cover
Phil Humor

Mit Philosophie und Humor

Storys Theaterstücke Gedichte Drabbles





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Inhalt

 

Ich verwende in meinen Texten und Büchern gerne Philosophie und Humor.

Deswegen: Phil Humor

 

Bücher, Texte, Leseproben, Videos und Hörbücher von mir im Internet:

http://www.bookrix.de/-philhumor

http://www.youtube.com/PhilHumor

https://www.facebook.com/Phil.Humor

 

Kontakt: phil.humor@gmail.com

 

Auch als Taschenbuch erhältlich:

Mit Philosophie und Humor

Storys Theaterstücke Gedichte Drabbles

4,70 EUR, 154 Seiten, ISBN 978-1482572322

 

Mit Philosophie und Humor

Storys Theaterstücke Gedichte Drabbles

 

Storys und Theaterstücke:

Sandro Botticelli und seine Venus * Isadora Duncan zu Besuch bei Kasperl * Kitty und Kasperl * Madeleine und der Fliegende Holländer * Santa Claudia - Ein Geschenk für den Weihnachtsmann * Godula und Sir Rumpelstilzchen * Dornröschen und Prinz Richard - Dreamteam * Don Quijote und Dulcinea * Teddy, Ted und Teufel * Störtebeker in Stonehenge * Shekinah - Verbotene Liebe * Das Goldene Vlies und das Goldene Verlies - Hylas und Dryope * Himmlische Hesperide * Sturz vom Seil * Sternennacht über der Rhône - Vincent van Gogh trifft Leonardo da Vinci

 

In 100 Worten - Drabbles:

Ritterschlag für König * Ko-an-Gebäude * Leih-Wagen * Mehr Schnee! * Spiegeltest * Untergrundkämpfer * Venus im Pelz und Zeus in Lack und Leder * Nachtigall und Eule * Umzug * Stofftier-Schutztruppe

 

Gedichte und Theaterstücke im Versmaß:

Prima Ballerina? * Alexander Selkirk - der wahre Robinson Crusoe * Gott und Weihnachtsmann führen Wunschgespräch * Zauberkuss und Zauberflöte * Begegnung im Moor * Der entfesselte Prometheus * Engelsstadt * Alberich und Oberon - Ein Gartenzwerg beim Zwergenkönig * Vernetzt * Marie bei Frau Holle * Rosarote Brille * Regenbogenschlange * Sommer-Loch Ness * OM * Oscar Wilde im Zuchthaus * Mein Adventskranz * Paradiese * Nirwana-Tür * Fantasie ist mein Portal * E-Book * Buch-Flug buchen * Sternenkampf * Tinte, Tasten? * Liebe Venus * Don Quijote * Stonehenge * Miguel de Cervantes’ Testament

 

Cover-Katze gemalt von Phil Humor.

 

Sandro Botticelli und seine Venus



Sandro Botticelli betrachtete das Bild, was er vor 24 Jahren gemalt hatte. Es war ihm, als würde Venus nun tatsächlich aus ihrer kippeligen Stellung hinüberpurzeln in seine Arme; er stand bereit; aber wer ihm da entgegenkommen sollte, wen er nur zu gerne in seine Arme zu schließen begehrte, das war nicht die Dargestellte, Venus, sondern ihr Vorbild im Irdischen: Simonetta Vespucci. Er war der Mittler, der Künstler: Ihm oblag es, das Unsichtbare erkennbar zu machen mittels dem Passenden, was er hier vorfand auf Erden. Und wer wäre geeigneter, würdiger gewesen als Simonetta, um der antiken Schönheits-Liebes-Göttin mittels ihrer Anmut, ihres Jungseins zu erneuter Frische zu verhelfen? Wiederbeleben das, was vom Vergessenwerden bedroht ist allezeit. Botticelli trat dichter an sein Gemälde heran, verlagerte sein Körpergewicht auf seinen linken Fuß, imitierte die Bewegung der auf der riesigen Muschel stehenden Venus. Unwillkürlich blickte er zu seinen Füßen, ihm war, als schwankte er, als plätscherte das Küstenwasser auch vor dem Bild und der weiche Sandstrand würde nachgeben.



“Simonetta, bald werde ich auch in anderer Welt zu Deinen Füßen liegen; hoffe es zumindest, hoffe auf Parallelität der Welten: lasse mich bestatten zu Deinen Füßen in der Ognissanti Kirche. Florenz bleibe ich treu. Dir wäre ich treu geblieben - aber so hoch hinaus reichte unsre Beziehung nicht; begnügte mich mit Anbetung und mit Deiner Nähe und Deinen Gesprächen. Die seltenen Berührungen verwahre ich allesamt in meiner Erinnerung; gebe ich die ab beim Eintritt ins Jenseits? Kleidet Dich dort noch die Schönheit - und mich mein Talent? Als was stehen wir uns dann gegenüber, wenn wir in Wahrheit unbeweglich liegen in der Kirche? Könnte körperliche Nähe die Jenseitigen überzeugen, dass man uns auch als Geisterwesen in unmittelbarer Nähe belässt - uns beieinander - möglicherweise für mehrere Ewigkeiten?”



Botticelli strich sanft über die raue Oberfläche des Gemäldes; er strich über ihren gemalten linken Arm, mit dem sie ihr langes kupferfarbenes Haar festhielt, sich daran festhielt, als ob es das Einzige sei, was sie habe. Und wie sie so dastand, nackt, nur ein Haarband in ihrem kräftigen, wehenden Haar - sie gerade geboren aus dem Meer - und er hier vor dem Gemälde sich verabschiedend vom Leben - von seiner Liebsten. Als Venus würde sie weiterbestehen - wenn er Glück hatte, dann würden die Menschen sein Bild auch in Hunderten von Jahren noch betrachten. Verwandlung ins Göttliche: Simonetta Vespucci als Venus; wer leiht hier wem Gestalt, Idee? Wer war wessen Vorbild? Hier kreuzten sich das Oben und das Unten - wie zwei Pyramiden, die sich spiegelten, Spitze an Spitze übereinander stehend. Das war möglich, da das Unwirkliche anderen Gesetzen zu folgen hatte als das Wirkliche. Er war neugierig auf diese anderen Bedingungen.



“Drängt es mich tatsächlich hier Genaueres zu erfahren? Jagdleidenschaft? Soll diese mich darüber hinwegtäuschen, dass ich einen elenden Tausch mache? Hier das wunderschöne Leben - welches zugegebenermaßen nur mit vielerlei Gedankenakrobatik und eigentlich unzulässigen Zugeständnissen als stets vorteilhaft und belebenswert gilt - und im Dort: Finito? Wie lebendig wäre Venus, wenn nicht Andenken und Erinnerung sie stärken würden? Sind’s Opfergaben? Nähren Götter sich als Hauptmahlzeit von der Verbindung zu den Menschen - und nur so als Beigabe, als Nachtisch und Aperitif fungieren Ambrosia und Nektar?”



Simonetta trat aus dem Bild; sie stützte sich bei ihm ab. Der riesigen Muschel gab sie einen Stoß dabei, so dass diese nach hinten ins Bild schaukelte. Botticelli wollte ihr noch sagen, dass sie die Muschel doch noch brauche - wenn man an Land geht, so wie man ein Boot doch recht vertäuen müsse -, aber dann ergriff ihn die Gesamtheit des Absurden wie eine Monsterwelle. Er wollte das Schöne dieser Situation retten, es hochhalten, aber ihm war, als brächen über ihm zwei Meere aufeinander. Simonetta küsste ihn auf die Wange. “So ist das mit den Anbetern und ihren Werken. Sie werden immer lebendiger.”



Sie nahm sich einen der Äpfel aus der Obstschale, sah sich im prächtigen Raum um. “Soso, wir sind also wieder bei den Medicis. War öfters hier. Beide Brüder waren verliebt in mich. Aber was erzähle ich’s Dir? Du hattest ja sein Turnier-Banner versehen mit meinem Gemälde; wie oft wolltest Du mich noch malen? Und da hat uns jemand ein Schnippchen geschlagen; wie bedauerlich, mit 23 Jahren Bescheid zu bekommen, dass man von der Lebensbühne zu verschwinden habe. War ein nettes Stück. Hatte sehr gute Rolle. Als schönste Dame weit und breit. Als ob ich Venus jemals tatsächlich das Wasser reichen könnte! Absurd. Ist es nicht absurd?” Botticelli nickte. Er sah zu ihr und dann wieder auf das veränderte Gemälde. Die Muschel dümpelte - wie es schien betrübt darüber, dass sie ihrer edlen, kostbaren Fracht verlustig gegangen war - und auch Zephyr konnte sie nicht weiter in den Bildhintergrund pusten. Schien so, als hielte sie etwas zurück. “Du bist die Perle!” Simonetta entgegnete: “Ach, hör auf mit den Vergleichen und Gleichsetzungen. Momentan bin ich eine Kreuzung zwischen Venus und Simonetta - und mag gar nicht auseinander klabüstern, wie sich die Elemente zweier Welten in mir durchmengen.” Sie betrachtete sich selber im großen Wandspiegel. “Ei! Wie unzüchtig! Da stolziere ich hier völlig nackt im Zimmer umher - aber ist es nicht gleich? Alle Welt sieht mich ja auf Deinem, unserem Gemälde nackt, nur meine üppigen Haare kann ich nutzen wie einen Vorhang und Entscheidendes dahinter verbergen, so ich möchte - aber an sich hast Du mir ja die Haltung vorgegeben, bin Dein Modell. Du bist verantwortlich für meinen Eintritt ins Bild - und auch für mein Heraustreten aus dem Zweidimensionalen. - Überhaupt, Du malst sehr flächig. Hat sich das gebessert mittlerweile?” Sie trat dicht an Botticelli heran - und Botticelli streckte einen Arm aus - machte dieselbe Bewegung, als er soeben übers Bild gestrichen hatte - da war es gemalter Arm, nun traf er auf Leben. “Leben - es ist alles gemalt, ein großer Künstler hat uns in Szene gesetzt und pinselt munter darauf los. - Ach. Simonetta, Du bist jung geblieben, schau mich an. 65 Jahre. Abgelaufen. Sanduhr hat oben nur noch wenige Sandkörner für mich übrig. Ich gestatte mir nicht, die Wahrhaftigkeit dieses Momentes näher zu betrachten; stattdessen betrachte ich Dich. Erfreue mich daran, Dich wieder zusehen - hier im Lebendigen.” Ihm rannen die Tränen übers Gesicht. Sie trocknete ihm mit ihren Haaren sein Gesicht, kitzelte dabei seine Nase und seinen Mund. Er ließ es geschehen. “Wie oft habe ich Dich gemalt - Du warst mir, solltest mir sein der Schlüssel zu jenen Regionen, zu denen Menschen kaum Zutritt haben: Nenne es Olymp, Himmelreich, Anderswelt ... lugen, erhaschen, was das alles soll, die Kulissenschieberei erkennen. Solche Sehnsucht ... dass ich manchmal vergaß, was wirklich wichtig ist: Besondere Menschen, Menschen, die man wertschätzt, lieb hat, liebgewonnen hat, von denen man wünscht, dass sie ewiglich bei einem sein mögen auf der Welt und sich nicht viel zu früh verabschieden müssen wie davoneilende Gäste; wo gäbe es Wichtigeres? Was ich gefunden habe an Wert, das ist das Gemeinsame mit liebenswerten Menschen. Kostbarster Schatz. Unendliche Einsamkeit - schon hier ... mag sein, dass wir einander wiederfinden, auch wenn Zeiträume uns trennen oder ob der Eine momentan nur als Gemälde vorhanden ist.” Botticelli lächelte und weinte.



Simonetta ging rückwärts zum Bild. “Es zieht mich wieder hinein. Habe hier keine Aufenthaltsgenehmigung - und außerdem ist das Bild nun bedeutend; ich sage Venus, dass sie mit Dir bald rechnen kann? Sie wird Dir danken wollen, dass Du in Zeiten, da kaum einer ihrer gedenkt, sie vortrefflich in Szene gesetzt hast, quasi in den Vordergrund gerückt hast.” Sie griff in das Bild hinein - und die riesige Muschel hüpfte über die Wellen zu ihr heran wie ein übermütiger Hund. Botticelli griff nach Simonetta. “Lass mich mit Dir gehen! Alle meine Bilder sind gemalt ... und der wertvollste Mensch, der, der mich am meisten beeindruckt, mir am allermeisten gegeben hat, der verschwindet nun in dieses Gemälde - allein?! Lasse mich Dir folgen. - Ich weiß, Du hattest jeden Mann in Florenz und in der weiten Umgebung zu Füßen liegen - hoch und herrlich überstrahlte Deine Schönheit uns mit einer Kraft, als würden wir von mächtigerer Sonne gewärmt als dieser ferne Punkt dort oben irgendwo am Himmel. Du aber warst bei uns, greifbar - zumindest beinahe. Denn du entzogst Dich uns, mir. Beinahe jedem. Man munkelt, wer Deine Gunst zur Gänze besaß.” Sie gab ihm einen Klaps mit ihrer Hand. “Begehrte Schönheit - gleichwohl tugendsam - ich meine doch, es ist mir die meiste Zeit über gelungen. Mag sein, Venus war neidisch - ich bin mir nicht sicher, ob sie in meiner Situation so hohe Zucht aufgebracht hätte wie ich als Mensch. Man behauptet, die Olympischen würde aus der Liebe olympische Disziplin machen. Mag sein, wir werden das demnächst auf Wahrheitsgehalt untersuchen können.” Botticelli blickte zu Zephyr, der ihn aus dem Gemälde anblies. Er blies so kräftig, dass Botticelli sich nach vorne beugte, um nicht umzufallen.



“Jaja, der Zephyr, hat er mich auf seine milde Art hier an die Küste getrieben, gedrängt. Auf Dein Bitten hin, hat sich neue Küstenlinie in neue Dimension erstreckt: hinein ins Wirkliche. - Doch, wie Du zurecht vermutest, ist hier lediglich der Maler ein anderer. Wieder ein Bild. Bilder in Bildern. Unbedeutend wäre das alles - wenn es nicht diese besonderen Verbindungen gäbe zu interessanten Menschen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Leben als etwas Interessantem, Berichtenswertem, Erinnerungswertem, Malenswertem zu sprechen. - Genug gesprochen.” Sie legte sich selber einen Finger auf den Mund.



“Nicht schweigen!” Botticelli hatte erneut seine Muse, seine Traumfrau in ihren, seinen Traum, in einen Gottes-Traum gehen lassen müssen. Venus stand wieder unbeweglich auf ihrer Muschel - das Lebendige ausstrahlend - doch erstarrt im Moment - in einem ewigen Moment.



ENDE



Isadora Duncan zu Besuch bei Kasperl



“Du Gretl, kannst aufhören. Der Zuschauerraum ist leer. Sag mal, verjagen wir die Kinder mit unserem Theater?! Ich sehe mich nach wie vor als Publikums-Magnet. Altes Eisen?” “Du vielleicht, Kasperl. Wir müssen attraktiver werden, eigenständiger.” “Eigenständiger!!? Das magst du mir als Handpuppe sagen?” Kasperl setzt sich auf das Krokodil. “Kroko macht zu viel Siesta. Insgesamt: Wir sind ein müder Laden geworden! Die Kinder werden immer aufgeweckter. Happenings. Performances. Radikales Künstlertum! Ich bin rückständig, stehe hinter rotem Samtvorhang ... das ist meine Welt ... und fragst du noch, warum dein Herz sich bang in deinem Busen klemmt ...” “Was ist mit meinem Busen?” fragt Gretl. “Ich bin doch nicht das Gretchen. Faust könnten wir allerdings mal wieder spielen. Die Faust im Nacken ... mir ist so, als würde ich die da spüren.” Kasperl massiert Gretl den Nacken. “Handpuppen-Schicksal. Wusstest du, dass Faust als Marionette triumphalste Erfolge feiern durfte? - Doch irgendwie müssen wir freier werden. Ach, einen Befreiungsschlag!!” Kasperl haut mit seinem Schlagstock gegen den Bühnen-Vorhang und Staubwolken hüllen ihn ein. “Verstaubt! Flieh! Auf! Hinaus ins weite Land! Und dies geheimnisvolle Buch, von Nostradamus’ eigner Hand, ist dir es nicht Geleit genug ... Moment, das ist ja gar nicht von Nostradamus, das ist von Isadora Duncan.” Gretl nickt. “Ja, habe ich gerade drin gelesen: Das ist ihre Autobiografie.” Kasperl legt sich mit dem Buch aufs Krokodil. “Bin doch keine Chaiselongue; lümmel dich woanders!” Das Krokodil bockt und versucht Kasperl abzuwerfen.



Der Zauberer kommt auf die Bühne. “Ich könnte uns Isadora Duncan herbeizaubern. Die Frau hat unglaublichen Zauber. Tänzerin. Merveilleuse.” Kasperl blättert in dem Buch. “Sie trägt Tunika, durchsichtige Flattergewänder; das sieht sehr apart aus. Wenn ich nicht schon so rote Bäckchen hätte, passend zu meiner Standard-Grinse-Mimik, dann würde mir jetzt wohl vor Begeisterung die Röte ins Gesicht steigen. Was kann ich verändern?! Baseballkappe statt roter Zipfelmütze? Doktorhut? Den Faust mimen - ach, das würde man mir nicht abkaufen; bin zu sehr festgelegt auf mein Rollenfach.” “Apropos Rollen.” Das Krokodil rollt mit Schwung gegen Kasperls Beine und haut ihn um. “Ich trudel so vor mich hin, aber Tanzen wär auch in meinem Sinn.” Das Krokodil zottelt aus Großmutters Kleiderschrank einen Smoking. Gretl nimmt das Buch an sich. “Was habe ich bloß angerichtet? Aber vielleicht ganz gut, wenn wir ein Tänzchen wagen mit flotten Ideen. Kasperl, du bist recht unflott neuerdings. Mehr Elan!” Gretl tanzt Tango vor Kasperl ... doch dieser flieht zur Großmutter. “Wahh! Gretl mutiert zum Vamp!” Gretl greift sich aus der Vase eine Rose und will darauf beißen. “Nicht mal meine Zähne kriege ich auseinander! - Zauberer, tu was dagegen!” Der Zauberer setzt seinen großen spitzen Zauberhut ab und zieht daraus eine Pralinenschachtel hervor. “Zauberpralinen?” “Nein, ich wollte nur galant sein. Alle Welt erwartet von mir adäquate Sprüche; gewappnet sein jedem Unbill durch billige Tricks?! Ich bin es so leid auf eine Welt beschränkt zu sein, die bis zu einem roten Samtvorhang reicht! Faust hat sich Helena herbeigezaubert ... Tatsache ignoriert, dass sie seiner Welt nicht angehört. Zur Antike sich gewendet, in die Frühe der Zeit; Urbilder suchen. Quell jeglicher Magie: Die Idee erhaschen, die Phänomene durchschauen.” Das Krokodil hat sich in den Smoking gezwängt. “Ach, Zauberer, rede nicht so geschwollen! ... Verdammt, ich habe zugenommen!” Der Smoking-Knopf knallt gegen den großen Spiegel. “Trotzdem, das sieht sehr elegant aus; also ich wäre bereit, wenn die weltberühmte Tänzerin Isadora Duncan die Krokodil-Bude beehrt.” “Das heißt Kasperl-Bude!! Und wieso verfügst du über so immens viel Bildung, dass ich mit einem Mal das Bedürfnis verspüre, meinen Doktor-Titel zu machen in sämtlichen Fakultäten - auf dass ich sagen kann:

Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin

Und leider auch Theologie!

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor!

Und bin so kasperlich als wie zuvor.”



“Vielleicht hätte Faust auch das Tanzbein schwingen sollen. Der Tanz erhebt uns in Sphären - da kann das Bewusstsein nur von träumen.” Gretl setzt sich zu Großmutter in den Schaukelstuhl. “Das wird eng hier. Nicht nur in meinem Schaukelstuhl - auch unsere Finanzen.” Sie seufzt. “Früher war mehr Lamentieren!” Gretl: “Bin ich zu hoffnungsfreudig? Ach, Isadora Duncan hat mich angesteckt mit ihrem Tanz-Virus. Habe heimlich geübt.” Gretl zieht sich ihre Schuhe aus. “Barfuß tanzen - und dann brauche ich noch eine gewagte Tunika - und weg mit diesem Spitzenkragen, sehe ja aus wie ein Törtchen.” Kasperl und der Zauberer begutachten Gretls Verwandlung. “Flott; entdecke ganz neue Seite an dir. Hat tolles Format.” Gretl: “Tja, wie gut, dass ich nicht weiter erröten kann; bin beständig bei meinem Errötungs-Maximum - dabei sind unsere bisherigen Aufführungen in ihrer Bravheit kaum errötenswert. Hier und da erlaubte ich mir eine Saloppheit. Aber schaut Euch an, wo landet ein Gretchen - wird nicht so angehimmelt wie ‘ne Helena. Drum hab ich mich dem antiken Tanz ergeben, ob mir, wenn ich Tanzes Kraft verstünd, nicht manch Geheimnis würde kund.” Gretl springt anmutig umher und fällt in den Wandschrank. “Sag ich doch, ist zu eng hier: Requisiten-Tinnef!” Großmutter lehnt sich mit ihrer Schulter gegen die Küchen-Anrichte und schiebt. “Schaut, was ich mit der Anrichte anrichte.” Die Anrichte stürzt in den Zuschauerraum. Großmutter hält sich japsend am Bühnen-Vorhang fest. “So viel Schwung, das gibt’s nicht alle Tage.”



Kasperl setzt sich auf die Rampe und lässt die Beine schaukeln. “Ich habe es genau verfolgt: Es blieben immer mehr Sitzplätze frei. Früher, da standen sie noch vor den Eingängen, tolles Gedränge; und ich war als Star angekündigt; da hatte ich noch schiere Fröhlichkeit; jetzt hat sich Bitternis beigemischt - ich bin nicht mehr unverfälscht. Durchkreuze ich die Pläne derjenigen, die mich ersonnen, wenn ich mich kreuze mit neuen Idolen? Warum von einer Sonne nur beschienen? Erwartungen. Stehe ich im Soll? Soll nur das abliefern, was innerhalb des Erwartungshorizontes? Wie beschränkt wird mir die Welt?! Gretl, du hast völlig recht, dass wir uns Freiraum schaffen. Wenn wir authentisch sind, dann wird die Magnet-Kraft in uns aufgeladen - und wir ziehen die Massen an - und können ihnen etwas Wahres, Wichtiges anbieten.” Der Zauberer schwingt seinen Zauberstab. “Aus Jenseits-Sphären beschwöre ich die Tänzerin herbei. Gewiss war sie im Engels-Ensemble hochwillkommen. Sie, die wie eine Göttin tanzt, von ihr, da könnten wir viel lernen. Denn ihr Zauber verwandelt, stärkt das Schöne, Gute im Betrachter.” Großmutter setzt ihre Hörgeräte ein. “Na, da werde ich hellhörig. Maßlose Lobeshymnen, pfundweise Vorschusslorbeeren ...” Zauberer: “Es hat Gewicht, was sie sich erdacht. Seltsam: Gedanken, federleicht, - auch die schweren Gedanken - werden erst mitgeteilt gewichtig.”



Kasperl nimmt eine Kordel des Vorhangs und seilt sich ab in den Zuschauerraum. “Kein Wunder, dass wir so die Zuschauerzahl peu à peu diminuieren. - Yeah, ich muss mich geistig vorbereiten auf Weltbürgertum. Gleich kommt Isadora Duncan; ich werde mich zu ihr setzen in den Zuschauerraum und sie interviewen.” Kasperl schafft es mit Mühe, einen der Klappsitze runterzudrücken. “Ich brauche eindeutig mehr Gewicht!” Gretl ruft ihm zu: “Mit deiner Faust-Marotte wirkst du wie der Esel, der die Karotte nicht erreichen kann, weil er etwas nachläuft, was schon Teil von ihm ist. - Kasperl, du bist seriös; ernst zu nehmen; auch wenn du albern bist. He is a Spaß-Maniac!” Gretl fängt an, wild zu tanzen. Großmutter schnappt sich die Wäscheleine, wirbelt sie wie ein Lasso - und wirft eine Schlinge über den Klappsitz von Kasperl. “Horrido! Mit der Schlinge beinahe einen Schlingel gefangen”, scherzt Großmutter und seilt sich ab an der Wäscheleine, als handele es sich um eine Seilbahn.



Kasperl schaut sich um im Zuschauerraum. “Sag mir, wo die Kinder sind, wo sind sie geblieben? Wir haben zu starke Konkurrenz mit 3D-Games und 3D-Filmen. Uns fehlt Plastizität. Zu eindimensional. Fast wie die griechischen antiken Reliefs; die will man auch nur noch sehen, weil sie alt sind und selten.” Gretl: “Ich weiß, dass Isadora Duncan sich hat inspirieren lassen von den Bildern auf griechischen antiken Vasen und den Reliefs. Das beleben, was einem als erhaltenswert gilt. Steine zum Sprechen bringen.” Gretl löst bei diesen Worten ihren Haarknoten auf. Sie trägt jetzt weiße Tunika und Chiton. “Das sieht sehr lasziv aus!” Kasperl nickt anerkennend. “Wenn ich doch nicht so ein Holzkopf wäre, dann hätte ich dich schon viele Male zum Tanzen eingeladen.” Das Krokodil lacht; sagt: “Holzkopf na gut; aber auch noch ungehobelt? Hihi ... Ich sollte Kasperl-Aphorismen direkt an der Rampe ins Publikum sprechen; aber man lässt mich ja nicht! Maul halten - nur aufsperren, um bedrohlich zu wirken; ich betone: zu wirken. Denn in wirkliche Gefahr darf unser Heldilein natürlich nicht geraten. Sonst stünde ja an meiner Stelle wohl ein ausgewachsener Drache hier?! ... Moment, schmälere ich gerade mein Renommee?” Kasperl lacht. “Versuche, mir gerade vorzustellen, wie Drache im Smoking aussähe. Passt aber: Smoking trägt man zum Rauchen!” Kasperl zündet sich einen Zigarillo an. “Lass das bloß nicht den Requisiteur sehen.” “Oh, Asche auf mein Haupt, dass ich eigene Requisiten verwende. ... Wisst ihr was, wir sind viel zu sehr mit uns beschäftigt, als dass wir Zeit hätten fürs Publikum oder für Interview-Gäste aus dem Jenseits. Was wäre, wenn da wirklich keiner mehr käme? Keine Kinder mehr, die wir erfreuen, erreichen könnten. Zirkeln um unsere eigene Befindlichkeit, schotten uns ja ab ... lassen wir die Zugbrücken runter! Wie lange ist’s her, dass ich auf der Rampen-Klippe stand vom tosenden Beifall umbrandet?! - Zauberer, vermagst du Isadora bis in unser Gefilde zu führen aus den Gefilden der Seligen? … Oh, ich spreche höchst salbungsvoll.”