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Über dieses Buch:

Schottland, im 16. Jahrhundert. Ein hinterhältiger Verrat hat die Familie der jungen Adrianne Percy auseinandergerissen: Auf der sturmgepeitschten Insel Bharra findet die junge Frau Zuflucht in einem Kloster – doch die strengen Nonnen machen ihr das Leben schwer. Als die temperamentvolle Adrianne einmal mehr ihre Zunge nicht hüten kann, wird sie hart bestraft – und beschließt zu fliehen. Sie schleicht sich auf das Schiff des gefürchteten Piraten MacLean, um als blinder Passagier unbemerkt die schottische Küste zu erreichen. Als die rauen Seemänner die junge Schönheit entdecken, muss Adrienne mit dem Schlimmsten rechnen. Doch dann macht ihr der düstere MacLean einen unerwarteten Vorschlag …

Der dritte Band der sinnlichen Highland Treasure-Reihe um die drei Percy-Schwestern: Lassen Sie sich von den schottischen Romanzen von Bestsellerautorin May McGoldrick verzaubern!

Über die Autorin:

May McGoldrick ist das Pseudonym des Autorenehepaars Nikoo und Jim McGoldrick. Für ihre gefühlvollen und vielschichtigen historischen Romanzen haben sie mehrfach Preise gewonnen und ihre Bücher sind in über 12 Sprachen übersetzt worden. Sie leben mit ihren beiden Söhnen an einem kleinen See in Connecticut.

Von May McGoldrick erscheinen bei venusbooks die Romane der Highland Treasure-Reihe

Das stürmische Herz des Earls
Das feurige Herz des Rebellen
Das flammende Herz des Highlanders
sowie die historischen Romanzen
Scottish Dreams – Die Lady und der Lord
Das Versprechen der Highlanders

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eBook-Lizenzausgabe März 2017

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel Flammendes Herz bei 2002 im Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel The Firebrand by Onyx, an imprint of New American Library, a division of Penguin Putnam Inc.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2011 by Nikoo McGoldrick and James A. McGoldrick

Copyright © der deutschen Ausgabe 2003 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2017 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock/Miljan Mladenovic, Kathie Walters

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95885-491-8

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May McGoldrick

Das flammende Herz des Highlanders

Ein Highland Treasure-Roman. Band 3

Aus dem Amerikanischen
von Beate Darius

venusbooks

Für die talentierten Mitglieder der Bucks County und
New Jersey Romance Writers – mögen die Musen
der Dichtkunst ihnen stets gewogen sein

Und für Hilary Ross – du hast uns dazu angetrieben,
unser Bestes zu geben.
Ohne dich wäre dieses Buch nicht das, was es ist.

Prolog

Abtei Jervaulx in Yorkshire, England
August 1535

»Euer Vater ist tot.«

Die Stirn in tiefe Falten gelegt, das verhärmte Gesicht schmutzverkrustet, maß der Ritter die drei jungen Frauen. Sie standen zusammen vor dem Kamin, ihre fassungslosen Mienen vom goldenen Licht des schwachen Feuerscheins eingehüllt. Nur wenige Kerzen erhellten das winzige Abteigelass.

»Ihr solltet wissen, dass er in dem festen Glauben an seine Sache gestorben ist. Genau wie Thomas More und Bischof Fisher ließ auch er sich nicht dazu zwingen, das Gesetz zu unterzeichnen, das König Henry die Oberhoheit über die englische Kirche zusichert. Was sie auch anstellten – wie grausam die Folter auch immer gewesen sein mag –, Edmund Percy ließ sich nicht erpressen.«

Sein Blick ruhte auf der jüngsten Tochter, die zu weinen angefangen hatte; stumme Tränen, funkelnd wie Diamanten, rannen unaufhaltsam über ihre Wangen und fielen auf den Steinboden.

»Sie haben ihn in seiner Zelle umgebracht. Sie hatten Angst, ihn in Westminster vor Gericht zu stellen, deshalb kamen sie in der Nacht – heimtückische, blutrünstige Feiglinge. Ein Wachposten, den ich kenne, hat mir berichtet, dass sie ihm die Kehle aufgeschlitzt haben. Er kämpfte wie ein Mann, aber der Dolch eines Verräters setzte seinem wertvollen Leben ein Ende.«

Benedict, der hoch aufgeschossene Mönch, stand auf der Schwelle und räusperte sich betreten. »Wo ist sein Leichnam? Wird er nach Yorkshire zurückgebracht für ein standesgemäßes Begräbnis?«

»Nein, der Leichnam wurde …«

Ein gepresster Schluchzer entwich den Lippen der jüngsten Tochter; unvermittelt eilte sie zur Tür. Niemand versuchte, sie aufzuhalten, als sie an dem Mönch vorbeischlüpfte und in dem dunklen Kreuzgang verschwand.

»Fahret fort«, befahl Benedict und bedeutete den beiden anderen Schwestern zu bleiben. »Da ist mehr, was wir erfahren müssen.«

Tiefe Trauer erfüllte ihre Seele, nahm ihr beinahe die Kraft zu atmen.

Adrianne verließ das Stiftshaus, stolperte die Treppen hinunter, ignorierte die Hände, die sich ihr helfend entgegenstreckten. Als sie über den Klosterhof zu den Stallungen lief, gewahrte sie ihre Umgebung durch einen Schleier von Tränen.

Er war tot. Ihr Vater war von ihr gegangen. Für immer.

Sie flüchtete sich in die Ställe, ihre Hand ertastete eine lehmverkrustete Schaufel. Ihre Schulter stieß schmerzhaft gegen das raue Holz der Tore, doch ihr Körper war wie taub gegen den Schmerz. Sie taumelte durch die finstere Scheune. Ihre Trauer verwandelte sich in Wut, und sie holte mit dem hölzernen Spaten aus, schabte über Stein und Holzpaneele.

Ein ganzes Jahr lang hatten sie gehofft, dass Edmund Percy von seiner ungerechten Haftstrafe befreit werden würde. Vergeblich. Ihr Vater war tot.

Adrianne trat gegen einen leeren Futtereimer, stieß die Schaufel ungestüm in eine Ecke. Sie trommelte gegen die Scheunenwand, bis ihre Fingerknöchel blutig waren. Indes verspürte sie keinen Schmerz.

Die Bilder der Vergangenheit zogen an ihrem geistigen Auge vorüber. Ihr Vater, groß und anziehend – der sanfte Krieger, mit strahlend blauen Augen, in denen sich seine Herzensgüte spiegelte. Ihre Mutter Nichola – die ernste Schönheit, deren ganze Liebe Edmund und ihren drei Töchtern galt. Die Familie, die sie gehabt hatte. Die tiefe Zuneigung, die sie geteilt hatten. Vorbei. Vorbei.

»Vorbei!«, zischte sie wütend, derweil ihre blutige Faust auf die Wand einhämmerte. Diesmal durchbrach der scharfe Schmerz in ihrer Hand die Dumpfheit in ihren Gliedern, und sie sank zu Boden und weinte hemmungslos.

Die Bilder hatten sich in ihr Gedächtnis eingebrannt – Edmund Percys Festnahme; die verzweifelten Bemühungen ihrer Mutter, die Töchter zu verstecken; das Gemetzel an der unschuldigen Dienerschaft; das Blut, das Wände und Böden ihres Herrenhauses besudelte. Das alles sah sie so deutlich vor sich, als wäre es erst gestern geschehen.

Haltloses Schluchzen ließ Adriannes zierliche Gestalt erbeben. Sie wähnte sich so hilflos wie nie zuvor in ihrem Leben. Ihr Kopf sank gegen das Mauerwerk.

Als Catherine die Stallungen betrat, bestürzte sie der Anblick ihrer jüngeren Schwester zutiefst. Adrianne kauerte vor der Wand, ihr schwarzes Haar hatte sich aus den dicken Flechten gelöst. Das graue Gewand, am Ärmel zerrissen, war mit Schmutz und Stroh bedeckt. Sobald die jüngste der drei Percy-Schwestern aufsah, strebte Catherine, erschüttert über das Blut und den Schmutz, der sich mit den Tränen auf Adriannes Gesicht vermischte, sogleich an deren Seite. Vorsichtig setzte sie den mitgebrachten Talgstumpen im Stroh ab.

»Was hast du getan?« Sie betastete eine Beule an Adriannes Stirn, einen Kratzer auf ihrer Wange.

»Lass das!« Adrianne wehrte die fürsorgliche Berührung ihrer Schwester ab. Unvermittelt fiel Catherines Blick auf die blutig aufgeschürften Fingerknöchel.

»Bei der Heiligen Jungfrau! Adrianne, was hast du gemacht?«

»Bitte nicht!« Ein Schluchzen entwich den Lippen der jüngeren Frau. »Bitte sag mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe. Nicht jetzt. Und bitte, mach mir jetzt nicht weis, dass diese Nachricht von unserem Vater nur eine weitere Lüge ist.«

Ausgedehntes Schweigen schloss sich an. Zwei blaue Augenpaare begegneten sich, jede Schwester suchte Trost bei der anderen.

»Dieses Mal glaube ich es«, murmelte Catherine schließlich. »Die Nachricht von Vaters Tod wurde zunächst im nördlichen Grenzgebiet verbreitet. Mutter hat uns dann diesen Ritter geschickt. Er hatte einen versiegelten Brief von ihr. Er hat ihn Laura und mir gegeben, nachdem du die Gemächer des Abts verlassen hattest.«

Adrianne wischte sich die Tränen vom Gesicht und richtete sich auf. »Was schreibt Mutter? Ist sie wohlauf?«

»Sie beteuert, dass sie in Sicherheit ist, aber wie stets ist sie mehr um unser Wohlergehen besorgt.« Catherine zupfte ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und wickelte es um Adriannes Fingerknöchel.

»Hat sie den Schatz des Tiberius erwähnt?«

»Ja, aber wie üblich nur verschlüsselt! Etwas von ›der Karte‹ und von unserer Verantwortung – dass wir sie so sicher verbergen müssen wie schon unser Vater vor uns. Versteckte Hinweise, wie wir die einzelnen Kartenteile zu schützen haben. Eines ist jedenfalls klar: uns droht Gefahr von denjenigen, die es auf dieses Kartenmaterial abgesehen haben.«

»Dann geht das Spiel also weiter.« Adrianne musterte ihre Schwester. »Lauras ausgeklügelte Pläne, die wir zu dritt ausgeführt haben. Die vielen kleinen Truhen, die wir in sämtlichen Winkeln von Yorkshire vergraben haben. All diese Skizzen und Rätsel, um diejenigen, die den Schatz suchen, in die Irre zu führen – meinst du, das Ganze hat wirklich Sinn?«

»O ja.« Catherine nickte. »Besonders jetzt, da Mutter glaubt, dass es nur noch eine Sache von wenigen Tagen sein kann, bis ein Haftbefehl gegen uns drei erlassen wird. In der Tat erwähnt sie den Statthalter des Königs, einen gewissen Arthur Courtenay. Er wartet anscheinend nur auf eine günstige Gelegenheit, uns drei hinter Schloss und Riegel zu bringen.«

Zorn überschattete Adriannes Züge. »Solange Vater noch lebte, hätte er das nie gewagt. Soll er doch ruhig kommen. Diesmal werden wir bis zum letzten Blutstropfen kämpfen. Es wird keinen Arrest geben … kein zermürbendes Warten …«

»Adrianne …« Catherines Hand umschloss energisch das Kinn ihrer Schwester, »unsere Mutter möchte nicht noch einen von ihren Lieben verlieren. Sie möchte uns in Sicherheit wissen. Sie will, dass wir England verlassen.«

»England verlassen? Will sie, dass wir zu ihr ins Grenzland reisen?«

Catherine schüttelte den Kopf. »In ihren Augen ist das Grenzgebiet nicht sicher genug für ihre Töchter. Nein, sie hat beschlossen, uns drei in die entlegensten Winkel Schottlands zu schicken.«

Verstört maß Adrianne ihre Schwester. »Wir sollen uns trennen? Reicht es nicht, dass wir ohne unseren Vater und ohne unsere Mutter auskommen müssen? Dass wir drei zusammenbleiben durften, war das einzig. Tröstliche in diesem letzten, schrecklichen Jahr. Wir brauchen einander zum Überleben!«

»Adrianne, wir sind Schwestern. Nichts und niemand vermag daran etwas zu ändern. Keine Entfernung kann das Band der Liebe zerstören, das uns zusammenhält.« Catherine strich ihrer Schwester sanft die wirren dunklen Haarsträhnen aus der Stirn. »Deshalb glaube ich, dass wir uns ihren Wünschen fügen sollten. Unser Versteckspiel wird uns einen zeitlichen Vorsprung geben. Gewiss ist Sir Arthur Courtenay zunächst einmal daran gelegen, den Schatz zu heben. Wir hatten die Aufgabe, die Anweisungen unseres Vaters zu befolgen. Dies ist sein Vermächtnis. Wir müssen Mutters Plan beherzigen.«

Wieder fing Adrianne an zu weinen. »Und einander verlieren, indem wir uns trennen und blindlings in unser Verderben stürzen? Indem wir nach Schottland gehen, wo man uns ob unserer englischen Abstammung hasst?«

»Wir alle haben das schottische Blut unserer Mutter, Nichola Erskine, in unseren Adern. Man wird uns gewiss nicht anfeinden.« Sie wandte sich zur Stalltür. »Komm jetzt, Adrianne, Laura sucht bestimmt auch nach dir.«

Die beiden Schwestern erhoben sich. Catherine nahm den Talgstumpen und fuhr fort: »So wie ich Mutters Brief verstehe, soll ich zur Burg Balvenie reisen, wo ich mithilfe der Großzügigkeit des Earl of Athol die Schule gründen darf, von der ich schon seit langem träume. Habe ich mich dort erst einmal eingelebt, sehe ich keinen Grund mehr, warum du und Laura nicht zu mir ziehen solltet. Wir haben eine gute Ausbildung genossen und wissen, wie man andere unterrichtet. Wir müssen dies einzig als eine kurze, vorübergehende Zeit der Trennung ansehen.«

»Und Laura? Wo soll sie hin?«

»Weiter nach Norden. Ans Meer, in das Kloster von St. Duthac.«

»Und ich?«

»Auf die westlichen Inseln. Du wirst auf eine Insel geschickt, die Barra heißt.«

»Auf eine Insel?«, entfuhr es Adrianne. »Aber man braucht ein Boot oder ein Schiff, um auf eine Insel zu gelangen.«

»Ganz recht! Ich glaube, es ist zu weit, um dorthin zu schwimmen, Schwesterherz.«

Unbewusst presste sie ihre verbundene Hand auf ihren Magen. »Aber warum muss Mutter mich ausgerechnet auf eine Insel schicken?«

Catherine schickte sich an, ihre Schwester aus dem Stall zu scheuchen. »Du wirst die Reise überleben. Bist du erst einmal dort, wird man sich deiner annehmen … bis du zu mir nach Balvenie kommen kannst.«

»Eine Insel«, murrte Adrianne empört. »Nur wenige Menschen. Kaum was zu tun.«

»Denk doch an all die Härten, denen wir ausgesetzt waren, Adrianne. Verglichen mit dem, was wir in diesem letzten Jahr durchgemacht haben, wird das Leben auf Barra bestimmt himmlisch sein!«

1. Kapitel

Kisimul Castle, Insel Barra
Westschottland
Fünf Monate später

Der Angstschrei aus dem holzgezimmerten Käfig, der hoch über den Felsen hing, rang der vor den Burgmauern versammelten Menge nur ein knappes Nicken ab.

»Und ich sage dir, Wyntoun, diese Jungfer ist viel zu hartnäckig, um an einem kleinen Sturm zu sterben!«

Der raue Hebriden-Wind trug die Worte der Nonne über die Burgmauern und hinauf zu der Gefangenen in dem schaukelnden Käfig. Das luftige Kerkergelass aus Holzbrettern und Seilen baumelte an einem spitzen Gegenstand, der aussah wie der Mastbaum eines Schiffes und der am Hauptturm der Burg befestigt war.

Aus ihrem Gefängnis spähte Adrianne Percy hinunter und gewahrte das eisige Starren der Äbtissin vom Kloster St. Mary. Gegen ihre Übelkeit und das taube Gefühl in ihren Fingern ankämpfend, die sich an die Holzstäbe klammerten, spitzte sie die Ohren, um jedes Wort zu belauschen.

»Bei diesem Eisregen ist die Frau gewiss genug gestraft …«

»Das Mädchen hängt erst wenige Stunden dort oben!«, versetzte die Nonne scharf. »Drei Tage! Sie wird drei Tage dort oben bleiben …«

Adrianne rüttelte an den Käfigstäben und zog sämtliche Blicke auf sich. »Macht meinethalben 300 Tage daraus – immer noch besser als all die anderen Strafen, die Ihr seit meiner Ankunft auf dieser abscheulichen Insel für mich ersonnen habt!«

Die Äbtissin keifte in den heulenden Sturm. »Mindestens drei Tage und das auch nur, wenn sie sich bei mir entschuldigt.«

Wieder rüttelte die junge Frau an den Käfigstangen. »Entschuldigen? Niemals!«

»Fünf Tage«, gellte die Äbtissin.

»Ich habe nichts Böses getan, und wenn jemand um Verzeihung bitten muss, dann Ihr bei mir.« Adriannes Stimme erhob sich über den tosenden Sturm. »Habt Ihr mich verstanden? Bei mir!«

Adrianne schwankte zwischen Genugtuung und Verzweiflung, als sie die betagte Ordensfrau sah, die leise zeternd über die Felsen zum Burgportal schlurfte. Unvermittelt verharrte die Äbtissin, um ihre Antwort nach oben zu rufen, dann stapfte sie weiter.

»Sieben Tage, Jungfer!«

»Zum Henker! Versucht es doch nur, mich sieben Tage hier oben darben zu lassen. Virgil, sei mein Beschützer«, tönte sie. »Ich würde die Dämonen der Hölle aufwiegeln, aber vermutlich tragen sie bereits alle Nonnenhäubchen!«

Ein Abbild des Trotzes, lauschte Adrianne dem entsetzten Seufzen der Menge unter ihrem Käfig. Als sie hinabsah, gewahrte sie den Neuankömmling – es war der Mann, den die Äbtissin mit Wyntoun angeredet hatte. Er stand etwas abseits der Menschentraube, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte stirnrunzelnd zu ihr hinauf.

Von plötzlichem Zorn gepackt, hätte sie am liebsten auf ihn hinuntergespuckt – und auf alle anderen. Aber ihr gegenwärtiger Schlagabtausch galt der Äbtissin. Gegen die drohende Übelkeit und das Schwindelgefühl ankämpfend, schwankte Adrianne von einer Seite des windgepeitschten Käfigs zur anderen und beobachtete die davoneilende Ordensfrau.

»Ihr werdet mir nicht entkommen! Dieser jämmerliche Geröllhaufen, den Ihr eine Burg nennt, ist einfach zu klein. Ihr könnt meinen Flüchen nicht entgehen, Ihr …«

»Bei allen Heiligen, Frauenzimmer!«, entrüstete sich der beleibte Haushofmeister, der neben dem Neuankömmling stand. »Wenn Ihr Eure spitze Zunge nicht im Zaum haltet, werdet Ihr dort oben hängen, bis Ihr verfault seid.«

»Keiner hat Euch um Eure Meinung gebeten, Ihr schwachköpfiger Lakai.« Mit Genugtuung gewahrte sie, wie eine riesige Woge Gischt zwischen den Felsen hochschwappte und den Mann bis auf die Haut durchnässte. »In der Tat, wenn Eure falsche Zunge keine Lügen über mich verbreitet hätte, wäre ich jetzt nicht hier oben.« Wieder ließ ein Windstoß den Käfig erzittern. Adrianne sank auf die Knie, da ihr Magen sich ob des ruckartigen Schlingerns verkrampfte.

Eisregen hatte eingesetzt. Der Wind, der mit der steigenden Flut auffrischte, war bitterkalt. Totenbleicher Nebel umfing sie.

Sie konnte die Kälte ertragen, ja selbst die vom eisigen Regen durchnässten Decken und Kleider. Indes gelang es ihr nicht, ihren gepeinigten Magen zu beruhigen. Sie schämte sich für diese Schwäche. Sie füllte die Lungen mit der kalten, salzigen Luft, packte den schweren Tiegel mit dem darin verbliebenen Essen und rappelte sich mühsam auf.

»Und ich lasse mich auch nicht so leicht vergiften, Ihr pockennarbiges Gesindel.« Wütend schleuderte sie das Behältnis samt Inhalt zu Boden. Das Essen zerstob im Wind, bekleckerte einige der Schaulustigen, der Tiegel zerschellte an den Felsen, zu Füßen des Fremden.

»Kommt! Allesamt!« Die Äbtissin stand im Eingang des Wohnturms. »Kümmert Euch nicht um sie.«

Auf diesen scharfen Befehl der Gottesfrau schnellten die Köpfe der kleinen Gruppe herum, und alle mit Ausnahme des Neuankömmlings kletterten über die Felsen und folgten der unscheinbaren Frau in die Burg.

Die Holzlatten weiterhin mit tauben Fingern umklammert haltend, fragte sich Adrianne, warum der Fremde wohl hergekommen war. Als sie am Morgen den Käfig an den Turm gehängt hatten, hatte sie ein Schiff in die Bucht einlaufen sehen. Und sie hatte auch das Boot erspäht, in dem ebendieser Mann ans Ufer gerudert war. Sie war sich sicher, dass es sich um denselben Mann handelte, denn er war gut und gern einen Kopf größer als die anderen, welche die Felsen gesäumt hatten. Und das kurz geschorene Haar – tiefschwarz wie seine Kleidung. Völlig anders als die der übrigen Bewohner von Barra. Am auffälligsten aber war sein finsterer Gesichtsausdruck.

Während sie ihn schweigend beobachtete, überlegte Adrianne, warum er nicht mit den anderen aufgebrochen war.

»Wisst Ihr, dass Euer Korb höher hängt als so manche Schiffstakelage? Ihr habt gewiss keine Höhenangst«, rief er zu ihr hoch. »Obgleich ich viele Männer kenne, die eher ihre Zunge verschlucken würden, als in einem Käfig von Kisimul Castle herabzubaumeln.«

»Nun, das sagt viel über die Männer von Barra aus!«

Eine Welle spülte über seine Stiefel hinweg. Geschmeidig wie eine Katze sprang der Fremde von einem Felsblock auf den nächsten, bis er unter dem Käfig stand.

Adrianne tastete sich entlang der Holzlatten zur anderen Seite des Käfigs und spähte zu ihm hinunter.

»Na, welch schreckliches Verbrechen habt Ihr begangen, dass Ihr diese harte Bestrafung verdient?«

Sie hatte kein Verbrechen begangen, gleichwohl schwieg sie statt einer Antwort. Seit ihrer Ankunft auf Barra glaubte ihr ohnehin niemand auch nur ein Wort.

»Mir könnt Ihr es doch sagen. Ich habe bereits versucht, ein gutes Wort für Euch einzulegen. Ich könnte Euch ein Freund sein.«

Sie schnaubte so laut, dass er es nicht überhören konnte.

»Vielleicht halte ich Euch ja gar nicht für eine Übeltäterin. Schließlich bin ich eben erst an Land gegangen und …«

»Ich habe Euer Boot gesehen«, platzte sie heraus. »Ihr seid ein Highlander und von daher eine ebensolche Landplage wie … wie der Rest von ihnen.«

»Für eine hilflose englische Maid habt Ihr ein ziemlich loses Mundwerk.«

Also wusste er von ihr. »Ich bin alles andere als hilflos, Ihr aufgeblasener Wichtigtuer.«

»Wichtigtuer? Ihr müsst mich mit jemand anderem verwechseln. Also, von meinem Standort aus betrachtet, wirkt Ihr hilflos. Und nach allem, was ich gehört habe, scheint Ihr eine unverzeihliche Sünde begangen zu haben. Und eine unaussprechliche noch dazu, wenn ich das sagen darf, denn keiner will mir verraten, was Ihr getan habt, um die sanftmütigste und liebenswerteste Äbtissin auf den gesamten westlichen Inseln gegen Euch aufzubringen.«

Hektisch blickte sie sich in dem Käfig um, suchte sie doch etwas, was sie ihm an den Kopf werfen könnte. Aber da war nichts, was sie hätte entbehren mögen.

»Ich kann Euch nur empfehlen, Euch ihr gegenüber anders zu verhalten.«

In ihrem Zorn hätte sie ihm am liebsten eine unflätige Antwort entgegengeschleudert, doch der windgepeitschte Eisregen brachte den Käfig erneut ins Schlingern. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, als sie die Holzlatten umklammerte, um gegen den Brechreiz anzukämpfen.

»Ich kenne diese freundliche Ordensfrau schon seit meiner Kindheit, und ich muss sagen, ob Mann, ob Frau, ob Kind, alle fügen sich den Wünschen dieser … dieser heiligen Frau.«

»Ich brauche und wünsche keine Hilfe von irgendjemandem hier. Ich habe nicht darum gebeten und werde es auch nie tun. Ihr seid nichts als rückgratlose, katzbuckelnde Dumpfbacken, und Ihr verdient es nicht besser.« Zutiefst entrüstet rüttelte sie an dem Korb, suchte den böigen Wind zu übertönen. »Und Ihr mögt es glauben oder nicht, diese Frau ist ein Tyrann!«

»Nein, sie ist eine geachtete und geliebte Gottesfrau, hoch geschätzt von den Menschen von Barra … und auch von deren Lehnsherrn.«

»Pah! Von dem habe ich auch schon gehört. Und wie praktisch! Statt sich zurückzuziehen und ihre schäbige Abtei auf Barra zu leiten, beherrscht die ›gute‹ Frau die gesamte Insel, derweil der Herr über diese Insel – dieser ständig abwesende Nichtsnutz von einem Neffen – sich überall herumtreibt. Ich denke, das Milchgesicht hat Angst vor diesem Drachen.«

»Nichtsnutz? Milchgesicht? Fällt Euch nichts Trefflicheres ein?«

»Aber gewiss doch!«, versetzte sie scharf. »Der ›große‹ MacNeil ist ein aufgeblasener Gockel! Soweit ich weiß, ist er bloß ein hinterlistiger, kriecherischer Schleimer, ein …«

»Verzeihung, Mistress, aber er ist ein MacLean. Seine Mutter war eine MacNeil.«

Adrianne spähte zur Seite und gewahrte den Haushofmeister, der an der Burgmauer lehnte und ihre Auseinandersetzung mit anhörte.

»Mylord!« Der beleibte Bedienstete räusperte sich und fuhr in ernstem Ton fort: »Die Äbtissin … sie wünscht Euch zu sprechen.«

Nach einem letzten Blick auf den Käfig strebte der Highlander über die Felsen zur Torburg. Die Holzlatten des Käfigs weiterhin fest umklammernd, sah Adrianne ihm nach. Der eisige Wind ließ den Käfig dicht an dem alten Gemäuer vorbeischrammen, und der unaufhörliche Regen brachte sie an den Rand der Verzweiflung. Finster spähte sie zu dem hochnäsigen Verwalter, der unter ihrem Gefängnis herumlungerte – und aus dem Schutz des Burgmauerwerks zu ihr hinaufgaffte.

»Wer ist er?«, hörte sie sich fragen. »Dieser Highlander? Dieser geifernde Hofhund, der gleich gelaufen kommt, wenn die Äbtissin nach ihm pfeift.«

»Dieser ›Hofhund‹, Ihr scharfzüngiges Frauenzimmer, ist Sir Wyntoun MacLean, der Neffe der Äbtissin und der Burgherr von Kisimul Castle.« Selbst in der Dämmerung gewahrte sie sein hämisches Grinsen. »Er ist der verwegenste Krieger, der je ein Schiff oder eine Räuberbande kommandiert hat. Und nach allem, was Ihr ihm an den Kopf geworfen habt, wird es gewiss zwei Wochen währen, bis Ihr etwas zu essen bekommt, und Jahre, ehe man Euch aus diesem Käfig freilässt. Ja, zwei volle Wochen, schätze ich, Ihr miese, kleine Brandstifterin!«

Sie funkelte ihn an, bis er wieder in der Burg verschwand. Seine Worte hätten sie zur Besinnung bringen müssen, aber Adrianne empfand nicht die Spur von Reue. Fünf Monate. Seit fünf Monaten war sie praktisch eine Gefangene auf dieser Insel. Fünf Monate lang hatte man sie gegängelt, beschimpft, verlacht und immer wieder grundlos bestraft. Und jetzt hatte sie ihrem Herzen endlich Luft gemacht!

Sie spähte in die gurgelnden Fluten. Die See brandete ans Ufer, und salzige Gischt benetzte ihr Gesicht, sobald die tosenden Wassermassen sich an den Burgfundamenten brachen.

Adrianne löste eine Hand von den Käfigstangen, nestelte unter ihrem Umhang am Taillenband ihres Rocks und zog einen kleinen, dort versteckten Dolch hervor. Sie griff über ihren Kopf, ihre Finger glitten durch die breiten Käfigschlitze und ertasteten das Tau, mit dem ihr Gefängnis an einem Pfosten verzurrt war.

Nun, es hat ja so kommen müssen, dachte sie bei sich, während sie das Tau durchtrennte.

2. Kapitel

Der dunkle Schatten der zierlichen Nonne tanzte riesenhaft an der Ostwand des Rittersaals.

»Die jungen Frauen in meiner Obhut werden auf diese segensreiche Insel geschickt, um in stiller Andacht dem Allmächtigen zu huldigen. Ihr Wunsch ist es, sich von den Zerstreuungen des weltlichen Daseins zu lösen. Ich sage dir, es ist ihr tiefes Anliegen, die Stille zu umarmen und inneren Frieden und Ausgeglichenheit in ihrem Leben zu finden.«

Die Äbtissin unterbrach ihr trippelndes Auf und Ab und verharrte vor dem Tisch des Burgherrn, bis der Highlander den Kopf von seinem Rechnungsbuch hob. Sie nickte knapp. »In den vergangenen fünf Monaten, Wyn, haben diese bedauernswerten Geschöpfe nichts von der ihnen … oder ihren Familien … versprochenen Seeleneinkehr bemerkt. Und unser Versagen … jede kleine Unterbrechung … hat mit einer einzigen Person zu tun. Dieser dickfelligen, Nerven zermürbenden Spottzunge … Adrianne Percy.«

»Aber, aber, liebe Tante, in deiner langen, an Erfahrung reichen Ordenszeit hast du doch gewiss auch andere temperamentvolle junge Frauen kennen gelernt, die sich ähnlich rastlos gezeigt haben.«

»Pah! Rastlos? Dass ich nicht lache! ›Rastlos‹ ist gar kein Ausdruck für diese hitzige Furie.« Wieder lief sie hektisch auf und ab. »Gewiss, da waren andere. Aber ich kann dir versichern, keine … nicht eine in meiner Obhut wäre auch nur im Traum darauf gekommen, in unserer kleinen Abtei einen Aufstand anzuzetteln. Nun, das St.-Mary-Kloster wird vielleicht nie wieder, wie es einmal war. Ganz recht, Wyn, ›Furie‹ ist die treffende Umschreibung für Adrianne Percy. Gewiss ist sie diejenige, die den Lebensfaden durchtrennt – nämlich meinen! Und ich weiß wirklich nicht, womit ich das verdient habe.«

Der Highlander schloss das Rechnungsbuch und bedeutete dem Verwalter, der geduldig am Ende des Tisches verweilte, dass er die Aufzeichnungen über die Geschäfte der Insel wieder in Empfang nehmen könne. Während er der Äbtissin eher abgelenkt zuhörte, winkte er einem hoch aufgeschossenen Mann zu, der soeben den Saal betrat.

»Zunächst hat sie sich sämtlichen Regeln in unserer Abtei widersetzt – und auch die anderen jungen Frauen dazu aufgewiegelt. Aber das war nur erst der Anfang.«

Wyntoun beobachtete, wie sein zuverlässiger Schiffsmeister durch die von Fackeln erhellte Halle schritt. Sein ergrautes Haar ließ ihn älter wirken, als er tatsächlich war, gleichwohl war Alan MacNeil in Wyntouns Augen einer der erfahrensten und umsichtigsten Seemänner. Von seiner Schulter baumelte ein Sack aus Ölzeug.

»Alan!«, entfuhr es der Äbtissin; sie wandte sich zu ihm um, als er zum Kamin strebte und den Stuhl neben seinem Befehlsherrn ansteuerte. »Das wurde aber auch Zeit, dass du dein kostbares Schiff verlässt und uns die Ehre deines Besuchs erweist.«

»Guten Tag, Tante.« Alan verbeugte sich rasch vor der Äbtissin, dann setzte er sich und zog eine Pergamentrolle aus seinem Seesack. Ein Küchenjunge huschte herein und brachte eine Schale mit einer dampfend heißen Flüssigkeit für den ernst dreinblickenden Ankömmling, der daran nippte, derweil Wyntoun die Kartenskizzen vor ihnen ausbreitete.

»Wo war ich stehen geblieben? Ach ja … bei dieser kleinen Hexe!« Die Äbtissin schritt abermals auf und ab. »Keine Klostermauer könnte dieses wilde Ding im Zaum halten. Nun, diese Kreatur ist kaum eine Woche bei uns, als sie beschließt, kreuz und quer über die Insel zu streifen! Allein! Ich will wissen, wie groß sie ist!, erklärt sie mir. Schließlich muss ich erfahren, dass sie in jeder Hütte Halt gemacht hat. Bricht das Brot mit den Guten und den Gottlosen! Und ihr freches Mundwerk … was meint ihr, woher sie das hat? Ich sag’s euch … von den Fischern, den Raubeinen und den Unholden, die sich auf Barra herumtreiben.«

Die Nonne zeigte mit dem Finger auf die beiden Männer. »Ich weiß, was ihr denkt. Es ist unsere eigene Sippe, mit der sie da redet. Ich weiß, ich weiß. Und ich schäme mich für all diejenigen. Aber ich sage euch noch etwas. Es gibt nicht einen Menschen auf dieser segensreichen Insel, den Adrianne Percy nicht aufgesucht hätte. Nun, dieses Mädchen weiß nichts Besseres zu tun, als ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken. Und wenn ihr denkt, dass hier auf Barra jemand an einem Fieber oder an einer Verletzung leiden kann, ohne dass die umtriebige Mistress sich einmischt, dann täuscht ihr euch ganz gewaltig!« Die Äbtissin schnaubte angewidert. »Und meint ihr, sie hätte mir einmal gesagt, wo sie hingeht oder wann sie zurück sein wird? Oder – wenn sie zurückkehrt – wie sie sich so schmutzig gemacht hat? Nein. Sie stürmt herein, ihr Kleid zerrissen, ihre Hände schmutzig wie die eines Stallknechts … und tut, als wäre nichts gewesen!«

»Ja, ja, Tante«, sagte Wyntoun zerstreut, den Blick weiterhin auf die Karte geheftet.

»Und denkt nur nicht, dass das der Höhepunkt ihrer Verfehlungen gewesen wäre!« Ihre kleinen Fäuste in die Hüften gestemmt, verharrte die Ordensfrau vor den beiden Männern. »Die Ordensregel von Ailbe! Du kennst sie, Wyntoun. Wie lautet sie?«

Der Ritter hob den Kopf und begegnete den stechend grünen Augen der betagten Frau.

»St. Ailbe verlangt besinnliches Schweigen von den Gläubigen.«

»Ich bin froh, dass du dich erinnern kannst, Neffe. Verrichte dein Tagwerk so möglich schweigend. Sei nicht schwatzhaft, sondern ein Mensch weniger Worte. Sei in dich gekehrt … suche die friedvolle Stille, auf dass deine Hinwendung zu Gott fruchten möge.«

»Ganz recht.« Wyntouns Blick fiel abermals auf die Kartenskizze.

Die Nonne war noch nicht fertig. »Jetzt fragst du dich doch gewiss, was die Ordensregel von St. Ailbe mit Adrianne Percy zu tun hat?«

Stirnrunzelnd sah der Ritter vom Tisch auf. »Und, Tante, was hat sie mit Adrianne Percy zu schaffen?«

»Alles!«, brauste sie auf. »Doch bevor du das Interesse verlierst und dich wieder deinen Karten und anderen weltlichen Belangen zuwendest, lass mich deine Frage beantworten, was sie getan hat, dass sie in diesem Käfig dort draußen aufgeknüpft worden ist!«

Wyntoun sagte nichts, sondern tat so, als interessierte er sich brennend für ihre Ausführungen.

»Ich habe dir bereits dargelegt, dass die junge Frau seit ihrer Ankunft nichts Besseres zu tun weiß, als sämtliche Regeln zu brechen, die nicht nur für sie, sondern auch für alle anderen auf dieser Insel gelten.«

Ungeduldig schlug Wyntoun mit der Hand auf den Tisch. »Jawohl, Tante, das hast du bereits getan!«

»Indes habe ich noch kein Wort über ihre bislang letzte Verfehlung verloren.« Anklagend richtete sie ihren Zeigefinger auf die Ecke des Wohnturms, vor dem der Käfig mit der jungen Engländerin hing. »Vor zwei Tagen kam Adrianne Percy mit wehenden Haaren und unschicklich flatternden Röcken durch den Kreuzgang gerannt und brüllte: ›Feuer!‹ Den alten Bruder Brendan hätte fast der Schlag getroffen!« Die Äbtissin beugte sich über den Tisch, ihre Stimme zu einem bedrohlichen Flüstern gesenkt. »›Zum Teufel mit der Ordensregel von St. Ailbe‹, kreischte dieses kleine Scheusal in einem fort. ›Es brennt!‹«

»Nach dem, was wir von den Laufburschen wissen, die die Vorräte an Bord bringen, war der Vorfall im Kloster …«

»Kümmere dich um deine Kartenskizzen, Alan.« Der Schiffsmeister errötete bis zu den Wurzeln seiner vorzeitig ergrauten Haare und kniff die Lippen zusammen, während er sich erneut seiner Karte widmete.

Wieder funkelte die Nonne Wyntoun an. »Da war kein Feuer … jedenfalls kein nennenswertes. Ihr Ansinnen ist es, uns zu schaden. Den Frieden der Leute zu stören, die auf dieser gesegneten Insel leben. Und Gottes Werk hier zu vernichten.«

Der Highlander setzte sich zurück, schob die Kartenskizzen von sich. »Schön und gut, Tante. Ich habe deine Beschwerde vernommen. Also, was soll ich tun?«

Die greise Ordensfrau schwieg – plötzliche Verblüffung zeichnete ihr faltiges Gesicht.

»Ich … nun, da ist die Frage, was ihre Mutter, Nichola Erskine Percy, befürworten würde. Ihr Anliegen war es, dass ihre Tochter hier bleiben soll, bis sie geholt wird.« Unterschwellige Entrüstung klang aus der Stimme der Alten. »Indes hat Lady Nichola kein Wort über Adriannes Ungehorsam verloren. Nein, in ihrer gesamten Korrespondenz war nicht die leiseste Warnung zu lesen. Wahrhaftig, wenn ich irgendeinen Hinweis gefunden hätte, hätte ich doch nie …«

»Also, was soll ich tun, Tante?«

Die wiederholt gestellte Frage ließ die alte Frau vorübergehend verstummen. Sie trat zum Kamin und starrte in die züngelnden Flammen. Dann wandte sie sich wieder zu ihrem Neffen.

»Ich möchte, dass du sie von hier fortbringst. Bring sie zu ihrer Mutter. Bring sie zurück nach England oder dahin, wo Nichola jetzt lebt.«

»Wird erledigt!« Unvermittelt wandte Wyntoun sich wieder den Karten zu. Alan deutete auf eine mögliche Route entlang der Küste.

»Du hältst mich doch jetzt nicht zum Narren, Wyntoun? Dies ist doch kein Scherz, oder?«, forschte sie. »Du bringst sie schleunigst von hier weg!«

Die grünen Augen des Ritters funkelten wie Smaragde im Licht des Feuerscheins. »Du kennst mich doch, Tante. Ich scherze nie.«

Die Äbtissin nickte, entfernte sich indes nicht, obschon die beiden Männer sich wieder in ihre Seekarte vertieften. Der Dienstbursche huschte abermals herein und brachte einen frisch gefüllten Bierkrug. Ein anderer schleppte riesige Brocken Torfkohle, die er im Kamin aufschichtete. Gleichwohl würde kein Feuer heiß genug sein, um der Kälte im Rittersaal den Garaus zu machen.

»Und die Strafe, die ich ihr auferlegt habe?«, fragte sie nach längerem Schweigen.

»Bleibt bestehen … wenn du darauf beharrst.« Wyntoun schob eine Karte beiseite, worauf Alan eine weitere auf dem riesigen Holztisch ausbreitete. »Aber ich warne dich … sobald das Schiff beladen ist und das Wetter aufklart, werden wir die Segel setzen. Und wenn ich aufbreche und die Jungfer hängt immer noch dort oben« – er blickte so finster drein wie die Ordensfrau –, »dann kann es sein, dass du sie bis zum Frühjahr hier behalten musst. Ich weiß nicht, wann ich das nächste Schiff nach England steuere, das sie zu ihrer Mutter zurückbringen kann.«

Verdrießlich spitzte die Äbtissin ihre dünnen Lippen.

»Ich traue einzig deiner Mannschaft und deinem Schiff«, murmelte sie schließlich und beäugte die beiden Männer. »Und damit spreche ich sowohl in Adriannes als auch in meinem Sinne.«

Alan warf seinem Dienstherrn einen kurzen Seitenblick zu, doch dessen Augenmerk blieb auf die Karte fixiert.

»Sie ist das Fegefeuer auf Erden, Wyntoun. Sie ist wie eine Feuersbrunst in einem Getreidespeicher.« Die Gottesfrau drehte sich um und spähte in die Flammen. »Es ist ein Wunder, dass das Schiff, das sie hergebracht hat, nicht gesunken ist. Mir ist schleierhaft, wie es der Mannschaft gelungen sein soll, sie während der ganzen Reise von England zu bewachen.«

»Und jetzt willst du, dass wir sie zurückbringen?« Alan schob seinen Bierbecher von sich. »Was hast du vor, Tantchen? Willst du uns alle umbringen?«

Die Äbtissin tat den Einwurf des Seemanns mit einer unwirschen Handbewegung ab. »Du schaffst es, Alan«, sagte sie stattdessen und kehrte zum Tisch zurück. »Du bist ein Mitglied meiner Sippe. Und wenn einer meinem Urteil traut, dann meine eigene Familie. Dennoch muss ich dich warnen. Sie besitzt die Gabe, Männer wie Frauen mit ihrem Charme zu überzeugen … dass sie ihren schändlichen Eingebungen folgen …«

»Ich habe ihren ›Charme‹ selbst erlebt, Tante.« Wyntoun sah auf, seine Miene ernst.

»Nein, Wyn«, ereiferte sie sich. »Sie hat etwas ganz Besonderes an sich. Sie kann mit Engelszungen reden, wenn sie etwas will. Die Leute glauben ihr, ich sag’s dir … und die Männer fallen vor allem auf ihr hübsches Äußeres rein.« Keiner der beiden Männer reagierte. Nach einem langen Augenblick nickte die Äbtissin zufrieden. »Also gut. Adrianne bleibt in ihrem Gefängnis, bis euer Schiff die Segel setzt.«

»Als ich ans Ufer ruderte, ging der Regen in Schneetreiben über.« Alan wandte sich an Wyntoun und nicht an die Äbtissin. »Wäre es nicht besser, wenn wir sie in ein Verlies sperren würden … oder ihren Käfig hier im Rittersaal aufhängen ließen?«

»Damit bin ich nicht einverstanden.« Die Äbtissin schüttelte energisch den Kopf. »Wir haben das bereits getan. Vor zwei Tagen, als wir sie von der Abtei herbrachten, habe ich ihren Käfig gleich hier oben an diesem Dachbalken vertäuen lassen. Und binnen weniger Minuten hat dieses unverschämte Geschöpf alle mit ihren Zoten unterhalten Ich will euch auch nicht verschweigen, dass ich der Gegenstand ihrer unflätigen Scherze war. Nein! Das geht wahrhaftig nicht. Innerhalb einer Stunde ist es ihr gelungen, eine ganze Reihe von Zuhörern gegen mich aufzubringen!«

Wieder richtete Alan das Wort an seinen Dienstherrn. »Sie mag Halbschottin sein, trotzdem ist diese Maid wie eine englische Dame aufgewachsen. Womöglich überlebt sie die Nacht dort draußen nicht.«

»Ich habe ihr Decken in den Käfig legen lassen. Sie wird überleben.« Die Nonne legte beide Hände um das fein geschmiedete Silberkreuz, das sie um den Hals trug, und ein kleines Lächeln zierte ihre schmalen Lippen. »Überdies bin ich heilfroh, dass meine Gebete endlich erhört worden sind. Ein für alle Mal werden wir Barra von dieser kleinen Landplage befreien.«

Unvermittelter Lärm aus dem Burghof ließ sämtliche Anwesenden zur Eingangstür blicken, durch die der beleibte Verwalter soeben in den Saal hereinplatzte.

»Der Käfig, Mylord!«

Wyntoun schob die Karte in Alans Richtung. »Was ist damit?«

»Der Käfig ist hinabgestürzt. Das Ding zerbarst auf den Felsen! Das Seil muss nachgegeben haben.«

»Was ist mit ihr?« Wyntoun passierte den Tisch und durchquerte den Raum, Alan und die Äbtissin im Gefolge. »Was ist mit der Engländerin?«

»Auch sie ist hinabgestürzt, Mylord … auf die Felsen. Die Männer haben sie schreien gehört. Das war alles. Als wir dort ankamen, hatte die Flut das meiste von ihr hinweggerafft … der Herr erbarme sich ihrer Seele.«

Der Haushofmeister schlug das Kreuz, derweil Wyntoun die betagte Nonne mit Blicken maß.

»Mir scheint, deine Gebete sind eher erhört worden als von dir erhofft, Tante.«

3. Kapitel

Der Nachtwind, rau und stürmisch, drohte die flackernden Fackeln auszulöschen – und damit auch Wyntouns Hoffnungen. Gleichwohl hörte die alte Frau nicht auf, ihn zu bedrängen.

»Rudere zurück zu deinem Schiff. Du musst die Segel setzen, um mit der nächsten Flut ablegen zu können.«

Wyntoun schwenkte die rauchende Fackel herum und funkelte die Nonne ungehalten an.

»Wir setzen die Segel, wenn ich es befehle, Tante.« Eine Mischung aus Regen und Schnee peitschte ihnen ins Gesicht, dennoch erwiderte die betagte Ordensfrau ungerührt seinen Blick. Er runzelte die Stirn und mäßigte seine Stimme. »Ich habe dich gebeten, im Haus zu bleiben und die Suche den Männern zu überlassen.«

»Ich rate dir, Wyn, du musst die Segel setzen.«

Der Highlander drehte sich um, sein Blick auf die wild wogende Bucht geheftet. Sein Schiff – kaum einen Steinwurf von der Burg entfernt – tanzte anmutig auf den Wellen. Im zuckenden Schein der Fackeln bemerkte er jedoch, dass die kleineren Boote Mühe hatten, die Burgfelsen heil zu umschiffen und ihre Suche fortzusetzen. Die Männer am Ufer, bis zur Taille von den eiskalten Wassermassen umspült, klammerten sich an provisorische Floße und hielten Ausschau nach dem Leichnam der jungen Frau. »Wir geben nicht auf. Zumindest so lange nicht, bis wir irgendeine Spur von ihr finden.«

Aus einem der Boote drang ein Aufschrei. Wyntoun sprang selbst in die Fluten, watete näher zu den unruhig aufzuckenden Fackeln.

»Eine Decke, Mylord!«, brüllte einer der Männer zu Wyntoun.

»Weitere Käfigteile«, rief Alan zu seiner Rechten. Der Highlander wandte sich in diese Richtung. »Hör mir zu, Wyn«, rief die Äbtissin vom Ufer her.

»Du verschwendest nur deine Zeit.«

Der Ritter ignorierte den Einwurf der Äbtissin und hielt seine Fackel höher in die Luft.

»Bei allen Heiligen! Es ist ihr Haar!« Das Brüllen des Verwalters war nur mehr ein Stöhnen. »Ach, das unglückselige Kind. Eine ihrer Locken hat sich zwischen den Gitterstäben verfangen.«

Wyntoun watete zurück ins flachere Wasser und stieg auf einen der Uferfelsen, wo der Verwalter mit einer Hand voll langer, nasser Locken stand. Die Äbtissin war noch vor ihm dort. Sie riss dem Mann das Haarbüschel aus der Hand.

»Ich wiederhole mich höchst ungern, Wyntoun, aber dies ist ein Ausnahmefall. Nimm deine Männer und rudere unverzüglich zum Schiff zurück.«

Ein Anflug von Verärgerung glitt über die Miene des Highlanders.

»Sieh dir das an.«

Wyntouns Ärger war wie weggewischt, als er die Haarsträhnen erspähte, die die Nonne ihm hinhielt. Er nahm sie und betrachtete sie im Fackelschein, verwundert über die gleichmäßig abgeschnittenen Spitzen. Wohl kaum der Anblick ausgerissener Haare.

»In der Abtei habe ich einige Dokumente und Briefe, die Adrianne betreffen und die ich für dich holen muss … bevor du fortsegelst.«

»Ich treffe dich dort.«

»Nein!« Entschieden schüttelte die Alte den Kopf. »Wenn du nicht umgehend auf dein Schiff zurückkehrst, wird sie deine Männer beschwatzen, ohne dich in See zu stechen … mit ihr als Steuermann!«

Als die winzige Luke zur Kabine des Schiffsmeisters geöffnet wurde, sprangen die kleinen Fenster im Bootsheck weit auf. Wyntoun durchquerte die Kabine, schloss und verriegelte sie, um sich dann seinen Männern zuzuwenden.

»Sie ist an Bord, Wyntoun … genau wie du gesagt hast.«

Der Highlander schnellte herum und bedachte Man mit einem anerkennenden Nicken.

»Und ihr habt sie in ihrem Versteck gelassen?«

»Gewiss doch. Wir haben weder Alarm gegeben noch die nassen Sachen angerührt, die sie an Deck in einer Seilrolle verborgen hat, nachdem sie an Bord gegangen war. Eine wahre Amazone … das muss man ihr lassen.«

»Habt ihr das Versteck beobachtet?«

»Aber ja, sie hockt in einem der leeren Wasserfässer … Coll hat gehört, wie sie sich darin bewegt hat. Und wir haben ein Auge auf sie.« Alan schloss die Tür hinter sich. Gedämpftes Rufen auf dem Oberdeck vermittelte Wyntoun, dass seine Mannschaft die letzten Vorbereitungen für das Auslaufen des Schiffes traf.

»Wie hat sie es bis hierher geschafft? Ist sie geschwommen?«

»Tja. Muss wohl.«

Wyntoun schlang seinen Schwertgürtel um einen Haken. »Schon irgendwelche Neuigkeiten von der Äbtissin?«

»Es heißt, dass sie weiterhin darauf beharrt, an Bord zu kommen, statt Ian die Dokumente auszuhändigen, die diese englische Frau betreffen.«

Die smaragdgrünen Augen des Ritters vermochten seine Genugtuung nicht zu verbergen, als er einen Seesack packte, den er auf die Kabinenbank geworfen hatte. Er fischte ein gefaltetes Pergament heraus und legte es auf den kleinen Schreibtisch, wo Alan sich bereits niedergelassen hatte.

»Ich hatte meine Zweifel, Wyn. Aber alles ist gut gelaufen.« Alan nahm den Brief und überflog dessen Inhalt. »Es war richtig, dass du der Äbtissin nicht den wahren Grund genannt hast, warum die Engländerin Barra verlassen soll.«

»Je weniger die Leute wissen, umso besser.«

»Wann wirst du es der Kleinen erklären?« Alan faltete das Dokument und legte es zurück auf den Schreibtisch. »Oder, anders gesagt, wie lange willst du sie in diesem Wasserfass schmachten lassen?«

»So lange sie will. Es ist wesentlich praktischer, sie in einem Wasserfass versteckt zu wissen, als sonst wo auf diesem Schiff.«

»Sicher ist sie nass bis auf die Knochen.«

»Sobald wir in See stechen, werden wir sie herauslocken.«

»Sie hat sich uns direkt in die Hände gespielt.«

»Wir müssen dafür sorgen, dass auch ihre zukünftigen Bestrebungen vorteilhaft für uns sind … bis wir Duart Castle erreichen.«

»Wirst du ihre Schwestern benachrichtigen?«

»Noch nicht.« Über seinen Schreibtisch gelehnt, öffnete Wyntoun ein geheimes Seitenfach. Zufrieden grinsend legte er den Brief hinein und ließ das Holzpaneel zuschnappen. »Natürlich können sich meine Pläne noch ändern, das hängt vom Inhalt der kostbaren Dokumente ab, die unsere Tante mir anvertrauen wird und die dieses Percy-Mädchen betreffen.«

»Ich glaube, sie ist bereits hier.«

Kaum dass sich Alan erhoben hatte, klopfte es. Auf Wyntouns Geheiß riss Iah, einer der MacNeil-Krieger, die Tür auf und trat zurück, um die Äbtissin eintreten zu lassen.

»Wahrhaftig!« Der kritische Blick der Nonne schweifte durch die Schiffskabine. »Das muss man dir lassen, Wyntoun. Dein Ordnungssinn zeigt sich selbst in dieser winzigen Kajüte, die du für viele Tage im Jahr dein Zuhause nennst. Stell diese Truhe hier ab, Ian.«

Nachdem der Krieger eine kleine Holztruhe auf den Tisch gestellt hatte, strebte Alan zur Tür. »Ich lasse euch beide jetzt allein. Ich gedenke, bei Tagesanbruch in See zu stechen.«

»Ian, warte draußen auf die Äbtissin«, befahl der Ritter. »Unsere Geschäfte sind rasch erledigt. Ich denke nicht, dass die Äbtissin mit uns segeln will.«

Missmutig schnaubend setzte sich die Nonne auf den Stuhl; die Tür fiel hinter den Männern ins Schloss. »Habt ihr sie gefunden?«

»Das haben wir, Tante. Sie hat es sich gemütlich gemacht – in einem der leeren Wasserfässer, die wir in Mull auffüllen werden.«

»Ich wusste es!« Sie griff in den Ausschnitt ihres wollenen Gewandes und zog einen langen Schlüssel an einer Kette heraus. »Du denkst vielleicht, dass fünf Monate keine lange Zeit sind, um jemanden gut kennen zu lernen, aber ich sage dir, da ich um den Schabernack und die Entschlossenheit dieser jungen Frau weiß, ist mir klar, dass sie einen Weg auf dieses Schiff finden musste.«

»Aber warum das Schiff?«, erkundigte sich Wyntoun. Unterdessen beobachtete er, wie die schlanken Finger der Nonne den Schlüssel in das Schloss der Holztruhe steckten. »Wieso warst du so sicher, dass sie herkommen würde, statt sich im Wohnturm zu verstecken … oder in irgendeiner Bauernhütte auf der Insel?«

Das Schloss klickte dumpf, und die Äbtissin öffnete den Deckel der Schatulle. »Ich wusste, dass sie herkommen würde. Seit ihrer Ankunft auf Barra wollte sie der Insel wieder entfliehen.«

»Aber wo wollte sie denn hin? Nach dem, was du mir erzählt hast, hat sie niemanden in der näheren Umgebung.«

»Sie wollte zu ihren beiden älteren Schwestern.« Die Äbtissin nahm ein dickes, in Leder gewickeltes Päckchen aus der Holztruhe. »Sie war fest entschlossen, Barra zu verlassen und ihre Schwestern aufzuspüren. Soweit ich weiß, sind auch sie von ihrer Mutter irgendwo in die Highlands geschickt worden – nach Edmund Percys Hinrichtung im Londoner Tower.«

»Weißt du, wo die anderen sind?«