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Werner Plumpe

Ohne Krisen keine Harmonie

Eine kleine Geschichte der Gleichgewichtsstörungen in der Wirtschaft

Im April 1815 brach mit einer gewaltigen Explosion der Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa aus. Binnen weniger Minuten schrumpfte der Berg von 4000 auf 2800 Meter; der sich neu bildende Gipfelkrater hatte einen Durchmesser von bald sechs Kilometern und eine Tiefe von mehr als 1000 Metern. Die Explosion war noch in 1500 Kilometer Entfernung zu hören und zu spüren. Eine gewaltige Aschesäule stieg auf. In der Folge blieben die Sommer in Nordamerika und Westeuropa teilweise aus. In Europa wurde die Abkühlung in einem ohnehin überaus kalten Jahrzehnt noch einmal dramatisch verschärft. Die Ernten 1816 und 1817 fielen gering aus und die Nahrungsmittelpreise stiegen auf ein bis dato unbekanntes Niveau. Alles, was die Mehrzahl der Menschen besaß, musste für den Nahrungserwerb verwendet werden. Die Nachfrage nach gewerblichen Gütern ging zurück, die Arbeitslosigkeit in den Städten stieg an, das Elend wurde allgemein. Der Hunger kehrte in die Häuser der einfachen Menschen zurück. Wirtschaft, Handel, Export kamen zum Erliegen. Erst gute Ernten Anfang der 1820er-Jahre brachten wieder eine durchgreifende Besserung.

Wirtschaftskrisen, interpretiert als mehr oder minder plötzliche Verschlechterungen der materiellen Lebensbedingungen durch eine zurückgehende Wirtschaftsleistung, durch steigende Preise und/oder sinkende Einkommen beziehungsweise wachsende Arbeitslosigkeit, die sich in einer Minderung des materiellen Wohlstandsniveaus niederschlagen, gehören zweifellos zu den ältesten Erfahrungen der Menschheit. Die Reaktionsmuster ähneln sich seit Jahrtausenden: Krisen sind unvorhersehbar, haben etwas Schicksalhaftes. Dann hilft nur demütiges Beten oder kluges Verhalten, etwa nach dem Motto: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Am besten beides!

Kehren diese Krisen aber regelmäßig wieder, kann man sich auf sie einstellen. Dann macht man mit ihnen Erfahrungen, kann ihre Folgen kalkulieren und sich entsprechend vorbereiten. Vor allem kann man über ihre Ursachen nachdenken. Und wenn man ihren Grund zu kennen glaubt, kann man alles Mögliche tun, um sie zu verhindern oder doch entscheidend abzumildern. Der heutigen Welt erscheint diese Allmachtsfantasie geradezu selbstverständlich. Die gegenwärtige Finanz-, Wirtschafts- und die begleitende Staatsschuldenkrise werden daher vorrangig unter dem Gesichtspunkt ihrer Ursachen mit dem Ziel diskutiert, durch eine zukünftige Bekämpfung derartiger Ursachen ihre Wiederkehr zu verhindern.