Wyatt Earp 131 – Camp  Ladore

Wyatt Earp –131–

Camp Ladore

Roman von William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-414-1

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Blechern und mißtönend schlug es von der presbyterianischen Kirche Mitternacht.

Aber Sante Fé schlief nicht.

Aus zahlreichen Schenken fiel noch Licht auf den hellen Sand der breiten Mainstreet. Im Hauptbüro des Sheriffs Office, das etwa in der Mitte der Mainstreet schräg gegenüber der City Hall lag, stand ein mittelgroßer Mann mit aschblondem Haar und bläßlichem Gesicht mitten im Raum und starrte auf den Zettel, der vor wenigen Sekunden von draußen unter der Türritze durchgeschoben war.

Ferry Gregg war siebenundzwanzig Jahre alt und vor wenigen Tagen noch sehr stolz darauf gewesen, daß die Stadt ihn als Vertreter des schwerkranken Sheriff Winters anerkannt hatte. Eigentlich war Jerry Lorayne für diesen Posten vorgesehen. Aber Lorayne hatte zu wenig Freunde im Bürgerrat gehabt, und obgleich er eigentlich der tüchtigere Mann gewesen wäre, hatte man ihm Ferry Gregg vorgezogen.

Und was hatte der einstige Sattelmacher in diesen wenigen Tagen nicht schon alles erlebt! Die Galgenmänner hatten ihn wissen lassen, daß sie einen bestimmten Gefangenen aus dem Jail heraushaben wollten. Die Bande hatte angedeutet, daß sie ihre Forderung gegebenenfalls mit einem Druck auf die Familienangehörigen Greggs zu unterstreichen wüßte.

Ferry Gregg hatte der Angst nachgegeben und sein Amt mißbraucht. Er hatte den Gefangenen in einer Nachtstunde aus dem Jail entlassen.

Dann war das Fürchterlichste passiert, was einem jungen Sheriff passieren konnte. Der berühmte Marshal Wyatt Earp aus Dodge City hatte ihm dieses Vergehen nachweisen können!

Gregg wollte flüchten – aber Wyatt Earp hatte ihn auf seinen Posten zurückgeschickt; er hatte Gregg noch einmal sein Vertrauen geschenkt. Der junge Ferry Gregg hatte sich in jener Nachtstunde geschworen, sich dieses großen Vertrauensbeweises würdig zu erweisen.

Und nun war da dieser Zettel unter der Tür durchgeschoben worden!

Ferry Gregg konnte von der Entfernung zur Tür hin nicht lesen, was auf dem Papierstück stand, doch er ahnte es.

Er wagte nicht, sich in Bewegung zu setzen, auf die Tür zuzugehen und den Zettel aufzuheben. Aber er hatte ja keine andere Wahl. Langsam und schwerfällig setzte er ein Bein vor das andere und bückte sich dann, um das Papier aufzuheben.

Es waren nur sieben Worte, die da in harter, steiler Schrift standen: ›Du läßt Gatta heute nacht noch frei.‹

Und darunter stand das große Dreieckszeichen der Galgenmännerbande.

Ferry knüllte den Zettel in der rechten Faust zusammen und schleuderte ihn dann in die äußerste Zimmerecke.

»Husten werde ich euch was«, preßte er durch die Zähne. »Verdammte Bande!«

Er zog den Schlüssel aus dem Türschloß, öffnete die Tür und trat hinaus. Sorgsam verschloß er das Office.

Als er auf dem Vorbau stand, sog er die frische Nachtluft tief in die heißen Lungen.

Drüben aus einem Saloon brach die grölende Lache eines Mannes, die von dem girrenden Gekreische einer Frau begleitet wurde.

Nebenan in einer Bar stampfte und hämmerte ein Orchestrion den New Mexico Song.

Irgendwo in einer anderen Kneipe klirrte Glas.

Eines der vielen Pferde, die vor den Vorbauten standen, scharrte mit dem Huf auf einem Stein in der Straße.

In einem Hof jaulte ein Hund den Mond an.

Santa Fé schlief noch nicht.

Der Sheriff wandte sich nach links und ging über die schweren Vorbaubohlen weiter bis zur nächsten Straßenecke, überquerte die Gassenmündung und betrat den nächsten Vorbau.

Er hatte gerade Frank Lonegans ›Trapper Home‹ hinter sich, als die Schankhaustür hinter ihm aufsprang. Ein Mann wurde wie ein Geschoß über den Vorbau hinausgeschleudert und landete mit dumpfem Aufprall auf der Straße.

Gregg hatte sich umgewandt und sah jetzt den vierschrötigen Salooner in der Tür stehen.

»Verdammter Halunke!« fluchte der Wirt. »Der Teufel soll ihn holen.«

Der Mann draußen auf der Straße erhob sich und hatte plötzlich einen Revolver in der Hand.

Ferry Gregg stand da, ohne sich zu rühren.

Und da richtete der Mann auf der Straße den Revolver auf ihn! Ferry starrte den Fremden entgeistert an.

Dann tauchte drüben im hellen Eingang der Fegefeuer Bar die hünenhafte Gestalt eines Mannes auf.

Luke Short!

Sheriff Gregg erkannte den riesigen Texaner sofort.

Der hatte die Situation sofort erkannt und rief:

»Nimm die Hände hoch, Junge, wenn du keinen Durchzug in deiner Lunge haben willst.«

Der Mann ließ den Revolver fallen und nahm erschrocken beide Hände hoch.

Luke Short ging auf ihn zu, packte ihn am Kragen und ließ ihn angewidert sofort wieder los.

»Damned, der Bursche stinkt ja wie ein Schnapsfaß!«

Der Mann war ein Zimmergeselle vom Stadtrand und hatte sich hier in der Schenke einen zuviel hinter das Halstuch gekippt. Durch den Schrecken, den der Texaner ihm eingejagt hatte, war er plötzlich fast wieder nüchtern geworden.

Gregg verzichtete darauf, ihn festzunehmen, und der Bursche lief schnell weg.

Der Texaner tippte an den Hutrand und ging seines Weges.

Ferry Gregg stand wieder allein auf dem Vorbau und blickte die Straße hinunter.

Mit einem unheimlichen Gefühl im Genick ging er weiter. Er mußte an den Zettel denken, den ihm die Banditen ins Office gesteckt hatten.

An der Ecke zur Lincoln Street sah er einen Mann an einem Vorbaupfeiler lehnen.

Jäh schrak er zusammen und blieb wie angenagelt stehen.

Dann erkannte er den Mann, der da stand: Es war Wyatt Earp.

»Hallo, Gregg! Irgendwelche Sorgen?«

Der Deputy schüttelte den Kopf. Dabei hatte er ein ganzes Bündel Sorgen!

Wyatt Earp tippte an den Hutrand, wie es vorhin Luke Short getan hatte, überquerte die Straße und war gleich darauf im Dunkel einer Seitengasse verschwunden. Ferry Gregg starrte hinüber auf die Stelle, an der der Marshal verschwunden war.

Er hätte ihm nachlaufen mögen, um ihm zuzuschreien, daß er sehr wohl Sorgen hatte, und zwar sehr gefährliche Sorgen.

Aber er tat es nicht. Er blieb stehen und starrte vor sich hin.

Erst nach Minuten wandte er sich um und ging langsam nach Hause.

Sein Haus stand oben in der Longgasse und war nicht sehr groß.

Es war dunkel hier in der engen Gasse. Aber die Leute hier fanden ihren Weg auch in der dunkelsten Nacht. So auch Ferry Gregg. Er trat auf den schmalen Vorbau hinaus und wollte den Schlüssel in das Schlüsselloch stecken.

In diesem Augenblick wurde er an der Schulter gepackt und herumgerissen. Vor ihm stand ein Mann.

Obwohl vom Schreck fast gelähmt, riß sich der Deputy zusammen und holte zum Schlag aus.

In diesem Augenblick aber erhielt er von hinten einen fürchterlichen Faustschlag ins Genick, der ihn nach vorn schleuderte. Gleichzeitig empfing ihn der Mann, der vor ihm stand, mit einem Hieb in die Magengrube.

Wie Keulenschläge hagelten die Schläge auf den Überfallenen nieder.

Ferry Gregg brach ohnmächtig zusammen und lag auf dem Vorbau seines eigenen Hauses.

Wie lange er da gelegen hatte, wußte er selbst nicht, als er zu sich kam. Am Himmel blinkten immer noch die Sterne, und oben aus der Mainstreet fiel immer noch das Licht, das die Schenken auf die Straße warfen.

Er suchte sich zu erheben, konnte aber vor Schmerz kaum auf den Beinen stehen.

Torkelnd rutschte er vom Vorbau, kniete auf der Straße, wollte sich wieder aufrichten – starrte dann aber fasziniert auf die Silhouette, die das Hoftor in den Himmel zeichnete. Die sonst so glatte Silhouette war unterbrochen.

Von einem makabren Gerüst, von einem Galgen!

Ferry Gregg vermochte den Blick nicht von den schwarzen Balken loszureißen.

Sekunden verrannen.

Der Mann merkte, daß ihm der kalte Schweiß von der Stirn in die Brauen rann. Sein Hemd klebte ihm am Leib.

Er brauchte eine volle Minute, ehe er sich wieder erheben konnte, taumelte dann auf den Vorbau zu, zerrte sich am Geländer hoch, tastete den Boden nach dem Schlüssel ab und mußte zu seiner Verblüffung feststellen, daß die Tür offen war.

Er wußte ganz genau, daß er sie vorhin nicht aufgeschlossen hatte. Er war ja gar nicht dazu gekommen.

Eisige Furcht packte ihn, als er den Drehgriff bewegte. Was wartete da drinnen auf ihn?

Nein! Er ließ den Griff los, wandte sich um, stürzte wieder auf die Straße und flüchtete. Noch einmal warf er über die Schulter einen Blick auf das grausige Gerüst, das da vor seinem Hof in den Himmel ragte.

Von panischer Furcht getrieben, hastete er der Mainstreet zu, nahm sich erst gar nicht die Mühe, die Vorbauten hinaufzuklettern, sondern lief an ihren Rändern entlang dem Office zu.

Den Schlüssel hatte er in der linken Tasche. Jetzt zerrte er ihn heraus, stieß ihn ins Schloß, drehte ihn um, riß die Tür auf, nahm den Schlüssel wieder an sich und schloß von innen ab.

Keuchend lehnte er sich in dem dunklen Raum mit dem Rücken gegen die Tür. Der Kopf hing ihm auf der Brust. Sein Atem ging schwer und rasselnd.

Es war nicht völlig finster in dem Raum. Durch die Fenster fiel ein Lichtschimmer von der Straße auf einige Gegenstände im Zimmer.

Gregg wischte sich mit dem Rockärmel den Schweiß von der Stirn und stellte erst dabei fest, daß er unterwegs seinen Hut verloren hatte.

Er tastete sich zum Tisch vor, zog die Schublade auf und nahm eine Schachtel mit Zündhölzern hervor.

Seinen zitternden Händen gelang es kaum, eines der Zündhölzer anzureißen.

Als dann der winzige gelbrote Lichtschein durch den Raum flackerte, vernahm er hinten an einem der Seitenfenster ein Geräusch.

Sofort ließ er das Zündholz fallen und zertrat es am Boden.

Mit angehaltenem Atem lauschte er in die Dunkelheit.

Seine Rechte bewegte sich zum rechten Oberschenkel, wo er im Lederhalfter immer den Revolver trug.

Leer! Der Revolver war weg.

Ein eiserner Würgegriff legte sich um die Kehle des Deputies.

Der Gewehrschrank! Da drüben standen sieben Winchestergewehre und drei Sharpsbüchsen bereit.

Gregg stürzte quer durch den Raum, erreichte den Gewehrschrank auch, riß eine der Winchesterbüchsen heraus und lud sie durch.

Mit gespreizten Beinen, die Waffe im Anschlag, stand er da und lauschte.

Wieder war das Geräusch hinten an einem der Fenster zu hören.

»Wer ist da?« schrie Gregg mit heiserer, sich überschlagener Stimme.

Gregg machte einige Schritte nach vorn und blieb wieder stehen.

Es war einen Augenblick ruhig. Dann knarrte hinten irgendwo am Fenster einer der Läden, die er vorhin von einem der Deputies hatte schließen lassen.

Der Laden wurde um einen Spalt geöffnet, und dann tauchte der Kopf eines Mannes auf.

Ferry Gregg nahm die Winchester hoch.

Der Schuß röhrte durch das Office und brach sich an den Wänden. Mechanisch zerrte der Sheriff den Ladebügel durch, und wieder zog er ab. Noch einmal den Ladebügel, und noch einmal den Stecher.

Dreimal heulte die schwere Winchester auf. Die Kugeln fraßen sich durch das zerschmetterte Glas in den Fensterladen.

Lauschend blieb der Schütze auf der Stelle stehen. Er wagte nicht hinauszustürmen, um nachzusehen, wer da in der Quergasse vor dem Fensterladen gewesen war.

Die Schüsse hatten ihn nicht etwa ermutigt, wie man hätte meinen können. Im Gegenteil: sie hatten seine Angst verdoppelt und verdreifacht. Wie eine stählernen Klammer lag sie um sein Genick und griff nach seiner Kehle.

Er legte die Winchester auf den Tisch, tastete wieder nach den Zündhölzern. Dann setzte er die kleine Flamme an den Docht der Kerosinlampe.

Blakend zuckte die gelbrote Flamme der Lampe hoch und warf ein gespenstisches Licht in das Sheriffs Office.

Gregg stand so, daß er von keinem der Fenster aus gesehen werden konnte, neben der Tür an der Wand.

Der Schweiß rann ihm jetzt stärker von der Stirn herunter und brannte ihm salzig in den Augen. Er griff mit der Linken in die Tasche, um sein Taschentuch hervorzuziehen, fand statt dessen aber ein Stück Papier, zerrte es heraus und faltete es auseinander.

Es war ein gelbliches Stück Pergament, auf das mit der gleichen steilen Schrift wie auf dem Zettel vorhin geschrieben stand:

Wenn Gatta nicht noch in dieser Nacht auf freien Fuß gesetzt wird, stirbst du, und es sterben auch die Deinen! Eine weitere Warnung folgt nicht.

Darunter wieder das große Dreieck der Graugesichterbande.

Gregg starrte mit zusammengekniffenen Augen auf die Buchstaben, die plötzlich vor ihm auf und ab zu tanzen schienen.

Seine Hand, die den Zettel hielt, begann zu zittern.

Was tun?

Wie in Trance griff er endlich nach dem großen Schlüsselbund, der neben ihm an der Wand hing, trottete vorwärts auf die schwere Bohlentür zum Zellengang zu, stieß den Schlüssel hinein und öffnete sie.

Vor ihm lag der finstere Fliesengang des Jail. Rechts waren die Zellentüren. Das Jail von Santa Fé war ziemlich groß – und doch noch nicht groß genug für diese Stadt!

Der Gefangene Gatta saß in der ersten Zelle. Gregg stieß den Schlüssel auf das große Schloß zu. Ehe er ihn umdrehte, hielt er noch einen Augenblick inne, denn er glaubte, das ernste tiefbraune Gesicht des Marshals mit den dunkelblauen großen Augen mahnend vor sich zu sehen.

Da zischte ihm die Stimme des Gefangenen wie das Gefauche einer Schlange entgegen:

»Los, mach endlich auf!«

Gregg überlegte nicht mehr. Er drehte den schweren Schlüssel dreimal um und zog die Gittertür auf.

Gatta kam mit raschen Schritten heraus, ging an ihm vorbei den Zellengang hinauf zur Bohlentür. Gregg folgte ihm und ließ ihn durch die Hoftür des Office hinaus.

Laurentino Gatta war frei. Der Freund des gefürchteten Lazaro Capucine stand unter dem Sternenhimmel im nächtlichen Sante Fé.

Er hatte sich nach der Festnahme Capucines in der Bande der Galgenmänner nach vorn spielen wollen, war aber von dem Kentucky-Mann Kid Malinen daran gehindert worden. Malinen war jedoch von dem Boß in der verlassenen Stadt westlich von Santa Fé niedergestreckt worden. Jetzt war der Weg für Laurentino Gatta frei. Er würde den Platz Capucines einnehmen und sich ihn von niemandem mehr streitig machen lassen.

Was er wert war, zeigte sich ja nun daran, daß der Große Chief seine Befreiung bewerkstelligte. Mochte der Teufel wissen, wie der Boß es angestellt hatte! Aber einerlei, das wichtigste war, daß er frei war.