Wyatt Earp 137 – Die Ratte von Ottawa

Wyatt Earp –137–

Die Ratte von Ottawa

Roman von William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-579-7

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Er hatte einen vierkantigen Schädel, geschlitzte Augen, eine kurze stumpfe Nase, in deren Löcher man von vorn hineinsehen konnte, und einen breiten, aufgeworfenen Mund, dessen Winkel nach unten gezogen waren. Sein Kinn war ausladend und in der Mitte gespalten. Kurz war die Stirn und von struppigem aschbraunem Haar umwuchert. Die Ohren waren übergroß. Die Gesichtshaut war gelb und von zahllosen Blatternarbenspuren bedeckt. Ein wüster Stoppelbart bedeckte dreiviertel dieses Gesichtes und ließ es noch weniger anziehend erscheinen, als es ohnehin war.

Der Mann trug einen mißfarbenen Hut, den er an einem Band auf der Schulter hängen hatte, ein ehemals gelbliches Halstuch, ein verwaschen blaues Hemd und eine abgetragene braune ärmellose Weste. Seine Hose war grau und schien das einzige neue Kleidungsstück zu sein, das er besaß, sie steckte unten in den Stiefelschäften. Um die Hüfte herum trug er einen breiten patronenbesetzten Waffengurt, der tief über dem rechten Oberschenkel einen schweren Revolver hielt. Der Mann saß auf einem starkknochigen grauen Wallach, dessen Mähnen- und Schwanzhaar schwarz schimmerte.

Die geschlitzten Augen des Reiters konnte man kaum sehen, wenn man in dieses Gesicht blickte. Sie waren pulvergrau und kieselhart. Es waren keine guten Augen.

Der Mann hieß Curle Keystone. Vor einunddreißig Jahren war er in Kansas am Rande der Stadt Ottawa als Sohn eines Schuhmachers auf die Welt gekommen. Er hatte eine schlechte Jugend und besaß nicht Charakter genug, sich danach in ein besseres Leben emporzuschwingen. Er wurde ein Gesetzloser.

Bei Topeka erschoß er auf offener Straße einen Bankboten, nur um ihm ganze sechzehn Dollar entreißen zu können. Wenig später hatte er in Impuria, einer kleinen Stadt zwischen Topeka und Wichita, einen Schußwechsel mit Game Madison, ohne zu ahnen, daß er es hier mit einem in der ganzen Gegend gefürchteten Schießer zu tun hatte, Keystone schoß ihn aus den Stiefeln. Diese ›Tat‹ machte aus dem jugendlichen Outlaw einen echten Revolverschwinger.

Von Stadt zu Stadt zog der Tramp und mischte sich in Streitigkeiten, nur mit dem einen Ziel, sie durch einen Revolverkampf beenden zu können. Sein großes Ziel war es, in Wichita den berüchtigten Schießer Lester Ronaldson auszustechen.

Ganze siebzehn Jahre alt war Keystone, als er an einem trüben Herbstmorgen an der Ecke der Spielhölle Kenohouse auf Ronaldson stieß. In dem darauffolgenden wilden Kugelwechsel, den Keystone heraufbeschworen hatte, wurde Lester Ronaldson getötet.

Dieser ›Erfolg‹ war dem Burschen aus Ottawa derart zu Kopf gestiegen, daß von dieser Stunde an alles in ihm erstarb, was noch einen Funken von Hoffnung gelassen hätte, daß er vielleicht doch ein besserer Mensch werden könnte. Keystone wurde ein hemmungsloser Schießer, und weil sein graues blatternarbiges Gesicht und seine schlitzigen huschenden Augen an eine Ratte erinnerten, hatte er bald den Namen die Ratte von Ottawa bekommen.

Die Liste derer, die er auf den Boot Hill gebracht hatte, wuchs mit rapider Geschwindigkeit. Keystone lebte wie in einem wüsten Traum. Überall, wo er auftauchte, verbreitete er Angst und Schrecken, und die Menschen flüchteten panikartig vor ihm.

Stand er einmal unerkannt irgendwo an einer Theke und hatte ein paar Whisky getrunken, so plusterte er sich auf und berichtete von seinen Leistungen. Er pflegte dann zu sagen: »Wer ist Billy the Kid? Eine Niete, ein Nichts gegen mich, gegen Curle Keystone, die Ratte von Ottawa!« Ja, er scheute sich nicht, seinen Schimpfnamen selbst zu nennen, denn er war stolz darauf!

Es war an einem glutheißen Junivormittag, als er in die kleine Arizonastadt Houck einritt. Sie lag am Südstrand des Apache Countys in der Nordostecke Arizonas und war ein kleines Nest von höchstens sieben oder acht Häusern, die sich um eine verhältnismäßig schmale Mainstreet gruppierten. Am Ortsausgang stand ein hoher hölzerner Turm, der die Stürme der Zeiten überwunden zu haben schien. Es war der sogenannte Indianerturm, der noch aus jenen Tagen stammte, da Houck eine Ansiedlung war, die die Häuserzahl der heutigen Stadt um das Dreifache übertraf.

Keystone hatte keinen besonderen Grund, diese Stadt aufzusuchen.

Er war aus Kansas weggeritten, da es dort einen Steckbrief gegen ihn gab, und auch unten in Oklahoma suchte man ihn steckbrieflich. Zwar hatte ihn keineswegs die Furcht gepackt, aber er hatte wenig Lust, immer wieder seinem eigenen Steckbrief vor den Sheriffsbureaus zu begegnen. Er war anfangs hinauf nach Nebraska gezogen, hatte danach Kansas an seinem Westrand wieder durchstreift, war erneut nach Oklahoma gekommen und hatte dann eine Kante von Texas durchritten, um hinüber nach New Mexico zu kommen.

Ein volles Jahrzehnt trieb er sich anschließend in Texas herum, wo man damals länger verharren konnte, da die Behörden und die Menschen dort toleranter als anderswo waren. Aber dann wurde der Boden für ihn auch in Texas zu heiß, und er zog weiter westlich. wie alles in diesem Land nach Westen zog, wo man sich eine neue Welt versprach.

Curle Keystone hatte nicht die Absicht, eine neue Welt zu suchen. Er wollte ganz einfach weiterreiten, um neue Siege, wie er es bei sich nannte, an seinen Revolver zu heften und seinen Namen noch größer und berühmter machen. Daß er nur berüchtigt und gefürchtet war, kam ihm nicht zum Bewußtsein.

So war er denn nach Arizona gekommen, in die kleine Stadt Houck.

Wabernd lag die Hitze zwischen den Häusern. Sie flammte über dem Sand und ließ die Konturen der Bauten verschwimmen.

Der Reiter hielt vor einer ebenerdigen Schenke, rutschte aus dem Sattel, schwang die rechte Zügelleine um den vierkantigen Querholm und blieb breitbeinig im Sonneglast stehen. Suchend tasteten seine grauen Augen die Häuserfronten ab, deren untere Hälften durch die Vorbauschatten vollkommen verschwunden zu sein schienen.

Die Hitze war wirklich scheußlich.

Keystone zog den Hut jetzt, da er im Schatten war, unsinnigerweise auf den Kopf und stieg die eine Stufe zum Vorbau hinauf, überquerte knarrend die sieben Bohlen und stieß mit der Linken die schweren klobigen Türschwingarme hart auseinander, was er immer tat, um sich gleich beim Eintritt ins richtige Licht zu setzen. Knarrend flogen die Schwingarme der Tür hinter ihm zurück, pendelten aus, bis endlich das quietschende Geräusch der ungeschmierten Angeln erstarb.

Groß, breit und irgendwie drohend stand der Koloß aus Ottawa vor dem Türviereck, die Männer in der Schenke konnten ihn jetzt genau sehen.

Obgleich Keystone im Halbdämmer des Raumes kaum etwas erkennen konnte, wandte er langsam den Kopf und schickte einen solchen Blick durch die Runde, als wolle er die Männer einschüchtern.

Dann setzte er sich mit staksigen Reiterschritten in Bewegung und ging auf die Theke zu.

Der Salooner war ein Mann von fünfzig Jahren, gebeugt von der Gicht, mit hervorquellenden Froschaugen und eingefallenem, ausgedörrtem Gesicht. Auf seinem hohen Schädel lagen noch ein paar spärliche Haare, die er krampfhaft über die kahle Schädelplatte gekämmt und mit Pomade festgelegt hatte. Unter der Nase trug er einen sorgfältig gepflegten Schnurrbart, der nur etwa anderthalb Inch breit war und dadurch länger als breit erschien und den ohnehin sehr schmalen Mund noch dünner erscheinen ließ. Ein kragenloses graues Hemd umschlotterte seinen mageren faltigen Hals, und die gelbliche Weste, die er darüber trug, vermochte auch mit den roten Karostreifen, die auf sie hinaufgesteppt worden waren, die Kluft des Wirtes kaum zu verschönern.

Tim Flegger war ein zäher Bursche und hatte einmal bessere Tage erlebt, als man ihm heute ansah. Irgendeine düstere Geschichte hatte ihn aus einer großen Stadt an der Ostküste der Staaten vertrieben, und seit mehr als einem Vierteljahrhundert hielt er sich hier in dieser Ansiedlung auf, die anstatt größer immer kleiner geworden war.

In dieser Stunde ahnte der Salooner nicht, daß sein Leben, von dem er sich doch noch einiges versprochen hatte, in dieser gleichen Stunde enden würde. Und der Mann, der es auslöschen sollte, war gerade im Begriff, auf die Theke zuzukommen.

Es war Curle Keystone!

Flegger kniff gewohnheitsmäßig eines seiner Froschaugen ein, um den Ankömmling schärfer betrachten zu können. Diese Betrachtung fiel nicht eben zugunsten des Gastes aus, aber Flegger hatte es sich längst abgewöhnt, aus solchen Urteilen irgendwelche Rückschlüsse auf die Dollars zu ziehen, die seine Gäste in den Taschen trugen. Er hatte schon völlig abgerissene Burschen daherkommen sehen, die dann dreißig, vierzig und noch mehr Dollar bei ihm gelassen hatten.

Der Mann aus Ottawa lehnte sich gegen die Theke, ließ die linke Faust geräuschvoll auf das durchlöcherte Blech fallen und befahl mit rostiger Baßstimme: »Einen Doppelten!«

Wenn der Salooner etwas nicht liebte, dann waren es Leute, die mit der Faust auf die Theke schlugen, um ihrem Wunsch den Anstrich eines Befehls zu geben. Dennoch schwieg er. Er zog die Flasche heran, nahm ein Glas, füllte es zu einem Zweidrittel und schob es dem Fremden hin.

Der nahm es, führte es an den Mund, senkte seine breite Nase darüber, zog eine Grimasse und kippte dann dem Wirt den Whisky blitzschnell ins Gesicht.

Das braune Naß troff dem Salooner nur so von den Wangen. Er plinkerte mit den Augen, machte aber keine Bewegung zu dem Handtuch, das neben ihm am Tresen hing, da er wußte, daß jetzt jede Bewegung hinunter zur Gürtellinie gefährlich enden konnte.

Flegger hatte im Lauf von zweieinhalb Jahrzehnten in diesem Land alle Erfahrungen gesammelt, die man sammeln konnte.

»Schade, Mister«, preßte er jetzt, seinen Ärger verbeißend durch sein schadhaftes Gebiß, »wenn Ihnen der Whisky nicht zusagte, hätten Sie ihn mich trinken lassen können.«

Einer der Männer hinten an den Spieltischen stieß eine bellende Lache aus.

»Gut, Tim, das war nicht schlecht. Darauf spendiere ich dir einen!«

Der Wirt aber hatte gar nicht die Absicht, zu trinken. Er wollte durch den krampfhaften Scherz den Fremden, der ihm plötzlich gefährlich erschien, freundlicher stimmen.

Es gelang ihm jedoch nicht.

Keystone, der sich mit dem linken Ellbogen auf die Theke gestützt hatte, ließ seine Faust abermals wie einen Hammer auf das Blech niedersausen, daß die Gläser tanzten, und er röhrte heiser:

»Einen Whisky habe ich verlangt, und zwar einen Doppelten, Salooner! Und wenn ich ihn jetzt nicht bekomme, werde ich ärgerlich.«

Der Salooner wandte sich um, holte eine andere Flasche vom Bord, öffnete sie und hielt sie dem Gast unter die Nase.

Keystone zog den Duft des Getränks ein, nickte dann.

»Ja, es riecht einigermaßen.«

Der Wirt goß ein und schob ihm das Glas zu.

Keystone nahm einen Schluck und verzog sein Gesicht wieder.

»Damned, was ist das für ein Schlangengesöff! Ich glaube, Sie machen diesen Mist selbst, Mensch!«

»Nein, Mister. Denn wenn ich solchen Whisky herstellen könnte, säße ich nicht mehr in diesem erbärmlichen Nest.«

Wieder bellte drüben am Tisch einer der Männer los. Aber es waren Leute, die noch nicht allzuviel mitgemacht, dafür aber schon einiges hinter ihre Binden gekippt hatten, was ihnen die Situation erheblich freundlicher erscheinen ließ, als sie wirklich war.

Keystone blieb mit der linken Körperseite an der Theke stehen, ließ auch den linken Ellbogen darauf liegen, und die rechte Faust fiel schwer auf das Blech nieder.

»Ich frage im allgemeinen nicht dreimal nach einem Whisky, Salooner. Aber ich habe heute meinen guten Tag. Wenn ich jetzt in fünf Sekunden nicht einen anständigen Whisky bekomme, ist was los!«

»Tim, gib ihm einen anständigen Tropfen«, brüllte der Mann, der vorhin den Freidrink spendiert hatte. »Man kann schließlich etwas Gutes für sein Geld verlangen.«

Noch lachten zwei der Männer.

Der Wirt hatte sich umgewandt und holte eine kurze dicke Flasche, die er gar nicht erst öffnete, schob sie vor den Fremden hin und sagte nur: »Original Scotch, Mister.«

Der Bandit schlug den Korken aus der Flasche und nahm ein Glas. Dann goß er ein und trank.

Es war tatsächlich der beste Whisky, den es hierzulande gab. Die Flasche kostete sieben Dollar. Dennoch verzog Keystone das Gesicht, rümpfte die Nase und setzte das Glas ab.

»Ich werde dir etwas sagen, Salooner, diesen Dreck machst du selbst. Du hast die Etikette von anderen Flaschen abgelöst und sie hier draufgeklebt, um zum großen Preis zu kommen.«

Hatte der Wirt bis jetzt noch geglaubt, es mit einem etwas eigenwilligen, vielleicht zänkischen Menschen zu tun zu haben, so wußte er jetzt Bescheid: dieser Mann suchte scharfen Streit!

»Es tut mir leid, Mister, daß Ihnen der Scotch nicht schmeckt. Aber er ist original, und ich kann nicht mehr sagen, als daß es das beste ist, was ich im Hause habe.«

Es war nur eine kurze Bewegung Keystones mit der jetzt nach außen geöffneten linken Hand, ein Ruck – und schon fegte die Flasche über die ganze Länge der Theke und prallte hinten gegen eines der Fenster, das sie in hundert Scherben zerriß.

Im Schankraum war es still geworden.

Nicht nur das Lachen, sondern auch die Gespräche der Männer an den Spieltischen waren verstummt.

So etwas war in Houck seit langem nicht mehr geschehen. Die Stadt war schläfrig und müde geworden, weil sich einfach nichts mehr ereignete.

Aber das, was sich da ereignete, hatte sich niemand gewünscht.

Der Salooner stand reglos da, auf seine Hände gestützt, um ja nicht den Verdacht zu erregen, daß er nach irgendeiner Waffe greifen wollte.

Es war klar, Keystone suchte Streit, suchte sich in Position zu setzen, um auch hier die Furcht um sich herum zu spüren, die er seit einem Jahrzehnt gewohnt war.

Vielleicht war er gar nicht mit der Absicht in die Schenke gekommen, den Salooner auszulöschen, aber er würde in jedem Falle immer alles getan haben, um die Luft zu erzeugen, die er brauchte, um sich wohl zu fühlen.

Immer noch lehnte er mit der linken Körperseite und dem Ellbogen an der Theke.

Seine Augen waren auf den großen Spiegel geheftet, der mitten im Flaschenbord so angebracht war, daß man sowohl den Eingang als auch die rechte Ecke des Schankraumes sehen konnte, in dem die meisten Tische standen. Keystone hatte beides im Blickfeld und den Wirt gleich neben sich.

»Ich habe das Gefühl, Schnapspanscher, daß du Streit suchst«, grölte er. Der Wirt schüttelte nur den Kopf.

»Nein, Mister, ich suche keinen Streit.«

»Du suchst Streit!«