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Ich koche, also bin ich

Rudi Obauer

Ich koche, also bin ich

Aufgezeichnet von Klaus Kamolz

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr.

© 2017 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Umschlaggestaltung: www.b3K-design.de,

ISBN 978-3-7110-0116-0

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Inhalt

Kapitel 1
Erkenne die Manipulation!

Kapitel 2
Wirf den Stress weg!

Erstes Intermezzo
Was du in der Küche brauchst

Kapitel 3
Genieße den wahren Luxus!

Kapitel 4
Lerne das Einfache lieben!

Zweites Intermezzo
Die Gäste kommen

Kapitel 5
Koche im Einklang mit Natur und Jahreszeit!

Danksagung

Kapitel 1

Erkenne die Manipulation!

Freiheit, das ist ein großes Wort, vielleicht sogar eines der wichtigsten in der Geschichte unserer Art namens Homo sapiens. Ob wir über sie verfügen, anders gesagt: ob wir sie leben können, bestimmt unsere Existenz, seit wir sozusagen von den Bäumen herabgestiegen sind und die Option des aufrechten Ganges gewählt haben. Er hat uns beweglicher gemacht, uns die Möglichkeit eröffnet, tierischer Beute nachzustellen, den Ressourcen über lange Strecken zu folgen, Gefahren zu entkommen, neue Lebensräume zu erschließen und letztendlich den gesamten Planeten zu erobern. Die alten Germanen haben einen freien Menschen als frī-halsa definiert, als jemanden, dem sein Hals gehört. Aber schon damit wurde auch unterschieden zwischen Menschen, die über dieses Privileg verfügten, und solchen, die es nicht hatten.

Über Jahrtausende hat das Verlangen nach Freiheit die Menschheitsgeschichte gelenkt: politisch, ökonomisch, religiös, existenziell. Es war seit der Antike ein harter Kampf, der Leibeigenschaft zu entrinnen, in der der weit größere Teil der Menschheit gefangen war, den Gott anzubeten, an den man glaubte, wenn man es denn tat, und sich eine eigene, freie Existenz in Gestalt von Grund und Boden zu erwerben, die das Überleben sicherte.

Niemand wird mir widersprechen, wenn ich behaupte, dass sich die meisten von uns in der sogenannten »freien Welt« heute frei fühlen, zumindest in dem Sinn, in dem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte den Begriff der Freiheit beschreibt. Auf dem Papier läuft das so ab: Wir dürfen uns versammeln, Partnerschaften eingehen, mit wem wir wollen, oder Eigentum erwerben; wir haben Anspruch auf Rechtsschutz, soziale Sicherheit und Zugehörigkeit zu einem Staat. Und vor allem haben wir die Freiheit, darüber zu entscheiden, welche Personen unser Gemeinwohl verwalten und gestalten, sprich: Wir können zur Wahl schreiten.

Ich musste das vorausschicken, denn ich hege ernsthafte Zweifel an der Vollkommenheit unserer vielbeschworenen Freiheit. Natürlich wird in den meisten Fällen nicht mehr autoritär daran gerüttelt, sondern ganz subtil. Wir fühlen uns frei, weil uns vorgegaukelt wird, dass wir frei sind in unseren Entscheidungen und dass wir die Wahl haben, das zu tun, zu erwerben oder sein zu lassen, wonach uns gerade ist. Aber kennen wir wirklich alle unsere Optionen? Nein, mit Sicherheit nicht. Höhere Mächte sortieren sie für uns vor.

Das klingt hochtrabend. Welche höheren Mächte? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, aber ich will es versuchen. Es ist für mich eine schwer durchschaubare Mischung aus konkreten und abstrakten Phänomenen und aus Prozessen, die uns nach den Vorstellungen anderer formen, weil wir eben formbar sind. Im Prinzip geht es um die Industrie mit ihrem Sturmtrupp, der Werbung, die sich eine menschliche Neigung zunutze macht: nämlich die, sich wie Wasser zu verhalten, das sich seit Milliarden Jahren den leichtesten Weg bahnt. Wir glauben zu fließen, wohin wir wollen, aber in Wahrheit lenken hübsch anzusehende Gesteinsformationen unseren Fluss. Und auch den Fluss unseres Geldes und unserer Zeit.

Ich bin Koch. Ich könnte das auch anders formulieren: Ich beschäftige mich damit, das herzustellen, ohne das wir nicht leben können. Und ich habe ein Verständnis von meinem Beruf, das nicht jenseits des Topfrandes endet. Deshalb glaube ich, dass wir über den Zugang zu unserer Ernährung unsere bedrohte Freiheit bewahren und sogar mehren können. Auch wenn es pathetisch klingt, aber Kochen, Essen und Trinken ist unser Leben, weshalb es naheliegt, dass wir über diesen Weg auch gesamtheitlich unsere Mitte finden können. Kreisen wir rastlos und frustriert um diese Mitte, greifen wir häufig zu Formulierungen, die einen Mangel an kulinarischem Genuss beschreiben: Uns vergeht der Appetit, wir werden ungenießbar, fressen unsere Sorgen in uns hinein und haben schließlich alles satt. All das passiert, wenn unsere Selbstbestimmung eingeschränkt ist. Aber das wissen wir oft nicht einmal, es umschleicht uns bloß ein ungutes Gefühl, ganz so, als fühlten wir uns beobachtet, und wenn wir uns umdrehen, ist da vermeintlich gar nichts.

Zurücklehnen, entspannen, nachdenken. Da ist sehr wohl etwas, das uns insgeheim lenkt. Wir können es erkennen und der Manipulation ein Schnippchen schlagen. Unternehmen wir doch ein paar erste, einfache Schritte auf dem Weg zu größerer Freiheit.

Hier muss ich einen kleinen Einschub machen: Da ich aus den Bergen komme, wo immer noch mein Lebensmittelpunkt liegt, erlaube ich mir eine Gepflogenheit, die sich heute häufig nicht mehr geziemt. Ich erlaube mir, liebe Leserin und lieber Leser, das Du-Wort. Ganz so, wie wenn ich meine Lieferanten, die uns mit wunderbaren Lebensmitteln versorgen, besuche und auf einen Plausch verweile, wie auf einer Berghütte, wenn zwei ins Gespräch kommen.

Eine erste kleine Fingerübung: Wie trinkst du, wenn ich fragen darf, deinen Kaffee? Nimmst du zu Hause zwischendurch einen schnellen Schluck, wenn du dich für den Tag fertig machst? Stellst du dich an einem Schalter an, um einen Kunststoffbecher zu holen, mit dem du dich ins Auto setzt oder durch die Straßen eilst?

Wenn wir uns die Frage bewusst stellen, werden wir entdecken, dass das nicht selten der Fall ist. Das Widersprüchliche daran ist, dass wir gleichzeitig andere Kulturen für ihren entspannten Umgang mit der kleinen Dosis Koffein bewundern. Auch ich liebe Italien, und einer der vielen Gründe dafür liegt genau darin: Ich sehe dort weit weniger Menschen, die keine Zeit für eine Tasse Kaffee im Verweilen haben. Stattdessen sehe ich Menschen, die eine Bar betreten, oft über viele Jahre dieselbe, dort vom Barista mit Namen begrüßt werden (»Buon giorno, Giovanni, come stai?«), der einen heißen, herrlich duftenden Espresso durch die Brühgruppe schickt und ihn auf die Theke stellt. An der Theke kostet der Kaffee viel weniger als bei Tisch, weshalb man dort fast immer jemanden trifft, der auf ein kurzes Gespräch einsteigt.

Jetzt frage ich: Beginnt so der Tag nicht ganz anders als mit einem wortlosen Balanceakt mit einem Becher durch die Menschenmengen? Der Zeitaufwand für diese genussvolle Art sich zu sammeln beträgt ungefähr zehn Minuten, in denen du ein interessantes oder unterhaltsames Gespräch geführt, vielleicht auch Neuigkeiten erfahren, kurzum: dich als kommunizierendes Individuum wahrgenommen hast. Frei ist nur das Individuum, nie die Masse.

Erinnern wir uns nun an diese diffusen höheren Mächte, die ich vorher schon erwähnt habe, diese Gottheit Markt, die unser Wesen kennt und es sich zunutze macht. 1957 ist in den USA ein erstaunlich aufklärerisches Buch erschienen, das die Strategie unserer Manipulation eindringlich beschrieben hat: Die geheimen Verführer von Vance Packard. Der Autor hat darin die damals gängigen, gefinkelten Methoden ausgeplaudert, mit denen uns die Werbung manipuliert oder sogar, wie manche meinen, auf moderne Art versklavt; und Sklaventum – auch wenn wir es gar nicht zu spüren glauben – ist nun einmal das Gegenteil von Freiheit. Packard schreibt: »Wir verfügen jedoch über eine starke Verteidigungswaffe gegen derartige Verführer: Es steht uns frei, uns nicht verführen zu lassen. Wir haben diese Wahl in praktisch allen Situationen, und man kann uns nicht ernstlich manipulieren, wenn wir wissen, was gespielt wird.«

60 Jahre später müssen wir feststellen, dass Packards Optimismus verfehlt war. Im Gegensatz zu gebrannten Kindern, denen wir eine hohe Lernfähigkeit attestieren, greifen wir seither wieder und wieder auf die heiße Herdplatte. Der Schmerz ist zwar nicht klinischer Natur, aber er macht uns unfrei, fremdbestimmt.