil von uns, Teil unserer Sozialisierung im Unternehmen. Eine Nebenwirkung der Karriere sozusagen. So wie ich Rheinländer bin, so bin ich auch COMO.

Wir bekommen diese Attribute durch Sozialisierung mit auf den Weg und verbringen unser Leben damit, uns zu ihnen in Beziehung zu setzen. Wir sind, wie der Soziologe Georg Simmel festgestellt hat, Schnittpunkte sozialer Rollen. Eine davon ist der COMO. Am besten mit dem COMO umgehen können wir, davon bin ich überzeugt, indem wir ihn als einen Teil unserer Führungspersönlichkeit akzeptieren. Ihn verstehen lernen, über ihn lachen lernen – und mit ihm umgehen lernen.

Zweitens habe ich mich entschieden, dem Affen keinen Zucker mehr zu geben. Meinem inneren COMO nicht und nicht all den COMOs da draußen, die uns tagtäglich das Leben schwer machen. Ich habe keine Lust mehr, auf Bananenschalen auszurutschen und es anschließend zu bereuen. Der COMO ist ein Teil von uns – aber wir müssen ihm nicht auf den Leim gehen. Wir müssen nicht in die COMO-Falle tappen.

Wir können auch anders.

Ich glaube sogar: Wir haben gar keine andere Wahl, als den Kampf gegen den inneren COMO aufzunehmen. Die Welt der Unternehmen hat sich verändert und die Anforderungen an Führung mit ihr. Wir haben es heute mit anderen Kunden, anderen Mitarbeitern, anderen Bedürfnissen zu tun, die im Zentrum von Führung stehen. Das Leadership der Zukunft findet unter anderen Bedingungen statt als die Führung, die wir einmal gelernt haben. Das Monkey Business wird den neuen Ansprüchen nicht gerecht. Intrigieren, taktieren, nach dem eigenen Vorteil schielen – diese Gewohnheiten haben zu einem festgefahrenen, einseitig hierarchischen, unflexiblen System des Leaderships geführt, das den Anforderungen der neuen Kunden, Märkte und Mitarbeiter nicht mehr gewachsen ist.

Darum und um die Führung in der Post-COMO-Ära geht es in diesem Buch. Ich habe es geschrieben, weil ich erkannt habe, dass ich seit vielen Jahren auf meine Art darum kämpfe, aus diesem System der Unfreiheit herauszukommen und zu lernen, wie Entscheidungen, Mitarbeiterführung, Kommunikation, Teamwork und Innovation funktionieren, wenn die alten Muster es nicht mehr tun.

Der Schlüssel? COMOs gedeihen nur in Gefangenschaft. Sie kultivieren das, was sie Führung nennen, in geschlossenen Systemen, wo sie sich ungestraft um sich selbst drehen können. Wo es nicht um die Bedürfnisse der Kunden oder der Mitarbeiter geht, sondern nur um die Kokosnuss. Der Schlüssel zu einer Führung ohne Monkey Business ist: Freiheit.

Auf den ersten Blick ist das ein Widerspruch: Führung und Freiheit. Aber nur, weil der COMO in uns es so gelernt hat. Führung und Freiheit sind Brüder. Sie bedingen sich gegenseitig. Ich glaube sogar:

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Ein unbeliebtes Wort, das vielen eher Angst einjagt als Freude – Führungskräfte eingeschlossen. Ohne Freiheit ist Führung nur ein Instrument des Monkey Business und eine Haltung, die Führungskräfte und Mitarbeiter leiden lässt, die Innovation verhindert und vor allem: die unzufriedene Kunden hinterlässt.

Erst Freiheit in der Führung macht Unternehmen zukunftsfähig. Deshalb gibt es keinen Grund, sich vor ihr zu fürchten. Führung und Freiheit passen wunderbar zusammen. In diesem Buch steht, warum – und wie es funktioniert. Ich möchte Ihnen erzählen, wie ich selbst Freiheit in der Führung gefunden habe, nachdem ich viele Jahre lang unter der Unfreiheit des COMOs gelitten habe. Und ich möchte Ihnen einen Weg zeigen, wie wir als freie Leader freie Menschen führen und unsere Unternehmen entfesseln können. Mit anderen Worten: wie wir auch morgen noch erfolgreich führen können, wenn die Tricks und Mauscheleien der COMOs nicht mehr funktionieren. Egal, auf welcher Führungsebene wir tätig sind, vom Teamleiter bis zum Vorstand.

Machen wir Schluss mit dem Monkey Business. Nicht zuletzt um der COMOs selbst willen. Denn die haben sich das in den seltensten Fällen so ausgesucht. Der COMO in Ihnen auch nicht, oder? COMOs werden gemacht. Und wir können das verhindern.

Und nun viel Spaß mit meinem Buch!

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LEADER-WAHL

Woran erkennen Sie einen starken Leader? Ein kleines Gedankenspiel verdeutlicht, wie schnell man sich irren kann, wenn es um Leadership-Qualitäten geht. Stellen Sie sich vor, es wird ein neuer Weltherrscher gewählt, und auch Ihre Stimme ist gefragt. Hier sind die Anwärter auf den begehrten Posten:

Kandidat A steht unter Korruptionsverdacht. Vor wichtigen Entscheidungen konsultiert er einen Astrologen. Er hat zwei Geliebte. Außerdem ist er Kettenraucher und trinkt acht bis zehn Gläser Martini am Tag.

Kandidat B ist schon zweimal aus hohen Positionen geflogen. Er schläft gern bis mittags. Schon an der Uni nahm er Drogen, bei der Arbeit hilft er auch chemisch nach, und er säuft wie ein Loch.

Kandidat C hat beachtliche internationale Erfolge vorzuweisen. Er ist Vegetarier, er raucht nicht, trinkt höchstens ab und zu mal ein Bier und hatte noch nie eine außereheliche Affäre.

Wer wäre Ihr Favorit? Der Korrupte mit den zwei Geliebten? Der Säufer, der immer rausfliegt? Oder der erfolgreiche Vegetarier? Sie ahnen natürlich, dass ich versuche Sie hinters Licht zu führen. Doch wenn das die Fakten wären, die Sie nach allgemeiner Informationslage tatsächlich über die Leadership-Kandidaten bei einer wichtigen Wahl hätten – das Informationszeitalter macht es möglich –, wem würden Sie Ihre Stimme geben?

Die Auflösung: Kandidat A ist Franklin D. Roosevelt. Der war tatsächlich ein berüchtigter Leichtfuß. Der Secret Service musste ihn öfter mal singend ins Bett tragen. Als erste Amtshandlung als Präsident der USA schaffte er die Prohibition ab. Die Amerikaner durften also endlich wieder das Glas heben. Nicht, dass er selbst sich jemals vom Alkoholverbot hätte abhalten lassen. Trotz allem gilt Roosevelt bis heute vielen als der beste Präsident, den die Vereinigten Staaten je hatten. Mit dem „New Deal“ hat er die Finanzwirtschaft auf Vordermann gebracht. So einen könnten wir heute doch auch gut gebrauchen, oder? Mit der Politik der guten Nachbarschaft wurde er zur Speerspitze gegen den Nationalismus in Europa, sozusagen ein Anti-Donald-Trump. Er wurde dreimal als amerikanischer Präsident wiedergewählt. Ein genialer Leader – ohne Frage.

Kandidat B ist kein Geringerer als Winston Churchill. Auch eine großartige Führungskraft. Schon als junger Soldat hat er ganze Regimenter das Fürchten gelehrt. Mit Regeln und Autoritäten hatte er aber so seine Schwierigkeiten. Als General wurde er im Ersten Weltkrieg gefeuert. Man merkte ihm nie an, wie viel er trank. Amphetamine nahm er auch. Vor allem während des Zweiten Weltkriegs. Um wach zu bleiben, wenn er den nächsten Schachzug gegen Hitler plante. Und den hat er Gott sei Dank besiegt, wie wir wissen. Dieser Leader hat Europa gerettet.

Apropos: Falls Sie sich unter den drei Möglichkeiten für Kandidat C entschieden haben, den erfolgreichen Vegetarier, dann haben Sie gerade Adolf Hitler zum Weltherrscher gewählt. Es ist nicht leicht, einen guten Leader zu erkennen. Was eine gute Führungskraft ausmacht, ist eine sehr komplexe Frage, auf die es viele, individuell und situativ sehr unterschiedliche gute Antworten gibt. Ich weiß das, denn ich habe selbst unter sehr verschiedenen Führungskräften gearbeitet. Ich befinde mich selbst mitten auf einem langen Weg als Leader. Wenn Sie versprechen, mich nicht als schizophren abzustempeln: Ich bin wohl selbst schon verschiedene Leader gewesen. Die Verantwortung, die Macht und die Umstände verändern uns auf vielfältige Weise. Meinen Sie nicht? Und schließlich habe ich selbst schon sehr viele Führungskräfte gewählt. Keine Weltherrscher – jedenfalls bisher –, aber doch die Menschen, denen ich die Geschicke meiner eigenen Unternehmen anvertraue. Ich bin vor allem Unternehmer. Nach dieser Prämisse suche ich auch meine Führungskräfte aus.

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Gerade aus der Perspektive als Unternehmer heraus komme ich zu dem Schluss: Es ist nicht leicht, einen guten Leader zu erkennen. Nicht mal im Spiegel, wenn er vor Ihnen steht … Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Ich wünsche mir nicht, dass meine Führungskräfte alle korrupte Säufer sind. Ich will Sie auch nicht dazu animieren, nur noch notorische Leichtfüße einzustellen. Und ich will ganz bestimmt nicht behaupten, dass alle Vegetarier schlechte Leader sind. Der Grund, warum ich Sie bei der Wahl eines Weltherrschers hinters Licht geführt habe, ist ein anderer. Ich wollte Ihnen etwas demonstrieren:

Die Qualifikation für exzellente Führung steht nicht im Lebenslauf.

Blöd, ich weiß. Der eine oder andere Personaler mag mich vielleicht jetzt schon nicht mehr. Doch es gibt ihn leider nicht, den diagnostischen Lebenslauf. Es gibt ihn nicht, den umfassenden Leadership-Studiengang. Und selbst wenn es ihn gäbe, würde er angehende Führungskräfte wohl nie qualifizieren können für das, was wir in unseren Unternehmen täglich erleben. Führung ist Leben, und Leben kann man niemandem beibringen.

Oder doch? Kinder lernen durch Vorbilder alles, was sie zum Leben brauchen. Essen, laufen, sogar wie man schlechte Laune zum Ausdruck bringt. Warum Schreien sich lohnen kann und warum man demjenigen schöne Augen machen sollte, der Zugang zum Süßigkeiten-Reservoir hat. Solche Dinge lernen unsere Kinder von uns – und noch ganz andere.

Wenn wir einen guten Leader schon nicht an der Nasenspitze erkennen können – dann vielleicht wenigstens einen schlechten? Wie verhindert man, dass man versehentlich einen Adolf Hitler an die Spitze eines Unternehmens, einer Abteilung oder eines Teams setzt? Und wenn man doch die falsche Person auf den Führungsposten gesetzt hat – merkt man das wenigstens im Nachhinein? Theoretisch ja, praktisch aber oft nein. Die fiktive Präsidentenwahl zum Einstieg hat uns etwas vor Augen geführt, das mich im Unternehmensalltag schon einige Male teuer zu stehen gekommen ist, monetär und emotional: Die gefährlichen unter den Alphatieren sind sehr gut im Verkleiden. Und nicht nur sie. Auch die harmloseren Vertreter, die nicht gleich die Welt anzünden, sondern „nur“ dem Unternehmen schaden. Und auch die, die es einfach nicht besser wissen. Letztere bilden vermutlich die größte Gruppe unter jenen, die wir nicht als gute Leader einstufen können. Das ist aber auch eine gute Nachricht: Die meisten schlechten Leader sind nicht freiwillig schlechte Leader. Sie wissen nur nicht, wie es anders geht – weil es ihnen niemand gezeigt hat. Sie haben gelernt, dass man demjenigen schöne Augen machen sollte, der den Schlüssel zur Schatztruhe hütet, und dem folgen sie dann auf Gedeih und Verderb. Genau hier liegt der Schlüssel. Nicht der zur Schatztruhe, sondern zur Antwort auf die Frage, woran man schlechte Leader erkennt. Alle schlechten Führungskräfte, die gefährlichen und die harmlosen, haben eines gemeinsam: Sie haben es nicht so mit der Freiheit. Sie funktionieren am besten in der Abhängigkeit. Was gute Leader stärkt und Führung erst ihren tieferen Sinn gibt, ist für sie am schwersten zu ertragen.

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GESTATTEN: COMO

Welcome to Monkey Business, wo Freiheit ein Schimpfwort ist. Die Führungskräfte, die ich meine, gibt es in jedem Unternehmen. Auf allen Ebenen sind sie anzutreffen. Von ganz unten in der Hierarchie bis hinauf in den Vorstand. Das sind die Führungskräfte, die sich pudelwohl fühlen im Zwangskorsett der Abhängigkeiten. Sie tragen den richtigen Anzug. Sie hangeln sich mehr oder weniger elegant die Karriereleiter hoch. Sie küssen im Vorbeigehen die richtigen Hintern. Sie scheinen immer den richtigen Riecher zu haben, um es noch einen Schritt weiter nach oben zu bringen. Aber eigentlich ist alles, was sie tun und sagen, irrelevant.

Diese Spezies hat einen Namen. Ich nenne sie Corporate Monkeys. Kurz: COMOs. Und was sie tun, das nennen sie Führung. Sie jagen alle der gleichen Kokosnuss hinterher. Und diese Kokosnuss, die nennen sie dann auch noch Erfolg. Corporate Monkeys machen Führung durchschnittlich. Und, was noch viel wichtiger ist:

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Dieser Spezies fehlt das, was Führung erst ihren Sinn gibt: der Wille zur Freiheit. Ich bin mir ganz sicher: Ihnen gehen die Corporate Monkeys genauso auf die Nerven wie mir. Auch Sie wollen anders führen und anders geführt werden, als die COMOs es Ihnen vorleben. Sie wollen auch anders erfolgreich sein – wirklich erfolgreich sein für Mitarbeiter, für Ihre Kunden, für Ihr Unternehmen. Am Ende auch für sich selbst. Davon bin ich überzeugt, denn da geht es mir nicht anders als Ihnen: Auch ich habe oft unter schlechter Führung gelitten, und auch ich habe schlecht geführt.

Ganz recht: Auch ich war mehrfach kurz davor, zum Corporate Monkey zu mutieren. Vielleicht habe ich die Grenze sogar ein paarmal überschritten. Ganz bestimmt habe ich das eine oder andere Mal die falsche Entscheidung getroffen. Und damit nähern wir uns des Pudels Kern, denn das ist das Spielfeld der Führung: Führen heißt entscheiden.

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KEINE ENTSCHEIDUNGSFREIHEIT, NIRGENDS

Kennen Sie das Dilemma der Alphatiere? Sie wollen alles entscheiden und müssen dann eben auch jede Entscheidung treffen, die sie an sich gerissen haben. Und kennen Sie das Dilemma der dressierten Alphatiere? Sie wollen alles entscheiden, dürfen aber nicht.

Ich ging 1993 nach Dresden. Als Pre-Opening-Manager und designierter F&B-Direktor sollte ich das historische „Kempinski Hotel Taschenbergpalais“ mit aufbauen. Die erste Adresse in einer Stadt, die gerade mitten im Umbruch ist. Dresden war 1993 noch eine ziemliche Ruine. Kopfsteinpflaster, verfallene Fassaden, viel Grau. Aber gleichzeitig ein Mekka der Kulturwelt: In der Semperoper gab sich alles die Klinke in die Hand, was Rang und Namen hatte. Und drum herum war noch architektonischer Sozialismus. Das war wirklich spannend.

Das Problem war nur: Ich mache mich nicht so gut als dressiertes Alphatier. Wenn ich zu wenig Freiheit habe, bekomme ich einen Lagerkoller. Und der kam in Dresden ziemlich schnell, obwohl ich mich in der Stadt damals sehr wohlfühlte. Was mich bei der Stange gehalten hat, war die Herausforderung. Man bekommt ja nicht jeden Tag die Chance, ein historisches Hotel direkt neben der Semperoper neu zu eröffnen.

Wenn Sie ein Fünf-Sterne-Hotel eröffnen, dann treffen Sie täglich 100 Entscheidungen. Oder vielmehr: Sie müssten täglich 100 Entscheidungen treffen. Wogegen ganz und gar nichts auszusetzen ist, wenn man denn alles selbst entscheiden könnte. Aber als dressiertes Alphatier trifft man diese Entscheidungen eben nicht allein, zumindest nicht verantwortlich. Stattdessen werden sie konsensiert. In den meisten größeren Unternehmen braucht es für jede Entscheidung, die über den Wechsel einer Glühbirne hinausgeht – und selbst da hört es in manchen Unternehmen schon auf – irgendein Gremium.

Schon der Begriff „Gremium“ löst bei den meisten von uns ein weiteres Reizwort aus: Meeting. Das sind die Sitzungen, bei denen die COMOs unterm Tisch verstohlen Taschenbillard spielen, während am Kopfende der langen Tafel irgendein höheres Tier einen ordentlichen Affentanz veranstaltet.

In Dresden beginne ich nicht zum ersten Mal, aber in bis dahin ungeahnter Form unter dieser Kultur zu leiden. Ich bin der Gastronomiedirektor dieses Hotels, aber ich darf nicht mal das Geschirr selbstständig aussuchen. Ich muss jeden verdammten Teller mit einem Gremium klären, das aus der gesamten Führungsmannschaft und meinem Vorgesetzten besteht. Und der ist meistens nicht mal da. Kennen Sie diesen Typ auch, den unerreichbaren Chef, der aber alles absegnen will? Dann kennen Sie schon mal mindestens einen Corporate Monkey.

Nun muss ich ergänzen: Ich war relativ verwöhnt aus früheren Engagements. Unter anderem war ich vorher in Südafrika gewesen. Dort hatte ich in zwei sehr speziellen Grand-Hotels weitgehend schalten und walten können, wie ich wollte. In Dresden aber steckte ich in der Konzernkultur fest und durfte praktisch nichts mehr allein entscheiden. Weil jede Tasse mit den Kempinski-Standards konform gehen muss. Und mit den Befindlichkeiten aller anderen sogenannten Entscheidungsträger. Damit wir uns richtig verstehen: Nichts gegen die Kempinski-Standards. Aber alles ist durchschematisiert. Und was nicht durchschematisiert ist, muss konsensiert werden. Keine Entscheidungsfreiheit, nirgends.

Die Entscheidungen aber sind das, was eine Führungskraft auszeichnet. Die Entscheidungen sind die Momente im Führungsalltag, in denen wir scheitern oder Erfolg haben, wachsen oder stagnieren. Wenn führen entscheiden heißt – wie sollen wir dann führen, wenn wir nicht entscheiden dürfen? Wie sollen wir es jemals zu guten Führungskräften bringen? Wie sollen wir andere zu Leadern machen? Und wenn wir Leader nicht an ihren Entscheidungen messen können, woran denn dann?

Genau deshalb sind die Corporate Monkeys so oft und oft so lange erfolgreich auf ihrer Jagd nach der Kokosnuss. Deshalb fällt so oft gar nicht auf, dass sie immer zuerst an den eigenen Vorteil denken. Wo alles konsensiert wird, lässt sich am Ende auch ein Misserfolg nicht schlüssig erklären und an seinen Ursprung zurückverfolgen. Und wo alle der gleichen Kokosnuss hinterherjagen, besteht daran auch gar kein Interesse. Eine Führungskultur, in der Menschen der Freiheit zu entscheiden beraubt werden, züchtet Corporate Monkeys: Führungskräfte, die gar nicht entscheiden wollen.

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ENTSCHEIDUNGSFREIHEIT: EIN INDIKATOR FÜR QUALITÄT

Vielleicht war es ein Fehler, dass ich schon als Auszubildender Tom Peters gelesen hatte. Er musste später viel Kritik einstecken, weil sich einige seiner Prognosen darüber, welche Unternehmen in Zukunft erfolgreich sein würden, später nicht bewahrheiteten. Ob das tatsächlich daran lag, dass seine Schlussfolgerungen fehlerhaft waren, oder daran, dass sich die Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Erfolg einige Jahre später grundlegend änderten, sei dahingestellt. Für mich sind einige seiner Thesen dennoch bis heute wegweisend geblieben. Nicht unbedingt als Kriterien für Marktführerschaft, wohl aber als Indikatoren für die Umsetzungskompetenz von Unternehmen. Insbesondere drei davon habe ich später abgewandelt in all meinen Unternehmen bis heute zur Anwendung gebracht:

Schnelle Entscheidungen und Problemlösungen verhindern, dass die Bürokratie überhandnimmt.

Service-Persönlichkeiten sind nahe am Kunden und bereit, von seinen Bedürfnissen zu lernen.

Besondere Unternehmen zeichnen sich durch Autonomie und Unternehmergeist auf allen Ebenen aus.

Aus diesen Prinzipien kann man meiner Meinung nach ableiten, wie eine gesunde Entscheidungskultur aussehen kann. Nicht nur im Service-Bereich, sondern überall, wo es darum geht, was der Kunde braucht. Und darum geht es in jedem Unternehmen eigentlich. In denen, die von Corporate Monkeys geführt werden, nur leider oft nicht operativ. Folgende Schlussfolgerungen über die Entscheidungskultur – also Führungskultur – eines Unternehmens lassen sich aus den obigen Prinzipien ableiten:

Schnelle Entscheidungen und Problemlösungen sind nur möglich, wenn sie nicht erst durch die Hierarchiestufen hindurch debattiert und konsensiert werden.

Nahe am Kunden sein kann nur, wer selbst befugt ist, auf die Kundenbedürfnisse mit konkreten, operativen Entscheidungen zu reagieren.

Wir können nicht von Mitarbeitern erwarten, dass sie Unternehmergeist leben, und ihnen gleichzeitig keine Befugnisse übertragen.

Die Quintessenz dieser Erkenntniskette ist: Auch Mitarbeiter müssen autonom entscheiden können. Entscheidungen sind kein Führungsprivileg. Und gerade deshalb eine Frage der Führungskultur. Denn nur ein Leader, der selbst die Freiheit hat zu entscheiden, kann und wird auch seinen Mitarbeitern genau die Entscheidungsfreiheit einräumen, die sie brauchen, um einen guten Job zu machen.

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FREIHEIT IST UNTEILBAR

Die Entscheidungsfreiheit des Leaders hat zwei Aspekte, die beide auf unterschiedliche Weise davon abhängig sind, wie abhängig oder unabhängig ich als Führungskraft bin.

Die Entscheidungsfreiheit des Leaders besteht darin, dass er in seinem Verantwortungsbereich autonom entscheiden kann und dass er nicht alles selbst entscheiden muss, sondern andere in ihrem Verantwortungsbereich ebenfalls autonom macht.

Ein Beispiel, um diese Dualität der Unabhängigkeit von Führungsentscheidungen zu verdeutlichen: An der Rezeption eines meiner Hotels steht ein sogenannter HWC-Gast. HWC steht für „Handle with Care“ – so werden in den besseren Grand-Hotels dieser Welt Gäste genannt, die man anderswo gern einfach als „schwierig“ abstempelt. Dieser Gast ist vielleicht schon zum x-ten Mal bei uns im Hause und erwartet, dass wir uns mit seinen Bedürfnissen auseinandersetzen. Und dieser Gast will ein kostenfreies Upgrade: Statt des gebuchten Deluxe-Zimmers verlangt er nach einer Business-Suite. „Das kann doch kein Problem darstellen. Für mich als Stammgast können Sie das doch machen! Ich komme in diesem Jahr garantiert noch zehnmal, da produziere ich doch genügend Umsatz …“

Wer sollte hier eine Entscheidung treffen? Und sollte es in Ihrem Unternehmen, wenn ein Kunde sich mit unerwarteten Ansprüchen zu Wort meldet? Wenn das Bauteil zum gleichen Preis plötzlich eine hochwertigere Lackierung bekommen soll oder wenn der Code für den Web-Shop ein zusätzliches Plug-in integrieren soll, von dem bisher keine Rede war?

In den meisten Unternehmen läuft in so einem Moment – und diese Momente sind garantiert auch bei Ihnen nicht selten – ein Entscheidungsprozess an. Was zunächst schon mal bedeutet, dass der Kunde in diesem Moment der Wahrheit vom Mitarbeiter, dem er gerade gegenübersteht, keine unmittelbare Lösung bekommt. Allein das erzeugt schon Frust, allein das wirkt schon nicht souverän. Ab hier kostet der Prozess, der nun anläuft, das Unternehmen aber auch schlicht und ergreifend Geld, denn ab hier müssen Zeit und Man-Power investiert werden für etwas, das der Mitarbeiter am Kunden sehr oft selbst regeln könnte. Um beim Beispiel zu bleiben: Was wird jetzt in den meisten Hotels passieren? Die Mitarbeiterin an der Rezeption stößt schon hier an die Grenzen ihrer Entscheidungskompetenzen und greift zum Telefon, um ihren Vorgesetzten anzurufen. Und der muss dann entscheiden, wie mit dem Kunden zu verfahren ist. Vielleicht muss der für sein Upgrade zahlen. Vielleicht bekommt er es einfach so. Vielleicht bekommt er irgendeine andere Vergünstigung oder das Versprechen eines Upgrades in der Zukunft. Höchstwahrscheinlich bekommt er aber nicht genau das, was er will.

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Und das muss ihm jetzt wer verklickern und sich mit einem ungehaltenen HWC-Gast ein Tänzchen liefern? Die Mitarbeiterin an der Rezeption, die die Entscheidung nicht selbst treffen konnte oder vielmehr: durfte. Was ihre Ausgangsposition für die nachfolgende Diskussion schon mal ziemlich schlecht aussehen lässt, denn von Augenhöhe kann in diesem Gespräch ja wohl keine Rede mehr sein. Die Gute wirkt jetzt auf den Gast wie ein Roboter, der nicht viel mehr drauf hat, als ein Anmeldeformular auszufüllen. Sie hat ja schon einräumen müssen, dass sie eigentlich gar nicht die Richtige ist, um sich mit dem Kunden auseinanderzusetzen. Schlimmer noch: Kann sie keine Einigung erzielen (was aus dieser schwachen Position heraus sehr wahrscheinlich ist), steht sie doppelt unter Druck. Sie muss wieder bei ihrem Vorgesetzten anrufen, der wieder einen Vorschlag unterbreiten muss, den sie wieder diskutieren muss … Wahrscheinlich bekommt sie von beiden Seiten Dampf. Aber einer Lösung sind wir immer noch nicht nähergekommen.

Wer gewinnt bei diesem Prozess? Der Kunde? Sicher nicht. Die Mitarbeiterin an der Rezeption, die nicht selbst entscheiden darf? Verliert mindestens ihr Ansehen bei diesem Gast, vielleicht sogar bei ihrem Vorgesetzten. Der Vorgesetzte? Verliert Zeit und Nerven. Das Unternehmen? Verliert auf ganzer Linie.

Und jetzt stellen wir uns mal vor, wie viel schwieriger das Ganze wird, wenn diese Entscheidung noch durch eine weitere Hierarchiestufe gereicht werden müsste. Das Ergebnis wäre im schlimmsten Fall, dass ich irgendwann als CEO des Hotels selbst an der Rezeption stünde und mich mit dem Gast auseinandersetze. Dabei könnte die Mitarbeiterin, die dort steht, das viel besser als ich, denn sie wurde für diesen Job ausgesucht und geschult.

Und das alles wegen einer kleinen, operativen Entscheidung.

Zugegebenermaßen habe ich diesen Fall zu Demonstrationszwecken ausgereizt. Übertrieben habe ich aber keineswegs. Ich habe das schon mehrfach so erlebt, und zwar von beiden Seiten, als Führungskraft in Grand-Hotels und auch als Gast in Grand-Hotels. Ja, ich bin auch manchmal ein HWC-Gast. Hin und wieder sogar ganz bewusst.

Es gäbe eine ganz einfache Lösung für dieses kleine Alltagsdilemma, das so typisch ist für die Führungskultur im Monkey Business. Auch bei viel komplexeren Problemen, denn das Schema bleibt das gleiche. Wenn diese Situation an unserer Rezeption auftaucht – und glauben Sie mir, das ist keine Seltenheit –, dann wird sie zum Beispiel so gelöst: Der Gast bekommt ein doppeltes Upgrade auf eine Executive Suite. Eine Stufe zahlt er selbst, eine schenken wir ihm. Eine Win-win-Lösung.

Doch mir geht es gar nicht darum, wie die Lösung aussieht, sondern darum, wer sie trifft: nämlich die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter an der Rezeption. Eigenverantwortlich. Der Mitarbeiter am Kunden trifft die Entscheidung. Wann immer das irgendwie möglich ist. Und ich als Führungskraft bleibe schön oben in meinem Büro sitzen, wo ich sowieso selten genug bin, und treffe die Entscheidungen, die ich am besten treffen kann.