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GESCHICHTE

Konstantin der Große

Von Prof. Dr. Hartwin Brandt

 

 

 

Konstantin der Große – ein christlicher Idealkaiser?

Im Jahre 1912 ließ Papst Pius X. nördlich von Rom, an der Milvischen Brücke, eine Tafel zum Gedenken an das, was sich dort 1600 Jahre zuvor abgespielt haben soll, errichten.

Konstantin wird in dem Text – vom Papst in Auftrag gegeben – als derjenige gepriesen, der mit der Hilfe Gottes dem Christentum zum entscheidenden Durchbruch verholfen habe. Er sei es gewesen, der nach einer christlichen Erleuchtung mit Hilfe des Christengottes den Heiden Maxentius besiegt und auf diese Weise das Christentum zur Grundlage des römischen Kaiserreiches gemacht habe. Der Papst gedenkt also gewissermaßen des römischen Kaisers Konstantin als seines großen Vorläufers und Förderers.

Eine solche Ansicht kann sich sogar auf antike Vorbilder stützen. Im 2. Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts und in weiteren Texten danach ist tatsächlich davon die Rede, dass Konstantin der Große eine christliche Vision gehabt habe. Sowohl der Autor Lactantius als auch der berühmte Kirchenhistoriker und Konstantin-Biograph Eusebius von Caesarea berichten, dass Konstantin vor der Schlacht an der Milvischen Brücke – also vor dem 28. Oktober 312 – eine Vision gehabt habe. Ihm sei Christus erschienen und habe ihn gebeten, auf die Schilde seiner Soldaten ein christliches Zeichen zu setzen. Mit diesem christlichen Feldzeichen bewehrt, habe er den bedeutenden Sieg errungen.

Insofern steht der Papst in einer guten antiken historiographischen Tradition. Aber sowohl für die antiken Autoren Lactantius und Eusebius – beides sind christliche Autoren – wie für den Papst gilt: Sie vermitteln uns ein Geschichtsbild, das von den eigenen Wünschen und Absichten, von den eigenen Vorlieben geprägt ist. Sie gebrauchen die Geschichte, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, um ein bestimmtes Geschichtsbild unter die Leute zu bringen, um die Geschichte in ihrem Sinne zu verwenden und zu gebrauchen. Instrumentalisierung von Geschichte ist keine neuzeitliche Erfindung, sie ist so alt wie die Geschichte überhaupt. Das Geschäft von uns Historikern ist es, diese Instrumentalisierung kritisch zu hinterfragen, kritisch zu überprüfen; das, was plausibel und vernünftig und nachvollziehbar ist, von dem zu scheiden, was manipulative Zutat ist, was man als „Geschichtsklitterung“ bezeichnen könnte.

Insofern ist Konstantin ein ganz ausgezeichnetes Beispiel für dieses alltägliche Geschäft des Historikers. Das hängt damit zusammen, dass sich an der Figur Konstantins bereits in der Spätantike – also seit dem 4. Jahrhundert – die Geister schieden.

Wir haben eine ganze Reihe von christlichen Autoren, die, beginnend mit Lactantius und Eusebius, dann weiter fortgesetzt im 5. Jahrhundert mit den sogenannten „Kirchenhistorikern“ und darüber hinaus, Konstantin in der Tat in ein helles christliches Licht stellen. Konstantin wird zum Vorbild des christlichen Kaisers, der gewissermaßen schon immer Christ gewesen ist und in dem Moment, in dem er Kaiser wird, das Christentum etabliert.

Die „Konstantinische Frage“

Wir haben auf der anderen Seite die heidnischen Autoren, die ein Konstantin-feindliches Bild vermitteln, die an diesem Kaiser von Anfang an kein gutes Haar lassen. Sie begreifen ihn als den Verräter der altrömischen Herrlichkeit und stellen ihn auch so dar. Geschichtsklitterung hier wie dort, Manipulation hier wie dort.

Jedes Geschichtsbild ist eine Konstruktion. Insofern ist das Geschäft der Historiker eine „Dekonstruktion“. Zu Konstantin gehört weit mehr als die christliche Konstantinische Frage. Wenn Konstantin als der Begründer des christlichen Europas gefeiert wird, dann gerät dabei in Vergessenheit, dass er zugleich derjenige ist, der im Jahre 326 Frau und Sohn ermorden ließ.

Er ist damit in guter, antiker Gesellschaft. Alexander der Große ließ bei Gelagen nach dem Genuss großer Mengen von Wein seine besten Freunde ermorden. Caesar ging über Leichen. Auch Augustus ging über Leichen, vor allem in seiner Frühzeit. Alle römischen Kaiser haben – wenn Sie so wollen – viel Blut an ihren Händen und das gilt auch für Konstantin.

„Konstantinische Frage“.