Wyatt Earp 129 – Der Weg nach Santa Fé

Wyatt Earp –129–

Der Weg nach Santa Fé

Roman von William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-321-2

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Er hatte ein Gesicht wie ein Hauklotz, hölzern, rissig und zerschlagen. Seine Augen waren gelb und standen zu weit auseinander. Struppiges Haar blickte unter dem breitkrempigen Californiahut hervor, das Halstuch war verwaschen-weiß, das Hemd aus blauem Kattun, und die braune Joppe hatten ihre besten Tage längst hinter sich, wie auch die Hose und die Stiefel, deren hohe Hacken abgelaufen waren.

Nur der Revolver, der tief über dem rechten Oberschenkel im Halfter baumelte, schien gut gepflegt zu sein.

Nat Galveston war zweiunddreißig Jahre alt und stammte aus Monroe in Louisiana.

Er war ein Revolvermann.

Und um das gleich klarzustellen: Er gehörte nicht zur Galgenmännerbande, als er am 17. April 1884 nach Tombstone kam.

Es war kurz vor fünf am Nachmittag, als er den ›Crystal Palace‹ betrat.

Die große elegante Tombstoner Schenke hatte im allgemeinen um diese Nachmittagsstunde ihre tote Zeit.

An diesem Tage war es anders. Hinten im Spielsalon saßen an einem großen runden Tisch drei Männer, die in ihr Pokerspiel vertieft waren. Vorn im Schankraum hatten sich an drei Tischen die Cowboys der Ferry Ranch eingefunden, die an diesem Tage den Geburtstag ihres Vormanns feierten. Es war Tradition auf der Ferry Ranch, an diesem Tage nach Tombstone zu reiten, um in der prächtigsten Schenke das Ereignis so festlich wie möglich zu begehen. Jim Ferry, der Rancher, saß unter seinen Leuten, um mit ihnen zu feiern; neben ihm saß Joel McLeod, das Geburtstagskind, ein schlaksiger rothaariger Bursche von vierzig Jahren.

Das war ein Umstand, den Nat Galveston in seinem Plan nicht einkalkuliert hatte.

Yeah, Nathan Galveston hatte einen Plan, als er in die Stadt kam. Und zwar einen ganz besonderen Plan. Der Mann aus Louisiana litt an einer Krankheit – sie war nicht sichtbar und hatte auch keines seiner inneren Organe befallen –, war aber dennoch da und machte dem Burschen sehr zu schaffen. Nathan Galveston litt an der Einbildung, der schnellste Schütze des ganzen Westens zu sein. Bedauerlich war dabei die Tatsache, daß er wirklich ein ausgezeichneter Schütze war, nur hatte er bis zu diesem Tage noch keinen Mann der allerersten Garnitur vor seinem Colt gehabt. Als er mit knapp siebzehn Jahren in einer Vorstadtstraße von Monroe auf eine Distanz von neun Yard den als »der schnelle Joe« gefürchteten Neger Joe Harmacher im Revolverkampf von den Beinen holte, hatte seine ›Karriere‹ begonnen. Sieben Monate später starb sein zweites Opfer, der mexicanische Bandit Halan Fernandez; drei Moante später mußte Jeffrey Dillinger die Waffen vor dem schnelleren Schützen strecken.

Bis dann der Weihnachtstag des Jahres 1877 kam; da stand Nat Galveston auf der Mainstreet von Dallas dem Llano Estacado-Stakeman John Houston gegenüber, der ihn gefährlich am Hals verwundete. Als Nat aus seiner Betäubung erwachte, lag er auf dem Operationstisch des alten Knochenflickers, der in Dallas für diese Dinge zuständig war. Die erste Frage, als er die Augen aufschlug, war: Wo liegt Houston? Als der Arzt ihm antwortete: Im Totenhaus – schloß er beruhigt die Augen und versank wieder in tiefe Ohnmacht.

Von Stadt zu Stadt war seitdem der Revolvermann Nathan Galveston gezogen, um immer schnellere und immer bessere Leute zu suchen und sie zum Gunfight zu reizen. Nur ganz wenige hatten die Waffen vor ihm gestreckt. Bis vor anderthalb Jahren jedenfalls. Dann hatte der in ganz Lubbock und Umgebung gefürchtete Jimmy Lenhard vor ihm gekniffen. Das Beispiel machte Schule. Auch Harold Ferringer in Oklahoma strich die Segel vor dem Mann mit dem Hauklotzgesicht. Seitdem hatte es viele »schnelle« Männer gegeben, die dem Revolverkampf mit Galveston aus dem Weg gegangen waren.

In jenen Jahren konnte ein Mann mit der Fähigkeit, einen Revolver geschickt zu handhaben, regelrecht berühmt werden. Oft aber war diese Berühmtheit nur eine makabre Angelegenheit.

Die Popularität des Nathan Galveston reichte von Texas über Oklahoma hinüber nach New Mexico und hatte auch die Grenze Arizonas erreicht. Aber bis in die Stadt Tombstone war sie nicht gedrungen. Vielleicht mochte es hier und da einen Mann geben, der schon von ihm gehört hatte, aber das heiße Tombstone hatte so viele Kanonen auf diesem Gebiet gesehen, die ganz andere Namen hatten als der holzgesichtige Nat Galveston, daß es sich um den seinen noch nicht groß gekümmert hatte.

An jenem Tag aber war er gekommen. Und nicht ohne Grund.

Der Grund allerdings war eben so wahnwitzig wie die Krankheit des Nathan Galveston selbst: der Schießer hatte nicht mehr und nicht weniger vor, als den größten aller Gunfighter, der je über die Trailwege des alten Westens geritten ist, vor seinen Revolver zu fordern. Der Mann aus Louisiana wollte sich mit Doc Holliday schießen!

Immer und immer wieder war er auf diesen Namen gestoßen. Wohin er auch kam, hatte er von dem schnellen Holliday gehört, dem einstigen Bostoner Arzt, der in den Westen gegangen und einer der größten Gambler am grünen Spieltisch geworden war. Der darüber hinaus mit seinen superschnellen Revolverhänden den Ruf erlangt hatte, der König aller Gunfighter zu sein.

Daß der Spieler Holliday jedoch keineswegs gern zum Revolver griff, das wußte der Schießer Galveston nicht. Daß der einstige Arzt seine Heimat drüben in der zivilisierten Welt an der Ostküste des Landes nur deshalb verlassen hatte, weil eine unheimliche tödliche Krankheit ihn befallen hatte, das wußte der Mann aus Louisiana ebenfalls nicht. Holliday war in den Westen gegangen, weil ihm ein älterer Kollege geraten hatte, dort Linderung für sein Leiden zu suchen. Genesung würde er nicht mehr finden; das hatte ihm der alte Arzt offen und ehrlich erklärt. Er und sieben seiner Kollegen hatten es dem jungen Doktor Holliday gesagt: Gesund werden Sie nicht wieder, aber vielleicht finden Sie in der trockerenen Luft des Westens Milderung für Ihre Schmerzen.

Mit dem Bewußtsein, den Tod in der Brust zu tragen, war John Henry Holliday von Boston aus in den Westen gezogen, hatte sich verzweifelt an die grünen Spieltische gesetzt, war ein hervorragender Pokerspieler geworden, und dann, als er eines Tages von einem Mann, der den Verlust nicht verwinden mochte, vor den Revolver gefordert wurde, hatte sich eine unheimliche Fähigkeit Hollidays offenbart: Sein Reaktionsvermögen, das dem einer Katze glich. Er hatte den ersten Gegner besiegt, den er gar nicht hatte bekämpfen wollen, den zweiten, den dritten, den vierten, den fünften – und so war es weitergegangen. Sie hatten ihn zum Gunfight gezwungen – und mit dem Leben bezahlt. So war der »Doc« Holliday im Westen schnell zu einer makabren Berühmtheit gelangt. Verfemt und gemieden ritt er durch die Staaten, gefürchtet und geächtet, bis zu jenem Tage, an dem er dem berühmten Gesetzesmann Wyatt Earp begegnete. Da der große Marshal dem Spieler nicht die Stadt verbot, revanchierte sich Holliday kurz darauf, indem er in einen gefährlichen Revolverkampf eingriff, und dem Marshal den Rücken deckte. Von dieser Stunde an waren die beiden Männer Freunde geworden. Und von dieser Stunde an auch hatte sich der Georgier Holliday in einem Punkt geändert. Er nutzte seine überlegenen Fähigkeiten im Gunfight nun dazu, die Gegner nach Möglichkeit nur zu verwunden, um sie kampfunfähig zu machen.

Ein ewig spöttelnder, leicht zynischer und auch verbitterter Mann jedoch war der hochintelligente und sehr elegante Dr. Holliday geblieben.

Seit fast einem Jahrzehnt nun war er der Freund Wyatt Earps, begleitete den Missourier auf vielen Ritten und weilte jetzt seit längerer Zeit hier in Tombstone, in der gleichen Stadt, in der er am 25. Oktober 1881 zusammen mit Wyatt Earp und dessen Brüdern Virgil und Morgan den aufsehenerregenden Revolverkampf im O.K.-Corral gegen die Clanton-Gang mitgemacht hatte. Seit Monaten jagte Wyatt Earp die gefährliche Galgenmännerbande, deren geheimnisvoller Anführer dem Marshal erst vor drei Wochen im ›Bird Cage-Theatre‹ nach einem turbulenten Fight entkommen war. Der Geheimbund stellte den Schrecken des ganzen Landes dar. Und offenbar hatte er nur einen einzigen Feind, den er wirklich zu fürchten hatte: den Marshal Earp. Und wer Wyatt Earp zu fürchten hatte, der hatte auch Doc Holliday gegen sich. Die beiden Dodger kämpften in Gemeinschaft mit dem riesigen Texaner Luke Sort, der seit einiger Zeit Sheriff von Tombstone war, gegen die »graue« Bande. Es war ein erbitterter Kampf, der hin und her wogte, bei dem der Marshal jedoch die meisten Punkte für sich herausgeholt hatte, indem er etliche Schlupfwinkel der Bande zerschlagen und mehr Banditen aufgegriffen hatte, als der Bandenchief eigentlich hätte verkraften können. Aber seltsamerweise schien die Bande immer wieder neue Mitglieder aus der Erde zu stampfen.

Aber seit drei Wochen hatte sich nichts mehr gerührt.

Der Kampf im ›Bird Cage-Theatre‹ war der letzte Auftritt des Big Boß der Galgenmänner gewesen. Und den Grund dazu enträtselte niemand. Der Bandenführer war bei dem Gefecht verletzt worden. Es war niemand anders als Doc Holliday gewesen, der den flüchtenden Bandenchief noch mit einer Kugel erwischt hatte.

Nachdem sich eine Woche lang nichts gerührt hatte, kursierte im Cochise County das Gerücht, daß der Führer der Maskenmännerbande nicht mehr am Leben sei; die Verletzung, die ihm das Geschoß des Georgiers zugefügt hatte, habe seinen Tod herbeigeführt.

Niemand wußte, woher diese Gerüchte kamen – sie waren ganz einfach da, durchgeisterten die Stadt und das ganze County. Als schließlich die zweite Woche still zu Ende gegangen war, schienen auch Skeptiker an dieses Gerücht zu glauben.

Nun waren schon drei Wochen vergangen, ohne daß irgend etwas geschehen war. So viel Zeit war seit dem Auftreten der Galgenmänner noch nie still verstrichen. Sollte er also wirklich tot sein, der »Große« Boß? Würde der Alpdruck von dem Land genommen sein? Sollte der nervenaufreibende Kampf endlich ein Ende gefunden haben? Brauchte man sich nicht mehr vor dem grauen Gesindel zu fürchten, das wie eine Seuche über Arizona hergefallen war?

Der Gedanke war zu schön, als daß er hätte wahr sein können.

Aber die Menschen waren nur zu gern bereit, das Gute zu glauben. Und was in den ersten Tagen so ängstlich vermieden worden war, nämlich die Bande überhaupt zu erwähnen, vom Chief überhaupt zu sprechen, das änderte sich jetzt allmählich. Man sprach von dem Chief wie von einem berüchtigten Indianerhäuptling, der mindestens schon ein halbes Jahrhundert tot war, und man machte sich vor allem Gedanken über die alte Frage: Wer war der Boß überhaupt?

Auch der Marshal Earp hatte sich diese Gedanken gemacht, und zwar schon sehr viel früher als die Tombstoner. Er war nach zehn Tagen hinaus zur Ranch jenes Mannes geritten, den er lange insgeheim im Verdacht gehabt hatte, der Anführer der Galgenmännerbande zu sein. Er war auf die Ranch Ike Clantons geritten.

Isaak Joseph Clanton war in den siebziger Jahren der Anführer der größten Gang, die es jemals im Westen gegeben hatte. Er allein schien die Fähigkeiten zu besitzen, die der Anführer der Galgenmännerbande immer wieder unter Beweis gestellt hatte. Der schemenhafte gespenstische Boß hatte verdächtig viele Angewohnheiten, die auch Ike Clanton gehabt hatte. Und er besaß Fähigkeiten, die Ike Clanton im großen Maße eigen waren.

Als der Marshal auf die Ranch kam, war Ike nicht daheim gewesen. Seine Mutter hatte ihm erzählt, daß er hinaus aufs Vorwerk geritten sei und in wenigen Stunden zurück sein müsse.

Der Marshal hatte nicht gewartet. Er kam zwei Tage später wieder und hatte da erfahren, daß Ike Clanton mit seinem Vetter Jesse und drei Cowboys nach Mexico hinüber geritten war, wo in der Nähe von Santa Ana ein Haziendero gestorben sei, mit dem Ikes Vater verwandt gewesen war.

Eine einleuchtende Erklärung.

Aber entsprach sie auch der Wirklichkeit? War Ike Clanton wirklich nach Mexico geritten?

Wenn er nun doch der Chief der Maskenmänner gewesen war, dann bedeutete das vielleicht, daß er nicht mehr lebte!

Der Marshal hütete sich, diese Dinge laut werden zu lassen. Seine Gefährten Holliday und Short hatten wie er die Erklärung der alten Mrs. Clanton voll Argwohn entgegengenommen.

»Wenn er es war, dann ist er tot«, hatte der riesige Texaner gemeint.

Der Georgier hatte den Kopf geschüttelt.

»Nein, er ist nicht tot.«

»Wie kommen Sie darauf?« hatte der Texaner wissen wollen.

»Ich weiß es nicht. Es war scheußliches Schußlicht, es war Nacht und die Distanz war viel zu groß. Daher glaube ich, daß ich ihn nur irgendwo an der Hüfte getroffen habe. Natürlich kann ein Mann an einer nicht gezogenen Kugel langsam eingehen. Auch ein Ike Clanton. Aber ich glaube es eben nicht…«

Der Marshal hatte dazu geschwiegen.

Und Tombstone hatte sich an das große Aufatmen gewöhnt. Schon so sehr, daß das Rätselraten um die Person des Bandenführers kein Ende nahm.

Es geschah alles, was auch sonst immer in der Welt geschieht, wenn sich etwas Derartiges ereignet: Gerüchte tauchten auf, daß der Mann gesehen worden sei. Sie versanken wieder, diese Gerüchte, neue kamen, auch die vergingen. Und es blieb die große Frage: Wer war der Boß?

Für Wyatt Earp, Doc Holliday und Luke Short lautete die gespenstische Frage noch entschieden anders.

Lebt er noch?

So stand es an jenem Aprilnachmittag, als der Schießer Nat Galveston in Tombstone einritt und den ›Crystal Palace‹ betrat.

Galveston hatte von all den Dingen gehört, die sich hier in der Stadt ereignet hatten. Der Kampf des Marshals mit den Galgenmännern war auch ihm bekannt, allerdings sah er ihn von seiner Warte aus nur als interessantes Ereignis. Ihn interessierten dabei nur die Schießereien und wer sie siegreich bestanden hatte.

Jetzt ging er mit nicht ganz geraden Beinen und sporenklingendem Schritt auf die lange Theke zu, stützte die Linke auf das gewellte blankpolierte Blech, setzte den rechten Fuß auf die Messingstange und beobachtete die Männer im Schankraum im Thekenspiegel. Dann zog er die Nase hoch, fuhr sich mit dem Handrücken der Rechten über den Mund und sagte mit seltsam spröder Stimme: »Ich bin Nat Galveston.«

Der Keeper nickte, nahm eine Flasche, schob ein Glas vor den Gast und füllte es zu einem Drittel.

Der Schießer schob es so hart zurück, daß die Flüssigkeit hochschwappte und zum Teil herausspritzte.

Der Keeper, ein junger Mann von höchstens zweiundzwanzig Jahren, groß, mit frischem ernstem Gesicht, zog die Brauen finster zusammen und fragte: »Was paßt Ihnen an dem Drink nicht, Mister?«

Galveston schob den Unterkiefer vor und zischte: »Ich habe gesagt, ich bin Nat Galveston.«

»Freut mich, Mister«, entgegnete der Keeper kühl, »aber nun nehmen Sie den Drink.« Er füllte das Vergossene wieder nach und schob das Glas erneut vor den Coltman hin.

Der schob es wieder zurück und fauchte: »Wohl vergessen, daß dein Vorgänger ins Gras gebissen hat?«

Der Keeper schluckte und erblaßte jäh.

»Was wollen Sie?« krächzte er.

»Ich habe gesagt, mein Name ist Nat Galveston, genügt dir das nicht?«

»Doch, doch, Mr.… Galveston. Schon eine ganze Menge. Aber…«

»Du scheinst der blödeste Kerl von ganz Tombstone zu sein. Wenn Nat Galveston auftaucht, dann will er den schnellsten Revolverschützen der Stadt sehen. Und wer ist in diesem Nest der schnellste Revolverschütze?«