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Dorian Hunter Band 88: Totentanz

Coco Zamis ist zum Schein Schiedsrichterin der Schwarzen Familie geworden, um von innen heraus gegen die Dämonen zu arbeiten. Doch wie lange kann sie diese Täuschung noch aufrecht erhalten? Asmodi, der Fürst der Finsternis persönlich, ist ihr längst auf der Spur.

 

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Jenseits der Schwelle

 

 

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Band 87

 

Jenseits der Schwelle

 

von Simon Borner und Catherine Parker

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

© Zaubermond Verlag 2017

© "Dorian Hunter – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur

 

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Alle Rechte vorbehalten

 

 

Was bisher geschah:

 

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte. Ihn kann Dorian schließlich töten.

Nach vielen Irrungen nimmt Lucinda Kranich, die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, die Rolle des Asmodi an. Niemand weiß, dass sie in Wirklichkeit hinter dem wiedererstandenen Fürsten steckt. Und letztendlich wird ihre Maskerade Wirklichkeit. Dass Lucinda sich einen Teil Asmodis einverleibt hat, um seine Macht zu erlangen, wird ihr zum Verhängnis. Der in ihr schlummernde Asmodi übernimmt die Kontrolle über ihren Körper und ersteht so tatsächlich wieder auf.

Und die Umstände wollen es, dass ausgerechnet Coco Zamis die neue Schiedsrichterin wird. Das Dämonenkiller-Team droht zu zerfallen, Dorian stirbt. Die Dämonen scheinen gesiegt zu haben.

Aber mit vereinten Kräften gelingt es Dorians Freunden, ihn ins Leben zurückzuholen. Das Team formiert sich neu, und Coco Zamis nimmt zum Schein den Posten als Schiedsrichterin der Schwarzen Familie an, um aus dem Inneren heraus gegen die Dämonen zu kämpfen.

Gerade als sich alles wieder eingependelt zu haben scheint, taucht die Uhrmacherin auf, Dorians lang verschollene Tochter Irene. Sie behauptet einen Weg zu kennen, wie man die Schwarze Familie ein für alle Mal ausrotten kann. Aber kann man ihr trauen?

 

 

Erstes Buch: Jenseits der Schwelle

 

Jenseits der Schwelle

 

von Simon Borner

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

Kapitel 1

 

London, Abraham Road

Sie war seine Tochter, und der Lauf der Schusswaffe in seiner rechten Hand wies genau auf ihren Kopf! Dorian Hunter, der Dämonenkiller, stand in seinem Londoner Wohnsitz und fragte sich einmal mehr, wo genau sein Leben diese ebenso absurde wie erschreckende Abzweigung in den Wahnsinn genommen hatte. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass sein Finger am Abzug lag … Und was von nun an geschehen würde, lag außerhalb seiner Kontrolle.

»Falls das nicht deutlich genug rübergekommen ist«, sagte er knurrend, als die Stille zu schwer für ihn wurde. »Das da eben war als Aufforderung gedacht. Du musst mir einiges erklären, Irene. Und ich warte nicht gern.«

Die Frau, die ihm gegenüberstand und sich kaum zu rühren wagte, nickte knapp. »Ich weiß«, sagte sie leise. Mehr sagte sie aber nicht.

Verdammt, schoss es Dorian durch den Kopf. Rede endlich!

Doch Irene, die mysteriöse Uhrmacherin, schwieg. Sie sah ihn einfach nur an.

Sekunden verstrichen. Dann ließ Dorian die Waffe sinken. »Du wolltest dir das Buch also ausleihen?«, fragte er, und es klang beinahe wie ein Themenwechsel. Und wie eine Resignation.

Irene nickte erneut, als wäre nichts gewesen. Als hätte sich nicht erst vor wenigen Minuten ein Untoter in ihrer Gegenwart zu Papier verwandelt und als wäre ihr Leben nicht gerade von ihrem eigenen Vater bedroht worden. »Das Pactum Sanctorum«, antwortete sie und strich mit der Hand über den alten Folianten, den sie sich vorhin aus Dorians Regal genommen hatte.

Das Pactum Sanctorum war Dorian schon lange nicht mehr in die Hände gefallen. Dennoch befand sich eines der wenigen überhaupt noch existenten Exemplare des alten Standardwerks in den Beständen seiner so genannten Horrorsammlung. Der alte Foliant versammelte Berichte über Menschen aus der irdischen Geschichte, die einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten. Dorian entsann sich nur dunkel seines Inhalts, glaubte sich aber zu erinnern, dass das Buch ebenso gründlich wie sachlich informierte.

Fast schon beiläufig griff er nach dem ledernen Einband und nahm Irene das Buch ab. Sofort streckte sie wieder die Hände danach aus.

Doch Dorian schüttelte den Kopf. »Mhm«, verneinte er streng. »Erst bekomme ich meinen Willen, dann du. Du kannst das Pactum haben, Irene, aber nur, wenn ich meine Erklärungen kriege. Also? Ich höre!«

Sie seufzte, ließ die Arme sinken und schenkte ihrem Vater einen mehr als strafenden Blick. Dann begann sie aber zu erzählen. »Nachdem Mother Goose starb, hatte ich niemanden mehr. Verstehst du? Es war niemand da, der sich um mich kümmerte. Niemand, dem ich, und niemand, der mir etwas wert war. Und dein Internat … Es existierte nicht länger. Da waren nur noch abgebrannte Ruinen, nur Schutt und Asche.«

Dorian nickte. Je länger Irene ihm gegenüber stand, desto mehr Bilder der Vergangenheit erschienen vor seinem geistigen Auge. Abermals fragte er sich, wie das Leben nur solch bizarre Kapriolen schlagen konnte. »Und weiter?«

»In den Trümmern des Internats fand ich den Zauberspruch.« Irene senkte den Kopf, allerdings nur ein bisschen. »Der, mit dem sich die Zhi Ren erschaffen ließen. Ich nahm den Spruch an mich und lernte, ihn zu benutzen. Das ist alles.«

Mehr noch: Es war sogar vollkommen plausibel. Dorian war selbst vor ein paar Tagen erst nahe der Hütte von Mother Goose auf diese seltsamen chinesischen Schriftzeichen gestoßen. Es waren magische Zeichen gewesen, das hatte er damals bereits gespürt. Und mit ihnen musste irgendjemand eine Art Beschwörung abgehalten haben. War es da wirklich verwunderlich, dass auch Irene dort auf magische Formeln stieß? Kein bisschen.

»Und doch bist du lebendig«, murmelte er.

Sie blinzelte verwirrt. »Was?«

»Du lebst«, wiederholte er. »Die Uhrmacherin und Herrin der Zhi Ren ist quicklebendig. Wie kann das sein? In … Na, sagen wir, in einem früheren Leben bin ich den Zhi Ren schon einmal begegnet. In China.«

Irene machte große Augen. Ihr Erstaunen wirkte aufrichtig, genau wie ihr Interesse.

»Ich nannte mich damals anders«, fuhr er fort und fragte sich gleichzeitig, wieso er sich von ihr eigentlich so tief in die Karten blicken ließ. »Hugo Bassarak war mein Name. Und obwohl ich mein Möglichstes versuchte, fand ich nicht heraus, wessen Befehlen diese chinesischen Untoten gehorchten.«

Sein Gegenüber zuckte ratlos mit den schmalen Schultern.

»Ich weiß aber seitdem, dass sie nur Toten gehorchen«, kam er zum Punkt. »Zumindest dachte ich das bislang.«

»Du dachtest falsch«, sagte die Uhrmacherin halb sanft und halb spöttisch. »Auch als Lebender kann man sich die Zhi Ren gefügig machen. Sofern man weiß, was man tut, heißt das.«

Er dachte an den wandelnden Leichnam, den sie als ihren Bodyguard bezeichnet hatte. »Und du weißt es?«

Sie schwieg wieder, aber das Schweigen sagte ohnehin mehr als tausend Worte.

»Was muss man denn dafür tun?«, hakte er sofort nach.

Doch der Moment der Offenheit war merklich vorüber. Statt ihn noch tiefer in ihre Geheimnisse einzuweihen, griff Irene kurzerhand nach dem Pactum Sanctorum. Sie schlug es auf und blätterte darin. »Ich bringe es dir wieder, sobald ich damit fertig bin«, versprach sie, ohne von den Seiten aufzublicken. Das hatte schon fast etwas von Smalltalk.

Er ließ sie gewähren. Es nutzte nichts, jetzt weiter zu drängen. Das spürte er instinktiv. Sie würde sich nur noch weiter verschließen, wenn er nicht aufpasste und nicht diplomatisch blieb. Lieber verlor er die Schlacht als den Krieg. Der Krieg war bedeutend wichtiger … nicht zuletzt, weil nicht sie es war, gegen den er ihn führte. Sondern die Schwarze Familie!

Zudem: Ein Gutes hatte Irenes Bericht. Er legte zumindest mit einigem Nachdruck nahe, dass sie keine Menschen getötet hatte, um ihre Armee der Untoten zu erschaffen. Ihre Zhi Ren waren auf anderem Wege entstanden. Wenn er ehrlich zu sich war, erleichterte das Dorian nicht gerade wenig. Letzteres behielt er aber wohlweislich für sich – wenigstens für den Moment.

Dorian wollte gerade etwas sagen, da bemerkte er ein leises, aber penetrantes Geräusch. Ein leichtes Klopfen, das von rechts und aus Richtung des zur Abraham Road weisenden Fensters kommen musste.

Irene bemerkte es ebenfalls, und sie reagierte schneller. »Nanu?« Mit wenigen schnellen Schritten war sie am Fenster und öffnete es, noch bevor Dorian richtig wusste, was geschah.

Auf dem Fensterbrett saß ein weiterer Untoter! Allerdings keiner in Menschengröße, nicht einmal einer in Menschengestalt. Es war ein Vogel, ein kleiner Spatz, genau genommen, und sein halb verwester Leib ließ keinerlei Fragen über seinen Zustand und über den Grund seines Kommens offen. Sein Schnabel stieß nachdrücklich gegen das Glas, wieder und wieder. Er klopfte an!

Irene trat einen Schritt zur Seite, und der Spatz flog in den Raum. Er drehte eine kleine Runde durch Dorians alte Bleibe, dann streckte Irene den rechten Arm aus, und er landete auf ihrer Hand.

Erst jetzt bemerkte Dorian, dass das untote Federvieh etwas im Schnabel hielt. »Was ist das?«, staunte er und kam näher.

»Gute Frage«, antwortete Irene. Sie hielt die Linke unter den Schnabel, und der Spatz ließ sein Gepäckstück fallen. Es handelte sich um einen Fetzen Papier, allem Anschein nach irgendwelcher Abfall von der Straße. Doch in dem Moment, da der Spatz sich seiner Last entledigte, geschah etwas Seltsames mit dem Tier. Der Vogel verwandelte sich! Wo eben noch Federn, Augen und Krallen gewesen waren, bestand das Tier binnen eines einzigen Augenblicks nur noch aus Papier! Die gesamte Kreatur war plötzlich nicht länger ein Vogel, zumindest kein richtiger. Stattdessen saß auf einmal ein Vogel aus kunstvoll gefaltetem Papier auf der Hand der Uhrmacherin. Ein Origami-Vogel. Nie zuvor hatte Dorian einen derart gekonnt gefalteten gesehen, und nie zuvor hatte er mehr über einen gestaunt.

Seine Besucherin wunderte sich nicht, das sah man ihr an. Sie nahm das Origami-Tier, in dem nun noch nicht einmal mehr untotes Leben wohnte, und betrachtete es von allen Seiten. Dann hob sie eine Augenbraue. Wissend und mit einem Mal verstehend, faltete sie den Vogel auseinander, bis nur noch ein flaches, von mehreren Falten gezeichnetes Blatt Papier in ihren Händen zurückblieb.

Es stand etwas auf diesem Papier. Dorian sah es, konnte es aber nicht lesen, weil Irene das Blatt sofort seinen fragenden Blicken entzog. Schweigend studierte sie die so rätselhaft erscheinende, merklich in Hast verfasste Nachricht.

Und sie erblasste.

»Was ist?«, fragte Dorian. Hatte er eben noch gelinde Erleichterung verspürt, wallte nun neue Sorge in ihm auf. Das da war definitiv kein Abfall von der Straße! »Was steht da, Irene? Sag es mir.«

Die Frau, die tatsächlich seine Tochter war, musste sichtlich schlucken. Sie ließ das Blatt sinken und zerknüllte es in ihrer Hand. Dann ließ sie sich in einen von Dorians Sesseln sinken, als fürchte sie, ihre Beine könnten jeden Moment unter der Last des Entsetzens nachgeben, das sie überkommen hatte.

»Irene«, drängte er. »Was ist los?«

Endlich hob sie den Blick. Es lag Angst darin, das sah er genau. Angst und eine Art von unfreiwilliger Resignation. Und Dorian verstand: Sie hasste, was sie nun tun musste. Sie wusste allerdings, dass ihr unter den Umständen – wie immer diese auch aussehen mochten – keine andere Wahl blieb. Sie stand mit dem Rücken zur Wand.

»Du wolltest eine Erklärung, richtig?«, sagte sie, und ihre eben noch so trotzig-unbekümmerte Stimme war zu einem schwachen, beinahe schon heiseren Krächzen verkommen. Dann lächelte sie humorlos. »Ich fürchte, du kannst sie haben, Dorian. Denn so leid es mir tut: Ich brauche dringend deine Hilfe!«

 

Einen Moment lang schwiegen beide. Dorian war hin und hergerissen. Vieles in ihm drängte danach, ihr zur Seite zu stehen – wogegen und weshalb auch immer. Schließlich wollte er auch ihre Hilfe, nämlich im Kampf gegen die Dämonen. Was konnte da besser sein, als ihr Verbündeter zu werden?

Doch ein weitaus rationalerer Teil seines Verstandes hielt ihn zurück. Was wusste er über diese Frau? Was wusste er über ihre Feinde? Sie war die Uhrmacherin, verdammt! War sie wirklich das Opfer hier oder nicht doch vielmehr die Täterin?

»Ich helfe dir«, hörte er sich plötzlich sagen, und die leise Stimme der Vorsicht in seinem Geist verstummte. Er meinte es ehrlich, und er pfiff auf die Konsequenzen. Dieses eine Mal pfiff er auf sie. »Versprochen.«

Irene wirkte erleichtert, doch die Angst in ihrem Blick blieb. Sie erhob sich aus dem Sessel und trat zur nächstbesten Tür. Dabei zog sie einen Schlüssel hervor, den sie an einer Kette um den Hals trug. Es handelte sich um einen kunstvoll gefertigten Schlüssel aus rostfarbenem Material, ein etwa fingerlanges Exemplar, das einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben musste – Minimum. Irene zog es von ihrem Hals und hielt damit auf die geschlossene Tür zu.

Dorian runzelte die Stirn. »Äh … Da ist nicht abgeschlossen«, sagte er verwundert. »Und das Ding da würde sowieso nicht passen. Meine Schlüssel sehen ganz anders aus und …«

Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Irene hatte den Schlüssel ins Schloss der unverschlossenen Zimmertür gesteckt und drehte ihn nun ruckartig um. Dann zog sie ihn wieder hinaus und öffnete die Tür.

Dorian Hunter verstummte. Hinter der Türschwelle war ein neuer Raum erschienen, ein riesig wirkender, halbdunkler Raum, der ganz und gar nicht Teil des Hauses in der Abraham Road war!

Was passiert hier?, dachte der Dämonenkiller einmal mehr. Vorsichtig trat er näher.

Nun konnte er Geräusche hören. Ein stetes Zischen und Stampfen wie von großen Apparaturen drang durch die offene Tür. Dorian musste an altmodische Stanzmaschinen denken, an pneumatisch betriebene Förderbänder in Fabrikhallen der vorletzten Jahrhundertwende. »Was ist das?«, murmelte er und deutete in das Halbdunkel jenseits der Türschwelle.

»Deine Erklärung«, antwortete Irene. Sie ergriff seine ausgestreckte Hand – die so plötzliche Berührung war gleichzeitig angenehm und unangenehm für ihn –, trat über die Schwelle und zog ihn einfach mit sich.

 

Dorian betrat einen graudunklen, schmalen Korridor. Die schmucklosen Wände und die Decke waren in metallischem Farbton gehalten, der Boden bestand aus dunklen Holzbohlen. Eine Lichtquelle, die er weder ausmachen noch verorten konnte, tauchte den vielleicht zwanzig Meter langen Flur in trübes, spärlich eingesetztes Licht. Am hinteren Ende des Flures wartete eine weitere Tür. Sie war geschlossen, und auch die, durch die Irene und er soeben getreten waren, schloss sich nun hinter ihnen.

Dorian sah Irene an. Sie schwieg und schien auf eine Reaktion von ihm zu warten.

Er legte den Kopf leicht schräg, roch die abgestanden wirkende Luft … und vor allem: Er lauschte!

Da waren das Zischen und das Stampfen wieder. Aber da war auch noch mehr, oder? Ein leises, mechanisch wirkendes Rattern lag im Raum wie ein omnipräsentes Hintergrundgeräusch. Und Dorian glaubte zu ahnen, woher es stammte.

Schnell trat er an eine der Korridorwände und legte die Hand flach dagegen. Tatsächlich: Die Wand vibrierte leicht, und hinter ihr – nein: in ihr – schien irgendein riesiger Mechanismus zu wirken.

Ein Uhrwerk, schoss es Dorian durch den Kopf. Ein gewaltiges Uhrwerk.

Der Gedanke war bizarr, und doch glaubte er ihn sofort.

»Wo sind wir hier, Irene?«, fragte er leise.

»In der Werkstatt«, antwortete sie in seinem Rücken. »In meinem Reich. Komm, Dorian. Folge mir einfach. Dann wirst du schon sehen.«

Gemeinsam gingen sie zur hinteren Tür des Flurs, der, so ahnte Dorian inzwischen, nur eine Art für ihn gedachte Schleuse darstellte. Er sollte ihm den Übergang erleichtern. Ihn vorbereiten auf das, was Irene ihm eigentlich zeigen wollte.

Irene öffnete diese zweite Tür ohne Schlüssel. Dahinter erwartete ihn der Wahnsinn.

Die Halle riesig zu nennen, wäre eine Untertreibung. Rückwand, Decke … All das lag in den Schatten des Halbdunkels verborgen und mochte Ewigkeiten weit entfernt sein. Die Wände, die Dorian sehen konnte – allesamt metallgrau und schmucklos –, waren eher Zwischen- als Zimmerwände und trennten einen Arbeitsbereich vom anderen. Auch echtes Metall konnte er erkennen, genauer gesagt wahre Unmengen davon. Es steckte in den seltsamen, großen Zahnrädern, die alle paar Meter aus dem hölzernen Boden ragten und weiter oben in den Deckenschatten verschwanden. Die Zahnräder waren so gewaltig, dass er immer nur Bruchstücke von ihnen sah, nur Viertel oder noch kleinere Teile des gesamten Konstrukts. Doch sie waren ähnlich kunstvoll verziert, wie es Irenes magischer Schlüssel gewesen war – und sie bewegten sich!

Als stünde ich im Inneren einer unfassbar großen Uhr, dachte Dorian und musste mehrfach blinzeln.

Die Trennwände und Räder machten aus der ansonsten gewaltig wirkenden Halle eine Art Irrgarten für jene, die sich nicht in ihm auskannten. Entsprechend wurde Dorian erst nach und nach bewusst, wie viele verschiedene Arbeitsstationen es in ihr geben musste. Überall, wo Irene ihn hinführte, sah er lange Fließbänder oder gewaltige Stanzmaschinen, abgewetzte Werkbänke oder große Kisten voller Bauteile. Hier wurde geschraubt, da zurechtgeschnitten, dort beschriftet und weiter hinten gelötet. An all diesen Stationen standen oder saßen Untote, allesamt menschliche Zhi Ren, und führten nahezu mechanisch ihre immer gleichen Tätigkeiten aus. Sie bauten.

Und mit einem Mal begriff Dorian auch, was.

»Lebensuhren«, keuchte er, als Irene ihn abermals an einem der Fließbänder vorbeiführte. »Sie bauen Lebensuhren.«

Sie nickte. »Deswegen ist dies meine Werkstatt«, betonte sie. »Ich bin die Uhrmacherin, und hier …« Sie breitete die Arme aus, und ein Hauch von Stolz schlich über ihre Züge. »… mache ich meine Uhren.«

Fassungslos sah Dorian auf die zutiefst beeindruckende Produktionskette. Überall wurde an einzelnen Bestandteilen der Uhren gewerkelt, von denen keine ganz dieselbe Form zu haben schien. An einem Tisch beschriftete man Zifferblätter, an einem anderen bereitete man Zahnräder vor, und ein weiterer Untoter setzte Gewinde in halb montierte Gehäuse ein. Insgesamt mussten hier mehrere Dutzend Zhi Ren beschäftigt sein – doch Dorian ahnte, dass diese Schätzung weit unter der Wahrheit lag. Schließlich konnte er nur einen Teil der Halle sehen. Was wusste er schon, wie groß sie noch war?

»Wie groß ist dieses Ding?«, gab er die Frage schlicht an Irene weiter.

Sie lächelte schwach. »Weitaus größer, als du jetzt denkst«, antwortete sie.

Dorian hob verblüfft eine Braue.

Irenes Lächeln wurde breiter. »Und weitaus größer, als du jetzt denkst.«

Er begriff, dass er keine genauere Auskunft von ihr bekommen würde, und beließ es dabei. Zumindest für den Moment. Diese eigenartige Werkstatt machte ihm einiges über Irene klar. Mit einem solch großen Heer an treuen Arbeitern konnte sie es vielleicht tatsächlich schaffen, für jeden einzelnen Dämon auf der Welt, für jedes Mitglied der Schwarzen Familie eine eigene Lebensuhr zu bauen. Allein wäre ihr das schon der Menge wegen nie gelungen, aber mit derart professionellen und industrialisierten Arbeitsprozessen … Es schien Dorian plötzlich möglich, und der Gedanke hatte etwas sehr Beruhigendes.

»Es wird noch ein paar Jahre dauern, fürchte ich.«

»Hm?« Ihr Satz hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. »Was meinst du?«

»Na, bis ich sie fertig habe«, sagte sie und bewies, dass sie sehr gut erahnen konnte, was er gerade dachte. »Bis ihre Zahl genügt, um alle Dämonen zu vernichten. Aber ich bin hier auf einem guten Weg, das garantiere ich dir. Und ich werde das Ziel erreichen.« Sie seufzte. »Es ist nur eine Frage der Zeit. Wenn ich fertig bin, brauche ich die Uhren bloß noch zu verteilen.«

Die Sätze sollten selbstsicher klingen, und das taten sie auch. Dennoch hatte Dorian plötzlich das Gefühl, dass da ein Anflug von Zweifel mitschwang. Kein Zweifel an ihrer Werkstatt und ihrem Plan, sondern … an äußeren Umständen?

Außerdem: Sie konnte diese immense Anlage doch unmöglich allein erschaffen haben, oder? Dieses riesige Gebilde aus Maschinen, dieses bizarre Innere einer – so kam es ihm zumindest vor – gewaltigen Uhr? Das alles sollte ihr alleiniges Werk sein?

Unmöglich, schätzte er und betrachtete Irene nachdenklich. Nein, das warst du nicht allein. Oder? Aber wer war es noch? Mit wem hast du dich hier eingelassen, Irene? Auf wessen Schultern steht deine Werkstatt?

Mit einem Mal musste er wieder an den Bodyguard und den kleinen Spatz aus London denken. »Warum sind wir hier, Irene? Wobei soll ich dir helfen?«

Sie streckte den Arm aus und deutete voraus. Als er ihrem Fingerzeig folgte, sah er eine metallene Treppe, die einige Meter und ein gewaltiges Zahnrad weit hinter dem Förderband nach oben und zu einer Art Brücke führte. Über diese kam soeben ein Mann auf die beiden zugeeilt. Optisch musste er irgendwo in den Siebzigern liegen. Sein Haar war weiß und nur noch als kreisrunder Kranz vorhanden. Sein faltiges und von Altersflecken gezeichnetes Gesicht endete in einer fliehenden Stirn, und auf seiner großen Nase saß eine altmodische Nickelbrille. Er trug ein Hemd mit Stehkragen, eine karierte Strickweste und eine braune Cordhose.

»Herrin!«, rief er schon von Weitem, als er Irene sah. »Endlich, Herrin! Endlich habe ich Sie gefunden.« Dann fiel sein Blick auf Dorian – und er blieb mitten auf der Treppe stehen, als habe ihn der Blitz getroffen.

»Ist schon gut, Alfred«, sagte die Uhrmacherin. »Das ist Dorian Hunter. Erinnern Sie sich? Ich habe ihn gleich mitgebracht.«

Letzteres schien das Entsetzen des Alten nur noch zu steigern. »Sie haben was? Aber, Herrin! Bedenken Sie doch die …«

»Ich sagte, es ist gut«, fiel Irene ihm streng ins Wort.

Alfred senkte den faltigen Kopf. Die Geste mochte Gehorsam ausdrücken, auf Dorian wirkte sie aber vor allem resignierend.

Erst jetzt fielen Dorian seine vielen Uhren auf. In jeder Tasche schien der Alte mindestens eine Taschenuhr zu haben – der Menge an goldenen Kettchen nach zu urteilen, die aus diesen Taschen ragten. Dazu kam je eine stattliche Armbanduhr pro Handgelenk.

»Ich habe deine Nachricht erhalten«, wandte sich Irene weiter an ihn. »Nun? Hier bin ich. Was genau ist denn so entsetzlich dringend?«

Alfred hob den Kopf wieder. Seine Miene war ernst. »Es tut mir leid, Herrin, aber das sehen Sie sich besser selbst an. Es … Oh, es ist einfach schrecklich!«

 

Der Alte führte sie weiter in die Untiefen und auf eine andere Ebene der Fertigungshalle. Staunend sah Dorian Hunter sich um. Er begriff, dass er seine Größenvorstellungen abermals ganz neu definieren musste. Oder am besten gab er sie gleich ganz auf. Nichts wurde dieser Halle gerecht, die gleichzeitig so riesig und so verwinkelt wirkte; absolut nichts.

An einer der wuchtigen Stanzmaschinen blieben sie stehen. Die Maschine war ebenfalls ziemlich imposant. Graues Metall verkleidete den Großteil ihrer Innereien, und eine Menge an Schläuchen hing an ihrem Gehäuse hinab und verschwand in kreisrunden Löchern, die eigens dafür in die Bodendielen gesägt worden sein mussten. Ihr bestechendstes Detail war allerdings ihre Inaktivität. Und die dünne Rauchsäule, die aus ihrem Inneren drang. Beides, so vermutete Dorian, war nicht Teil des Plans.

»Hier, Herrin«, sagte Alfred und deutete auch prompt auf das Gehäuse, aus dem es qualmte. »Hier sind wir.«

Dorian sah zu dem Zhi Ren, der die so wuchtige Maschine allem Anschein nach allein bediente. Er stand zwei Schritte abseits und sah stoisch ins Leere, ein Werkzeug ohne Aufgabe.

Der wartet, begriff Dorian. Nur worauf? Auf eine Reparatur?

Alfred fuhr fort. »Ich habe den Fehler bei einem meiner Rundgänge bemerkt, aber da war es natürlich schon zu spät. Unser … unser tumber Freund hier hat wohl nicht rechtzeitig erkannt, dass sein Arbeitsgerät nicht länger einwandfrei funktionierte. Also hat er einfach weitergearbeitet, und jetzt haben wir den Salat.« Er seufzte schwer. Diese Sache, was immer genau sie auch sein mochte, schien ihn gleichzeitig zu belasten und zu beängstigen.

»Eine überhitzte Pneumatik?«, fragte Irene. »Deswegen rufst du mich ›unverzüglich‹ hierher? Wegen Kinkerlitzchen, die du mit zwei Handgriffen reparieren kannst?«

»Ich wünschte, es wäre so.« Alfred seufzte. »Oh, Herrin …«

»Nun spannen Sie uns nicht unnötig auf die Folter, Mann«, fuhr Dorian den Alten an. »Zeigen Sie schon her!«

Alfred schenkte ihm einen Blick, der anderswo waffenscheinpflichtig gewesen wäre, fügte sich aber. Er trat hinter die Stanzmaschine und öffnete eine etwa einen Dreiviertelmeter breite, rechteckige Wartungsklappe in der rückseitigen Verschalung des Geräts.

Dorian und Irene gingen zu ihm und sahen in die offene Luke. Irene keuchte auf.

Inmitten der Mechanik, von der Dorian erschreckend wenig verstand, prangte ein ebenso schleimiger wie verkrusteter Fremdkörper von der Länge eines Unterarms. Anders als die Maschine wirkte er absolut organisch statt technisch. Allerdings wirkte er auch eher tot. Er war ansatzweise rund, hatte eine fleckige Oberfläche aus einer Art weißlichem, brüchig wirkendem Material und war von oben bis unten mit langsam vertrocknendem Schleim bedeckt. Letzterer schien nicht zuletzt aus dem Inneren des Gebildes selbst zu stammen, war es doch schließlich in der oberen Hälfte auseinandergebrochen oder gebrochen worden.

An irgendetwas erinnerte der Anblick den Dämonenkiller. Dann fiel es ihm ein, und für einen kurzen Moment konnte er es nicht glauben. »Moment, Moment … Ist das da etwa ein Ei?« Falls ja, glich es keinem, dem er je zuvor begegnet war. Gut, die Form und die zerborstene »Spitze« ließen den Rückschluss zu, aber …

»Es ist eines«, bestätigte Alfred zu Dorians stetig wachsendem Erstaunen. »Und ich fürchte, wir finden es zu spät.«

Da lag etwas in diesem Satz, das den Dämonenkiller erst recht stutzig machte. »Dann geht es hier nicht um die Maschine, richtig?«, folgerte er. »Die könntet ihr doch locker reparieren, schätze ich. Nein, ihr fürchtet euch vor dem Ei selbst!«

»Eher vor dem, was da drin war«, murmelte Irene. Sie war abermals blass geworden. Der Zorn, den sie vorhin auf Alfred verspürt hatte, war sichtlich verflogen. Nun sah sie wieder so ängstlich aus wie vorhin in Dorians Sessel.

»Nämlich was?«, erkundigte sich Dorian.

Irene schenkte ihm nur einen vielsagenden Blick.

Das genügte. »Halt mal, alles auf Anfang«, sagte er streng und hob abwehrend beide Hände. »Ich bin Dämonenjäger, Irene. Kein Kammerjäger. Wenn ihr hier Probleme mit zerstörerischem Ungeziefer haben solltet, dann gebe ich euch gerne die Gelben Seiten und …«

Alfred schnaubte.

»Das ist kein Ungeziefer«, sagte Irene zeitgleich und sah Dorian an.

»Sondern was?«, fragte er nun lauter. »Ehrlich, du musst mit mir reden, wenn ich dir helfen soll! Was ist hier los? Was soll dieser ganze Aufstand, verdammt? Und von welchem Rieseninsekt oder Tier stammt dieses seltsame Ei?«

Sie schüttelte den Kopf. »Vermutlich von keinem, das du dir vorstellen könntest«, antwortete sie, und obwohl die Worte ausweichend wirken konnten, spürte er, wie ehrlich es ihr mit ihnen war. »Du hast mich vorhin gefragt, wo wir hier sind, Dorian. Nun, wir sind in meiner Werkstatt. Das weißt du jetzt. Aber wo ist diese Werkstatt? Wann ist sie? Das weißt du nicht. Und ich fürchte, die Antwort wird dich überraschen.«

Wann ist sie? Dorian verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg. Doch seine Neugier wuchs mit jedem Atemzug.

»Wir sind nicht länger in der Welt, wie du sie kennst«, sagte Irene.

»Ich kenne viele Welten«, entgegnete er.

Doch sie lachte nur humorlos. »Bestimmt. Aber das wird dir hier nicht helfen. Dies … ist keine Welt. Keine Zeit. Kein Raum. Wir sind Nirgendwo, Dorian. So nenne ich es, und kein anderer Begriff erscheint mir treffender. Nirgendwo.« Sie trat an eine der metallgrauen Wände, in deren Innerem eine verborgene Technik leise und konstant summte, und legte die Hand dagegen. »Da draußen jenseits meiner Mauern ist nichts. Absolutes Nichts, verstehst du? Diese Werkstatt existiert jenseits aller uns bekannten Dimensionen und Epochen, außerhalb von Zeit und Raum. Sie ist ein Nicht-Ort. Mein Nicht-Ort. Und dank des Schlüssels, den du vorhin in Aktion erlebt hast, kann ich sie von jedem Ort aus erreichen. Wo immer ich mich auch befinden mag: Ich brauche nur eine Tür aufzuschließen, eine vollkommen beliebige Tür mit Hilfe meines Schlüssels, und schon bin ich wieder hier.«

Er hob eine Braue. Abgebrüht, wie er war, schafften ihre Worte doch einen leichten Schauer auf seinen Rücken. »Absolutes Nichts?«

»Soweit ich weiß«, bestätigte Irene. »Allerdings … sind wir in diesem Nichts nicht allein.«

Alfred seufzte schwer. Dorian wusste nicht, ob ihn der Inhalt von Irenes Schilderungen belastete oder die Tatsache, dass die Uhrmacherin ihren Überraschungsgast überhaupt in ihre Probleme einweihte. Vermutlich beides.

»Seit einiger Zeit«, fuhr Irene fort, »erhalten wir hin und wieder Besuch. Besuch der eher unheimlichen Sorte, verstehst du? Besuch mit spitzen Zähnen, langen Greifarmen oder Tentakeln … und vor allem mit bösen Absichten. Irgendwie schaffen diese Monster es durch unsere Außenwände und ins Innere der Werkstatt. Und dann …« Sie verstummte und senkte den Kopf.

Alfred musste an ihrer Stelle weitersprechen. »Sie greifen unsere Leute an, unsere Zhi Ren. Völlig unprovoziert und wie aus heiterem Himmel. Sie … sie fressen sie, Mr Hunter. Sie fressen sie auf!«

»Und sie legen Eier«, sagte Irene und nickte in Richtung des Nestes, das sie im Inneren der Stanzmaschine entdeckt hatten. »Wann immer wir so ein Nest finden, wissen wir, dass wir Probleme haben.«

»Könnt ihr diese Monster irgendwie aufspüren?«, fragte Dorian.

»Das wäre schön«, verneinte sie. »Aber bislang läuft es eher anders herum. Sie spüren uns auf.«

»Und doch seid ihr noch hier.«

Sie nickte wieder. »Wir hatten Glück. Natürlich versuchten wir stets, die Monster zu finden und zu töten, aber es gelingt uns weit eher durch Zufall als durch Können. Jedes Mal war es ein Kampf auf Messers Schneide, wenn du so willst. Und ich hoffe …« Ein Seufzen. »Ich habe dich mit hierher geholt, weil ich hoffte, mit dir an meiner Seite könnte es leichter gehen. Verlustärmer. Effektiver und vielleicht sogar endgültiger. Du bist ein mächtiger Krieger im Kampf gegen Dämonen, Dorian. Ich hoffte, wir zwei zusammen würden diesen Spuk ein für alle Mal beenden können.« Sie sah ihn an. »Also? Was sagst du?«

Dorian erwiderte ihren Blick. Er sah die Angst in ihren Augen, die Verletzlichkeit und den Schmerz. Sie brauchte seine Hilfe wirklich. Dringender denn je.

»Nein«, antwortete er und ging.

 

 

Kapitel 2

 

Er kam keine drei Schritte weit.

»Was?«, fragte Irene und stellte sich ihm in den Weg. Entsetzen lag auf ihren Zügen, aber auch Enttäuschung. »Ich hätte mehr von dir erwartet, Dorian Hunter. Nein, wirklich. Ich dachte, du wolltest gegen die Mächte der Finsternis kämpfen. Stattdessen machst du kehrt, wenn sie sich dir offenbaren, und zuckst nur teilnahmslos mit den Schultern?«

»Du weißt nicht, mit wem du es hier zu tun hast«, schimpfte er und deutete fast schon anklagend hinter sich auf die Stanzmaschine. »Du bist vollkommen blind, was deinen Gegner betrifft. Seit Tagen, vielleicht sogar schon länger, piesackt er dich, und du stehst immer noch so schockstarr in seinem Scheinwerferlicht, wie das Reh auf der nächtlichen Landstraße. Oder irre ich mich da?«

Ihr Schweigen war ihm Bestätigung genug.

»Du bist keine Kämpferin, Irene, sondern das perfekte Opfer!«

Das saß. Die Uhrmacherin verschränkte die Arme vor der Brust und hob das Kinn. »Ich bin die Herrin der Zhi Ren«, knurrte sie, »und die Erschafferin der Lebensuhren.«