Chronik der Sternenkrieger: Drei Abenteuer #8

Alfred Bekker

Published by BEKKERpublishing, 2015.

Inhaltsverzeichnis

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Chronik der Sternenkrieger: Drei Abenteuer #8

Copyright

Band 20: Vergeltung

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Band 21: Ins Herz des Feindes

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Band 22: Sklavenschiff

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Übersicht über die Serie “Chronik der Sternenkrieger”

Chronik der Sternenkrieger: Drei Abenteuer #8

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 331 Taschenbuchseiten.

Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.

In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...

Dieses Buch enthält folgende drei Romane:

Chronik der Sternenkrieger  20: Vergeltung

Chronik der Sternenkrieger  21: Ins Herz des Feindes

Chronik der Sternenkrieger  22: Sklavenschiff

Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch, Cover: Steve Mayer

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Band 20: Vergeltung

Taralon-System, Trans-Alpha.

Der Herr stand vor dem großem Panoramaschirm auf der Brücke seiner Raumyacht. Der vollkommen haarlose Kopf erinnerte an einen Totenschädel. Am Halsansatz trat eine der Ganglien hervor, mit deren Hilfe der Etnord den menschlichen Körper beherrschte, von dem er Besitz ergriffen hatte.

Tausende von Raumschiffen waren auf dem Schirm zu sehen. Insbesondere im Orbit um Taralon III, der Hauptwelt der Neuen Ordnung, gab es eine ungeheure Konzentration von Kampfschiffen unterschiedlichster Bauart. Nach Menschenart geformte Zylinderschiffe waren ebenso dabei wie keilförmige Fulirr-Raumer. So unterschiedlich sie in ihrer Form und der verwendeten Technologie auch sein mochten, so hatten sie alle doch die leuchtende kristalline Außenhaut gemein.

Dann tauchte am linken Rand des Bildausschnitts ein Objekt auf, das alles andere in den Schatten stellte. Ein gewaltiger Kubus, der im Orbit von Taralon III kreiste.

Die Schaltzentrale der Erhabenen.

„Unsere Raumwerften haben ganze Arbeit geleistet“, sagte Commodore Tyler Ronk, einer der Adjutanten des Herrn. „Es ist alles bereit für den Angriff. Nur Ihr Befehl ist noch vonnöten.“

Der Herr wandte ruckartig den bleichen, kahlen Schädel in Ronks Richtung. „Der Befehl ist hiermit erteilt“, sagte er, während seine Hand unwillkürlich jene Stelle unterhalb des Brustbeins berührte, wo das Etnord-Implantat saß.

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„Captain auf der Brücke!“

Commodore Linda Van Thieu, Erster Offizier der LEVIATHAN nahm Haltung an, als Admiral Ned Nainovel die Brücke betrat. Die LEVIATHAN, die erste Einheit der neuen Carrier-Klasse, war das Flaggschiff jener Space Army Corps-Einheiten, die seit einigen Wochen einen Brückenkopf im Raumsektor Trans-Alpha hielten – unglaubliche 50 000 Lichtjahre von der Erde entfernt.

Die Space Army Corps Schiffe operierten in einer Raumkugel mit einem Durchmesser von einer Astronomischen Einheit um die flackernde Wurmloch-Porta. Der Trans-Alpha-Ausgang von Wurmloch Alpha musste zumindest so lange gehalten werden, bis man eine Methode gefunden hatte, das Wurmloch dauerhaft zu schließen. Zurzeit arbeitete man geradezu fieberhaft daran, den im Alpha Picus gelegenen Alpha-Ausgang des Wurmlochs mit Hilfe der verbündeten K’aradan zu verminen. Aber seitdem sich die Etnord im Besitz der fulirr’schen Antimateriewaffen befanden, stand dem Feind ein sehr wirksames Mittel zur Verfügung, Raumminen zu beseitigen. Die Mini Black Holes, die bei den Antimateriedetonationen entstanden, saugten sie einfach über ihren Ereignishorizont und anschließend hatten die Schiffe freie Bahn. Spezialisten der K’aradan und des Geheimdienstes der Humanen Welten experimentierten mit Weiterentwicklungen der bisher verwendeten Minen. Die Wirkung dieser neuen Minengeneration zielte darauf ab, die Antimaterie-Sprengköpfe gar nicht erst zur Detonation kommen zu lassen.

Aber anscheinend war man noch lange nicht so weit, dass man es wagen konnte, den Brückenkopf aufzugeben, denn auf der anderen Seite braute sich nur wenige Lichtjahre entfernt eine Gefahr ungeheuren Ausmaßes zusammen...

Seit längerem beobachtete man, wie sich im Taralon-System eine gigantische Etnord-Armada sammelte. Die dortigen Werften mussten auf Hochtouren arbeiten. Außerdem gab es Anzeichen dafür, dass die Etnord mit Hilfe des gewaltigen Kubus, der im Orbit um Taralon III schwebte, das Wurmloch zu beeinflussen versuchten. Zumindest waren ungewöhnlich starke Schwankungen bei den 5-D-Strahlungsemissionen festgestellt worden. Andererseits wusste man inzwischen, dass von dem geheimnisvollen Kubus 5-D-Signale ausgingen, deren Resonanz unter Umständen Lichtjahre weit geortet werden konnte.

Admiral Ned Nainovel erwiderte den militärischen Gruß seines Ersten Offiziers.

„Irgendwelche besonderen Vorkommnisse, I.O.?“

„Es ist eine verschlüsselte Transmission des Oberkommandos über Relais-Sonde A eingetroffen“, meldete Linda Van Thieu. Ein direkter Funkkontakt mit dem Oberkommando war nicht möglich. Selbst ein Sandström-Funksignal hätte Jahre gebraucht, um die 50 000 Lichtjahre zu überbrücken, die den Raumsektor Trans-Alpha vom Territorium der Humanen Welten trennten. So blieb nur die Möglichkeit, Botschaften über eine Sonde zu transportieren, die regelmäßig das Wurmloch passierte und anschließend mit der Antwort aus dem Alpha-Sektor zurückkehrte.

„Ich werde mir die Transmission in meinem Raum ansehen“, entschied Ned Nainovel. Die Befehle waren vermutlich nicht mit höchster Priorität ausgestattet. Andernfalls wäre Nainovel sofort bei ihrem Eintreffen auf die Brücke geholt und notfalls auch aus dem Schlaf geweckt worden.

„Wochenlang gibt es nichts weiter als ab und zu ein kleines Scharmützel“, mischte sich Commodore Antonio Douglas, seines Zeichens Zweiter Offizier der LEVIATHAN in das Gespräch ein. „Für meinen Geschmack verhalten sich die Etnord verdächtig ruhig, Captain.“

Nainovel zuckte mit den Schultern. Wiederholt waren Schiffe seiner Flottille zu Erkundungsflügen in das Territorium der Etnord aufgebrochen. Insbesondere das, was sich im Taralon-System tat, gab Anlass zu größter Besorgnis.

Immer wieder schickte Nainovel Leichte Kreuzer der Scout-Klasse im Schleichflug an das System heran, um über Veränderungen informiert zu sein. Alles, was es bis jetzt zu registrieren gab, war eine immer noch wachsende Flottenansammlung und das Auftauchen des Kubus...

„Sie haben Recht, II.O.“, nickte Nainovel. „Die Riesenflotte, die sich bei Taralon sammelt, wird uns früher oder später angreifen. Aber die Frage bleibt immer noch, ob sie wirklich den Weg über Wurmloch Alpha nehmen...“

„Über Wurmloch Beta müssten sie sich zumindest den Weg in den Alpha-Sektor nicht erkämpfen!“, stellte Van Thieu fest. „Schließlich liegt dessen Ausgang innerhalb des von ihnen eroberten Territoriums.“

„Warten wir es ab“, murmelte Nainovel. Noch war nicht einmal bekannt, wo sich überhaupt der Trans-Alpha-Ausgang von Wurmloch Beta befand. Es gab einige Punkte im Umkreis von gut hundert Lichtjahren, die nach Ansicht der Wissenschaftler dafür in Frage kamen, aber bislang war es nicht möglich gewesen, das zu verifizieren. Aber wie man die Sache auch dreht und wendet – die Etnord-Armada sammelt sich nicht im relativ nah gelegenen Taralon-System, um anschließend noch ein oder zwei Wochen im Sandström-Raum unterwegs zu sein, bevor sie die Trans-Alpha-Porta des zweiten Wurmlochs erreicht, ging es Nainovel durch den Kopf. Diese Armada hat es auf uns abgesehen... 

Aber der Captain der LEVIATHAN hielt diese Gedanken für sich. Für Spekulationen hatte er jetzt keinen Sinn.

Nainovel wollte gerade seinem Ersten Offizier die Befehlsgewalt übergeben, um die Transmission des Oberkommandos in seinem Raum entgegennehmen zu können, als sich plötzlich Kommunikationsoffizier Commander Vincente Joachimsen zu Wort meldete.

„Admiral, wir bekommen einen Schwung Daten über Sandström-Sonden herein.“

„Da muss sich irgendetwas Gewaltiges im Zwischenraum tun“, kommentierte Commodore Antonio Douglas. Der Zweite Offizier der LEVIATHAN hatte sich die eingehenden Daten auch auf seine Konsole geholt.

Ortungsoffizierin Commander Nour Al-Frangi oblag die Auswertung. Die schlanken Finger der dunkelhaarigen Mittdreißigerin glitten über die Sensorpunkte ihres Touch Screen. Der Bordrechner arbeitete auf Hochtouren.

Nour Al-Frangi musste unwillkürlich schlucken, als das Ergebnis vorlag.

Sie wandte sich zu Nainovel herum. „Admiral, es bewegt sich im Zwischenraum eine gewaltige Masse auf uns zu. Der Rechner ist mit der Detailauswertung noch nicht durch, aber es wurden die typischen Signaturen der Etnord-Schiffe angemessen.“

„Irgendwann musste es ja soweit sein“, murmelte Nainovel. „Liegt schon die Projektion der vermutlichen Austrittspunkte vor, Commander?“

Al-Frangi nickte. „Ja, aber bisher nur mit einer Detailsicherheit von siebzig Prozent. Ich gehe davon aus, dass die Daten im Verlauf der nächsten Viertelstunde noch einigen Korrekturen unterliegen.“ Nour Al-Frangi betätigte eine Schaltung. Auf dem Panoramaschirm der LEVIATHAN, der einen 360° Rundblick ermöglichte und den Eindruck vortäuschte, das man sich auf einer in den Weltraum ragenden Kanzel befand, wurde jetzt ein Teilfenster abgetrennt. Alle Anwesenden blickten zur Seite und sahen, wie sich die scheinbar dreidimensionale, schematisch gehaltene Positionsübersicht aufbaute. Die Raumkugel des Brückenkopfs mit dem Durchmesser von einer Astronomischen Einheit, deren Zentrum die flackernde Wurmloch-Porta war, wurde ebenso markiert, wie die Positionen sämtlicher Space Army Corps-Einheiten, die sich zurzeit unter Admiral Nainovels Kommando befanden. Der Carrier Leviathan befand sich nur etwa dreißigtausend Kilometer von der Porta entfernt auf einer sehr zurückgezogenen Position. Seine Hauptwaffe waren schließlich die dreihundert, von Geschwader Commodore Moss Triffler kommandierten, Jäger. Die anderen Schiffe des Verbandes waren an weiter vorgeschobenen Punkten postiert. Eine Flotte von 15 Schiffen – Kreuzern und Zerstörern sowie ein Dreadnought-Schlachtschiff – bildeten dagegen einen Cordon in einem Abstand von nur 20 000 Kilometern von der LEVIATHAN. Im Angriffsfall waren die Schiffe des Cordons jederzeit in der Lage, rechtzeitig an einem nahe dem Carrier gelegenen Austrittsort zu sein, um Attacken, die direkt auf die LEVIATHAN zielten, abzufangen.

Neben den Positionen der Space Army Corps Schiffe waren auch die voraussichtlichen Austrittspunkte der Etnord-Raumer durch giftgrüne Punkte markiert.

An verschiedenen Positionen gab es Konzentrationen solcher Markierungen.

„Wann ist mit dem Austritt der ersten Feindeinheiten aus dem Sandström-Raum zu rechnen?“, fragte Nainovel.

„In zwei Stunden dürften die ersten Etnord-Raumer uns erreicht haben“, gab Nour Al-Frangi Auskunft.

„Geben Sie die Daten alle Einheiten weiter“, befahl Admiral Nainovel.

„Jawohl, Sir.“

Nainovel nahm im Sessel des Captains Platz. Sein Griff ging zu der dazugehörigen Konsole. Mit einem Knopfdruck stellte er eine Verbindung zu Geschwader Commodore Moss Triffler her, unter dessen Befehl das Jagdgeschwader der LEVIATHAN stand.

Die Schlacht um Alpha Picus war durch das Eingreifen der LEVIATHAN entschieden worden und ohne ihren Einsatz wäre es wohl auch nicht möglich gewesen, auf der Trans-Alpha-Seite des Wurmlochs einen Brückenkopf zu errichten und zu halten. Bei diesen Kämpfen hatte das Jagdgeschwader natürlich starke Verluste hinnehmen müssen. In den letzten, verhältnismäßig friedlichen Wochen hatte man alles getan, um die Lücken wieder aufzufüllen. Während auf dem im Erdorbit gelegenen Spacedock 13 bereits ein zweites Schiff der Carrier-Klasse vor kurzem fertig gestellt worden war, lief natürlich auch die Produktion der schnellen Jäger auf Hochtouren. Die Zahl der Maschinen, die gegenwärtig auf der LEVIATHAN stationiert waren, betrug genau 298 Maschinen, womit die Verluste so gut wie ausgeglichen waren.

Sehr viel schwerer als die Produktion der Jäger, die im Prinzip einem fliegenden Gauss-Geschütz mit Pilotenkabine und Mesonenantrieb glichen, war die Ausbildung frischer Piloten. Noch gab es genug Personal, um die Verluste einigermaßen kompensieren zu können, aber wenn die Kämpfe mit den Etnord wieder an Heftigkeit zunahmen und der Krieg in eine neue Phase trat, dann war absehbar, wann das Space Army Corps in diesem Punkt an seine Grenzen stieß.

Schon jetzt hatte man die entsprechenden Ausbildungsgänge auf der Space Army Corps Akademie auf Ganymed drastisch verkürzt und war vor allem dazu übergangen, möglichst erfahrene Piloten aus der Privatwirtschaft oder den lokalen Verteidigungsstreitkräften der einzelnen Mitgliedswelten für den Dienst im Space Army Corps anzuwerben.

Trifflers Gesicht erschien auf dem Schirm.

„Wir werden in Kürze angegriffen, Commodore“, sagte Nainovel. „Eine gigantische Flotte von Etnord-Raumern befindet sich im Sandström-Anflug auf den Brückenkopf. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Geschwader so schnell wie möglich gefechtsbereit ist.“

„Das ist innerhalb weniger Minuten der Fall, Sir!“, versicherte Moss Triffler.

„Die Positionsübersicht der voraussichtlichen Eintrittspunkte müsste von Ihrem Rechnerterminal aus bereits zugänglich sein. Wir müssen versuchen, so viele der gegnerischen Einheiten wie möglich gleich beim Austritt aus dem Sandström-Raum abzufangen und zu vernichten. Dazu werden wir mit einer koordinierten Aktion von Jägern und Kampfschiffen vorgehen.“

Je länger das Gefecht dauerte, desto mehr würde sich die zahlenmäßige Überlegenheit des Gegners auswirken, wie Nainovel aus bitterer Erfahrung wusste. Es war sehr schwer, die Schlacht noch einmal herumzudrehen und den Brückenkopf zu halten, wenn es die Etnord erst einmal geschafft hatten, sich innerhalb der 1 AE-Zone festzusetzen.

„Sir, haben wir Aussicht auf Verstärkung?“, fragte Triffler. „Schließlich soll doch inzwischen ein zweiter Carrier fertig gestellt worden sein...“

„Ich habe deshalb immer wieder angefragt, Commodore. Leider bin ich auf vollkommen taube Ohren gestoßen. Und was den zweiten Carrier angeht, so hat man damit wohl etwas anderes vor...“

„Zu dumm!“

Nainovel zuckte mit den Schultern. „Die personellen Verluste der vergangenen Monate sind überall zu spüren und sind auch nirgendwo vollständig auszugleichen. Zumindest nicht qualitativ. Es zeigt sich immer mehr, wie nahe uns die Schlacht um Alpha Picus an den Abgrund gebracht hat!“

„Dann werden wir wohl mit dem auskommen müssen, was wir haben“, knurrte Moss Triffler. „Wenigstens mangelt es uns im Moment noch nicht an Jägern...“

„Ich berufe in einer Viertelstunde eine Sitzung des strategischen Stabes in der Offiziersmesse ein. Seien Sie bitte pünktlich.“

„Ja, Sir!“, versicherte Triffler. Zwar war der ehemalige Testpilot des Far Galaxy-Konzerns, der sich nach einer Anklage wegen Geheimnisverrats als Frachterpilot hatte durchschlagen müssen, nun schon seit sechzehn Jahren im Dienst des Space Army Corps, aber seine Umgangsformen waren immer noch sehr unmilitärisch. Seine Auffassung von Pünktlichkeit allerdings mitunter ebenfalls, wie Nainovel in der kurzen Zeit ihrer Zusammenarbeit bereits festgestellt hatte. Dafür hat er andere Qualitäten, dachte der Admiral.

Die Verbindung wurde unterbrochen. Nainovel drehte sich zu Linda Van Thieu herum. „Sie nehmen an der Stabssitzung teil und bereiten alles vor. Das Kommando übernimmt der II. O.“

„Ja, Sir.“

„Commodore Douglas?“, wandte sich Nainovel an seinen Zweiten Offizier, einen Mann mit schlaksiger Gestalt und  wirrem, gelockten Haar. Douglas’ Anblick ließ Nainovel stets bedauern, dass man die Space Army Corps-Frisurvorschriften für Männer im Sinne einer Gleichbehandlung den Vorschriften für Frauen angepasst hatte.

„Captain?“, fragte Douglas und nahm Haltung an.

„Wie schon erwähnt übernehmen Sie das Kommando. Wenn sich irgendetwas tut, dann möchte ich darüber umgehend informiert werden.“

„Ja, Sir.“

Nainovel ging anschließend in den Raum des Captains, der sich – wie bei allen Space Army Corps Schiffen, traditionellerweise direkt neben der Brücke befand. Er durchschritt ein großzügiges Konferenzzimmer, das er für Besprechungen im kleineren Rahmen nutzte. Für alle Offiziere unter den 3000 Mann Besatzung, die an Bord der LEVIATHAN stationiert waren, gab es natürlich bei weitem nicht genug Platz, sodass Konferenzen und Stabsbesprechungen zumeist in der viel größeren Offiziersmesse durchgeführt wurden.

Die Schiebetür schloss sich hinter Nainovel, der mit raschen, entschlossen wirkenden Schritten den Raum durchquerte und schließlich sein eigenes Büro erreichte.

Der Admiral aktivierte über einen mündlichen Befehl, bei dem sein Stimmmuster erkannt wurde, seinen Zugang zum Bordrechner und rief die eingegangene Transmission des Oberkommandos auf.

Das Emblem des Space Army Corps erschien, dazu eine Sicherheitswarnung, die darauf hinwies, dass der Inhalt der aufgerufenen Datei nur besonders autorisierten Personen zugänglich gemacht werden durfte.

Admiral Nainovel seufzte. Computer! Er tippte einen Autorisierungscode ein, ließ sich außerdem noch den Fingerabdruck des rechten Zeigefingers vom Touchscreen ablesen und meldete sich mündlich.

„Hier spricht Admiral Ned Nainovel, Kommandant des Carriers LEVIATHAN im Dienst des Space Army Corps. Autorisierung wurde eingegeben. Ich erwarte jetzt die Freigabe.“

„Freigabe erteilt“, meldete sich eine Kunststimme.

Im nächsten Moment erschien das Gesicht von Admiral Mark Akato, dem Stabschef des Space Army Corps.

„Guten Tag, Admiral Nainovel. Dies ist eine Aufzeichnung.  Ich grüße Sie und hoffe, es geht Ihnen gut. Auf Grund der allgemeinen Knappheit an spacialen Ressourcen, sind wir leider gezwungen, in nächster Zeit mehrere Einheiten aus Ihrem Verband abzuziehen. Wir denken aber, das Sie Ihre wichtige Aufgabe dennoch bewältigen werden.“

„Das darf doch nicht wahr sein“, murmelte Nainovel vor sich hin.

„Ansonsten finden Sie die strategischen Direktiven für die Vorgehensweise in nächster Zeit im Datenstrom dieser Transmission. In Kürze werden einsatzfähige Kapseln mit der Substanz mit dem Codenamen EV-1 angeliefert. Die Grundsätze zur Lagerung und Handhabung sind ebenfalls auf diesem Datenstrom enthalten und unbedingt einzuhalten.“ Akato lächelte matt. „Viel Glück, Ned!“

Akatos Gesicht verschwand.

Nainovel kannte Akato von der Space Force Akademie.

Beide hatten einst zusammen auf dem Zerstörer ROGERS als Lieutenants gedient. 

Akatos Bild verschwand.

„Witzbold“, murmelte Nainovel vor sich hin.

EV-1...

Nainovel wusste natürlich, was sich hinter dieser Codebezeichnung verbarg. Etnord Virus 1. Die ultimative Bio-Waffe, mit deren Hilfe man sich der tödlichen Gefahr durch diese Parasitenspezies vielleicht entledigen konnte.

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„Hier Geschwader Lieutenant Clay Schrader, Jägerstaffel LEVIATHAN 01. Wir sind mit dreißig Maschinen zwanzig Grad achtern“, kam es über den Lautsprecher auf der Brücke des Leichten Kreuzers NEPTUN.

Commander Raphael Wong erhob sich aus seinem Sessel. Eine Bildübertragung aus dem engen Cockpit des Jägerpiloten gab es nicht. Sie war zwar prinzipiell möglich, allerdings war auf den Bildern zumeist außer dem spiegelnden Helmvisier des Piloten nichts zu sehen.

„Verstanden, Lieutenant Schrader“, gab Commander Wong zurück. „Austrittspunkt des Gegners liegt bei den Koordinaten 23-6-45. Austrittszeitpunkt in genau fünf Minuten. Wir beginnen bei Austrittszeitpunkt minus drei Minuten mit dem Beschuss, um sicherzugehen.“

„Da sind wir ja wohl gerade noch rechtzeitig gekommen!“, meinte Lieutenant Schrader. „Aber selbst der Mesonenantrieb lässt uns keine Wunder vollbringen.“

Drei der zylinderförmigen Leichten Kreuzer bildeten eine Formation – die NEPTUN, die ALEXANDER und die TAJ MAHAL. Letztere hatte mit Selma McKeith eine neue Kommandantin, nachdem Commander Rajiv befördert worden war und das Kommando des gerade fertig gestellten Sondereinsatzkreuzers AMSTERDAM bekommen hatte.

Als Dienstältester der drei Kommandanten hatte Raphael Wong das Kommando über den Teilverband.

„Wir wenden die taktische Variante AA-12 an“, gab er an Lieutenant Schrader durch.

„Aye, aye, Sir!“

„Funk!“, wandte sich Wong an Lieutenant Pemmo Nebbson, den Kommunikationsoffizier der NEPTUN. „Geben Sie diese Order an alle Maschinen der Jägerstaffel LEVIATHAN 01 sowie an die TAJ MAHAL und die ALEXANDER durch.“

„Jawohl“, bestätigte Nebbson. 

Die Jäger folgten der taktischen Anweisung. Sie flogen einen Bogen und verteilten sich in Positionen rund um den Austrittspunkt, ließen dabei aber den Schussbereich der  Leichten Kreuzer frei. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein so kleines Objekt auf eine Entfernung von mehr als zwanzigtausend Kilometer durch Friendly Fire der eigenen Gauss-Breitseiten getroffen wurde, war zwar sehr gering, aber nicht ausgeschlossen und so blieb man vorsichtig.

Die Zeit verstrich mit angespanntem Warten.

Schließlich wurde auf allen drei Leichten Kreuzern die Schiffskontrolle an den Waffenoffizier übergeben.

Wenig später erfolgte die Feuerfreigabe durch Commander Wong.

Hundertzwanzig Gauss-Geschütze der drei Space Army Corps Raumer spuckten Abertausende von Geschossen heraus, die auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wurden. Noch feuerten sie ins Nichts.

Nach und nach materialisierten mehrere, von einer kristallinen, fluoreszierenden Schicht überzogene Raumschiffe unterschiedlichster Bauart. Es waren umgerüstete Beuteschiffe der Fulirr darunter, aber auch Nachbauten und Weiterentwicklungen verschiedener Schiffstypen wie das Space Army Corps verwendete. Gemeinsam hatten sie alle, dass sie mit äußerst effektiven Strahlenwaffen ausgerüstet waren, deren Wirksamkeit die qriidischen Traser noch um einiges übertraf.

Am gefürchtetsten aber waren auf Seiten der Humanen Welten nach wie vor die Antimateriesprengköpfe der ehemaligen Fulirr-Schiffe.

Doch jetzt flogen die Etnord-Schiffe mit vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit daher – der normalen Austrittsgeschwindigkeit eines Raumschiffs, das aus dem Sandström-Raum materialisierte.

Die ersten dieser Schiffe zerplatzten bereits und verwandelten sich in kleine Kunstsonnen. Die Gravitationsschirme, mit deren Hilfe sich die Etnord ansonsten sehr wirkungsvoll gegen den Beschuss mit Gauss-Projektilen zu schützen vermochten, konnten offensichtlich während des Sandström-Fluges nicht aktiviert werden. Die Etnord waren gezwungen, sie erst nach dem Austritt hochzufahren, was für viele dieser Einheiten zu spät war. Der Hagel aus Gauss-Geschossen durchlöcherte sie mit zehn  Zentimeter durchmessendenden Schusskanälen.

Die auseinanderplatzenden Wracks beschädigten nachfolgende Etnord-Einheiten zum Teil erheblich.

Auch die Jäger feuerten.

Nur wenigen Etnord-Schiffen gelang es, die Gravitationsschirme rechtzeitig hochzufahren.

Sie rasten förmlich an den drei Leichten Kreuzern vorbei. Zwar gaben sie einige Schüsse mit Strahlengeschützen ab, aber die Wahrscheinlichkeit, dabei etwas zu treffen war bei Geschwindigkeiten oberhalb von 0,35 LG nahezu bei Null.

Sie flogen zwar zunächst direkt in den Geschosshagel der Space Army Corps Schiffe hinein, aber die nun eingeschalteten Gravitationsschirme der Etnord-Raumer ließen diesen Hagelschauer an Gauss-Projektilen einfach abprallen.

Da war die Stunde der Jäger.

Sie hefteten sich an die Spur dieser Einheiten. Die Gravitationsschirme deckten maximal 270 Grad eines Etnord-Schiffs ab, da es ansonsten durch die G-Kräfte seiner eigenen Schirme förmlich zerquetscht worden wäre. Immer dann, wenn ein Etnord-Raumer aus verschiedenen Richtungen beschossen wurde, bestand also die Chance, dass ein Projektil durch den verwundbaren Bereich drang und für die Zerstörung des Schiffs sorgte. Nur in ganz seltenen Fällen, wenn das Gauss-Projektil in einem bestimmten Winkel auf den Schirm traf, konnte es diesen durchdringen. Auch dafür standen bei den Jägern die Chancen besser als bei den Geschützen der größeren Schiffe, da erstere ihre Position sehr genau justieren und vergleichsweise genau zielen konnten.

Dennoch schafften es mit der Zeit immer mehr Etnord-Schiffe, einfach durchzubrechen. Für die Jäger, die sich an die Fersen eines Etnord-Schiffs hefteten, bedeutete die hohe Geschwindigkeit des Gegners eine erhebliche Minderung der Durchschlagskraft für die eigenen Geschosse. Wenn die Etnord-Schiffe nicht gerade schon beim Eintritt so schwere Beschädigungen hatten hinnehmen müssen, dass sie möglichst gleich wieder 0,4 LG zu erreichen versuchten, um in den Zwischenraum zu flüchten, leiteten sie ein Bremsmanöver ein, die sie innerhalb der ersten Stunde nach dem Austritt auf unter 0,35 LG herunterbremsten. Trotzdem waren sie damit immer noch so schnell, dass die relative Auftreffgeschwindigkeit der von den Verfolgern abgeschossenen Projektile manchmal nur noch 0,1 LG betrug. Damit war den Gauss-Geschossen bis zu vier Fünftel Ihrer Durchschlagskraft genommen, was dazu führte, dass manche Treffer sogar von der Außenpanzerung aufgehalten wurden und nur Beulen hinterließen.

Die enorme Beschleunigungsfähigkeit der Mesonentriebwerke, mit denen die Jäger ausgestattet waren, änderte daran zumindest auf den ersten 400 000 Kilometern nur wenig.

Auf jene Etnord-Verbände, die nicht durch Verfolger zerstört werden konnten, warteten weitere Jäger-Staffeln, die zurückgezogen postiert waren.

Geschwader-Commodore Moss Triffler hatte sie weitläufig in der 1 AE-Zone rund um die Wurmloch-Porta verteilt. Für die abbremsenden Etnord-Schiffe waren sie auf Grund ihrer geringen Größe oft erst zu orten, wenn es bereits zu spät war. Bei abgeschaltetem Antrieb war es nahezu unmöglich für den Gegner, eine einzelne Maschine zu erkennen.

Und nach den Abschusszahlen schien das selbst für die hochentwickelte Sensortechnik der Etnord zu gelten, die in der Vergangenheit die technologischen Errungenschaften zahlloser Völker assimiliert und für ihre eigenen Zwecke weiterentwickelt hatten.

„Captain, wir erhalten einen Notruf der DARIUS aus Battlefield Sector 023, Abschnitt 3. Sie sendet auf allen Frequenzen“, meldete Lieutenant Nebbson.

„Lassen Sie sehen!“, verlangte Wong.

„Die Ortung registriert in der Gegend starke Detonationen und ein erhöhtes Strahlungsniveau.“

„Das klingt nicht gerade besonders ermutigend“, murmelte Lieutenant Commander Brian Mayer. Der Erste Offizier der NEPTUN, hatte sich die Ortungsdaten ebenfalls auf seine Konsole geholt.

Waffenoffizierin Celine Al-Malik sorgte unterdessen dafür, dass sich die NEPTUN drehte und die nächste Breitseite in Richtung der immer zahlreicher aus dem Zwischenraum hervortretenden Feindeinheiten ausgerichtet werden konnten.

Pemmo Nebbson sorgte mit ein paar Schaltungen dafür, dass sich die Bildanzeige des Panoramaschirms teilte. In einem Teilfenster war die Transmission von der DARIUS zu sehen.

„An alle Space Army Corps Einheiten! Hier spricht Lieutenant Commander Joskan Gunther, Erster Offizier der DARIUS. Wir haben schwere Treffer erlitten. Die Energieversorgung ist zusammengebrochen, das Notstromaggregat steht kurz vor dem Kollaps. Etwa die Hälfte der Mannschaft ist tot oder schwer verletzt...“ Eine Erschütterung durchlief das Schiff. Schlieren erschienen auf dem Bild. Pixelfehler fraßen sich durch den ins Stocken geratenen Videostream.

Dann brach die Übertragung ab.

„Captain, die DARIUS ist soeben explodiert“, meldete Lieutenant Derek Batista, der Ortungsoffizier der NEPTUN. „Außerdem nähern sich fünf Etnord-Einheiten aus dreißig Grad Backbord mit einer Geschwindigkeit von nur 0,15 LG.“

„Das müssen Einheiten sein, die in Battlefield Sector 023 durchgebrochen sind“, kommentierte Mayer.

„Jedenfalls wird es jetzt gefährlich für uns“, murmelte Wong.

3

An immer mehr Stellen materialisierten jetzt Etnord-Raumer. Hatte man die erste Angriffswelle an dem Abschnitt, in dem die NEPTUN eingesetzt war, noch einigermaßen abwehren können, so brachen jetzt an immer mehr Stellen die Fronten der Verteidiger zusammen. Die Zahl der feindlichen Schiffe war einfach zu groß.

Der Anteil jener Etnord-Schiffe, bei denen es sich um Fulirr-Beuteschiffe oder deren Nachbauten handelte, war gering. Und bislang hatte keines von ihnen Antimateriewaffen eingesetzt, was wohl daran lag, dass es in der gegenwärtigen Lage unvermeidlich gewesen wäre, damit auch Einheiten der eigenen Flotte in Mitleidenschaft zu ziehen.

Die Angriffstaktik der Etnord lief im Augenblick darauf hinaus, die Vorteile ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit zu nutzen. Offenbar stellten ihre Raumwerften im Taralon-System und anderswo alles in den Schatten, was man sich auf den Humanen Welten oder sogar auf Qriidia in dieser Hinsicht vorstellen konnte.

Noch immer feuerten die drei Leichten Kreuzer und die sie begleitenden Jäger aus allen Rohren, aber angesichts der immer größeren Zahl von Raumschiff-Austritten aus dem Zwischenraum wurde es schließlich unmöglich, die Angriffswellen noch abzuwehren. Nur noch ein Bruchteil der eintreffenden Schiffe konnte vernichtet werden, bevor die Gravitationsschirme hochgefahren waren. Immer öfter brachen sie einfach durch und auch die Jäger reichten bei weitem nicht aus, um sie zu vernichten.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann auch die weiter zurückgezogenen Space Army Corps Schiffe es nicht mehr schaffen konnten die Angreifer abzufangen.

„Ihre Taktik ist eindeutig“, stellte Mayer fest. „Sie zielen vor allem auf die LEVIATHAN ab.“

Wong nickte düster. „Die Etnord haben begriffen, dass der Carrier das wichtigste Element unserer Abwehr ist...“

4

Dutzende von Einheiten durchbrachen inzwischen im Nahbereich der NEPTUN die Abwehr der Space Army Corps-Schiffe.

Sie rasten einfach an den Leichten Kreuzern der Scout-Klasse vorbei.

Aber jetzt war inzwischen auch das halbe Dutzend langsamerer Etnord-Schiffe auf Schussweite herangekommen, das in einem benachbarten Sektor materialisiert war.

Strahlenfeuer sorgte für die ersten Treffer.

Die NEPTUN wurde von einer schweren Erschütterung erfasst.

„Schwere Strahlentreffer!“, meldete Mayer. „Plasma-Schirm hält aber stand und ist jetzt noch bei 78 Prozent seiner normalen Stabilität.“ 

Drei solcher Treffer können wir uns leisten, dann sieht es düster aus, dachte Wong.

Celine Al-Malik sorgte dafür, dass das Schiff und damit seine Geschütze neu ausgerichtet wurden.

Die anderen Leichten Kreuzer taten dasselbe.

Noch konnten die Etnord die größere Reichweite und Treffsicherheit ihrer Strahlengeschütze als taktischen Vorteil ausnutzen.

Und das taten sie.

Sie veränderten den Kurs und flogen einen Bogen Richtung Backbord, sodass sie seitlich an den Space Army Corps Schiffen vorbeizogen. Einige Jäger kamen ihnen jedoch gefährlich nahe. Zielgenau feuerten sie durch die Lücken der Gravitationsschirme, die zumeist nach vorne ausgerichtet waren, sodass für den Jäger freie Schussbahn bestand, wenn er einen Bogen flog und sich von hinten näherte. Die Gravitationsschirme des Gegners wirkten dabei auch noch als Schutz gegen das Feuer der eigenen Einheiten.

Zwei dieser langsamen Etnord-Schiffe wurden bereits nach kurzer Zeit von den Jägern vernichtet. Lieutenant Clay Schrader persönlich sorgte für einen der beiden Abschüsse.

Unter den Jägern waren die Verluste bislang noch erträglich. Von den 30 Einheiten aus Schraders Staffel waren noch 24 im Einsatz. Fünf waren zerstört worden, ein weiterer vermisst. Möglicherweise geisterte er manövrierunfähig durch das All, sodass der Pilot noch gerettet werden konnte, wenn es irgendwann einmal eine Kampfpause gab.

Aber danach sah es im Augenblick nicht aus.

Die verbliebenen Etnord-Schiffe näherten sich vorsichtig. Eines von ihnen änderte den Kurs und flog einen Frontalangriff auf die Phalanx der drei Leichten Kreuzer. Da sich im Moment keine Jäger in der Nähe befanden, konnte es sich auf den Schutz seiner nach vorn ausgerichteten Gravitationsschirme verlassen. Wie eine feuersprühende Wunderkerze schossen die grünlichen Energiestrahlen aus den Strahlgeschützen hervor. Die ALEXANDER bekam einen schweren Treffer, wenig später auch die die TAJ MAHAL.

„Die TAJ MAHAL meldet Zusammenbruch des Plasma-Schirms!“, rief Pemmo Nebbson.

Im nächsten Moment wurde auch die NEPTUN getroffen.

„Unser Plasma-Schirm hat noch eine Stabilität von 40 Prozent!“, stellte Batista fest.

Eine Interkom-Verbindung zum Captain wurde aktiviert. Das Gesicht von Lieutenant Edna Kwon, der Leitenden Ingenieurin der NEPTUN, erschien auf dem Display von Commander Wongs Konsole.

„Was gibt es, L.I.?“, fragte Wong gereizter, als es ansonsten auch in kritischen Situationen für ihn typisch war.

„Es ist zu Interferenzen durch den Strahlerbeschuss gekommen!“, meldete Lieutenant Kwon. „Die Sandström-Aggregate fallen für mindestens drei Stunden aus und die Ionentriebwerke haben maximal halbe Leistung.“

Wong ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Dass es für die nächsten drei Stunden keine Möglichkeit gab, den Sandström-Antrieb zu aktivieren, war nicht so schlimm. Schließlich brauchte die NEPTUN ohnehin mindestens acht Stunden, um die zum Eintritt in den Sandström-Raum notwendige Geschwindigkeit von 0,4 LG zu erreichen. Aber die reduzierte Leistung der Ionentriebwerke konnte für die Besatzung des Leichten Kreuzers lebensgefährlich werden. Schließlich bedeutete dies eine erhebliche Einschränkung der Manövrierfähigkeit und damit auch der taktischen Optionen.

„Wie schnell bekommen Sie das wieder hin, L.I.?“, fragte Wong.

„Es könnte ein paar Stunden dauern, bis wir auf mehr als 80 Prozent unseres Beschleunigungsvermögens kommen. Ich weiß noch nicht genau, wie schlimm es wirklich ist, aber wenn das Hauptsystem durch die Interferenz zum Absturz gebracht wurde, wird das eine haarige Sache.“

„Wie lange?“, beharrte Wong.

„Mindestens vier Stunden. Und dass ist schon optimistisch geschätzt.“

„Halten Sie mich auf dem Laufenden, L.I.“

„Ja, Captain.“

Die Interkom-Verbindung wurde unterbrochen.

„Ich schätze, wir haben vier schwere Stunden vor uns“, sagte Mayer.

Erneut durchlief die NEPTUN eine Erschütterung.

„Schirmstabilität bei 14 Prozent!“, meldete Batista.

Das heißt, der ist so gut wie weg, ging es Wong durch den Kopf.

„Notruf der TAJ MAHAL!“, rief Nebbson. „Schwerer Hüllenbruch. Plasma-Schirm auf 0 Prozent. Commander McKeith hat die Evakuierung des Schiffes befohlen.“

Augenblicke später versuchte Selma McKeith Kontakt aufzunehmen. Das Gesicht der frisch gebackenen Kommmandantin der TAJ MAHAL erschien für Sekunden auf einem der Nebenbildschirme. Die Züge der dunkelhaarigen Frau von Anfang dreißig waren eine Maske des Schreckens. Sie versuchte etwas zu sagen, aber der Audiostream war bereits abgerissen.

„Kontakt abgebrochen“, stellte Nebbson klar.

Die Außenhülle der TAJ MAHAL war von dem angreifenden Etnord-Schiff auf einer Länge von zwanzig Metern förmlich aufgeschweißt worden. Atemluft, Wasser, Kühlgase und Ausrüstungsteile wurden ins All geschleudert. Dazu auch mindestens zwei Dutzend Besatzungsmitglieder, die sich dem durch den plötzlichen Druckabfall entstehenden Sog nicht mehr hatten entziehen können. Ihre Körper erstarrten zu schockgefrorenen Eisstatuen.

Der menschliche Körper besteht zu siebzig Prozent aus Wasser, erinnerte sich Wong schaudernd.

Jetzt wurden weiterer Explosionen aus dem Inneren der TAJ MAHAL geortet.

Gleichzeitig hatten es zwei Jäger-Piloten geschafft, sich von hinten an das angreifende Schiff heranzumachen.

Es waren die Maschinen von Clay Schrader und Filip van Dekkers.

Der Dauerbeschuss mit Gauss-Projektilen zeigte sehr deutlich, wohin die Gravitationsschirme ausgerichtet waren.

Van Dekkers und Schrader näherten sich bis auf wenige hundert Meter dem Etnord-Schiff. Zielsicher schossen sie durch die Lücke. Die Projektile gingen glatt durch das Schiff  und zogen ihre gefürchteten Schusskanäle. An mehreren Stellen platzte die kristalline Außenschicht ab. Auf der gegenüberliegenden Seite, wo die Projektile wieder austraten, wurden sie durch den Gravitationsschirm eingefangen und abgelenkt. Manche trafen dann erneut – wenn auch mit reduzierter Energie auf die Außenhaut des Etnord-Raumers und dellten sie ein. Innerhalb weniger Augenblicke verwandelten sich sowohl das Etnord-Schiff, als auch die TAJ MAHAL in expandierende Feuerbälle. Ein Beiboot, das die Besatzung unter Commander Selma McKeith gerade ausgeschleust hatte, wurde von dieser Explosion eingeholt und verschlungen.

Unter normalen Umständen dürfte es nicht eine einzige Rettungskapsel geben, deren Insasse überlebt hat, überlegte Wong.

Die Meldungen seines Ortungsoffiziers bestätigten dies wenig später.

„Nebbson! Eine Verbindung zur ALEXANDER!“, befahl Wong.

„Kanal ist frei! Sie können sprechen!“

„Sofortiger Rückzug! Wir können unsere Position hier nicht halten.“

Lieutenant Commander David Kronstein, der Erste Offizier der ALEXANDER meldete sich.

„Wir haben verstanden. Rückzug ist für die ALEXANDER im Moment nicht möglich. Wir haben nach einem Treffer in den Maschinentrakt einen Systemabsturz des Ionentriebwerks vorliegen. O Prozent Beschleunigung.“

Und du beschwerst dich bei deinem L.I. über die 80 Prozent der NEPTUN, überlegte Wong.

„Bis wann werden Sie einen Start mit auf die Reihe bekommen?“, fragte Wong.

„Unser L.I. sagt in zwanzig Minuten frühestens“, erklärte Kronstein.

Wong atmete tief durch.

Zwanzig Minuten. Bis dahin gibt es die ALEXANDER nicht mehr.

5

50 000 Lichtjahre entfernt, an der Grenze zwischen den Humanen Welten und dem ehemaligen Nalhsara der Fulirr...

Bartiondo 2203 war ein interstellares Objekt, das die zehnfache Masse des Jupiters und etwa die fünfzehnfache Ausdehnung des Solaren Gasriesen hatte. Und dennoch war dieses Objekt ein kosmischer Winzling. Es war zu klein gewesen, um eine Sonne zu werden. In seinem Kern war es nie zu einer Fusion gekommen. Seine Masse reichte einfach dazu aus, den nötigen Druck zu erzeugen.

Allerdings strahlte Bartiondo 2203 Wärme ab, die von einem natürlichen Atomreaktor in seinem Inneren gespeist wurde. Enorme Mengen an spaltbarem Material brüteten im planetaren Kern vor sich hin. Die Zehntausende von Kilometern dicke, aus Schwefelverbindungen, Methan, Ammoniak und Wasserstoff bestehende Atmosphäre filterte über neunzig Prozent der radioaktiven Strahlung heraus. Nur ein winziger, aber deutlich messbarer Teil der Gammastrahlung, die im Inneren des vagabundierenden Planeten frei wurde, drang ins All.

Ein paar unregelmäßig geformte Trabanten umkreisten das Objekt. Insgesamt waren es etwa zwei Dutzend Himmelskörper unterschiedlichster Größe und Form, die den Vagabunden umkreisten. Begleiter, die sich Bartiondo 2203 wohl auf seiner langen Wanderschaft eingefangen hatte.

Ob er tatsächlich als fehlgeschlagener Versuch einer Sternengeburt betrachtet werden konnte oder man ihn besser als Riesenplanet verstand, der irgendwann einem der benachbarten Systeme entrissen worden war, würde sich vielleicht nie mit hundertprozentiger Sicherheit klären lassen.

„Austritt aus dem Sandström-Raum erfolgreich abgeschlossen“, stellte Fähnrich Lin Al-Katibi fest. Der junge Offiziersanwärter vertrat Lieutenant John Taranos, den etatmäßigen Rudergänger der STERNENKRIEGER II.

Captain Rena Sunfrost hatte soeben in ihrem Kommandantensessel Platz genommen.

Ihr Blick war auf den Panoramaschirm gerichtet, in dessen Zentrum sich ein braungelber Fleck befand.

Bartiondo 2203 – der Rendezvouspunkt. Sunfrost wandte sich an Lieutenant Wiley Riggs, den Ortungsoffizier. „Irgendwelche Besonderheiten, Mister Riggs?“

„Nein, Ma’am – abgesehen davon, dass ich fünf Zerstörer und mehrere Leichte Kreuzer mit den Signaturen des Space Army Corps orte.“

„Sonst nichts?“, fragte Sunfrost etwas erstaunt.

„Nein, Captain.“

Gott sei Dank, dann sind wir wenigstens nicht die letzten am Rendezvouspunkt, ging es Rena Sunfrost erleichtert durch den Kopf.

Bartiondo 2203 war zum Treffpunkt für eine Flottille auserkoren worden, deren Aufgabe es sein sollte, tief in die von den Etnord eroberten Gebiete des alten Fulirr-Reichs vorzudringen.

Der Anti-Etnord-Virus, den menschliche Wissenschaftler aus dem Seelenmoos der auf Ambrais VII beheimateten Nosronen gewonnen hatten, sollte auf den ehemaligen Welten des Nalhsara freigesetzt werden. Nach einer Virusaussetzung blieb den Etnord noch immer Zeit genug, die betreffende Welt zu verlassen. Aber wenn der – für andere Spezis vollkommen unschädliche – Virus sich nach und nach verbreitet hatte, konnte die betreffende Welt von den Etnord nicht mehr betreten werden. Ein Virus-Kontakt führte unweigerlich zur Trennung des Parasiten von seinem Wirtskörper, ohne den ein Etnord nur für kurze Zeit überlebensfähig war.

Rena Sunfrost war bei dem Gedanken an den Einsatz dieser Waffe nicht besonders wohl. Aber sie sah ein, dass es keine andere Möglichkeit gab, die Etnord in ihrem brutalen Expansionsdrang zu stoppen. Die Menschheit stand am Rand des Abgrunds, auch wenn die Etnord ihr zuletzt eine kurze Verschnaufpause gegönnt hatten. Die Verluste der anderen Seite waren zwar ebenfalls hoch, aber dem Gegner standen unbestreitbar die größeren Ressourcen zur Verfügung. Noch wusste niemand wirklich, wie groß das Einflussgebiet der Etnord in Trans-Alpha überhaupt war und ob es nicht anderswo in der Galaxis noch weitere Zonen gab, in denen sie ihre sogenannte Neue Ordnung etabliert hatten. Schließlich standen ihnen technische Hinterlassenschaften der Alten Götter zur Verfügung, jener hoch entwickelten Spezies, die vor Äonen weitere Gebiete der Galaxis besiedelt haben musste, bevor sie verschwand oder unterging.

„Wir bekommen ID-Signale und Grußbotschaften der bereits am Rendezvouspunkt befindlichen Space Army Corps Einheiten“, meldete Lieutenant Susan Jamalkerim, die Kommunikationsoffizierin der STERNENKRIEGER II.

„Antworteten Sie, Lieutenant.“

„Ja, Captain.“

„Mister Al-Katibi, leiten Sie das Bremsmanöver ein.“

„Bremsmanöver eingeleitet“, bestätigte der junge Fähnrich.

Sunfrost wandte sich an Lieutenant Commander Steven Van Doren, ihren Ersten Offizier. „Ich bin in meinem Raum und werde die Gelegenheit nutzen, Logbucheintragungen nachzuholen. Sie haben in der Zwischenzeit das Kommando, I.O.“

„Jawohl, Captain.“

„Sollte die STAR WARRIOR auftauchen, so möchte ich umgehend informiert werden. Ich würde Commodore Soldo nämlich gerne zu seiner Beförderung zum Admiral gratulieren.“

„Aye, aye, Ma’am.“

6

Geschwader Lieutenant Titus Naderw war der Pilot des einzigen Jägers, über den die STERNENKRIEGER verfügte. Im Moment hatte er eine Freischicht – ebenso wie Taktikoffizier Lieutenant Commander Robert Ukasi, der mit nachdenklichem Gesicht vor einem heißen Syntho-Drink saß.

Bruder Guillermo hantierte am Getränkeautomaten herum und kehrte mit einem braunen Gebräu zurück, das ebenfalls recht heiß zu sein schien. Jedenfalls dampfte es.

„Was trinken Sie denn da?“, fragte Titus Naderw.

„Es nennt sich Kaffee und wurde mir vom Captain empfohlen“, antwortete der Angehörige des Wissenschaftlerordens der Olvanorer. „Um ehrlich zu sein, probiere ich das Gebräu heute zum ersten Mal.“

„Ich kenne ehrlich niemanden außer Captain Sunfrost, der dieses antike Getränk mag“, sagte Ukasi. Er zuckte mit den breiten Schultern. „Es muss eben jeder selbst wissen, womit er sich vergiftet, nicht wahr Bruder Guillermo?“

„Sie haben es mal wieder auf den Punkt gebracht“, gab Guillermo zurück.

Naderw seufzte hörbar.

„Es ist schon eigenartig“, murmelte er und nippte nicht sonderlich interessiert an seinem eigenen Getränk.

„Wovon sprechen Sie?“, hakte Bruder Guillermo nach, was nichts anderes, als ein Gesprächsangebot war. Bruder Guillermo hatte  - wie alle Olvanorer – den Ruf, ein sehr guter Beobachter zu sein und Situationen schnell erfassen zu können. Für Guillermo war es vollkommen klar, dass Naderw irgendetwas auf den Nägeln brannte. „Es ist besser, Sie vertrauen sich mir jetzt an, als wenn wir uns erst im Gefechtseinsatz befinden und alles mehr oder weniger drunter und drüber geht!“

„Als Zweiter Offizier der STERNENKRIEGER möchte ich natürlich ganz energisch bestreiten, dass es an Bord dieses Schiffes irgendwann schon drunter und drüber hergegangen ist“, mischte sich Ukasi ein. „Zumindest muss das dann wohl zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort gewesen sein!“

Aber Bruder Guillermo wusste haargenau, wovon er sprach. „Sie können jederzeit unter vier Augen mit mir sprechen, Lieutenant.“

„Ich kann mir auch einen anderen Platz suchen“, sagte Ukasi.“ Robert Ukasi hob sein Glas, kippte dessen Inhalt hinunter und hatte sich bereits halb erhoben.

„Ich habe nichts dagegen, wenn Sie dabei bleiben, Lieutenant Commander Ukasi“, erklärte Titus Naderw im Brustton der Überzeugung. „Im Gegenteil, ich hoffe, dann auch Ihren Standpunkt zur Sache erfahren zu können.“

„Welche Sache?“, fragte Ukasi.

„Ich meine das Aussetzen des Virus auf den ehemaligen Fulirr-Welten“, gestand Titus Naderw.

„Sie werden sicher bemerkt haben, dass ich der Angelegenheit reserviert gegenüberstehe“, sagte Bruder Guillermo.

Naderw lächelte matt. „Das war unübersehbar.“ 

„Denken Sie etwa, dass sich die Humanen Welten aus irgendwelchen prinzipiellen ethischen Bedenken heraus von den Etnord erobern und in ihre sogenannte Neue Ordnung eingliedern lassen sollen?“, fragte Ukasi. „Das kann nicht Ihr Ernst sein, Bruder Guillermo.“

„Das ist auch nicht meine Position“, erklärte der Olvanorer ruhig.

„Ich denke schon, dass es gerechtfertigt ist, gegen die Etnord durch den Einsatz des Virus vorzugehen“, meinte Naderw. „Jedenfalls habe ich keine Lust, eines dieser Implantate eingesetzt zu bekommen und nur noch die Marionette eines Parasiten zu sein...“ 

„Davon würden Sie ohnehin nicht lange etwas bemerken, Mister Naderw“, mischte sich Ukasi erneut ein, den dieses Thema offenbar ebenfalls sehr zu beschäftigen schien. „Schließlich löst sich die Original-Persönlichkeit von jemandem, dem dein Etnord-Implantat eingesetzt wurde, doch innerhalb weniger Tage vollkommen auf.“

„Aber Biowaffen sind grundsätzlich etwa Scheußliches“, sagte Naderw. „Da sträubt sich bei mir alles und es wäre mir sehr viel lieber gewesen, wir hätten die Etnord im Kampf besiegen können.“

„Im Prinzip stimme ich Ihnen zu“, erwiderte der eigentlich gar nicht angesprochene Ukasi, „aber ich frage mich ob Ihre Skrupel in diesem Fall wirklich angemessen sind. Schließlich bekommen die Etnord die Möglichkeit, die von ihnen eroberten Welten rechtzeitig zu verlassen. Die Menschen von Taralon oder die Fulirr hatten diese Chance nicht! Also kann uns niemand einen Mangel an Humanität vorwerfen!“

„Danke, ich wollte eigentlich die Meinung von Bruder Guillermo erfahren – und nicht die offizielle Verlautbarung der Humanity First Bewegung!“ Titus Naderws Tonfall war jetzt schneidend geworden.

Ukasis Züge verhärteten sich. „Ich bin keineswegs ein Propagandist der Humanity First-Bewegung.“

„Für mich klang das so.“

„Ich finde lediglich einige Positionen, die diese Bewegung einnimmt, sehr bedenkenswert und glaube, dass die Menschheit in Zukunft sehr viel offensiver ihren Platz im Universum suchen und verteidigen muss.“

„Das sagen die Rassisten von Humanity First auch!“

„Ist Überlebenswille für Sie schon Rassismus, Mister Naderw?“ Er atmete tief durch und wandte sich an Bruder Guillermo. „Entschuldigen Sie, aber ich glaube Ihre Meinung war gefragt – nicht meine.“

„Es gibt Situationen, in denen man seinen ethischen Grundsätzen nicht treu bleiben kann, ganz gleich, wie man sich auch entscheidet“, sagte Bruder Guillermo.

Ukasi runzelte die Stirn. Weicht er jetzt aus?, fragte er sich. Ausgerechnet er – ein Olvanorer?

Einige Augenblicke lang sagte niemand in Wort, dann fuhr Bruder Guillermo fort: „Den Einsatz des Anti-Etnord-Virus halte ich so, wie er geplant ist, für vertretbar. Ich sage das nicht gerne, aber wir haben wahrscheinlich keine andere Wahl...“