Inhalt

Der Suppendieb

Das Doppelte vom Ganzen

Wie aus einer anderen Welt

Der verheimlicht uns doch was

Ausgetrickst

Es muss gesägt werden

Familienzusammenführung

Endlich die Wahrheit

Angelockt

Reitet in Frieden

Under Construction

Yes we can!

Valentin reicht’s

Verräter

No, we cannot!

Rothaariges Mädchen

Fürchterliche Furie

Irgendwas stimmt hier nicht

Adeas Wunsch

Die Fantastic Four

In der Fremde

Diplomatie und andere Versuche

Einfach mal deprimiert

Tohuwabohu total

Der Suppendieb

Zwei Angelposen tänzelten auf der Wasserfläche. Tina Martin, die mit ihrer Angel in der Hand am Ufer des gemächlich vor sich hin fließenden Flusses saß, beobachtete gespannt, ob endlich mal ein Fisch anbiss. Die Sonne ließ ihre Haare tiefrot leuchten.

Ihre Freundin Bibi Blocksberg hingegen hatte sich gemütlich zurückgelehnt und machte mit einem Grashalm im Mund ein kleines Nickerchen. Ihre Angel hatte sie kurzerhand zwischen zwei Steine geklemmt.

„Sag mal, Bibi wie willst’n du einen Fisch fangen, wenn du die ganze Zeit pennst?“, fragte Tina sie amüsiert.

Bibi zuckte schläfrig mit den Achseln, während eine Libelle an ihr vorbeischwirrte und über dem Wasser nach Nahrung suchte. Ohne die Augen zu öffnen, murmelte sie: „Man kann die Dinge nicht erzwingen, sie müssen zu einem kommen.“

Das war das richtige Stichwort für Tina: „Alex braucht irgendwie auch ewig mit seinem Kanu.“

Die beiden Freundinnen hatten Ferien, und die verbrachten sie natürlich wie immer größtenteils auf den Rücken ihrer liebsten Pferde Amadeus und Sabrina. Diesmal waren sie länger mit ihnen unterwegs. Ein paar Tage Reitwandern entlang des Flusses. Schlafen im Zelt oder unter offenem Sternenhimmel. Herrlich!

Tinas Freund Alexander von Falkenstein war hingegen mit seinem neuen Kanu unterwegs, das er unbedingt ausprobieren wollte. Heute sollten sie sich eigentlich alle hier am Ufer treffen. Doch Tina gab langsam die Hoffnung auf, dass Alex noch eintreffen würde.

Bibi war das nicht so wichtig. „Wenn nicht heute, dann sehen wir ihn eben morgen.“ Zufrieden seufzend fügte sie an: „Es sind ja Ferien!“

Warum sollte sie sich deswegen auch aufregen. Gerade genoss sie es einfach, im Hier und Jetzt zu sein, ohne Sorgen oder Stress. Feine Lichtstrahlen flimmerten vor ihren geschlossenen Augen, und sie hörte, wie Tina ihre Angel aus dem Wasser zog und leise fluchte. Offenbar hatte sich der Köder vom Haken gelöst. Dann hörte sie ein Klappern in der Angelkiste.

Tina suchte nach einem neuen Köder. Sie war etwas überfordert von der großen Auswahl und murmelte: „Oh … Blinker, Wobbler, Popper … wer soll sich damit auskennen?!“

Da zuckte weiter hinten im Wasser die Pose von Bibis Angel. Schnell zog Tina sie aus dem Wasser. Doch wieder nur ein leerer Haken. Nicht der kleinste Fisch zappelte daran.

„Wir haben doch Suppe!“, meinte Bibi. Sie war durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

Etwas oberhalb des Ufers, wo Amadeus und Sabrina friedlich grasten, köchelte bereits eine Suppe auf einem kleinen Campingkocher. Aber besonders lecker war die nun auch nicht.

Plötzlich knackte es im Unterholz. Da – schon wieder!

Abrupt öffnete Bibi die Augen. Auch Tina blickte alarmiert auf, und die beiden Freundinnen spähten zu den Pferden, die aufgeregt wieherten.

„Da stimmt doch was nicht!“, flüsterte Tina.

Bibi nickte und fügte leise hinzu: „Da ist jemand!“

Sie gaben sich mit Gesten zu verstehen, dass sie von zwei Seiten heraufschleichen würden.

Tatsächlich, da war jemand! Ein zarter Junge, vielleicht etwas jünger als sie, in einer schmuddeligen, alten Hose und mit einer Strickmütze auf dem Kopf. Ihre Pferde stehlen wollte er aber wohl nicht. Er hatte sich den Topf mit der Suppe geschnappt und machte sich damit eilig davon, wobei er sich bemühte, nicht einen Tropfen zu verlieren.

„Halt!“ Mit erhobenen Armen stellte sich Bibi ihm unvermittelt in den Weg.

Der Junge blieb stehen und schaute sich panisch um, als suchte er nach einer Möglichkeit zu fliehen. Doch hinter ihm tauchte nun auch Tina auf und fragte: „Hast du solchen Hunger?“ Bibi fügte beruhigend hinzu: „Das kannst du ruhig essen!“

Der Junge stammelte eingeschüchtert: „Nicht gut verstehen.“

Bibi schaute Tina bedeutsam an. Na, da konnte sie doch was machen … Sie erhob ihre Arme und hexte: „Eene meene kleine Brache, du sprichst jetzt unsre Sprache. Hex-hex!“

Verwundert starrte der Junge sie an. „Ich spreche jetzt Deutsch?“ Nun war er noch erstaunter. Das waren ja wirklich deutsche Wörter, die da aus seinem Mund strömten! „Ich … äh … spreche … richtig Deutsch!“ Ein Strahlen ging über sein Gesicht, und es sprudelte nun richtig aus ihm heraus. „Blaukraut bleibt Blaukraut, und Brautkleid bleibt Brautkleid. Ich habe versucht, Deutsch in der Schule zu lernen! Sooo schwierig!“

Bibi und Tina wechselten einen ungläubigen Blick. So einen merkwürdigen Spruch musste er in der Schule lernen?

Schnell probierte Bibi nun selbst: „Äh … Blaukraut bleibt Brautklau…“ Achselzuckend kam sie zu dem Schluss: „Ich kann’s nicht!“

„Aber du kannst hexen! Echt unglaublich, dieses Deutschland”, sagte der Junge strahlend. Er hatte immer noch den Suppentopf in der Hand.

Tina forderte ihn erneut auf: „Iss ruhig. Wirklich.“

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu ihrem Lagerplatz. Der Junge setzte sich auf den Boden und machte sich hastig über die Suppe her.

Bibi und Tina setzten sich dazu und beobachteten ihn belustigt. Er schien wirklich ziemlich großen Hunger zu haben.

„Sag mal, wo kommst du eigentlich her?“, fragte Bibi.

„Aus Syrien“, antwortete der Junge mit vollem Mund.

„Und dann bist du ganz allein unterwegs?“, wollte Bibi weiter wissen.

Der Junge nickte. „Mhm. Bei uns ist immer noch Krieg … und ich …“

Er stockte und schien nicht weiter darüber reden zu wollen. Das verstanden und respektierten die beiden Mädchen. In Syrien herrschte seit Jahren Krieg. Millionen Menschen waren deswegen auf der Flucht und auf der Suche nach einer neuen, sicheren Heimat.

„Hey, schon gut. Du hast bestimmt viel durchgemacht. Wenn du willst, dann können wir dich ein Stück mitnehmen“, schlug Bibi mitfühlend vor.

Das sah Tina genauso und ergänzte: „Ja klar! In Falkenstein kann man dir bestimmt weiterhelfen. Wie heißt du denn eigentlich?“

„Ich … ich bin …“ Der Junge stockte erneut. Sein Blick fiel auf die kleine Petroleumlampe, die Bibi und Tina neben ihren Pferden stehen hatten. „Aladin! Und wer seid ihr?“

„Wer wir sind?“ Die beiden Mädchen lächelten sich verschwörerisch an und begannen zu singen. Untermalt von einem kleinen Tanz, auch um Aladin ein bisschen aufzumuntern.

„Wir sind Bibi und Tina,

auf Amadeus und Sabrina,

wir jagen im Wind,

wir reiten geschwind,

weil wir Freunde sind!“

Das funktionierte bestens. Aladin fragte amüsiert: „Seid ihr immer so gut drauf?“

Bibi und Tina grinsten. „Klar!“

Das stimmte ja auch. Meistens ging es ihnen gut. Es gab nur wenig, was sie aus der Bahn werfen konnte. Was bestimmt auch daran lag, dass sie so gute Freundinnen und immer für einander da waren. Und dass sie sich um andere kümmerten, die Hilfe benötigten, war genauso selbstverständlich.

Das Doppelte vom Ganzen

Graf Falko von Falkenstein, dem Vater von Alex, ging es nicht immer so gut. Ihn konnte so manches aufregen. Zum Beispiel die Renovierungsarbeiten an seinem Schloss, die gerade durchgeführt wurden. Er hatte sie natürlich selbst veranlasst. Doch niemand hatte ihn vorgewarnt, dass das alles mit so einem großen Aufwand verbunden sein würde. Die Fassade war bereits komplett eingerüstet, und die ersten Arbeiten hatten begonnen. In der Nähe des Tors stand ein silberner Baucontainer, in dem alle Vorbereitungen dafür getroffen wurden.

Nervös stand der Graf nun mit seinem Butler Dagobert auf dem Rasen vor dem Schloss und umhüllte die Zypressen mit braunen Leinenstoffen.

„Mir graut schon vor dem ganzen Schmutz und Staub!“, seufzte er, als er den Stoff mit Stricken befestigen wollte. Dagobert, der ihm bei der Arbeit zur Hand ging, nickte mitfühlend.

Da kam plötzlich ein solariumgebräunter Mann mit blondem Haar, das der Wind zum Fliegen brachte, aus dem Baucontainer. Es sah aus, als trage er ein Toupet. Unter dem Arm trug er eine große Papierrolle. Es war der Architekt und Bauleiter Dirk Trumpf. Eilig lief er auf den Grafen und seinen Butler zu und rief schon von Weitem: „Ah! Graf Falko! Ich habe mir erlaubt, die Schlossmauern abzulaufen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das alles zusammenbricht! Wir haben hier überall Schwamm!“

Graf Falko starrte ihn entsetzt an. Schwamm – das bedeutete höchste Gefahr für das Schloss. „Schwamm“ ist nämlich der Name für einen Pilz, dessen feine Auswüchse Mauerwerk und Putz durchwachsen konnten. Und in dem etwas düsteren, feuchten Klima auf Schloss Falkenstein fühlte sich so ein „Mauerschwamm“, wie man den Pilz auch nannte, besonders wohl.

Graf Falko schauderte. „Aber eigentlich sollte doch nur die Fassade saniert werden!“

Flugs rollte Dirk Trumpf seinen Bauplan aus und schaute Graf Falko warnend an: „Was nicht reicht, reicht nicht! Ich habe da etwas für Sie ausgearbeitet. Man kann nicht genug Geld in seine eigene Sicherheit investieren. Da haben Ihre Urenkel noch was davon!“

Er drückte Dagobert die eine Ecke seines Plans in die Hand, Falko die andere. „Halten Sie mal!“

So allerdings konnten weder der Graf noch der Butler viel erkennen. Falko benötigte ein bisschen Zeit, bis er begriff, was der Architekt eigentlich vorhatte.

„Die Mauer wird höher sein als das gesamte Schloss?“, fragte er verwirrt nach. Auch Dagobert schien dieses Vorhaben äußerst merkwürdig zu finden.

Dirk Trumpf legte seinen Arm um Falkos Schulter. „Jeder hat das Recht, sich zu schützen!“ Diese Zutraulichkeit war Graf Falko etwas unangenehm, und er deutete missbilligend auf ein weiteres Detail: „Und hier soll Stacheldraht hin?!“ Aber Trumpf zeigte sich unbeirrbar: „Wenn Sie jetzt nicht eingreifen, wann dann, Graf Falko?“

Falko versuchte nun eilig das Kleingedruckte, das neben den geplanten Baumaßnahmen stand, zu entziffern. „Das Ganze nennt sich Trumpf-Wall?“

Dirk Trumpf erwiderte mit dramatischer Geste: „Ja! Niemand baut Mauern besser als ich – glauben Sie mir!“

Verwirrt schaute Graf Falko von dem Plan auf. „Darf ich fragen, wie viel das alles kostet?“

„Das Doppelte vom Ganzen!“, antwortete Trumpf ohne einen Anflug von Scham.

Graf Falko stotterte: „Was?“

Schon fiel ihm der Architekt ins Wort. „Ja! Aber Sie können mir auch erst die Hälfte vom Doppelten anzahlen.“

Graf Falko war nun vollends durcheinander. „Wie bitte?“ Hilfesuchend wandte er sich an seinen Butler.

„Die Hälfte von dem, was es sowieso schon kostet“, versuchte ihm Dagobert zu erklären, der offensichtlich auch etwas verwirrt war.

Es war auf jeden Fall sehr viel, das begriffen sie beide.

Graf Falko entgegnete verzweifelt: „Aber … so viel habe ich gar nicht flüssig! Der Wald … die Bäume … das Holz … Es muss ja alles erst geschnitten werden!“ Denn nur geschnittenes Holz konnte er zu Geld machen.

Dirk Trumpf grinste gierig. „Dann schneiden Sie, schneiden Sie, schneiden Sie!“

Der Architekt nahm den beiden den Plan aus den Händen und eilte davon.

Graf Falko schaute ihm verstört hinterher. „Er … also … Dagobert?“

Sein Butler zuckte mit den Achseln. Er wusste offenbar auch nicht so richtig, was er von alldem halten sollte.

Wie aus einer anderen Welt

Bibi und Tina hatten eilig alles wieder in Amadeus’ und Sabrinas Satteltaschen geräumt und waren nun zum Aufbruch bereit. Aladin sollte bei Tina mitreiten, die bereits im Sattel saß und ihm die Hand reichte. Gekonnt half sie Aladin hinauf. Dann schnalzte sie mit der Zunge und gab ihrem Pferd das Kommando: „Hü, Amadeus!“

Voller Freude ritten Bibi und Tina los und durchquerten die idyllische Flusslandschaft. So ein Ritt im Freien war doch immer noch das Allerschönste!

Auch Aladin schien es zu gefallen, allerdings erlaubte er sich die Anmerkung: „In Syrien reiten nur wir Männer!“

Bibi quittierte prompt: „Macho-Alarm?!“ Doch Tina lenkte ein: „Ja, aber hier reiten auch wir Frauen! Also, Aladin, gut festhalten!“

Weit kamen sie nicht, denn plötzlich stellten sich ihnen zwei Männer in den Weg. Verdutzt bemerkte Tina, wie sich Aladin schnell hinter ihrem Rücken versteckte.

Der eine Mann war ein naiv wirkender Lockenkopf und trug eine zerknautschte Kappe. Der andere hatte leicht schütteres Haar und ein eitles Grinsen im Gesicht. Obwohl beide noch recht jung waren, trugen sie altmodische, zerschlissene Kleidung und schienen aus einer anderen Welt zu stammen.

Auf jeden Fall kamen sie aus einem anderen Land. Denn der Typ mit dem eitlen Grinsen rief nun mit einem starken Akzent: „Hallo! Halt mal! Ich hab eine Frage!“ Mit einem Mal stutzte er. Er versuchte zu erkennen, wer hinter Tina saß.

Aladin flüsterte erschrocken: „Nicht stehen bleiben! Los weiter!“

Zu Bibis und Tinas Überraschung trieb er Amadeus an, der einen Satz machte. Etwas überrumpelt preschten die Mädchen nun tatsächlich weiter.

Wütend fluchend liefen die beiden Männer zu einem alten Mercedes, auf dessen Rückbank ein älterer, bärtiger Griesgram saß. Sein Name war Addi. Er kam aus Albanien und war der Vater von dem naiven Luan und dem eitlen Ardonis, die nun eilig zu ihm ins Auto stiegen und sich auf die Vordersitze setzten. Wütend knurrte Addi: „Nixnutze!”, und schlug seine Söhne mit einer alten Fliegenklatsche, um sie anzutreiben.

Luan versuchte, sich zu verteidigen. „Aber Papa, die sind einfach weiter. Was sollten wir tun?!“

„Nicht mehr solche Nixnutze sein! Ihr wollt meine Söhne sein? Mein Fleisch und Blut? Ha!“ Verächtlich patschte Addi erneut mit der Fliegenklatsche um sich. Er schien wirklich nicht viel von seinen Söhnen zu halten.

Ardonis auf dem Beifahrersitz richtete sich mit einem Blick in den Rückspiegel die pomadigen Haare. „Keine Sorge, Papa, wir kriegen sie noch. Ganz sicher!“