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Sabina Naber

Caddielove

Ein Fall für Mayer und Katz

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Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2014 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © thegoatman – Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-4358-9

Widmung

Ich widme dieses Buch all jenen, die einmal einen Abschlag getätigt haben und nicht golfsüchtig geworden sind – denn sie sind eine sehr seltene, vom Aussterben bedrohte Spezies.

Vorbemerkung der Autorin

Liebe Leserinnen und Leser,

der im Buch beschriebene Golfplatz Three Oaks existiert nicht (deshalb auch dieser bewusst romantisierende Name anstatt einer, wie weithin üblich, Sponsor- oder Ortsbezeichnung), weil ich keinem der Wiener Golfplätze zu nahe treten wollte. Three Oaks habe ich anhand von Plänen mehrerer Plätze weltweit ›gebaut‹ – und zwar dergestalt, dass er die Chance hat, Austragungsort für ein Turnier der Ladies European Tour zu werden.

Für alle mit dem Golf nicht vertrauten Leserinnen und Leser gibt es am Ende des Romans ein Golfglossar, für alle NichtösterreicherInnen Erklärungen zu Wiener Ausdrücken sowie zu Spezialbegriffen.

Zur Mentalität von Golfspielern – ein Witz:

Bei einem Abschlag am 17. Loch passiert es: Der Ball fliegt über den Platz hinaus, durchschlägt die Frontscheibe eines Kleinwagens, der deshalb ins Schleudern kommt und einen Schulbus rammt. Dieser kommt von der Straße ab und bohrt sich in die Fensterscheibe eines Supermarktes. Das Gebäude stürzt daraufhin ein und begräbt Dutzende von Menschen unter den Trümmern.

Völlig verzweifelt stammelt der Golfer: »Wie konnte das denn nur passieren?«

Daraufhin sein Pro1: »Du hast den Daumen zu weit abgespreizt.2«

Eckdaten:

Ort: der Golfclub Three Oaks im Nordosten von Wien

Charakteristik: 18-Loch-Anlage auf PGA-Niveau, Par 72, CR 71, Slope 125

Zeit: Mitte Mai

Flight 1: Stella Dielenhoff: 17-jährige, frisch gebackene Profispielerin; Mörder

Flight 2: Daniela Mayer: Gruppeninspektorin, ZBV im Landeskriminalamt; Karl Maria Katz: Chefinspektor im Landeskriminalamt

Dauer: in der Länge zweier Runden, also 2 x 18 Loch, sprich 36 Abschläge

Am Ende des Buches findet sich zum etwaigen Nachschlagen eine komplette Personenliste.

1 Pro=Trainer

2 gemeint ist ein Detail beim Griff um den Golfschläger

STELLA / 1

Ich muss meine Emotionen in den Griff bekommen. Ich muss mein Selbstbild ins Positive rücken. Das Selbstbewusstsein – der 15. Schläger.

Sehr schön. Und jetzt sitze ich da, an der Bar im Club, und schreibe wie ein Baby Tagebuch. Jeff hat mich dazu verdonnert. Ich muss das alles unbedingt mit einem Kennwort schützen. Lisa borgt sich ja ständig mein Tablet aus, und wer weiß, ob sie nicht herumschnüffelt. Oder es einmal eingeschaltet liegen lässt. Irgendjemand es sich schnappt. Und es wäre extrem peinlich, wenn das jemand liest. Golfhoffnung hadert mit schlechtem Abschlag – oder so. Lese ich förmlich schon in den Clubnachrichten. Irgendein Witzbold schummelt das sicher hinein.

Okay, ich will Profi werden. Und ich bin am besten Weg dazu. Naja, eigentlich bin ich es schon, wenn man es genau betrachtet. Aber ich sehe das noch nicht so. Dieses Jahr muss ich gut überstehen, nein, sehr gut überstehen, dann …

Und als Profi, da muss man leiden können, das sagt auch Mama. Und sie weiß, wovon sie spricht. Ständig das Üben, wenn sie einmal nicht auf Tournee ist. Quält nicht nur mich :)

Also Tagebuch. Pah, das letzte Mal habe ich so etwas noch mit der Hand geschrieben und war neun Jahre alt. Hat mich immer gelangweilt, weil ich es blöd gefunden habe, mir selber zu erzählen, was ich erlebt habe. Daher seit acht Jahren nichts mehr. Aber jetzt weiß ich wenigstens, über was ich schreiben soll. Ich muss mir die positiven Schläge ins Gedächtnis rufen, hat Jeff gesagt, denn die vergesse ich immer. Das Bild von den miesen legt sich über all die kommenden Schläge und versaut die. Stimmt. Er ist wirklich der beste Pro ever. Ist zwar nicht seine eigene, diese Erkenntnis, ich weiß, dass es da auch Bücher gibt, habe ja selber schon wahnsinnig viele gelesen, und es gibt total gute Kollegen von ihm wie den Rotella, die genau das sagen. Aber Rotella ist nicht da, der hält dem Tiger oder sonst einer Granate das Händchen, und sinnig klingt das Ganze schon. Also vertrau ich Jeff einmal. Bis jetzt hat ja alles gestimmt, was er gesagt hat.

Denk nach der Runde nicht mehr an die schlechten Schläge, sondern nur mehr an die guten! Sehr schön. Was war da heute? Gleich der Abschlag am 1er. Gigamäßig. Über 210 und gerade wie ein Lineal. Aber viel mehr war da heute nicht drin. Bin in einem Flight gegangen, weil Jeff meint, man muss auch lernen, dass man sich von den anderen nicht ablenken lässt. Sonst hat man im Turnier den vollen Stress. Und bei meinem ersten PGA hat sich das auch schon gezeigt. Ich war so steif, als hätte ich noch nie einen Schläger in der Hand gehabt. Ich will gar nicht mehr daran denken. Beim zweiten war es zwar besser, aber – gut, reden wir nicht mehr davon. Jetzt muss ich einmal pro Woche mit irgendwelchen Leuten auf die Runde gehen. Ganz normal als Übung, natürlich ohne Wertung. Gut so, denn bei diesen Runden zeichne ich mich wirklich nicht aus. Bei all dem Training, und ich bin jetzt schon oft bei sechs Stunden am Tag, ist das der schlimmste Teil. Gut, Jeff hat ja recht. Mein großes Problem ist, dass ich mir manchmal von den anderen ihr Spiel aufdrängen lasse. Ich weiß zum Beispiel, dass ich besser bin, wenn ich tendenziell meine Annäherungen flach halte. Und was tue ich? Ich chippe, als ob ich die Sonne treffen wollte, nur weil diese Hamburgerin es getan hat. Das hohe ist ihr Spiel, und meins ist anders. Rein damit ins Hirn!!!!

Aber das ist ja leider nicht alles, wenn ich ehrlich bin. Ticks. Sie können mich total nervös machen. Eigentlich lächerlich, aber dann habe ich zum Beispiel beim Cup in Agadir irgendwann nur mehr daran gedacht, wie ich der Schwedin die Hände zusammenbinde, damit sie beim Ansprechen, also genau genommen vorher, wenn sie über Schläger und Schlag nachdenkt, nicht ständig die Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger nimmt. Oder, dass ich jemandem auf den Rücken klopfe, damit er mit dem Hüsteln aufhört.

Ja, Jeff hat recht. Ich lasse mich ablenken und beeinflussen. Und die Übung leuchtet mir ein. Aber es ist so langweilig. Da wartet man herum, bis die anderen ihren Schlag ins Rough, ins Wasser, in den Bunker, ins Green, zurück in den Bunker und dann wieder aufs Green befördert haben, um dann wieder zu warten, weil sie mit mindestens vier Putts das Loch umkreisen, bevor sie hineintreffen. Wirklich wahr. Gut, ich übertreib jetzt ein bissel, aber nicht viel. Jeff würde mich jetzt zusammenfalten, weil ja jeder einmal anfängt und nicht jeder ein Supertalent ist. Gut, stimmt. Aber muss ich das ausbaden? Kann ich nicht wenigstens mit Leuten gehen, die mindestens einstellig sind? Ich habe ihn im Verdacht, dass er mich absichtlich mit Bogeyspielern zusammenspannt, um meine Geduld zu trainieren. Und außerdem war heute schon wieder der volle Kotzbrocken dabei, dieser Hohenfellner. Markus natürlich. Der nervt mich so was von, dass ich den nicht einmal duzen will. Kommt aber blöd, also mache ich es. So ein Ehrgeizling, der’s nie unter 17 schaffen wird. Aber Hauptsache, er brüllt die Kathi nieder, wie sie beim Bunker am 11er ein bissel länger nachgedacht hat. Aber Kathi ist so cool, obwohl sie schon über vierzig ist, dass sie ihn nicht einmal ignoriert hat, wie Mama sagen würde. Und dann räuspert er sich die ganze Zeit, als hätte er den Hals voller Schleim. Kein Wunder, dass er es mit der Stimme hat, bei seiner ewigen Schreierei. Er ist der, dem ich kräftig auf den Rücken schlagen möchte. Und zwar so heftig, dass er endlich den Mund hält. Und dann fragt er mich auch noch nach meinen Lernfortschritten für die Matura und redet und redet und regt sich auf, dass die Jugend von heute so ungebildet ist. Flippt aus, wenn ich einmal »cool« sage, weil »diese Anglizismen die deutsche Sprache verschandeln«. Sagt er. Nein, brüllt er. Echt, warum hat nicht der den Herzinfarkt kriegen können? Aber nein, den Cerny hat’s erwischt. Gut, er war auch eine Nervensäge. Hat mich einmal, wie wir im selben Flight waren, abgetatscht. Hat einen auf hilfreichen Opa gemacht. Das hat mich echt aufgeregt. Und die Lisa hat mir dann in der Garderobe erzählt, dass er es bei ihr auch schon probiert hat, gleich am dritten Tag, nachdem sie bei uns eingetreten ist. Konnte es nicht abwarten, ihr am Ausschnitt etwas wegzuschnippen. Und Lisa, ganz cool, beugt sich hinunter zu seinem Hosentürl und sagt laut: »Sitzt die Hose schlecht? Die beult sich da etwas.« Er ist knallrot geworden und abgedampft, hat sie erzählt. Kann ich mir gut vorstellen. Ich hätte das nicht gebracht, sie ist da viel straighter als ich. Ich bin froh, dass sie bei uns ist. Von ihr kann ich echt noch was lernen. Und das darf sie auch nicht lesen.

Der Cerny war aber eigentlich harmlos. Es ist wirklich schade um ihn. Vor allem bei den Clubfeiern wird er mir abgehen. Auch wenn Witze erzählen im Grund extrem peinlich ist, waren seine sehr lustig. Der Cerny war gescheit. Und einsam, sagt Mama, weil ihm vor zwei Jahren seine Frau gestorben ist. Klar, sagt Mama, dass er dann ein bisschen den Kontakt zum weiblichen Geschlecht gesucht hat. Aber, wie gesagt, harmlos. Der Hohenfellner ist es nicht.

Der schaut so starr. Angst kriegen könnte man. Die Lisa findet das auch. Fast hätte er mitbekommen, wie wir wieder über ihn hergezogen sind, weil es ja wirklich ganz schlechtes Benehmen ist, ständig herumzubrüllen und die anderen zur Sau zu machen, als hätte nur er eine Existenzberechtigung. Und es ist auch einfach unangenehm. Wenn er loslegt, möchte ich mich am liebsten in ein Schneckenhaus zurückziehen und warten, bis das Donnerwetter vorbei ist. Wie lange spielt der schon Golf? Noch nie etwas von Etikette gehört, Mister? Aber der ist wahrscheinlich auch sonst so ein Polterer, so ein Trampeltier. Und Mama sagt, dass solche Menschen, die die ganze Zeit auszucken, sehr arm sind, weil sie sich ständig bedroht fühlen. Dass man mit ihnen Mitleid haben muss. Na, ich weiß nicht.

Ja, letzte Woche war das, als Lisa und ich überlegt haben, wie wir ihm das austreiben. Und er hat sich auf der Terrasse an den Nebentisch gesetzt. Aber wir haben ihn ganz lieb angesmiled. Und heute haben wir schon wieder gemeinsam eine Runde absolviert. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Den Zoff, den wir damals gehabt haben, reden wir zwar nicht an, aber ich spüre ganz genau, dass er mich deswegen noch immer hasst. Aber was glaubt er denn? Dass ihm nie jemand die Meinung sagt? Wahrscheinlich ist er auch deswegen grantig, weil ich ihm zu jung bin, so jemanden nimmt er nicht ernst, egal wie gut der oder die ist. Wobei ich glaube, dass er Frauen noch weniger ernst nimmt. Dillo. Er wird es jedenfalls nie auf die Tour schaffen, allein das ist beruhigend. Zu schlecht und zu alt. Und bei den Amateuren wird ihm sein Herumgeschreie auch nichts nützen, denn die haben wesentlich weniger Skrupel als ich, ihm drüberzufahren. Außerdem kann er die anderen fertigmachen, wie er will, und sich selber gleich dazu, mit seiner Ausflipperei, das nützt ihm gar nichts. Wenn man innerlich nicht ruhig ist, wenn man nicht loslassen kann, dann wird man immer schlecht sein.

Es ist nur einfach so unfair, was er macht. Ich könnte – aaaargh!!!

Nein, nein, nein, Jeff würde sagen: Lass dich nicht ablenken, Stella. Und ich schreib das Tagebuch, um meine Schläge zu visualisieren. Also – der Abschlag auf dem 1er. Dann der Putt auf dem 3er. Genial. Downhill, exakt berechnetes Break und prompt klingklong. Über 5 Meter!!! Hab das Grain total gespürt. Und die Annäherung auf 17 war auch gut, 80 Meter direkt zwischen die Bunker und knapp am Rosenstrauch vorbei aufs Green, 60 auf den Stock. Ansonsten war heute wirklich nicht mein Tag. Zwei Bogeys!!! Bitte! Zwei!!! Extrem peinlich. Ich wäre am liebsten im jeweiligen Loch verschwunden. Wirklich furchtbar. Und das alles nur wegen diesem Hohenfellner. Ich bin ehrlich froh, dass diese Runden nie zählen, sonst bin ich die längste Zeit 1+ gewesen. Gott sei Dank ist Lisa schon nach Hause gefahren gewesen, und morgen fragt sie vielleicht nicht nach. Freundinnen hin oder her: Wenn ich schlecht schlage, habe ich manchmal das Gefühl, sie freut sich darüber. Das ist wahrscheinlich, weil sie es sich nicht leisten kann, auf Pro zu machen. Sie spielt ja auch noch immer mit einem uralten Satz. Ich hab Mama, bevor sie letzte Woche weggefahren ist, gefragt, ob wir ihr nicht einen neuen kaufen könnten. Aber sie hat gemeint, das würde Lisa nur beschämen. Doch sie wird sich was einfallen lassen. Wenn ich mir dann allerdings vorstelle, wie sie mit einem neuen Set spielt, krampfe ich mich gleich so ein, dass ich nur mehr Bogeys produziere …

Nein, ich darf nicht so denken, das hat mir Jeff eingebläut. Erstens: Die anderen sind auf einem anderen Planeten. Zweitens: Jeder Schlag ist Vergangenheit. Und von der holen wir uns nur das Beste. Also zurück zu heute: Immerhin konnte ich die zwei Schlechtpunkte ausbügeln, denn ich hab dann ja auch drei Birdies und sogar einen Eagle gemacht.

Wow, wenn ich es hinschreibe, klingt es echt gut. Ja, lieber Jeff, ich vergesse jetzt die Bogeys. Du hast recht. Wie immer. Ich habe einen EAGLE!!!! gemacht. Brav. Echt cool. Das muss ich Lisa erzählen, dann fragt sie sonst nichts mehr :) Und vor allem den Drive auf dem 1er muss ich mir immer wieder vor Augen führen. Gut, das werde ich dann vor dem Einschlafen machen. Mein Mineral ist leer, und ich muss noch für Mathe büffeln. Anfang Juni ist es so weit. Bin ich froh. Dann kann ich mich endlich total auf die Tour konzentrieren.

Also werde ich jetzt die geheiligten Hallen verlassen, obwohl ich überhaupt keine Lust dazu habe. Wir haben den totalen Spaß, weil der Silver versucht hat, dem Wolfi die Tarockkarten zu erklären. Sogar die Kriegler ist ganz erträglich – wenn sie nicht spielt, geht’s ja mit ihr. Sie erfindet die lustigsten Eselsbrücken, damit sich der Wolfi so Begriffe wie Uhu und Gstiß merkt. Wäre noch lustig da. Der Bertl hat mir auch angeboten, dass ich drüben im Hotel übernachten kann, er wird das schon dem Ronny verklickern. Aber das mag ich nicht. Bin eh schon zu viel da. Eigentlich immer.

Naja, ist halt so. Morgen früh um halb acht gehe ich eine Runde mit Jeff. Wettkampforientiertes Training ausnahmsweise auf dem Platz und nicht auf der Range. Mist, was wird er sich wieder einfallen lassen? Eisen statt Holz und umgekehrt? :) Und am Nachmittag gehe ich eine zweite Runde mit Lisa. Ihr Abschlag ist sensationell, vielleicht kann ich mir da noch irgendwas abschauen.

Und ich höre Jeff schon NEEEEIIIN!!!! schreien :)

MAYER / 2

Der Sand des Bunkers schimmerte rostrot – an einigen Stellen. An anderen hellrosa bis weiß, wieder an anderen schwarz, und an ganz wenigen sandfarben und anderen Nuancen von Beige, wie er es eigentlich überall machen sollte. Am oberen Rand des Bunkers, der die Grenze zur grasbewachsenen Spielfläche bildete, waren Rechenspuren erkennbar. Und es waren diese regelmäßigen Wellenlinien, die Gruppeninspektorin Daniela Mayer einen Druck auf der Brust verursachten. Denn sie sahen genauso aus wie jene im japanischen Miniaturgarten einer Bekannten. Zen sollte das Ziel beim Betrachten von solchen Linien sein, also Versenkung, die zu Ruhe, Stille und Leere führt, und dadurch zu Frieden. Oder so irgendwie.

Davon war hier bei diesem Bunker keine Rede. Nicht nur, dass gerade am Himmel ein Flugzeug im Landeanflug auf Schwechat vorbeidröhnte, zwitscherten auch die Vögel mit einer Vehemenz von tratschenden Anrainern, die das Geschehen kommentieren, und schnitten die knappen Fragen und Anweisungen der Kollegen von SKO und Tatortsicherung sowie der Uniformierten durch die morgendliche Stille. Aber selbst, wenn alle Geräusche ausgeblendet wären, blieben die Fleischstücke und Gliedmaßenstummel, die lautstark von etwas gar nicht Friedlichem erzählten.

Von einem Mann – zumindest das Geschlecht der Fleischmasse war aufgrund der übergroßen Schuhe zu erkennen –, der in einem Sandbunker eines Golfplatzes in Stücke gesprengt worden war.

Daniela Mayer wandte sich von der Schlachtbank im Bunker ab, rund um den gerade der sechste Pflock ins Gras gerammt wurde, der mit den anderen fünf Basis für ein Zelt war, das den ab Mittag drohenden Regen vom Tatort fernhalten sollte. Sie stierte auf den Boden, um ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen. Hier konnte sie in puncto Interpretation der Spurenlage genau gar nichts ausrichten, das mussten die auf Sprengstoff spezialisierten Kollegen erledigen. Sie konnte also ohne schlechtes Gewissen ins Clubhaus zurückkehren und mit der Befragung beginnen. Die sich auch bald erledigt haben dürfte, denn immerhin war es erst viertel neun Uhr morgens, und bei ihrer Ankunft hatte sie nur eine Handvoll Menschen gesehen, die aussahen, als wären sie schon auf dem Weg zu einer Runde.

Nein, so ging das nicht. Mayer straffte die Schultern. Nur, weil der Anblick grausig war, durfte sie bei ihren Ermittlungen nicht schludern. Die sie eigentlich gar nicht leiten sollte. Ihre Hand fuhr zur Gesäßtasche ihrer Hose, legte sich auf die Ausbeulung des Stoffes. Sie musste Katz anrufen, auch wenn er sich das unter Androhung aller bekannten Foltermethoden und Strafen verbeten hatte. Das hier war für sie allein eine Nummer zu groß. Sprengstoffattentat auf dem Golfplatz! Und wenn sich auch noch herausstellte, dass der Tote ein bedeutender Wirtschaftsboss gewesen war – denn wer sonst spielte Golf so früh am Morgen? –, vielleicht mit undurchsichtigen Verbindungen zu noch undurchsichtigeren Ländern oder Potentaten … Aber warum so eine Sauerei am Golfplatz? Derartige Leute entledigten sich ihrer Feinde für gewöhnlich per Profi, der ihrem Auftrag mit einem Kopfschuss in der Parkgarage oder einem Fernschuss beim Verlassen des Hauses nachkam. Sprengstoff in einem Sandbunker war doch viel zu theatralisch. Der Mord war sicher die nächsten beiden Wochen im Schlaglicht der Medien, die Säuberung nach unlauteren Geschäften hingegen suchte die Dunkelheit.

Fuck off.

Es war ja nicht einmal gesagt, dass es ein hohes Tier war, dessen Einzelteile bei der Beerdigung nur mehr einen Babysarg benötigten. Viel mehr wirkte die Platzierung eines Sprengsatzes an so einer öffentlichen und nicht einer Person zuordenbaren Stelle wie ein Vabanquespiel, denn was hatte dem Mörder die Sicherheit gegeben, dass ausgerechnet dieser Mann in diesen Bunker … Genau, es konnte ein Anschlag gegen den Golfclub an sich sein, bei dem die Identität des Opfers egal war, ganz nach dem Motto Sport ist Mord … Wobei sich die Frage stellte, ob Golf überhaupt unter diese Kategorie fiel. Wie hieß es so schön? Pensionistengeklopfe. Jedenfalls war die Frage: gezieltes Attentat oder willkürliches? Und die konnte nur durch die Bauart des Sprengsatzes oder der Bombe geklärt werden, soviel wusste Mayer noch von ihrer Grundausbildung. Das galt es herauszufinden. Ja, sie musste in Gang kommen, bevor Rössler auftauchte und mit seiner ganzen staatsanwaltlichen Autorität Ideen zur Untersuchung einforderte, die man frühestens nach zwei, drei Stunden haben konnte. Zum Glück stand er im Stau nach einem Auffahrunfall auf dem Schwedenplatz.

Mayer musterte wieder den Schauplatz. Die Experten vom SKO kannte sie allesamt nicht, hatte noch nie mit ihnen zu tun gehabt. Es war wohl besser, erste Fragen einem Vertrauten zu stellen. Sie versuchte, unter den weißen Kapuzen der Spurensicherer den roten Schopf von Helge Schmitz zu erahnen. Der heutige Leiter der AB08 war ein alter Hase und hatte sicherlich schon, mit oder ohne Hilfe der Sprengstoffleute, anhand von irgendwelchen Kleinstteilen die Biografie der Tat zur Hälfte erstellt.

Und da sah sie ihn auch schon, zwar nicht den roten Schopf, aber den weiß-roten Seehundbart von Schmitz, mit dem er wie ein Nordseekapitän wirkte. Die Kollegen riefen ihm auch lachend oft Captain, oh mein Captain entgegen, was natürlich einerseits ein in dem Zusammenhang völlig falsches Zitat war und andererseits Helge zur Weißglut trieb, denn er war, trotz seiner fünfundvierzig Jahre in Österreich, mit Herzblut Kölner und sicher kein Nordlicht. Auch wenn er, weil er mit vier Jahren nach Wien gekommen war, die Stadt am Rhein nur von Verwandtschaftsbesuchen und Gelagen beim Karneval kannte. Die Liebe zu Letzterem wäre ja ein Grund, Helge mit Argwohn zu begegnen, wenn er nicht ansonsten ein sehr netter Typ wäre. Karneval. Fasching. Mayer hatte noch nie verstanden, was lustig daran sein sollte, sich als jemand anderer zu verkleiden, wenn man im Normalfall nicht einmal wusste, wer man selber wirklich war.

Gerade, als Mayer auf den Captain zugehen wollte, hob Helge die Hand und orderte einen Kollegen zu sich. Er zeigte ihm ein Areal, das vom Rand des Bunkers bis eineinhalb Meter ins Gras reichte. Der Kollege wuselte auch sofort brav davon, um im nächsten Moment mit einem weiteren Mann die Stelle mit Polizeiband abzusichern. Und sofort machten sie sich daran, auch diesen Teil mit einem Tatortzelt vor Nässe zu sichern.

Helges Blick fiel auf Mayer. Und während er sie zu sich wedelte, kam er mit weitausholenden Schritten auf sie zu. »Da hättn wa wat.« Voll crazy, die Attitüde, einen auf Piefke zu machen, obwohl er natürlich allerbestes Wienerisch sprach. Aber jeder, wie er wollte.

»Aha.«

»Der Täter hat ja mit der Harke da alle Spuren verwischt, aber er hat de kahle Stelle da«, Helge wies mit der Hand auf den Rand des Bunkers, »übersehen. Keen Gras. Hat wohl eener sein Divot nicht wieder einjepflanzt, der Böse. Und de Greenkeeper hat ihn übersehen. Jedenfalls bester Abdruck. Jutes Profil.«

»Divot?«

Helge lachte. »Ne Grasnarbe nach nem Schlach. Mei’m Bruder sen Lieblingswort. Is’n mieser Golfer.«

»Aha. Und woher wissen wir, dass der Fußabdruck vom Täter ist?«

Helge grinste, wodurch sich die Schnurrbartenden ums Kinn zu wickeln schienen. »Der Sand. Zieht sich von der Stelle, an der die Harke abgelegt ist, hinein ins Semirough. Liecht auf den Grasspitzen. Und heute Nacht hat es jerechnet. Und ick kann mir nich vorstellen, dass hier eener schon vor unserem Kunden da …«

»Semirough?«

»Grasfläche zwischen Fairway und Rough, in der Höhe des Bewuchses also irgendwo dazwischen. Aber was unser lieber Schmitz meint, ist das Vorgrün, werte Kollegin Mayer«, schnurrte es hinter ihr. Rössler. Hätte der Stau nicht etwas ausgiebiger sein können?

Unwillkürlich flutschten Mayers Hände in die Hosentaschen. Einmal mehr fragte sie sich, wie es sein konnte, dass er bei verdächtig vielen Fällen, an denen sie beteiligt war, der zuständige Staatsanwalt war. Soviel sie wusste, wurden die Fälle per Computer und Zufall zugeteilt, um Streitereien unter den Anwälten zu vermeiden. Vielleicht schummelte er, denn immerhin war er ja Gruppenleiter in der Staatsanwaltschaft Wien. Aber wozu? Weil die Truppe von Katz meist die spannenden Fälle hatte, weil der Chefinspektor als so eine Art Genie galt?

Während sie sich umdrehte, zwang sie ihre Rechte heraus, um sie Rössler zu reichen. Der hielt sie eine Spur zu lange in der Seinen. Er hatte also noch immer nicht aufgegeben, ihr Avancen zu machen, obwohl er wusste, dass sie nichts mit Männern anfangen konnte, und obwohl er gerade eben drei Wochen Bildungsreise in Vietnam hinter sich hatte, während solch einer man als Singlemann doch üblicherweise eine Singlefrau kennenlernte und sie nach Hause schleppte. Ständig auf der Suche, der Beste. Aber, please, nicht nach ihr!

Rössler richtete seinen Krawattenknoten, während er in belehrendem Ton fortfuhr: »Green ist das ganz kurz geschnittene Gras rund um das Loch, so fest und weich wie ein Teppich, der Teil rundherum, wie gesagt, das Vorgrün. Die Hauptspielfläche beziehungsweise das gesamte Spielareal nennt man Fairway.« Er beschrieb mit dem Arm einen großen Bogen über die Graslandschaft hinter ihnen. »So halb kurz geschnittenes Gras, ein bisschen höher, ist daneben das Semirough, und dann gibt es noch das Rough. Wildnis, sozusagen.«

»Aha.«

Rössler war von ihrer mangelnden Begeisterung ob dieser Ausführung sichtlich irritiert, denn sein hochgezogener rechter Mundwinkel, der ein Lächeln darstellen sollte, zuckte mit aller Gewalt Richtung Kinn.

»Nun, ich denke, werte Kollegin Mayer, dass es für die Untersuchung nicht schaden kann, ein paar Golfbegriffe zu kennen.«

»Alles klar, Herr Staatsanwalt. Ich hoffe, ich darf Sie auch außerhalb der Dienstzeit anrufen, wenn ich ein Problem mit der Golfwelt habe. Die Sie ja bestens zu kennen scheinen.«

Das Zucken des Mundwinkels nach unten hörte schlagartig auf. »Sparen Sie sich Ihre Spitzen, liebe Frau Mayer. Ich spiele Golf, weil ich … nun ja, es liebe. Geschäftliches ist nur eine Begleiterscheinung. Und wenn Sie nun ein bisschen in diese Welt eintauchen, einmal einen Abschlag machen, werden Sie auch infiziert. Sie werden sehen.« Er strahlte sie nun regelrecht an.

»Danke …« Ich habe noch Sex, verkniff sich Mayer. Erstens, weil es nicht stimmte, sie lebte derzeit wie eine Nonne, zweitens, weil Rösslers Insiderwissen tatsächlich von Belang sein konnte. Und schließlich drittens, weil er bei seinem Bekenntnis ehrlich leidenschaftlich gewirkt hatte. Engagement für eine Sache mochte sie. »Okay. We will see.«

»Sie werden, Sie werden! Gut, und wo ist Katz?«

»Krank.«

»Nichts Ernstes, hoffe ich?«

Nur die Scheißerei, weil der Herr Chefinspektor sich ein Wochenende lang mit viel Alkohol und wer wusste schon, mit was sonst noch, beweisen hatte wollen, dass er noch nicht Mitte Fünfzig war. »Verdauungsprobleme. Vielleicht eine Darmgrippe.«

»Nun denn, wir beide werden das Kind schon schaukeln, bis er wieder da ist.« Er verschränkte die Hände auf dem Rücken – wodurch sein dunkelgrauer Anzug mehr spannte, als er durfte, anscheinend hatte Rössler es sich in Vietnam gut gehen lassen – und wippte einmal auf die Zehenspitzen. Langsam entwickelte er sich zu seinem eigenen Klischee. Vielleicht lag das an seinem bevorstehenden vierzigsten Geburtstag. Von wegen Seriosität und so.

Rössler bedachte nun auch endlich Schmitz mit einem Handschlag, der bislang wie ein Piksiebener daneben gestanden war. »Und was haben wir?«

Statt einer Antwort schaute Helge zu dem blutüberströmten Tatort. Rösslers Blick folgte dem seinen. Und schlagartig war das Pseudolächeln auf seinem Gesicht inhaltlos, es schwebte vergessen über dem Mund. »Bombe? Oder Sprengsatz?«

Helge nickte. »Wir wissen det noch nich so jenau, aber det SKO und ich denken, fast sicher Fernzünder.«

»Aha?«, mischte sich Mayer ein.

»Der janze Körper is zerfetzt. Wenn, sagn wa, der Ball ne normale Bombe jewesen war, dann wäre se beim Schlag explodiert. Beene, Arme wech, jut, aber er könnte vielleicht noch leben. Und Zeituhr? Keen Mensch weeß, wann exakt er bei welchem Loch is. Und ob er überhaupt in´n Bunker schlächt, geschweige denn, ob und wann er sich über den Ball beugt. Und jebeugt hat er sich. Es hat ´n voll erwischt.«

»Aha.« Das alles konnten Profis nach ein paar Minuten aus diesem Tatort herauslesen. So schlecht waren ihre ersten Gedanken gar nicht gewesen.

»Aber wie müssn det Ding erst finden, also det, wat noch übrig is. Und dann uff´n Tisch haben.«

»Also ein Spezialist, der sich noch dazu auf die Lauer gelegt hat«, fasste Rössler zusammen.

»So unjefähr.«

»Gar nicht gut.« Mayer presste noch am Ende des Satzes die Lippen zusammen, damit ihr nicht zusätzlich So ein Scheiß entfleuchte. Und es hatte verzagt geklungen, genau so, wie sie sich fühlte, wodurch Rössler sich wahrscheinlich gezwungen sah, entweder Katz trotz Krankenstands in den Dienst zu bitten oder um eine andere Ermittlergruppe anzusuchen. Mit einer desperaten Interims-Gruppenleiterin konnte man einen derartigen Fall nicht lösen. Und das wiederum würde Katz ihr nicht verzeihen. Sie saß in der Bredouille. Verdammte Eitelkeit! Sie hätte sich nach der ersten erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem lieben Herrn Chefinspektor nicht dazu überreden lassen sollen, entgegen ihrer jahrelang beinhart durchgezogenen Einstellung, nur über ihre Leiche ins Landeskriminalamt aufsteigen zu wollen, doch in die Berggasse zu wechseln. Sie hatte schon gewusst, warum sie ihr ruhiges, übersichtliches Kommissariat West so gemocht hatte. Einfache Morde und Tätlichkeiten in den Bereichen Gang-Rivalität, Menschenhandel, Drogen und Ehestreit. Aber sie hatte nach diesem Marathonfall das Lob von ihrem Interimschef begierig aufgeschleckt wie die Katze verschüttetes Schlagobers. Ultrapeinlich, das alles. Wie ein Kleinkind, das sich freut, wenn ihm Papi über den Kopf streichelt. Und nun hatte sie den Salat. Der Alte hatte sich mit Dünnschiss verdünnisiert, und sie konnte sich mit einem Bombenleger abfretten. Wenn das nur nicht ausuferte, so wie damals bei diesem Franz Fuchs. Als Kind hatte sie die Zeitungsartikel und Fernsehbeiträge verschlungen, als Polizeischülerin dann gehofft, dass ihr so etwas nie unterkommen würde.

Mayer schluckte. Der Name, der durch ihr Denken gehuscht war, offenbarte ihr noch eine unsägliche Variante des Falls: Franz Fuchs war Rechtsextremer gewesen. Und das bedeutete … Mayer lächelte. Das bedeutete, dass ihr die Sache dann sowieso entzogen wurde.

Sie runzelte die Stirn, so gut es ging, und schaute Rössler etwas zu lange an, um Sorge zu vermitteln. »Und sind nicht Bomben eher Sachen von Terroristen? Rechtsextreme, Al-Qaïda? Sollten wir nicht vielleicht das BKA …?«

Er schüttelte den Kopf. »Vorläufig Ihr Fall, liebe Kollegin Mayer. Wir wollen nicht gleich die Pferde scheu machen. Sprich, die Presse. Die, wie ich Ihnen mitteilen darf, bereits das Einfahrtstor belagert. Auf keinen Fall darf das Bundeskriminalamt auftauchen, es reicht wirklich schon die Tatsache einer Bombe auf einem Golfplatz.«

Er schwieg abrupt, als wäre ihm etwas eingefallen, wohl das, was auch Mayer durch den Sinn geschossen war und ebenso Helge, denn sie ließen alle drei ihren Blick über das Gelände schweifen. Es war weitläufig bis zur Unübersichtlichkeit, viele Hecken und Baumgruppen boten Gelegenheiten für Verstecke, und alles war, soweit Mayer erkennen konnte, lediglich durch einen Maschendrahtzaun gesichert. Leicht zu überklettern.

Mayer zückte ihr Telefon. »Ich werde ein paar Polizeischüler zum Absichern herbeordern.«

»Eine Hundertschaft«, meinte Rössler, »mindestens. Glauben Sie mir. Ich kenne den Platz. Und die Freunde von der berichtenden Zunft.«

Während sie telefonierte, nahm Rössler einen kleinen Kreisgang auf. Dabei runzelte er die Stirn und rollte die Krawatte um seinen Zeigefinger. Kaum hatte sie die Order beendet, trat er an Mayer heran und winkte auch nochmals Helge zu ihnen. »Ich rekapituliere: Der Ball war die Bombe.«

Helge nickte.

»Die Bombe ist bewusst zu einem bestimmten Zeitpunkt ferngezündet worden.«

Erneutes Nicken.

Rössler sah Mayer an. »Dann müssen wir uns zuerst einmal auf das Opfer konzentrieren, nicht auf den Club allgemein.«

»Aha?«

»Jeder Profi-Golfer hat seine eigenen Bälle. Auch einige Amateure. Wenn das so ist, kommen nur die zum Einsatz. Also meistens. Wir müssen herausfinden, ob unser Mann zu dieser Kategorie gehört. Wenn ja, hätte er gemerkt, wenn der Ball nicht seine spezielle Markierung gehabt hätte.«

»Die Leute markieren die Bälle?«

»Ja, ist sinnvoll, damit es nicht zu Streitigkeiten kommt, wenn zwei nebeneinander im Rough landen oder knapp bei der Stange. Leider machen es bei den Amateuren zu wenige.«

Rössler sah sich um und steuerte dann die Golftasche an, die neben dem Bunker lag. Er ging in die Hocke, streckte Richtung Helge die Hand aus. »Schon alles registriert?«

Helge eilte mit Gummihandschuhen zu ihm. »Ja, alles fotografiert. Müssen wir nur noch eintüten.«

Rössler streifte die Handschuhe über, betastete die Seitentaschen des Bags, ohne die Haut- und Fleischreste zu berühren, öffnete eine Lasche und zog einen Golfball heraus. Er drehte ihn. »Ein grüner Kreis mit Kreuz.«

Mayer ging zu ihm und betrachtete den Ball. Das Zeichen sah wie ein Kreuzerl auf einem Wahlzettel aus.

»Det bedeutet«, resümierte Helge, »jemand hat nen Ball von der Marke, wie er sie verwendet, präpariert und denn wieder in det Wäjelchen jeschummelt.«

»Hm.« Rössler stand auf, verschränkte die Arme und betrachtete die Golftasche. »Bei mir ginge das nicht so leicht. Mein Bag ist immer bei mir oder im Auto eingesperrt.« Er lächelte Mayer an. »Na, dann haben wir doch schon einen Ansatz.«

»Ach ja?«

»Sie finden heraus, um wen es sich hierbei handelt«, er deutete mit dem Daumen über die Schulter zum Bunker, »Und dann müssen wir nur all die Personen finden, die eine Chance hatten, unbemerkt an das Bag des Opfers zu kommen.«

Nur. Die.

Er klatschte er in die Hände, schob ein fröhliches »An die Arbeit!« hinterher und gesellte sich mit Helge zu den Tatortsicherern, die bereits die Plane an den sechs Pflöcken befestigten.

KATZ / 3

»Charles, ich sollte dir eigentlich die Freundschaft aufkündigen!«, drang an Chefinspektor Karl Maria Katz’ Ohr. Er blinzelte und schaffte es, sein rechtes Auge einen Spaltbreit zu öffnen.

Überdimensional ragte neben der Couch sein Freund Alex empor, aufgrund der Fensterfront ein massiver Gegenlichtschatten. Wie war er so schnell hierhergekommen? Er hatte doch noch eben in der Küche den Wasserhahn betätigt und … Jedenfalls so groß und so heftig nach zitronigem Duschgel riechend, dass Katz eine neue Welle von Übelkeit überkam und er sich in die Polsterung krallte, um nicht von der schwankenden Liegestatt zu fallen.

Alex fasste mit einer energischen Bewegung seine dunkelbraunen schulterlangen Haare zusammen und versah sie mit einem Gummiband. Dann nahm er vom Rand des Wasserkübels, der zwischen Couch, einer Rolle Küchenpapier und der Lacke von Erbrochenem stand, die rosafarbenen Gummihandschuhe und streifte sie über. Er trug weiße Jeans und ein weinrotes Poloshirt.

»Wo Kleid?«, röchelte Katz. Mehr Ton und mehr Silben ließ sein schmerzender Hals nicht zu.

Alex beugte sich zu ihm hinunter, wodurch sich Katz in einem Zitronenhain im frühlingshaften Sizilien wähnte. Zu viel Duft für seinen Zustand. Unter Aufbietung all seiner Kraft drehte er den Kopf demonstrativ ein Stück zur Seite.

Sein Freund beugte sich dennoch nah über ihn. »Charles, mon ami, das habe ich vorgestern getragen. Vorgestern. Und du hast gesehen, wie ich es ausgezogen habe, weil du dich ebenfalls bei mir umgezogen hast. Vorgestern! Und ich bin vorhin schon in den Klamotten da in der Tür gestanden. Vor zehn Minuten. Ist der Film wieder da? Du bist vorgestern dann nach Hause. Angeblich. Mon dieu, was hast du bitte angestellt?«

Katz brummte ein Hm, mehr wollte und vor allem konnte er zu dem Thema nicht sagen. Er hörte Alex die Gummihände zusammenpatschen, dann das Reißen von Papier, wischende Geräusche. Unmittelbar danach schlich sich der Geruch von Erbrochenem in seine Nase. Jetzt sehnte er sich nach dem Zitronenhain. Es war definitiv besser, aufgrund einer im Prinzip angenehmen Duftwolke von Krämpfen geschüttelt zu sterben.

Alex brabbelte vor sich hin, dass es eine Zumutung sei, Speibe wegzuwischen – bester Freund hin oder her. Er wünschte sich endlich eine Frau für Katz, um im nächsten Moment diesen Wunsch zu stornieren, denn Charles sei eine Zumutung für jeden Mitbewohner, es also im Grunde ein Segen sei, dass er nun schon so lange allein lebe. Wobei, wirklich allein sei er ja nicht, denn er könne sich darauf verlassen, dass im Notfall der gutmütige Trottel Alex alles wieder gerade richte. Und dann würde man auch noch in ruppigem Ton angeblafft. Keine Umgangsformen, der Herr Chefinspektor. Und überhaupt. Einfach so vor die Couch zu kotzen, hätte er es nicht bis ins WC schaffen können? Sein Benehmen ließ absolutement zu wünschen übrig.

Katz fühlte sich irgendwo tief in seinem Inneren schuldig und dankbar zugleich, und ausnahmsweise von Alex’ Attitüde, ständig französische Floskeln einzubauen, genervt. Aber eine andere Emotion nahm ihn so sehr in Beschlag, dass für jene gegenüber seinem besten Freund kein Platz mehr blieb: Besorgnis. Ein relativ unbekanntes Gefühl, denn um Alex musste er sich nie Sorgen machen, der Mann stand sicher auf seinen beiden Beinen im Leben wie kaum jemand anderer, und sonst gab es niemanden mehr. Zumindest mit dem er Kontakt hätte. Aber das war nun seit kurzer Zeit anders.

Er quälte sich um hundertachtzig Grad in die andere Seitenlage, um Alex beim Sprechen ansehen zu können. Damit der ihm notfalls von den Lippen lesen konnte. »Mayer. Fall.«

Alex nickte und verknotete einen mit gebrauchten Küchentüchern vollgestopften Plastiksack. »Ich weiß. Der Anruf kam kurz nach halb acht. Und im Gegensatz zu dir ist Danielle von ihrer Wochenendkletterei frisch und munter zurückgekommen und ebenso an die Arbeit gegangen.« Er schaute Katz mit geschürzten Lippen an. »Was hast du ihr gesagt, warum du nicht kannst? Du bist doch auch verständigt worden?«

Katz brummte und krächzte: »Darmgrippe.«

»Du bist ein Arsch, Karl Maria Katz.« Alex nahm den Fetzen aus dem Kübel und wischte über die nun vom Gröbsten gesäuberte Stelle. Zu den Zitronen gesellte sich etwas Süßliches wie Vanille.

In Katz’ Kopf explodierte der Schmerz. Alex hatte recht, so recht. Unter Krampfattacken schraubte er sich in eine sitzende Position und trank das von seinem Freund bereitgestellte Glas Samarin in einem Zug aus. Das Bittere des Mineralstoffgetränks drang durch die Dumpfheit, die seinen ganzen Körper in Beschlag genommen hatte. Er spürte sich wieder. Und seine Zunge löste sich vom Gaumen, er war also endlich sprechfähig. »Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Frag mich nicht. Is eh schon lang nicht mehr vorgekommen.«

»Je m’ecxuse, je m’ecxuse!«, imitierte Alex eine leidende Diva, »Monsieur Richter, ich bin unschuldig wie ein Baby!«

»Lass mich in Ruh.«

»Oh, jetzt erinnert sich Mister Cool an sein Recht als Macho, sich ab und zu so richtig volllaufen zu lassen.«

»Leck mich.«

»Das würde nur unsere Freundschaft zerstören, mon ami.«

»Musst du immer das letzte Wort haben? Du altes Waschweib?«

Alex nahm den Wasserkübel und den Plastiksack und marschierte aus dem Wohnzimmer.

»He! War nicht so gemeint!«

Keine Antwort. Alex imitierte Frauen nicht nur glänzend, er war eine. Genauso zickig und angerührt. Aber er konnte ihn nicht schmollen lassen, er benötigte Infos. Und zu seinem Glück war die Quelle nah und unauffällig, hatte doch Daniela das einstige, aufgrund des Raus­schmisses ihrer Lebensgefährtin dringend benötigte Notquartier bei Alex mit seiner nur allzu freudigen Zustimmung zur Interimsunterkunft auf unbestimmte Zeit umfunktioniert. Sein Freund liebte es, die junge Frau zu beglucken. Weißt du, Charles, meinte er einmal auf Katz’ Hinweis, dass Daniela Mayer immerhin bald den Dreißiger schrammte und somit eindeutig als erwachsen galt, so ein Beziehungstrauma muss man gründlich aufarbeiten. Wir wollen doch, dass unsere Chouchou irgendwann wieder so richtig glücklich wird. Wahrscheinlich lebte er bei Daniela seine nie zu ihrem Recht gekommenen Vatergefühle aus. Katz konnte ihn verstehen, ihm ging seine Tochter auch manchmal ab. Und seine Frau. Aber nur manchmal. Daran hatte er erfolgreich gearbeitet.

Er rappelte sich von der Couch und schlurfte in die Küche. Alex lehnte mit verschränkten Armen an der Abwasch und drehte bei seinem Eintreten mit einer theatralischen Bewegung den Kopf weg. Mein Gott, wie ein hysterisches Eheweib.

Katz lehnte sich neben ihn und boxte ihn auf den Oberarm. »He, passt schon. Und – danke.«

Alex blieb bei seiner abwehrenden Haltung. »Ich rede also zu viel?«

»Ma, geh mir jetzt bitte net auf die Eier, okay? Hat sie dir was gesagt? Mir kommt vor, da war was von Bombe.«

Alex strich eine Strähne hinters Ohr und betrachtete den Plafond. »Explosion draußen im Three Oaks Club

»In dem Riesengolfschuppen? Dort, wo du …?«

»Ja, für den du mir damals«, er vermied die Präzisierung vierzigster Geburtstag, wohl weil bald der Fünfziger an die Tür klopfte, »den Gutschein geschenkt hast. Wo ich die Platzreife gemacht habe.«

»Irgendwelche Details? Gasrohrbruch vielleicht?«

Sein Freund schüttelte den Kopf und sah ihn endlich wieder an. Seine Stirn lag in Falten. »Ein zerfetzter Mann in einem Bunker.«

»Auf dem Gelände gibt’s noch Luftschutz…?«

»Quatsch. Sandbunker. Soweit solltest du dich mit Golf aber auskennen.«

»Halleluja.«

»Tu dis.«

Und obwohl es Alex nicht aussprach, wusste Katz, was er eigentlich sagen wollte: Und du lässt den Frischling bei so etwas allein. »Ich muss wissen, was da los ist.« Er stürzte in den Vorraum und fand sein Handy auf dem Schuhregal. Ein Hoch auf seinen Ordnungssinn, der ihn auch im bewusstlosen Zustand nicht im Stich ließ.

Alex stellte sich neben ihn und legte die Hand auf das Smartphone. »Sie würde es als Kontrollanruf interpretieren.«

»Okay. Dann irgendjemanden von der Truppe, den ich kenn. Ja, ich muss sofort diese junge Polizistin, mit der ich letztens …«

Das Wörtchen sofort schien sein Körper auf eigene Art zu interpretieren. In seinem Bauch fuhrwerkte eine Machete. Katz rannte aufs Klo.