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Klaus Schamberger

Mein Franken-Buch

 

Geschichten und Gedichte

 

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (1. Auflage Oktober 2016)

 

© 2016 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Umschlaggestaltung: ars vivendi, unter Verwendung eines Motivs von Toni Burghart (© Toni Burghart Erben)

Typografie und Ausstattung: ars vivendi

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-711-7

 

Inhalt

 

Vorwort

Mein Franken

Wie wir reden, denken und vergessen

Essen & Trinken

Menschen

Im Lauf der Zeit

Nürnberg und Umgebung

Die stade Zeit

Mei Weld in am Gedichd

Textnachweis

Der Autor

 

 

Vorwort

 

Ein Vorwort ist eine schwerwiegende Sache, die man sich ohne Weiteres auch klemmen kann, weil es sowieso keiner liest. Meistens verpflichtet man für die in der Regel kosten­lose Herstellung von so einer Präambel einen möglichst namhaften Kollegen, der – aus von ihm selber in keiner Weise nachvollziehbaren Gründen – eines Nachts, von sieben Stück Freibier in die Enge getrieben, sagt respektive mumpfelt: »Also, gut.« Auf derart erzwungene Vorworte lauert der Empfänger etwa ein bis zwei Jahre. Wer die Pegnitz kennt: In dieser Zeitspanne läuft in unserem womöglich schönstem fränkischen Flüsschen verhältnismäßig viel Wasser nunter über Mosenberg, Ranna nach Neuhaus und weiter durch Velden, Güntersthal, Lungsdorf, Rupprechtstegen, Artelshofen, Vorra, Alfalter, Eschenbach, ­Hohenstadt, Hersbruck, Reichenschwand, Lauf, Laufamholz, Wöhrder Stausee, Nürnberg, Fürth und dann ab in die Nordsee. Das Wasser tut sich beim Hinablaufen ziemlich leicht, im Gegensatz zum Verfasser eines Vorworts beim Schreiben desselben. So ist es verständlich, dass ich niemanden gefunden hab, der was unglaublich Schönes, Geschmeidiges und Majestätisches über mich hinschreibt. Unter anderem hab ich auch deswegen niemanden mit dem Hang zum Lobpreisen gefunden, weil ich niemanden gesucht hab. Und warum jetzt, nach diesem zwangsläufig eigenköpfig erdachten Vorwort, noch an die 280 Seiten Text über Mein Franken kommen, hat zwei Gründe: Erstens ist Franken meine Heimat, die ich – herkunftsmäßig möglichst bunt – sehr mag, und zweitens hat mich Herr Norbert Treuheit vom ars vivendi verlag buchstäblich (und leider ohne die oben erwähnten sieben Seidlein Bier) unter Druck gesetzt, Geschichten aller Art aus den letzten Jahrzehnten bei ihm möglichst zeitnah abzuliefern. Durchgängiges Thema: Bfobfern, Brozzln, Gaafern, Mumbfln, Soddern. So, jetzt ist das Vorwort gar, und Sie können mit dem Lesen langsam anfangen. Eine gute Nacht, Ihr

Klaus Schamberger

 

Mein Franken

 

Franken

Wenn abends einige kaum ersichtliche Mittelgebirge auf der Wetterkarte auftauchen, meist ohne Starkregen, ohne Monsun, Tornado, ohne Schnee oder Hagel oder Erdrutsch, mit kaum einem Steinschlag, ohne Schroffheiten und Katastrophen – dann sind wir gemeint. Die südliche Rhön, ein Trumm vom Spessart, Fichtelgebirge, Frankenwald, Haßberge, Fränkischer Jura, Fränkische Schweiz, Steigerwald, Wichsenstein, Glatzenstein, Hohenstein, Hesselberg, Moritzberg, Hasenbuck, namenlose Maulwurfhügel und so weiter. Die fränkischen Erhebungen: alle Auslaufmodelle. Die fränkischen Täler fast so hoch wie die Höhen. Und droben auf den Höhen und drunten in den Tälern leben wir. Die sogenannten Franken. Mit uns Franken ist es herkunftsmäßig kompliziert bis dorthinaus. Höchstwahrscheinlich stammen wir der Reihe nach vom Urknall, vom Geißeltierchen, vom Affen und anschließend von Adam und Eva ab, mentalitätsmäßig aber entschieden von Kain und Abel. Eine schöne Zwietracht hammer zum Beispiel zwischen: Fürth und Nürnberg, Aschaffenburg und Würzburg, Hof und Bayreuth, Greding und Thalmässing, Bamberg und Forchheim, Erlangen und Schwabach, Lauf links der Pegnitz und Lauf rechts der Pegnitz, Herzogenaurach und Höchstadt, Fichtelgebirge und Frankenwald, Mainfranken und Bierfranken, Mineralwasserfranken und Schnapsfranken, um nur einmal einige wenige Gegensätze zu nennen.

Aber wieder zurück zum Abstammen. In Berlin halten sie uns für Bayern, in Oberbayern für Unterbayern mit preußischen Wurzeln, beim Sachsenschlächter Karl, dem sogenannten Großen, sind wir als östliche Ostfranken in die Geschichtsabschreibung eingegangen, dabei waren wir damals ein ganz normales, herkömmliches Gschwarddl bestehend aus Böhmen, Slawen und Thüringern. Anschließend haben wir einen fränkischen Reichskreis gebildet, aus welchem später der Napoleon eine Achterbahn zammgschraubt und uns 1806 dem baldigen Königreich Bayern zugeordnet hat. Seitdem heißt es in Altbaiern mit »i«: Man muss Gott für alles danken, selbst für Ober-, Unter- und Mittelfranken.

Dazu gschwind noch die Anmerkung, dass ich schon lang aus dem Alter raus bin, in dem man Bayern, Franken, Schwaben, Oberpfälzer, Indianer, Afrikaner und so weiter jeweils für die besseren Menschen hält. Es geht mir zwar nicht am Arsch, jedoch ganz gewiss am Kopf vorbei, ob jemand aus Dasing, Hiesing oder Dorting ist. Entweder ich mag jemanden oder nicht. Völkische, immer noch im braunen Odel rührende Herrschaften mag ich bis dorthinaus überhaupts nicht.

Volksstammesmäßig gibt es uns gar nicht. Geo­grafisch und aus hoher Höhe auch nicht. Nur wenn man es wagt, der Erde sehr nahe zu kommen, erkennt man uns zunächst als Muggnschiss, dann als ein einigermaßen gleichunterschenkliges Dreieck, Spitze in Richtung München, mit den Eckpunkten Niederpappenheim, Kleinost­heim, Oberkotzau. Bei noch näherer Annäherung sind wir ein Fleckerlasteppich mit ungefähr vier Millionen Einwohnern, vier Millionen verschiedenen Dialekten, vier Millionen eigenen Süppchen. Was uns manchmal eint, ist, dass wir kein hardes »D« und kein hardes »B« wie »Baula« aussprechen können, und beim fränkischen »L« die Zunge aus unserem sonst stets geschlossenen Mund rausschnalzen lassen wie ein durstiges Russla. Ein Russla ist ein nicht ganz reinrassiger Hund.

Man sagt uns Hiesigen nach, dass uns ein großer Erfindungsgeist durchströmt, hier sind der Lachsack und der MP3-Player erfunden worden. Weiterhin durchströmen uns der Main, die Pegnitz, Rednitz, Rezat, schwäbische und fränkische Rezat, Altmühl, Saale, Wiesent, Tauber, Schwarzach, Fischbach und an Weihnachten sehr viele Japaner, welche mit Vorliebe unsere von Zipfelmützen gekrönten Gniedlasköpf fotografieren. In einigen dieser Gniedlasköpf schlummert seit Jahrzehnten der sehnliche Wunsch, dass wir baldmöglichst ein von München befreites, eigenes Bundesland Franken bilden. Also endlich die Rückkehr in die gute alte Zeit der Völkerwanderung.

Eine beträchtliche Untersuchung unseres fränkischen Daseins ohne ein schönes Zitat am Schluss wäre sehr unbeträchtlich. Infolgedessen möchert ich es mit einigen wunderbaren Sätzen beenden, verfasst vom immerwährenden Kaffeehaussitzer und von den Nazis vertriebenen Exil-Nürnberger Hermann Kesten: »Die Fränkische Schweiz war eines der Paradiese meiner Kindheit … Ich setzte mich auf mein Rad und fuhr den ganzen Tag an den Ruinen vorüber, und an den fränkischen Steinzeitbauern, und durch die Städte Forchheim und Erlangen, und als ich endlich müde und staubig nach Hause kam, legte ich mich in mein Bett, und meine Mutter kam zum Gutenachtkuss und sagte: ›Aber mein Kind, du weinst ja …‹«

(1997)

 

Hegel, die Weltseele und der Wurm

Jeder braucht zum Leben jemanden unter sich. Sonst weiß er ja nicht, dass er oben ist. Wenn man in München gar nicht mehr weiterweiß bei der Herstellung des eigenen Wohlbefindens, dann holt man sich seinen Knalldeppen aus Franken. Auch kein Wunder. Die rotweiße Demarkations­fahne ist ausdrücklich kleinkariert, alle fünf Kilometer spricht man einen anderen Dialekt, in Nürnberg hat man die Rostbratwurst heiliggesprochen. Hier ist – davon ist die ganze Welt fest überzeugt – der Quell einer braunen Odelbrüh, der Faschismus, entsprungen, hier läuft das Bier direkt durchs Hirn. Je mehr dicke Bücher über die Großartigkeit fränkischer Würdenträger verfasst werden, desto mehr muss man über die Nordbayern lachen. Wer sich wehrt, hat Dreck am Stecken. Im Jahr 1806 hat alles begonnen. Damals hat sich der Herr Kaiser von seinem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation vorübergehend verabschiedet, der Revolutions-Tribun Napoleon hat die Revolution erneut revolutioniert und das Land neu eingeteilt, und die vollkommen bankrotte Stadtrepublik Nürnberg samt dem auch nicht gerade prosperierenden fränkischen Kreis ist feierlich dem neuen bayerischen König zugefallen. Ein gewisser Georg Wilhelm Friedrich Hegel war damals in Nürnberg Lateinlehrer. Er hat über den eigenäugig gesichteten Napoleon seinerzeit philosophiert: »Ich habe an mir die Weltseele vorbeireiten sehen.« Kurz danach ist infolge verschiedener Verfügungen der Weltseele vom bayerischen König in seiner neuen, abbruchreifen Stadt Nürnberg ein Polizeichef namens Wurm inthronisiert worden. Er hat im Namen der Weltseele und seines Münchner Stadtverwesers alles verscherbelt, was noch einigermaßen zum Rausschrauben, Abreißen, In-die-Luft-Sprengen oder sonst wie zum Pulverisieren gewesen ist. So schnell haben die Patrizier das Ihrige oft gar nicht auf ihre Landsitze wegtragen können bei Nacht und Nebel, dass es der neue Stadtsanierer Wurm nicht erwischt und nach München gebracht hat. Sogar die ganze Stadtmauer hätte den Weg ins gelobte weißblaue Oberland antreten sollen, wenn sie im angenehmen Gegensatz zu Dürer-Bildern, Altären, Goldstücken, Reichskleinodien und anderem leicht liquidierbarem Geraffel nicht so unhandlich gewesen wäre. Aus diesem Jahr 1806 stammt die große Liebe der Franken zum Münchner ­Loden- und Jodel-Regiment. Und jenseits der Donau hat man es sogleich mit überschwänglicher Gegenliebe vergolten. Seitdem kommt die zwischen Isar und Pegnitz hin und her katapultierte Zuneigung nicht mehr zur Ruhe. Mal werfen die Landeshauptstädter den Franken ihre Maulfaulheit vor und die Unfähigkeit, harde Konsonanden zu schbrechen, mal mogierd man sich nördlich der Donau über die Münchner Maßkrug-Mafia, wo die Bärte nicht am Kinn, sondern oben aus dem Trachtenhut rauswachsen. Der Höhepunkt der bayerisch-fränkischen Freundseligkeiten war ungefähr in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Da haben ein paar hirngeröstete Radikalfranken ein eigenes Bundesland gründen wollen, und die gemäßigteren Eigenbrötler beziehungsweise Eigenbrösler haben frei nach Victor von Scheffel das Lied gedichtet: »Oh heiliger Veit von Staffelstein, hilf bitte deinen Franken, und jag die Bayern aus dem Land, wir werden es dir danken. Wir wollen freie Franken sein und keine Rucksack-Bayern. Das wär der Wunsch ganz allgemein, das wollen wir gern feiern.« Inzwischen ist die fränkische Freiheitsbewegung im Dunkel der Geschichte verschwunden. Die Franken haben jetzt auch jemanden, auf den sie herabschauen können, nämlich die Thüringer und Sachsen. Und der König von Bayern, Uli Hoeneß, kämpft in Nürnberg für die Unversehrtheit und den weltweiten Markenschutz der Rostbratwurst.

(2004)

 

Wie wir reden, denken und vergessen

 

Wie es Mostviel einmal nicht zur Weltgeltung geschafft hat oder Die beste Stadtwurst der Welt

Eine schöne Sage hat meistens einen Wahrheitsgehalt ungefähr in der Höhe von zwei bis drei Wahlversprechen. Wesentlich höher als der Wahrheitsgehalt kann in beiden Fällen das Jahresgehalt sein. Beim Wahlversprechen nennt man es »Parteispende«, beim Volksmärchen spricht man zu Recht von einem Sagenschatz. Er beträgt nicht selten Hunderte von Millionen, etwa im Fall der berüchtigten Sagen-Inszenierungen von Bayreuth, Oberammergau, Salzburg, Bregenz oder Furth im Wald und so weiter.

All diese immer wieder gern von namhaften Persönlichkeiten besuchten Singspiele, Blut-Tragödien, Höllenspektakel sind von alten Sagen abgekupfert. Die Sagen ihrerseits sind wesentlich leichteren Urstoffes, nämlich voll aus der Luft gegriffen.

Bei den Zauberwörtern »Luft« und »Millionengewinne« – da verwundert es den Kenner von einschlägigen Mysterienspielen natürlich umso mehr, dass ausgerechnet der Luftkurort Mostviel, die Perle des Trubachtales, nur einen Ratzensprung von Egloffstein entfernt, einmal die große Chance vergeigt hat, Wallfahrtsort für Gottschalke, Ministerpräsidenten, Barone, Bundeskanzlerinnen, Bankbetrüger zu werden. Die Mostvieler haben es zwar probiert, aber es ist in die Hose gegangen.

Weil Folgendes: Wie jeder Historiker weiß, hat rund um Egloffstein zu Zeiten Kaiser Karls, bekannt geworden auch als die »Wandelnde Schlachtplatte«, ein ähnlich furchterregender Vogt sein Unwesen getrieben.

Heutzutage wäre ein Vogt ungefähr die Summe aus Polizeipräsident, Oberstaatsanwalt, Finanzamtsvorsteher, Dreschflegel und Zuhälter, aber es gibt ihn zum Leidwesen vieler Möchtegern-Vogte nicht mehr. Dem Vogt von damals, der im Namen des Egloffsteiner Burgherrn das ius primae noctis bis zum Gehtnichtmehr durchgeführt, Steuern zusammengeprügelt und die Bauern bei Bedarf ungespitzt in den kargen Boden gerammt hat, sind hinter der Hand, sofern sie noch nicht abgehackt war, zahlreiche Attribute großer Zuneigung und Bewunderung verliehen worden. Im Großen und Ganzen hat er zwischen Mostviel, Egloffstein und Hohenschwärz als Schreck­gespenst gegolten, als Riesenarschloch und Rachsau. Folglich hat ihn dann später der Teufel geholt und er geistert seitdem als Oberzombie durchs schöne Trubachtal. Man weiß es deswegen, weil der Vogt seinerzeit bei seinem eigenen Leichenzug aus einem Dachfenster oder von einem Baum runter zugeschaut hat und angesichts des Sarges laut und schauerlich lachen hat müssen. Seitdem heißt der Ort, wo es den untoten Vogt vor Gelächter fast zerrissen hätt, »Vogtswiese«.

 

Und jetzt nach so einem begnadeten Boden- beziehungsweise Sagenschatz, nach einer derartigen Steilvorlage, welche praktisch wie am Spieß nach Festspielen schreit, hätten natürlich irgendwann einmal irgendein Richard Wagner, ein André Riöööh, ein Professor Flimm in Salzburg oder sonst ein Gschäftlasmacher auf den Plan treten müssen. Weil, ein trümmer Arschloch von Vogt, der beim eigenen Begräbnis in der Nähe von Mostviel vom Baum runterlacht – einen besseren Anlass für Festspiele gibt es doch überhaupts nicht! Und was is passiert? Nix! Beziehungsweise fast nix.

Einen einzigen einsamen Rufer in der Trubachtaler Festspielwüste hat es gegeben. Und zwar, das is jetzt echt verbrieft und aktenkundig, den Mostvieler Kuckuck-Schorsch. Es hat sich dabei nicht um den gleichnamigen Nestflüchter gehandelt, sondern um den Wirt vom Gasthaus Schloßblick in Mostviel, Herrn Georg Heid, Künstlername »Kuckuck-Schorsch«. Der ist, vermutlich im Gedenken an den ­Blödmann von Vogt, ungefähr in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts immer am Sonntag kurz nach dem Frühschoppen von Mostviel nach Egloffstein gestiefelt, nauf in die große Linde vor der Kirche geklettert und hat von dort aus den andächtig aus dem Gotteshaus schreitenden Gläubigen »Kuckuck, Kuckuck!« nachgeschrien. So lange, bis die Gläubigen vor lauter »Kuckuck« extrem ungläubige Gesichter gemacht haben und es den Kuckuck-Schorsch vor Lachen fast zerrissen hätte.

Bis heute ist die Wirtsfamilie Heid vom Gasthaus Schloßblick in Mostviel unter älteren Nürnberger Stammgästen immer noch als »Familie Kuckuck« bekannt. Wie der Schorsch seinerzeit in die Jahre und infolgedessen nicht mehr auf seinen Lindenbaum hinauf gekommen ist, waren die Mostvieler Festspiele leider auch schon wieder beendet.

Der Fliegende Holländer von Richard Wagner ist weltberühmt, der »Zwitschernde Schorsch von Mostviel« liegt schon lang am Egloffsteiner Friedhof. Nur sein Rezept für die wahrscheinlich beste Stadtwurst der Welt ist bis heute erhalten. So eine sagenhaft gute Stadtwurst kriegst du nicht in Bayreuth (da kriegst höchstens einen pelzigen Presssack mit Musik vom stundenlangen Sitzen), nicht in Bregenz, Salzburg oder Furth im Wald, sondern nur in Mostviel. Echt wahr.

(2009)

 

Hochteutsch

Was in Zukunft aus uns wird, weiß niemand ganz genau. Wir ahnen es nur vermutungsmäßig – und zwar wandeln wir uns sprachlich unter Umständen zum Reinen, Stimmhaften, Hochdeutschen, Unvolkstümlichen, etwa zum Idiom, wie es mitten in Hannover geflötet wird. Mit herkömmlichem Gwaaf wird für uns Hiesige kein Fortkommen mehr sein. Weil neulich hat hier bei uns die Mundart begonnen, das Zeitliche zu segnen, indem einige Schauspieler im sogenannten Staatstheater anlässlich des Familienweihnachtsdramas Lametta vor der Premiere einen mehrere Monate währenden Unterricht in Fränkisch erhalten haben. Damit sie den Text von Fitzgerald Kusz einigermaßen unfallfrei über die Bühne bringen. Es ist ihnen nicht gelungen.

Dafür aber wird es dem erwähnten Staatstheater gelingen, die gleichermaßen zähen wie erfolglosen Bemühungen der letzten drei Jahrzehnte um eine Art Volksbühne, in die eventuell auch wir des harten »P« und »T«, des stimmhaften »S«, der glasklaren Vokale, der übersinnlichen Gedankenspiele nicht so ganz mächtigen Deppen ganz gern einmal hineinschreiten würden, dem Ende zuzuführen. Heuer im Juni hat man das bekanntlich mäßig erfolglose Stück Schweig, Bub! von Fitzgerald Kusz nach gerade einmal 34 Jahren Spielzeit und 730 Aufführungen endlich den letzten Schnauferer schnaufen lassen. Weil: Dialekt und große Freude im Publikum über denselben ist dem Ansehen einer extrem großen Großstadt, welche um einige Haare beinahe schon Kultur­hauptstadt oder Weltkulturerbe geworden wäre, nicht besonders dienlich. Zumal man hier örtlich orientierten Schauspielern den Dialekt bereits mit der Muttermilch austreibt. Für den Fall, dass sie ihn sich nicht austreiben lassen, schickt man sie nach München, wo sie schon nach kurzer Zeit in eigentümlichen Vorabendserien als maulfaule Franken-Rimbfiecher groß rauskommen. Bei uns kommen sie verhältnismäßig klein raus.

Mimen, die Nürnberger Dialekt können, sind nach Einschätzung der perfekt hannoveranisch artikulierenden Kulturbestimmer ähnliche Doldi und Driefl wie ihr Publikum. Zwar wird man auch im Münchner Kulturministerium nicht müde zu betonen, wie wichtig sich eine Mundart auf das Sprachverständnis auswirkt, Wirkungsstätten dafür sollen aber nicht gefördert werden. Dieses ministerielle Vorgehen nennt man »Schizophrenie« oder im nicht mehr standesgemäßen Dialekt: »Gschbaldner Oorsch«.

Wo käme man denn hin, wenn man einem in Hessen, Oberbayern, Tirol, in der Schweiz, in Belgien, Hamburg, Köln, Berlin, Wien, in der Türkei immer wieder gern gespielten Nürnberger Stückedichter wie Fitzgerald Kusz daheim auch noch ein regelmäßig bespielbares Forum oder gar des Fränkischen mächtige Schauspieler zur Verfügung stellen würde?! Der Prophet im eigenen Städtlein muss wissen, dass er sich seinerzeit leider den Beruf eines Pausenkaschbers h. c. auserkoren hat. Ein weitgehend ehrenamtlicher Nebenerwerbskaschber mit sehr vielen Pausen.

Ähnliche Ehren sind, beiläufig erwähnt, vielen örtlich tätigen Kunstschaffenden ebenfalls zuteilgeworden. Toni Burghart hat man den Kulturpreis der Stadt erst zwanghaft überreicht, wie er knapp zehn Jahre vor seinem Tod mit der Übersiedelung nach Fürth gedroht hat. Michael Mathias Prechtl hat man den Auftrag, den Alten Rathaussaal mit Fresken zu ornamentieren, erst erteilt und dann wieder feierlich entzogen. Herbert Lehnert – heuer erst verstorben und in stiller Andacht schon wieder vergessen. Hans-Walter Gossmann, verstorben und vergessen. Maximilian Kerner, im Mundartmusikerhimmel, auf Erden dem Gedächtnis entschwunden. Herbert Hisel, ad acta. Gäbe es nicht die Peterlesboum Revival Band – Karl Vogt und Willy Händel wären vergessen. Sofie Keeser, die mit fließend Mundart und fließend Hochdeutsch eine inzwischen ausgestorbene Schauspielkunst beherrscht hat, ist ebenfalls würdig der Nachwelt erhalten worden – mit dem Sofie-Keeser-Weg, einem extrem schlaglochhaltigen Schleichweg hinterm Dutzendteich.

Wie andächtig die Erinnerungskulturhauptstadt Nürnberg aber ihrer wahren, schönen, edlen Mundartdichter gedenkt, erschließt sich dem Spaziergänger vollends, wenn er seine Schritte durch die Nordstadt lenkt und dort auf die Pausalastraße stößt. Bei einem Pausala, da dreht es sich um den einzigen großen Dichter Nürnbergs, um Paul Rieß. Er hat kurz nach 1933 unter anderem gedichtet: » … und so mußte auch zur Hegung / für die Hitler’sche Bewegung /Nürnbergs Boden günstig sein. / Streicher sorgte für’s Gedeih’n. / Just in Deutschlands schlimmsten Tagen / sah man kampfesfroh hier tragen/durch die Straßen Hitler-Fahnen / Und die Massen packt ein Ahnen, / Und der Sieg des Glaubens triumphierte, / und ein morsch gewordenes System krepierte! / Nürnberg aber ward für wackres Streiten / ­Reichsparteitagsstadt auf alle Zeiten!« Die Pausalastraße befindet sich nur einen Steinwurf entfernt von Synagoge und jüdischem Gemeindezentrum. Die richtige Gesinnung muss man haben, schöne höchstdeutsche Verse schreiben, dann ist man bei uns kein Depp, sondern ein nie vergessener Würdenträger.

(2010)

 

Fränkischer Frohsinn

Wie jeder einigermaßen ortsansässige Brauchdumms­forscher weiß, bildet der fränkische Fasching eine ziemliche Gaudi, indem er sehr viel Frohsinn, gepaart mit Freude sowie einem hohen Maß an Ausgelassenheit in sich birgt. Nehmen wir nur einmal einen x-beliebigen fränkischen Dahoam-Minister, bei welchem der Frohsinn ja nicht erst am Rosenmontag anhebt, am Faschingsdienstag oder meinetwegen am Freitag in Veitshöchheim, sondern schon wesentlich früher. Meistens Ende August, Anfang September; denn ein zufriedenstellender Frohsinn, eine aufjauchzende, dädäräähafte Ausgelassenheit will Weile haben, nicht zu verwechseln mit Langeweile. Im Rahmen dieser Weile nagt also im Hirn unseres ­Ministers bereits vom Spätsommer an bis hin zur Ausgelassenheit desselben, also des Hirns, die alles entscheidende Frage: »Als wos gäih i’n haier in Veitshöchheim???«

In früheren, weitgehend veitshöchheimlosen Jahren war diese Frage schnell beantwortet: Man ist am Faschingsdienstag als Indianer, Cowboy, Seemann oder als Scheich aus einem sicheren Herkunftskalifat in die Königstraße gegangen, hat im Pillhofer einige Stamberla Jahrgangs-Steinhäger zu sich genommen, anschließend unter Absingen des Endlos-Liedes »Es war einmal ein treuer Husar« sämtliche eventuell am Ladengebäude der nicht mehr existierenden Firma Radio-Pruy flanierende Damen mit einer sogenannten Pritschn abgefotzt, ist dann in die Straßenachterbahn Linie 3 eingestiegen worden und heimgefahren. Der mehrfach erwähnte Frohsinn hat sich als Lachen dargestellt, und zwar als Lachen von Bröggala, in der Regel eine stoßweise, vulkanesk wiederkehrende Gulaschsuppe.

Heute aber schwappen die Wogen des Frohsinns deutlich besser, nachhaltiger über. Um wieder zu unserem Minister zurückzukehren: Also ab August beginnt die Maskenfrage für Veitshöchheim. Wobei sich da bereits das erste frohsinnige, freudvolle, zielorientierte Lächeln auf das Antlitz unseres Politikers zaubert, wenn er drüber sinniert, ob er sich wie seinerzeit als arabischer Pritschnschläger unter’s lustige Faschingsvölkchen mischen und sich anschließend abschieben soll. Nach schlussendlicher Verwerfung der Arabermaske arbeitet der Minister weitere Verkleidungsvorschläge aus: Geh ich nach Veitshöchheim als Bayerischer Landes-Punk, als feuchtfröhliche Alpe-Adria, als Zaunkönig, als Müller-Brot, als Breitbandbeschleuniger, als Kopftuchverbot oder als Sardinaweggla? Vor allem letztere Maske erzeugt wieder ein großes Maß fastnachtsaffiner Erheiterung in ihm, da die Vermummung als Sardinaweggla unter anderem gebietet, dass man ziemlich scharf ist und aus einem seitwärts zwei Bismarckheringsschwänzchen herauslugen.

Jetzt aber nur einmal angenommen, man möchte im späteren Leben einmal bayerischer Ministerpräsident werden – was läge da näher, als sich für einige freudvolle Stunden als Marilyn Monroe oder als Brüsseler Akten-Shrek oder als Mahatma Gandhi oder gar als Edmund Stoiber zu verkleiden. Die Maske Stoiber nimmt sodann Ende November und während der Vorweihnachtszeit langsam Gestalt an, natürlich nicht ohne in unserem Politiker bereits wieder ein an den fränkischen Fasching gemahnendes Schmunzeln aufkommen zu lassen. Dann erste vorbereitende Gespräche mit dem Maskenbildner vom glücklicherweise inzwischen freistaatlichen Obbernhaus, das Einziehen von Erkundigungen, ob auch andere Veitshöchheimer Politik-Auguste als Edmund Stoiber gehen, gottseidank negativer Bescheid des für Verkleidungen aller Art zuständigen Ministerialdirigenten, Bestätigung der Einzigartigkeit des ins Auge gefassten Stoiberkostüms durch den Bundesnachrichtendienst, erste geheime Sondierungsgespräche mit der Ehefrau, ob sie nach Veitshöchheim als Muschi gehen will. Auch diese Gespräche getragen von zufriedenstellender Fröhlichkeit.

Erstes Kichern, mündend in einen von zahlreichen Schluckaufen gezeichneten Lachanfall kommt auf, wie der Maskenbildner vom Obbernhaus Hand anlegt am Minister, da das Einschminken teilweise an ­empfindlichen Stellen erfolgt und infolgedessen kitzelt. Anschließend juckt es viele Stunden lang im Gesicht, oben am Kopf, man wird ca. ein- bis zweitausend Mal abfotografiert, von der Bühne in Veitshöchheim runter g’scheit verarscht, dass es dich vor lauter künstlichem Gelächter nur so durchschüttelt. Am anderen Früh wachst zunächst neben der Muschi, die gar nicht die Muschi ist, auf, ­Bettdecke, Kopfkissen voller Schminke statt voller Gulaschsuppe. Dann transrapidly die Gesichtszüge vom Stoiber abschleifen, Perücke wegätzen, die Einträge des Auftritts in Veitshöchheim auf Fäißbuck, Hasenbuck, Twitter und Google überprüfen, Feststellung der Einschaltquote, drei Aspirin einwerfen, nächster Faschingsball, gleicher Minister. Bei aller Freude der fränkischen Fastnacht – bayerischer Dahoam-Minister möchte ich in diesen Tagen lieber nicht sein.

(2016)

 

Ein Walk durch die Bodschamber Street

Indem gestern 24 Stunden lang worldwide, also vermutlich auch in Nuremberg upon Bengerz, der Tag der Mutter­sprache verhältnismäßig feierlich begangen worden ist, erhebt sich natürlich die Frage: Wann haben Sie zum letzten Mal Ihr Telefon gepimpert? Sollte es schon sehr lang her sein, dann aber nix wie up, up and away bzw. nei und nüber und rüber in die Breite Gasse, denn dort in der ca. 1 Kilometer langen Sprachkulturmeile unseres Heimatstädtleins wird man nicht nur alle paar Schieß lang unserer schönen Muttersprache ansichtig, sondern kann man sich tatsächlich auch sein Telefon pimpern lassen. Kurz vor Querung der Färberstraße kündet uns ein Ladenschild von der wahrlich nicht alltäglichen Dienstleistung für triebhafte Telefone: »Pimp my Phone«.

Doch beginnen wir mit dem Studium heimischer Sprachgewohnheiten am Anfang jener Breiten Gasse, dort, wo sie aus der Pansmith’s-Lane, der Pfannenschmiedsgasse, hervorgeht und wo schon vor Jahrzehnten mit dem Bratwurst Point die Vermutterisierung unserer Sprache eingesetzt hat. Hinter dem Bratwurst Point erhebt sich das filigrane Gebäude des City-Point, viele weitere Pointe wie etwa der Greenpoint schließen sich an. Ein »Point« war früher, wie uns die Muttersprache noch nicht so geläufig gewesen ist, ein Punkt; folgerichtig enden die Ausläufer der Breiten Gasse an ihrem westlichen Ende, kurz vorm majestätisch hingebflaadschdn Shouter (Plärrer), im: Strichpunkt, den Gefilden des Redlightdistricts der Frauentormauer. Eine muttersprachliche Umbenennung in »Puff-Point« befindet sich in Arbeit. Wohingegen die Breite Gasse rein muttersprachlich gesehen nunmehr ihrer Vollendung entgegengeht.

In einem Schobb namens Coffee Fellows fellowen wir in aller Quietness eine Cup of Waterschnalzn, erwerben gleich gegenüber beim Thunderbird ein paar Fetzn for Ladies and Kids, rufen vor lauter Begeisterung über ein Mega Blowout, wie der Winterschlussverkauf scheint’s jetzt auf Motherlanguage heißt, aus: »My dear Mister Singing Club!« (Mein lieber Herr Gesangsverein!) »Hit me on the eye, is that but cheap!« (Hau mi affs Auch, is des obber billich!) Und betreffend das Eye haben wir nur ein paar Häuser weiter bereits einen Schobb, welcher da lautet Eyes & More. Dem Show-Window-Con­structor von Eyes & More ist allerdings ein kleiner Error underwalked, indem er in das Schaufenster lauter Brillen hi­neingeputtet hat, es sich bei Eyes aber selfunderstandably (selbstverständlich) um ehemalige Augen handelt. Beim Angebot von Eyes & More hätte er, der Dekorateur, jedoch Augen aller Art in die Auslage bringen sollen. Hühneraugen, Fettaugen, wachsame Holzaugen etc. Ja, der Muttersprachensprecher hat’s not light.

Wieder zwei Häuser weiter in einem Schobb, welcher Sniper heißt, wird der altsprachliche Mensch von Vorvorgestern perhaps in seinem Brain Castle, in seinem Hirnkästlein, herumkramen und sich remembern, dass es sich bei einem sniper um einen Scharfschützen handelt. Vergeblich sucht er dort allerdings nach Zielfernrohren, Schnellfeuergewehren, Mittelstreckenraketen, Groß- oder Kleinkalibern, Panzerfäustlingen. Vielmehr offeriert ihm der Sniper zahlreiche Multi Label, und zwar Labels aus dem Hause black sneaker, ecko united, asics, cayler & sons oder criminal damage, um nur einmal die wichtigsten Labels zu namen, also zu nennen. Was haben wir noch an muttersprachlichen Hinterlassenschaften in der Breiten Gasse und drumherum? Da kündet uns eine Geschäftsinschrift mit Namen Metalhead, dass ein Kopf heutzutage vollinhaltlich aus Metall besteht, vielleicht Alteisen, später dann einmal Schrott, dort grüßt uns der Footlocker, ein Pimkie, the undisputed king of trainers, eine fashion ’n more, THE MOMENT, RITUALS, enjoy, last minute, SIDESTEP and so farer and so farer, und so weiter und so weiter.

Bei aller Freude über die fast vollkommene Vermutter­sprachisierung der Breiten Gasse muss hier aber leider auch angemerkt werden: Nicht alle Schobbs sind bereit, unsere schöne Sprache zu bewahren. Und so fragen wir in großer Sorge um die Understandibility: Wann endlich heißt das Räucherkammerl in der Breiten Gasse Number 17 auf good German »Smoking Chamber« und der Fielmann »Much Man«? Und noch was: Sollte jemand bei so wunderbaren hiesigen Wörtern wie Footlocker, SIDESTEP, Metalhead, Sniper oder Pimp my Phone nur Railway Station understanden, nur Bahnhof verstehen, mag er sich nicht grämen. Die gestern zelebrierte Mutter­sprache hat schon schlimmere Heimsuchungen ganz gut überstanden. Wie wir aus dem leider so gut wie nicht mehr gebräuchlichen Wort »Bodschamber« wissen. Ein sehr geschmeidig vermuttersprachlichtes Wort, welches seinerzeit aus dem französischen »Pot de chambre« gebildet worden ist und nichts anderes wie »Nachthoofn« oder auch »Brunshäfala« bedeutet. By the way: »Bodschamber Street« wär auch ein ganz gut passender Straßenname für die Breite Gasse.

(2016)