Charles Dickens


Dombey und Sohn

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-202-9


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Zweiundsechzigstes Kapitel - Schluß



Eine Flasche, die lang abgeschieden war vom Licht des Tages und eine dichte Hülle von Staub und Spinngeweben auf sich trägt, ist in den Strahl der Sonne gekommen, und der goldene Wein darin verbreitet einen Glanz über den Tisch.

Es ist die letzte Flasche des alten Madeira.

"Ihr habt vollkommen recht, Mr. Gills", sagt Mr. Dombey. "Dies ist ein seltener, ein köstlicher Wein."

Der Kapitän, der gleichfalls von der Partie ist, strahlt von Freude. Eine wahre Entzückensglorie breitet sich um seine glühende Stirn.

"Wir haben uns immer versprochen, Sir", bemerkt Mr. Gills, "Ned und ich, meine ich –"

Mr. Dombey nickt dem Kapitän zu, der in sprachloser Wonne mehr und mehr erglänzt.

"– dass wir sie eines Tages trinken wollen, wenn Walter wohlbehalten nach Haus gekommen sei, obschon wir nie an eine solche Heimat dachten. Wenn Ihr gegen unsere alte Grille nichts einzuwenden habt, so laßt uns dieses erste Glas Walter und seiner Gattin weihen!"

"Walter und seiner Gattin!" sagt Mr. Dombey. "Florence, mein Kind" – und er beugt sich zu ihr hin, sie zu küssen.

"Walter und seiner Gattin!" sagt Mr. Toots.

"Wal'r und seiner Gattin!" ruft der Kapitän. "Hurra!"

Und der Kapitän zeigt große Lust, mit seinem Glas gegen ein anderes anzustoßen, worauf Mr. Dombey bereitwillig das seine hinhält. Die andern folgen. Es klingt so heiter und schön wie Hochzeitglocken.

Anderer begrabener Wein wird älter, wie der alte Madeira seinerzeit tat, und Staub und Spinngewebe häufen sich auf den Flaschen.

Mr. Dombey ist ein weißhaariger Gentleman, dessen Gesicht tiefe Spuren von Sorge und Leiden trägt; aber sie sind die Reste eines Sturms, der für immer vorübergegangen ist und einen klaren Abend zurückließ.

Ehrgeizige Pläne beunruhigen ihn nicht mehr. Seine Tochter und ihr Gatte sind sein einziger Stolz. Er hat ein ruhiges, stilles, gedankenvolles Wesen angenommen und ist stets um seine Tochter. Miss Tox besucht die Familie häufig, ist ihr sehr zugetan und sehr beliebt. Ihre Bewunderung vor dem einst so stattlichen Gönner war von dem Morgen der Erschütterung auf dem Prinzessinnenplatze an platonisch, ohne übrigens auch nur im mindesten nachzulassen.

Aus dem Schiffbruch seines Wohlstandes ist ihm nichts geblieben als eine gewisse jährliche Summe, die ihm, er weiß selbst nicht wie, mit der dringenden Bitte, dass er nicht nachforschen möchte, und mit der Versicherung zukommt, sie sei eine Schuld und ein Akt der Vergütung. Er hat sich mit seinem alten Buchhalter darüber beraten, und dieser ist der Überzeugung, dass sie mit Ehren angenommen werden könne, denn ohne allen Zweifel rühre sie von irgendeinem vergessenen Geschäft aus den Zeiten des alten Hauses her.

Der braunäugige Junggeselle, jetzt nicht mehr ein Junggeselle, ist verheiratet, und zwar mit der Schwester des grauhaarigen Junior. Er besucht bisweilen seinen alten Prinzipal, aber selten. In der früheren Geschichte des grauhaarigen Junior, noch mehr aber in seinem Namen liegt ein Grund, warum er sich von seinem alten Dienstherrn fernhält, und da er bei seiner Schwester und ihrem Gatten wohnt, so teilen sie diese Zurückgezogenheit. Walter kommt bisweilen zu ihnen – auch Florence – und das heitere Haus ertönt dann von tief aufgefaßten, für das Piano und Violoncello eingerichteten Duetten und von den Anstrengungen fröhlicher Hammerschmiede.

Und wie geht es dem hölzernen Midshipman in diesen veränderten Zeiten? Je nun, er hat es noch immer, den rechten Fuß voran, scharf auf die Kutschen abgesehen und benimmt sich dabei eifriger als je, da er von dem Eckenhut an bis zu den Schnallenschuhen hinunter einen frischen Anstrich erhalten hat. Über ihm liest man in goldenen Buchstaben die funkelnden Namen GILLS and CUTTLE.

Außer seinem gewöhnlichen leichten Geschäft tut der Midshipman keinen weiteren Zug. Aber man erzählt sich in einem weiten Kreise um den blauen Regenschirm auf dem Leadenhall-Markt, dass einige von Mr. Gills' alten Kapitalien wunderbar gut einliefen und dass der Instrumentenmacher, statt wie er gemeint hatte, in dieser Beziehung hinter der Zeit zurückzubleiben, ihr in Wahrheit ein wenig vorgeeilt sei und die Erfüllung derselben noch zu erwarten habe. Es geht das Geflüster, Mr. Gills' Geld habe angefangen zu roulieren, und es rolle immer recht hübsch. So viel ist gewiß, dass es, wenn er in seinem kaffeefarbigen Anzug mit dem Chronometer in der Tasche und der Brille auf der Stirn vor der Ladentür steht, nicht den Anschein hat, als breche ihm bei dem Ausbleiben der Kunden das Herz, denn er sieht recht heiter und zufrieden, wenngleich ganz so neblig aus, wie vor alters.

Was seinen Associé betrifft, so trägt sich der Geist des Kapitäns mit der Fiktion eines Geschäftes, die bei ihm mehr verfängt, als jede Wirklichkeit. Der Kapitän ist von der Bedeutsamkeit des Midshipman für den Handel und die Schiffahrt des Landes so überzeugt, dass er's nicht in einem höheren Grade hätte sein können, wenn jedes Schiff, das den Hafen von London verließ, zuvor den Beistand des Midshipman hätte annehmen müssen. Sein Entzücken über seinen Namen auf dem Schild der Firma ist unerschöpflich. Er geht wohl zwanzigmal des Tags über den Weg hinüber, um ihn von der andern Seite der Straße aus anzusehen, und sagt bei solchen Gelegenheiten unabänderlich: "Ed'ard Cuttle, mein Junge, wenn deine Mutter gewußt hätte, dass du je ein Mann der Wissenschaft werden würdest, wie wäre da die gute alte Kreatur nicht an den Mast zurückgeworfen worden!"

Doch da kommt mit ungestümer Eile Mr. Toots auf den Midshipman herunter und stürzt mit glutrotem Gesicht in das kleine Wohnstübchen.

"Kapitän Gills", sagt Mr. Toots, "und Mr. Sols. Ich bin so glücklich, Euch mitteilen zu können, dass Mrs. Toots einen Zuwachs ihrer Familie erhalten hat."

"Das macht ihr Ehre!" ruft der Kapitän.

"Ich wünsche Euch Glück, Mr. Toots!" sagt der alte Sol.

"Danke Euch", kichert Mr. Toots, "ich bin Euch sehr verbunden. Ich wußte, dass Euch diese Kunde freuen würde, und bin deshalb selbst gekommen. Ihr wißt, es geht bei uns vorwärts. Da ist die Florence, die Susanne, und jetzt kommt wieder ein kleiner Fremdling."

"Ein weiblicher Fremdling?" fragt der Kapitän.

"Ja, Kapitän Gills", sagt Mr. Toots, "und ich freue mich darüber. Ich bin der Ansicht, je öfter wir diese außerordentliche Frau wiederholen können, desto besser ist's."

"Halt!" ruft der Kapitän, sich nach der alten Korbflasche ohne Hals wendend – denn es ist Abend und der Midshipman hat seinen gewöhnlichen mäßigen Vorrat von Pfeifen und Gläsern an Bord. "Ich bringe ihr dies, und mögen noch ebenso viele nachfolgen!"

"Danke, Kapitän Gills", sagt der entzückte Mr. Toots. "Ich wiederhole diesen Trinkspruch. Wenn Ihr mir's erlaubt, so will ich eine Pfeife nehmen, da dies unter den Umständen niemandem unangenehm sein kann."

Mr. Toots beginnt zu rauchen und wird in der Offenheit seines Herzens sehr redselig.

"Unter all den merkwürdigen Proben, die die herrliche Frau von ihrem vortrefflichen Verstand abgelegt hat, Kapitän Gills und Mr. Sols", sagt Toots, "ist meiner Ansicht nach keine merkwürdiger, als die Vollkommenheit, womit sie meine Verehrung der Miss Dombey begreift."

Beide Zuhörer stimmen zu.

"Denn Ihr wißt", sagt Mr. Toots, "dass ich meine Gesinnungen gegen Miss Dombey nie geändert habe. Sie sind stets die gleichen. Sie erscheint mir noch immer als derselbe schöne Traum, wie zu der Zeit, ehe ich Walters Bekanntschaft machte. Als Mrs. Toots und ich zum erstenmal zu sprechen anfingen von – mit einem Wort, von der zarten Leidenschaft, wißt Ihr, Kapitän Gills."

"Ja, ja, mein Junge", bemerkt der Kapitän, "die uns alle treibt – seht darüber nach in dem Buch –"

"Ich werde es sicherlich nicht versäumen, Kapitän Gills", sagt Mr. Toots mit großem Ernst. "Als wir zum erstenmal von solchen Dingen zu sprechen begannen, erklärte ich ihr, dass ich das sei, was man eine geknickte Blume nennen kann."

Der Kapitän zollt dieser Redefigur großen Beifall und murmelt, dass keine Blume, die da blühe, der Rose zu vergleichen sei.

"Aber Gott behüte mich", fuhr Mr. Toots fort, "sie kannte den Zustand meiner Gefühle gerade so gut, wie ich selbst. Es gab nichts, was ich ihr sagen konnte. Sie war die einzige Person, die zwischen mich und das schweigende Grab zu treten vermochte, und sie tat es in einer Weise, die mir ewige Bewunderung auflegt. Sie weiß, dass es niemand in der Welt gibt, zu dem ich aufblicken könnte, wie zu Miss Dombey. Sie weiß, dass nichts auf Erden ist, was ich nicht für Miss Dombey tun würde. Sie weiß, dass ich sie als die Schönste und Liebenswürdigste, als einen wahren Engel ihres Geschlechts betrachte. Was sagt sie darüber? Ein neuer Beweis von der Vollkommenheit ihres Verstandes. 'Mein Lieber, du hast recht. Ich denke auch so.'"

"Und ich ebenfalls!" pflichtete der Kapitän bei.

"Ich desgleichen", sagte Sol Gills.

"Ferner", nimmt Mr. Toots wieder auf, nachdem er eine Weile nachdenklichst an seiner Pfeife gesogen und in seinem Gesicht das zufriedenste Nachdenken ausgedrückt hatte, "wie aufmerksam meine Frau ist! Welchen Scharfsinn sie besitzt! Welche Bemerkungen sie macht! Erst gestern Abend, als wir in der Freude ehelichen Glücks beisammen saßen – auf Ehre, dies ist nur ein schwacher Ausdruck, um meine Gefühle in der Gesellschaft meiner Frau anzudeuten – sagte sie, wie merkwürdig es sei, die gegenwärtige Lage unseres Freundes Walter zu betrachten. 'Er ist hier', sagte sie, 'und braucht nach jener ersten langen Reise mit seiner jungen Frau nicht mehr über See zu gehen' – Ihr wißt, dass dies der Fall ist, Mr. Sols."

"Ganz richtig", sagt der alte Instrumentenmacher, seine Hände reibend.

"'Dessen ist er unmittelbar darauf entbunden worden', sagt meine Frau, 'und er hat in demselben Geschäft eine Stelle gefunden, bei welcher ihm viel anvertraut wurde. Er zeigte sich derselben wieder würdig, erstieg mit großer Schnelle die Leiter, ist von jedermann geliebt und wird von seinem Onkel nach Vermögen unterstützt' – ich glaube, dies ist der Fall, Mr. Sols? Meine Frau hat immer recht."

"Nun ja, ja – einige von unseren verlorenen Goldschiffen sind in der Tat wieder angelangt", entgegnet der alte Sol lachend. "Kleine Fahrzeuge, Mr. Toots, aber doch meinem Jungen nützlich."

"Ganz richtig!" sagt Mr. Toots. "Ihr werdet meine Frau nie auf einem unrechten Weg erwischen. 'Er befindet sich jetzt in einer solchen Lage', sagt dieses höchst merkwürdige Weib, 'und was folgt daraus? Was folgt?' bemerkte Mrs. Toots. Jetzt bitte ich acht zu geben, Kapitän Gills und Mr. Sols, wie tief die Auffassung meiner Frau ist. 'Je nun, dass unter Mr. Dombeys Augen ein Grund gelegt wird, auf dem allmählich ein – ein Gebäude' – so lautete das Wort, dessen Mrs. Toots sich bediente", sagt Mr. Toots jubelnd, "'sich erhebt, vielleicht ebenso groß, vielleicht noch größer, als dasjenige, an dessen Spitze er ehemals stand und dessen kleiner Anfang ihm (ein gewöhnlicher, aber sehr schlimmer Fehler, sagt Mrs. Toots) in Vergessenheit geraten war. So', sagte meine Frau, 'wird am Ende von seiner Tochter ein anderer Dombey und Sohn entstehen' – nein 'ausgehen', dies war das Wort, dessen Mrs. Toots sich bediente – 'und im Triumph sich zeigen!'"

Unter dem Beistand der Pfeife, die Mr. Toots recht gern zu oratorischen Zwecken braucht, weil die gewöhnliche Benutzung derselben in ihm ein sehr unbehagliches Gefühl erregt, läßt er der Prophezeiung seiner Frau so großartige Gerechtigkeit widerfahren, dass der Kapitän im Zustande wildester Aufregung seinen Glanzhut wegwirft und ausruft:

"Sol Gills, Mann der Wissenschaft und mein alter Geschäftsteilhaber, was hieß ich Walter am selbigen Abend überholen, als er zum erstenmal auf das Büro ging? War es nicht die Zitation: Kehr um, Whittington, Lord-Mayor von London, und wenn du alt bist, wirst du nie mehr daraus weichen. Waren es nicht diese Worte, Sol Gills?"

"Jawohl, Ned", entgegnet der alte Instrumentenmacher. "Ich erinnere mich ihrer noch gut."

"Dann will ich Euch was sagen", erwidert der Kapitän, sich in seinen Stuhl zurücklehnend und seinen Brustkasten zu einem denkwürdigen Gebrüll ausdehnend. "Ich will die liebliche Peg ganz durchsingen, und ihr beide stimmt ein als Chor!"

Eingegrabener Wein wird älter, wie seinerzeit der alte Madeira tat, und Staub und Spinngewebe häufen sich auf den Flaschen.

Die Herbsttage sind schön, und am Seeufer sieht man oft eine junge Frau und einen weißhaarigen Gentleman. Um sie her tummeln sich zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, und ein alter Hund ist in der Regel ihre Gesellschaft.

Der weißhaarige Gentleman führt den kleinen Knaben, spricht mit ihm, hilft ihm in seinen Spielen und schenkt ihm so viele Aufmerksamkeit, als ob dies die ganze Aufgabe seines Lebens sei. Wenn der Knabe gedankenvoll ist, wird es der weißhaarige Gentleman gleichfalls, und bisweilen, wenn das Kind an seiner Seite sitzt, zu seinem Gesicht aufblickt und Fragen an ihn stellt, ergreift er die kleine Hand, hält sie fest und vergißt zu antworten. Das Kind sagt dann:

"Wie, Großpapa, habe ich wieder so große Ähnlichkeit mit meinem armen kleinen Onkel?"

"Ja, Paul. Aber er war schwächlich, und du bist sehr kräftig."

"O ja, ich bin sehr kräftig."

"Und er lag auf einem kleinen Bett am Meeresufer, und du kannst umherspringen."

Und so gehen wir wieder weiter, denn der weißhaarige Gentleman liebt es, wenn das Kind frei sich umhertummelt, und während sie so zusammengehen, umschwebt sie die Geschichte des Bundes zwischen ihnen und folgt ihnen auf dem Fuße.

Aber niemand als Florence kennt das Übermaß, mit dem der weißhaarige Gentleman das Mädchen liebt. Diese Geschichte wagt sich nie ins Freie. Das Kind selbst wundert sich fast über ein gewisses Heimlichtun, das sich dabei kundgibt. Er bewahrt sie in seinem Herzen und kann es nicht ertragen, wenn eine Wolke auf dem Gesicht des Mädchens liegt. Er kann nicht mit ansehen, wenn sie allein dasitzt, und meint eine Vernachlässigung zu bemerken, wo weit und breit von nichts derart die Rede ist. Er schleicht fort, um sie in ihrem Schlaf zu betrachten, und es tut ihm wohl, wenn sie am Morgen kommt und ihn weckt. Am liebevollsten und zärtlichsten ist er gegen sie, wenn sie allein sind. Die Kleine fragt dann bisweilen:

"Lieber Großpapa, warum weint Ihr, wenn Ihr mich küßt?"

Er antwortet nur: "Kleine Florence!" und streicht die Locken zurück, die ihre ernsten Augen beschatten.


Ende.

 

 

Inhalt



Erstes Kapitel - Dombey und Sohn

Zweites Kapitel - In welchem zeitige Vorsorge für einen Fall getroffen wird, der bisweilen in den geordnetsten Familien vorkommt

Drittes Kapitel - In welchem sich Mr. Dombey als Mann und Vater an der Spitze seines Hauswesens zeigt

Viertes Kapitel - In dem einige weitere erste Anzeichen in Betreff des Schauplatzes dieser Abenteuer auftreten

Fünftes Kapitel - Pauls Gedeihen und Taufe

Sechstes Kapitel - Pauls zweite Verwaisung

Siebentes Kapitel - Vogelperspektive von Miss Tors Wohnung und ihre Liebhabereien

Achtes Kapitel - Pauls weitere Fortschritte – sein Gedeihen und sein Charakter

Neuntes Kapitel - In welchem den hölzernen Midshipman Angelegenheiten treffen

Zehntes Kapitel - Enthält die Folgen, die das Unglück des Midshipman nach sich zieht

Elftes Kapitel - Paul betritt einen neuen Schauplatz

Zwölftes Kapitel - Pauls Erziehung

Dreizehntes Kapitel - Mr. Dombeys Büro

Vierzehntes Kapitel - Paul wird immer altmodischer und geht nach Hause in die Ferien

Fünfzehntes Kapitel - Erstaunliche Verschmitztheit des Kapitän Cuttle und ein neues Geschäft für Walter Gay

Sechzehntes Kapitel - Was die Wellen immer sagten

Siebzehntes Kapitel - Kapitän Cuttle macht ein kleines Geschäft für die jungen Leute

Achtzehntes Kapitel - Vater und Tochter

Neunzehntes Kapitel - Walters Abreise

Zwanzigstes Kapitel - Mr. Dombey macht eine Reise

Einundzwanzigstes Kapitel - Neue Gesichter

Zweiundzwanzigstes Kapitel - Wie Mr. Carker, der Geschäftsführer, ein kleines Geschäft betreibt

Dreiundzwanzigstes Kapitel - Florence ist einsam und der Midshipman geheimnisvoll

Vierundzwanzigstes Kapitel - Das Studium eines liebenden Herzens

Fünfundzwanzigstes Kapitel - Seltsame Neuigkeiten von Onkel Sol

Sechsundzwanzigstes Kapitel - Schatten der Vergangenheit und der Zukunft

Siebenundzwanzigstes Kapitel - Tiefere Schatten

Achtundzwanzigstes Kapitel - Veränderungen

Neunundzwanzigstes Kapitel - Wie Mrs. Chick die Augen aufgehen

Dreißigstes Kapitel - Die Zeit vor der Hochzeit

Einunddreißigstes Kapitel - Die Trauung

Zweiunddreißigstes Kapitel - Der hölzerne Midshipman geht in die Brüche

Dreiunddreißigstes Kapitel - Gegensätze

Vierunddreißigstes Kapitel - Wieder eine Mutter und eine Tochter

Fünfunddreißigstes Kapitel - Das glückliche Paar

Sechsunddreißigstes Kapitel - Der offizielle Einzugsschmaus

Siebenunddreißigstes Kapitel - Mehr als eine Warnung

Achtunddreißigstes Kapitel - Miss Tox nimmt eine alte Bekanntschaft wieder auf

Neununddreißigstes Kapitel - Weitere Abenteuer des Schiffskapitäns Edward Cuttle

Vierzigstes Kapitel - Häusliche Verhältnisse

Einundvierzigstes Kapitel - Neue Stimmen auf den Wellen

Zweiundvierzigstes Kapitel - Vertraulich und zufällig

Dreiundvierzigstes Kapitel - Nachtwachen

Vierundvierzigstes Kapitel - Eine Trennung

Fünfundvierzigstes Kapitel - Die zuverlässige Mittelsperson

Sechsundvierzigstes Kapitel - Prüfend und nachdenklich

Siebenundvierzigstes Kapitel - Der Donnerschlag

Achtundvierzigstes Kapitel - Florencens Flucht

Neunundvierzigstes Kapitel - Der Midshipman macht eine Entdeckung

Fünfzigstes Kapitel - Mr. Toots Herzeleid

Einundfünfzigstes Kapitel - Mr. Dombey und die Welt

Zweiundfünfzigstes Kapitel - Geheime Mitteilung

Dreiundfünfzigstes Kapitel - Weitere Nachricht

Vierundfünfzigstes Kapitel - Die Flüchtlinge

Fünfundfünfzigstes Kapitel - Rob, der Schleifer, verliert seine Stelle

Sechsundfünfzigstes Kapitel - Mehrere Personen entzückt und der Preishahn entrüstet

Siebenundfünfzigstes Kapitel - Wieder ein Hochzeit

Achtundfünfzigstes Kapitel - Später

Neunundfünfzigstes Kapitel - Vergeltung

Sechzigstes Kapitel - Handelt hauptsächlich von Hochzeiten

Einundsechzigstes Kapitel - Erlösung

Zweiundsechzigstes Kapitel - Schluß

 

 

 

Erstes Kapitel - Dombey und Sohn



Dombey saß in der Ecke des abgedunkelten Zimmers in dem großen Lehnstuhl neben dem Bett, und Sohn lag, warm eingewickelt, in einem Korbnestchen, das unmittelbar vor dem Feuer auf einem niedrigen Schemel stand und der Glut sich so nah befand, als ob die Konstitution des jungen Herrleins Ähnlichkeit habe mit der einer Semmel, die braun geröstet werden muß, solange sie noch frisch ist.

Dombey war ungefähr achtundvierzig Jahre alt, Sohn etwa achtundvierzig Minuten. Dombey war etwas kahl, ziemlich rot und, obschon sonst ein wohlproportionierter Mann, doch zu ernst und zu pomphaft in seinem Äußern, um durch dieses sonderlich anzusprechen, während Sohn sehr kahl, sehr rot und, wenn auch unleugbar ein sehr schönes Kind, im allgemeinen vorderhand etwas zerdrückt und verbeult aussah. Auf Dombeys Stirn hatten Zeit und Sorge, wie an einem Baum, der bald zum Fällen reif ist, allerlei Merkmale eingegraben: denn besagte beiden Schwestern schreiten schonungslos durch die Menschenforsten und lassen überall die Zeichen ihres Dagewesenseins zurück. Das Gesicht von Sohn aber war von tausend kleinen Furchen gekreuzt, die dieselbe hinterlistige Zeit mit dem flachen Teil ihrer Sense auszuglätten bestimmt war – eine Vorbereitung für die tieferen Eindrücke späterer Jahre.

Überglücklich ob der langersehnten Ereignisse klimperte und klimperte Dombey mit der schweren goldenen Uhrkette, die unter dem eleganten blauen Frack hervorblitzte, während die Knöpfe des erwähnten Kleidungsstückes in den matten Strahlen des fernen Feuers phosphorisch funkelten. Sohn dagegen reckte seine Händchen in die Höhe, ballte sie zu Fäustchen und schien mit dem Dasein, in das es so unerwartet getreten war, Händel anfangen zu wollen.

"Mrs. Dombey", begann Mr. Dombey, "das Haus wird fortan nicht bloß der Firma nach, sondern nun auch wieder in der Tat Dombey und Sohn sein. Dombey und Sohn!"

Diese Worte übten einen so starken Einfluß aus, dass der Sprecher (freilich nicht ohne einiges Zögern, da er an dergleichen nicht gewöhnt zu sein schien) dem Namen der Mrs. Dombey einen Ausdruck der Zärtlichkeit beifügte, er sagte nämlich:

"Mrs. Dombey, meine – meine Liebe,"

Ein flüchtiges Rot, das Merkzeichen einer kleinen Überraschung, glitt über da" Antlitz der Wöchnerin, als sie ihre Blicke zu Mr. Dombey erhob.

"Er wird in der Taufe den Namen Paul erhalten, meine Mrs. Dombey, – natürlich."

Sie wiederholte matt das "natürlich", oder schien es wenigstens durch die Bewegung ihrer Lippen tun zu wollen; dann aber schloß sie die Augen wieder.

"Seines Vaters Name, Mrs. Dombey, und seines Großvaters! Wollte Gott, sein Großvater hätte diesen Tag erlebt."

Und abermals fügte er – genau in demselben Ton wie früher – bei:

"Dombey und Sohn!"

Diese drei Worte umfaßten die einzige Idee von Mr. Dombeys Leben. Die Erde war nur da, damit Dombey und Sohn Geschäfte darin machen konnten, und Sonne und Mond hatten bloß die Bestimmung, für Dombey und Sohn zu scheinen, Flüsse und Meere waren da, um die Schiffe der Firma zu tragen; die Regenbogen versprachen nur ihr schönes Wetter; Sterne und Planeten liefen in ihren Kreisen, um unabänderlich einem System zu folgen, von dem Dombey und Sohn den Mittelpunkt bildete. Gewöhnliche Abkürzungen erhielten in seinen Augen ganz neue Bedeutungen, die bloß auf seine Firma Bezug hatten, und A. D. lautete in seiner Zeitrechnung nicht als Annus Domini, sondern als Annus Dombei – und Sohn.

Er hatte sich, wie vor ihm sein Vater, im Laufe der Zeit vom Sohn zu Dombey heraufgearbeitet und fast zwanzig Jahre lang die Firma als alleiniger Repräsentant vertreten. Die Hälfte dieser Periode war ihm im Ehestand entschwunden – wie einige sagen, mit einer Dame, die ihm nicht ihr Herz zur Morgengabe brachte, sondern ihr Glück in der Vergangenheit suchte und sich darin fügen mußte, den gebrochenen Geist an das ergebungsvolle Dulden der Gegenwart zu fesseln. Dergleichen Gerede kam übrigens nicht leicht Mr. Dombey zu Ohren, wie sehr er auch dabei beteiligt war, und wenn es je auch so weit gekommen wäre, so würde er zu allerletzt daran geglaubt haben. Dombey und Sohn hatten zwar schon oft in Häuten, nie aber in Herzen Geschäfte gemacht, denn letztere waren ein Geschäftszweig, den sie gerne jungen Burschen und Mädchen, den Kostschülern und den Bücherschreibern überließen. Mr. Dombey pflegte zu sagen, dass ein Ehebund mit ihm an und für sich jedem auch nur mit gewöhnlichem Verstand begabten Frauenzimmer sehr wünschenswert und ehrenvoll sein müsse, und die Hoffnung, einem solchen Hause einen neuen Associé zu geben, könne nicht fehlen, in der anspruchslosesten Weiberbrust ein Gefühl des glühendsten Ehrgeizes zu wecken. Mrs. Dombey habe mit ihm diesen sozialen Ehevertrag eingegangen, der ihr, selbst eine Bezugnahme auf die Fortpflanzung der Familienfirma, fast notwendig die Teilnahme an einer gentilen und wohlhabenden Stellung sicherte, und alle diese Vorteile vollkommen eingesehen, ja noch außerdem durch tägliche Erfahrung sich überzeugen können, welche Stellung er in der Gesellschaft einnehme; sie habe stets an seiner Tafel obenan gesessen, und habe die Honneurs seines Hauses nicht nur in geziemender Weise, sondern auch mit dem Anstand einer seinen Dame gemacht; sie müsse daher notwendig glücklich sein, ob sie nun wolle oder nicht. Oder jedenfalls lag ihr dabei nur ein einziger Hemmstein im Wege. Ja. Dies würde er zugegeben haben. Nur ein einziger, der aber zuverlässig viel in sich faßte. Sie waren zehn Jahre verheiratet gewesen, ohne bis auf die Stunde, in welcher Mr. Dombey auf dem Lehnstuhl neben dem Bette mit der goldenen Uhrkette klimperte, einen Sprößling erzielt zu haben.

Dass ich's recht sage, wenigstens keinen erheblichen. Vor etwa sechs Jahren war zwar ein Mädchen geboren, und das Kind, das sich eben erst unbemerkt ins Gemach gestohlen hatte, duckte sich jetzt schüchtern in eine Ecke, von der aus es seiner Mutter ins Gesicht sehen konnte. Aber was war ein Mädchen für Dombey und Sohn! In dem Kapitel des Firmanamens und der Firmawürde erschien ein solches Kind nur wie eine falsche Münze, die nirgends angelegt werden konnte – ein mißratenes Ding, weiter nichts.

Im gegenwärtigen Augenblick war übrigens Mr. Dombeys Wonnebecher so zum Überquellen angefüllt, dass er fühlte, er könne wohl einige Tröpflein des Inhalts missen, um den Staub auf dem Nebenpfade seiner kleinen Tochter damit zu benetzen. Er sagte daher:

"Florence, du kannst hingehen und dein Brüderlein ansehen, denn ich denke mir, dass dies dein Wunsch ist. Aber rühre es beileibe nicht an."

Die Kleine warf einen lebhaften Blick auf den blauen Frack und die steife weiße Halsbinde, welche nebst ein Paar knarrenden Stiefeln und einer laut tickenden Taschenuhr ihre Idee von einem Vater verkörperten; aber ihre Augen kehrten unmittelbar darauf wieder zu dem Gesicht ihrer Mutter zurück, und sie rührte sich nicht von der Stelle, während sie zugleich ihre Lippen geschlossen hielt.

Im nächsten Moment öffnete die Dame ihre Augen und wurde des Kindes ansichtig. Die Kleine eilte auf sie zu, stand auf die Zehen, um ihr Gesichtchen besser an dem mütterlichen Busen verbergen zu können, und klammerte sich an die Wöchnerin mit einer so verzweifelten Innigkeit, wie man sie in ihren Jahren nicht erwartet hätte.

"O Gott behüte mich!" sagte Mr. Dombey, indem er ärgerlich aufstand. "Wahrhaftig, dies ist ein sehr unbesonnenes Benehmen und wird das Fieber nur steigern. Es ist wohl am besten, ich frage bei Doktor Peps an, ob er nicht vielleicht die Güte haben will, noch einmal heraufzukommen. Ich will hinunter gehen. Es wird nicht nötig sein, dass ich Euch erst bitte", fügte er bei, während er bei der Chaiselongue vor dem Feuer einen Augenblick stehen blieb, "auf diesen jungen Gentleman ganz besondere Sorgfalt zu verwenden, Mrs. –"

"Blockitt, Sir?" ergänzte die Wärterin, ein jungferliches Stückchen verblichener Geziertheit, das sich nicht erdreistete, seinen Namen als Tatsache hinzustellen, sondern ihn nur in der Form einer milden Frage andeuten wollte. "Auf diesen jungen Gentleman, Mrs. Blockitt."

"Nein, Sir, gewiß nicht. Ich erinnere mich, als Miss Florence geboren wurde –"

"Ja, ja, schon gut", entgegnete Mr. Dombey, indem er sich über das Korbbettchen beugte und zu gleicher Zeit die Stirne runzelte, "Bei Miss Florence war es schon recht, aber hier ist der Fall anders. Dieser junge Gentleman hat eine Bestimmung zu erfüllen. Eine Bestimmung, kleiner Bursch!"

Während dieser Anrede erhob er eines von den Händchen des Knaben an seine Lippen und küßte es: dann aber schien er sich zu besinnen, dass diese Handlung seiner Würde Abbruch getan haben könnte, und er verließ deshalb etwas verlegen das Gemach.

Doktor Parker Peps, einer der Hofärzte und ein Mann, der wegen seiner Kunst in der Beihilfe zur Vergrößerung bedeutender Familien sich eines hohen Rufs erfreute, ging mit auf dem Rücken gekreuzten Händen im Besuchzimmer auf und ab, zur unaussprechlichen Bewunderung des Hausarztes, der schon seit sechs Wochen unter allen seinen Patienten, Freunden und Bekannten den Fall als einen solchen ausposaunt hatte, der ihm keinen Augenblick Ruhe lasse, weil er Tag und Nacht jede Stunde gewärtig sein müsse, in Gemeinschaft mit Doktor Parker Peps beigezogen zu werden.

"Habt Ihr gefunden, Sir", begann Doktor Parker Peps mit tiefer, klangreicher Stimme, die übrigens gleich dem Türklopfer für den gegenwärtigen Anlaß gedämpft war, "dass Eure teure Gemahlin durch Euren Besuch aufgeregt wurde?"

"Stimuliert, sozusagen?" fügte der Hausarzt leise bei und verbeugte sich sodann gegen den Doktor, als wollte er sagen: "Entschuldigt, dass ich ein Wörtchen einflocht, aber es handelt sich hier um eine wertvolle Kundschaft."

Mr. Dombey war sehr betroffen ob dieser Frage, denn er hatte so wenig an die Patientin gedacht, dass er nichts darauf zu antworten wußte. Seine Erwiderung lautete dahin, dass es ihm zur Beruhigung gereichen werde, wenn Doktor Peps noch einmal oben einen Besuch machen wolle.

"Gut. Wir dürfen es Euch nicht verbergen, Sir", sagte Doktor Peps, "dass der Mangel an Kräften bei Ihren Gnaden, der Frau Herzogin – bitt' um Verzeihung, ich verwechsle die Namen: wollte sagen, bei Eurer liebenswürdigen Gemahlin sehr groß ist. Wir haben es mit einem gewissen Grad von languor zu tun, mit einer allgemeinen Abwesenheit von Elastizität, die wir lieber – nicht –"

"Sehen möchten", setzte der Hausarzt mit einer abermaligen Kopfverbeugung hinzu.

"Ganz richtig", entgegnete Doktor Parker Peps: "die wir lieber nicht sehen möchten. Es kommt mir vor, als ob dieses System der Lady Cankaby – entschuldigt, ich meinte, der Mrs. Dombey: ich verwechsle die Namen der Fälle –"

"Sie kommen so gar häufig vor", murmelte der Hausarzt, "dass sich in der Tat nichts anderes erwarten läßt. Wäre es ein Wunder, wenn's nicht so sei, bei der großen Praxis, die Doktor Parker Peps im Westend hat –"

"Danke, vollkommen richtig bemerkt", versetzte der Doktor. "Es kommt mir vor, als habe das System unserer Patientin einen Stoß erlitten, von dem sie nur durch eine große, kräftige und –"

"Nachdrückliche", murmelte der Hausarzt.

"Ganz recht", pflichtete der Doktor bei – "durch eine nachdrückliche Kraftanstrengung sich wird erholen können. Mr. Pilkins hier, der vermöge seiner Stellung als Hausarzt dieser Familie – ich muß sagen, ich kenne niemand, der eines solchen Vertrauens würdiger wäre –"

"O!" murmelte der Hausarzt. "Lob von Sir Hubert Stanley!"

"Ihr seid allzu gütig", erwiderte Doktor Parker Peps. "Mr. Pilkins, der kann sein Fach am besten ausfüllen, der mit der Konstitution der Patientin im normalen Zustand bekannt ist – und ein solches Wissen ist für uns bei der Bildung unserer Ansichten über solche Fälle von hoher Wichtigkeit – teilt mein Dafürhalten, dass die Natur zu einer vollen Widerstandsfähigkeit veranlaßt werden muß, und wenn unsere interessante Freundin, die Gräfin von Dombey – ich bitte wieder um Verzeihung – Mrs. Dombey – nicht imstande –"

"Sein sollte", ergänzte der Hausarzt.

"Diese erfolgreich zu überstehen", fuhr Doktor Parker Peps fort, "so dürfte es wohl zu einer Krisis kommen, die wir beide aufrichtig beklagen würden."

Hierauf blieben sie einige Minuten stehen und sahen zu Boden; dann aber gingen sie auf einen stummen Wink des Doktor Parker in das obere Gemach. Der Hausarzt öffnete seinem beruflich höher stehenden Kollegen die Tür und folgte ihm voll der unterwürfigsten Höflichkeit.

Wenn wir sagen wollten, Dombey sei durch die Worte der Arzte nicht nach seiner Art ergriffen worden, so würden wir ihm Unrecht tun. Er war allerdings nicht der Mann, der einer Erschütterung im eigentlichen Sinne zugänglich war, trug aber doch ein gewisses Bewußtsein in sich, dass es ihm sehr leid tun würde, wenn seine Gattin ernstlich erkrankte und stürbe, da ihm dann für sein Silberzeug, seine Möbel und die Hausgerätschaften etwas fehlte, was wohl zu ihnen gehörte. Aber ohne Zweifel hätte seine Trauer einen gewissen ruhigen, gentlemanischen, geschäftsmäßigen und gefaßten Charakter behauptet.

Seine Betrachtungen über diesen Gegenstand wurden aber bald durch das Rauschen von Kleidern auf der Treppe und dann durch das plötzliche Hereinstürzen einer Dame unterbrochen, die, obwohl sie in den mittleren Jahren stand, sich aber, was die Enge des Korsetts betraf, sehr jugendlich trug. Sie eilte mit einem gewissen verschraubten Wesen in Gesicht und Haltung auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Hals und rief mit erstickter Stimme:

"Mein teurer Paul, er ist ganz ein Dombey!"

"O, schon gut!" entgegnete ihr Bruder – denn dies war Mr. Dombey – "ich denke selbst auch, dass er den Familienzug trägt. Aber sei nicht so ungestüm, Louisa." "Es ist sehr töricht von mir", sagte Louisa, indem sie Platz nahm und ihr Taschentuch herauszog, "aber er – er ist ein so vollkommener Dombey! In meinem Leben habe ich nie etwas Ähnlicheres gesehen!"

"Aber wie steht es mit Fanny selbst?" fragte Mr. Dombey. "Was hältst du von ihrem Zustand?"

"Mein lieber Paul, es ist durchaus nichts", antwortete Louisa – "mein Wort dafür, durchaus nichts. Allerdings ist sie erschöpft, aber lang nicht in dem Grade, wie bei mir, als ich mit George oder Frederik Wöchnerin war. Man muß ihr wieder zu Kräften verhelfen, das ist alles. Wenn die liebe Fanny eine Dombey wäre! Trotzdem, ich stehe dafür, sie wird sich machen: ich zweifle nicht daran, dass sie sich noch machen wird. Mein lieber Paul, ich weiß, es ist sehr schwach und töricht von mir, dass ich vom Kopf bis zu den Füßen so zittere: aber es ist mir so seltsam, dass ich dich um ein Glas Wein und um einen Bissen von diesem Kuchen bitten muß. Ich meinte, ich müsse zum Treppenfenster hinausstürzen, als ich von meinem Besuch bei Fanny und bei dem kleinen Schnäbelchen herunterkam."

Die letzten Worte hatten ihren Ursprung in einer plötzlichen lebhaften Erinnerung an den Neugeborenen. Sie hatte aber kaum ausgesprochen, als sich an der Tür ein leises Pochen vernehmen ließ.

"Mrs. Chick", sagte draußen eine sehr sanfte weibliche Stimme, "wie geht es Euch jetzt, meine liebe Freundin?"

"Mein teurer Paul", nahm Louisa leise das Wort, indem sie sich zugleich von ihrem Sitze erhob, "es ist Miss Tox – das wohlwollendste Geschöpf. Ohne sie hätte ich nicht herauskommen können. Miss Tox, mein Bruder Mr. Dombey. Lieber Paul, meine ganz besondere Freundin, Miss Tox."

Die so speziell vorgestellte Dame war ein langes mageres Frauenzimmer von so verblichener Außenseite, dass es den Anschein hatte, als sei sie, wie es die Modewarenhändler nennen, von Haus aus nicht "echtfarbig" gewesen, und deshalb in der Wäsche allmählich ganz und gar verschossen. Außerdem aber hätte man sie als die wahre Blume von Sanftmut und Höflichkeit bezeichnen können. Infolge ihrer langen Gewohnheit, allem, was in ihrer Gegenwart gesprochen wurde, ein bewunderndes Ohr zu schenken, wobei sie die Redenden anzusehen pflegte, als sei sie innerlich beschäftigt, die Bilder derselben in ihre Seele aufzunehmen und sich nur mit dem Leben von ihnen zu trennen, hatte sich ihr Kopf völlig nach der einen Seite verschoben. An ihren Händen bemerkte man stets ein krampfhaftes Zucken, sich wie in unwillkürlicher Bewunderung aus eignem Antrieb zu erheben, und ihre Augen waren einer ähnlichen Manier unterworfen. Sie hatte die weichste Stimme, die man nur hören kann, und ihre erstaunlich sperberartige Nase war in der Mitte oder am Schlußsteine des Rückens mit einem kleinen Knauf versehen, der gegen ihr Gesicht abwärts lief, wie in unüberwindlicher Entschlossenheit, nie ein Aufwerfen des gedachten Gesichtsvorsprungs zu gestatten.

Obschon ihr Kleid vollkommen nett und gut war, drückte sich doch eine gewisse Eckigkeit und Knappheit darin aus. In ihren Hüten und Hauben pflegte sie wunderliche, unkrautartige Blümchen zu tragen, und in ihrem Haar bemerkte man bisweilen seltsame Gräser: auch konnte jeder, der sich dafür interessierte, an ihren Kragen, Rüschen, Manschetten und sonstigem Spitzenzeug – kurz an allem, was an ihrem Kleid die Bestimmung hatte, sich zu vereinigen, die Wahrnehmung machen, dass die beiden Enden nie auf freundschaftlichem Fuß miteinander standen, sondern stets eine große Neigung verrieten, die Verbindung nicht ohne Kampf vollziehen zu lassen. Für ihren Winterputz hatte sie Pelzkragen, Boas und Muffe, die stets in herausfordernder Weise auf der einen Seite standen und wild ihre Haare sträubten; auch besaß sie die Liebhaberei, stets kleine Beutel mit Federschlössern bei sich zu führen, die, wenn sie geöffnet werden sollten, wie kleine Pistolen losgingen, und sooft sie sich in vollem Putz zeigte, prunkte an ihrem Hals das geschmackloseste aller Schlösser mit einem alten, glotzenden Auge, in dem auch nicht eine Spur von Sinn lag. Diese und andere ähnliche Merkmale dienten dazu, die Ansicht zu verbreiten, Miss Tor sei eine Dame von zwar beschränkten, aber doch unabhängigen Mitteln, die sie im besten Lichte erscheinen ließ. Möglich, dass ihr trippelnder Gang diesen Glauben ermutigte, weil man daraus entnehmen konnte, der Umstand, dass sie einen gewöhnlichen Schritt in drei abteilte, habe notwendig seinen Ursprung in der Gewohnheit, alles aufs beste zu tun.

"In der Tat," sagte Miss Tor mit einem bewundernswürdigen Knix, "die Ehre, Mr. Dombey vorgestellt zu werden, ist eine Auszeichnung, nach der ich mich längst gesehnt habe, obschon ich sie in diesem Augenblicke nicht erwartet hätte. Meine teure Mrs. Chick – darf ich sagen, Louisa?"

Mrs. Chick nahm die Hand der Freundin in die ihrige, setzte den Fuß ihres Weinglases darauf, unterdrückte eine Träne und sprach mit gedämpfter Stimme:

"Gott behüte, wozu auch diese Frage?"

"Meine teure Louisa also", versetzte Miss Tor, "meine süße Freundin, wie geht es Euch jetzt?"

"Besser", erwiderte Mrs. Chick. "Darf ich Euch etwas Wein anbieten? Ihr seid fast ebenso in Sorge gewesen wie ich, und habt es daher wohl verdient."

Mr. Dombey schenkte ihr ein.

"Miss Tor, Paul", fuhr Mrs. Chick fort, indem sie noch immer die Hand ihrer Freundin festhielt, "war Zeuge, wie sehr ich mich im voraus auf das Ereignis des heutigen Tage" freute, und hat daher eine kleine Gabe für Fanny angefertigt, die ich ihr zu überreichen versprach. Es ist nur ein Nadelkissen für den Toilettentisch, Paul, aber ich sage und werde stets sagen, ja, ich muß sagen, dass Miss Tor ihre freundliche Gesinnung der Gelegenheit allerliebst angepaßt hat. Den Gruß: 'zum Willkomm des kleinen Dombeylein' muß ich Poesie nennen."

"Lautet so die Inschrift?" fragte ihr Bruder.

"So lautet die Inschrift", antwortete Louisa.

"Um mir übrigens Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, meine teure Louisa", bemerkte Miss Tox in einem leise bittenden Ton, "müßt Ihr hinzusetzen, dass nichts als die – ich weiß nicht recht, wie ich mich ausdrücken soll – die Unsicherheit über die Frage des Resultats mich zu einer so großen Freiheit veranlaßt hat: denn eher könnt Ihr Euch denken, dass die Fassung: 'zum Willkomm des Master Dombey' – meinen Gefühlen besser entsprochen hätte. Freilich weiß man bei solchen kleinen Engelchen nie vorher, wie man mit ihnen daran ist, und ich hoffe, diese Unsicherheit wird einem Ausdruck zur Entschuldigung dienen, der sonst als eine nicht zu rechtfertigende Vertraulichkeit erscheinen könnte."

Miss Tox machte während dieses Vortrags gegen Mr. Dombey eine anmutige Verbeugung, die von dem Gentleman in gnädiger Weise erwidert wurde. Sogar die Art der Anerkennung von Dombey und Sohn, wie sie bisher im Gespräche sich kundgegeben, hatte für ihn etwas so Behagliches, dass seine Schwester, Mrs. Chick, – obschon er tat, als halte er sie für eine gute schwache Frau – vielleicht mehr Einfluß auf ihn üben konnte, als irgend jemand anders.

"Nun", sagte Mrs. Chick mit einem süßen Lächeln, "nach diesem vergebe ich Fanny alles!"

Das war eine christliche Erklärung, und Mrs. Chick fühlte sich im Innern sehr dadurch erleichtert. Nicht, dass sie ihrer Schwägerin etwas Besonderes – oder überhaupt etwas zu vergeben gehabt hätte, wenn es nicht etwa die an sich schon starke Vermessenheit war, ihren Bruder zu heiraten und ihn sodann im Lauf der Zeit statt eines Knaben mit einem Mädchen zu beschenken. Letzteres war, wie Mrs. Chick oft bemerkte, nicht ganz das, was sie von ihr erwartet hatte, und überhaupt ein schlechter Dank für die Aufmerksamkeit und Auszeichnung, die ihr zuteil geworden.

In diesem Augenblick wurde Mr. Dombey hastig aus dem Zimmer gerufen, und die beiden Damen blieben allein beisammen. Miss Tox geriet in dem Moment in Exaltation.

"Ich wußte es ja, dass Ihr meinen Bruder bewundern würdet, und habe es Euch im voraus gesagt, meine Liebe", bemerkte Louisa.

Die Hände und die Augen von Miss Tox bekundeten, in wie hohem Grade das geschah.

"Und was sein Vermögen betrifft, meine Liebe!"

"Ah!" entgegnete Miss Tox mit tiefem Gefühl.

"Un – ermeßlich!"

"Aber, sein Benehmen, meine teure Louisa!" sagte Miss Tox. "Sein Anstand! Seine Würde! Kein Porträt habe ich je von irgend jemand gesehen, das auch nur annähernd diese Eigenschaften in sich schließt. Ihr wißt, etwas so Stattliches, Unnahbares – die breite Brust und die aufrechte Haltung. Ein pekuniärer Herzog von York, meine Liebe – kein Haar weniger! So und nicht anders kann ich ihn bezeichnen", sagte Miss Tox.

"Ei, mein lieber Paul!" rief die Schwester, als er zurückkehrte, "du siehst so blaß aus! Es ist doch nichts vorgefallen?"

"Leider muß ich dir mitteilen, Louisa, dass man mir sagt, Fanny sei –"

"Ach, mein lieber Paul, glaube nur kein Wort davon", entgegnete die Schwester, indem sie sich von ihrem Sitz erhob. "Wenn du mir in meiner Erfahrung nur etwas vertrauen wolltest, Paul, so kannst du versichert sein, dass es sich hier um nichts handelt, als um eine Anstrengung Fannys. Man muß sie" – fügte sie hinzu, indem sie ihren Hut aufsetzte und in geschäftsmäßiger Weise Haube und Handschuh zurechtstrich – "zu dieser Anstrengung ermutigen, ja, im Notfalle sogar dazu zwingen. Komm nur mit mir die Treppe hinauf, mein lieber Paul."

Abgesehen von dem vorerwähnten Einflusse, den Mrs. Chick auf ihren Bruder ausübte, hatte Mr. Dombey in der Tat ein sehr großes Vertrauen zu ihr, als zu einer erfahrenen, rührigen Frau, weshalb er sich beruhigte und er ihr ohne zu zögern in das Krankenzimmer folgte.

Die Kranke lag, wie er sie verlassen hatte, auf dem Bette und hielt den Kopf ihres Töchterchens an die Brust gedrückt. Das Kleine klammerte sich mit der größten Innigkeit an die Mutter an, ohne das Haupt zu erheben oder die weiche Wange von dem Antlitz derselben zu lösen. Sie hatte keinen Blick für die Umstehenden, und mit ihrem tränenlosen Auge und der stummen Lippe glich sie eher einer regungslosen Statue, als einem lebenden Wesen.

"Sie hatte keine Ruhe ohne das kleine Mädchen", flüsterte der Doktor Mr. Dombey zu, "und so hielten wir es für das beste, es ihr zu lassen."

Um das Bett her herrschte eine feierliche Stille, und die beiden Herren über Leben und Tod blickten mit so viel Mitleid und so wenig Hoffnung auf die regungslose Gestalt, dass Mrs. Chick für eine Weile ihres Vorhabens vergaß. Sie faßte übrigens bald wieder Mut, nahm ihre Geistesgegenwart, wie sie's nannte, zusammen, setzte sich ans Krankenlager und sprach in dem gedämpften Ton einer Person, die jemand aus dem Schlaf zu wecken bemüht ist:

"Fanny! Fanny!"

Keine andere Antwort darauf, als das laute Ticken von Mr. Dombeys Uhr und Doktor Parker Peps' Uhr, die in dem tiefen Schweigen einen Wettlauf zu machen schienen.

"Fanny, meine Liebe", sagte Mrs. Chick mit erkünstelter Sorglosigkeit, "Dombey ist hier, um nach Euch zu sehen. Wollt Ihr nicht mit ihm sprechen? Man will Euer Kind – das kleine Söhnchen – Ihr wißt ja, Fanny, Ihr habt ihn kaum gesehen – zu Bett legen, kann's aber nicht tun, ehe Ihr Euch ein wenig aufgerafft habt. Glaubt Ihr nicht auch, es sei Zeit, dass Ihr Euch ein wenig anstrengt? Eh?"

Sie neigte ihr Ohr gegen das Bett und lauschte, während sie zu gleicher Zeit nach den Umstehenden blickte und den Finger erhob.

"Eh?" wiederholte sie. "Was habt Ihr gesagt, Fanny? Ich Habe Euch nicht verstanden."

Kein Wort, kein Laut zur Erwiderung. Nur Mr. Dombeys Uhr und die des Doktor Parker Peps schienen schneller zu laufen.

"In der Tat, meine liebe Fanny", fuhr die Schwägerin fort, indem sie ihre Stellung änderte und dabei unwillkürlich mit weniger Zuversicht, dagegen aber mit größerer Strenge sprach, "ich muß böse auf Euch werden, wenn Ihr Euch nicht aufrafft. Ein Kraftaufwand ist für Euch nötig, wie beschwerlich oder schmerzlich er auch sein mag: aber Ihr wißt ja, wir leben in einer Welt des Kämpfens, Fanny, und wir dürfen nicht nachgeben, wenn so viel von uns selbst abhängt. Kommt! Versucht es! Ich muß wahrhaftig mit Euch zanken, wenn Ihr's nicht tut!"

Das Rennen der Uhren in der darauffolgenden Pause war wild und wütend. Sie schienen gegeneinander anzustoßen und sich auf die Fersen zu treten.

"Fanny!" sagte Louisa, mit steigender Unruhe umherschauend. "Seht mich nur an. öffnet doch die Äugen, um mir anzudeuten, dass Ihr mich hört und versteht – wollt Ihr nicht? Gütiger Himmel, Gentlemen, was ist da anzufangen?"

Die beiden Ärzte wechselten über dem Bett weg einen Blick, und Doktor Parker Pep beugte sich sodann zu dem Kinde nieder, dem er etwas ins Ohr flüsterte. Das kleine Wesen, das die Worte des Arztes nicht verstanden hatte, wandte ihm das farblose Gesicht mit den tiefschwarzen Augen zu, ohne jedoch die Mutter auch nur im mindesten loszulassen.

Das Geflüster wurde wiederholt.

"Mama!" sagte die Kleine.

Die schwache Stimme des heißgeliebten Wesens weckte selbst bei dieser tiefen Ebbe eine Spur von Besinnung. Einen Moment zitterten die geschlossenen Augenlider, die Nasenflügel bewegten sich, und man bemerkte den matten Schatten eines Lächelns.

"Mama!" rief das Kind, laut schluchzend. "O liebe Mama! o liebe Mama!"

Der Doktor streifte sanft die wirren Locken der Kleinen von dem Gesicht und Mund der Mutter. Ach, wie ruhig sie dort lagen! Wie schwach der Atem, der sie nicht in Bewegung zu setzen vermochte!

So entschwebte, den schwachen Mast fest mit ihren Armen umschlingend, die Mutter – hinaus in das dunkle, unbekannte Meer, das die ganze Welt umfließt.

Zweites Kapitel - In welchem zeitige Vorsorge für einen Fall getroffen wird, der bisweilen in den geordnetsten Familien vorkommt



"Mein Leben lang will ich mich glücklich schätzen", sagte Mrs. Chick, "dass ich mich aussprach, als ich nicht entfernt daran dachte, was uns bevorstand – in der Tat; es war, wie wenn ich durch eine höhere Fügung geleitet würde, als ich Fanny alles vergab. Was nun auch kommen mag, das wird mir stets ein Trost bleiben!"

Mrs. Chick sprach in diesen eindrucksvollen Worten, als sie vom Frauenschneider, der in einem oberen Zimmer mit der Anfertigung von Trauergewändern beschäftigt war, wieder nach dem Besuchszimmer zurückkam. Ihre Worte galten Mr. Chick, einem beleibten, kahlköpfigen Gentleman mit sehr breitem Gesicht, der seine Hände stets in den Taschen trug und einen natürlichen Hang besaß, Arien vor sich hin zu pfeifen oder zu summen. Dies war nun freilich in einem Hause der Trauer nicht sehr angebracht und er fühlte es auch: aber es kostete ihn nicht geringe Anstrengung, seine Liebhaberei zu unterlassen.

"Strenge dich doch nicht allzusehr an, Frau", sagte Mr. Chick, "denn du wirst sonst sehen, dass du deine Krämpfe kriegst. Tra-la-la-la! Behüt' mich – wie ich mich vergesse. Wir sind übernächtig – heute rot, morgen tot."

Mrs. Chick begnügte sich mit einem Blick des Vorwurfs und nahm sodann den Faden ihres Gesprächs wieder auf.

"Ich hoffe in der Tat", sagte sie, "dieses herzzerreißende Ereignis wird für uns alle eine Warnung sein. Wir müssen uns daran gewöhnen, Anstrengungen durchzumachen für die Zeit, wenn wir es nötig haben. Alles führt eine Lehre mit sich, wenn wir sie nur benutzen wollen, und es ist bloß unsere Schuld, wenn wir nicht auf diesen einen wichtigen Wink achtgeben."

Mr. Chick störte das auf diese Bemerkung folgende ernste Schweigen durch die auffallend unpassende Arie: 'Ein Schlosser hat en G'sellen g'habt', unterbrach sich aber schnell mit einiger Verwirrung und erklärte sodann, es sei ohne Zweifel unser eigenes Verschulden, wenn wir so ein trauriges Geschick wie das gegenwärtige uns nicht zur Lehre machten.

"Sie sollten zu was Besserem Anlaß geben, meine ich, Mr. Chick", erwiderte seine zweite Hälfte nach einer kurzen Pause, "als zu Schelmenliedern oder zu der ebenso nichtssagenden und gefühllosen Bemerkung des 'Rumpditty bau wau wau!'" In dieser hatte sich nämlich Mr. Chick in halblautem Tone wirklich ergangen, und seine Frau Gemahlin ahmte ihn spottend nach.

"Nur eine Gewohnheit, meine Liebe", entschuldigte sich Mr. Chick.

"Unsinn! Gewohnheit!" entgegnete die Dame. "Wenn du ein vernünftiger Mensch bist, so komm' mir bitte nicht mit solchen lächerlichen Ausreden. Gewohnheit! Wenn ich mir die Gewohnheit, wie du's nennst, aneignen wollte, wie die Fliegen an der Zimmerdecke spazieren zu gehen, so würde ich's wahrscheinlich oft genug zu hören bekommen."