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Fachbereich

POLITISCHE THEORIE / PHILOSOPHIE

Der Wert des Lebens

Von Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin

Was macht den Wert menschlichen Lebens aus?

Was ist der Wert des Lebens? Das ist eine der vielleicht schwierigsten Fragen, vor allem der Philosophie natürlich, aber auch der öffentlichen Debatten. Denken Sie zum Beispiel an die Frage: Soll der ADAC weitere Rettungshubschrauber anschaffen? Das ist sicher auch eine ökonomische Frage für den ADAC, aber möglicherweise auch eine ethische, nämlich: Was ist eigentlich die Rettung eines menschlichen Lebens wert? Oder, um es provokativ zu formulieren: Lohnt es sich eigentlich, soviel Geld auszugeben, um ein zusätzliches Menschenleben zu retten?

In der Medizin hat es sich eingebürgert, einen bestimmten Maßstab zu verwenden, die sogenannten Qualys. Das sind Lebensjahre, die allerdings bewertet werden nach der Qualität dieser Lebensjahre, im Englischen „quality adjusted life years“, und danach werden die Kosten gewichtet, beurteilt, die in der Medizin eingesetzt werden. Wie viele Euro kostet ein zusätzlicher Qualy? Das ist sehr unterschiedlich von Maßnahme zu Maßnahme und entsprechend inkohärent – könnte man sagen – ist das Gesundheitssystem insgesamt. Die Kosten mancher lebensverlängernden Maßnahmen sind es uns wert, andere lebensverlängernde Maßnahmen sind es uns nicht wert. Das gilt insbesondere für die kostengünstigen Vorsorgemaßnahmen, die relativ gering beachtet werden, im Gesundheitswesen insgesamt. Aber wir wollen jetzt nicht primär über Medizinethik sprechen, sondern eine philosophische Frage klären: Was macht eigentlich den Wert des menschlichen Lebens aus? Und wir tasten uns da vorsichtig heran.

Die Ablebenswahrscheinlichkeit

Beginnen wir mit einer einfachen Fragestellung: Was ist dir eigentlich dein Leben wert? Die meisten werden eine solche Frage an sich gerichtet, empört möglicherweise, zurückweisen und sagen: Was ist denn das für eine merkwürdige Frage. Ich bin natürlich nicht bereit, mein Leben dranzugeben, mein Leben aufzugeben, welchen Betrag auch immer du mir anbietest.

Jetzt kommt der Entscheidungstheoretiker oder der Ökonom und sagt, ja das scheint dir so, aber möglicherweise verhältst du dich ganz anders. Dein Verhalten zeige, wird er vielleicht sagen, welchen Wert du deinem eigenen Leben beimisst. Illustrieren wir das an einem Beispiel: Sie haben sich entschieden, Drachen zu fliegen. Drachenfliegen gehört neben einigen anderen Risikosportarten wie Reiten und Tauchen zu denjenigen, bei denen doch eine beträchtliche Erhöhung der Ablebenswahrscheinlichkeit pro Jahr registriert ist. Das ist statistisch erhärtet, das heißt, mit jeder Stunde Drachenfliegen oder mit jeder Stunde Tauchen oder jeder Stunde Reiten, erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, bei dieser Aktivität zu Tode zu kommen. Und wenn Sie jung und gesund sind, dann verändert das die Wahrscheinlichkeit zu Sterben doch in beträchtlicher Weise, kann das zum Beispiel verdoppeln. Das ist ja immerhin eine deutliche Veränderung.

Ich will das kurz quantitativ erläutern: Menschen werden im Schnitt, sagen wir ganz grob, um es einfach zu rechnen, 100 Jahre alt. Das heißt, wenn die Wahrscheinlichkeit pro Jahr, zu Tode zu kommen, jedes Jahr gleich hoch wäre, was natürlich nicht der Fall ist, dann hätten wir eine Wahrscheinlichkeit pro Jahr, zu Tode zu kommen, von einem Hundertstel. Oder – Erinnerung an den Mathematikunterricht – von 10–2.

Wenn Sie alt und gebrechlich sind, an Krankheiten leiden, die möglicherweise zum Tode führen, dann erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit und zwar um gewaltige Beträge. In hohem Alter bewegt sich das so in einer Größenordnung der Wahrscheinlichkeit ein Zehntel. Sie haben also eine Wahrscheinlichkeit zu Tode zu kommen pro Jahr von 10–1.