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Karte Avantia
Titelseite

 

 

 

 

 

Mit besonderem Dank an
Michael Ford
 
Für Alex McAteer

Sei gegrüßt, Gefährte!

Zwar sind wir uns noch nicht begegnet, doch wie du habe auch ich Toms Abenteuer aufmerksam mitverfolgt. Weißt du, wer ich bin? Hast du schon einmal von Taladon dem Flinken gehört, dem Herrn der Biester? Ich bin zurückgekehrt – gerade rechtzeitig, damit mein Sohn Tom mich vor einem Schicksal bewahren kann, das noch schlimmer ist als der Tod. Denn der böse Magier Malvel hat mir etwas Wertvolles gestohlen. Und solange Tom seine nächste Aufgabe nicht erfüllt hat, kann ich nicht wieder vollständig ins Leben zurückkehren. Bis dahin bin ich weder Geist noch Mensch und muss zwischen den Welten wandeln und abwarten. Ich bin nur zum Teil der Mann, der ich einst war. Tom allein kann mir meine frühere Stärke wiedergeben.

Wird Tom den Mut aufbringen, um seinem Vater zu helfen? Die Aufgabe, die ihm bevorsteht, bringt selbst den hartgesottensten Helden an seine Grenzen. Außerdem könnte es meinen Sohn teuer zu stehen kommen, sechs weitere Biester zu besiegen …

Mir bleibt nur die Hoffnung – darauf, dass Tom Erfolg hat und ich eines Tages wieder ganz bei Kräften sein werde. Willst du Tom bei seinem Kampf unterstützen? Ich weiß, dass ich mich auf meinen Sohn verlassen kann – kann ich auch auf dich zählen? Wir dürfen keinen Augenblick zögern! Von diesem neuen Abenteuer hängt so vieles ab.

Wir alle müssen tapfer sein!

Taladon

Ein Drache im Kräutergarten

Schmerzensschreie drangen aus einer Hütte, aber Derlot eilte weiter Richtung Kräutergarten. Er war einer der Glücklichen, den die schreckliche Krankheit bisher verschont hatte. Als der erste Schäfer nach einem Hyänenbiss krank geworden war, hatte niemand geglaubt, dass die Krankheit sich ausbreiten würde. Derlot war zwei Tage in Stonewin auf dem Markt gewesen. Bei seiner Rückkehr war fast jede Familie in Rokwin von der Krankheit betroffen. Die Menschen starben. Derlot hoffte, dass er den Kranken helfen konnte.

Sein Vater war Medizinmann gewesen, dessen Ruf so weit reichte wie die Grasebene. Er hatte darauf geschworen, dass eines seiner Kräuter, der Hornfarn, jede Krankheit in Avantia heilen konnte.

Derlot öffnete das Tor zum Kräutergarten und ging zwischen den Pflanzen hindurch. Viele Kräuter waren verwelkt und das Unkraut stand hoch. Aber dann sah er ihn – den Hornfarn mit den dunkelgrünen Blättern und den roten Spitzen. Erleichtert atmete Derlot auf und hoffte, dass sein Vater recht behalten würde.

Derlot kniete sich zwischen die Pflanzen und holte sein Gartenmesser heraus. Die Klinge berührte den Farnstrunk, als ein Heulen durch die stille Sommerluft schnitt. Waren das noch mehr Hyänen?

Derlot stand auf und sah sich um. Etwas waberte durch die Bäume auf ihn zu – ein seltsames dunkles Band, wie Rauch, der von einem Feuer aufsteigt. Unbehagen erfasste ihn, als er bemerkte, dass es sich für Rauch zu schnell bewegte.

Derlots Augen zeigten ihm etwas, das sein Gehirn nicht glauben wollte, und vor Erstaunen blieb ihm der Mund offen stehen. Das wabernde Band war ein Drache, aber dieser kam bestimmt nicht in Kindergeschichten vor. Grüne und rote Schuppen bedeckten den schlangenähnlichen Körper. Der lange Schwanz bewegte sich hin und her und ließ den Drachen pfeilschnell durch die Luft gleiten. Das Biest öffnete sein Maul und entblößte schreckliche Zähne.

Derlot ging rückwärts auf das geöffnete Gartentor zu, aber er stolperte und fiel zu Boden. Der Drache schob sich über ihn, aus seinen Nasenlöchern quoll Dampf. Als er sein Maul noch weiter öffnete, warf Derlot schützend die Arme über den Kopf. Er wusste, was kommen würde.

Feuer.

Doch plötzlich umhüllte ihn eiskalte Luft. Er senkte die Arme und sah, dass sich der Garten verändert hatte. Alle Pflanzen – auch der wertvolle Hornfarn – waren von Eis umschlossen. Der Boden unter seinen Füßen war weiß vor Frost, sogar die Schnürsenkel seiner Stiefel waren gefroren. Der Drache hatte Eis gespuckt.

Das Biest schwebte in der Luft und hielt Derlot mit seinem Blick gefangen. Etwas war seltsam an seinen grünen Augen – sie wirkten fast menschlich. War das ein Biest oder ein Mensch? Oder eine schreckliche Mischung aus beidem?

Mit einem gellenden Schrei peitschte der Drache seinen Schwanz über den Boden. Die Erde bebte bei dem Aufprall und die Pflanzen zerbrachen wie Glas. Die Splitter bildeten einen eisigen Nebel, in dem Derlot nichts mehr erkennen konnte. Als der Nebel sich lichtete, sah er den Drachen Richtung Vulkan in der Nähe von Stonewin davonfliegen.

Derlot betrachtete zitternd die Überreste des Gartens und stieß ein verzweifeltes Stöhnen aus. Ohne die Kräuter waren die Bewohner von Rokwin dem Untergang geweiht.

Und die Leute in Stonewin erwartete das gleiche schreckliche Schicksal.

Rückkehr nach Avantia

Die Sonne stand nur noch einen Fingerbreit über dem Horizont, als Tom und Elenna aus dem Dunklen Wald traten. Tom war müde. Der Kampf mit Vargos hatte ihn an seine Grenzen gebracht – und Elenna an ihre.

„Vielleicht sollten wir uns ein Weilchen ausruhen?“, schlug sie vor.

Tom betrachtete seine Freundin. Ihre Knie waren schmutzig, weil sie gestolpert und hingefallen war. Danach blickte er zu ihren tapferen Begleitern. Silver, Elennas Wolf, schlich mit gesenktem Kopf voran und Toms Hengst Storm trottete hinter ihm her.

„Ich wünschte, wir könnten eine Rast machen“, sagte Tom bedauernd. „Aber jetzt noch nicht.“

Er berührte das Lederband an seinem Hals, an dem das zerbrochene Amulett von Avantia hing. Bisher hatte er vier Amulettstücke gefunden und die vier Geisterbiester besiegt, die sie bewacht hatten. Aber seine Mission war erst dann erfüllt, wenn er alle sechs Teile zurückerobert hatte und das Amulett wieder vollständig war. Nur dann konnte er seinen Vater Taladon ins Leben zurückholen.

Sein Vater hatte ihm gesagt, dass er als Nächstes mit einem Drachen namens Drako kämpfen musste.

„Wir müssen wenigstens kurz haltmachen und auf die Karte schauen“, sagte Elenna. „Und dann könnten wir auch etwas Wasser trinken.“

Tom nickte und setzte sich auf einen Felsbrocken. Elenna holte eine Feldflasche aus Storms Satteltasche und trank. Tom streckte die Hand vor sich aus.

„Karte!“, befahl er.

Die Luft zitterte, als die magische Karte sich vor ihm bildete. Ohne das Geschenk von Aduro hätten sie die Biester und den Weg durch das Verbotene Land nie gefunden.

Wie ein Goldfaden erschien eine leuchtende Linie auf der Karte. Sie schlängelte sich vom Dunklen Wald über die östlichen Felder an dem kleinen Ort Rokwin vorbei Richtung Stonewin. Sie endete an den Hängen des Vulkans.

„In Stonewin lebt Eposs“, sagte Elenna und reichte Tom die Feldflasche.

„Hoffentlich ist sie nicht in Gefahr“, sagte Tom und trank einen Schluck Wasser. Eposs war ihre Freundin. Auf einer früheren Mission hatten sie den Flammenvogel vor dem bösen Magier Malvel gerettet.