Dunkle Seiten
VIII

 

Twilight-Line Medien GbR
Obertor 4
D-98634 Wasungen

 

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Mail: dunkle-seiten@twilightline.com

 

1. Auflage, Januar 2017
ISBN 978-3-944315-49-2
eBook-Edition

 

© 2017 Twilight-Line Medien GbR
Alle Rechte vorbehalten.

 

Inhalt

 

 

 

Letzte Stunden

 

Lissy

 

Subterraneus

 

Traumfänger

 

Schöner Ärger

 

Geschenk des Himmels

 

Der Plastikmann

 

Letzte Stunden

 

Thomas Williams

 

Um zu verstehen warum die Polizei von Stefan nichts weiter finden konnte, außer ein paar Klumpen Fleisch, muss man wissen, wie Stefans letzte Stunden ausgesehen haben. Jedoch würde niemand diese Geschichte glauben und so wird das Verschwinden des jungen Mannes auf ewig ein Rätsel bleiben.

Stefan war 27 Jahre alt, als er auf mysteriöse Weise verschwand und in diesen 27 Jahren war ihm nie zuvor etwas Ungewöhnliches an seinem Körper aufgefallen. Sie können sich also seine Überraschung vorstellen, als er bei der morgendlichen Körperpflege im Badezimmer einen Zahn in seinem linken Handgelenk entdeckte. Er bemerkte weder Schmerzen noch irgendeinen anderen Hinweis darauf, dass er gebissen worden war, und bei genauerer Betrachtung stellte Stefan fest, dass dieser Zahn nicht einfach in seiner Haut steckte. Er schien dort gewachsen zu sein. Als gehöre er dorthin.

Stefan wagte es nur vorsichtig ihn zu berühren, aber auch dabei empfand er keine Schmerzen. Die Zahnkrone ragte unter der Haut hervor, der Hals lag unter ihr verborgen. Es sah aus wie ein Backenzahn. Aber wegen der Absurdität des Ganzen dachte Stefan darüber nicht einmal nach, dass es einer sein könnte. Auch wenn er nicht hypochondrisch war, befürchtete er einen Tumor, der aus seinem Körper wuchs.

Den Rest seiner körperlichen Hygiene vergessend, beeilte er sich in seine Kleidung zu schlüpfen, um dann so schnell wie möglich die Wohnung zu verlassen. Eigentlich war er wie gewohnt früh aufgestanden, um sich für die Arbeit fertig zu machen, aber von unterwegs aus rief er seinen Chef an, dass er sich verspäten würde.

Stefan, ein zuverlässiger Angestellter, der so etwas noch nie getan hatte, gerne länger blieb und in seinen fünf Jahren im Betrieb nicht einmal krank gewesen war, wurde das nicht übel genommen.

Mehrere Passanten sahen den aufgeregten jungen Mann an diesem Tag zur Bushaltestelle rennen und später befragte Zeugen sollten aussagen, dass sie das Gefühl gehabt hätten, als wäre jemand hinter ihm her gewesen.

Dabei wollte Stefan nur so schnell wie möglich zum Arzt und die erlösenden Worte hören, dass alles ganz harmlos war. Dass er nichts zu befürchten hatte und dieses zahnähnliche Gebilde nur irgendeine Verhärtung war. Alltag für einen Mediziner, der so etwas schon hunderte Male gesehen hatte.

Doch als er schließlich im Sprechzimmer von Doktor Adler saß, war dieser genauso überrascht wie Stefan.

„Ist das ein Zahn?“, fragte er sogar, woraufhin Stefan aufgeregt nickte. Dabei war ihm vorher gar nicht in den Sinn gekommen, dass es einer sein könnte. Das schien einfach zu verrückt. Jetzt, wo er ihn gemeinsam mit dem Doktor betrachtete, fiel es ihm auf.

„Tut das weh?“, wollte Doktor Adler wissen und berührte den Zahn vorsichtig mit der Fingerspitze.

Stefan verneinte und der Arzt lehnte sich zurück, ohne Stefans Handgelenk loszulassen. Er nahm die Brille ab und begann an ihrem Bügel zu kauen.

Er erklärte Stefan, dass er so etwas noch nicht gesehen hatte. Da der junge Mann seit Kindheitstagen zu ihm kam, kannte Doktor Adler ihn recht gut und so etwas wie ein Zahn im Handgelenk wäre ihm aufgefallen.

Wegen wichtiger Termine konnte er ihn nicht genauer untersuchen, gab ihm aber den frühstmöglichen Termin am nächsten Tag und versprach einen Kollegen hinzuziehen.

Auf Stefans Frage hin, ob er nicht besser ins Krankenhaus gehen sollte, verneinte Doktor Adler. Schließlich hatte sein Patient keine Schmerzen. Sollte ihm nicht wohl sein, konnte er ihn anrufen oder natürlich auch ins Krankenhaus gehen. Doch Doktor Adler glaubte fest daran, dass sie am nächsten Tag wieder zusammensitzen würden, um gemeinsam dem Geheimnis des Zahns auf den Grund zu gehen.

„Sicher nur ein unglücklich geformtes Geschwür“, sagte Doktor Adler, um Stefan zu beruhigen. Seiner Aussage bei der Polizei nach, hatte er nie wirklich daran geglaubt, denn ein solches bestand nicht aus Zahnschmelz. Natürlich hätte er Stefan sofort in ein Krankenhaus überwiesen, wäre ihm bewusst gewesen, was seinem Patienten blühte. Er bereute es zutiefst, würde sich von dieser Schuld jedoch nie lösen können.

Der arme Doktor Adler sollte auch niemals erfahren, dass Stefans Schicksal längst besiegelt gewesen war und ihn kein Arzt der Welt hätte retten können.

Nach dem Arztbesuch ging Stefan zur Arbeit, um die versäumten Stunden nachzuarbeiten.

Es half ihm nicht mehr über den Zahn nachzudenken. Stefan vertiefte sich in die Büroarbeit, bis die Sonne bereits untergegangen war.

Wenn ich sage, dass er nicht mehr an den Zahn dachte, dann stimmt das nicht ganz, denn immer wieder spürte er ein leichtes Stechen in seinem Handgelenk. Er wagte es nur nicht, unter den Ärmel seines Hemds zu sehen und einen Blick darauf zu werfen, was darunter lag. Sogar, als die Schmerzen ihn einmal kurz aufschreien ließen, ging er weiter seiner Arbeit nach.

Zwar hatte Doktor Adler ihm gesagt, er könnte das Krankenhaus aufsuchen, doch Stefans Angst davor, was sie feststellen würden, überwog und so blieb er an seinem Arbeitsplatz, bis er seine Tagesstunden erreicht hatte.

 

Inzwischen war er der letzte im Großraumbüro, weswegen niemand genau sagen konnte, wann er nach Hause gegangen war. Die letzte Aktivität an seinem Computer wurde um zwanzig Uhr festgestellt, als er ein Dokument speicherte, das er am nächsten Tag sicher bearbeitet hätte, wäre er dann nicht schon längst tot gewesen.

Auch über seinen Heimweg ist nur wenig bekannt, da Stefan sich stets ruhig und unauffällig verhielt. Es wird wohl so gewesen sein, dass er nach der Arbeit wie üblich in den Bus stieg, daran kann sich der Fahrer jedenfalls noch erinnern. Er stieg nach zwanzig Minuten Fahrt nur wenige Schritte von dem Wohnhauskomplex entfernt aus, in dem er wohnte und wird geradewegs sein Apartment aufgesucht haben.

Unterwegs wurde er nicht gesehen, doch seine Nachbarin Frau Moers behauptet, seinen Schlüsselbund gehört zu haben, als dieser zu Boden fiel. Genau vor seiner Wohnungstür, die gegenüber von ihrer eigenen lag.

Danach hat er sein Apartment nicht mehr verlassen. Das letzte, was Frau Moers von ihrem sonst so friedlichen und zuvorkommenden Nachbarn mitbekommen hatte, war, dass er mitten in der Nacht begann zu schreien.

Wie es dazu kam sollte wie sein Verschwinden ein Rätsel bleiben, denn wer konnte schon ahnen, dass es nicht nur bei einem Zahn bleiben sollte?

Selbst Doktor Adler zog diese Theorie nie in Betracht und würde noch bis an sein Lebensende an diesen merkwürdigen Vorfall zurückdenken. Er konnte schließlich nicht ahnen, welch grausame Szenen sich noch in Stefans Apartment abgespielt hatten.

In seinen Jahren als Arzt hatte er nie wieder einen ähnlichen Fall erlebt, doch es sollte kaum ein Tag vergehen, an dem er es nicht bedauerte, Stefan nicht geholfen zu haben.

Der arme Doktor Adler sollte im hohen Adler an Herzversagen sterben, ohne jemals zu erfahren, dass er nichts verkehrt gemacht hatte.

Vielleicht wäre alles etwas anders gekommen, hätte Stefan während seiner Arbeit im Büro einen Blick unter den Ärmel seines Hemdes geworfen, anstatt die sich steigernden Schmerzen zu ignorieren.

Gerettet worden wäre er im Krankenhaus nicht, doch die umstehenden Ärzte wären Augenzeugen seines Todes geworden und so bliebe dieser nicht auf ewig ein Mysterium.

Oder vielleicht doch, denn erklären können hätte es sicherlich keiner von ihnen, als sich nicht mehr nur ein einzelner Zahn in Stefans Handgelenk zeigte, sondern gleich zwei ganze Reihen. Mit vier Zähnen unten und sieben oben, waren es deutlich weniger als in einem menschlichen Mund. Auch wirkten sie unterschiedlich groß, doch was Stefan am meisten Angst machte, war, dass sie sich bewegten.

Die kleinen Zähne, hinter der sich eine Art Rachen zu befinden schien, machten kauende Bewegungen. Und sie fraßen, das konnte Stefan daran erkennen, dass er blutete und Schmerzen hatte.

Nun fragen wir uns, warum er zu diesem Zeitpunkt nicht die Wohnung verlassen hat, um Hilfe zu suchen. Ein Geheimnis, das wir wie das Erscheinen der kleinen Zähne wohl niemals vollständig lüften werden, doch wenn Sie mich fragen, blieb es nicht nur bei einem einzelnen Mund am Handgelenk. Das große Fressen an Stefans Körper begann unter anderem auch an seinen Füßen und verwandelte diese innerhalb kürzester Zeit in matschigen Brei. Die Blutspuren in seiner Wohnung weisen darauf hin, dass er sich kriechend über den Boden bewegt haben muss. Stefan hat sehr wohl versucht die Tür zu erreichen. Seinen Schreien zufolge wollte er auch auf sich aufmerksam machen, aber wie wir anhand dieser Geschichte sehen, fürchten sich die Menschen so sehr davor, ihnen könnte selber ein Leid zustoßen, dass sie nicht einmal in der Lage sind den Telefonhörer in die Hand zu nehmen, um Hilfe zu rufen.

Was genau Stefan schrie, kann ich nicht wiedergeben, denn laut den Zeugen in den umliegenden Wohnungen waren es meist nur unartikulierte Schreie. Kein Wunder, wenn man bedenkt, welche Schmerzen er gehabt haben muss, als die vielen kleinen Mäuler seinen Körper von außen nach innen zerfressen haben. Ich spreche deswegen von mehreren, weil es schwer vorstellbar ist, dass ein einziges so viel Schaden in so kurzer Zeit angerichtet haben soll.

Die Aussagen der Zeugen über den Zeitraum der Schreie sind sehr unterschiedlich. Die einen sagen, dass es nur fünf Minuten waren. Die anderen reden von Stunden, was eher unwahrscheinlich ist, denn irgendwann besann sich einer der Nachbarn doch eines besseren und wählte den Notruf. Nach etwa fünfzehn Minuten standen Polizei und Notarzt vor Stefans Wohnungstür.

Natürlich reagierte er nicht auf ihr Klopfen. In der Zeit, bis sie jemand gerufen hatte, musste Stefan sich von seinem Schlafzimmer aus bis zur Wohnungstür geschleppt haben. Unterwegs verlor er Blut und Fleisch. Kleine Klumpen, welche die Mäuler wohl nicht so schnell verschlingen konnten, wie sie wollten und die deswegen zu Boden fielen.

Womöglich ist es besser so, dass die Rettung so spät eintraf. Welch schrecklicher Anblick sich ihnen geboten hätte, wenn sie die Tür etwas früher geöffnet hätten. Ein mit fressenden Mäulern übersäter Körper, der ihnen schreiend einen Arm entgegenstreckte. Blind, da die vielen Zähne bereits sein Gesicht befallen hatten.

Wie müssen seine letzten Sekunden ausgesehen haben? Hat er sich auf dem Boden gewälzt und gegen den Tod gewehrt? Oder war er bereits zu schwach und akzeptierte sein Schicksal, so grausam es auch war?

Hörte er vielleicht sogar noch die Rufe des Feuerwehrmannes, der die Wohnungstür aufbrach? Wären da nicht die Sicherheitsschlösser gewesen, die in Stefans Wohngegend wegen der vielen Einbrüche leider nötig waren, hätte er vielleicht noch sehen können, wie Stefans Körper erschlaffte.

Es ist ein Rätsel, wie er so lange hatte überleben können, vielleicht begannen die Mäuler schneller zu fressen, als sie das Klopfen an der Tür bemerkten und ahnten, dass man sie bei ihrem Mahl stören würde.

Was auch immer in diesen letzten Augenblicken passiert sein mag, die Rettung kam zu spät.

Kaum war die Tür aufgebrochen, rutschte der erste Feuerwehrmann in einer breiigen Masse aus, die einmal Stefan gewesen war. Dadurch gewarnt, wagten es die anderen nicht die Wohnung zu betreten. Der Anblick, der sich ihnen bot, hätte sie ohnehin davon abgehalten.

Eine breite Blutspur, die quer durch die Wohnung führte und viele Klumpen Fleisch, aber kein Mensch, der eben noch deutlich durch die Tür zu hören gewesen war. Dafür eine Unmenge an Zähnen, die vor ihnen auf dem Boden verstreut lag. Kleine wie große, als gehörten sie zu hundert verschiedenen Mündern.

Natürlich konnte Stefan nicht gefunden werden. Die geschlossenen Fenster und die fehlende Leiche konnten einen Sprung in den Tod widerlegen. Erst die Ergebnisse des DNA-Tests sollten endgültig beweisen, dass es sich in der Wohnung um Stefans Blut handelte. Was das Rätselraten um sein Ableben nicht gerade einfacher machte.

Sein Verschwinden beschäftigte noch lange die Menschen in seiner Umgebung. Sogar dann noch, als sich Presse und Behörden bereits anderen Dingen zugewendet hatten.

Gelöst werden sollte dieses Rätsel also nie und auch ich kann Ihnen keine Antworten auf all ihre Fragen geben. Was ich hier niederschreibe sind nur Vermutungen, die ich habe, wie es sich zugetragen haben könnte.

Vielleicht liege ich auch völlig falsch. Jedoch sind die Aussagen der Zeugen authentisch und auch die von Doktor Adler, der später von Stefans Besuch in seiner Praxis erzählen würde.

Und wie sonst sind die vielen Zähne zu erklären, die in der Wohnung gefunden wurden?

Wir werden es wohl nie erfahren.

Somit entlasse ich Sie aus meiner Erzählung und hoffe, dass sie Ihnen keine allzu schlaflosen Nächte bereitet. Sollten sie irgendwann eine Veränderung an Ihrem Körper wahrnehmen, sei es durch einen Zahn oder etwas anderem, das dort, wo es sich befindet, nicht hingehört, wünsche ich Ihnen noch angenehme letzte Stunden

 


Lissy

 

Marc Hartkamp

 

 

Meine kleine Schwester Lissy lebt nicht mehr. Ich versuchte bis zuletzt sie zu retten oder zu heilen, aber schließlich musste ich mir eingestehen, dass es keine Rettung mehr gab und sah schmerzvoll ein, dass es für Lissy besser ist diese Welt zu verlassen.

Ich erinnere ich mich an die schönen Tage, als wir noch zusammen mit unserem Hund Joey durch die weiten Felder hinter unserer Farm zogen, oder uns in den angrenzenden Wäldern herumtrieben, bis irgendwann die Sonne hinter den Bäumen versank. Ja, das waren die unbeschwerten Zeiten. Die Zeiten, als unsere Eltern noch hier auf der Farm lebten. Bis sie irgendwann anfingen sich seltsam zu benehmen. Sie wurden täglich aggressiver und ihre Gesichter begannen sich zusehends zu verändern. Vor allem die Augen meiner ehemaligen Eltern. Diese Augen waren das Schlimmste, glanzlos, lieblos und milchig weiß. Als es richtig schlimm wurde, packte ich meine Schwester an der Hand und wir versteckten uns auf dem Heuboden. Der Hund floh instinktiv in den Wald. Die brüchige Holzleiter, die hinaufführte, trat ich beiseite, damit sie uns nicht nach oben folgen konnten. Dort warteten wir ab und beobachteten unsere Eltern, wie sie nach uns suchten. Sie benahmen sich wie Tiere, knurrten und schrien herum. Spucke lief aus ihren verzerrten Mündern. Ich bin mir sicher, sie wollten uns schlimme Dinge antun. Es kam mir vor, als sahen sie in uns längst nicht mehr ihre geliebten Kinder, sondern Beute, hätten sie uns erwischt. Aber das gelang ihnen zum Glück nicht. Irgendwann verließen sie dann unsere Farm, humpelten hinaus auf die Felder und verschwanden geifernd im Sonnenuntergang. Lissy und ich schauten ihnen noch lange weinend aus der Dachluke des Bodens nach.

 

Einige Wochen vergingen, ohne die Anwesenheit unserer Eltern, bis Lissy begann sich ebenfalls zu verändern. Ihre Augen wurden von Tag zu Tag trüber. Sie schwitzte stark und ihr Körper zuckte heftig. Sie aß und trank auch schließlich nichts mehr. Anfangs versuchte meine Schwester noch, die von mir gebrachte Nahrung zu sich zu nehmen, aber sie brach alles sofort wieder aus, nachdem sie das gekochte Gemüse geschluckt hatte.