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Impressum:

© 2016 Undine Leverkuehn

Layout Buchblock: Angelika Fleckenstein; spotsrock.de

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN Taschenbuch:978-3-7345-6607-3
ISBN Hardcover:978-3-7345-6608-0
ISBN eBook:978-3-7345-6609-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

undine leverkuehn

Metamorphose

Novellentrilogie

Meinen Freunden

und dem verbliebenen Teil

meiner Familie

gewidmet

 

„Und so lang du das nicht hast,

dieses: Stirb und Werde!

Bist du nur ein trüber Gast

auf der dunklen Erde.“

Goethe, Selige Sehnsucht

Inhalt

Ein ungelöster Fall

Im Labyrinth

Weg ins Wagnis

Literaturverzeichnis

Ein ungelöster Fall

Kriminalnovelle

 

1.

Jan, hochgewachsen, Anfang vierzig, begradigte seine Krawatte und stylte sein Outfit. Er war der typische Träger eleganter Anzüge. Sein dunkelbraunes Haar ließ keinerlei Assoziationen an einen zu groß geratenen Mitbürger südeuropäischen Ursprungs aufkommen, wenn man ihm ins Gesicht sah und freundliche, wenn auch etwas unterkühlte Blicke eines hellgrauen Augenpaares zu spüren bekam. Allein gegenüber dem weiblichen Geschlecht schien manches Mal – trotz aller Bemühungen um ein vollendetes Verhalten, gentlemanlike – die höfliche Distanziertheit einem Charme weichen, der sich selbst für unwiderstehlich zu halten schien.

Jan – er wusste was, er konnte was, und er war bei den meisten seiner Mitarbeiter beliebt. Als Bibliothekar hatte er sich seinen Chefsessel verdient. Sein Verhalten als Vorgesetzter war zwar von einer etwas oberlehrerhaften Nuance gefärbt, aber neben kühler Sachbezogenheit durch sympathische Kundgebung von Zuwendung und Hilfsbereitschaft aufgelockert. Fast alle seine Mitarbeiter wussten: er konnte seine Karten gut ausspielen, vor allem im Privatleben. Seine über bloße Charmebekundungen hinausgehenden Umgangsformen mit schönen Frauen, die ihm zu tief in seine grauen Augen blickten, waren hinlänglich bekannt. Er war ein Mann, der sich über sein berufsbezogenes Wissen hinaus in der Kulturgeschichte auskannte, einige Fremdsprachen beherrschte und perfekt die Flügel der Seele in Schwingung zu versetzen verstand. Sollten allerdings Gespräche in Richtung naturwissenschaftlicher Bereiche anvisiert werden, so versuchte er geschickt davon abzulenken. Wer ihn besser kannte, wusste: er wollte sich keine Blöße geben. Er selbst hatte das große Defizit, das ihn in seiner Schulzeit gepeinigt hatte, gänzlich aus seinem Gedächtnis verdrängt: er war die Vollniete in Mathe.

„Hallo, Jan!“ – „Hallo, Kim!“ – Kim Berning war aufgetaucht – die Gefährtin seines Freundes Chris Martens – beide als Programmierer im größten Unternehmen der um einige Kilometer entfernten Stadt tätig. Sie waren froh, sie waren stolz darauf, dort eine, dazu noch wirklich gut bezahlte Anstellung gefunden zu haben. Aber sie waren ja auch gut in ihren Job. Kim hatte längst von Jans Schwachstellen Wind bekommen. Natürlich hatte er sich auch ihr gegenüber am Anfang, als sie sich kennengelernt hatten, als der Mann aufgespielt, der sich gerne als Mister Allround verstanden hätte. Inzwischen zog Kim ihn gerne auf, indem sie voll in seine Lücken hineinstieß und darin herumpuhlte und in solchen Momenten ihre Überlegenheit genoss. Einen anderen Anlass zur Spöttelei sah sie in Jans Bindung an die Frau, mit der er seit einiger Zeit zusammenlebte – die hübsche Marga. Kim hielt sie für ein kleines, blondes, liebestolles Dummerchen, das Jan anschmachtete, dem sie aber nie Partnerin auf Augenhöhe würde sein können.

Die langen Beine übereinandergeschlagen, in lässiger Pose ihren Ellenbogen auf einen der Tische lehnend, an den sie ihren Sessel platziert hatte, räkelte sie sich auf ihrem sitzbaren Untersatz herum mit der Miene einer Überlegenheit, als wäre sie Jans Vorgesetzte. Ihn heiterte ihr Verhalten auf. Sie war anders als die meisten Frauen, die er kannte – und schon ganz anders als Marga – seine scheue derzeitige Gefährtin. – Kim war selbstbewusst, und das in erheblichem Maße. Ihre Art hatte allem Anschein nach schon auf Chris abgefärbt, der früher – zumindest in seinem Privatleben – kein Wässerchen trüben konnte. Doch inzwischen hatte sich das in einer Weise geändert, als ob seine Gefährtin ihm im Amüsantsein-durch-Unverschämtheiten Nachhilfe gegeben hätte.

Die eigenständige, eigenmächtige Kim konnte schon einen Mann aus der Reserve locken, möglicherweise ohne Einsatz sprachlicher Mittel mit Ansporn zur Karrieregeilheit überhäufen – so schätzte Jan die Beziehung beider ein. – Er dachte an Marga: ja, sie war für ihn im Augenblick der angemessene Ausgleich – wenn er sich auch niemals auf sie allein würde beschränken können – aber das hatten sie ja beide besprochen und sie hatte genickt – wenn auch etwas betreten. – Er genoss ihre Verliebtheit, ihre unstillbare Sehnsucht nach ihm, die Hingebungsbereitschaft, die er so noch bei keiner Freundin erlebt hatte. Sie war, obwohl sie doch gewiss die Zwanzig bei weitem überschritten hatte, von ihren Gesichtszügen, von ihrer Gesamterscheinung her jugendlich geblieben, ein süßes Püppchen, das ‚Mann‘ kneten könnte nach seiner Fasson. Er hatte sie zum Fressen gern. – Über dies hinaus war sie bereit, in ihrem Job als Sekretärin Überstunden zu machen und halbe Nächte sich um die Ohren zu schlagen, um ihrer beider Kasse aufzubessern. Sie verdiente nicht schlecht – war sie doch in demselben Großunternehmen eingespannt wie Chris und Kim, wenn auch nicht in einem so qualifizierten Beruf.

Jan verabschiedete sich von Kim, sie gingen beide nach Hause. In einigen Stunden war ja bereits ein gemeinsames Treffen der beiden befreundeten Paare vereinbart. Jans Wohnung sollte der Treffpunkt sein.

Es dämmerte schon. Der Abend nahte beinahe schneller, als Marga und Jan mit Erledigungen und Vorbereitungen fertig sein konnten. Eile war geboten. Marga kam diesmal pünktlich von der Arbeit nach Hause – was Jan ihr hoch anrechnete, denn schließlich konnte ja jede Absage an einen Chef, nicht für unvorhergesehene Überstunden bereit zu sein, den Verlust des Jobs bedeuten – so wie die Lage im Augenblick sich zugespitzt hatte. Marga versuchte ihren Anteil zu einem gemütlichen, geselligen und genussreichen Abend beizutragen. Sie belegte Schnittchen mit sieben verschiedenen Wurst- und Käsesorten, gab Gurken oder Trauben zum Genuss der Vielfalt hinzu und hatte einen speziellen, von ihrem Gehalt finanzierten, überraschend teuren Champagner zum Anstoßen mitgebracht. Jan war entzückt. Die Wahl mit Marga als Teilzeit-Lebensgefährtin war wohl offensichtlich doch nicht die schlechteste – und hätte man nicht jeden Moment mit dem Eintreffen der Gäste rechnen müssen, so hätte er ein im wahrsten Sinne des Wortes umwerfendes Spiel jetzt sofort in die Tat umgesetzt.

Schon klingelte es an der Tür. Kim und Chris stürmten gut gelaunt in die gute Stube. Kim zog Jan in gewohnter Art eng an sich heran, drückte ihn, um ihn im Anschluss an dieses in Pose gesetzte Gebaren – zumindest mit gierigen Blicken – genüsslich zu verschlingen.

„Wo hast du denn den her? Hast wohl die Woche Lotto gespielt“ – herrschte sie erstaunt, beinahe ein bisschen vorwurfsvoll den Gastgeber an, die Flasche mit Champagner der besonderen Sorte keine Sekunde aus dem Auge verlierend. Jan entgegnete wahrheitsgemäß: „Den hat meine Freundin mitgebracht.“ – „Marga – na, da muss ja eine ordentliche Gehaltserhöhung fällig gewesen sein. Ich kenne keine Sekretärin, die sich so etwas leisten könnte.“ – Kim konnte das Sticheln gegenüber der kleinen blonden Frau nicht lassen, die doch so verliebt zu Jan aufschaute. – „Die Chefin persönlich hat mir die Flasche empfohlen“ – konterte Marga. – „Ich denke, du hast einen Chef.“ – „Nein, ich meine ja auch nicht irgendeine persönliche Chefin, der eine Sekretärin bei uns zugeordnet sein kann; ich meine die Chefin schlechthin.“ – „Na, jetzt wirst du aber größenwahnsinnig. Du meinst doch nicht etwa Frau Dr. Vera Rateberg! Die habe ich noch nicht mal zu Gesicht bekommen und Chris auch nicht.“ – Ohne Margas Antwort abzuwarten, griff Jan in das weibische Geplänkel ein, um bei dem Dialog der Damen der Möglichkeit einer Verschärfung entgegenzusteuern. „Von dieser geheimnisvollen Chefin ist mir schon manches zu Ohren gekommen.“ – „Sie soll für eine Leiterin dieses Gesamtkonzerns noch ziemlich jung sein und in den letzten Jahren das aus dem Unternehmen gemacht haben, was es heute ist“ – fügte Chris respektvoll hinzu. – „Wie ist so etwas möglich? – Eine junge Frau an dieser Spitzenstelle – eine Frau in einem wirklich vor maskulinem Bewusstsein triefenden Tätigkeitsfeld!“, begann Jan sich zu wundern. – „Soweit ich informiert bin“, erwiderte Chris, „ist sie direkt im Anschluss an ihr Mathe- und Chemiestudium in die Firma gekommen, hat dort neben ihrer Tätigkeit ihre Dissertation angefertigt, die in Fachkreisen dann als Knüller on high Level Furore gemacht hat. Man sagt ihr nach, dass sie auf Grund ihres Erfindungsgeistes das Unternehmen in wenigen Jahren dorthin geführt hat, wo es heute steht.“ – „Sie sei eine ausgesprochene Tüftlerin, die darüber hinaus noch eidetische Fähigkeiten besitze, vor allem auf Zahlen und Formeln bezogen“, ergänzte Kim mit einem höhnischen Unterton auf Jan gerichtet, der in dieser Hinsicht, wie sie wusste, das krasse Gegenteil einer solchen um ihre seltenen Begabungen zu beneidenden Frau darstellte. Doch Jan ließ sich nicht provozieren. Er ließ seinen Charme spielen und bat die Gäste an die Tafel, zu Deftigem, Salzigem, Süß-Saurem und allerlei Naschwerk verlockend. Keiner war willens, sich bei Angeboten dieser Art gegenüber dem Bedürfnis, häufiger als gewöhnlich zuzulangen, mit Erfolg zur Wehr zu setzen.

Der Abend verlief jenseits der auf Provokation angelegten Sticheleien zwischen den beiden Frauen im Ganzen aufgelockert in einer ansprechenden Atmosphäre. Beim Abschiednehmen konnte Kim nicht darauf verzichten, mit ihren High Heels ausgestattet, Jan auf ihre Ebenbürtigkeit oder genauer gesagt ihre gefühlte Überlegenheit hinzuweisen, überzeugt davon, dass sie jeden Mann, nach dem ihr Begehren stand, auf einer Teilstrecke des Lebens zu seinem Vorteil im Rausch der Brandung über Klippen und Abgründe steuern könne.

 

2.

Nachdem die Gäste die gastfreundliche Stätte verlassen hatten, stürzten sich Marga und Jan in die Arbeit und waren kurzfristig mit dem Wiederherrichten der Wohnung beschäftigt. Sie stellten Gläser, Teller, Tassen und Bestecke in die Spülmaschine, kehrten notdürftig Krümel und Essensreste vom Küchenboden und beeilten sich, um zumindest ansatzweise den alten Zustand wieder herzustellen.

Jan freute sich auf den weiteren Verlauf des Abends in trauter Zweisamkeit. Er legte seinen Arm um die zierliche, fast noch mädchenhaft erscheinende Gestalt, zog sie langsam und behutsam immer näher an sich heran. – In solchen Augenblicken wurden Margas gesamte Erinnerungen an das – wie auch immer geartete – Tagesgeschehen ausgeblendet. Sie vergaß die Welt. Sie sah, sie spürte nur ihn. Er war ihre Welt. Sie vernahm den Klang seiner Stimme, sah das aufflackernde Begehren in seinen Augen, spürte das Streicheln seiner Hände, die ihren Körper mehr und mehr in Besitz zu nehmen begannen. Zu neuen Ufern lockten neue Phantasien: berückend, überwältigend. In ihrer Imagination entstand ein übermächtiges, allliebendes Wesen, das sie umfing – das ihren Leib zum Umfangen auserkoren. In dieser Wonne beseligender Einbildungs kraft hätte sie sterben mögen, um eins zu werden mit der geheimnisvollen Offenbarung, die sich ihr eröffnete. Sie hatte einen Raum jenseits des Schwerefelds betreten, schwebte auf Wolken und träumte dem Tag ohne Morgen entgegen.

Aber das Ticken der Zeituhr in seiner grausamen Zerstörung aller Visionen, seiner Verschwisterung mit der Reminiszenz der Vergänglichkeit holte zum irreversiblen Vernichtungsschlag aus. Das Geheule und Gejohle einer Weckuhr älteren Datums vertrieb selbst in Jans Erinnerung die Süße erfahrener Traumwelten. – Das Tagewerk forderte seinen Tribut.

Marga – zurück in den Beta-Fluss ihres Bewusstseins gelangt – musste sich sputen, um pünktlich in der Firma zu sein. Sie räumte noch schnell den Tisch ab, um Jan bezüglich ihrer hausfraulichen Qualitäten nicht zu enttäuschen, zog ihren alten Regenmantel, der Witterung angemessen, über und griff nach ihrer großen, schwarzen Mappe voller Unterlagen, auf die Jan nie im Leben auch nur einen Blick geworfen hätte.

Chris war schon früh in der Firma eingetroffen und hatte sich vorgenommen, mal kurz bei Marga vorbeizuschauen. Er wollte sich wegen Kims unüberhörbarem Mini-Mobbing, ihren kleinen Attacken, entschuldigen. Freilich wusste er nicht genau, in welchem Raum, auf welchem Platz Marga zu finden sein könnte. Nie zuvor hatte er sie in der Firma kontaktiert. So versuchte er es in den unteren Stockwerken, dort, wo die meisten Sekretärinnen in Gruppen an kleineren Tischen saßen. Aber er hatte kein Glück. Sie war nirgends anzutreffen. Da er noch genügend Zeit hatte vor seinem offiziellen Arbeitsbeginn, versuchte er an ein Verzeichnis der in der Firma angestellten Sekretärinnen heranzukommen, was ihm auch gelang. Aber der Name ‘Marga Moll‘ war nirgendwo verzeichnet. So musste Chris zunächst einmal sein Vorhaben aufgeben, was ihm Leid tat. Denn auch er hatte Jans kleine Freundin ins Herz geschlossen und bedauerte, dass Kim Wesenszüge dieser Art kaum aufzuweisen hatte.

Chris hatte sich bisher nicht einmal bemüht, Stockwerke und Räume des großen Hauptgebäudes, in dem er beschäftigt war, näher zu inspizieren. Da er sich nun mal gerade auf Erkundungstrip begeben hatte, beschloss er, noch mal einen Blick in die darüber liegende Etage zu werfen. Er traf dort auf Herrn Dr. Mühlbauer, der, wie er wusste, zum Führungspersonal gehörte. Über Blickwechsel und kurzen Gruß hinaus kam es jedoch nicht bei den Herren, da eine schmale, zierliche, aber dennoch elegante Gestalt mit auffallend gepflegtem, schulterlangem, kastanienbraunem Haar Mühlbauers Aufmerksamkeit auf sich zog. „Guten Morgen, Frau Dr. Rateberg“ – vernahm Chris – schon am Ende des Flurs angelangt – den ehrerbietigen Gruß des Personalchefs – für einen Moment verdutzt darüber, wohl zum ersten Mal der Chefin persönlich begegnet zu sein, die er sich doch ganz anders vorgestellt hatte.

Der Weg zu seinem Arbeitsplatz führte ihn an Kim vorbei, der er sofort von diesem Ereignis Bericht erstattete. „Du, die Chefin gesehen?“ – schnitt sie ihm das Wort ab. „Die Chefin residiert oben in ihrem Penthaus und schleicht bestimmt nicht mit ihren Angestellten durch die Gänge. Aber in dieser Firma will sicher jeder Mann mal der mächtigsten Frau der Stadt begegnet sein. Träum weiter, mein Junge!“

Chris, der Auseinandersetzungen und hintergründige Sticheleien dieser Art nicht ausstehen konnte, begab sich an seinen Arbeitsplatz, ohne in der Mittagspause noch mal nach der Partnerin zu sehen. – Kim dagegen genoss ihren freien Nachmittag und beschloss nach einigen Stunden erfolgreichem Shopping ihren lieben Freund Jan zu besuchen, der wohl inzwischen zu Hause anzutreffen sei. Marga werde wohl, wie immer, mit Überstunden bei ihrem Chef beschäftigt sein und ihr nicht in die Quere kommen.

Kim führte nichts Gutes im Schilde. Sie beschloss, ihr länger geplantes Vorhaben endlich in die Tat umzusetzen. Für Jan hatte sie einen Part in einem Rollenspiel vorgesehen, das er – experimentierfreudig, wie er war – bestimmt nicht abschlagen würde. Den ‘Weiberheld‘ als manipulierbar, als handhabbaren Waschlappen zu erleben, als Hampelmann, der sich locker aufziehen lässt, als Knirps, den man beliebig auf- und überspannen kann, als Trottel, der es genießt, nach ihrer Pfeife zu tanzen – das hatte sie sich als Ziel gesetzt. –

Bei Jan zu Hause angekommen, kam sie auch schon ohne Umschweife zur Sache. Sie habe eine neue Spielidee zu Papier gebracht, einen Spielverlauf konstruiert, der mit etwas Mut auch ausgeführt werden könne. Sie selbst habe gar nichts dagegen, jetzt und hier mit der Premiere zu starten. Dieses Spiel sei zwar in die Gruppe der seichten, aber dennoch amüsanten Sadomaso-Vergnügungen einzustufen und mache ihm bestimmt Spaß. Sie selbst würde dabei gerne mal in eine Rolle schlüpfen, in der sie als die aktiv Wirkende alle Fäden in der Hand halte. – Jan zog ein wenig die Mundwinkel nach unten; eigentlich konnte er Spielchen dieser Art nur wenig abgewinnen. Aber er wollte Kim gegenüber nicht kneifen und erklärte sich in weltmännischer Gewandtheit, mehr noch in gespielter Bejahung lüsterner Gepflogenheiten zu allen Schandtaten bereit.

Kim zerrte an seinem Anzug, ließ kein Kleidungsstück mehr an seinem Körper und fesselte ihn mit Handschellen – die sie eigens für Amüsements dieser Art erworben hatte – an seinem Liegestuhl, den sie eiligst aus der Ecke hinter dem Schrank gezerrt und damit aus dem Schlaf der Standfestigkeit befreit hatte. So lag er ausgestreckt, als wolle er in pausenloser Ergötzung dem Nudismus frönen; Füße und Hände waren ihrer Bewegungsfähigkeit beraubt. Kim stand vor ihm und versetzte ihm ein paar schallende Ohrfeigen. Nur etwas hatten sie beim Herumschrammen mit dem Liegestuhl überhört: Marga, die heute schon etwas früher ihren Dienst beendet hatte, stand in der Tür und hatte die letzten Aktionen ihren Augen und Ohren zugemutet – aber nicht lange. Sie ließ ihre Mappe fallen und war im Nu aus der Wohnung verschwunden. – Jan versuchte vergeblich sich von den Fesseln zu befreien. Kim eilte ihm zu Hilfe mit den tröstenden Worten, seine Kleine könne ja sicher kein Spaßverderber sein – und wenn doch, dann habe sie sich sicher den falschen Boy angelacht. – Jan begann von diesem Augenblick an Kim zu hassen. Und erst jetzt war er sich darüber im Klaren, dass seine Beziehung zu Marga zu den großen Kostbarkeiten in seinem Leben gehörte.

Marga! – Wo war sie nur geblieben? – Wo war sie nur hingegangen? – so hämmerte es hinter seiner Stirn und er fühlte sich von einer zuvor nie gefühlten Panik ergriffen. Ja – er hatte große Angst um die geliebte Freundin.