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Meine wunderbare Buchhandlung

 

Herausgegeben von Dirk Kruse

 

 

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage der Klappenbroschurausgabe Oktober 2016)

 

© 2010 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Ulrike Jochum

Der Text »Tenor Soccus vulg. Linné« von Herbert Rosendorfer folgt auf ausdrücklichen Wunsch des Autors nicht den Bestimmungen der neuen deutschen Rechtschreibung. Als Lizenzabdruck ist auch Martin Suters »Plagiator auf Lesereise« noch in der alten Rechtschreibung verfasst.

Umschlaggestaltung: Philipp Starke, Hamburg

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-739-1

 

Für Albert Krapf, Charlotte Wächtler-Prossén, Anke Bock, ­Christian Niedermeier, Godela Grauer, Heiko Kistner, Hans Schmidt und alle anderen wunderbaren Buchhändler

 

Inhalt

Vorwort

Ewald Arenz – Bücherliebe

Thommie Bayer – Die temporäre Schwellenangst

Claire Beyer – Buchhändler Rogalsky

Ulrike Draesner – Speck

Rolf-Bernhard Essig – Nazis in Dortmund

Gerhard Falkner – Bücher, Buchhandlungen und Übersprungshandlungen als Ursprungsbedingungen

Evelyn Grill – Sobieski, Mariandl und Chopin

Ulla Hahn – Drei Buchhändler in einem strengen Winter

Eckhard Henscheid – Ehre den Buchhändlern? Mit Einschränkungen. Ein Besinnungsaufsatz

Sandra Hoffmann – Kriedel

Michael Kleebeg – Der Bücherdirigent vom Dom

Günter Kunert – Am Anfang war Herr Wiese

Robert Menasse – Die blauen Bände

Christiane Neudecker – Ein Laden für das Nichts

Herbert Rosendorfer – Tenor Soccus vulg. Linné

Martin Suter – Plagiator auf Lesereise

Hans-Ulrich Treichel – Zufluchtsorte

Herausgeber und Autoren

Textnachweis

 

 

Vorwort

Buchhandlungen und Antiquariate sind für mich ebenso wichtig wie Supermärkte. Auch sie verkaufen Waren des täglichen Grundbedarfs: geistige Lebensmittel. Damit ist noch nichts über die Qualität dieser Geschäfte und ihrer Produkte gesagt. Das Spektrum der Buchhandlungen ist genauso groß wie das der Nahrungsmittelhändler. Da gibt es die Discounter, die gestern noch aktuelle Bücher heute billig verramschen, Supermarktketten, die in allen größeren Städten zu finden sind und sich zum Verwechseln ähnlich sehen, egal ob man sie in Hamburg oder München betritt, Tante-Emma-Läden, die mit einem kleinen, abgestimmten Sortiment die Bedürfnisse der Nachbarschaft decken und regelrechte Feinkostgeschäfte, die statt Wein, Käse und Schokolade Kunst, Philosophie und anspruchsvolle Belletristik für Genießer feilbieten. Ich kaufe in all diesen Läden, in manchen selten, in anderen oft. Aber definitiv gehe ich häufiger in eine Buchhandlung als in eine Metzgerei. Denn Buchhandlungen und Antiquariate sind ja weit mehr als Läden, in denen beliebige Waren abgegeben und Kunden möglichst schnell und effektiv bedient werden. Buchhandlungen sind Orte der Lockung und der Verführung. Orte, die uns nicht schnell wieder loswerden wollen, sondern zum Bleiben einladen. Orte, die uns mit Sitzgelegenheiten und manchmal auch Getränken verwöhnen und wollen, dass wir uns heimisch fühlen. Orte, an denen wir in aller Ruhe die Bücher prüfen, aber auch die beratende Hilfe des Buchhändlers in Anspruch nehmen dürfen. Orte, wo wir in Buchform gute alte Freunde wiedersehen und neue, vielversprechende Bekanntschaften knüpfen. Orte, an denen wir Gleichgesinnte treffen und mit ihnen eifrige Gespräche über beeindruckende Lektüreerlebnisse führen können. Kurz: Orte irdischen Glücks.

Ob eine Buchhandlung zu einer »wunderbaren Buchhandlung« wird, hängt natürlich nicht nur von ihrem Angebot und ihrem Ambiente, sondern auch stark von ihren Buchhändlern ab. Da gibt es zwar welche, die ebenso gut auch Kochtöpfe oder Zwieback verkaufen könnten, so wenig interessieren sie sich für ihre Produkte, doch sind das die Ausnahmen. Die meisten Buchhändler, die ich kenne, sind selber enthusiastische Leser und engagierte Vermittler, die recht gut in der Lage sind, auch die vielen Bücher, die sie nicht lesen können, zu beurteilen. Ein guter Buchhändler besitzt nicht nur Waren-, sondern auch Menschenkenntnis und erreicht langfristig bei seinen Kunden eine ähnliche Vertrauensposition wie ein Therapeut oder Apotheker. Niemals kann mir deshalb eine Internetbuchhandlung oder eine Antiquariatsplattform einen richtigen Buchladen ersetzen. Nur dort erfahre ich alle Sinnlichkeit des Bucherwerbs und werde nicht nur individuell beraten, sondern kann die Bücher auch berühren, riechen, in ihnen blättern und vor allem solche entdecken, nach denen ich gar nicht gesucht habe. Ein Buch auszuwählen und es zu kaufen, macht mir beinahe ebenso viel Freude, wie es anschließend zu lesen. Erstaunlich ist es daher, dass es so wenige Geschichten von Buchhandlungen gibt, und erst recht keine Sammlungen darüber. Ich kenne und besitze zwar etliche Anthologien über das ­Schreiben, das Lesen und das Sammeln von Büchern, habe aber keine über Buchhandlungen gefunden. Also habe ich mich selbst an die Aufgabe gemacht und 14 Autoren gebeten, Geschichten über Buchläden und Buchhändler zu schreiben, die ein möglichst breites Spektrum des Themas abdecken: humoristisch und ernsthaft, rührselig und spannend, phantastisch und satirisch, wirklich erlebt und frei erfunden. Genau dieses Buch mit 17 Erzählungen und Essays über wunderbare Buchhandlungen, das ich noch durch drei aktuelle, bereits veröffentlichte Beiträge ergänzt habe, halten Sie nun in den Händen.

Den Buchladen als Zufluchtsort beschreiben Hans-Ulrich Treichel, der in Rom eine deutsche Buchhandlung sucht und in Berlin die Heinrich-Heine-Buchhandlung findet, und Claire Beyer. Die schwäbische Autorin lässt ein Mädchen auf der Flucht vor einem Mitschüler an einem solchen Ort Schutz suchen und in dem Buchhändler einen väterlichen Freund finden. Kindliche Protagonisten haben auch Ulrike Draesner und Ulla Hahn gewählt. Draesner erzählt vom Schulbuben Speck, der in der Schwetzinger Buchhandlung Kieser in den Büchern die Abenteuer der Sprache entdeckt, während Hahn ihrem Alter Ego in die rheinischen Buchhandlungen ihrer Kindheit folgt und in der Hamburger Traditionsbuchhandlung Felix Jud noch einen Einkehrschwung macht. Das Kind in Günter Kunerts autobiografischem Triptychon ist er selbst – er berichtet über heimliche Buchhandlungsbesuche und Lektüreerlebnisse in Nazizeit und DDR-Diktatur. Noch weiter in der Geschichte, in die Zeit der Sockenhalter und Vollbartträger, geht Herbert Rosendorfer zurück, der das Leben eines verhinderten Antiquars in Linz erzählt. Dem Buchhändler als unbekanntem Wesen widmen sich ­mehrere Autoren. Rolf-Bernhard Essig gibt humorvolle und erhellende Einblicke in das Seelenleben einer prototypischen Buchhändlerin, indem er einem Kundengespräch ihren inneren Monolog gegenüberstellt. Michael Kleeberg würdigt ganz konkret die Buchhändlerlegende Franz Stoffl von der Dombuchhandlung in Mainz, während Eckhard Henscheid ein allgemeines Loblied auf den Buchhändlerstand singt – natürlich nicht ohne satirisch-kritische Unter- und Obertöne. Von Spezial-Buchläden erzählen Evelyn Grill, Sandra Hoffmann und Robert Menasse. Evelyn Grill ersinnt die erste Migrationsbuchhandlung Deutschlands und wird von einer findigen Studienrätin ausgebootet. Von der unbedingten Notwendigkeit eines Buchladens für Surf-Literatur überzeugt Sandra Hoffmanns atmosphärisch dichte Geschichte. Und Robert Menasse macht anhand einer politischen Buchhandlung in Wien deutlich, dass man niemals Bücher wegwerfen sollte, weil man das eines Tages bereuen könnte. Geradezu phantastisch geht es in den Buchhandlungen von Ewald Arenz und Christiane Neudecker zu. Arenz’ grantelnder Buchhändler stürzt ein Liebespaar in Verwirrung, weil er den Lebensroman des Geliebten feilbietet. Und Neudeckers gespenstisch anmutender Laden für das Nichts, in dem die Buchstaben aus den Büchern verschwinden, thematisiert die alte Autorenangst vor der Schreibblockade. Schriftsteller stehen auch im Mittelpunkt zweier anderer Geschichten: Martin Suter nimmt uns mit auf eine Lesereise in eine typische Kleinstadt, Thommie Bayer klärt uns über geheime Zwangshandlungen zahlreicher Autoren auf, die inkognito durch Großbuchhandlungen streifen. Und der gelernte Buchhändler Gerhard Falkner klagt, dass Buchhandlungen immer seltener »zentrale Orte für denkende Menschen« seien, und erinnert an die Nürnberger ­Buchhandlung Jakob, die Basis Buchhandlung in München und das Edel­antiquariat Foyles in London.

Viel Vergnügen mit diesen Geschichten über wirkliche und erfundene, immer aber wunderbare Buchhandlungen wünscht

 

Dirk Kruse

Nürnberg, im September 2010