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‘No, no! The adventures first, […]

explanations take such a dreadful time.’

Nein, nein! Die Abenteuergeschichten zuerst,

Erklärungen brauchen immer so schrecklich lange.

Lewis Carroll, Alice im Wunderland (1865)

Ultimus Ultimorum

Die Hoffnung des Königs

Die Schülerinnen und Schüler der 3c Klasse des Akademischen Gymnasiums Graz, Jahrgang 2016/17

Gudrun S. Wieser (Hg.)

© 2016 Gudrun S. Wieser

AutorInnen: Die Schülerinnen und Schüler der 3c Klasse des Akademischen Gymnasiums Graz, Jahrgang 2016/17

Herausgeberin: Gudrun S. Wieser

Lektorat: Hanna Siehr-Weller

Umschlaggestaltung: Gudrun S. Wieser

Verlag: myMorawa von Morawa Lesezirkel GmbH

978-3-99057-401-0(Paperback)

978-3-99057-402-7(Hardcover)

978-3-99057-403-4 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Herausgebers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Vorwort

Nachdem das Werwolf-Romanprojekt des vergangenen Jahres „VENATOR NOCTIS. Töte mit Bedacht“ mit einem beachtlichen Erfolgserlebnis für die Klasse verbunden war, fiel die Entscheidung, auch mit der heurigen dritten Klasse ein ähnliches Projekt zu starten, nicht schwer.

Selbstverständlich konnten nicht wieder Werwölfe als Ausgangspunkt für die Handlung eingesetzt werden, stattdessen griffen wir auf den Plot einer klassischen Heldenreise zurück, wobei manche einschneidenden Ereignisse für die Heldinnen und Helden – nach Vorbild eines Pen-and-Paper-Rollenspiels – erwürfelt wurden: Kam eine sechs, so erhielt man einen Hinweis, wie die Handlung weitergehen könnte; kam eine eins, so musste der Held bzw. die Heldin scheitern, irgendein unerwartetes oder dramatisches Ereignis musste dann den jeweiligen Romancharakter aufhalten.

Dass es nicht ganz leicht ist, siebenundzwanzig Autoren und Autorinnen auf eine zentrale Haupthandlung zu fixieren, dürfte niemanden verwundern. Deshalb wurden innerhalb der Klasse verschiedene Teams gebildet, die von ganz unterschiedlichen Punkten aus in die Handlung um den schwer erkrankten König, den es zu retten galt (soviel darf hier schon einmal verraten werden), einsteigen sollten. In diesen Teams suchte man sich nun einen Charakter, dessen Erlebnisse im Laufe der Erzählung aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert wurden. Natürlich hatten dabei die beiden armen Waldbauern mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen, als zum Beispiel die Bäckersfamilie aus der Stadt, oder die jungen Soldaten an der Front. Allen gemeinsam war allerdings das Ziel, irgendwie das drohende Unheil abzuwenden.

Somit ist es nicht überraschend, dass aus den zahlreichen Texten, die im Rahmen dieses Projekts verfasst wurden, ein sehr kollagenhafter Roman entstehen musste, den man kaum mit „herkömmlichen“ Fantasy-Romanen vergleichen kann.

Während der Arbeit an den verschiedenen Texten mussten die Schülerinnen und Schüler sich untereinander immer wieder absprechen, damit die einzelnen Handlungsabschnitte möglichst zueinander passten: Namen für das Königreich und seine Hauptstadt mussten gefunden werden, Kriegstaktiken wurden besprochen und natürlich kam es auch vor, dass verschiedene Heldengruppen bei ihrer Suche aufeinandertrafen. Hatte jemand schon ein Heilmittel entdeckt? Gab es überhaupt ein Heilmittel? - Und wie kann es den König erreichen?

Es darf da wohl nicht verwundern, dass - frei nach dem Motto „Die Abenteuergeschichten zuerst, Erklärungen brauchen immer so schrecklich lange“, das dem Buch vorangestellt wurde, - die Autorinnen und Autoren vor allem die spannenden Begebenheiten und Erlebnisse „ihrer“ Charaktere schildern wollten, und nicht jede Handlung einer vollständigen, logischen Prüfung standhalten würde. Die Frage ist: Muss das überhaupt sein?

Ich möchte behaupten, dass es gerade den Reiz dieses Romanprojekts ausmacht, dass man innerhalb der gemeinsamen Handlung immer noch den individuellen Stil der einzelnen jungen Autoren und Autorinnen, deren Vorlieben und Wünsche herauslesen kann.

So weit es möglich war, haben wir aber gemeinsam versucht, für alles und jeden eine funktionierende Motivation zu finden, wo dies nicht ganz gelang, sind nun die Leserinnen und Leser eingeladen, ihre Phantasie wirken zu lassen.

Aber nicht nur das Verfassen der Texte war ein wichtiger Teil des Projekts. Nachdem die Haupthandlung einmal feststand, galt es, die verschiedenen Beiträge gemeinsam zu verbessern, nach den passenden Worten und Formulierungen zu suchen, kurz: an den Beiträgen den Feinschliff vorzunehmen. Danach kamen die einzelnen Abschnitte zum Korrekturlesen, was ebenfalls von den Schülerinnen und Schülern größtenteils selbst gemacht wurde. Zudem durften wir die Hilfe einer professionellen Lektorin in Anspruch nehmen.

Schlussendlich kann man wohl sagen, dass alle Beteiligten mit Recht stolz auf das Ergebnis sein dürfen.

Gudrun S. Wieser

Graz, 2016

Prolog

Der Winter war schrecklich lang gewesen, viele Höfe und Dörfer blieben monatelang unter dichten Schneemassen verborgen, sodass die Bewohner schon fürchteten, der Frühling würde nie wiederkehren.

Endlich aber zeigte sich die Sonne hinter den Wolken und der eisige Sturm verzog sich. Schon wollten die Menschen wieder aufatmen, das neue Jahr mit frischem Mut beginnen, reparieren, was die Eisstürme des Winters zerstört hatten, als eine weitere schreckliche Nachricht sie erreichte: König Florestan, in den sie nach der harten Herrschaft seines Vaters König Berengar II. so große Hoffnungen gesetzt hatten, war schwer erkrankt.

Zunächst hoffte man noch, nur der lange Winter hätte das Gemüt des jungen Königs angegriffen, und mit dem Sonnenlicht würde auch die gesunde Farbe in seine bleichen Wangen zurückkehren, doch diese Hoffnung hatte sich als falsch erwiesen. Doktoren und Gelehrte aus allen Teilen des Landes hatten nach einem Heilmittel gesucht, doch nichts konnte Florestan wieder zu Kräften bringen. Die Verzweiflung im Lande war groß – und sie wuchs mit jedem Tag, an dem der junge König mehr dahinwelkte. Denn hinter den Grenzen des Reiches warteten längst andere Herrscher darauf, die fruchtbaren Ländereien und reichen Berge unter ihrem eigenen Wappen zu sehen.

Schwer traf die düstere Kunde die Menschen. Kein Fest sollte mehr gefeiert werden, kein Lachen in Stadt und Land erklingen, solange ihr junger König an der Schwelle des Todes darniederlag.

König Florestan selbst ließ da seine Boten in alle Städte und Dörfer reiten, selbst zu den kleinsten Marktflecken, um seine Worte verkünden zu lassen:

Geliebte Untertanen, Männer und Frauen meines Landes.

Das Schicksal wollte es, dass der harte Winter nicht nur mein Volk mit eisiger Faust getroffen hat, sondern auch mir das Leben in der Brust gefrieren ließ. Ich weiß um die Gefahren, denen unser Land von allen Seiten ausgesetzt ist, und nichts wünsche ich sehnlicher, als den Frieden zu erhalten.

Doch ich spüre, wie die namenlose Krankheit in meiner Brust wütet, mir jeden Atemzug, jeden Herzschlag zur Qual macht.

Deshalb soll mein Ruf in alle Winkel meines Reiches gehen: Wer immer, sei es Mann, Frau oder Kind, ein Heilmittel findet, das mir die Kraft zurückgibt, mein Land zu schützen, soll nach seinem eigenen Herzenswunsch reich belohnt werden.

Dies gelobe ich, König Florestan I.

Am dritten Tage nach dem Frühlingsmond.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Nachricht. Manch einer sah darin nur die Bestätigung seiner schlimmsten Befürchtungen, andere wiederum schöpften neue Hoffnung, dass es irgendwo im Lande jemanden gäbe, der den jungen König und sie alle vor einem neuerlichen Krieg retten könnte…

Die Gebrüder Rübner

Ein Loch im Dach

Hagen Braun

Ich wachte auf und mir war kalt. Ich fröstelte. Mein Bruder Oskar schlief noch. Ich sah zur Decke und bemerkte, dass ein großes Loch in unserem Dach klaffte. Leise stand ich auf und zog mich an. Ich nahm etwas Geld aus unserem Geldbeutel. Damit wollte ich zum Marktplatz im nächsten Dorf gehen und Holz kaufen, damit wir unser Dach reparieren konnten.

Nach einer halben Stunde Fußmarsch war ich da. Als ich gerade bei einem Händler Holz erstanden hatte, kam ein Bote des Königs heran geritten und verkündete, dass König Florestan schwer erkrankt sei. Das war schrecklich, auch weil der lange, harte Winter unser Land verwüstet hatte. Viele litten Hunger, und die Schneestürme hatten die meisten Häuser der Ärmeren zerstört. Unruhen wegen eines kranken Königs konnte sich dieses Land nicht leisten. Außerdem würde nach dem Ableben des jetzigen Königs vielleicht ein Nachfolger an die Macht kommen, der genauso schrecklich war wie Florestans Vater, König Berengar. Dann müssten ich und mein Bruder sicher wieder ins Heer. Dort waren wir zwar gute Kämpfer gewesen, aber gefallen hatte es uns nicht.

Sofort rannte ich zu meinem Bruder nach Hause und erzählte ihm die schreckliche Neuigkeit. Wir beschlossen loszuziehen, um den König zu retten. Oskar holte unsere wertvollen Zaubergegenstände aus dem Versteck im Haus. Das waren die letzten Dinge, die wir von unserem Vater noch hatten. Er starb, als wir ihn und den Hof allein lassen mussten, weil König Berengar uns in den Krieg befohlen hatte. Der Hof war zu viel Arbeit für ihn allein gewesen und er starb, weil er nicht mehr konnte. Das war ein Grund, warum wir hofften, König Florestan bliebe an der Macht.

Ohne genauen Plan zogen wir los in den Wald …

Die Rettung liegt den Wolken am nächsten

Max Weller

Nein! Der Drache packte mich am rechten Arm und sauste mit mir über den brennenden Wald. Mein Arm schmerzte und ich hatte keinen Schimmer, wo ich war.

Plötzlich ließ der Drache mich fallen, mitten in die lodernden Flammen. Ich rannte um mein Leben! Da hörte ich wie aus dem Nichts eine geheimnisvolle Stimme, die immer wieder rief: „Die Rettung liegt den Wolken am nächsten!“

Was war das? Wer hatte da gesprochen und was wollte man mir damit sagen? Musste ich jetzt sterben oder gab es noch Hoffnung?

Plötzlich fiel ich aus meinem Bett und war völlig verschwitzt. „Hilfe!“, schrie ich und war vollkommen verzweifelt, doch jetzt erst merkte ich: alles war nur ein böser Traum gewesen.

Die Rettung liegt den Wolken am nächsten. Dieser Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf... Und wo war überhaupt mein Bruder? Ich sah nur ein leeres, verschneites Bett. Doch keinen Paul Rübner... In der morschen Holzdecke unserer Behausung war nämlich ein großes Loch und zwischen den Holzbrettern drang überall der Schnee hindurch. Alles war verschneit, und auch sonst war es nicht das ordentlichste Haus. Doch der Frühling kam immer näher, das freute alle Menschen im Dorf.

Ich ging nach draußen, um unsere Tiere zu füttern und die alltäglichen Arbeiten zu erledigen. Plötzlich ging die Gartentür auf und mein Bruder Paul kam rein. Er war blass im Gesicht und wirkte unglaublich aufgeregt. Er schleppte Holzbretter herbei und berichtete, dass er auf dem Marktplatz gewesen war, um Holz für unser Dach zu kaufen, doch dort habe er den Dorfboten getroffen, der die schreckliche Nachricht verkündete, dass König Florestan in Gefahr sei. Der lange Winter hatte ihn wohl krank gemacht. Deshalb müsse jemand ein Heilmittel finden, das unserem König die Kraft zurückgäbe, das Reich zu schützen. „Da rannte ich schon los, um dir alles zu erzählen“, beendete Paul seine Rede. „Der König kauft immer wieder bei uns ein, er ist der beste Kunde von diesem Bauernhof!“

Das stimmt, dachte ich mir. Außerdem müssen wir ihm helfen, damit nicht wieder ein bösartiger König wie Berengar II. an die Macht kommt. Denn der hatte uns damals ins Heer geschickt und wir mussten den Bauernhof zurücklassen, auch unseren Vater. Dieser starb damals...

Ich sagte: „Paul, gehen wir sofort los, retten wir den König! Ich hole das Schwert und den Bogen aus dem Haus. Ach ja, unser Zaubermesser, das jedes Material zerschneiden kann, hole ich auch.“

Die Brüder gingen los, Paul als bewährter Bogenschütze, Oskar als ausgebildeter Schwertkämpfer. Oskar hatte sein Zaubermesser bei sich, das er von seinem Vater geerbt hatte, und Paul einen Pfeil, der sich beim Schießen in Flammen auflöst. Er hatte ihn einst von unserem Vater bekommen, und er war seine gefährlichste Waffe.

Sie versorgten ihre Tiere mit reichlich Futter und machten sich, ohne Ahnung, wohin sie gehen sollten, auf einen gefährlichen Weg, um ihren König zu retten.

* * *

Wir gingen einfach los, ohne irgendeinen Plan, wohin und in welche Richtung. Doch wir wollten den Königretten... Nach einer Zeit gelangten wir in einen Wald, nur wenig Licht fiel durch die Blätter der Bäume. Ich ging und ging, dabei überlegte ich, was dieser Satz, den ich geträumt hatte, bedeuten könnte... Ist es möglich, dass das Heilmittel am höchsten Berg des Königreichs zu finden ist?

Ich beschloss, meinen Traum morgen Paul zu erzählen. Ich drehte mich um... Wo war Paul geblieben!? War ich etwa zu schnell gegangen? Ich bekam eine Gänsehaut, inzwischen war es schon ziemlich dunkel. Ich war allein, mitten im tiefen Wald... Jetzt hörte ich Schritte und ein leises Atmen. Mein Herz pochte immer schneller und ich zitterte am ganzen Körper, ich sah fast nichts mehr... „Paul?“

Keine Antwort...

Plötzlich hörte ich ein tiefes Knurren hinter einer großen Tanne

Nein, das war definitiv nicht Paul...

Stille...

Da erblickte ich einen riesigen Bären, der auf mich zusprang. Ich entwich ihm, doch er öffnete sein Maul und biss mir fast in den Oberschenkel. Ich schlug ihm auf die Schnauze, doch es war sinnlos. Der Bär würde mich mit einem Happen verschlingen. Ich rannte einfach los, der Bär aber auch... Hinter mir her...

Plötzlich zischte ein brennender Pfeil knapp neben meinem Gesicht vorbei und traf den Bären. Dieser jaulte laut auf und aus seiner rechten Pfote strömte Blut... Er leckte an seiner Wunde, dann rannte er davon. Irgendwie tat er mir leid.

„Oskar“, hörte ich Paul rufen. „Geht´s dir gut?“

„Alles in Ordnung, nur ein paar Schrammen...“, erwiderte ich.

An diesem Abend sagten wir kaum noch ein Wort, wir waren beide geschockt. Wir machten uns ein Lagerfeuer, was gar nicht so leicht war, und schliefen sofort ein...

Doch was ich in dieser Nacht träumte, hätte ich vielleicht lieber nicht träumen sollen...

Der Bär

Hagen Braun

Wir gingen gedankenversunken den Weg entlang, Oskar mit seinem Schwert am Gürtel und ich mit meinem Bogen auf dem Rücken. Ich wollte Oskar fragen, wohin wir jetzt gehen sollten. Doch er war nicht mehr da. War ich etwa zu langsam gegangen? Es war schon dunkel. Da hörte ich ein bedrohliches Knurren... Ich wollte weg von hier.

Das Knurren wurde immer beängstigender. Als ich mich herumdrehte, hörte ich meinen Bruder. Er schrie. Ich rannte in Richtung der Stimme und sah, wie mein Bruder von einem großen, braunen Bären angegriffen wurde. Er boxte den Bären gegen die Schnauze, doch ich sah, dass es keinen Sinn hatte. Ich dachte an den magischen Pfeil von meinem Vater. Es war zwar mein letztes Erinnerungsstück an ihn, aber es musste sein. Ich zielte und schoss.

Der Pfeil flog leider sehr tief, ich hatte zu schnell abgeschossen, weil ich so nervös war. Er steckte im Boden. Gleichzeitig hörte ich ein Aufjaulen. Ich hatte ihn also doch in die Pfote getroffen. Der Bär streifte sich den Pfeil ab, leckte sich die Pfote und humpelte brummend davon. Schnell lief ich zu meinem Bruder und rief ihm zu, ob er verletzt war. Er erwiderte, dass er nur einen leichten Kratzer habe. Ich war sehr erleichtert und versuchte so gut wie möglich seine Wunde zu verbinden.

Dann suchte ich trockenes Feuerholz und machte ein Lagerfeuer. Ich hoffte, dass es andere unerwünschte Besucher abschrecken würde. Wir legten uns hin und jeder hing seinen Gedanken nach. Oskar war sehr müde und schlief schnell ein. Ich hingegen lag die ganze Nacht wach und hörte ihn im Schlaf reden...

Das Tal

Max Weller

Heute Morgen wachte ich sehr früh auf und konnte den Sonnenaufgang beobachten. Als auch Paul erwachte, erzählte ich ihm, was ich in der Nacht geträumt hatte: Was dir am teuersten ist, muss mit Herzblut erkauft werden... Gestern hatte ich ja auch schon so einen komischen Traum gehabt.

„Welchen denn?“, fragte Paul.

„Naja... Ich hörte eine Stimme, die rief: Die Rettung liegt den Wolken am nächsten. Ich glaube, wir müssen auf den höchsten Berg klettern, um den König zu retten.“

Paul glaubte mir erst nicht so ganz, doch nach einiger Zeit machten wir uns auf den Weg zum Berg, denn eine bessere Idee hatten wir nicht. Wir wanderten mehrere Stunden und unsere Kräfte ließen bald nach, denn wir mussten durch kleine Sümpfe stapfen, überall krabbelten Käfer umher und es war furchtbar kalt.

Nach einer Weile gelangten wir in ein kleines Tal. Doch erst jetzt merkten wir, dass das Tal zwar einen Zugang hatte, aber keinen richtigen Ausgang. Wenn wir noch einmal zum Eingang zurückgegangen wären, hätte das viel zu viel Zeit gekostet, und so beschlossen wir, obwohl wir schon sehr erschöpft waren, die steile Talwand hochzuklettern.

„Warum sind wir überhaupt hierher gegangen...“, dachte ich mir. Wahrscheinlich hatten wir nicht gut auf den Weg geachtet und waren marschiert, wie es am einfachsten war.

Paul kletterte vor mir los. Ich hatte mit meinem Zaubermesser kleine Tritte in die Talwand gegraben, damit unsere Füße einen einigermaßen sicheren Halt hatten. Gespannt schaute ich Paul beim Klettern zu und versuchte, ihm irgendwie zu helfen. Plötzlich hörte ich, wie mein Bruder um Hilfe schrie, er war abgerutscht. Er krachte mit seinem Arm auf den Boden und blutete...

Zum Glück war ihm nichts allzu Schlimmes passiert, er hatte nur eine kleine Wunde. Nach dem, was passiert war, entschlossen wir uns, lieber hier zu übernachten. Wir setzten uns ans Ufer eines kleinen Sees und dachten über den vergangenen Tag nach. Wir froren und waren hungrig, denn mit unserem Proviant mussten wir sparen. Der Wind pfiff, und während wir so nachdachten, sahen wir einen riesigen Berg, der von hier aus noch klitzeklein aussah, doch ja, es war der größte Berg im ganzen Königreich.

Wir schauten zu dem Massiv auf und wussten beide, dass noch eine lange Reise vor uns lag.

Auf einmal hörte ich eine seltsame Stimme: Wer Großes erreichen will, muss hoch hinauf steigen. Was war nur los mit mir? Schon wieder so ein komischer Satz, der aus dem Nichts kam. Doch irgendwie glaubte ich immer fester, dass wir auf dem richtigen Weg waren. „Hörst du das auch?“, fragte ich Paul, doch er erwiderte, nichts gehört zu haben. Ich berichtete ihm von den Worten, und auch er war sich nun sicher, dass wir dem Heilmittel für den König näher kamen.

Wir saßen noch eine Weile am Ufer, doch schließlich sanken wir in einen tiefen Schlaf...

* * *

Am nächsten Morgen weckte mich Paul noch vor Sonnenaufgang und flüsterte mir ins Ohr: „Oskar!“

„Ja?“

„Wir sind gefangen!“

Ich erschrak und bemerkte, dass wir mit einer schweren, rostigen Kette gefesselt waren. Wir zappelten wild herum. Die Kette war wohl uralt, denn sie war schimmelig und rostig. „Wir müssen uns schnell befreien, bevor der Besitzer dieser Falle kommt und wer weiß was mit uns anstellt“, sagte mein Bruder nervös. Ich wollte mir nicht vorstellen, wer dieser Besitzer sein könnte...

„Paul! Ich hab ja noch mein Zaubermesser!“

Wir atmeten erleichtert auf, denn an das Messer hatten wir gar nicht gedacht. Doch angekettet eine Kette aufzubrechen war ziemlich kompliziert. Ich befreite meine rechte Hand und zog das Messer aus der Lederjacke. Die Linke war zu fest gefesselt, die konnte ich nicht befreien, also probierte ich, mit einer Hand die Kette aufzubrechen. Als das nicht klappte, versuchte auch Paul, eine Hand zu befreien, und half mir, bis die Kette schließlich zerrissen war.

Wir befreiten uns schnell von der Kette, nahmen unsere Sachen und versuchten erneut, die Talwand hochzuklettern. Da wir einigermaßen ausgeschlafen waren, ging das Klettern heute viel leichter, und wir waren beide schnell oben angelangt.

Es lag ein langer Fußmarsch vor uns, also gingen wir sofort los. Immerhin wussten wir den Weg, denn wir sahen schon den Berg. Als wir unmittelbar vor dem gewaltigen Massiv standen, bemerkte ich, dass ich mein Zaubermesser im Tal vergessen hatte, doch es gab kein Zurück mehr. „Paul! Ich habe mein Messer im Tal vergessen...“

„Jetzt können wir nicht mehr zurück!“

Mein Zaubermesser war wohl für immer verloren.

Inzwischen war es hell geworden, und wir standen direkt vor dem Berg. Er war wirklich sehr hoch, und wir hatten schon ein wenig Angst, da hochzuklettern. Wenn wir abstürzten, wären wir tot und keiner würde es überhaupt bemerken. Doch wir wagten es. Ich kletterte voran, Paul war hinter mir.

Steine sausten pausenlos vom Berg herab und die Gefahr war groß, einen Stein auf den Kopf zu kriegen. Es war, als kämen wir kein Stückchen voran, doch wir gaben nicht auf. Nie und nimmer!

Mehrmals rutschten wir beide fast ab, doch wir konnten uns gerade noch irgendwo festhalten. Meine Arme wurden immer schwerer und ich hatte kaum noch Kraft. Ich wagte nicht, zu Paul hinunterzublicken, denn ich wollte nicht nach unten schauen.

Endlich sah ich die Bergspitze und wir kamen immer näher! Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich den Gipfel. Doch Paul hatte es noch nicht geschafft. Ich sank auf den Boden und wartete auf ihn, doch er kam und kam nicht.

Da erblickte ich einen Kopf über der Felskante - es war Paul! Auch er sank auf den Boden und wir lagen da, bis wir wieder zu Atem gekommen waren. Aber dann sahen wir auf einmal dieses Wesen...

Der höchste Berg

Hagen Braun

Als ich am nächsten Morgen meine Augen aufschlug, war Oskar schon wach. Er sagte, er habe heute Nacht sehr schlecht geschlafen. „Ich habe einen sehr verwirrenden Satz gehört. Gestern hatte ich auch so einen schlechten Traum. Der erste Satz war:Die Rettung liegt den Wolken am nächsten. Der nächste Satz war: Was dir am teuersten ist, muss mit Herzblut erkauft werden.“

Ich meinte: ,,Das klingt ja sehr rätselhaft...“

Oskar erwiderte: „Ja, aber einen besseren Hinweis haben wir nicht, wenn wir den König retten wollen. Und mein Traum klingt ja sehr nach dem höchsten Berg im Königreich.“

Da wir keinen besseren Weg fanden, marschierten wir schließlich los zum höchsten Berg im Königreich.

Wir gingen in ein Tal hinein und fanden dort einen großen See. Wir konnten das Talende nicht sehen und beschlossen, dem Talverlauf zu folgen, da er ja in die richtige Richtung zu führen schien. Als wir am anderen Ende waren, sahen wir, dass es dort keinen Ausgang gab. Da es aber für ein Zurück viel zu spät war, mussten wir hochklettern.

Da hatte Oskar die Idee, mit seinem Zaubermesser kleine Tritte in den Fels zu schneiden. Grade so groß, dass unsere Hände und Füße Halt finden konnten. Ich machte den Anfang und hangelte mich an der Wand hoch. Als ich einige Meter hinter mir hatte, machten sich die Anstrengungen des heutigen Tages und die stärker werdende Müdigkeit bemerkbar. Ich hatte Mühe, meine Hände vom Fels zu lösen und nach oben zu greifen. Da passierte es! Ich griff ins Leere. Meine Füße rutschten und ich stürzte ab…

Da ich nur wenige Meter tief gefallen war, kam ich mit dem Schrecken und einer Schürfwunde am Arm davon. Oskar meinte, wir sollten uns zum Schlafen hier hinlegen, um am nächsten Morgen ausgeruht nochmal zu versuchen, die Wand zu bezwingen. Als wir so am See saßen, hing jeder seinen Gedanken nach. Ich machte mir große Sorgen um unseren Bauernhof, den wir in der Obhut unserer Magd und eines Knechts hatten zurücklassen müssen. Er war generell nicht im besten Zustand... Wir hatten zwar keine Geldprobleme, da der König immer wieder bei uns Lebensmittel kaufte, aber wir hatten das Haus nie wirklich repariert - und aufgeräumt schon gar nicht.

Dann sagte Oskar: „Hörst du das auch?“

Ich schaute ihn an und fragte mich, was mit ihm los sei, denn es war totenstill. Er sagte: „Da war eine Stimme, die sagte: Wer Großes erreichen will, muss hoch hinauf steigen!

Langsam wurde Oskar mir unheimlich. Komische Stimmen hörte ja nicht einmal der Dorfdruide. Und auf einmal hörte mein Bruder Stimmen, die sonst niemand hörte. Ich sagte: „Hört sich immer noch nach dem Berg an. Versuch zu schlafen!“ Dann legten wir uns erschöpft hin und schliefen nach dem anstrengenden Marsch sofort ein.

* * *

Am nächsten Morgen wachte ich auf und konnte mich nicht bewegen. Panisch versuchte ich mich zu befreien und weckte mit meinem Geschrei Oskar. Als ich an mir hinunterblickte, entdeckte ich rostige Ketten, die in meine Handgelenke schnitten. Wir beide konnten uns nicht erklären, wer uns gefesselt hatte. Endlich sagte Oskar, dass er ja noch sein Messer habe. Er bekam eine Hand frei und schnitt uns aus den Ketten.

Dann kletterten wir an der Talwand nach oben. Da wir nun ausgeruht waren, ging es relativ leicht. In der Ferne sahen wir den Berg. Nach einigen beschwerlichen Stunden Fußmarsch erreichten wir den Fuß des Massivs.

Das würde ein langer, gefährlicher Aufstieg werden...

Ich dachte an meine letzte unfreiwillige Rutschpartie. Konzentriert begannen wir den Berg zu erklimmen. Wir fanden kaum Halt, doch wir kamen langsam voran. Oben angelangt, legten wir uns erst einmal hin und ruhten uns aus.

Doch was war das? Vor uns stand ein kleines Wesen!

Oskar flüsterte: „Das Blut von dem Wesen ist das Heilmittel.“ Keine Ahnung, woher er das auf einmal wusste, vielleicht hatten es ihm auch seine merkwürdigen Stimmen zugeflüstert.

Da sprach das Wesen: „Ich habe genau gehört, was ihr gesagt habt. Doch wozu braucht ihr mein Blut ?“