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Karte Avantia
Titelseite

 

 

 

 

 

Mit besonderem Dank an
Jan Burchett und Sara Vogler
 
Für Timotej Torak – alles Gute!

Sei gegrüßt, Gefährte!

Zwar sind wir uns noch nicht begegnet, doch wie du habe auch ich Toms Abenteuer aufmerksam mitverfolgt. Weißt du, wer ich bin? Hast du schon einmal von Taladon dem Flinken gehört, dem Herrn der Biester? Ich bin zurückgekehrt – gerade rechtzeitig, damit mein Sohn Tom mich vor einem Schicksal bewahren kann, das noch schlimmer ist als der Tod. Denn der böse Magier Malvel hat mir etwas Wertvolles gestohlen. Und solange Tom seine nächste Aufgabe nicht erfüllt hat, kann ich nicht wieder vollständig ins Leben zurückkehren. Bis dahin bin ich weder Geist noch Mensch und muss zwischen den Welten wandeln und abwarten. Ich bin nur zum Teil der Mann, der ich einst war. Tom allein kann mir meine frühere Stärke wiedergeben.

Wird Tom den Mut aufbringen, um seinem Vater zu helfen? Die Aufgabe, die ihm bevorsteht, bringt selbst den hartgesottensten Helden an seine Grenzen. Außerdem könnte es meinen Sohn teuer zu stehen kommen, sechs weitere Biester zu besiegen …

Mir bleibt nur die Hoffnung – darauf, dass Tom Erfolg hat und ich eines Tages wieder ganz bei Kräften sein werde. Willst du Tom bei seinem Kampf unterstützen? Ich weiß, dass ich mich auf meinen Sohn verlassen kann – kann ich auch auf dich zählen? Wir dürfen keinen Augenblick zögern! Von diesem neuen Abenteuer hängt so vieles ab.

Wir alle müssen tapfer sein!

Taladon

Eine gefährliche Wette

„Jetzt bist du dran – was wettest du?“, wollte Jack von seinem Freund Flint wissen.

Die Jungen spielten am Rande ihres Dorfes und stellten sich gegenseitig kleine Mutproben. Die Sonne über Errinel ging langsam unter und lange Schatten krochen über den Boden. Der Himmel sah aus, als hätte er überall tiefblaue Flecken, und die einbrechende Dunkelheit machte das Spiel der beiden nur noch aufregender.

Flint blickte sich um, dann blitzten seine Augen auf und er zeigte auf einige eingezäunte Bäume auf der Wiese nebenan. „Wetten, dass du dich nicht traust, einen Apfel aus dem Obstgarten von Bauer Grindall zu klauen!“, verkündete Flint.

„Gar kein Problem!“ Jack machte einen Bocksprung über den Holzzaun und kletterte auf den größten Apfelbaum. Er würde Flint schon beweisen, dass er keine Angst hatte! Auch wenn der griesgrämige Bauer Grindall ihn mit Sicherheit mit seiner Heugabel verjagen würde, wenn er ihn erwischte.

Dann erreichte er den obersten Ast. Von hier aus hatte Jack eine tolle Aussicht auf die Straße, die aus dem Dorf führte. Auf diesem Weg konnte man an der Grenze Avantias, dem Königreich von König Hugo, entlanglaufen. Die Grenze wurde von einer mächtigen Mauer markiert. Man konnte nur durch ein altes Eisentor auf die andere Seite gelangen. Die Mauer war so hoch, dass es Jack selbst von seinem Ausguck aus nicht gelang hinüberzusehen.

Hinter dem Grenzwall lag das Verbotene Land. Jack wusste, dass niemand jemals dorthin ging. Die übrigen Dorfbewohner weigerten sich, auch nur darüber zu sprechen. Aber während Jack die bedrohliche schwarze Mauer betrachtete, fiel ihm die beste Mutprobe überhaupt ein!

Er schnappte sich einen Apfel, schwang sich vom Baum und sprang über den Zaun zurück.

„Na gut, diesmal hast du gewonnen“, gab Flint zu, als Jack ihm den Apfel zuwarf.

„Und jetzt kommt deine Mutprobe“, sagte Jack. „Sie ist so schrecklich, dass du sie bestimmt nicht machst!“

„Mich kann gar nichts erschrecken!“, widersprach Flint selbstbewusst.

„Ich wette, du traust dich nicht, ins Verbotene Land zu gehen!“, forderte Jack seinen Freund heraus. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust – er war sich sicher, dass Flint sich geschlagen geben würde. „Was lasse ich mir jetzt als Gewinn geben?“, überlegte er.

Doch Flint sagte kein Wort. Stattdessen schritt er entschlossen auf das Tor in der Mauer zu.

Mit klopfendem Herzen rannte Jack ihm nach. „Nein, du musst es nicht machen“, rief er. „Das war nur ein Scherz!“

„Ich nehme jede Herausforderung an“, entgegnete Flint. Schon im nächsten Augenblick zog er sich an den Eisenstreben im Tor hoch und fing an zu klettern.

„Dann komm ich eben mit dir!“ Das Tor war voller Rost und fühlte sich wacklig an, als Jack nach oben kraxelte. Aber er konnte seinen Freund schließlich nicht alleinlassen.

Wenig später saßen die Jungen oben auf dem Tor, ließen die Beine hinunterbaumeln und blickten sich fasziniert um. Das Verbotene Land war grau, so weit das Auge sah. Der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Und die einzigen Bäume, die in der Nähe wuchsen, waren verkohlt und knorrig.

„Wie hässlich!“ Flint blieb vor Entsetzen der Mund offen stehen.

„Alles sieht irgendwie so tot aus“, murmelte Jack zustimmend.

Sie hangelten sich auf den Boden des Verbotenen Landes hinunter und entfernten sich langsam vom Tor. In der ascheartigen Pulverschicht hinterließen ihre Stiefel tiefe Abdrücke. Jack bemerkte, wie sein Freund sich vor Angst schüttelte.

„Wir haben die Mutprobe bestanden“, sagte Flint. An diesem merkwürdigen Ort klang seine Stimme komisch dumpf. Auf einmal schien das Tor schrecklich weit weg zu liegen. „Lass uns umkehren.“

Jack nickte, doch genau in diesem Moment fiel sein Blick auf etwas am Horizont. „Was ist das da?“

Flint sah zu der Stelle. „Sieht wie eine Staubwolke aus.“ Sorgenvoll blickte er auf seine Füße. „Der Boden bebt …“

Jack spürte es auch. Die graue Erde unter ihren Stiefeln zitterte und brachte ihre Beine zum Schlottern.

„Irgendwas kommt auf uns zu“, flüsterte er. Die beiden Jungen waren wie erstarrt, während die Staubwolke näher kam und der Boden immer heftiger zitterte.

„Es ist ein Pferd!“, rief Flint und schaute in die Ferne. „Und zwar ein ziemlich großes.“

Jack kniff die Augen zusammen. Sein Freund hatte recht. Auch er konnte in der Ferne glänzende Hufe erkennen. Das Beben musste von dem Hufgetrappel stammen! Dann sah er, dass auf dem Pferd ein großer Mann ritt.

„Ich frage mich, wer der Reiter ist“, sagte er, als das Pferd näher kam. „Nein, schau mal …“

Er bekam einen Riesenschreck – der Mann und das Pferd waren miteinander verwachsen! Das musste irgendeine Art von Monster sein, ein Biest – halb Mensch, halb Pferd. Aber die Biester gab es doch nur im Märchen … oder? Das waren alles nur erfundene Geschichten, die man sich in Avantia erzählte – Schauermärchen, mit denen Jack seinem kleinen Bruder manchmal Angst einjagte.

Plötzlich wurde das Biest durchsichtig und Jack klappte vor Schrecken die Kinnlade runter.

„Ich kann durch ihn hindurchsehen“, keuchte Flint. „Das ist ein Geist. Und er kommt direkt auf uns zu!“

Jack und Flint sprinteten auf das Tor zu, so schnell, dass ihre Füße graue Asche hochwirbelten. Das Biest kam gefährlich nahe, aber die beiden Jungen waren ebenso schnell. „Wir schaffen es!“, dachte Jack erleichtert.